Kira und der Kunsträuber - Miriam Frankovic - E-Book

Kira und der Kunsträuber E-Book

Miriam Frankovic

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Beschreibung

Kiras 11. Geburtstag steht kurz bevor. Das immerzu hungrige Känguru Cangoo, der Bilder malende Elefant Watahulu, das schüchterne Krokodilsmädchen Noko und ihre anderen Freunde schenken ihr eine Bilderreise nach Krakau, wo in einem Museum das weltberühmte Bild 'Dame mit Hermelin' von Leonardo da Vinci hängt. Doch plötzlich ist der Hermelin von dem Gemälde verschwunden, und niemand weiß, wohin. Eine spannende Verfolgungsjagd beginnt.

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Seitenzahl: 270

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Miriam Frankovic

Kira und der Kunsträuber

Eine Fantasy-Abenteuer-Geschichte

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

WIEDER ZU HAUSE

EINE GEMEINSAME UNTERNEHMUNG

GEBURTSTAGSVORBEREITUNGEN

AM HAFEN

LEONARDO DA VINCI

EINE BESONDERE GEBURTSTAGSÜBERRASCHUNG

DER STRANDRITT

EINE FILMROLLE UND NOKOS GROSSE CHANCE

NOKOS ERSTES CASTING UND EINE BILDERBESPRECHUNG

REISEVORBEREITUNGEN

DIE DAME MIT HERMELIN

EIN UNGEWÖHNLICHER DIEBSTAHL

AUF DER SUCHE NACH INDIZIEN

SPUK IM MUSEUM

LAGEBESPRECHUNG UND EIN PLAN

AUF DEN SPUREN VON PIETRO LEVURI

IM REICH DER SCHATTEN

GEFÄHRLICHER ZWEIKAMPF UND EINE ENTSCHEIDUNG

AUF DER SUCHE NACH ALBERT UND PIETRO LEVURI

IN DER GROTTE

IM WALD

DAS VERSTECK

HEIMFAHRT

LESEPROBE „Kira und das Känguru“

Impressum neobooks

WIEDER ZU HAUSE

Durch das Fenster konnte ich sehen, wie die Schneeflocken wild hin- und her stoben und dann nach einem kurzen Irrflug weich auf dem Boden landeten. Der Garten sah aus, als hätte ihn jemand in weiße Watte gehüllt, und die Apfel- und Kirschbäume, die noch im Sommer mit ihren bunten Blüten geprahlt hatten, streckten nun ihre kahlen, weißen Äste von sich.

„Bist du froh, wieder hier zu sein?“ fragte Niklas und sah mich prüfend aus den Augenwinkeln an.

„Ja, und wie!“

So schön und aufregend unsere Reise nach Australien auch gewesen war: ich glaube, insgeheim waren wir alle froh, wieder zu Hause zu sein. In unserer alten Villa am Seerosenteich, in die wir im Mai letzten Jahres mit Sack und Pack eingezogen waren.

Mit einem Mal sprang die Tür auf, und Cangoo hopste mit einem Riesensatz ins Wohnzimmer. Timbu, der Grizzly, tapste auf seinen großen Pfoten behäbig hinter ihm her. Ehe wir uns versahen, hatte sich Cangoo drei Mandelhörnchen auf einmal vom Kuchenteller geschnappt.

„Hey, lass das. Die sind für Niklas und mich“, protestierte ich.

„Verrückte Sache“, rief Cangoo und verschlang die Mandelhörnchen mit einem Haps.

Für ein normales Durchschnittskänguru hatte Cangoo wirklich außergewöhnlich großen Appetit. An einem einzigen Tag konnte er so viel in sich hineinstopfen wie andere nicht einmal in einer Woche. Trotzdem wurde er nie satt. Er fraß sogar mehr als Watahulu, unser Bilder malender Elefant, und das sollte schon was heißen.

„Das musst du dir echt abgewöhnen“, knurrte Timbu und sah Cangoo so streng an, wie er konnte. Denn Timbu war eigentlich die Gutmütigkeit in Person, und es fiel ihm sehr schwer, streng auszusehen. „Was?“ fragte Cangoo kauend.

„Sachen in dich rein zu schlingen. Erst recht, wenn sie dir nicht gehören.“

„Du nervst zum Beispiel!“ erwiderte Cangoo gelassen, weil er keine Lust hatte, sich aufzuregen. „Überhaupt, wieso rennst du dauernd hinter mir her und gibst überall deinen Senf dazu?“

„Dazu sind Freunde doch da“, meinte Timbu und kratzte sich verlegen hinterm Ohr.

„Ich brauche aber keinen Freund, der so an mir klebt wie du!“ Timbu deutete mit seiner großen Pranke auf Cangoos die Nase: „Da klebt auch was. Schokolade.“

„Ich brauche auch kein Kindermädchen“, maulte Cangoo, streckte seine Zunge raus so weit er konnte und schleckte den Rest Schokolade von seiner Nase ab.

„Sei froh, dass du einen Freund hast“, mischte Niklas sich ein. „Wahre Freunde wie Timbu sind nämlich eine echte Seltenheit.“

Unwillkürlich musste ich wieder an unsere Jagd auf die Rasomiten denken. Timbu hatte sich damals sofort bereit erklärt, uns im Kampf gegen die gefährlichen Ganoven zu unterstützen. Seit wir sie alle gemeinsam besiegt hatten, hing er wie eine Klette an Cangoo und schien einen Narren an ihm gefressen zu haben, was niemand verstand. Am wenigsten Cangoo selbst, der monatelang nichts anderes im Kopf gehabt hatte, als einen Freund für sich aufzutreiben. Jemand, den er mit niemandem teilen musste. Und nun, da er ihn hatte, passte es ihm auch nicht.

„Wie schaffst du es eigentlich, so viel in dich rein zu stopfen, ohne dass dir schlecht wird?“, fragte Niklas Cangoo.

„Ich bin erst elf und muss groß und stark werden“, antwortete dieser, grapschte gierig nach dem letzten Erdbeertörtchen, das ich mir eigentlich gerade nehmen wollte, und schob es sich ins Maul. Timbu wiegte bedächtig mit seinem Riesenschädel hin und her: „Ähm... hat hier zufällig noch jemand Honig?“

„Mein Vater hat zehn Eimer gekauft. Stehen in der Speisekammer“, antwortete ich. Timbu strahlte. Es gab nichts, was ihn so glücklich machen konnte wie ein Eimer Honig, und so tapste er hinter Cangoo her eilig aus dem Zimmer. Enttäuscht sah ich auf den leeren Kuchenteller. „Hier, nimm meins“, sagte Niklas und schob mir sein Erdbeertörtchen hin. Und wie jedes Mal, wenn er lächelte und ich die kleine Lücke zwischen seinen Vorderzähnen sah, machte mein Herz einen Hüpfer. „Soll ich dir mal was sagen, Kira? Weihnachten und Neujahr ohne dich... und die anderen... Das war ganz schön öde.“

„Ehrlich?“ fragte ich und merkte, wie ich rot anlief.

Niklas nickte. „Ehrlich.“

Und wie jedes Mal, wenn er so etwas zu mir sagte, wusste ich nicht, was ich antworten sollte. Vor lauter Verlegenheit sah ich schnell wieder aus dem Fenster. „Schön, oder?“ meinte Niklas.

„Der Schnee?“

Niklas nickte. „Ja. Sieht aus, als ob die Welt neu geboren worden ist. Als Wolke. Oder Zuckerwatte.“

Ich klaubte eine Erdbeere aus meinem Törtchen und schob sie mir langsam in den Mund. „Und alles, was unter dem Schnee liegt, ist verschwunden und kommt vielleicht nie wieder.“

Ich dachte daran, wie sehr sich alles verändert hatte, seit mein Vater mir vor ungefähr einem Jahr meinen ersten Computer geschenkt hatte. Cangoo hatte sich nach einer langen Reise durchs Internet eines Tages plötzlich aus dem Computer gequetscht und stand hungrig mitten in meinem Zimmer. Und so waren nach und nach auch die anderen in mein Leben getreten. Niklas war zum ersten Mal mit mir Eis essen gegangen. Wir waren von unserer kleinen, immer kalten Wohnung in die große alte Villa am Seerosenteich umgezogen und hatten ein gefährliches Abenteuer gegen die Rasomiten bestanden, böse, habgierige Ritter aus dem Mittelalter, die unser Gespenst Albert entführt und im Alten Leuchtturm gefangen gehalten hatten, aus dem wir ihn dann befreiten.

„Und jetzt?“ fragte Niklas, nachdem wir das letzte Krümelchen Kuchen verputzt und den heißen Kakao mit Sahne ausgetrunken hatten. „Wie wär’s mit einer Schneeballschlacht?“

„Wenn du unbedingt wieder verlieren willst“, antwortete ich grinsend. Im nächsten Augenblick hatte ich ein Sofakissen im Gesicht. „Na, warte“, rief ich, schnappte mir ein Kissen und warf es Niklas mit aller Wucht an den Kopf.

Später, als Niklas nach Hause gegangen war, fiel unsere Reise nach Australien mir wieder ein. In der ganzen Zeit hatte es keinen Augenblick gegeben, in dem ich nicht an Niklas gedacht hatte. Immerzu wünschte ich mir, dass er auch da wäre, bei mir. Am Strand beim Muscheln suchen. Wenn wir mit unserem klapprigen Mietwagen laut singend staubige Landstraßen entlang fuhren. Als Cangoo uns in Alice Springs, wo er geboren war, seine alten Freunde vorstellte, die ihn alle mit großem Trara begrüßten. Als wir staunend und schwitzend (denn wenn bei uns Winter ist, ist in Australien Sommer) vor den blühenden Eukalyptus- und Akazienbäumen standen, von denen manche bis in den Himmel hinein zu wachsen schienen. Als wir unseren ersten Koala entdeckten, der wie ein plüschiger Teddybär aussah und gerade schwerfällig einen Baum hochkletterte. Als Cangoo, tolpatschig wie er war, um ein Haar auf eine Tigerotter, eine gefährliche Giftschlange, getreten wäre und sie dann mit lautem Gebrüll verscheuchte. Und beim Tauchen im Great Barrier Reef, wo wir Fische sahen, die so bunt und schillernd waren, dass sie aussahen wie angemalt. Als wir alle gemeinsam vor einem Baobab standen, einem Affenbrotbaum, dessen dicker Stamm mich an eine bauchige Flasche erinnerte. Mein Vater hatte irgendwo gelesen, dass dieser Flaschenbaum älter als vierhundert Jahre alt war. Also ungefähr vierundzwanzig Mal so alt wie Niklas und ich zusammen. Vielleicht sogar noch älter. Immer stellte ich mir vor, Niklas wäre dabei. Ich stellte mir vor, wie ich zu ihm sagte, dass der Baobab wie ein Kamel große Mengen Wasser speichern konnte. Und dann malte ich mir aus, wie Niklas mich staunend ansehen und sagen würde: „Ehrlich?“

Und dass seine grünen Augen dabei vor lauter Staunen so dunkel werden würden wie das Moos, das am Waldrand wächst. In manchen Augenblicken wünschte ich mir Niklas so sehr herbei, dass ich das Gefühl hatte, er sei tatsächlich da, und würde diese aufregende, fremde Welt voller Kängurus, Koalas, bunter Fische, roter Felsen und Baobabs gemeinsam mit uns erforschen. Dann ertappte ich mich mit einem Mal dabei, wie ich etwas zu ihm sagte. Und wie er mir antwortete. Und wenn ich mich dann zu ihm umdrehte, war er plötzlich verschwunden. Nur mein Vater, Cangoo, Timbu und die anderen standen da und grinsten mich vergnügt an. Und Mintz, unser hellsichtiger Papagei, kreischte vor Vergnügen laut auf: „Kira ist verknallt. Kira ist verknallt.“

Als ich in dieser Nacht in Australien mitten zwischen dem Pazifischen und dem Indischen Ozean in meinem Schlafsack lag, in einem großen Campingzelt, das ich mir mit meinem Vater, Cangoo und Timbu teilte, dachte ich noch lange darüber nach, was es bedeutet, verknallt zu sein. Ich wusste es nicht. Und eigentlich war es mir auch egal, ob ich verknallt war oder nicht. Es gab zwar Mädchen in meiner Klasse, die anderen Mädchen hinter vorgehaltener Hand zutuschelten, dass sie sich in einen Jungen verknallt hatten. Dann folgte immer großes Gekicher. Und ich hatte auch schon davon gelesen, in Büchern oder Zeitschriften. Aber wie es wirklich ist, wenn man in jemanden verknallt ist: davon hatte ich keine Ahnung. Ich wusste nur, dass die Wolken schneller flogen, wenn Niklas in der Nähe war. Die Sonne schien heller zu scheinen. Das Gras schien saftiger zu sein. Der Kuchen schmeckte süßer als sonst, und der bewaldete Boden in der Nähe von unserer alten Villa am Seerosenteich kam mir viel weicher vor, seit ich zum ersten Mal mit Niklas Eis essen gegangen war. Ich war noch nie von einem Jungen geküsst worden. Und ich hatte noch nie einen Jungen geküsst. Und manchmal, wenn ich daran dachte und die anderen aus meiner Klasse darüber reden hörte, grübelte ich darüber nach, ob mit mir vielleicht etwas nicht in Ordnung war. Aber wenn Niklas wieder bei mir war, wurde mir das alles egal. Ich dachte nicht mehr darüber nach, ob es an der Zeit sei, einen Jungen zu küssen, weil ich bald elf Jahre alt werden würde. Das einzige, was zählte, war, dass Niklas in der Nähe war. Dass er, während wir in Australien waren, auf mich wartete, wie er es versprochen hatte. Dass alles mit ihm vertraut war und gleichzeitig ganz neu. Dass sein Haar so gelb war wie ein blühendes Kornfeld und nach einer Mischung aus Meer, frischen Himbeeren und Waldboden roch.

Es klopfte an der Tür, und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch.

„Ja?“

Mein Vater steckte seinen Kopf zur Tür herein und sah, dass noch Licht brannte. „Du bist noch wach?“

„Ja.“ Ich richtete mich im Bett auf. Mein Vater kam rein, zog die Tür leise hinter sich zu, um die anderen nicht zu stören und setzte sich zu mir auf den Bettrand.

„Alles in Ordnung?“ Er sah in mein nachdenkliches Gesicht.

„Ja. Ich musste nur gerade an Australien denken.“ Mein Vater nickte bedächtig. „Hat es dir dort gefallen?“

„Mmh, sehr“, murmelte ich.

Er lächelte, und wieder wurden die Grübchen in seinen Wangen sichtbar. „Mir auch“, sagte er. „Weißt du eigentlich, dass manche Baobabs mehrere tausend Jahre alt werden? Und dass ein Koala länger als zwanzig Stunden am Tag schlafen kann?“

Ich nickte. „Sogar länger als ein Faultier. Wieso eigentlich?“

„Um Energie zu sparen“, sagte mein Vater.

„Aber dann bleiben nur vier Stunden am Tag übrig, in denen der Koala wach ist.“

Wieder nickte mein Vater. „Meistens nachts. Viel kriegt er wohl nicht mit von der Welt.“

„Vielleicht doch“, entgegnete ich. „Vielleicht kommen dem Koala die vier Stunden, die er wach ist, viel länger vor als wenn wir vierzehn oder fünfzehn Stunden wach sind.“

„Wenn wir das nächste Mal nach Australien fliegen, fragen wir ihn, okay?“ meinte mein Vater und setzte sein spitzbübisches Gesicht auf.

„Okay.“

Er beugte sich zu mir und küsste mich auf die Stirn. „Schlaf schön, Kira!“

„Du auch“, murmelte ich und merkte, wie mir schon fast die Augen zufielen. Und kurz vorm Einschlafen dachte ich daran, dass Niklas‘ Augen, als er mit dem Kissen nach mir geworfen hatte, so grün gefunkelt hatten wie das Gras in unserem Garten, wenn es gerade frisch gemäht worden ist.

EINE GEMEINSAME UNTERNEHMUNG

Inzwischen waren drei Monate vergangen, seit wir aus Australien zurückgekehrt waren. Ein langer und kalter Winter lag hinter uns, und alle freuten sich auf den Sommer. Als ich eines Morgens frisch geduscht nach unten kam, waren die ersten, die morgens am Frühstückstisch saßen, Timbu und Cangoo. Dass Cangoo als erster am Frühstückstisch saß, war keine Seltenheit. Timbu war eigentlich eher ein Langschläfer. Aber da er nun einmal beschlossen hatte, dass Cangoo sein bester Freund war, quälte er sich morgens extra früher aus dem Bett, damit Cangoo nicht allein frühstücken musste.

„Morgen“, murmelte ich verschlafen und setzte mich zu den beiden an den großen, runden Tisch, an dem Timbu schon für alle gedeckt hatte. „Gibt es noch Tee?“

„Pfefferminz, Fenchel, Kräuter, Hagebutte“, kreischte es aus Richtung der Gardinenstangen. Verwundert sah ich, dass Mintz, unser hellsichtiger Papagei, auch schon auf war. Er hockte auf einer der Stangen und warf fröhlich mit Sonnenblumenkernen um sich.

„Seit wann stehst du morgens so früh auf? Bist du aus dem Bett gefallen?“

„Totaler Quatsch zum Beispiel“, murmelte Cangoo, der gar nicht zugehört hatte, und verschlang drei große, gebratene Makrelen auf einmal. Denn Fisch war sein Lieblingsessen.

„Wir machen doch heute einen Ausflug“, brummte Timbu in meine Richtung. Stimmt, der Ausflug. Den hatte ich fast vergessen. Timbu griff mit seiner riesigen, behaarten Pfote nach der Teekanne und schenkte mir eine Tasse Hagebuttentee ein, während ich mir ein Brötchen nahm, es mit Himbeermarmelade bestrich und eine Scheibe Käse oben drauf legte. Obwohl Timbus Vorderpranken so groß wie Schaufeln waren, ging er sehr geschickt mit ihnen um. Timbu war mindestens doppelt so groß und viermal so breit wie ich. Sein gewaltiger Schädel mit den gutmütigen Augen hatte den Umfang eines Eimers. Sein zotteliges, braunes Fell war wunderbar dicht, und ich fragte mich, ob er nicht furchtbar schwitzen würde, wenn es draußen erst mal richtig warm wurde. Für die meisten Leute sah er schrecklich gefährlich aus mit seinen Riesenpranken, an denen sich lange Krallen befanden. Aber wer ihn gut kannte ,wie wir, wusste, dass er in Wirklichkeit keiner Fliege etwas zuleide tun konnte.

Wie viele Bärenkinder war Timbu in den kanadischen Wäldern aufgewachsen, wo er sich hauptsächlich von Kräutern, Wurzeln, Beeren und Knollen ernährt hatte. Seit seine Eltern bei einem Unglück ums Leben gekommen waren, war er auf sich allein gestellt. Dann hatte sich zum Glück eine andere Bärenmutter seiner angenommen. Als er acht wurde trottete er, da er sehr neugierig war, eines Tages auf allen Vieren los, um die Wälder der näheren Umgebung genauer zu erforschen. Am elften Tag seiner einsamen Wanderung begegnete er zwei Wilderern, die schon das Gewehr auf ihn angelegt hatten, um ihn wegen seines kostbaren Fells zu erschießen. Er konnte gerade noch so entkommen. Schließlich landete er in einer größeren Stadt, wo die Menschen ängstlich auseinander stoben, als sie ihn zu Gesicht bekamen, aus lauter Angst, er könne über sie herfallen. Aber Timbu, der gar nichts Böses im Sinn hatte, verstand nicht, warum alle vor ihm wegliefen. So trottete er traurig und einsam durch die menschenleere Stadt. Schließlich verirrte er sich in einem Internet-Café, wo er sich neugierig vor einen der vielen Computer hockte und mit seinen Pranken auf der Tastatur herumspielte. Und so beförderte er sich ins Internet, wo Cangoo und die anderen ihn dann eines Tages aufstöberten.

„Wo soll unser Ausflug eigentlich hingehen?“, fragte ich die anderen und biss hungrig in mein Brötchen.

„Darüber müssen wir noch mit den anderen disku... diskusieren“, brummelte Timbu, stolz darauf, dass er sich eines der Fremdwörter gemerkt hatte, die Albert ihm erst vor kurzem beigebracht hatte.

„Es heißt diskumieren, nicht diskusieren“, wandte Cangoo kauend ein. „Und überhaupt, kannst du mal aufhören, dauernd mit Fremdwörtern um dich zu werfen?! Das nervt zum Beispiel.“ Timbu verstummte etwas eingeschüchtert und widmete sich konzentriert seinem zweiten Topf Honig.

„Wenn ihr’s genau wissen wollt, es heißt diskutieren, mit ‚t‘, sagte ich und nahm mir noch ein Brötchen.

„Diskutieren, quatschen, reden, labern“, kreischte Mintz von der Stange, „ist doch alles dasselbe.“

Die Tür ging auf, und mein Vater kam rein. Sofort flog Mintz ihm auf die Schulter und zerzauste ihm liebevoll die Haare. Denn seit Mintz bei uns eingezogen war, waren mein Vater und er die dicksten Freunde. Mein Vater kraulte ihn am Schnabel und sah uns erstaunt an.

„Wieso seid ihr schon alle auf?“

„Weil wir einen Ausflug machen zum Beispiel“, erklärte Cangoo ihm kauend. „Aber erst mal müssen wir darüber dismu... disku... dingsa, wohin überhaupt.“

„Das entscheiden wir erst, wenn alle da sind“, sagte mein Vater, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich zu uns. Er sah müde aus. Wie meistens hatte er bis spät in die Nacht Leinwände bespannt, die Watahulu, der Elefant, dann bemalt hatte.

„Wo bleibt Watahulu überhaupt?“ fragte ich.

Als hätte er das gehört, spazierte der Elefant in diesem Moment herein und trompetete dabei eine fröhliche Melodie auf seinem Rüssel. Denn Watahulu war nicht nur ein toller Maler, er konnte auf seinem Rüssel auch ausgezeichnet Trompete spielen. Kurz darauf saßen auch Pferdfreund, unser schöner Schimmel, Noko, das Krokodil und Albert am Tisch. Nun waren alle versammelt. Mein Vater schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein. „Habt ihr euch schon überlegt, was ihr machen wollt?“

Schüchtern hob Watahulu den Rüssel. „Ich bin dafür, dass wir uns eine Bilderausstellung ansehen.“

„Totaler Quatsch“, protestierte Cangoo, der für Kunstkram, wie er es nannte, überhaupt nichts übrig hatte. „Ich will ins Aquarium, Fische angucken.“

„Können wir nicht lieber ins Kino gehen“, wandte Noko, das Krokodilmädchen, zaghaft ein.

„Keinen Bock zum Beispiel“, maulte Cangoo. „Du willst dir ja bloß wieder irgend einen bekloppten Liebesfilm reinziehen.“ Ertappt senkte Noko den Kopf, denn sie hatte wirklich eine große Schwäche für romantische Filme. Auch, wenn sie dabei meistens vor lauter Rührung weinen musste.

„Ruhe“, ermahnte mein Vater Cangoo. „Jeder von uns hat das Recht, seine Wünsche zu äußern. Mintz, was möchtest du?“

„Mir egal“, kreischte Mintz. „Hauptsache wir gehen irgendwohin, wo ich nicht friere.“ Mintz kam nämlich ursprünglich vom Amazonas, und wenn er etwas nicht leiden konnte, so waren es Kälte und Schnee. Es schneite zwar nicht mehr, aber für April war es trotzdem noch nicht besonders warm, und meistens wehte vom Meer ein kühler Wind herüber.

„Albert?“ Fragend sah mein Vater Albert an.

„Ich bin für eine philosophische Vorlesung“, erwiderte Albert mit seiner hohen Stimme. Denn Albert las für sein Leben gern, und das schon seit 875 Jahren, seit er auf der Welt war.

„Philo... philo... was?!“ regte Cangoo sich auf, der mit Büchern überhaupt nichts am Hut hatte.

„Eine philosophische Vorlesung“, wiederholte Albert ruhig. „Wo man etwas darüber erfahren kann, warum die Menschen und Tiere auf der Welt sind, woher sie kommen und wohin sie gehen.“

„War ja klar, dass so ein Schwachsinn nur von so einem blöden Gespenst wie dir kommen kann“, rief Cangoo wütend. „Ich habe jedenfalls keinen Bock, vor Langeweile tot umzufallen.“

„Erstens ist Albert schon lange kein Gespenst mehr, sondern letztes Jahr sichtbar geworden. Und zweitens würde es dir garantiert gut tun, wenn du endlich mal was für deinen Kopf tun würdest, außer dir die Haare zu kämmen“, verteidigte Pferdfreund Albert.

„Schluss jetzt!“ sagte mein Vater ruhig, der befürchtete, dass Cangoo und Pferdfreund sich gleich wieder in den Haaren haben würden. „Kira, wofür bist du?“

„Ich finde Watahulus Idee gut. Bilder angucken macht Spaß.“ Genervt vergrub Cangoo seinen Schädel zwischen den Pfoten. Watahulu strahlte wie ein Honigkuchenpferd.

„Gut, dann ist es beschlossene Sache. Wir sehen uns eine Ausstellung an“, beendete mein Vater die Diskussion.

Abends um sechs saßen wir alle gemeinsam vor dem Kamin, in dem ein warmes Feuer knisterte, und sprachen über die Ausstellung, zu der wir extra in die nächst größere Stadt gefahren waren.

„Am besten hat mir die Landschaft mit den Kornblumen gefallen“, schwärmte Watahulu, der noch immer ganz begeistert von dem war, was er gesehen hatte.

„Hast du jetzt wieder Ideen für neue Bilder bekommen?“ fragte Albert ihn und machte dabei ein ganz ernsthaftes Gesicht.

„Jede Menge. Die Bilder haben mich total inspiriert“, sagte Watahulu begeistert.

„Inspi... was?!“ maulte Cangoo, dem es überhaupt nicht passte, dass alle dauernd mit Fremdwörtern um sich warfen. „Könnt ihr nicht mal Deutsch reden?“

„Wenn jemand von etwas inspiriert ist, heißt das, dass er eine Anregung bekommen hat“, erklärte mein Vater ihm.

„Anregung, was ist das zum Beispiel?“ fragte Cangoo verständnislos. Auch das Krokodil sah meinen Vater so an, als ob er von einem anderen Planeten käme.„Eine Anregung ist eine Idee, eine Art Geistesblitz. Man sieht, liest oder hört etwas, das einen so begeistert, dass man sofort Lust bekommt, selbst etwas zu schaffen.“

„Wenn schon“, murrte Cangoo unwillig. „Dann bin ich dauernd inspi... miert.“

„Ja, zum Fressen“, neckte Pferdfreund ihn. „Aber sonst kriegst du doch nichts auf die Reihe.“

„Hört auf, ihr zwei!“ rief ich. Ich wusste, dass Cangoo sich nichts mehr ersehnte, als eines Tages berühmt und von allen bewundert zu werden. Aber da er am liebsten berühmt geworden wäre, ohne etwas dafür zu tun, hatte der Ruhm bisher noch auf sich warten lassen. Um so mehr beneidete Cangoo den bildschönen Schimmel Pferdfreund, der schon eine Menge Filme gedreht hatte und sogar in Hollywood eine Berühmtheit war.

„Du bist zum Beispiel total blöd“, blökte Cangoo Pferdfreund an. Denn er ärgerte sich darüber, dass Pferdfreund immer so tat, als ob er etwas Besonderes wäre. Und dass alle anderen das auch zu glauben schienen, erzürnte ihn fast noch mehr.

Pferdfreund wollte gerade etwas erwidern, als mein Vater wieder das Wort ergriff. „Hört endlich auf zu streiten!“ wies er die beiden zurecht. „Im Moment gibt es etwas viel Wichtigeres zu bereden.“

„Was denn?“ fragte Noko schüchtern und robbte etwas näher an meinen Vater heran.

„Kiras elften Geburtstag“ sagte mein Vater. „Der ist nämlich übermorgen.“

GEBURTSTAGSVORBEREITUNGEN

Als ich am nächsten Morgen, einen Tag vor meinem Geburtstag, die Augen aufschlug, stand Albert an meinem Bett und sah mich mit seinen großen Kulleraugen, die vom vielen Lesen schon ganz rund waren, nachdenklich an.

„Was machst du denn schon hier?“ fragte ich und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Im Zimmer war es nicht besonders hell, und durch die Fensterscheibe sah ich dichte Schneeflocken durch die Luft wirbeln.

„Dich zu einem Spaziergang überreden“, sagte Albert.

„Bei dem scheußlichen Wetter?“

„Schnee ist nicht scheußlich, sondern schön, sogar im April“, erwiderte Albert und fügte hinzu „In vielen Teilen der Welt gibt es Leute, die alles dafür geben würden, einmal Schnee zu sehen, weil sie gar nicht wissen, wie es aussieht, wenn die Straßen und Plätze so weiß wie Puderzucker sind.“

„Aber ich habe doch noch gar nichts gefrühstückt“, wandte ich schwach ein.

„Das macht gar nichts“, sagte Albert. „Wir beide frühstücken nämlich heute in der Stadt. Und anschließend laufen wir ein bisschen an der Steilküste entlang. Du wirst sehen, die frische Luft wird dir gut tun und aufs Meer zu gucken auch.“

„Meinetwegen“, sagte ich, obwohl ich eigentlich weder Lust hatte, spazieren zu gehen, noch aufs Meer zu gucken. Denn das Meer war im Winter immer ziemlich grau und aufgepeitscht. Aber ich kannte Albert. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ er nicht eher locker, bis er erreicht hatte, was er wollte.

Ich konnte ja nicht ahnen, dass die anderen Albert nur beauftragt hatten mich abzulenken, weil sie über meine Geburtstagsüberraschung reden wollten, ohne dass ich davon Wind bekam. Das erfuhr ich erst viel, viel später, als das gefährliche Abenteuer, von dem ich jetzt noch nichts ahnte, schon längst seinen Lauf genommen hatte.

„Sie sind weg“, flötete Watahulu und sah die anderen voller Tatendrang an.

„Dann lasst uns jetzt endlich darüber diskusieren, was wir Kira zum Geburtstag schenken“, trötete Cangoo.

„Es heißt diskutieren, mit „t“. Wann geht das endlich in deinen Quadratschädel rein?“ raunzte Pferdfreund Cangoo an.

„Habt ihr zwei eigentlich nichts Besseres zu tun, als euch den ganzen Tag zu streiten?“, mischte mein Vater sich ein.

„Streiten, zoffen, zanken, zetern“, krächzte Mintz, der es sich im Brotkorb auf dem Frühstückstisch gemütlich gemacht hatte und ein paar Brotkrümel mit seinem Schnabel aufpickte. Pferdfreund und Cangoo schwiegen beschämt. Im Grunde wussten sie, dass Kiras Vater Recht hatte und dass es ziemlich dumm war, wenn man sich Zeit damit vertrieb, indem man sich den ganzen Tag nur angiftete. Aber sie konnten einfach nicht anders.

„Also, ich möchte jetzt Vorschläge hören“, sagte mein Vater ungewohnt energisch. „Schließlich wird Kira morgen elf, und das ist ein ganz besonderes Alter, so wie jedes Alter ein ganz besonderes Alter ist.“

„Stimmt nicht zum Beispiel“, rief Cangoo. „Elf ist besser als jedes andere Alter auf der Welt.“

„Das sagst du doch nur, weil du selbst elf bist“, sagte Pferdfreund von oben herab. „Und weil du glaubst, dass du was Besonderes bist. Aber das bildest du dir bloß ein.“

Bevor Cangoo, dem schon die Zornesröte ins Gesicht schoss, darauf etwas entgegen konnte, ergriff Watahulu, der Streit nicht ausstehen konnte, das Wort. „Wie wär’s, wenn wir eine Überraschungsparty für Kira organisieren? Ich könnte ihr zum Beispiel eine schöne Melodie auf der Trompete vorspielen.“

„Zum Beispiel ist mein Wort“, rief Cangoo empört. „Das darf nur ich benutzen“.

„Du hast echt einen Knall“, sagte Pferdfreund und zuckte mit den Schultern. Mein Vater beachtete die beiden nicht weiter und sagte. „Ich finde die Idee mit der Überraschungsparty gar nicht so schlecht.“ Noko kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Ich dachte, Kira mag keine Parties.“

„Stimmt“, krächzte Mintz. „Mag sie nicht, kann sie nicht leiden, steht sie nicht drauf, findet sie doof.“

„War ja auch nur so eine Idee“, sagte mein Vater und sah sich in der Runde um. „Wer hat einen besseren Vorschlag?“

„Eine Gespensterführung auf einem Gruselschloss?“ grummelte Timbu.

„Bloß nicht“, meinte Noko und begann schon bei dem Gedanken daran, vor Angst am ganzen Körper zu schlottern. Denn Noko sah mit ihren vielen spitzen Zähnen zwar ziemlich gefährlich aus, so dass die meisten Leute und Tiere einen großen Bogen um sie machten. Aber im Grunde ihres Herzens war sie furchtbar schüchtern und romantisch veranlagt. Und etwas Schlimmeres als ein Gruselschloss mit knarrenden Türen und wie von Geisterhand aufspringenden Fenstern, auf dem furchteinflößende Gespenster ihr Unwesen trieben, konnte sie sich kaum vorstellen.

„Ich könnte dafür sorgen, dass Kira eine kleine Rolle in meinem nächsten Film bekommt“, sagte Pferdfreund und strich sich mit der Vorderpfote eine widerspenstige Locke aus der Stirn.

„Ich glaube, Kira ist zu schüchtern, um in einem Film mitzuspielen“, entgegnete mein Vater, wie mir Watahulu später berichtete.

„Was heißt zum Beispiel schüchtern?“ wollte Cangoo wissen.

„Schüchtern ist genau das Gegenteil von dem, was du bist“, krächzte es aus dem Brotkorb.

„Genau. So ein Großmaul wie dich gibt es kein zweites Mal“, pflichtete Pferdfreund Mintz bei.

„Sorg du lieber mal dafür, dass ich eine große Filmrolle kriege“, sage Cangoo und sah Pferdfreund vorwurfsvoll an.

„Vergiss es“, entgegnete dieser. „Du hast einfach null Talent.“ Schäumend vor Wut griff Cangoo nach einer Orange im Obstkorb und zielte damit gerade auf Pferdfreunds Kopf, als es an der Tür klingelte. „Ich mache schon auf.“ Watahulu warf den beiden Streithammeln einen mahnenden Blick zu und ließ kurz darauf Niklas herein.

„Hi“, sagte Niklas zur Begrüßung und ließ seine Blicke durch den Raum schweifen. „Sind Albert und Kira schon weg?“ Mein Vater nickte. „Du kommst gerade richtig. Wir überlegen immer noch, was wir Kira zum Geburtstag schenken könnten. Hast du zufällig eine Idee?“

Niklas zog seine Stirn nachdenklich in Falten. „Ein Fahrrad?“

„Langweilig, öde, doof, überflüssig“, krähte Mintz und spuckte einen Sonnenblumenkern aus, der in hohem Bogen in Cangoos Richtung flog. „Es muss schon etwas ganz Besonderes sein“, meinte Niklas. „Nichts zum Anziehen oder für die Schule.“

„Ein Buch?“ flötete Watahulu.

„Super Idee“, krächzte es vom Kopf meines Vaters, auf den Mintz gerade zum Landeanflug angesetzt hatte. „Buch, Schmöker, Schinken, Wälzer. Das findet Kira toll.“

Cangoo, der immer noch nicht lesen konnte und deshalb mit Büchern auf Kriegsfuß stand, verzog missmutig das Gesicht. „Muss das sein zum Beispiel?“

Einen kurzen Augenblick herrschte Stille. Die Idee mit dem Buch kam zwar bei den meisten gut an. Andererseits wussten alle, dass ich schon viele Bücher hatte. Und dass ein Buch dann eigentlich doch nicht so etwas Besonderes war.

„Ich hab’s“, grummelte Timbu und griff mit der Pfote in den Honigtopf, der vor ihm auf dem Tisch stand. „Wir schenken ihr eine Reise.“

„Aber wir waren doch gerade erst in Australien“, wandte mein Vater ein.

„Doch nicht so eine Reise“, sagte Timbu und schleckte sich genüsslich den Honig von der Pforte. „Wir schenken ihr eine ganz besondere Reise. Eine Bilderreise.“ Watahulu schlenkerte anerkennend mit dem Rüssel, und auch Noko nickte zaghaft. Selbst Cangoo hatte diesmal nichts einzuwenden. „Und was für eine Bilderreise?“ fragte er Timbu, denn er verstand nicht genau, was Timbu mit einer Bilderreise meinte.

„Eine Bilderreise mit Tierbildern“, erwiderte Timbu. „Also eine Ausstellung mit Bildern, auf denen Tiere zu sehen sind.“

Mein Vater nickte zustimmend. „Kira liebt Bilder. Und Tiere auch. Ich finde, das ist eine grandiose Idee.“

„Grandios?“ fragte Cangoo genervt. „Was heißt das denn zum Beispiel schon wieder?“

„Toll, super, krass, cool“, klärte Mintz ihn auf.

Wie Watahulu mir erst viele Wochen später berichtete, diskutierten er und die anderen an dem Tag noch stundenlang darüber, was für eine Art von Bilderreise sie mir schenken sollten. In welches Land, in welche Stadt und in welches Museum die Reise gehen sollte. Wo die besten Tierbilder hingen. Und wer der berühmteste Maler war. Mit dem wichtigsten Tierbild. Oder wenigstens mit einem berühmten Bild, auf dem ein Tier zu sehen war. Und was das Allerwichtigste war: der Maler sollte Tiere mögen und sie nicht essen.

Da Cangoo und die anderen im Gegensatz zu meinem Vater, der ja selbst Maler war, nicht viele Maler kannten –manche von ihnen sogar gar keine- verkleinerten sie sich mit Hilfe von Alberts Zauberformel, um im Internet etwas über berühmte Maler herauszufinden, die Tiere mochten. Mein Vater ließ sie gewähren, obwohl er insgeheim schon jemanden im Kopf hatte, der in Frage kam. So kam es, dass alle den ganzen Vormittag lang damit beschäftigt waren, auf Webseiten über berühmte Maler herumzuspazieren. Da unsere Australienreise noch nicht allzu lange zurücklag, dachte mein Vater, dass es nicht schlecht wäre, wenn wir dieses Mal in Europa blieben. Zwar konnten Cangoo und die anderen übers Internet sekundenschnell in alle Orte der Welt surfen. Aber auch wenn Albert emsig daran arbeitete, bisher hatte er leider immer noch keine Formel entwickelt, mit deren Hilfe Menschen durchs Internet reisen konnten. Mein Vater, Niklas und ich würden also entweder fliegen oder mit dem Zug fahren müssen. Und da wir wegen der Schule nur in den Sommerferien weg konnten, musste meine Geburtstagsüberraschung also perfekt vorbereitet werden.

Am frühen Abend kehrten alle bis auf Mintz erschöpft von ihren Webseiten zurück und versammelten sich in unserem Wohnzimmer, wo Cangoo sich gleich auf einen Sessel fläzte. Wie er mir später anvertraute, war Niklas extra mit mir weg gegangen, damit ich auch weiterhin nichts von den Geburtstagsvorbereitungen mitbekam.

„Also, was habt ihr gefunden?“ fragte mein Vater, während er zusammen mit Watahulu den Kaffeetisch deckte und eine Menge an köstlichen Sahnetorten und Kuchen auftischte.

„Viel. Aber nicht das Richtige“, murmelten alle im Chor. Mein Vater zog erstaunt eine Augenbraue hoch. Dann sah er sich suchend um. „Wo steckt eigentlich Mintz?“

„Der schwirrt gerade irgendwo auf einer italienischen Website herum“, erklärte Pferdfreund ihm. Dann sagte er im Ton eines gelehrten Professors: „Es gibt Tausende und Hunderttausende von Malern. Auf der ganzen Welt. Welche, die noch leben und welche, die schon längst gestorben sind. Aber die sind auf so vielen verschiedenen Webseiten verstreut, dass wir unmöglich nachgucken konnten, wer von denen Vegetarier ist und wer nicht.“

Cangoo sah Pferdfreund sauer an, denn für heute reichte es ihm wirklich mit Fremdwörtern. „Was ist zum Beispiel ein Vega...Vege... Dingsbums?“

„Ganz einfach“, erklärte Watahulu ihm geduldig. Ein Vegetarier ist jemand, der kein Fleisch isst, also keine Tiere.

„Genau“, krächzte es in diesem Moment aus Richtung des Computers, und eine Sekunde später kam Mintz aufgeregt herausgeflattert. „Und so jemanden habe ich gerade gefunden. Er war Maler und sehr berühmt. Sein Name ist Leonardo da Vinci.“

AM HAFEN

„Freust du dich eigentlich auf deinen Geburtstag morgen?“ fragte Niklas und schlenkerte mit den Beinen gegen die Kaimauer, auf der wir nebeneinander saßen.