Kitty Kathstone Band 1 - Sandra Öhl - E-Book
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Kitty Kathstone Band 1 E-Book

Sandra Öhl

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Beschreibung

Sie ist schlagfertig und zieht Schwierigkeiten an, wie das Licht die Motten. Da ist es auch kein Wunder, dass ausgerechnet an Kittys fünfzehnten Geburtstag alles schief läuft. Und als wären es nicht genug Katastrophen für einen Tag (nebst dem spurlosen Verschwinden ihres Vaters), eröffnen ihr ihre zurückhaltende Mutter und die resolute Großmutter das lange totgeschwiegene Familiengeheimnis. (Nichts Neues, denkt Ihr? Naja, seid Euch da mal nicht so sicher.) Kitty findet sich schneller, als ihr lieb ist in einer Welt voller Mythen wieder, bevölkert von Gorgonen, Formwandlern, japanischen Einhörnern, Walküren und anderen unglaublichen Wesen, in der es aber vor allem um eines geht: Gemeinsam mit 14 Guardians und jahrtausendealten Steinen, das Gleichgewicht des Universums zu bewahren. Ein fantastisch-komisches Abenteuer, das einen mit viel Humor, Spannung, Familiensinn, einem Quentchen Philosophie und einer schlagfertigen Protagonistin von Little¿s Law über die schwarze Stadt Khara Khoto bis nach Berlin führt. .Ach ja, und dann gibt es da noch einen Jungen mit leuchtenden, bernsteinfarbenen Augen und natürlich meine Wenigkeit, die diese unglaubliche Begebenheit erzählt. Ihr ergebener Sir Larry Oehl Das Hörbuch liest Wolfgang Pampel. Wolfgang Pampel ist deutscher Schauspieler, Sänger und Synchronsprecher. Seine marakante Stimme leiht er als Standardsprecher Harrison Ford. Neben der Synchronisation von Filmen ist er auch an deutschen Hörbuchproduktionen beteiligt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Erzählt vonSir Larry Oehl

Niedergeschrieben vonSandra Öhl

Besuchewww.kitty-kathstone.com, umKittys Musikzu hören und dieFilmclipsanzusehen, die im Buch erwähnt werden. Weiters findest du dort alleInfosrund um das Buch, dieFigurensowie auchfreie Downloads.

Band 1 von Kitty Kathstone ist derzeit alse-book und als Audiobook (mp3-Download)erhältlich.

Hast du Fragen an den Autor, dann schick ihm eine Nachricht – er freut sich über jeden einzelnen Brief! Besuch hierzuwww.sandra-oehl.com..

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung der Autorin urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung,

Übersetzung oder Verwendung in elektronischen Systemen.

©by Sandra Charlotte Öhl-Wögerbauer 2012

Stand 2025

Covergestaltung by www.cplusm.at

Grafiker: Lena Comer, Andrea Hainzinger, Patrizia Schinko

Korrektorat: Sophie Spieldiener, Martina König

eBook: ISBN 978-3-9504003-6-6

www.sandra-oehl.com

Eine komplette Übersicht zu allen Figuren findest du auf:

www.kitty-kathstone.comoder im Glossar!

„Kein Buch ist es wert, von Kindern gelesen zu werden, wenn es nicht auch von Erwachsenen gelesen werden kann.“

Clive Staples Lewis (1898 – 1963)

DAS ENDE VOM ANFANG

JAMES BARNEBY BUTTERFIELD II. UND VICTORIA KATHARINA KATHSTONE III.

DIE HALLEN DES C.O.G.

ARMAND

DER RAT

THAT’S IT – NORA NEEDLE ?!

DIE ECHTE ANKUNFT IN DER C.O.G. ODER WILLKOMMEN IN JAMALS KLASSE

GLACIES

VETO

FAILURE MAY BE AN OPTION

MITTAGS BEI FRAU FUNKELSTEIN

CYLLARUS UND DER HEILIGE BAUM VON ERIDU

KITSUNE

KITTY DIE ERSTE

NORA NEEDLE DIE ZWEITE

LIEBE MACHT KEINE UNTERSCHIEDE

LIVE - EVIL

WHITE FOREIGN

ONE WAY DATE ZUR HÖLLE

STATION ARREST BIS JAKOBSTURM

NORA, NORMA UND HONORA

WÜSTE ALASHAN – IN DEN HAUPTROLLEN: SIR LARRY UND SIGNORE VILLARD

AISHA QANDISHAS SUK UND DER UNMÖGLICHE DEAL

CHECKPOINT CHARLIE BIS PERGAMONMUSEUM

ENDSTATION ZU HAUSE

GLOSSAR

CHARAKTERE

Inhalt
Das Ende vom Anfang
James Barneby Butterfield II und Victoria Katharina Kathstone III
Armand
Der Rat
That´s it - Nora Needle?!
Die echte Ankunft in der C.O.G. oder Willkommen in Jamals Klasse
Glacies
Veto
Failure May Be an Option
Mittags bei Frau Funkelstein
Cyllarus und der Heilige Baum von Eridu
Kitsune
Kitty die Erste
Gespräche=Erkenntnisse
Nora Needle die Zweite
Liebe macht keine Unterschiede
Live - Evil
White Foreign
One Way Date zur Hölle
Station Arrest bis Jakobs Turm
Nora, Norma und Honora
Wüste Alashan - in den Hauptrollen: Sir Larry und Signore Villard
Aisha Qandishas Suk und der unmögliche Deal
Checkpoint Charlie bis Pergamon Museum
Endstation zu Hause
Glossar

Es gibt Geschichten, über die man nicht sprechen, und jene, die man schon gar nicht erzählen sollte. Und dann gibt es Geschichten, die erzählt werdenmüssen!

Eine jener Geschichten beginnt in der Dunkelheit mit Ungerechtigkeit und Leid. Da ich Euch nun davon erzähle, muss ich – denke ich zumindest – um mein Leben fürchten! Denn diese Geschichte ist von jener Art, die eigentlich niemals, unter keinen Umständen, der breiten Öffentlichkeit preisgegeben werden darf! Aber ich denke, Ihr habt ein Recht darauf, von dieser zu erfahren, denn sie betrifft uns alle! Ihr fragt Euch, von wem ich diese Geschichte gehört habe? Nun, dies ist ein Faktum, welches im Moment vernachlässigbar ist, zumindest aus meiner Sicht der Dinge. Wir werden ihm mehr Aufmerksamkeit widmen, wenn es an Relevanz gewinnt. Zurück zu unserer Geschichte. Wie gesagt, einer der Anfänge war Ungerechtigkeit – wisst Ihr, eine Geschichte kann auch mehrere Anfänge haben und nicht nur einen einzigen, die finden sich dann wieder und werden eins – oh, entschuldigt, geehrter Leser, zurück zuunseremAnfang.

Ungerechtigkeit– Wenn Kitty etwas hasste, dann war es Ungerechtigkeit. Die Tatsache hatte sie allerdings schon das eine oder andere Mal in kleinere (räusper… größere) Schwierigkeiten gebracht. Heute könnte man beinahe behaupten, es handelt sich hierbei sogar um einen Tag, an dem man diese als bombastisch bezeichnen könnte.

Würdet Ihr, lieber Leser, in einem Lexikon unter dem Begriff “Schwierigkeit“ nachschlagen, dann würdet Ihr, zumindest im Moment, mit aller Wahrscheinlichkeit auf ein Foto von Kitty – mit vollem Namen: Katharina Victoria Emilia Esmeralda Kathstone – stoßen. Dieser Begriff haftete seit geraumer Zeit hartnäckig an Kittys Fersen, wobei der Beginn dieser Ära, und somit höchstwahrscheinlich auch die Ursache hierfür, in ihrer frühen Kindheit zu suchen ist.

Seit Anbeginn des Kindergartenalters, nein – ehrlich gesagt schon als Baby, hatte Kitty das Talent, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Niemals aber, mein geehrter Leser, aus Gründen der Eigennützigkeit, sondern vielmehr der Ungerechtigkeiten wegen, die rund um sie herum stattfanden. Natürlich war es niemandem aufgefallen, als Kitty noch ein Baby war, wenn mal hier oder da etwas verschwand, an einem anderen Ort auftauchte oder, sagen wir mal, etwas Eigenartiges passierte. Wie zum Beispiel: ein unfreundlicher Kunde im Buchladen ihrer Mutter, dem umgehend nach seinen offensichtlichen Frechheiten ein Buch auf den Kopf fiel. Wer hätte da schon an die kleine, süße Kitty gedacht, die einem mit leuchtenden Babyaugen aus ihrem kleinen Nest entgegen lächelte.

Auch im Kindergarten verging kaum ein Tag, an dem sie nicht in Schwierigkeiten geraten war. Diese mussten dann natürlich auch ausgebadet werden, von ihr oder besser gesagt von ihren Eltern. Der größte Ärger, den sie sich während dieser Zeit jemals eingehandelt hatte, war (Gott sei Dank) kurz vor Beendigung ihrer Kindergartenkarriere. Die gesamte älteste Kindergartengruppe wurde von Kitty in ein Sandloch – treffender formuliert: in ein selbstentworfenes Verlies gesperrt. Kitty hatte sie erst wieder frei gelassen, als sie versprochen hatten, nie wieder das Sandspielzeug der jüngsten Gruppe zu entwenden. Der ganze Betrieb hatte sich in heller Aufruhr befunden, da es Stunden gedauert hatte, bis die Kinder endlich wieder aufgetaucht waren. Ganz zu schweigen davon, wie lange es gedauert hatte, die aufgeregten Eltern und Betreuerinnen zu beruhigen. Man hatte zwar vermutet, dass Kitty hierfür verantwortlich gewesen sei, aber letztendlich war es niemandem gelungen, ihr etwas nachzuweisen. So ein Sandverlies war eben auch wieder schnell beseitigt!

Kitty wurde sicherheitshalber von der verbliebenen Kindergartenpflicht befreit und tummelte sich von nun an im Buchladen ihrer Mutter. Im Laufe der Zeit handelte sich Kitty, wie Ihr Euch denken könnt, lieber Leser, den Ruf eines intelligenten, aber schwer erziehbaren Kindes ein. Dies wiederum machte sie in gewissem Maße zur Außenseiterin, demnach folgte verständlicherweise die Rolle der Einzelgängerin (wer möchte schon, dass sich sein Kind mit einem schwer erziehbaren Balg abgibt) und somit wurde sie in das Klischeedes “schwierigen Kindes“ gezwungen.

Nach zwei verschiedenen Schulen in zwei verschiedenen Städten, wo beide Direktoren eine Flasche Champagner öffneten, als Kitty die Schule und somit die Stadt verließ, landete sie mit ihren Eltern in Little’s Law. Eigenartiger Name für einen Ort, denkt Ihr? Nun ja, ich bin zugegebenermaßen Eurer Meinung, aber irgendwie brachte das Schicksal Kitty an diesen Ort, an dem angeblich John D.C. Little seine wichtigste Erkenntnis zur Warteschlangentheorie hatte. Eine derartig kleine Stadt mit nur einer Hauptstraße war wahrscheinlich der perfekte Ort, um eine solche Theorie zu entwickeln, und irgendwie stand auch Kitty nach all den Missgeschicken in einer Art Warteschlange, die nie zu enden schien. Ach herrje, lieber Leser, ich schweife abermals ab – entschuldigt meine “Weitschweifigkeit“, also …

Little’s Law besaß zwei höher bildende Schulen, eine normale und – man könnte unter vorgehaltener Hand behaupten – eine der speziellen Art.

Kitty besuchte seit einem halben Jahr die normale Schule und ehe man sichs versah, war der verhängnisvolle Tag gekommen, gefolgt von der unweigerlichen Konsequenz aus ihrem Gerechtigkeitssinn resultierend, dersie genau dorthin gebracht hatte, wo sie sich jetzt befand – vor das Direktorenzimmer, wo unsere eigentliche Geschichte ihren tatsächlichen Beginn hat.

Draußen war es dunkel und regnerisch, der Wind heulte durch die Gassen und peitschte Laub, das von den Bäumen gefallen war, durch die leeren Straßen Little’s Laws. Als würden auch das Wetter und die Stadt ahnen, dass nichts Gutes bevorstehen würde. Es war schon beinahe unheimlich leer, ja geradezu wie ausgestorben, obwohl es der 31. Oktober war. Man hätte erwartet, dass sich verkleidete Kinder auf den Straßen tummelten und laut „Süßes oder Saures“ riefen, aber nicht indieserStadt und nicht andiesemTag. Hier wurden keineheidnischenBräuche gepflegt, das sah man hier einfach nicht gerne. Nun ja, jeder, wie er meint, geehrter Leser – meiner Meinung nach verpasst man jedoch einen Heidenspaß. Und wie sollte es anders sein, als dass ausgerechnet an diesem verpönten Tag zufällig ebenfalls Kittys Geburtstag war, den sie eigentlich ganz anders geplant hatte.

Es war beinahe acht Uhr abends, als Kittys Mutter endlich nach fünf Stunden Autofahrt vor der Schule mit ihrem in die Jahre gekommenen Lieferwagen, einem 1972er Morris Minor Traveller, hielt.

Zuvor geschah Folgendes: Ein aufgebrachter Direktor schrie (mit sich überschlagender Stimme) um Punkt 14:30 ins Telefon, dass sie umgehend in der Schule zu erscheinen habe, da diese Umstände nicht mehr tragbar seien! Wobei er mitUmständemit allergrößter Wahrscheinlichkeit Kitty meinte. Dies geschah ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt, als sie gerade ein wichtiges Gespräch mit einem schwierigen Kunden führte. Einem jener Sorte, die man nur “gerne“ erträgt, wenn ein großer Auftrag in Aussicht steht. Hätte man die Wahl, würde man ihn nämlich darauf aufmerksam machen, wie ungebührlich sein Verhalten ist und dass es, gelinde gesagt, besser wäre, sich einen anderen Idioten zu suchen, den er wie den letzten Dreck behandeln könnte. “Leider“endete das Gespräch mit dem Kunden ähnlich, wie das unerwartete Telefonat angefangen hatte – mit einem schreienden, aufgebrachten Menschen. Der Auslöser hierfür war allerdings fehlende Beweihräucherung und Untertänigkeit. Die Folge: ein verlorener Auftrag, der, nebenbei erwähnt, für die Familie Kathstone-Butterfield in der momentanen Situation finanziell überlebenswichtig gewesen wäre.

Mrs. Emilia Esmeralda Kathstone-Butterfield hatte einen sehr eigenartigen – man könnte sogar meinen – außergewöhnlichen Beruf. Sie war Bücher-Detektiv oder treffender formuliert: Archäologe – auf der Suche nach den verlorenen, vergessenen Schätzen der Worte –, gemeinhin auch bekannt als Antiquar.Siewürde es schaffen, jedes noch so seltene Exemplar ausfindig zu machen, und es für ihre Klienten erwerben.

Bücher, das war eine der wenigen Leidenschaften, die Kitty mit ihrer Mutter teilte. Sie waren in vielen Dingen (hüstel… in beinahe allen) unterschiedlicher Ansicht, aber wenn es um ein gutes Buch ging, gab eskeinenZweifel.

Emilia hievte sich müde aus ihrem Wagen. Sie war eine adrette Erscheinung Ende dreißig, wenn sie sich darum kümmern würde, könnte man durchaus behaupten, sie sei hinreißend, bezaubernd, atemberaubend – aber dafür war meist zu wenig Zeit. Ihr kastanienrotes, krauses Haar, das nach den heutigen Wirren zum Teil wie kleine Antennen vom Kopf abstand, hatte sie lose hochgesteckt. Ihre Haut schimmerte im Schein der Straßenlaternen wie weißes Porzellan, dennoch spiegelten ihre Gesichtszüge Müdigkeit und Kummer wider. Diesewiederum traten zeitgleich mit dem plötzlichen Verschwinden ihres Mannes James auf. Ich werde später die Details zu diesem unglücklichen Vorfall erörtern.

Emilia hastete den Gang entlang und würdigte Kitty eines kurzen, hoffnungslosen Blickes, ohne auch nur ein Wort zu verlieren, bevor sie das Direktorenbüro betrat, wissend, was sie erwarten würde. Dabei wünschte sie sich nur eines: Ruhe, Frieden und ein wenig (Familien-) Glück.

Kitty blieb nach dem obligatorischen elterlichen, vorwurfsvollen Seitenblick schweigend im Gang zurück. Das Einzige, das sie von dem Aufeinandertreffen “Mutter vs. Direktor“ mitbekam, war der laute Knall, mit dem sich die Tür zum Büro schloss. Beraubt jeder Möglichkeit, Stellung zu nehmen – ein Zustand, den sie hasste und verabscheute –, ließ sie sich vor Ärger schnaubend auf einen Stuhl im Gang fallen.

Das Geräusch der zuckenden Leuchtstoffröhre war das Einzige, das den leeren Gang erfüllte, bis sich ein nervtötendes Geräusch, wir sprechen hier in etwa von einemzumm-bam-zumm-bam-zumm-zumm,hinzufügte. Kittys Blick wanderte, von einem tiefen Seufzer begleitet, zur Decke, wo eine Fliege unaufhörlich gegen die blinkende Röhre krachte, die sich direkt über ihr befand. Je länger sie diese beobachtete, desto mehr hatte sie das Gefühl, jene zu sein. Ein wenig erinnerte sie die Fliege an ihr eigenes Schicksal.

Arme Fliege!Ein weiterer Seufzer entfuhr ihr und sie senkte ihren Blick zu Boden.Hm… toller Geburtstag, so hatte ich mir das vorgestellt, bis zum Abend hier zu hocken. Für etwas bestraft zu werden, an dem ich indirekt gesehen nicht mal wirklich schuld bin. Diese Idioten! Ich habe ein Veilchen in der Größe eines Granatapfels… das Riesenbaby hat nicht mal einen Kratzer, und wer sitzt hier?! Ich!!! Argh, ich könnt ausflippen, verdammter Scheiß, verdammt noch mal! Das hast du ja wieder super hingekriegt!

Für einen kurzen Moment sah sie zur Tür, an deren Milchglasscheibe man die Silhouette des aufgebrachten Direktors erkennen konnte. Ihr Blick schweifte rasch wieder zur Decke.

Mann, wenn Dad bloß hier wäre – Mum hat im Moment für so etwas einfach nicht die Nerven. Ich könnte platzen – blöde Kuh…!

Letzteres war allerdings, müsst Ihr wissen, an sich selbst gerichtet, denn Kitty ärgerte sich maßlos über sich selbst.

Ihr werdet Euch fragen, woher ich Kittys private Gedanken kenne. Mit Recht! Nun, die Antwort hierauf gestaltet sich sehr simpel. Sie hat mir ihre privaten Notizen zur Verfügung gestellt, um diese Geschichte, an der sie (so wie ich auch) maßgeblich beteiligt ist, zu erzählen. Also lasst Euch davon nicht verwirren und seht mich als allwissenden(Ich-) Erzähler.

Ach übrigens, einige könnten sich am Höflichkeitsplural stoßen, nun, geneigter Leser, dies ist leider eine Eigenart aus meiner Jugend, die ich mir nie abgewöhnen konnte. Weitere werden sich vielleicht daran stoßen, dass der geehrte Leser / die geehrte Leserin nicht gegendert wird, nun, ich gehe von einem mündigen Leser aus, der sich hieran nicht stößt, sondern lieber der Geschichte folgt, die die grundlegende Wichtigkeit des Gleichgewichtes aufzeigt, egal, in welchen Belangen – doch zurück zu unserer Geschichte.

Irgendwie hatte sie den 31. Oktober, an dem sie ihren fünfzehnten Geburtstag ohne ihren Vater feiern musste, anders geplant. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihrer Mutter keinen Kummer zu bereiten, nicht aufzufallen und die Schule durchzuziehen, zumindest so lange, bis ihr Vater wieder aufgetaucht wäre. Hätte Bob nicht zuvor den ganzen Erstklässlern ihr Geld abgenommen und sie dann noch in die Abstellkammer gesperrt, hätte es nicht so weit kommen müssen!

Das Schlimmste an der ganzen Sache war: Dies geschah nicht zum ersten Mal und es war einfach an der Zeit, einzugreifen! Denn keiner der Erwachsenen unternahm etwas, weil Bobs Vater, ein kleiner, dicker, widerlicher Mann mit speckigem, schütterem Haar, im Aufsichtsrat der Schule saß und sich mit seinen großzügigen Spenden das Wohlwollen der Lehrer und des Direktors für seinen vertrottelten Sohn erkauft hatte (ich denke, ich brauche nicht zu erwähnen, dass daher auch sein guter Notendurchschnitt rührte).

Heute war das Maß eben einfach voll! Irgendwer musste dem Terror-Regime von Papis Liebling (akavollkommen bescheuertes Riesenbaby Bob) einfach ein Ende setzen und Kitty war eben gerade in der Nähe. Sie hatte kurzerhand beschlossen, ihn mit einem Eimer Farbe außer Gefecht zu setzen, um ihn anschließend mit heruntergelassenen Hosen am Fahnenmast der Schule zu befestigen. Auf seiner weißen Feinrippunterhose stand in großen Lettern (das war bei der Größe XXL nicht mal schwierig):Ich bin am Arsch, weil ich es nötig habe, kleine Kinder zu bestehlen.

Nun ja, geehrter Leser, Ihr lest richtig. Das war Kittys unverwechselbare Art! Vielleicht nicht immer charmant und sophisticated, aber bisweilen wirksam, wie sich oft im späteren Verlauf der Dinge herausstellte.

Kittys blaues Auge zeugte davon, dass sie Bob in diesem Kampf nicht immer überlegen war. Doch keiner hatte sich um ihre Verletzung gekümmert. Bloß der arme, heulende Bob, das Riesenbaby in Größe eines ausgewachsenen Walrosses, wurde zur Schulschwester geschleppt und von allen bedauert. Allen voran der Direktor, der seine Hand tätschelte, wie man es sonst nur bei kleinen Kindern machen würde. Kitty betastete ihr schmerzendes Auge, der Schlag hatte zumindest gesessen. An der Scheibe zeichnete sich nun die Silhouette ihrer Mutter ab, die gerade aufgestanden war, und zum ersten Mal fiel Kitty auf, welch anmutige Erscheinung sie war. Sie bewunderte die Geschmeidigkeit in Emilias Bewegungen, auch im Moment einer Niederlage. Kitty wusste, auch wenn es ihr noch niemand gesagt hatte, dass sie von der Schule fliegen würde. Es war einfach zu offensichtlich, dass der Direktor nur auf einen solchen Zwischenfall gewartet hatte.

Ein starker Windstoß drückte gegen die Fensterscheibe im Gang. Ein kurzes Zucken der Leuchtstoffröhre. Plötzlich war es stockdunkel. Kitty war angespannt. Die plötzliche Finsternis hatte sie aus ihren Gedanken gerissen. Ein Wirrwarr an verschiedenen Geräuschen brach aus dem Nichts über sie herein. Sie kniff fest ihre Augen zusammen, um etwas erkennen zu können, doch es fiel nur das spärliche Licht der Straßenbeleuchtung in den Gang.

Ob der Direktor mich und Mum in den Keller verschleppen wird, um uns loszuwerden?…Schwachsinn!

Sie schüttelte den Kopf und musste über diesen absurden Gedanken, der ebenfalls, so wie die Dunkelheit, aus dem Nichts kam, lächeln.

Mum hat Recht, ich sollte nicht mehr so viele schlechte Horrorfilme ansehen, mein Gehirn scheint sich in der Tat dadurch aufzuweichen.

Sie hob ihre Hand und warf einen Blick darauf, um zu überprüfen, ob es ihr in der Dunkelheit zumindest noch möglich wäre, diese vor Augen zu sehen und im Falle des Falles doch vor einem durchgeknallten Schuldirektor, der sie und ihre Mutter mit einer Hacke verfolgte, zu flüchten. Als ihr Blick auf ihre Hand fiel, durchfuhr sie ein kurzer Schauer und alle ihre Härchen standen ihr zu Berge. Es schien, als könnte sie nicht nur ihre Hand sehen, sondern jede einzelne Pore darauf und das pulsierende Blut in ihren Adern. Sie atmete tief ein und roch das nasse Laub, das durch die Straßen tanzte. Es war schier unglaublich!

Die Fliege krachte nach wie vor gegen die Leuchtstoffröhre. Kitty konnte ganz genau zuordnen, woher das Summen kam, wie weit es weg war und wo die Fliege sich befand. Das hektische Surren der Flügel schwoll beinahe auf eine fast unerträgliche Lautstärke an und bewegte sich nun in ihre Richtung. Kitty schloss ihre Augen und filterte nur das Summen der Flügel aus all den Geräuschen, die sie umgaben, heraus. Ihre Hand schnellte nach vorne – Stille. Das Surren war komplett verstummt – endlich! Kitty atmete tief durch und öffnete die Augen, ihre Anspannung ließ nach. Sie blickte ungläubig auf ihre Faust, wo sie deutlich die hektischen Flügelschläge der Fliege auf ihrer Handinnenfläche spüren konnte.

In diesem Augenblick schwang unerwartet die Tür des Direktorenzimmers auf, die Leuchtstoffröhre zuckte und das Licht im Gang ging mit einem Male wieder an. Kitty öffnete überrascht ihre geballte Faust, sodass die Fliege mit einem lauten Surren zu der Lichtquelle zurückflog. Ihre Mutter begutachtete sie für eine Sekunde überrascht und blickte anschließend zu der Fliege an der Decke. Eine gewisse Ernsthaftigkeit breitete sich in ihrem Gesicht aus und sie deutete Kitty, ihr zu folgen. Diese stand auf und trottete schuldbewusst mit hängendem Kopf hinterher. Sie hasste es, wenn ihre Mutter keinen angemessenen elterlichen Wutanfall zustande brachte. In diesem konkreten Fall kam nicht einmal ein einziges wütendes Wort über Emilias Lippen. Das bedeutete im Konkreten: maßlose Enttäuschung! Und Kitty enttäuschte ihre Eltern nur ungern! Im Hintergrund dieser traurigen Szene, geehrter Leser, befand sich ein in seiner Tür lehnender, dicker, nicht unbedingt sympathischer, alter Mann (räusper…Idiot) mit einem fiesen, breiten Grinsen im Gesicht, der als Nummer drei in die Champagnerflaschen öffnende Generation der Direktoren eingehen würde.

Emilia hastete den Gang entlang, sodass Kitty kaum mit ihr Schritt halten konnte. Sie wusste ganz genau, dass jetzt nicht unbedingt der passende Zeitpunkt war, um ihrer Mutter die ganze Sache aus ihrem Blickwinkel zu schildern, dennoch konnte sie die Sache nicht einfach so auf sich sitzen lassen –unter keinen Umständen – nie und nimmer!

Lieber Leser, Ihr werdet Euch in der Zwischenzeit bereits fragen, wie Kitty wohl aussehen mag. Nun ja, wenn ich sie beschreiben müsste, und das muss ich wohl, es ist ja sonst niemand hier, der die Geschichte noch erzählen könnte… oh, Pardon…

Also, Kitty war irgendwie ein sehr unauffälliges auffälliges Mädchen, ein Paradoxon in sich.

Auf den ersten Blick hielt man sie für die klassische Jugendliche, die gerade mitten auf die Pubertät zuschlitterte – ausgefallene Klamotten, verrücktes Styling, ein wenig Trotz, gepaart mit Kühnheit (denn sie wissen nicht, was sie tun), und dennoch ein Rest von Kindlichkeit. (Eines der Dinge, die man sich bis ins hohe Alter bewahren sollte!) Ihre Lieblingsklamotten waren praktisch das Statement nach außen, die einem ganz klar zu erklären versuchten:Achtung! Diese Person passt nicht in eine Schublade!

Wir sprechen hier im konkreten Fall von bunt gestreiften Leggings, kurzen Shorts, gepaart mit einem lässigen Shirt, das lose über die Schulter hing, aber eben nicht zu weit, abgerundet wurde das Ganze von einem überdimensionierten Schal. Diesen trug Kitty auch an den heißesten Sommertagen,erwar ihr ständiger Begleiter! Das Besondere an ihm war aber nicht, dass er eine Art modischesMust-havedieses Jahrhunderts repräsentierte, sondern dass sich neben den Fransen auch kleine Talismane an seinen Enden befanden. Diese waren Mitbringsel ihres Vaters von seinen Forschungsreisen aus der ganzen Welt. Der Schal und die darauf befindlichen Anhänger waren Kitty heilig. Ihre Haare schienen immer leicht zu Berge zu stehen, als würden sie versuchen, einen Katzenbuckel zu machen, und vorne hing ein etwas zu lang geratener Pony in das Gesicht. Wenn man diesen Vorhang zur Seite schieben und Kittys Gesicht in Ruhe betrachten würde, so könnte man feststellen, dass ihre Gesichtszüge äußerst grazil waren, dass sie uns mit zwei verschiedenfarbigen Augen ansah – einem grünen und einem blauen –, die einem das Gefühl gaben, als könnte sie auf den Grund unserer Seele blicken. Ihr Auftreten war von einer eleganten Geschmeidigkeit, gepaart mit ein wenig subtiler Aggressivität. Vor allem dann sichtbar, wenn man sie zu sehr reizte. Ach ja – ihre Größe! Nun, da war sie absolut durchschnittlich, das war aber auch schon das Einzige, was man an Kitty als durchschnittlich bezeichnen könnte.

Als sie und ihre Mutter auf die Straße traten, regnete es wie aus vollen Eimern. Bis sie endlich im Morris saßen und die Türen geschlossen hatten, waren beide bis auf die Knochen durchnässt. Kitty nahm all ihren Mut zusammen und sah zu ihrer Mutter, die seit dem Verlassen des Direktorenbüros konsequent versucht hatte, ihrem Blick auszuweichen.

»Mum – es war wirklich nicht meine Schuld!«, durchbrach Kitty die Stille, eine Antwort abwartend. Im Schein der Straßenlaternen konnte sie deutlich erkennen, dass Tränen über das Gesicht ihrer Mutter liefen, die diese rasch wegwischte.

»Dieser verdammte Regen!« Als Emilia ihr Gesicht trockengerieben hatte, drehte sie sich zu Kitty. »Kannst du dich denn nicht einmal aus Schwierigkeiten raushalten? Ich hatte doch nur versucht, dir ein normales Leben zu ermöglichen, ich wollte nie das Leben für dich, das ich führen musste.« Dabei strich sie Kitty über das Haar. »Aber nun kann ich nichts mehr tun.« Sie begann nervös an ihrer Unterlippe zu nagen und Tränen schienen erneut ihre Augen zu füllen. Emilia wandte sich wieder zur Seite, steckte den Autoschlüssel in das Zündschloss und startete den Wagen. Kitty sah sie verwirrt an.

»Wie meinst du das?«

Der Frage folgte nichts nach, außer dem brummenden Geräusch des Motors.

»Ich denke, du übertreibst etwas… ja, ich bin aus der Schule geflogen, und ja, es ist nicht das erste Mal passiert, aber deshalb wird die Welt nicht untergehen. Ich denke, ich werde das mit der Schule überhaupt lassen.«

Sie wartete auf eine Reaktion – irgendeine –, aber wieder kam nichts.

»Duhast doch immer gesagt, wir sollen uns nicht in das Hamsterrädchen des Lebens setzen lassen, um darin zu rennen, bis wir eines Tages tot rauskippen und dann erkennen, dass wir nichts anderes gemacht haben, als im Kreis zu laufen – ohne Sinn und ohne Ziel.« Kitty rümpfte die Nase.

»Das hast nicht mehr du zu entscheiden… und ich auch nicht«, antwortete Emilia resignierend, wobei sie den Blick auf die Straße gewandt hielt.

»Wie? Was soll das heißen?« Kitty war verblüfft, sowohl über das Gesagte als auch über das jetzige Verhalten ihrer Mutter. Nach einer Weile reagierte Emilia jedoch auf ihre Frage.

»Großmutter wird uns heute Nacht noch besuchen kommen, ich habe sie bereits informiert.«

Kitty starrte Emilia verwundert an, denn Victoria war meist nur an Feiertagen zugegen und oft nicht einmal an diesen.

Mit einem Schnauben zog Kitty die Zimmertür hinter sich zu und plötzliche Erleichterung machte sich breit, als würde sie damit alles zuvor Geschehene aus ihrem Leben ausschließen. Sie griff nach ihrem MP3-Player und ließ sich auf ihr Bett fallen.

Was für ein merkwürdiger Tag,sinnierte sie und ging ihre Musikliste durch. Kitty beunruhigte nicht die Tatsache, dass sie von der Schule geflogen war, sondern vielmehr die eigenartigen Bemerkungen, weiters das undefinierbare Verhalten ihrer Mutter auf der Heimfahrt. Zusätzlich hatte sich seit der Autofahrt ein eigenartiges Kribbeln in ihrer Bauchgegend eingestellt und damit das Gefühl, dass nichts Gutes ins Haus stehen würde.

Endlich hatte sie ihn gefunden, den Song, nach dem sie gesucht hatte – „Little Red Riding Hood“. Sie liebte diesen Song und war sicher, alles würde besser werden, nachdem sie ihn gehört hatte, zumindest hoffte sie es. Die Musik dröhnte in ihren Ohren, sie kuschelte sich in ihr Kissen und griff nach dem silbernen, filigranen Bilderrahmen auf ihrem Nachttisch.

Angestrengt starrte sie auf das Foto, als würde sie jeden Moment eine alles lösende Antwort von diesem erhalten. Das Bild zeigte einen Mann Mitte dreißig, mit schwarzbraunem, gewelltem Haar. Auf seiner Nase thronte eine kleine, schlanke Nickelbrille und dahinter glänzte der Schalk unübersehbar in seinen Augen. Mit einem breiten, lebensfrohen Grinsen strahlte James Barnaby Butterfield II., Kittys Vater, Emilias Mann, leidenschaftlicher Altertumsforscher, genauer definiert: Ägyptologe, Althistoriker, Altorientalist, Altphilologe, Epigraphiker und Papyrologe, in die Welt. Seine Studien hatte er bereits im zarten Alter von 24 abgeschlossen und galt neben seinem verhassten Kollegen und Kontrahenten, Gustav Theodor Gustavson, als einer der brillantesten Köpfe der Altertumsforschung. James bezeichnete Gustavson liebend gerne als aufgeblasenen Popanz, der die Wissenschaft nicht der Wissenschaft wegen liebte, sondern sich nur in deren Glanz sonnte – egal, dies ist ein anderes Kapitel, zurück zur Liebe.

DieLiebezum geschriebenen Wort hatte James eines Tages auf unerwartete Weise Emilia Esmeralda Kathstone treffen lassen, die während ihres Literaturstudiums als Aushilfe in Mr. Bumblebee’s Bookstore gearbeitet hatte, und – es war Liebe nach der ersten Bestellung. Seither kaufte James seine Bücher nur mehr bei Mr. Bumblebee und so war es unausweichlich, dass Emilia und er den Rest ihres Lebens miteinander, in Büchern versunken, verbrachten. Bis der schreckliche, ja beinahe schicksalhafte Tag sie auseinanderriss.

James wurde von einem russischen Milliardär angeheuert, dessen Ziel es war, die fehlenden Reste des berühmten Gilgamesch-Epos zu finden. Angeblich – natürlich nur angeblich – hatte er Hinweise hierfürrein zufälligbei einer Reise in ein altes italienisches Kloster entdeckt. Dabei handelte es sich um eine sehr alte, vergessene Abschrift einer zerstörten Papyrusrolle, die aus dem Kloster „El Dir“ in Petra (Jordanien) stammte. Und eben diese sollte nähere Hinweise enthalten, wo sich der Rest der Tontafeln befände. Hier kommt James wieder ins Spiel. Die meisten Wissenschaftler hätten dies als Ammenmärchen abgetan, aber James Barneby Butterfield II. war eben nicht “die meisten“. Niemand konnte die Nachricht richtig entschlüsseln oder deuten, bis auf den Begriff „Lagash“. Eine Herausforderung für James, nach der er sich seit Langem wieder sehnte. Nebenbei sollte der Vollständigkeit halber erwähnt werden, dass niemand zuvor jemals auch nur ein Wörtchen von diesem ominösen Milliardär gehört hatte, dessen Name ganz offensichtlich ein albernes Pseudonym war: Alphonso Po Cane Pie. Man konnte diesen Namen einfach nur als Witz betrachten, vor allem aufgrund seiner angeblich russischen Wurzeln.

Als James eine Kopie der Abschrift in seinen eigenen Händen hielt, war er nicht mehr zu halten, sehr zum Leid Emilias, bei der sich zu jenem Zeitpunkt das gleiche mulmige Gefühl in der Bauchgegend eingestellt hatte wie bei Kitty am heutigen Tag.

James’ Expedition begann also in der alten Stadt Lagash, die natürlich nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form existent ist und sich in einem Teil des heutigen Irak befindet. Allein dies und die darin verwickelten zwielichtigen Personen brachten Emilia dazu, James anzuflehen, diese Forschungsreise abzusagen. Achtung, geehrter Leser, hier kommt nun das Ego ins Spiel (besser bekannt als: Hochmut kommt vor dem Fall). James nahm den Auftrag an, da er wusste, dass auch Gustavson eine Einladung erhalten hatte, und nichts und niemand konnte ihn davon abbringen, nicht einmal seine geliebte Emilia, sich in dieses Abenteuer zu stürzen. Nach einigen Tagen brach der Kontakt zu James ab und er schien wie vom Erdboden verschluckt. Niemand schaffte es bis dato, ihn oder auch nur einen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort zu finden. Seit jenem vermaledeiten Tag vor sechs Monaten fristeten Emilia und Kitty ihr Leben allein – ohne Mann, ohne Vater und vor allem ohne einen Freund. Eine traurige Geschichte, nicht wahr?

Kitty hörte den Song bereits zum zehnten Mal (sie lag noch immer in ihrem Bett). Hundemüde, aber zu aufgekratzt, um zu schlafen, lächelte sie James’ Foto entgegen. Ihre Finger wanderten sanft über das Bild, heute vermisste sie ihn besonders. Vor dem Zubettgehen hatte James ihr, seit sie denken konnte, immer diesen Song vorgespielt und sie vor dem bösen Wolf gewarnt. Beide tanzten dann als böser Wolf und Rotkäppchen verkleidet durchs Zimmer. Meist endete das Ganze in einem wilden Gebrüll und grellem Gekreische, das sich in lautes Lachen auflöste, weil Emilia händeringend in der Tür stand und versuchte, für Ruhe zu sorgen.

»Alles wäre nur halb so schlimm, wenn du hier wärst«, flüsterte Kitty. Davon war sie felsenfest überzeugt.

James brachte Emilia immer zum Lachen, egal, wie schlimm sie sich fühlte oder in welche Schwierigkeiten sie auch immer verwickelt waren, vor allem aber sah er die Dinge meist nicht so eng wie Emilia. Mit ihm, da war Kitty sicher, hätte sie auch über ihre merkwürdigen Träume, die sich in letzter Zeit häuften, sprechen können. Emilia wollte sie damit im Moment einfach nicht belasten. Sie hatte den Eindruck, ihr Leben wäre im Moment ohnehin schwer genug. Und irgendwie hatte sich auch nie der richtige Zeitpunkt ergeben.

Gerade als sie den Song von Neuem abspielen wollte und über die absurden Träume der letzten Zeit nachdachte (letzte Nacht hatte sie zum Beispiel geträumt, dass ein Tiger neben ihrem Bett saß und sie unentwegt anstarrte), glaubte sie, die Stimme ihrer Großmutter gehört zu haben. Sie riss sich die Stöpsel aus den Ohren, stürmte zur Tür und steckte den Kopf hinaus. »Victoria?«

Aber weit und breit war niemand zu sehen, außer ihrer Mutter, deren Handtuchturban hinter einem Berg von Büchern hochragte. Kitty stellte sich auf die Zehenspitzen, um mehr von ihrer Mutter sehen zu können. Emilia hatte den Telefonhörer zwischen Kopf und Schulter eingeklemmt, auch von hinten konnte man klar und deutlich erkennen, dass sie angespannt war.

»Ja, Mutter, ich habe dich verstanden! Einen Moment… «

Sie nahm den Telefonhörer und hielt die Muschel mit einer Hand fest zu (ja, sie hatte noch eines dieser altmodischen Telefone mit Wählscheibe). Emilia liebte alte Dinge und konnte sich nur schwer von etwas trennen, wovon auch der Raum selbst zeugte. Es gab nur wenige Plätze, an denen sich keine Bücher oder sonstige, meist antik anmutende, Gegenstände befanden. Es war voll, aber gemütlich – schlichtweg ein richtiges Nest. Aber zurück zu Emilia, die zu Kittys Überraschung einen harschen Ton an den Tag legte.

»Kitty, das hier ist schwierig genug!« Sie deutete mit dem Kopf in Richtung Telefonhörer. »Bitte, geh auf dein Zimmer und warte, bis Victoria hier ist!«

Kitty nickte bloß und schloss verwundert ihre Tür. Sie hatte ihre Mutter noch nie in einem derartig angespannten Zustand erlebt, als würde das Ende der Welt vor der Tür stehen. Und wie zur Hölle hatte sie bemerkt, dass Kitty sie belauscht hatte? Aus den Kopfhörern des MP3-Players am Bett dröhnte noch immer der Song von Sam The Sham & The Pharaos. Kitty schaltete ihn aus, ging zu ihrem Fenstergiebel unter dem Dach und blickte auf die Hauptstraße, die unter ihr lag. Ja, es war auch ihr klar – es war nicht gerade toll, von der Schule geflogen zu sein. Kitty wollte, wie auch ihre Mutter, auf keinen Fall umziehen, bis sie James wiedergefunden hatten oder er sie. Und irgendwie fühlte sich Kitty in Little’s Law eigenartigerweise wohl, als wäre sie endlich nach Hause gekommen.

Wieso eigenartigerweise, fragt Ihr? Nun, die Stadt war alles andere als pulsierend, hip, offen oder international. Im Gegenteil – sie war klein, spießig, langweilig und zu überschaubar, aber zugegebenermaßen zuweilen zumindest heimelig. Das meiste hier war einfach gehalten und gemütlich, vor allem an diversen Feiertagen, wenn die Lichter aus den Fenstern der Häuser schimmerten und Little’s Law von der Stille und der Pracht der bloßen Natur erfüllt wurde, weit weg von dem Wahnsinn, der sich dieser Tage in unserer Welt immer weiter ausbreitete. Eingemummelt zwischen Decken, Kissen und einem Haufen Bücher war es immer mehr als schön in Little’s Law Nr.5 zu sein. Das kleine, schmale Häuschen, das sich in drei Stockwerken auftürmte, war das Zuhause von Kitty, Emilia und James. Zu allem Überfluss konnten sie noch einen wunderschönen, verwunschenen Hintergarten ihr Eigen nennen. Kitty verschränkte ihre Arme vor der Brust.

»Niemals!«, flüsterte sie, während sie am Fenster ihres Dachgiebels stand.

Ja, es stand fest! Kitty wollte hier nicht weg und aus ihrer Sicht gab es auch keinen Grund, einen weiteren Schulwechsel in Betracht zu ziehen. Sie war alt genug, um zu arbeiten, zumindest ihrer Meinung nach. Schon gar nicht käme jenes Institut in Frage, das noch als einziges hier in Little’s Law übrig war – die C.O.G., besser bekannt als derClub of Goofers(unter Goofers verstand man hier übrigens Leute, die man für total bescheuert, albern hielt).

Etwas außerhalb des Städtchens, auf einer kleinen Anhöhe, befand sich jenes heruntergekommene Privatinternat für sogenanntesonderbegabteSchüler (Goofers) aus aller Welt, unter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt, dass es sich hierbei um äußerst merkwürdige, schwer erziehbare Kinder handle, und somit wurde auch das Lehrpersonal als fragwürdig eingestuft. Die Einheimischen versuchten, das Gebäude und den Inhalt, darunter fielen auch alle dort ansässigen Lebewesen, zu ignorieren, in der Hoffnung, dass sie eines Tages verschwinden würden – einfach so.

Nun ja, es soll jeder mit Unannehmlichkeiten umgehen, wie er möchte, lieber Leser, ich kann hierzu nur eines sagen: Mich hat das Leben gelehrt, dass ich mich umgehend der unangenehmen Dinge annehme, denn bei dem Versuch, sie zu ignorieren, werden die Probleme in Wirklichkeit nur größer.

Für Kitty war auf jeden Fall sicher, sie würde nicht zu den sogenannten Goofers gehen, ihr Leben war ohnehin schon schwer genug, da musste man sich nicht noch mehr aufbürden. Zu diesem Standpunkt würde sie stehen und diesen im Notfall verteidigen, auch Victoria gegenüber, ihrer Großmutter.

Kitty liebte Victoria, sie war groß, schlank, resolut, immer elegant und hatte ihr graues, langes Haar zu einer wunderschönen Frisur hochgesteckt. Victoria war das genaue Gegenteil Emilias: organisiert, zielstrebig, energisch – kurz, man könnte behaupten, schnittig und voller Elan.

Ein lautes Quietschen und das abrupte Ersterben eines Motorgeräusches ließen Kitty aus ihren Gedanken hochschrecken. Sie hätte schwören können, dass sie Victorias Auto nicht kommen gesehen hatte. Sie stand doch die ganze Zeit über am Fenster. Aber da war es plötzlich, unter dem Schein der Laterne erkannte sie die Konturen des Austin Healeys ihrer Großmutter. Sie liebte dieses Auto und sie war sich sicher, sie bräuchte einmal genau den gleichen Wagen wie Victoria. Einen mitternachtsblauen Austin Healey 3000 MK III, Baujahr 1965, mit cremefarbenen Ledersitzen. Unverkennbar – Victoria sprang mit einem eleganten Satz aus dem Auto und steuerte zielsicher auf das Haus zu. Kitty wandte sich dem Spiegel zu und zupfte einiges an sich zurecht, denn sie wusste, dass ihre Großmutter Wert auf ein gepflegtes Äußeres legte. Ein ewiger, nie endender Streitpunkt zwischen Emilia und Victoria – kurz, es trafen hier:„Don’t judge a book by its cover“versus„Der erste Eindruck ist der Wichtigste“aufeinander – dies zog sich wie ein roter Faden durch ihre Beziehung.

Wobei man nicht den Fehler begehen sollte zu denken, Victoria wäre oberflächlich, das würde ihre berufliche Passion ohnehin nicht gestatten. Nein, aber sie machte sich eben gerne gleich zu Beginn ein Bild und grub erst dann tiefer und tiefer. Eine ihrer festen Überzeugungen war: Wenn einem schon Schönheit gegeben wurde, dann sollte man diese pflegen. Ja, zugegeben, sie war ein wenig eitel, aber nur ein wenig, in gesundem Maße, würde ich sagen.

Erschwerend kam hinzu, dass Victoria unter der nicht erfüllten Zukunft ihrer Tochter litt, die ihre Zeit lieber mit alten Büchern und James –einem Engländer– verbrachte, anstatt sich gemeinsam mit Victoria in den vordersten Rängen dieser (ihrer) Welt zu präsentieren.

Aufgrund der herrschenden Meinungsverschiedenheiten wusste Kitty nur wenig über ihre Großmutter, außer dass sie bei einem globalen Unternehmen eine führende Position besaß, diese mit Leib und Seele ausfüllte und dabei noch das große Glück hatte, durch die Welt zu jetten.

Aber denkt nicht, sie hätte ihre Enkeltochter nicht geliebt (oder ihre Tochter) – im Gegenteil!!! Victoria vergötterte Kitty und die beiden standen in regelmäßigem Briefkontakt. Altmodisch, denkt Ihr? Nun, Victoria war fest davon überzeugt, dass die Kunst des Briefschreibens aufrechterhalten werden sollte, denn dies stellte die Grundlage für eine gute und gepflegte Konversation im späteren Leben dar. Schreiben bot einem Zeit, Worte mit Bedacht zu wählen, eine Tugend, die heute allzu oft vergessen scheint. Wie achtlos und unbedacht werden Worte oft richtiggehend “ausgespuckt“.

Ein letzter Endcheck im Spiegel, dann riss Kitty abermals ihre Zimmertür auf. Victoria stieg gerade die letzten Stufen der gusseisernen Wendeltreppe hoch, die direkt vom Bücherladen in den Wohnbereich führte, gefolgt von einer todernsten Emilia. Kitty stand strahlend und erwartungsvoll im Wohnzimmer, besser gesagt im Wohnbereich, der zugleich Badezimmer, Küche und Wohnzimmer umfasste.

Victoria schnaubte unüberhörbar missbilligend, als sie die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte und sich zu Emilia drehte, die schon zu wissen schien, was folgen würde, und dementsprechend ihre Augenbrauen in Position gebracht hatte.

»Ach herrje, Emilia, nicht nur, dass du deine Schönheit vernachlässigst, dein soziales Leben scheint auch auf dem Abstellgleis angekommen zu sein. Du verschanzt dich hinter dieser Unmenge an muffigen Büchern, um deinem dir bestimmten Leben aus dem Weg zu gehen! Ich hatte dir doch nach James’ Verschwinden gesagt, du und Kitty könnt jederzeit bei mir einziehen und ich kann dir auch einen Posten bei uns besorgen – ein paar Formalitäten und die Sache ist erledigt.« Dabei schnippte sie energisch mit den Fingern. Es folgte keinerlei Reaktion von Emilia, außer einem kaum wahrnehmbaren Kräuseln ihrer Lippen.

»Herrje, wann siehst du endlich ein, du bist für dieses Leben nicht geschaffen! Sieh mal, dein Haar…« Victoria versuchte verzweifelt, Emilias Haare zu richten, vergebens, sie sprangen einfach wieder an die angestammten Stellen und standen wie kleine Antennen ab.

Kitty räusperte sich laut, einerseits, weil sie wusste, es würde ansonsten der danach übliche Monolog über die Heirat mit James Barneby Butterfield, einem Engländer, folgen, und andererseits wollte sie nach diesem Tag endlich in die Arme ihrer Großmutter geschlossen werden.

Victoria war übrigens der festen Überzeugung, dass James den Beginn von Emilias Abstieg, wie sie es nannte, markierte. Geehrter Leser, denkt nicht, Victoria würde keine Engländer mögen – nein, nein, immerhin fuhr sie ja einen Engländer und es gab unbestreitbar keine besseren Gärtner auf der Welt –, aber sie war der festen Meinung, dass Kathstone-Frauen keine Engländer heiraten sollten, denn jede, die dies tat, ereilte irgendwann ein schreckliches Schicksal, also so gesehen waren Engländer die ganz persönliche Nummer 13 der Kathstone-Frauen.

Kittys Räuspern erzielte auf jeden Fall den Erfolg, dass sie Victorias Aufmerksamkeit auf sich zog und somit die nachfolgende Diskussion, die meist zu nichts anderem führte als zu einer handfesten Meinungsverschiedenheit, unterband. Victoria öffnete ihre Arme und umschloss Kitty fest.

»Alles Gute zum fünfzehnten Geburtstag, mein Schatz! Fünfzehn«, stieß sie leise, mehr an sich selbst gerichtet, hervor, dabei schien sie für einen kurzen Augenblick abwesend. Dann hielt sie Kitty auf Armlänge und musterte sie durchdringend.

»Du hast dich aber nur wenig verändert, seit ich dich zum letzten Mal gesehen habe«, bemerkte sie und zog ihre Augenbrauen höher, als könnte sie somit besser sehen. Dann sog sie kurz die Luft ein, als würde sie etwas wittern.

Haben die jetzt alle einen an der Klatsche? Noch eigenartiger geht’s ja wohl kaum.

Kitty warf einen skeptischen Seitenblick zu Emilia, die beinahe starr das eigentümliche Geschehen beobachtete. Es war definitiv an der Zeit, ein weiteres Ablenkungsmanöver zu starten, denn langsam wurde ihr ihre eigene Familie ein klein wenig zu unheimlich, All Hallows’ Eve hin oder her.

»Ach, ich bin froh, dass du hier bist!«, warf Kitty ein und befreite sich geschickt aus dem Griff ihrer Großmutter, setzte sich auf die Kante des Sofas, holte tief Luft und versuchte, so sachlich wie möglich zu klingen. »Also, wie du bereits gehört haben wirst, bin ich von der Schule … nennen wir es malbeurlaubtworden.« Dabei zupfte sie konzentriert ihre Leggings faltenfrei, eine Reaktion abwartend.

Aber es folgte nichts.

Sie blickte unsicher zu ihrer Großmutter auf. »Du wirst mich sicher verstehen – im Gegensatz zu Mum«, ergänzte sie und warf Emilia einen beleidigten Seitenblick zu, die resignierend zum Herd ging, um Teewasser aufzusetzen. »Also, was ich eigentlich sagen wollte… « Sie versuchte Victorias Blick standzuhalten. »Ich habe beschlossen, definitiv nicht mehr eine neue Schule zu besuchen. Ich will arbeiten und auf eigenen Füßen stehen. Dieses ganze Schulzeugs ist ohnehin nichts für mich.«

Victoria hustete ein kurzes, ungläubiges Lachen hervor, als hätte sie sich an etwas verschluckt. »Kitty, mein Kind, das sehe ich leider etwas anders. Wir werden auf deine Mutter warten und dann werden wir die Situation gemeinsam sondieren.« Sie beäugte Kitty mit einem besorgten Blick, als wäre sie krank, bevor sie sich an Emilia richtete. »Ich hatte dich gewarnt, zu deinem eigenen und zu ihrem Wohle.« Der belehrende Unterton in ihrer Stimme war kaum zu überhören. »Aber du wolltest ja nicht hören. Ich hatte dich bei deiner Hochzeit gewarnt, ich hatte dich bei deiner Entscheidung, ein normales Studium zu absolvieren, gewarnt undvor allemhatte ich dich gewarnt, Kitty all dies zu verschweigen. Sie scheint noch nicht mal an die Initiationsgrenze gestoßen zu sein. Sie ist sehr spät dran und kann von den anderen problemlos ausgeschlossen werden. Und wie du sehr wohl weißt, ist die Familie Kathstone aufgrund ihrer Position immer Angriffen ausgesetzt.«

Emilia ließ den Einsatz der Teekanne lautstark in die Spüle fallen. Victoria war sichtlich überrascht, während Kitty zu diesem Zeitpunkt mehr als verwirrt war, denn für sie war alles, was Victoria von sich gab, nur kryptisches Wirrwarr, welches so rein gar nichts mit ihr oder ihrem Schulverweis zu tun hatte.

Emilias Gesichtsausdruck war todernst. Hilflose Wut stand ihr ins Gesicht geschrieben.

»Ja, Mutter, ich weiß, ich war weder die Tochter, die du dir erträumt hattest, noch kann ich deine Ansprüche erfüllen oder in irgendeiner Form deinen Erwartungen gerecht werden.« Sie knallte die Teekanne auf das Tablett. »Ja, ich habe es wieder einmal vermasselt, aber ich wollte meine Tochter beschützen. Ich möchte, dass sie ein normales Leben führt, mit normalen Eltern und normalen Freunden, ohne die Verpflichtung, dieser Last, auf ihren Schultern.«

Emilia stand zitternd vor Wut, mit Tränen in den Augen in der Küche und versuchte die Teetassen auf dem Tablett zu parken. Kitty verstand nun nur mehr Bahnhof, wobei sie gleichzeitig befürchtete, ihre Mutter würde explodieren, um danach direkt auf einen Nervenzusammenbruch zuzusteuern.

Victoria war zum ersten Mal seit ihrer Ankunft verstummt. So hart hatte sie Emilia nicht treffen wollen. Auch wenn es den Anschein erweckt hatte, dass sie kein gutes Haar an ihrer Tochter gelassen hatte, sie liebte sie über alles. Das Einzige, das Victoria immer wieder in Rage versetzte, war die Tatsache, dass Emilia ihre innere Natur verleumdete – für diesen James! DiesenEngländer! So sehr sie sich bemühte, sie konnte es nicht nachvollziehen und würde es in diesem Leben auch nicht mehr können. Dennoch schlug das Herz einer Mutter in ihr und als sie ihre Tochter so aufgelöst vor sich stehen sah, konnte sie nicht anders, als Emilia fest in ihre Arme zu schließen. Diese wiederum schluchzte still vor sich hin. Kitty verstand gar nichts mehr, außer dass drei Frauen im Format “Kathstone“ einfach zu viele Hormone für ein Haus dieser Größe bedeuteten.

Es dauerte eine Weile, dann hatte sich Emilia wieder beruhigt. Victoria trug Tee und Brötchen zu Tisch. Emilia setzte sich auf das samtbezogene grüne Chesterfield Sofa, zog die Beine an und versuchte tunlichst den Blicken der beiden auszuweichen. Kitty entschied sich für ihren Sitzsack mit Leopardenmuster, allein um Abstand sowohl zu ihrer Mutter als auch zu ihrer Großmutter zu gewinnen, die sich ihrerseits in einem gediegenen Barockstuhl niederließ. Kitty beobachtete beide verstohlen über ihre Teetasse hinweg.

Vielleicht handelt es sich einfach um „Versteckte Kamera“ oder einen schlechten Halloweenstreich,ging es ihr durch den Kopf, doch sie schob diesen Gedanken mit einemSchwachsinn, reiß dich zusammen!rasch beiseite und packte die Gelegenheit beim Schopf.

»Könnte mir bitte irgendjemand erklären, was hier gerade passiert?«

Victoria zog ihre Augenbrauen noch höher als zuvor, man hätte es kaum für möglich gehalten, und wandte den Blick Emilia zu, die mit leicht roter Nase über ihre Tasse Tee hinweg ins Leere starrte.

»Sag du es ihr, Victoria«, war das Einzige, was sie hervorbrachte. »Die Entscheidung ist ohnehin schon gefallen«, fügte sie leise hinzu.

Victoria straffte entschlossen ihre Schultern und stellte die Teetasse ab.

»Also gut!« Sie lehnte sich näher zu Kitty. »Unsere Familie hat… man könnte so sagen… eine besondere Gabe oder, besser gesagt, Aufgabe. Du und ich, und auch deine Mutter einmal, nun, wir… « Victoria hielt kurz inne, um die richtigen Worte zu finden, dann schlug sie ihre Hände entschlossen in den Schoß. »Also, ums kurz zu machen, wir sind Werkatzen, auch Katzenmenschen genannt.«

Kitty prustete ihren Tee zurück in die Tasse und blickte zu ihrer Großmutter auf. Ein ungläubiges Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

»Genau Victoria – ganz sicher!« Kitty nahm das Gesagte offenbar nicht ernst. »Ich denke, das hätte ich dann doch irgendwann bemerkt!«

»Ja, aber genau das ist doch das Problem Kind!«, Victoria bedachte sie dabei mit einem hoffnungslosen Kopfschütteln, stand anschließend auf, ging zum Fenster und öffnete es. Eine unbehagliche Stille begann den Raum zu erfüllen. Kitty sah abwechselnd zu Victoria, dann zu Emilia, in der Hoffnung, eine der beiden würde die Stille durchbrechen, um den schlechten Scherz endlich zu beenden.

»Es ist die Wahrheit«, bemerkte Emilia leidend, als sie den nervösen Blick ihrer Tochter einfing. Victoria, der die Situation offensichtlich auch nicht leichtfiel, drehte sich verärgert um.

»Jetzt mach mal einen Punkt, Emilia! Aus deinem Mund klingt es, als wäre es eine Strafe! Eine Strafe ist es für mich, dir zuzusehen, wie du lebst, dein innerstes Wesen verleugnest und das deiner Tochter verhinderst! Ich hatte dich gewarnt, der Tag würde kommen, an dem du ihr die Wahrheit und auch die Entscheidung überlassen musst. Aber du wolltest mir damals ja nicht zuhören! Ich hatte angeboten, dir dieseLastabzunehmen! Deine Entscheidung hätte ihr Leben, ja, das unserer ganzen Familie, gar nicht so gravierend beeinflussen dürfen!«

Emilia ignorierte Victorias Wutanfall, was ihr in ihrem momentanen Zustand gar nicht so schwerfiel, und richtete sich an Kitty.

»Ich wollte dich nur schützen vor dem, was schon auf meinen Schultern gelastet hatte. Ich habe mich gegen dieses Leben und somit für dich und James entschieden. Ich denke, du solltest wissen, welche Bürde das ist.«

»Herrje, hat dir denn das menschliche Leben für das, was wir wirklich sind, schon so die Sinne getrübt? Du hattest Freude daran, von den Dächern zu springen, durch das Gebüsch zu streifen… frei zu sein, du warst die Beste deiner Klasse, die Beste der Guardians deines Jahrgangs. Und du hättest die Tradition fortsetzen sollen, stattdessen hast du für einen Luftikus, der sich letztendlich aus dem Staub gemacht hat, dein Leben aufgegeben, die Ehre unserer Familie für ein gedankenloses, flüchtiges Abenteuer geopfert und deiner Tochter ihre Natur verschwiegen!«, schäumte Victoria aufgebracht über.

Emilia sprang überraschend schnell vom Sofa auf und landete direkt vor Victoria.

»O.K., das ist jetzt echt abgefahren!«, murmelte Kitty und traute ihren Augen nicht.

»Mutter, du bist in meinem Haus, unter meinem Dach, ich verbiete dir, so über James zu sprechen – über meine Familie und mein Leben. Nur weil du James nicht gefunden hast oder einer deiner Spürhunde, heißt das noch lange nicht, dass er sich aus dem Staub gemacht hat! Du weißt nicht, was Liebe ist, und wirst es auch nie wissen, deshalb wirst du meine Entscheidung auch nie verstehen können!«

Kitty saß still und fassungslos da und hatte das Gefühl, mitten in einer schlechten Soap-Opera gelandet zu sein. Aber der Zorn in Emilias Augen war echt.

Victoria ging geschickt zum “Gegenangriff“ über, um die Contenance zu bewahren, und trat einen Schritt zurück. Bevor sie zu sprechen begann, fixierte sie Emilia mit einem prüfenden Blick, dabei umspielte ein kaum wahrnehmbares Lächeln ihre Lippen.

»Sieh an, es ist doch noch etwas Glut der Kathstone- Frauen in dir«, stellte sie zufrieden fest. »Und ich denke,duverstehst nicht. Du warst und wirst nie eine Enttäuschung sein, es schmerzt mich nur zu sehen, wie du dein außerordentliches Talent aufgegeben hast.« Bevor Emilia antworten konnte, setzte Victoria nach. »Ich denke, es ist sinnvoller, wenn wir uns nun Kitty widmen und dem, was vor ihr liegt.«

Emilia wandte sich ab, denn sie fand, in diesem Punkt hatte Victoria Recht, und ließ sich wieder auf das Sofa fallen.

So war Victoria: attraktiv, flink, wortgewandt – ja in Ordnung, vielleicht auch etwas arrogant. Taktisch konnte man allenfalls nur versuchen, heil davonzukommen. Es gelang ihr erstaunlicherweise immer, wirklich immer, die Fassung zu bewahren. (Vielleicht rührte dies alles doch von der Übung durch den zahlreichen Briefverkehr her.)

Das nächste Kapitel, Victoria und die Männer, war da schon ein ganz anderes. Sie war schlicht und ergreifend eine Katzennatur, sie liebte es, verwöhnt zu werden, und wenn sie genug hatte, dann fuhr sie beizeiten gerne mal die Krallen aus. Victoria betrachtete Männer als nettes Beiwerk, für sie waren diese das schönste Vergnügen, das das Leben bot, nicht mehr und nicht weniger. Mit einem gemeinsam unter einem Dach zu leben oder sogar das Bett zu teilen, so wie ihre Tochter, das wäre schlicht zu weit gegangen.

Ja, lieber Leser, es klingt eigenartig, aber so ist es nun mal, und so hatte Victoria eine Unmenge an Verehrern, aber niemals eine ernsthafte Beziehung, außer Emilias Vater, der vielleicht ein wenig die Ursache für ihre herrschende Haltung Männern gegenüber war – auch hierzu mehr, wenn es an Relevanz gewinnt.

Victoria sah zu Kitty, ihre grünen Augen begannen vor Aufregung zu funkeln. »Mein Schatz, es ist vielleicht ein wenig viel, aber vertrau mir. Es wird wunderbar! Ich habe schon alles in die Wege geleitet und du kannst schon übermorgen auf die C.O.G. gehen.«

»In die Freakanstalt?!« Kitty stellte entsetzt ihre Tasse Tee beiseite. »Auf keinen Fall! Mein soziales Leben hier ist ohnehin nicht gerade auf dem Höhepunkt! Und ich versteh auch überhaupt nicht, was hier los ist! Seid ihr jetzt alle völlig durchgedreht?!«, protestierte Kitty entsetzt und stemmte demonstrativ ihre Hände in die Hüften.

Man sollte zu dieser Angelegenheit noch folgenden Hintergrund kennen: Kitty hatte sich gerade “unsterblich“, was man in diesem Alter eben für unsterblich hält, in einen Jungen aus der Oberstufe verliebt und war hierfür bereit, alles zu tun, nun ja, fast alles, die Freakanstalt jedenfalls würde jegliche Hoffnung auf eine aufkeimende Romanze ersticken.

Victoria ging zu Kitty und legte die Hand auf ihre Schulter, wobei Kitty nicht umhinkam, den leichten Druck, den sie ausübte, zu bemerken (dies gefiel ihr auf eine gewisse Art und Weise gar nicht).

»Setz dich und hör zu!«, befahl Victoria mit strengem Blick. »Ich habe bereits mit dem Direktor der Schule alles vereinbart. Dir wird ein Probezeitraum von einem Jahr eingeräumt und du selbst kannst danach frei über dein Schicksal entscheiden.« Dabei sah sie zu Emilia.

»Wunderbar, für dich! Aber nichts und niemand kriegt mich dazu, in diese Schule zu gehen!«, erwiderte Kitty trotzig, verschränkte ihre Arme und blickte wie ein kleines Mädchen stur zu Boden.

Ein weiterer kurzer Moment der Stille trat ein und somit auch ein weiterer historischer Augenblick im Hause Kathstone – denn dies passierte eigentlich so gut wie nie, vor allem bei einem Zusammentreffen der drei Frauen: Stille!

»Nun, wenn du…« Doch Emilia fiel ihrer Mutter einfach ins Wort.

»Mein Liebling, du hast leider keine andere Wahl. Ich habe jahrelang versucht, dich aus dieser Schule rauszuhalten, aber Victoria hat in diesem Punkt Recht und ich hatte ihr versprochen, wenn es nicht an der neuen Schule klappt, wirst du dich deinem Schicksal beugen. Ich befürchte, der Grund für deine andauernden Schulprobleme hat etwas mit der Aufgabe, die dir bestimmt ist, zu tun.« Für einen Augenblick verstummte sie und sah schuldbewusst zu Kitty, bevor sie fortfuhr. »Deine Natur wird dich nie ein normales Leben führen lassen, solange du sie nicht wirklich kennst und du dich für oder gegen sie entschieden hast. Bis dahin bleibt dir nichts anderes übrig. Großmutter wird dich übermorgen in die Schule begleiten und alles Notwendige erledigen.«

Kitty war beinahe am Überkochen. »Vielleicht wollt ihr mir auch noch klarmachen, dass Rotkäppchen und der böse Wolf eine historische Tatsache sind und zu guter Letzt mit uns verwandt! Ich werde nicht, ich wiederhole:NICHTin diese verdammte Schule gehen und wenn ihr mich mit den Füßen voran hineinschleppt!« Ihre Stimme überschlug sich beinahe.

Victoria räusperte sich abermals in einer unüberhörbaren Lautstärke, ihre Geduld schien am Ende.

»Kind, beruhig dich, deine Mutter will doch nur das Beste für dich.«

Bevor Kitty irgendetwas entgegnen konnte, sah sie, wie sich Victorias Pupillen plötzlich verengten, darauf folgend verschwand sie gänzlich ohne Vorwarnung. Ihre Kleidung fiel vor Kittys Augen in sich zusammen und landete als kleines Häufchen auf dem Boden. Kitty starrte mit aufgeklapptem Mund, ihre Wut vergessend, auf den Boden. Etwas schien sich unter dem Haufen zu bewegen. Sie ging in die Knie, streckte zaghaft ihren Arm aus und schob den Stoff zur Seite. Eine zierliche graue Katze mit glänzenden smaragdgrünen Augen streckte ihr den Kopf entgegen und blickte ihr direkt in die Augen. Kitty schreckte zurück,diesenBlick würde sie immer und überall wiedererkennen, so wie den Anhänger, der nach wie vor um den Hals der Katze baumelte. Dies war eindeutig Victorias Kette, die sie, seitdem sie denken konnte, bewunderte und mit der sie als Baby so gerne gespielt hatte. Das Einzige, was sie stammelnd herausbrachte, war: »Du hast aber große Ohren?«

Und in der Tat hatte die Katze außergewöhnlich große Ohren, was sich darin begründete, dass es sich um eine Orientalin, wie man es in Fachkreisen nennen würde, handelte.

Die Katze sprang auf das Fensterbrett des offenen Fensters, neigte ihren Kopf und sah Kitty direkt in die Augen.

»Der beste Weg ist, deine Situation so zu nehmen, wie sie ist, wir wollen alle nur dein Bestes. Ich werde dich übermorgen abholen und in die Schule begleiten, in der Zwischenzeit haben Emilia und du sicher einiges zu besprechen.«

Und mit einem Satz war Victoria aus dem Fenster verschwunden. Ohne sich umzudrehen, rief sie: »Du weißt ja, wo du meine Sachen hinschicken kannst!« Dies galt Emilia – klarerweise.

»Victoria!« Kitty stürzte zum Fenster und erkannte gerade noch die Silhouette einer eleganten Katzengestalt, die zielstrebig Richtung Austin Healey tapste, und mit ihr verschwand der Healey so schnell, wie er erschienen war.

Kitty drehte sich ungläubig um und sah nach wie vor mit aufgeklapptem Mund vom übriggebliebenen Kleiderhaufen zu ihrer Mutter. Es dauerte eine Weile, bis sie sich rühren oder irgendetwas sagen konnte, die Gedanken drehten sich wirr in ihrem Kopf, alles in ihr fühlte sich wie betäubt an.

»Ich würde es wohl merken, wenn ich eine Katze wäre!« Ohne eine Antwort abzuwarten, steuerte sie zielstrebig auf ihr Zimmer zu.

»Ich werde nie wieder ein Wort mit dir reden!« Und dieses Mal war sie diejenige, die die Türe mit einem lauten Knall schloss.

»Schätzchen, du kannst die Augen wieder öffnen.« Victoria tippte ihr vorsichtig auf die Schulter und begann danach umgehend, an Kittys Schuluniform und Haaren herumzuzupfen.

Zögerlich blinzelte Kitty zwischen ihren zugekniffenen Augenlidern hervor und sprang sogleich vor Schreck einen Schritt zurück. Direkt vor ihrer Nase befand sich das Schrecklichste, das sie jemals in ihrem ganzen Leben gesehen hatte. Eine Türe, die nach oben hin ins Endlose zu reichen schien und aus deren Oberfläche, die hier wohlgemerkt aus Schlangenhaut bestand, ekelhafter schwarzer, zähflüssiger Saft herausquoll, um sich dann in einem großen mundähnlichen Loch zu sammeln, in dem sich unglücklicherweise der Türknauf in Form einer herausgestreckten Zunge befand. Ich nehme an, Ihr kennt das berühmteRolling Stones-Logo, dies wäre ein äußerst trefflicher Vergleich.

»Das ist ja ekelhaft!« Kitty deutete mit angewiderter Miene auf die Tür und wich vorsorglich einen weiteren Schritt zurück.

Victoria wusste zuerst nicht, wovon Kitty da eigentlich sprach, bis sie ihrem Blick folgte, der nach wie vor wie gebannt auf dieser Abstrusität ruhte.

»Ach das«, Victoria winkte mit einer beiläufigen Handbewegung ab, »Armand hat einen Hang zu einem etwas…ich würde es eigenwilligen Humor nennen.« Währenddessen begann sie, Kittys Schal zurechtzuzupften, aber irgendwie wollte er nicht so recht. »Und du kannst dich von diesem Ding…«, sie ließ den Schal, den sie zwischen zwei Finger geklemmt hochhielt, fallen, »…nicht trennen?«

»Niemals!« Mit festem Griff umschlang Kitty die Enden und zog den Schal wieder fester um ihren Hals.

»Na gut!«, seufzte Victoria.

Ein letzter, prüfender Blick wanderte über Kitty und dann, als ob das Vorhergegangene nicht genug gewesen wäre, holte sie ihre Puderdose aus der Tasche und überprüfte ihr Abbild im Spiegel. Da passierte es, es war nicht zu fassen, zumindest aus Kittys Sicht betrachtet. Sie machte diese absolut furchtbare Geste – Kussmündchen –, damit der Lippenstift sitzt, und noch die Mundwinkelkontrolle mit den Fingern!

Ich muss gestehen, geehrter Leser, manchmal fällt es mir schwer, den Irrungen und Wirrungen einer Frau zu folgen. Nun, Kitty konnte nur den Kopf schütteln und wunderte sich über Victorias absolut übertriebenes Getue. Victoria erinnerte sie an einen Teenager, der gleich sein Pop-Idol treffen würde und vor Nervosität fast platzte, begleitet von diesem unaufhörlichen Drang, an sich rumzuzupfen.

Absolut peinlich!(Eine neue Facette, die Kitty noch nicht an Victoria kannte. Sie nahm sich vor, sich diese einzuprägen, man konnte ja nicht wissen, wann dies einmal nützlich sein könnte – natürlich nur für hehre Absichten).

»Benimm dich ordentlich!« Victoria klappte energisch ihre Puderdose zu und verstaute sie wieder in der Tasche. »Und vergiss nicht, wir treffen den Direktor dieser Einrichtung, dem wir es verdanken, dass du diese Schule überhaupt noch besuchen kannst.« Dabei zog sie ihr Jackett neuerlich zurecht. »Ich erwarte, dass du ihm den gebührenden Respekt entgegenbringst!« Und mit diesen Worten griff sie nach der “Zunge“ und öffnete diese grauenvolle Tür. Kitty erschauderte bei dem Anblick.

Das ist widerlich – exzentrisch hin oder her! Ich hoffe bloß, mich erwartet dahinter nicht Andy Warhol, der glaubt, er kann mit Gott telefonieren.

»Meine Damen, ich habe Sie bereits erwartet. Treten Sie doch ein«, entgegnete eine freundliche Stimme aus dem dunklen Raum.

Victoria ging vor. Kitty folgte ihr nur widerstrebend, denn der Geschmack des guten Mannes schien in der Tat sehr außergewöhnlich, und dies betraf nicht nur seine Tür.

Der Raum, der vor ihr lag, war durch und durch schwarz, ich meine hier tatsächlich alles, den Teppich, die Wände, die Möbel, den Boden, die Decke, sogar die Steckdosen und Lichtschalter. Doch es war kein einheitliches Schwarz. Es zeigte überraschenderweise viele Facetten durch die Verwendung verschiedenster Materialen und Oberflächen oder durch die damit verbundene Lichtsetzung. Und so kam es, obwohl Schwarz genau genommen keine Farbe ist, dass der Raum in dermaßen vielen verschiedenen Farbfacetten leuchtete, dass es Kitty, wenn auch nur für einen sehr kurzen Moment, letztendlich doch einen Funken Bewunderung abrang, wie schön und geschlossen dieses Zimmer in sich wirkte. In der Mitte stand ein riesiger schwarzer Schreibtisch, auf dem eine Lampe thronte, die mit ihrem gedämpften Licht den Raum erhellte. Hinter dem pompösen Tisch befand sich ein großer Spiegel, der beinahe die gesamte Rückwand einnahm, eingefasst in einem schweren schwarzen Rahmen. Die Stimme, die zugegebenermaßen dunkel und wohlklingend war, bewegte sich weiter aus der Finsternis auf die beiden zu. Kitty starrte gespannt in diese Richtung.

»Meine Liebste, wie ich mich freue, dich zu sehen!«

Ein schlanker, athletischer Mann mittleren Alters schlüpfte aus der Dunkelheit hervor, sein dunkles Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Er trug einen dunklen Anzug (der nicht unbedingt den Eindruck von Stangenware vermittelte), dessen Farbe den Schimmer seiner leicht bronzefarbenen Haut betonte. Er verneigte sich tief vor Victoria und küsste sanft ihren Handrücken, was Victoria einen kleinen, kaum hörbaren Seufzer entlockte, während sich ihre Wangen zu röten schienen.

»Herrje, das kann doch nicht wahr sein!«, kommentierte Kitty die Situation und in derselben Sekunde wäre sie gerne auf der Stelle tot umgefallen. Hatte sie das jetzt etwa laut gesagt? (Die Antwort war: Ja!)