Klett Lektürehilfen - Georg Büchner, Lenz - Udo Müller - E-Book

Klett Lektürehilfen - Georg Büchner, Lenz E-Book

Udo Müller

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Beschreibung

Literatur verstehen und interpretieren Georg Büchners 1839 postum veröffentlichtes, nicht abschließend überarbeitetes Erzählfragment Lenz zeichnet den Weg des Sturm-und-Drang-Autors Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) vom kurzen Aufenthalt bei dem elsässischen Pfarrer Johann Friedrich Oberlin (1740-1826) im Januar/Februar 1778 bis zum Abtransport nach Straßburg nach. Mit innovativen Erzähltechniken ermöglicht Büchner dem Leser, die fortschreitende psychische Erkrankung der Hauptfigur vor allem durch die Auflösung der Grenzen zwischen Innen- und Außenwelt mitzuerleben. Als Quelle diente ihm eine Druckfassung des Berichts, den Oberlin unmittelbar nach Lenzʼ Aufenthalt verfasste. Mit Klett-Lektürehilfen - wissen, was wann passiert: dank ausführlicher Inhaltsangabe mit Interpretation - wissen, welche Themen wichtig sind: anhand thematischer Kapitel - auf wichtige Fragen die richtigen Antworten wissen: gut vorbereitet durch typische Abiturfragen mit Lösungen

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Seitenzahl: 142

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Klett Lektürehilfen

Georg Büchner

Lenz

Für Oberstufe und Abitur

von Udo Müller

Udo Müller, langjähriger Gymnasiallehrer des Faches Deutsch. Federführung für das schriftliche Zentralabitur; in Baden-Württemberg.

Die Textzitate folgen den Ausgaben: Georg Büchner: Lenz. Text und Kommentar. Neu hergestellt, kommentiert und mit zahlreichen Materialien versehen von Burghard Dedner. 9. Aufl. Frankfurt a. M: Suhrkamp 2014 (Suhrkamp BasisBibliothek 4) [zit. als: S], und Georg Büchner: Lenz. Studienausgabe mit Quellenanhang und Nachwort. Hrsg. von Hubert Gersch. Stuttgart: Reclam 1998 (Universal-Bibliothek 8210) [zit. als: R].

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Auflage 4321 | 2018201720162015

Die letzten Zahlen bezeichnen jeweils die Auflage und das Jahr des Druckes.

Dieses Werk folgt der reformierten Rechtschreibung und Zeichensetzung.

Ausnahmen bilden Texte, bei denen künstlerische, philologische oder lizenzrechtliche Gründe einer Änderung entgegenstehen.

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.

Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages

© Klett Lerntraining, c/o PONS GmbH, Stuttgart 2015

Alle Rechte vorbehalten.

www.klett-lerntraining.de

Redaktion: Günter Maier

Umschlagfoto: akg-images, Berlin

Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart

ISBN: 978-3-12-923988-9

Inhalt

Einleitung

Autor und Werk

Lenz: Entstehung und Überlieferung

Inhaltlicher Aufbau

Thematische Aspekte

Natur

Wahnsinn

Religion

Kunst

Erzählfiguren

Der historische Lenz

Büchners Interesse an Lenz

Lenz als Figur Büchners

Der historische Oberlin

Oberlin als Figur Büchners

Schauplätze

Das „Gebirg“: Die Vogesen

Das Steintal: Le Ban de la Roche

Erzählform

Gattungsproblematik

Rezeption

Würdigungen

Einflüsse

Produktive Rezeption

Literaturhinweise und Medien

Prüfungsaufgaben und Lösungen

1 Gefährdete Wege

2 Menschen in der Natur

3 Leiden und Trost

4 Entfernung und Rückkehr

5 Büchners Erzählung und ihre Vorlage

Einleitung

Schriftsteller stellen häufig Schriftsteller ins Zentrum ihrer Werke. Das kann verschiedene Motive haben. Sie reichen von der narzisstischen Selbstbespiegelung bis zur Huldigung an ein verehrtes Vorbild, vom Hinweis auf existenzielle Parallelen bis zur Einordnung des eigenen Schaffens in eine bestimmte Tradition. Vielfach mischen sich verschiedene, teils programmatisch verkündete, teils auch verdeckte oder sogar unbewusste Absichten.

Goethe spiegelt seine problematische Stellung am Weimarer Hof im Schicksal der Titelfigur seines Dramas Tasso. Novalis lässt sein mythisches Selbstverständnis als Dichter in die Figur des Minnesängers Heinrich von Ofterdingen, Protagonist seines gleichnamigen fragmentarischen Bildungsromans, einfließen. Thomas Mann gibt dem leise ironisch getönten Goethebild in Lotte in Weimar spürbare Züge eines Selbstporträts. Christa Wolf lässt schon im Titel ihres Buches Kein Ort. Nirgends über das von ihr ersonnene fiktive Gespräch Kleists mit Karoline von Günderode anklingen, dass es eigentlich im historischen Gewand um den grundsätzlichen Platz des Autors in der Gesellschaft geht. Und wenn Günter Grass am Ende von Das Treffen in Telgte die emsig über Literatur streitenden Barockpoeten durch die kriegerischen Wirren der Zeit unversehens in alle Winde zerstreut, so liegt auch darin ein ebenso boshafter wie aktueller, lediglich historisch getarnter Kommentar zur Wirklichkeitsferne literarischer Dispute.

Georg Büchners Lenz gehört in diese Reihe von Werken – und zwar als eine ebenso einsame wie bewegende Gipfelleistung. Die kurze, nur bruchstückhaft überlieferte Erzählung bezieht sich auf den Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792) und ist von jeder eitlen, wie auch immer versteckten Koketterie frei. Niemals vorher oder nachher hat ein Autor so nüchtern und zugleich intensiv die Berufung auf einen Vorgänger und die Teilnahme an dessen Schicksal gestaltet. Nichts daran erinnert an die noch in der ironischen Brechung spürbaren Prätentionen eines Thomas Mann, an die fabulierende Unverbindlichkeit eines Günter Grass, an die auf Inanspruchnahme abzielende Dichterpaarung einer Christa Wolf. Dafür findet sich, wie immer bei Büchner, der Griff zum authentischen Zeugnis, das ganz ernst genommen und bis zur wörtlichen Übernahme eingefügt wird und dem doch im neuen Kontext durch Aussparung, Umfunktionierung und produktive Weiterführung ein neuer Sinnhorizont zuwächst. Selbst dort, wo in Büchners Erzählung die Wahlverwandtschaft zwischen Autor und zentraler Erzählfigur am greifbarsten aufblitzt, im „Kunstgespräch“ zwischen Lenz und Kaufmann, scheint sich Büchner nicht unter den Schutz eines mächtigen Vorgängers zu stellen, sondern holt einen missachteten früheren Geistesverwandten aus der Vergessenheit.

Vielleicht ist es gerade diese menschliche Qualität von Büchners kurzer Erzählung, die sie – ganz abgesehen von ihrem überragenden literarischen Rang – über die manchmal gekünstelten Identifikationsspiele anderer Autoren auf der Suche nach Vorbildern hinaushebt. Sie verleiht ihr jenseits alles Literatenhaften einen immer noch anrührenden Ernst, der auch den heutigen Leser in den Bann schlägt.

Autor und Werk

Daten zu Büchners Leben und Werk

17. Oktober 1813: Geburt Georg Büchners in Goddelau

1825 Großherzogliches Gymnasium in Darmstadt

1831 Medizinstudium in Straßburg

1832 Verlobung mit Wilhelmine Jaeglé

1833 Fortsetzung des Studiums in Gießen

1834 Publikation der revolutionären Schrift Der Hessische Landbote

1835 Flucht nach Straßburg; steckbriefliche Verfolgung; 1835 Niederschrift und Publikation des Dramas Dantons Tod; Niederschrift der Erzählung Lenz

1836 Promotion und Privatdozentur in Zürich; Niederschrift des Lustspiels Leonce und Lena; Arbeit an dem sozialen Drama Woyzeck

19. Februar 1837: Büchner stirbt in Zürich an Typhus

Am 17. Oktober 1813 – während gleichzeitig in Leipzig die Völkerschlacht tobt, die Napoleons Macht über Europa brechen wird – kommt in dem kleinen Ort Goddelau bei Darmstadt Georg Büchner als Sohn eines atheistischen, aber streng ordnungsgläubigen Vaters zur Welt. Als Kind wächst er hinein in die deutsche Kleinstaatenwelt, und zwar in der verschärften Form des zusammengestückelten Großherzogtums Hessen. Auf seiner Jugend lastet die erstickende Enge der Restaurationszeit nach dem Wiener Kongress. Über Büchners neuhumanistische Gymnasialzeit ist bekannt, dass er sich mit ungewöhnlichem Interesse in ethische Fragen vertieft hat; eine erhaltene Schularbeit befasst sich mit dem Selbstmord.

Sein Studium der Medizin, Philosophie und Naturwissenschaften führt Büchner dann zuerst nach Straßburg (1831–33). Hier kommt er durch revolutionäre Studentenzirkel in Kontakt zu dem noch lebendigen Erbe der Französischen Revolution, die in Straßburg einen ihrer Ursprünge hatte. Er ist in einem „überzwerchen Zimmer“ beim Pfarrer Jaeglé untergebracht (der Oberlin die Leichenrede gehalten hatte) und verlobt sich heimlich mit dessen Tochter Wilhelmine.

Bei der Fortsetzung des Studiums 1833–35 in Gießen – der Vater drängt energisch auf Abschluss des Studiums – fühlt sich Büchner abgestoßen von der Unfreiheit und Muffigkeit der deutschen Kleinwelt, die von einer Atmosphäre der Gesinnungsschnüffelei und Ausspähung durchsetzt ist. Zugleich studiert er die Geschichte der Französischen Revolution, deren Nachbeben er in Straßburg erlebt hat. Ihr Weg, der – wie bei so vielen Revolutionen in der Geschichte – vom freiheitlichen Aufbegehren bis in Terrorherrschaft und massenhaften Mord geführt hat, erfüllt ihn mit lähmender Desillusionierung. An die Braut schreibt er im Januar 1834:

„Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich.“

(G. Büchner, Die Briefe, hrsg. von Ariane Martin, Stuttgart: Reclam 2011, S. 53)

Büchner gerät in den Kreis des Rektors und radikaldemokratisch gesinnten Politikers Ludwig Weidig. Er verfasst mit ihm die sozialrevolutionäre Schrift Der Hessische Landbote mit der aufrüttelnden Botschaft „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ und bereitet nach mehreren Verhaftungen im Umkreis der Gleichgesinnten die Flucht vor.

Sein Vater drängt, nichts ahnend von dem Polizeinetz, das sich über dem Sohn zusammenzieht, auf straffe Examensvorbereitung. Büchner unterzieht sich dem – und schreibt daneben in fliegender Hast sein erstes Drama, in dem er sein düsteres Bild von der Machtlosigkeit des Menschen in der Geschichte gestaltet: Dantons Tod. Die abenteuerliche Nebenabsicht des namenlosen Studenten ist, mit dem Honorar aus dem erhofften Druck dieses Werks seine Flucht zu finanzieren. Und so schickt er das kaum schreibtrockene Drama mit einem beschwörenden Brief an den fortschrittlichen Publizisten Karl Gutzkow – der tatsächlich sofort den neuen Ton des Werks erkennt und die Veröffentlichung betreibt.

Am 9. März 1835 gelingt dem bereits von der Obrigkeit eingekreisten Büchner dann gerade noch rechtzeitig die Flucht nach Straßburg, wo ihn Braut und Freunde erwarten. (Natürlich kommt der – bescheidene – Geldstrom für Dantons Tod viel zu spät für die Finanzierung der Flucht, dafür springt die Mutter mit einer heimlichen Zuwendung ein.) Welchem Schicksal Büchner da gerade noch entgeht, zeigt das Ende Weidigs, der verhaftet wird, sich nach zwei Jahren zermürbender Untersuchungshaft mit den Scherben einer Flasche die Pulsadern aufschneidet und in seiner Zelle verblutet.

Büchners Steckbrief in der Großherzoglich Hessischen Zeitung Nr. 167 vom 18. Juni 1835, akg-images, Berlin.

Büchner lebt bis Oktober 1836 in seinem Straßburger Exil. Er treibt in dieser Zeit gehetzt sein literarisches Schaffen weiter, schreibt das zwielichtige Lustspiel Leonce und Lena, die nicht mehr abschließend überarbeitete Erzählung Lenz und das Dramenfragment Woyzeck. Damit gelingt ihm das entscheidende Werk des deutschen sozialen Dramas, orientiert am Vorbild der Dramen Der Hofmeister (1774) und Die Soldaten (1776) von Jakob Michael Reinhold Lenz. Veröffentlicht wird es erst 1879.

Nach Fertigstellung auch seiner medizinischen Doktorarbeit übersiedelt Büchner nach Zürich. Dort bietet ihm die neu gegründete, sehr freiheitlich orientierte Universität eine Existenz als medizinisch-physiologischer Privatdozent und die Aussicht auf eine akademische Laufbahn. Er hält am 5. November 1836 seine Probevorlesung „Über Schädelnerven“. Dann, Anfang 1837, erkrankt er an Typhus. Die Braut reist aus Straßburg an, trifft ihn aber nur noch in wirren Fieberkrämpfen an. Einige Tage nach seinem Tod schreibt sie an einen Freund: „Er ist sanft eingeschlummert, ich habe ihm die Augen zugeküßt, Sontag den 19 Feb. um halb 4. Der Jammer der Eltern ist gränzenlos. Über meine übrigen Lebenstage ist ein schwarzer Schleier geworfen.“ (Zit. nach: Georg Büchner. Revolutionär mit Feder und Skalpell, Katalog der Ausstellung Darmstadt/Zürich 2013/14, S. 487)

Kurz vor dem Ende seines 24-jährigen Lebens haben Büchner noch die beiden einzig erhaltenen Briefe seiner Eltern erreicht. Der Brief der Mutter ist voll herzlicher Zuwendung nach all den Aufregungen durch den unbequemen Sohn. Und es trifft ein Brief des Vaters ein, der einen friedlichen Ausklang der angespannten Beziehung zwischen Vater und Sohn herstellt. Der Vater führt Rechtfertigungsgründe für seine zeitweilige Abwendung auf, gibt natürlich auch Ermahnungen für die künftige Lebensführung. Er äußert aber auch Respekt für die Leistung des Sohns – nicht etwa für die literarische, die er nicht kennt und für die er kaum Sinn hätte, sondern für den naturwissenschaftlich-akademischen Erfolg.

Lenz: Entstehung und Überlieferung

Niederschrift, Vorlagen, Textgestaltung

Schwierige Umstände der Entstehung

Büchners Quellen

Verlust der originalen Handschrift

Nachträglicher Titel

Zwei verschiedene Druckfassungen

Georg Büchner ging einer gefährdeten und turbulenten Phase seines kurzen Lebens entgegen, als er auf die Dokumente über den Besuch des Dichters Lenz im elsässischen Steintal stieß, die ihm schließlich den Anstoß zur Niederschrift der Lenz-Erzählung gaben.

Schon beim ersten Straßburger Aufenthalt hatte Büchner nicht nur mit Pfarrer Jaeglé Berührung, sondern auch mit dem Studenten und Autor eines Lenz-Artikels im Morgenblatt für gebildete Stände, August Stöber, dessen Vater Daniel Ehrenfried Stöber (in französischer Form: Stoeber) im Jahr 1831 die erste Oberlin-Biografie verfasst hatte. Eine intensive Versenkung in die Materialien zu Oberlin und Lenz ist für diese Zeit nicht nachweisbar, aber fast sicher anzunehmen.

Treibende Kraft für Büchners eigene literarische Arbeit an Lenz auf der Basis von Oberlins Bericht wird der Publizist Karl Gutzkow, der inzwischen Dantons Tod zum Druck verholfen hatte und auf Beiträge Büchners für seine geplante Zeitschrift Deutsche Revue zählte. Nach den spärlich erhaltenen Briefdokumenten hat Büchner zwischen Mai und Spätjahr 1835 an Lenz gearbeitet. Er hat dabei, wie die Forschung inzwischen nachgewiesen hat, neben Oberlins Bericht noch aus weiteren Quellen Anregungen aufgenommen, so etwa aus Texten des französischen Autors Paul Merlin (1788–1864) (Promenade au Ban de la Roche, 1824; Le Pasteur Oberlin, 1833, eine Novelle), aus den Oberlin-Darstellungen von Vater und Sohn Stöber, vor allem aber auch aus den kritisch-distanzierten Lenz-Passagen (vgl. S. 45) im 11. und 14. Buch des Dritten Teils von Goethes zwischen 1808 und 1831 entstandenen Autobiografie Dichtung und Wahrheit, die seine Erlebnisse von 1749 bis 1775 schildert, sowie aus Ludwig Tiecks Märchen Der Runenberg (1802), das der Tieck-Enthusiast Büchner wohl kannte und das bereits eine literarische Gestaltung des Wahnsinns bot (vgl. dazu Kühnlenz 1988/89).

Im Herbst 1835 zeichneten sich umfassende Publikationsverbote für die kritischen Autoren der Vormärzzeit generell und damit auch für Gutzkow ab, die mit Beschluss der preußischen Regierung vom 14. November in Kraft traten. Irgendwann in den Wochen vorher muss Büchner die Arbeit an Lenz eingestellt haben – sicher nicht aus einem Erlöschen des inneren Antriebs heraus, sondern weil er keine unmittelbare Publikationsmöglichkeit mehr sah und durch die Vorbereitungen für seine Promotionsarbeit über das Nervensystem der Barben stark belastet war. Bei der Übersiedlung nach Zürich im Oktober 1836 befanden sich dann die Lenz-Papiere in seinem Reisegepäck. Sie waren offenbar zur Fertigstellung in einer ruhigeren Zeit bestimmt. Dazu kam es dann durch Büchners jähen Tod am 19. Februar 1837 nicht mehr (vgl. S. 10).

Im September desselben Jahres schickte Büchners Braut Minna (Wilhelmine) Jaeglé eine Abschrift der Lenz-Bruchstücke an Gutzkow, der sich neue Publikationsmöglichkeiten erschlossen hatte und das Andenken Büchners wachhalten wollte. Er druckte diese im Januar 1839 im Telegraph für Deutschland ab, und zwar unter dem von ihm und nicht von Büchner stammenden Titel Lenz. Eine Reliquie von Georg Büchner, offenbar mit Lesefehlern und wohl auch mit Auslassungen. Dies lässt sich nicht abschließend aufklären, weil Minna Jaeglé 1838 die Handschrift Büchners an dessen Familie übergeben hat. Gutzkow ließ Lenz in acht Fortsetzungen veröffentlichen, „wodurch eine Reihe von Texteinschnitten entstand, die Büchner nicht intendiert hatte“ (Dedner [Hrsg.] 2014, „Entstehung und Überlieferung“, S. 60). Lediglich vor S 33.31 / R 30.24 „Er saß mit kalter Resignation im Wagen“ weist der Erstdruck einen Querstrich und großen Zeilendurchschuss auf, was die Vermutung nahelegt, dass der folgende (Schluss-)Absatz ein von Wilhelmine Jaeglé gesondert abgeschriebenes Bruchstück darstellt (vgl. ebd.).

Sowohl Büchners Original als auch die Abschrift seiner Braut sind verschollen. Dass Büchners Bruder Ludwig, der 1850 im Rahmen seiner Ausgabe der Nachgelassenen Schriften Georg Büchners den zweiten Druck der Erzählung herausgab, die Handschrift noch vorliegen hatte, wurde zwar von früheren Büchner-Herausgebern angenommen, ist aber unwahrscheinlich. Jedenfalls ist seine Ausgabe weniger zuverlässig als Gutzkows Erstdruck; sie stellt vielmehr eine nicht-authentische Textbearbeitung dar. Ludwig Büchner

„bearbeitete diesen Text nach eigenem Gutdünken, indem er kurzschlüssig das Unfertige des Entwurfs mit Fehlerhaftigkeit verwechselnd hier glättete, dort ausflickte. Er normierte, retuschierte, veränderte, fügte hinzu, ließ weg – an zahlreichen Textstellen. Er machte Eingriffe, die in alle denkbaren Textschichten von der expressiven Interpunktion bis zum elliptischen Stil, von der Ausdruckssprache bis zum Motivischen reichten und denen sich noch eine Anzahl blanker Mißverständnisse beimischte. Das Ziel Ludwig Büchners war es, einen glatten, möglichst anstandslos rezipierbaren Lenz-Text zu etablieren“ (Gersch [Hrsg.] 1998, „Nachwort“, S. 64 f.).

Weil alle älteren Ausgaben der Lenz-Erzählung in Verkennung dieser Sachlage auf der Textgestalt Ludwig Büchners beruhten und noch Lehmanns historisch-kritische „Hamburger Ausgabe“ von 1967 sich trotz einer gewissen Präferenz für den Erstdruck unentschlossen verhält, liegt eine in den Grenzen des Möglichen zuverlässige Lenz-Ausgabe erst mit der Arbeit Hubert Gerschs (erstveröffentlicht 1984) vor, die entschlossen die insgesamt als relativ zuverlässig bewertete Fassung des Erstdrucks wiedergibt. Seither folgen sämtliche modernen Ausgaben Gutzkows erster Druckfassung.

Inhaltlicher Aufbau

Der folgende Überblick über den inhaltlichen Aufbau von Büchners Lenz soll vor allem über die Abfolge des erzählten Geschehens orientieren, ansatzweise aber auch dessen erzählerische Darbietung deutlich machen. Er hält sich, da es keine Gliederung und Absatzeinteilung von Büchners Hand gibt, an die Handlungsepisoden, die das Werk aufweist.

Die in den thematischen Überschriften bezeichneten Stellenangaben zu den jeweils gemeinten Textpassagen folgen der Seiten- und Zeilenzählung in den Ausgaben von Dedner (9. Aufl. Frankfürt a. M.: Suhrkamp 2014) und Gersch (Stuttgart: Reclam 1998). Beide Ausgaben bieten den Lenz-Text in der Überlieferung durch Karl Gutzkows Erstdruck (vgl. S. 12 f.). Die Angaben sind mit S bzw. R gekennzeichnet.

Aufgrund der Kürze des Werks und der detaillierten Inhaltsbeschreibungen ist eine Orientierung auch in anderen Ausgaben problemlos möglich. Es ist jedoch zu beachten, dass Unterschiede in der Rechtschreibung bestehen können, je nachdem ob und in welchem Umfang sich ein Herausgeber für eine Modernisierung entschieden hat.

Gang durchs Gebirge und erster Tag im Steintal (S 7.1–10.20 / R 5.1–8.16)

Der erste Absatz – mit der längste der ganzen Erzählung – umfasst ohne weitere Binnengliederung das gesamte Geschehen von Lenz’ Sturmwanderung durchs Gebirge und seinen Angst- und Einsamkeitsgefühlen bis zu seiner Ankunft in Waldbach, seiner Begrüßung und Erkennung durch Oberlin im Pfarrhaus, ferner seinem (ersten) Sturz in den Brunnen und dem darauf folgenden tiefen Schlaf.