Der falsche Rocker - Udo Müller - E-Book

Der falsche Rocker E-Book

Udo Müller

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Beschreibung

Im Januar 2014 wurde Ali Osman zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er als Präsident des Rockerclubs Satudarah MC Deutschland mit Waffen und Drogen gehandelt hatte. Seine Verhaftung war von einem V-Mann ermöglicht worden. Doch vor Gericht stellte sich heraus: Dieser V-Mann, der als Waffenmeister des Clubs agierte, war selbst in kriminelle Handlungen verstrickt! Nach seiner Festnahme hatte Osman umfassende Aussagen über die kriminellen Machenschaften seines Clubs gemacht, seine Brüder dadurch schwer belastet und der Justiz weitere Verhaftungen ermöglicht. Einige Fragen wurden während des Prozesses jedoch nicht beantwortet: Wussten die Ermittler von Straftaten des V-Manns und ließen sie ihn gewähren? Oder hat das Landeskriminalamt den V-Mann am Ende sogar dazu angestiftet, Straftaten zu begehen, um den Rockerboss verhaften zu können? Udo Müller, Journalist bei stern TV, beschäftigt sich seit Jahren mit der Rockerszene in Deutschland und hat sich auf eine Spurensuche begeben, um diese Fragen zu beantworten. Er hat den Satudarah MC und seinen Präsidenten jahrelang aktiv begleitet. Er verfolgte den Prozess, bekam Zugang zu den Ermittlungsakten und sprach mit den Justizbehörden sowie mit den Verteidigern des Rockers. In exklusiven Interviews im Hochsicherheitstrakt der JVA Düsseldorf erzählte ihm Ali Osman, was hinter den Kulissen des Satudarah MC ablief – und welche Rolle der V-Mann dabei spielte.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
 
Für Fragen und Anregungen:
[email protected]
 
Originalausgabe, 1. Auflage 2017
 
© 2017 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
 
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
 
Textbearbeitung: Elisabeth Bösl, München
Lektorat: Birgit Walter, München
Umschlaggestaltung: Mark-Torben Fischer, München
Umschlagabbildungen: Motoradfahrer: Robert Vos/Getty Images, Background: Eky Studio/Shutterstock, Banderole: Rick Nederstigt/AFP/Getty Images
Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
 
ISBN Print: 978-3-86883-859-6
ISBN E-Book (PDF): 978-3-95971-183-8
ISBN E-Book (EPUB, Mobi): 978-3-95971-184-5
 
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter:
www.rivaverlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Inhalt

Vorbemerkung
Vorwort
Kapitel 1: Sechseinhalb Jahre
Kapitel 2: Der »Rockerkrieg« in Duisburg
Kapitel 3: Brotherhood Clown Town MC
Kapitel 4: Patchover
Kapitel 5: In Holland
Kapitel 6: Ali Osman wird verhaftet
Kapitel 7: Der falsche Rocker
Kapitel 8: Osmans Spitzel bei der Polizei
Kapitel 9: Der V-Mann-Skandal in München
Kapitel 10: Was wurde aus Christoph Jansen?
Kapitel 11: Letzte Meldungen
Danksagung von Udo Müller
Danksagung von Ali Osman
Anhang
Rap-Song von AKA 70 Südsyndikat(geschrieben für Ali Osman)
 
 
 
 
 
 

Vorbemerkung

In diesem Buch wurden einzelne Namen, Orte und Details der Schilderungen geändert oder weggelassen, um Persönlichkeitsrechte zu schützen.

 
 
 
 
 
 

Vorwort

Im Laufe meiner Recherchen zum sogenannten »Rockerkrieg« in Nordrhein-Westfalen habe ich die Männer, um die es in diesem Buch geht, persönlich kennengelernt und immer wieder mit ihnen gesprochen. Um ihre Privatsphäre zu schützen, habe ich ihre Namen hier entweder geändert oder sie ganz weggelassen. Die große Ausnahme ist Yildiray Kaymaz alias Ali Osman, der knapp ein Jahr lang Deutschland-Präsident des Satudarah MC war. Er hat mir als einzigem Journalisten Interviews gegeben und in längeren Erzählungen einige exklusive Hintergrundinformationen zum Satudarah MC und dessen Vorgängerclub geliefert. Seine Berichte ergänzen die Ermittlungsakten der Polizei, die mir ebenfalls vorlagen und als Quellen für dieses Buch dienten.

Obwohl ich im Laufe der letzten Jahre viel Zeit mit Yildiray Kaymaz verbracht habe und er mir seine Sicht der Dinge geschildert hat, möchte ich gleich zu Beginn eines betonen: Dieser Mann hat Straftaten begangen, und ich halte ihn für schuldig im Sinne des Gesetzes. Die Strafe, die er bekommen hat, war sicherlich gerecht.

Dieses Buch dreht sich jedoch nicht um die Frage nach Osmans Schuld. Es beschäftigt sich mit einem ganz anderen Thema: mit dem falschen Rocker beim Satudarah MC, der als V-Mann für die Polizei arbeitete. Dessen Geschichte ist noch nicht zu Ende. Dieses Buch erzählt sie bis zum Januar 2017.

Udo Müller

Kapitel 1Sechseinhalb Jahre

In Wahrheit war mein Prozess eine ziemliche Seifenoper. Die Wahrheit, die illegalen Methoden der Polizei, die Aussage des V-Manns, der von der Polizei zu Straftaten angestiftet worden ist, der korrupte Polizist – das alles kam nie an die Öffentlichkeit.

Ali Osman

Am 23. Januar 2014, nach nur drei Prozesstagen, verkündete der Vorsitzende Richter den Schuldspruch in einem Verfahren, das in ganz Deutschland von den Medien genau verfolgt wurde: Yildiray Kaymaz wurde wegen Anstiftung und Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Drogenhandels, unerlaubten Waffenbesitzes und Beihilfe zur Sachbeschädigung, bei der diese Waffen zum Einsatz gekommen waren, sowie Verstößen gegen das Kriegswaffengesetz zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. (Kurze Zeit später wurde Kaymaz wegen eines Überfalls auf eine Tabledance-Bar zu neun weiteren Monaten Haft verurteilt.) Der Prozess sorgte bundesweit für Aufsehen, denn entgegen der in seinem Milieu herrschenden Konventionen hatte der Angeklagte mit den Behörden kooperiert. Yildiray Kaymaz war der Präsident des Satudarah MC Deutschland gewesen, eines sogenannten Outlaw Motorcycle Clubs, der ursprünglich in Holland beheimatet ist. Im Raum Duisburg hatten sich die deutschen Mitglieder des Clubs unter Kaymaz’ Führung jahrelang in einem regelrechten Krieg mit den Hells Angels befunden. Zu diesem Zweck wurden Schusswaffen aus den Niederlanden besorgt – anscheinend auf Anweisung des Präsidenten. Neben Kaymaz wurde in dem Prozess auch der Vizepräsident des Clubs zu einer unwesentlich geringeren Haftstrafe verurteilt.

Der Begriff Outlaw Motorcycle Club (OMC) wurde von den US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden als Bezeichnung für im Bereich der organisierten Kriminalität tätige Motorradgangs geprägt. Laut FBI gibt es fünf solcher Clubs, die internationale Bedeutung haben, darunter die Bandidos, die Mongols und die Hells Angels, die auch in Deutschland aktiv sind. 2014 waren in Deutschland polizeilich relevante Rockergruppen mit insgesamt 9 300 festgestellten Mitgliedern in 613 Chaptern, sozusagen »Filialen« oder »Ortsgruppen«, organisiert. Zahlenstärkster dieser Clubs war der Gremium MC mit über 2 000 Mitgliedern, danach kamen die Hells Angels mit 1 572 bekannten Membern. Der Bandidos MC belegte mit nur rund 200 Personen weniger Rang drei. In diesem Jahr richteten sich im Bereich der organisierten Kriminalität insgesamt 48 Verfahren – das sind 8,4 Prozent aller Verfahren gegen die organisierte Kriminalität – gegen Mitglieder von Outlaw-MCs, davon allein 22 gegen Mitglieder der Hells Angels.

Diese Gangs haben ihre eigenen Gesetze, und eines davon lautet, niemals mit den Behörden zusammenzuarbeiten oder auch nur mit ihnen zu sprechen. Auch wenn ein Mitglied eines Outlaw-Motorradclubs selbst Opfer einer Straftat wird, erstattet es keine Anzeige. Alle Angelegenheiten werden untereinander geregelt. Deshalb waren am 17. Januar, dem ersten Prozesstag, Kaymaz’ Anhänger, die sich vor den Augen des massiven Polizeiaufgebots, das zur Absicherung des Gebäudes aufgewendet worden war, versammelt hatten, fest davon überzeugt: Der redet nicht.

Doch Yildiray Kaymaz, in der Szene besser bekannt als Ali Osman, brach diesen Ehrenkodex. Seine Bereitschaft, auszusagen, ermöglichte es seinen Anwälten, einen Deal auszuhandeln: Kaymaz würde einige der ihm vorgeworfenen Straftaten gestehen, und im Gegenzug würde die Höhe seines Strafmaßes bereits vor der Urteilsverkündung in etwa festgelegt werden. Auch die Tatsache, dass Kaymaz schon vor Prozessbeginn ausführliche Aussagen gegen seine ehemaligen Clubbrüder, auch die in den Niederlanden, gemacht hatte, wirkte sich positiv auf das Strafmaß aus. Als einer von Kaymaz’ Anwälten am zweiten Prozesstag eine Erklärung seines Mandanten verlas, in der dieser die Gründe für sein Geständnis nannte, ging einen Raunen durch den Gerichtssaal. Mehrere Männer unter den Zuschauern standen demonstrativ auf und gingen. Später sollte Kaymaz sogar Morddrohungen bekommen, denn wer auspackt, ist nach den Gesetzen der OMCs »out in bad standing«, was sich mit »vogelfrei«, also geächtet und rechtlos, übersetzen lässt. Jedes Satudarah-Mitglied hatte nun theoretisch die Pflicht, Kaymaz bei jeder sich bietenden Gelegenheit anzugreifen. Entsprechend groß war die Polizeipräsenz im Gerichtssaal, der vor dem Beginn der Verhandlung mit Spürhunden auf Sprengstoff untersucht worden war. Vor dem Gebäude kontrollierten Polizisten jeden, der hinein- oder hinausgehen wollte.

Yildiray Kaymaz hatte schon Monate vor dem Prozess interne Clubstrukturen aufgedeckt und auch niederländische Mitglieder des Satudarah MC schwer belastet. Dafür wurde er statt zu rund 15, wie angesichts seiner Straftaten hätte gefordert werden müssen, nur zu sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Kaymaz’ Sohn, so die offizielle Erklärung für das Geständnis, sei lebensgefährlich erkrankt, deswegen wolle sein Vater so schnell wie möglich wieder aus der Haft entlassen werden.

Bevor Kaymaz nach der Verkündung des Urteils wieder zurück in die Haftanstalt musste, nutzte er die Chance, alle Satudarah-Mitglieder aufzufordern, es ihm gleichzutun und auszusteigen. Dann legte man dem eher kleinen und schmalen 38-Jährigen, der so gar nicht wie ein typischer Rocker aussieht, Hand- und Fußfesseln an und führte ihn unter massivem Polizeischutz aus dem Gerichtsgebäude. Eine Polizeieskorte brachte ihn zurück in den VGH, den »verschärft gesicherten Haftbereich« der JVA Ratingen, wo Yildiray Kaymaz unter anderem mit einem Auftragskiller, einem Amokläufer, einem Mitglied der kalabrischen Mafia und einem der selbsternannten Gotteskrieger der Al-Qaida einsaß.

Dem Staat war anscheinend ein entscheidender Schlag gegen die Rockerszene gelungen: Einer der ganz Oberen hatte bei der Aufklärung von Straftaten, die seine ehemaligen »Brüder« begangen hatten, mitgeholfen, und auch seine eigenen Vergehen gestanden. Mit der Bruderschaft schien es bei dem Duisburger Club ohnehin nicht weit her zu sein. Die Zeitungen berichteten, dass Kaymaz von seinen eigenen Leuten verraten worden war und deswegen verhaftet werden konnte. Nach und nach kamen weitere Einzelheiten ans Licht, darunter auch, dass es der Polizei gelungen sei, einen V-Mann aus der Führungsriege des Satudarah MC in Duisburg zu rekrutieren – eine Sensation, denn in die geschlossene Welt der Motorradclubs erhalten die Beamten nur sehr selten Einblick. V-Männer sind in der Szene, in der niemand die 110 wählt, wenn etwas passiert, eine echte Rarität. Wird die Identität eines V-Manns aufgedeckt, ist auch er »out in bad standing« und schwebt somit in Lebensgefahr.

Ich konnte Anfang 2013 im Rahmen einer Reportage für stern TV Kontakt zu den Duisburger Rockern vom Satudarah MC herstellen und führte mehrere Interviews mit Yildiray Kaymaz und anderen Mitgliedern, ehe sie verhaftet wurden. Mein Team und ich durften die Männer sogar bei einer Fahrt nach Holland, wo wir uns mit den höchsten Satudarah-Membern der Niederlande trafen, begleiten. Ich stelle das Gerichtsurteil nicht infrage. In meinen Augen hat sich Yildiray Kaymaz schuldig gemacht.

Ich weiß aber auch, dass diese Männer allen Außenstehenden gegenüber misstrauisch sind. In die Führungsriege eines solchen Clubs aufzusteigen, setzt voraus, sich das Vertrauen des Präsidenten und seines Stellvertreters erarbeitet zu haben. Dafür muss man wiederum einen entsprechenden »Hintergrund« mitbringen, was in diesem Fall damit gleichzusetzen ist, vorbestraft zu sein.

Ein V-Mann muss sich aus allen Straftaten heraushalten, damit seine Aussagen vor Gericht glaubhaft sind. Ist er selbst in kriminelle Machenschaften verwickelt, muss auch er strafrechtlich verfolgt werden. Dann hätte der V-Mann ein Motiv, andere zu belasten, um sich selbst in ein besseres Licht zu rücken. Er darf also nur beobachten und muss weitergeben, was er sieht und hört.

Der Status als V-Mann schützt also einerseits nur bedingt, wenn man bei einer Straftat erwischt wird. Um in dem abgeschotteten Milieu der Motorradgangs von den anderen Mitgliedern so viel Vertrauen zu gewinnen, dass man Einblick in alle Aktivitäten des Clubs, auch die illegalen, bekommt, muss man sich andererseits aber entsprechend verhalten. Dazu gehört auch, bei den »Unternehmungen« des Clubs eine aktivere Rolle als die des passiven Beobachters einzunehmen.

Ein V-Mann, der beim Satudarah MC weit oben in der Führung stand, ist also sicherlich vorbestraft. Und er wird sich an Straftaten beteiligt haben, um überhaupt eine Führungsposition zu erlangen. Die entscheidenden Fragen lauten aber: Hat der Mann auch noch Straftaten begangen, nachdem er V-Mann geworden war? Und wussten die Polizisten, die den V-Mann regelmäßig trafen und seine Aussagen aufnahmen, von einer eventuellen Verwicklung ihres Informanten in strafbare Handlungen?

Vor Gericht schien man diese Fragen jedoch nicht stellen zu wollen, und Kaymaz’ Verteidiger hüteten sich, das Thema V-Mann im Gerichtssaal zur Sprache zu bringen. Ihre Aufgabe war es, für ihren Mandanten das bestmögliche Urteil herauszuholen, und sechseinhalb Jahre Haft waren deutlich kürzer als fünfzehn. Die Behörden wollten durch einen Sieg vor Gericht zumindest den Anschein erwecken, den Rockerkrieg, der im Ruhrgebiet seit Jahren tobte, unter Kontrolle zu haben. Diesen Erfolg würde man sich bestimmt nicht von einem dubiosen V-Mann zunichtemachen lassen.

Als Journalist bin ich in einer anderen Position. Ich habe keine Verantwortung gegenüber den Angeklagten oder den Behörden. Mich beschlich an diesem Morgen im Januar 2014 das Gefühl, dass von allen Seiten mindestens ein Auge zugedrückt wurde, um einen wie gesagt sicherlich nicht unschuldigen Mann schnell verurteilen zu können.

Ich kenne nicht nur Yildiray Kaymaz und seinen Club, ich weiß auch, wer dieser V-Mann ist. Und es fällt mir schwer zu glauben, dass er während der ganzen Zeit, in der der deutsche Satudarah MC von der Polizei beobachtet wurde, nicht in Straftaten involviert war. Der V-Mann, der unter stärkstem Polizeischutz in den Gerichtssaal geführt wurde, um gegen Kaymaz auszusagen, war der Waffenmeister des Satudarah MC Deutschland gewesen. Nach den Regeln des Clubs war er dafür zuständig, dass alle Mitglieder für einen Kampf mit den Hells Angels gut gerüstet waren. Dieser Mann sollte an der illegalen Einfuhr von Kriegswaffen aus Holland nicht beteiligt gewesen sein?

Um die Hintergründe zu erforschen, begab ich mich auf Spurensuche. Viele meiner Anfragen bei den verschiedenen Behörden blieben ohne Erfolg – niemand schien mit mir über den V-Mann sprechen zu wollen. Deshalb wandte ich mich immer wieder an Yildiray Kaymaz, der mir als einzigem Journalisten längere Interviews gewährte und mich mit Hintergrundinformationen über den Satudarah MC, den Vorgängerclub Brotherhood Clown Town MC und seine eigene Rolle im Duisburger Rockerkrieg versorgte.

Yildiray Kaymaz, alias Ali Osman, hat seine ganz eigene Sicht auf die Dinge, die zwischen 2009 und 2013 im Ruhrgebiet vorgefallen sind. Die Angaben, die er in den Interviews mit mir machte, und die handschriftlich verfassten Schilderungen, die er mir aus dem Gefängnis schickte, sind natürlich stark subjektiv geprägt. Ergänzt durch Medienberichte, durch die Ermittlungsakten und durch in Gesprächen mit den Anwälten gewonnene Informationen lässt sich jedoch nicht nur ein detailreiches Bild einer Gesellschaft zeichnen, in die »Normalbürger« keinen Einblick haben, die Fülle an Informationen brachte auch nach und nach die unglaubliche Geschichte eines V-Mannes in einer der gefährlichsten Motorradgangs in Deutschland ans Licht.

Kapitel 2Der »Rockerkrieg« in Duisburg

Wir sind alle lieb!

Christoph Jansen in einem Fernseh-Interview, 22.02.2013

Als ich Anfang 2013 auf einen neuen Motorradclub in Duisburg aufmerksam wurde, tobte bereits seit etwa fünf Jahren im Rockermilieu in ganz Deutschland ein Konflikt, der schon mehrere Todesopfer gefordert hatte. Das Ruhrgebiet hatte immer wieder im Zentrum dieser Auseinandersetzungen gestanden, da hier sowohl die Hells Angels als auch deren Feinde, die Bandidos, vertreten waren.

Der Hells Angels Motorcycle Club, kurz HAMC, wurde am 17. März 1947 in Fontana, Kalifornien gegenründet. Der Name geht angeblich auf einen Freund der Gründer zurück, der in einer Bomberschwadron im Zweiten Weltkrieg gedient hatte, die den Spitznamen »Hell’s Angels« trug. Filmemacher Howard Hughes veröffentlichte 1930 einen Kriegsfilm mit dem Titel »Hell’s Angels«, der sich um die heroischen Luftschlachten im Ersten Weltkrieg drehte. Vermutlich nahmen sich die Flieger nach dem Zweiten Weltkrieg diesen Film bei der Namensgebung zum Vorbild, denn es gab mehrere Schwadronen dieses Namens, sodass nicht eindeutig geklärt werden kann, auf welche genau der Motorradclub sich bezieht.

Nachdem der Club die ersten negativen Schlagzeilen provoziert hatte, spekulierten viele, dass er sich aus Männern zusammensetzten, die das Leben voller Gewalt und Adrenalin im Krieg nun durch entsprechende Aktionen zu Hause weiterleben wollten. Die Angels wehren sich bis heute gegen den Vorwurf, ihre Gründungsmitglieder seien ehemalige Soldaten gewesen, die sich in der Armee schlecht betragen hätten und unehrenhaft entlassen wurden. Auch die entsprechenden Veteranenorganisationen der jeweiligen Bomberschwadronen bestätigten, dass die Mitglieder dieser Einheiten vorbildliche Soldaten gewesen seien.

Wahrscheinlicher ist, dass die jungen Männer, die nach 1945 aus Europa zurückgekehrt waren und in Kalifornien einen MC gründeten, in der Tat Probleme hatten, sich wieder im bürgerlichen Leben zurechtzufinden – ein Phänomen, das heute unter dem Begriff PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) zusammengefasst wird. Diese »Störung« kann unterschiedlich ausfallen, und nicht jeder, der darunter leidet, wird aggressiv. Die Betroffenen erleben jedoch eine tiefgreifende Erschütterung ihres Weltbildes und Selbstverständnisses. Die jungen Männer suchten also sehr wahrscheinlich nach einem Leben, das ihre Erfahrungen an der Front einschloss. Sie suchten Halt in einer dem Militär nachempfundenen Organisation, die eine klare Hierarchie besaß und in der Brüderlichkeit und Zusammenhalt die höchsten Güter waren.

Die Attraktivität der Hells Angels für Ex-Soldaten hielt auch in den folgenden 20 Jahren weiter an. In den Sechzigern waren es vor allem die Vietnamkriegsveteranen, von denen sich manche nach ihrer Dienstzeit dem HAMC anschlossen. In diesen Jahrzehnten waren die Hells Angels bereits über die Grenzen Kaliforniens hinaus bekannt. Schlägereien, Schießereien, Drogengeschäfte, Prostitution, das alles wurde ihnen in den Berichten der Strafverfolgungsbehörden und der Medien vorgeworfen. Die Hells Angels wurden als dämonische Bedrohung skizziert, die den bürgerlichen Lebensstil dieser Zeit angriff. Der Journalist und Schriftsteller Hunter S. Thompson ordnete die Angels in seinem 1966 veröffentlichten Buch über den HAMC in die alternative Subkultur Kaliforniens ein. Sein Bericht schildert sie als brutale, aggressive Typen, die tagelang saufen und jede Form von Drogen nehmen. Die Dämonisierung machte sie sexy – sie zogen regelrechte Menschenaufläufe an, wenn sie zu Hunderten auf ihren schweren Maschinen durch die verschlafenen Kleinstädte Kaliforniens bretterten, denn jeder wollte einen Blick auf die »bösen Brüder der Hippies« erhaschen. Die Charter, die Thompson während seiner einjährigen Recherche besuchte, waren mit der Gegenkulturbewegung Kaliforniens assoziiert, und obwohl er die Brutalität der einzelnen Mitglieder nicht schönte und diese Charter auch mit Drogen in Verbindung brachte, hielt er es für unwahrscheinlich, dass die Hells Angels ein zumindest landesweit operierendes Netzwerk für illegale Geschäfte sein sollten, wie die Strafverfolgungsbehörden der USA zu dieser Zeit vermuteten. Die Angels seien dank ihrer Kutten und den schweren Maschinen zu einfach zu erkennen, als dass sie Drogen über Landesgrenzen schmuggeln könnten, so Thompson. Jeder Polizist würde sie sofort erkennen und anhalten. Dennoch konsumierten die Angels, die Thompson traf, jede Menge Drogen, vor allem Haschisch und LSD.

In den Siebzigerjahren hatten sich die Angels den Ruf erarbeitet, einer der gefährlichsten Clubs zu sein. Sie duldeten keine anderen MCs neben sich und »übernahmen« die kleineren Fische in sogenannten Patchovers, um sich ihre Vormachtstellung zu sichern. Der Club breitete sich seit den Sechzigerjahren über die ganze Welt aus. Das erste nicht-amerikanische Charter wurde 1961 in Auckland, Neuseeland, gegründet. 1969 folgte in London die erste Ortsgruppe in Europa; 1973 wurde das erste deutsche Hells-Angels-Charter in Hamburg ins Leben gerufen.