Klimadämmerung - Frank Hennig - E-Book
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Klimadämmerung E-Book

Frank Hennig

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Beschreibung

Das deutsche Projekt der Energiewende wird nach wie vor mit viel Eifer, aber ohne wissenschaftlich fundierte und verständliche Erklärungen betrieben. Risiken werden ausgeblendet. Zugunsten des Klimaschutzes bleibt der Umweltschutz auf der Strecke. Sachliche und offene Diskussionen finden kaum statt. Frank Hennig verschafft interessierten Lesern einen Überblick über die technischen Voraussetzungen der Energiewende: Wie funktioniert ein Stromnetz? Wie ist es entstanden und welche globalen Entwicklungen gibt es? Lässt sich Energie speichern? Und er hinterfragt, inwiefern diese technischen Fakten im politischen Diskurs berücksichtigt werden.

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FRANK HENNIG

KLIMADÄMMERUNG

FRANK HENNIG

KLIMADÄMMERUNG

VOM AUSSTIEG ZUM ABSTIEG – EIN PLÄDOYER FÜR MEHR VERNUNFT IN DER ENERGIEPOLITIK

Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Fritz Vahrenholt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

EDITION TICHYS EINBLICK

3. Auflage 2022

© 2021 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Ulrike Kroneck

Korrektorat: Manuela Kahle

Umschlaggestaltung: Sonja Vallant

Umschlagabbildung: muratart/shutterstock.com

Abbildungen innen: Sofern nicht anders angegeben: S. 17 Valentyn Volkov/shutterstock.com, S. 48 Al Khadafi/shutterstock.com, S. 50 eigene Darstellung, S. 92 Bundesinitiative Vernunftkraft e.V., S. 185 Cineberg/shutterstock.com, S. 205 topten22photo/shutterstock.com, weitere Grafiken: Tobias Prießner

Satz: abavo GmbH, Buchloe

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-374-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-706-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-707-5

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter:

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Mit herzlichem Dank an meine Frau Elke für ihre Geduld und erste Durchsicht.

INHALT

Vorwort von Prof. Dr. Fritz Vahrenholt

Vorangestellt

Die magischen 50 Hertz

Das Netz aus Drähten

Kein Leben ohne Gleichgewicht

Vom Brownout zum Blackout

Management des Mangels

Glück ab, der Steiger geht

Gekoppelte Kraft

Gib Gas, Wladimir

Die Kräfte der Natur

Windstrom im Netz

Eitel Sonnenschein

Die Legende vom Strom ohne Ende

Strom auf der Halde

Power to XYZ

Virtueller Glaube

Energie aus dem Kern

Aus dem Ruder

Strahlende Welt

Mobile Energie

Mobil am Draht

Power vom Vehikel

Der Energiewendeerfolgsjournalismus

Vom Sturmgeschütz zur Konfettikanone

Die Macht der Bilder

Der rechtliche Rahmen

Wunderwaffe EEG

Das Elend der Eliten

Future for Fridays

Politische Wissenschaft

Die Klimakirche

Kein grüner Frieden

Das Katastrophenklima

Der deutsche Sonderweg

Wasser und Wein

Glaube und Hoffnung

Anmerkungen

VORWORT VON PROF. DR. FRITZ VAHRENHOLT

Wer dieses Buch von Frank Hennig gelesen hat, ist erschüttert. Auf Grund der detaillierten Aufarbeitung der falschen Pfade, die die Energie- und Klimapolitik in Deutschland genommen hat, kommt der Leser zum Ergebnis, diese Politik endet im Desaster mit unheilvollen Konsequenzen für die Bürger, die Arbeitsplätze, die Unternehmen, die Wirtschaftskraft. Unser aller Wohlstand ist in großer Gefahr. Im Unterschied zu den zahlreichen Kommissionen, von der Ethikkommission bis zur Kohleausstiegskommission, im Unterschied zu den Ministern, Parteivorständen, fast allen Bundestagsabgeordneten, stellt hier jemand, der weiß wovon er spricht, die präzise energiefachliche Analyse. Er weiß, was eine Gigatonne CO2 ist – im Unterschied zu einer bekannten Parteivorsitzenden. Er weiß, warum man Blindleistung zum Transport von Strom benötigt und kennt den Unterschied zwischen elektrischer Arbeit und der Leistung von Windkraftwerken.

Die Energiewende wird scheitern, durch eine absehbare Strommangelwirtschaft, die zu Rationierung von Strom führen wird, wie wir sie aus Entwicklungsländern kennen. Sie wird zu einem Absturz des deutschen Wohlstands führen durch die Explosion der hiesigen Energiepreise. Schon heute hat Deutschland dank der Energiewende, des Doppelausstiegs aus Kohle und Kernenergie, die höchsten Strompreise der Welt.

Das Gute an diesem Buch, dem ich eine große Verbreitung in Deutschland wünsche, ist, dass sich kein Politiker und kein Journalist später herausreden kann, dass er nicht habe wissen können, was auf uns zukommt. Selbst wenn es gegen Ende dieses Jahrzehnts unterirdische Stromleitungen von Norden nach Süden geben wird, wird es in Süddeutschland durch den Wegfall der Kern- und Kohlekraftwerke zu einem notwendigen Stromimport von 16 Gigawatt kommen müssen. In den Zeiten der Dunkelflaute, die gerne auch mal fünf Tage lang im Winter auftreten, gibt es aber nichts zu transportieren. Um die Größe der Aufgabe zu verdeutlichen: 16 Gigawatt ist deutlich mehr als das doppelte des Stromverbrauchs unseres Nachbarn Österreich. Deutschland verteufelt den Atomstrom, nimmt aber gerne den Kernenergiestrom aus Tschechien, Frankreich, Schweden oder der Schweiz. So lässt sich Baden-Württemberg, in dem publikationsträchtig die Sprengung der 35-jährigen Kühltürme des Kernkraftwerks Philippsburg vom grünen Umweltminister gefeiert wurde, vom 50 Jahre alten Atommeiler, dem ältesten Kernkraftwerk der Welt in Beznau in der Schweiz, beliefern.

Gesicherte Stromversorgung, das Gütesiegel der deutschen Industriegesellschaft – das war einmal. Deutschland setzt auf Windkraft, deren bislang 60 Gigawatt Kapazität eine gesicherte Leistung von 1 % hat. Und auch die 55 Gigawatt Leistung der Photovoltaikanlagen, der hochgepriesene zweite Eckpfeiler der zukünftigen Energieversorgung, hat eine gesicherte Leistung von null, was man nachts leicht feststellen kann.

Viele Politiker und Journalisten fordern daher die Vervielfachung von Wind- und Sonnenenergie. Denn auch Verkehr und Wärme sollen zukünftig auf diesen unzuverlässigen Säulen aufgebaut werden. Die Akademie der Technikwissenschaften schätzt, dass hierfür der Stromverbrauch verdoppelt werden muss. 100 % Wind und Sonne würde eine Versechsfachung der heutigen Kapazität erfordern. Wollte man auch noch die industrielle Energieversorgung in Deutschland auf Wind- und Solarenergie stützen, müsste noch einmal der heutige Stromverbrauch von 600 TWh hinzuaddiert werden. Wir sprechen dann von der Verzehnfachung der erneuerbaren Kapazitäten mit extremen Überschüssen in wind- und sonnenreichen Zeiten und Mangel in Dunkelflautezeiten. Wasserstoff, produziert in Überschusszeiten, soll die Flaute überbrücken. Dabei verliert man allerdings zwei Drittel der erzeugten Energie – eine auf absehbare Zeit unbezahlbare Lösung.

Wie groß ist der Speicherbedarf in Deutschland? Der heutige Stromverbrauch beläuft sich auf 1,6 TWh pro Tag. Er wird sich eher verdreifachen als verdoppeln, wenn die Ziele der Bundesregierung für 2050 erfüllt werden sollen. Eine zehntägige Flaute bedarf dann eines Speichers von unvorstellbaren 32 bis 48 TWh. Das entspricht ungefähr dem 800 bis 1200-fachen der aktuell in Deutschland installierten Pumpspeicherkapazität.

Doch wir werden mit neuen Narrativen versorgt. Wir werden schon den Wasserstoff aus Nordafrika besorgen, denn dort hat die Solarenergie Zukunft. Gemeint sind die 11 Länder, für die Frank Hennig einen Korruptionsindex von durchschnittlich 96 von 100 möglichen Punkten errechnet hat. Marokko importiert zehn Millionen Tonnen Kohle aus Russland und Südafrika und nahm 2018 sein 1400-Megawatt-Kohlekraftwerk in Safi in Betrieb. Wir steigen aus der Kohle aus, weltweit passiert das Gegenteil. China baut rund 200 Kohleblöcke bis 2030.

Deutschland setzt auf Wind. Dass damit die größte Naturzerstörung in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg verbunden ist, ahnen mittlerweile viele. Die Versechsfachung der Windenergie führt zu dem abenteuerlichen Plan, alle zwei km in Deutschland ein Windkraftwerk aufzustellen, selbst wenn die Windenergieanlagen deutlich größer und höher werden als heute. In immer größerem Stil werden die deutschen Wälder zu Industrieflächen für Windkraftanlagen, werden zerschnitten, parzelliert und darin lebende Natur zerstört. Noch schützt das europäische Artenschutzrecht vor der Ausrottung zahlreicher Arten. Schon fordert der Energiewende-Think-Tank der Bundesregierung, AGORA, das Tötungsverbot des Naturschutzgesetzes im Interesse des Windkraftausbaus abzuschaffen. Was sind schon ein paar hochgeschützte Greifvögel gegen die Rettung der Welt! Immerhin werden 12 000 Greifvögel und 250 000 Fledermäuse jährlich durch Windkraftanlagen getötet. Geschützte Arten bekommen nun unerwartet Unterstützung von den sich um ihre Heimat betrogen fühlenden Bürgern, die sich in 1000 Bürgerinitiativen zusammengeschlossen haben. Und wenn sich bewahrheiten sollte, dass ein großer Teil des Insektensterbens auf die riesige Rotorwand zurückgeht, die sich durch Deutschland ausgebreitet hat und die die Insekten in der Luft zerschmettert, könnte es eng werden für eine Politik, an der nichts grün ist. Denn auch die wachsende Erkenntnis, dass Windenergiefelder in ihrem Einwirkungsbereich eine lokale Temperaturhöhung von etwa 0,5 Grad Celsius erzeugen und Bodentrockenheit hervorrufen, wird sich ebenso herumsprechen wie die zunehmende Besorgnis um gravierende Gesundheitsschäden durch Infraschall bei dem Feldversuch, Deutschland in einen einzigen Windpark zu verwandeln. Auch die Windenergie, die eine durchaus elegante Form der Energieerzeugung ist, dort, wo der Wind weht, muss sich an den Anforderungen des Naturschutzes, des Umweltschutzes und des Gesundheitsschutzes wie jede andere Energieform messen lassen.

Noch gelingt es den Propagandisten der Energiewende, uns durch semantischen Schönsprech Sand in die Augen zu streuen. Das Buch bringt zahlreiche Beispiele. So werden aus der Zwangsabschaltung die Nachfrageglättung oder netzdienliche Maßnahmen zur Verbrauchersystembeteiligung. Aus der Rationierung von Strom wird das intelligente Netz. Aus Windkraftanlagen werden »Kathedralen der Energiewende« (Altmaier). Aber auch gelogen wird schon mal gerne im Interesse des Ganzen, wenn der Bundeswirtschaftsminister vollmundig verspricht, dass kein Braunkohle-Arbeitsplatz verlorengehe, ohne dass vorher ein neuer geschaffen wurde und kurze Zeit danach bei der Schließung des Kraftwerks in Jänschwalde 600 Arbeitsplätze ohne Ersatz entfielen. Und es werden nicht die letzten gewesen sein. Frank Hennig, ein Energieexperte aus der ehemaligen DDR, macht uns bekannt mit der zukünftigen Sicherheit der Energieversorgung, die der real existierenden der DDR immer ähnlicher werden wird. Er erinnert uns daran, was planwirtschaftliche sozialistische Systeme an Naturzerstörung, Umweltbelastung und ineffizienten Energienutzungen verursacht haben.

Wie konnte es soweit kommen?

Es ist Politik und Medien gelungen, ein Klima der Angst zu erzeugen, sodass ein großer Teil der jugendlichen Generation wirklich davon überzeugt ist, dass in den kommenden zwölf Jahren das Ende der Menschheit droht, wenn nicht sofort gehandelt würde und die CO2-Emissionen auf null gebracht werden. Es wird aber immer deutlicher, dass die Klimamodelle zu heiß laufen, die Wirkung des CO2 auf die globale Erwärmung zu hoch eingeschätzt wird und die natürlichen Schwankungen des Klimas, wie etwa in der mittelalterlichen Warmzeit und der Kleinen Eiszeit dokumentiert, ausgeblendet werden. Und ein weiterer Effekt wurde unterschätzt: Die Erde wird grüner, immer mehr CO2 wird von den Pflanzen neben den Weltmeeren aufgenommen. Durch den Anstieg des CO2 sind die Erträge an Weizen, Reis und anderen Nahrungsmitteln um 15 % gestiegen. Wir vergessen zu oft, dass CO2 ein Grundbaustein des Lebens ist. Es ist unzweifelhaft, dass wir im Verlaufe dieses Jahrhunderts die CO2-Emission auf etwa die Hälfte zurückführen müssen und gleichwohl nicht Gefahr laufen, das 2-Grad-Ziel zu überschreiten. Seit 40 Jahren nimmt die durch Satelliten gemessene Temperatur weltweit um 0,14 Grad Celsius pro Jahrzehnt zu. Und in diesen 0,14 Grad ist ein guter Teil, manche Wissenschaftler nehmen an die Hälfte, natürlichen Ursprungs. So ist etwa die in einem 60-jährigen Zyklus um +/- 0,3 Grad oszillierende Schwankung der Temperatur des Atlantiks in den letzten 30 Jahren in ihrer warmen Phase gewesen und schwingt bald zurück. Die Natur gibt uns die Zeit, unser Energiesystem mit klugen technischen Entwicklungen CO2-ärmer und nachhaltiger zu gestalten.

Ein Diskurs über die Risiken des jetzt eingeschlagenen verhängnisvollen klimaund energiepolitischen Weges findet allerdings nicht statt. Ohne negative Erlebnisse zur Versorgungssicherheit, wird der Tross auf dem Pfad ins Unglück weiterziehen.

In einer Gesellschaft, in der die politische, intellektuelle und wirtschaftliche Elite ideologisch motivierten Träumen folgt, wird es ein böses Erwachen geben, wenn man auf dem harten Boden der Realität aufschlägt. Zunehmend sollte uns interessieren, was gesellschaftspolitisch passiert, wenn das Land durch Stromsperren, Autofahrverbote, Auswandern ganzer Industriezweige und Erosion der Sozialsysteme seinen Zusammenhalt verliert. Denn, dass es so kommen wird, ist wohl unabweisbar. Die Energiemangelsituation und die ausufernde Kostenbelastung für Bürger und Gesellschaft werden auch nicht in kurzer Zeit behebbar sein, auch wenn man dann ein hektisches Gasturbinenprogramm aus dem Boden stampft.

Glücklicherweise gibt es Nachbarländer, die keineswegs bereit sind, in den Strudel deutscher Weltbeglückungspolitik hineingezogen zu werden. Wenn dann an der polnischen Grenze und an der holländischen Küste inhärent sichere Kernkraftwerke stehen und den dortigen Wohlstand mehren, wird es auch Deutschland dämmern, dass mit einer Politik in die rückwärtsgewandte Idylle der Holzkraftwerke und Windmühlen kein Staat zu machen ist.

VORANGESTELLT

Es dämmert im Land, seitdem der »Klimaschutz« zum alles überstrahlenden Oberziel erklärt wurde, zulasten von Umweltschutz, Ökonomie und sozialem Ausgleich.

Das Licht erfolgreicher, anstrengender und bei Weitem nicht idealer sozialer Marktwirtschaft wird gedimmt. Der Trend geht zu einem neuen Sozialismusversuch, zur Restauration des Realsozialismus auf deutschem Boden. Er heißt heute »Große Transformation« oder »Ökologische Moderne«. Der Weg soll zum alles alternativlos gestaltenden, dominanten und die Bürger bevormundenden Staat führen. Politiker meinen, am besten zu wissen, was für uns gut ist.

Mit dem Ende der DDR ist die Staubbelastung im Land um über 80 Prozent, bei Schwefeldioxid um 95, beim giftigen Kohlenmonoxid um 78 und beim Kohlendioxid um 30 Prozent gesunken. 60 Prozent weniger Schwermetalle belasten die Gewässer. Nun soll die Welt durch einen Staatszentralismus, der damals scheiterte, erlöst werden. Allerdings steht Deutschland mit diesem Ansatz weitgehend allein da.

Die deutsche Weltrettungsattitüde verhindert die Formulierung sinnvoller und vor allem erreichbarer Ziele. Der jetzt eingeschlagene Weg wird nachhaltigen Schaden verursachen. Andere Länder handeln pragmatisch, wir handeln hochmoralisch, aber erfolglos.

Dieses Buch ist ein Versuch, von verschiedenen Seiten Licht in die Dämmerung zu bringen, die das Interessengeflecht der Energiewendegewinner verdeckt. Am Ende heißt es immer »cui bono – wem zum Vorteil« oder »Folge der Spur des Geldes«.

Die Betrachtungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt niemanden mehr im Land, der die Energiewende in ihrer Gesamtheit überblickt. Fachleute, Politiker und Lobbyisten kennen sich nur noch auf ihren eigenen Feldern aus. Die vielfältigen Wechselwirkungen sind in ihren Konsequenzen unüberschaubar. Wir merken nur eines: Dieser Kurs wird nicht erfolgreich sein.

Der verantwortungslose Umgang mit dem Energiesystem, das letzten Endes die Grundlage aller Wirtschaft und allen Lebens im Land bildet, ist Partikularinteressen geschuldet und vor allem Ausdruck fehlender stringenter politischer Führung. Statt vernünftige Rahmenbedingungen für ein effektives Wirtschaften unter Marktbedingungen zu setzen, ergeht man sich in kleinteiligen Eingriffen. Dabei ist aus der Geschichte hinreichend bekannt: Wenn Politiker in Wirtschaft machen, geht das meistens schief.

Die folgenden Darstellungen sind nicht für die fachliche Bildung gedacht und sie erheben keinen wissenschaftlichen Anspruch. Es geht um die Beschreibung von Zusammenhängen, ohne in genauere Details einzudringen. Grundlegendes wird nur soweit vorgestellt, wie es für das Verständnis nötig ist. Wenn darüber hinaus die Neugier geweckt wird, sich weitergehend zu informieren, so verweise ich auf ausreichend vorhandene Quellen zur Vertiefung naturwissenschaftlicher Kenntnisse.

Ich hoffe, dass aus der Klima- eine Morgendämmerung wird. Am Ende siegen immer die Realitäten, ob wir es wollen oder nicht. Es wird mehr oder weniger schmerzhaft sein.

Ihre Meinungen, Kritiken, Ergänzungen und Kommentare zum Buch an: [email protected]

DIE MAGISCHEN 50 HERTZ

Die Elektrizität wurde nicht erfunden, sondern entdeckt. Deutete man Blitz und Donner zunächst als Gotteszeichen, erkannte man später die eher verborgene Wirkung der Spannungsdifferenzen. Bereits in der Antike stellte man fest, dass durch Reibung, zum Beispiel an Bernstein, eine magnetische Wirkung entsteht. Bis zur Nutzung eines gleichmäßigen Stromflusses war es noch ein weiter Weg.

Voraussetzung für die Nutzung der Elektrizität ist eine Spannungsdifferenz, wodurch die Elektronen fließen, genauer gesagt, durch Schwingungen Energie weiterleiten.

Alessandro Volta erfand 1775 die erste Batterie, die die elektrische Ladung durch chemische Reaktion erzeugte. Andrè-Marie Ampère beschrieb den Stromfluss und den Magnetismus, Werner von Siemens machte 1866 mit der Erfindung des Generators, der damals noch Dynamo-Maschine hieß, die Nutzung der Elektrizität im großtechnischen Rahmen möglich.

Zunächst stand die Nutzung des Gleichstroms, eines Zweileitersystems mit fester Polung, im Vordergrund. Als Nachteil erwies sich, dass die Spannung für unterschiedliche Anwendungen nur mit ohmschen Widerständen variiert werden konnte, die allerdings Verluste bedeuten. Zudem war der Stromtransport über längere Strecken aufgrund niedriger Spannung und entsprechend hoher Stromstärke unwirtschaftlich.

Thomas Alva Edison beherrschte auf dem Gebiet der Elektrizität Ende des 19. Jahrhunderts zunächst den amerikanischen Markt, da er zugleich auch die Kohlefadenlampe und den Stromzähler einführte. Demgegenüber entwickelte Nikola Tesla gemeinsam mit George Westinghouse das vorteilhafte Wechselstromsystem mit Transformatoren. Es begann die heute als »Stromkrieg« bezeichnete Auseinandersetzung, die von Schmutzkampagnen und Unterstellungen begleitet wurde. Am Ende setzte sich weltweit das Wechselstromsystem als Dreileiter-Drehstromsystem durch.

Dafür sind in einem Generator drei um 120 Grad versetzte Spulenpaare angeordnet, deren Windungen durch den Umlauf des Rotors von dessen Magnetfeld geschnitten werden, wodurch ein Strom induziert wird.

Die Grafik zeigt die entstehende Spannung im Wechsel zwischen beiden Polen während der Drehung des Rotors. Die drei entstehenden Kurven ordnen sich jeweils einem Leiter zu und werden üblicherweise als Phasen bezeichnet, meist R, S und T. Die vierte Phase bildet den Nullleiter als Rückleiter.

Der so entstehende Strom kann je nach Bedarf über die in Transformatoren enthaltenen Spulenpaare auf höhere oder niedrigere Spannung transformiert werden. Der Drehstrom wird bis in die Verteilnetze heruntertransformiert oder -gespannt. Wer im Haushalt eine sogenannte Kraftsteckdose hat, der erhält diesen dreiphasigen Strom mit einer Spannung von 380 bis 400 Volt. Bei den typischen Haushaltssteckdosen liegen nur 220 bis 240 Volt an, hier wirkt nur eine der Phasen gegen den Nullleiter.

Der Rhythmus im Netz

Entscheidend für die zu übertragende elektrische Leistung und die Systemsicherheit ist die Geschwindigkeit, mit der die Polwechsel erfolgen, also die Drehzahl des Generators. In Europa bilden 50 Polwechsel pro Sekunde den Standard in der Stromversorgung. Dafür bewegen sich die Rotoren in den Generatoren mit 3000 Umdrehungen pro Minute. Da die Umdrehung keine physikalische Einheit darstellt, gibt man Drehzahlen wie auch Frequenzen in »Sekunde hoch minus eins« an, also »pro Sekunde«. Für die Netzfrequenz und Schwingungen im Allgemeinen gibt man diese Maßeinheit zu Ehren des Entdeckers der elektromagnetischen Wellen Heinrich Hertz (1857–1894) in Hertz an.

In den USA betreibt man die Netze mit einer Frequenz von 60 Hertz, also einer Generatordrehzahl von 3600 Umdrehungen pro Minute. Dieser Betrieb läuft etwas wirtschaftlicher, weil der Turbinenwirkungsgrad mit höherer Drehzahl steigt.

Da die Nutzung der Elektrizität einen ständigen Ladungsausgleich darstellt, müssen Produktion und Verbrauch gleichzeitig stattfinden. Sieht man den Strom als handelbares Wirtschaftsgut, so besteht genau darin seine Besonderheit. Alle anderen Produkte können in irgendeiner Form, in Containern, Säcken, Fässern, Kisten, Kavernen oder Regalen gelagert werden. Die Tüte Strom dagegen gibt es nicht, auch wenn zuweilen behauptet wird, es gäbe Überproduktion von Strom, die man sich dann als eine wie auch immer aussehende Halde vorstellt.

Natürlich gibt es für unterschiedliche Anwendungsfälle auch verschiedene Arten von Stromspeichern. Hartnäckig hält sich in den Medien die Behauptung, es gäbe ausreichend Stromspeicher. Dies ist aber ein interessengetriebener und weit verbreiteter Fake. Im Kapitel zur Speicherung gehe ich näher darauf ein.

Wird durch zu hohen oder zu geringen Stromverbrauch das Gleichgewicht gestört, kann das System kollabieren. In unserer hochentwickelten arbeitsteiligen Welt würde seine Abwesenheit weitreichende Folgen haben. Auch dazu später mehr.

Die Namen bedeutender Forscher, Entdecker und Erfinder bezeichnen heute oft die Maßeinheiten physikalischer Größen. Im Bereich der Elektrizität finden wir das Volt (Alessandro Volta) für die Spannung, (André-Marie) Ampere für die Stromstärke, (Georg Simon) Ohm für den Widerstand, (James) Watt für die Leistung und viele andere wie (Werner von) Siemens für die elektrische Leitfähigkeit oder auch (Nikola) Tesla für die magnetische Flussdichte. Auf anderen physikalischen Gebieten finden wir (Blaise) Pascal für den Druck, (Isaac) Newton für die Kraft, (Konrad) Röntgen für die Ionendosis, (Antoine Henri) Becquerel für den radioaktiven Zerfall.

Ohne sie und auch viele andere (zum Beispiel Robert Koch, Robert Bosch, Konrad Zuse, Justus von Liebig, Rudolf Diesel) wäre unsere Welt heute eine andere, vor allem schlechtere.

Durch physikalische Maßeinheiten bleiben einige unserer verdienten Vorfahren im Gedächtnis. Hinsichtlich der öffentlichen Anerkennung rangieren sie jedoch hinter zuweilen zweifelhaften Politikern, Militärs und »Gesellschaftswissenschaftlern«. Hier betreibt man öffentliche Huldigung, obwohl das Wirken einiger in gesellschaftspolitischen Großexperimenten zu Millionen von Toten geführt hat.

Die magischen 50 Hertz sind eine so bedeutende Grundlage unseres Energiesystems, dass sich einer der vier großen Übertragungsnetzbetreiber den Namen »50Hertz Transmission GmbH« gegeben hat. Damit erinnert schon der Firmenname an das Funktionsprinzip des Systems und ehrt einen brillanten Physiker.

DAS NETZ AUS DRÄHTEN

Ohne das Netz aus Drähten, das unser Land mit Freileitungen überzieht und im Bereich von Ortschaften unterirdisch den Strom zuführt, wäre das Leben im Land schlicht nicht möglich. Die europaweit verbundenen Netze sind der sichtbare Ausdruck der größten von Menschenhand geschaffenen geregelten Systeme. Sie sind im übertragenen Sinn das Herz-Kreislauf-System unseres öffentlichen und privaten Lebens. Fast niemand kann sich mehr vorstellen, wie das tägliche Leben ohne Strom organisiert werden sollte. Einige Ältere können noch von den Stromabschaltungen während und nach dem Krieg berichten, die im Zusammenhang mit Hunger und anderem Mangel das Überleben in Frage stellten. Heute gilt es als selbstverständlich, für 24/7/365 bedarfsgerecht Strom beziehen zu können. Diesen Luxus genießen bei Weitem nicht alle Erdenbürger.

Konkret handelt es sich bei den Drähten um mehr oder weniger dicke Kabel, die Erzeuger und Verbraucher verbinden und die noch einige »Getriebe« in Form von Transformatoren und weitere Bauteile enthalten, um den Stromfluss zwischen den verschiedenen Spannungsebenen zu sichern.

Wir haben uns an das Bild der großen Freileitungstrassen gewöhnt. 70 Meter hoch sind die größten Masttypen, still herumstehende Zwerge im Vergleich zu den modernen Windkraftanlagen mit teils mehr als 160 Meter Nabenhöhe und mehr oder weniger Rotation der gewaltigen Flügel. Zwischen den Hochspannungsmasten hängen Leiterseile, die aus verdrillten Aluminiumdrähten bestehen, eine relativ gute Leitfähigkeit aufweisen und zudem relativ leicht und vergleichsweise preiswert sind. Um die Zugfestigkeit zu erhöhen, sind die Aluminiumdrähte um ein Stahlseil gedreht. Jeweils drei Kabel laufen parallel, durch Abstandshalter getrennt und bilden eine der Phasen des Drei-Phasen-Drehstroms. Diese Parallelführung vermindert Glimmentladungen und damit Übertragungsverluste. Die drei Kabeltrios werden jeweils an einer Mastseite entlanggeführt. An der Spitze der Masten verläuft das Kabel des Nullleiters. Maximal 2000 Ampere können über je drei Leiter fließen, was bei 380 bis 400 Kilovolt einer Kraftwerksleistung von etwa 1,4 Gigawatt entspricht, also der eines Großkraftwerks.

Da diese Trassen das ganze Land durchziehen, hat sich der Begriff der »Stromautobahnen« etabliert. Dies sind die Leitungen des Höchstspannungsnetzes mit 400 oder 220 Kilovolt, die nächst niedrigere Spannungsebene von 110 Kilovolt wird von den regionalen Netzbetreibern gemanagt und bildet sozusagen den Regionalverkehr. Das Verteilnetz darunter gehört den Versorgern wie zum Beispiel Stadtwerken, hier findet der Stromnahverkehr statt.

Die erste Freileitung für Drehstrom ging 1891 zwischen Lauffen am Neckar und Frankfurt am Main in Betrieb. Das Prinzip hat sich bis heute nicht geändert, jedoch wurden ständig Optimierungen vorgenommen, die zur hohen Versorgungssicherheit beitrugen. Auch an der Bauhöhe der Masten hat sich in den letzten Jahren wenig geändert, schon deshalb ist der Begriff »Monstertrasse« nicht zutreffend.

Ein elektrotechnischer Nachteil von Drehstrom-Freileitungen besteht in der Bildung der sogenannten Blindleistung, die von Leitungslänge und Belastung abhängig ist.

Was ist Blindleistung? Die Sinusschwingungen von Strom und Spannung liegen bei einer Blindleistung von null genau übereinander. Verschieben sie sich durch kapazitive oder induktive Einflüsse im Netz, wie eben auch durch die Wirkung eines Leiterseils, entsteht die sogenannte Phasenverschiebung und damit die Blindleistung. Diese kann keine Arbeit verrichten, muss aber transportiert werden und erhöht dadurch den Widerstand, wonach die nötigen Leitungsquerschnitte bemessen werden müssen.

Als bildhaften Vergleich kann man sich dieses Bierglas vorstellen:

Nur die Wirkleistung (Bier) hat Effekt, die Blindleistung (Schaum) muss dennoch transportiert werden. Das Glas muss so groß sein, dass beides hineinpasst. Die Summe aus Wirk- und Blindleistung nennt man Scheinleistung: der Scheinstrom erhöht den Leitungswiderstand. Am Tresen nennt man das ein »frisch Gezapftes«.

Blind und teuer

Die Maßeinheit der Blindleistung ist das Voltampere. Auch die Wirkleistung ist das Produkt aus Volt und Ampere, jedoch ist deren Bezeichnung dann Watt. Die Blindleistung muss im Netz über die Blocktransformatoren der Kraftwerke oder zusätzlich installierte Spulen ausgeregelt werden, die anderswo im Netz oder bei Großverbrauchern installiert sind. Wird die Blindleistung nicht kompensiert, kann es zu Über- oder Unterspannung kommen, was im schlimmsten Fall zum Netzkollaps führt. Die Spannungshaltung und auch die Frequenzhaltung subsummiert man unter dem Begriff der »Netzdienstleistungen«. An diesen beteiligen sich die Regenerativen nicht, abgesehen von der Wasserkraft.

Es zeichnet sich nun ein Konflikt zwischen den Netzbetreibern und der Branche der erneuerbaren Energien ab. Im Netzentwicklungsplan wurde ein Bedarf an Blindleistung zwischen 38 und 74 Gigavoltampere bis 2030 durch das Abschalten konventioneller Kraftwerke identifiziert. Mussten diese die Blindleistung kostenlos quasi nebenbei bereitstellen, sind nun zwischen 130 und 250 zusätzliche Betriebsmittel wie Kondensatoren, Spulen oder rotierende Phasenschieber erforderlich. Amprion und Siemens Energy planen den Bau eines rotierenden Phasenschiebers, der Blindleistung regeln kann und gleichzeitig durch die rotierende Masse der Frequenzstützung dient. Er zieht die Energie für die Rotation aus dem Netz und stellt damit einen zusätzlichen Verbraucher dar. Absehbar ist, dass die bisher kostenlose Netzdienstleistung der Blindleistungsregelung künftig über die Netzentgelte an die Stromkunden weitergereicht werden wird, um die Betreiber von regenerativen Energieerzeugern vor Zusatzkosten zu schützen. Auch dies stellt eine verdeckte Subventionierung der erneuerbaren Energien dar. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist darauf ausgerichtet, deren Gewinne zu sichern.

Der Nachteil der Freileitungen besteht bauseitig darin, dass sie wettergefährdet sind und Mastbrüche durch vereiste Kabel (wie im Münsterland 2005) oder Sturmschäden auftreten können, was allerdings sehr selten ist. Freileitungen sind mit einem Anteil von 99 Prozent die dominierende Übertragungstechnik im Höchstspannungsnetz, denn sie haben viele Vorteile:

einfacher und robuster Aufbau

hohe Übertragungskapazität

lange Lebensdauer

kurze Reparaturzeiten

ausreichende Reichweite für europäische Verhältnisse

geringe Gesamtkosten

wartungsarm

langjährige Betriebserfahrung

überlastungsfähig in Abhängigkeit der Temperatur

Die zunehmenden Mengen eingespeisten regenerativ erzeugten Stroms erfordern einen umfangreichen Netzausbau. Gab es früher die definierte Fließrichtung des Stroms, Kraftwerk → Netz → Verbraucher, kommt es heute auch zu Stromflüssen von niedrigen in Richtung höherer Spannungsebenen. Zahlreiche Windkraftanlagen in windreichen, aber dünn besiedelten und verbrauchsarmen Gebieten Norddeutschlands erfordern mehr Leitungen zum Abtransport des schwankend anfallenden Stroms. Dies ist genau das Gegenteil der vielgepriesenen Dezentralisierung, auf der doch die Energiewende fußen sollte. Auch die Anschlüsse der Offshore-Windkraftanlagen verursachen extrem hohe Kosten, die die Investoren allerdings nicht tragen müssen. Sie sind seit 2019 unter der Position »Offshore-Netzanbindung« auf der Stromrechnung der Verbraucher zu finden.

Stricken am Netz

Für den weiteren Netzausbau gibt es Pläne wie den »Netzentwicklungsplan« (NEP), der von den vier großen Übertragungsnetzbetreibern (TenneT, 50Hertz, Amprion und TransnetBW) ausgearbeitet und von der Bundesnetzagentur (BNA) genehmigt wird. Daneben existieren das »Energieleitungsausbaugesetz« (EnLAG) für den beschleunigten Ausbau auf der Höchstspannungsebene und das »Bundesbedarfsplangesetz« (BBPlG) mit rund 6100 Kilometern Ausbaubedarf (abhängig von den konkreten Trassenverläufen).

Der Netzentwicklungsplan enthält mehrere große Neubauvorhaben insbesondere in Nord-Süd-Richtung, um den Strombedarf auch nach dem Abschalten der Kernkraftwerke zu sichern. In der Fassung von 2014 wird in Süddeutschland im Jahr 2024 eine gesicherte Stromerzeugungsleistung in Höhe von 19,1 Gigawatt (GW) zur Verfügung stehen. Demgegenüber beträgt die Höchstlast in diesen Bundesländern 26,4 GW, in der Folge fehlt bei hoher Last mehr als 7 GW gesicherte Erzeugungskapazität. In einer Marktsimulation der Netzbetreiber für Süddeutschland ist die Energiebilanz im Jahr 2024 daher deutlich negativ: 35 Prozent des Jahresverbrauchs an Strom müssen die südlichen Bundesländer im Jahr 2024 importieren.

Angesichts der Bedeutung der Netze stellt sich die Frage: Wer sind überhaupt die Netzbetreiber und ihre Eigentümer? In Ost- und Mitteldeutschland, in Berlin und Hamburg ist das die 50 Hertz Transmission GmbH, die zu 80 Prozent dem belgischen Elia-Konzern gehört, zu 20 Prozent der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Von der Nordsee bis zur österreichischen Grenze versorgt Tennet ein breites Band, eine hundertprozentige Tochter des niederländischen Tennet-Konzerns. Im Südwesten lässt Transnet-BW strömen, auch hier gibt es mit der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) nur einen Eigentümer. Komplizierter ist es bei Amprion im Westen, wo neben der RWE ein ganzes Konsortium an Anteilseignern verdienen will, zu denen zum Beispiel die Commerzbank, die Münchner Rück, Talanx, ergo, HDI Gerling, die Ärzteversorgung Westfalen Lippe und diverse Versicherungen gehören.

Alle Übertragungsnetzbetreiber wollen natürlich Gewinn machen. Netzbetrieb bedeutete stets relativ geringe, dafür stabile Rendite.

Da es sich bei den Netzen um natürliche Monopole handelt, wird durch die Bundesnetzagentur straff kontrolliert und reguliert. Hin und wieder auftauchende Behauptungen, die Unternehmen würden den Netzausbau forcieren, um sich eine goldene Nase zu verdienen, sind schon deshalb Unfug, da die über die Netzentgelte erzielte Rendite gedeckelt ist und alle Ausbaupläne staatlich geprüft und genehmigt werden müssen. Ein Risiko für die Netzbetreiber sind Kostensteigerungen durch immens teure Offshore-Anbindungsleitungen und Bürgerproteste gegen geplante Projekte. So forderten sie zur Garantierendite einen Energiewendeoder Wagniszuschlag, der aber abschlägig beschieden wurde. Dennoch steigen die Netzentgelte jährlich. Sie werden die dynamischste Position auf der Stromrechnung sein, während in den nächsten Jahren die EEG-Umlage auf hohem Niveau stagnieren wird.

Eine staatliche deutsche Netzgesellschaft, wie Jürgen Trittin einst forderte, wäre im Rahmen der Regulierung der Strommärkte und des Unbundlings (der Trennung von Erzeugern und Netzbetreibern) vom Ansatz womöglich die bessere Lösung gewesen, wenngleich es mit der Deutschen Bahn und diversen staatlich gemanagten Großvorhaben abschreckende Beispiele politischen Unvermögens im wirtschaftlichen Raum gibt.

Der Chor der Dezentralisierungsfetischisten fährt unterdessen fort, den geplanten Netzausbau für überzogen zu erklären. Vor allem politische Wissenschaftler – wie beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) – sehen ihre Aufgabe darin, am grünen Tisch Kohleausstiegsszenarien zu schneidern. Weil in den Netzen auch Kohlestrom fließt, wird der geplante Netzausbau gleich mit in Frage gestellt. Professor Christian von Hirschhausen hält den ermittelten Netzausbaubedarf für überzogen und meint, Engpässe in der Versorgung seien hinzunehmen und »Rückkopplungen« mit den Verbrauchern herzustellen. Im Klartext meint er damit, Verbrauch aktiv zu steuern und begründet dies in einem Interview mit der Lausitzer Rundschau1 mit dem bildhaften Vergleich, dass Verkehrsflüsse auch durch Ampeln geregelt würden. Diese stünden dann halt manchmal auf Rot. Das Thema Versorgungssicherheit und der Komfortanspruch der Kunden, jederzeit Strom nach Bedarf ziehen zu können, müsste dann neu überdacht werden. Dann zieht er noch den schrägen Vergleich zu einer Autobahn, auf der ja auch manchmal Stau sei und man damit leben könne. Der Stau im Stromnetz nennt sich allerdings Blackout.

Die Realitäten sprechen unterdessen für sich: Von 2016 bis 2019 wurden durch den Neubau der Südwestkuppelleitung von Altenfeld in Thüringen nach Redwitz in Bayern über 700 Millionen Euro an Systemkosten eingespart.2

Aus den Augen, aus dem Sinn

2014 setzte Horst Seehofer bei Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel für sechs der Bayern betreffenden Leitungsprojekte eine teilweise Erdverkabelung durch und erreichte zunächst die Besänftigung seiner bayerischen Wutbürger. Diese Stromautobahnen sollen als Hochspannungs-Gleichstromübertragungsleitung (HGÜ) gebaut werden, denn Drehstrom-Erdkabel (AC-Kabel) gelten als technisch noch unreif und aufgrund der nötigen Blindleistungskompensation als sehr teuer. Zudem wären mindestens vier Kabel nötig, während beim Gleichstrom zwei ausreichen. Die Vorteile der Erdverlegung von Gleichstromkabeln sind die Wetterunabhängigkeit und der geringere Leitungsverlust über lange Strecken durch die fehlende Blindleistung. Nachteilig wiederum ist der Isolationsaufwand. Bildet bei Freileitungen die umgebende Luft den Isolator, müssen Erdkabel ummantelt werden. Dies geschieht durch vernetztes Polyethylen (VPE), welches wie alle Kunststoffe einer Alterung unterliegt. Angaben zur Haltbarkeit aus Praxiserfahrungen gibt es noch nicht, man geht von 40 Jahren Haltbarkeit aus, während Freileitungen 80 bis 100 Jahre erleben sollten inklusive eines Wechsels der Leiterseile, was problemlos möglich ist. Es gibt noch mehr Nachteile im Untergrund.

Da sind zunächst die etwa achtfachen Kosten zu nennen, die über 40 Jahre abgeschrieben werden. Der Kilometerpreis wird durch Konverterstationen, Muffen und Unterquerungen von Straßen, Bahnlinien und Flüssen hochgetrieben. Alle Stromkunden zahlen das über die Netzentgelte. Da diese ab 2023 bundesweit gewälzt werden, dürfen dann auch diejenigen Kunden zahlen, in deren Versorgungsgebiet keine Erdkabel liegen. Selbst die Kunden in den östlichen Bundesländern, die bisher infolge geringerer Bevölkerungsdichte und höherem Ausbaubedarf durch Ökostrom die höchsten Netzentgelte zahlten, werden dann nicht entlastet, sondern zahlen für die teuren Nord-Süd-Trassen im Westen mit. Auch die Bewohner der in dieser Hinsicht preisgünstigeren Ballungsgebiete werden betroffen sein.

Die HGÜ-Kabel erfordern aufwendige und große Konverterstationen als Verbindungen zum Drehstromnetz. Die Erdkabel selbst sind Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, an deren Anfang und Ende besagte Umwandlungsstationen stehen müssen. Abzweigungen entlang der Strecke, autobahntechnisch gesagt: Auf- und Abfahrten – gibt es nicht. Deshalb sind unterwegs, wie in Osterath bei Düsseldorf, Konverterstationen notwendig, um durch die Verbindung mit dem Drehstromnetz die Ausregelung des volatilen Windstroms möglich zu machen. Welche Kraftwerke das dann konkret leisten sollen, ist angesichts des Kohleausstiegspfads noch unklar.

Die gegen die Freileitungstrassen protestierenden Anwohner lehnten sich nach dem Bekenntnis zum Erdkabel zunächst in der Annahme zurück, dass Leitungen unter der Erde keine Auswirkungen haben würden. Als aber bekannt wurde, welch großen Eingriff in die Landschaft die Erdkabelverlegung mitbringt, rollten sie die Transparente nach und nach wieder aus. Zum Bau einer Trasse ist eine 42 Meter breite Schneise erforderlich – breiter als eine sechsspurige Autobahn.

Nach Fertigstellung dürfen die Landbesitzer einen 22 Meter breiten Schutzstreifen nur noch eingeschränkt nutzen, weil die Trasse im Schadensfall frei zugänglich sein muss. Wie die Erdkabel das Wachstum der Pflanzen durch ihre Wärmeentwicklung mit folgender Austrocknung des Bodens auf Dauer beeinflussen, ist noch unklar. Vermutlich werden dann getrocknete Streifen in mehrfacher Ausführung das Land durchziehen analog dem geharkten Todesstreifen an der früheren innerdeutschen Grenze. In Aussicht darauf forderten Landwirte schon laufende Zahlungen ein, die unter dem Begriff »Strom-Maut« durch die Presse gingen.

Da die Kabelrollen nur endliche Längen aufnehmen, sind Muffen samt Zugangsgebäude notwendig, die etwa in 1000 Meter Abstand gebaut werden müssen, um den ständigen Zugang möglich zu machen. Dies ist erforderlich, weil die Muffen einerseits selbst Schwachpunkte im System sind und von ihnen aus andererseits die Kabel bei eventuellen Fehlern durchgemessen werden können.

Die Behebung eventueller Kabelschäden an der vergrabenen Leitung dürfte Wochen dauern im Gegensatz zu Stunden oder wenigen Tagen bei Reparaturen an Freileitungen. Betriebserfahrungen mit HGÜ-Erdkabeln liegen nur aus dem Betrieb über kurze Distanzen oder Teststrecken vor.

Der Netzausbau durch Erdkabel stellt eine der grundlegenden Sicherheitserwägungen in Frage: die sogenannte n-1-Sicherheit. Diese besagt, dass bei Ausfall einer Leitung oder eines Netzelements – zum Beispiel eines Transformators – die hundertprozentige Versorgung aller Verbraucher durch Umgehungen gesichert bleiben muss. Sollte nun künftig eine der großen Nord-Süd-Leitungen wie die »SuedLink« ausfallen, dürfte es schwierig sein, dies angesichts der großen Distanz über das Drehstromnetz auszugleichen. Aus Kostengründen wird die Aufweichung des n-1-Kriteriums diskutiert und dann womöglich diese Versorgungssicherheit, die eine Redundanz im Schadensfall garantiert, aufgegeben. Bereits heute ist in bestimmten Netzregionen die n-1-Sicherheit für viele Stunden des Jahres nicht mehr gegeben.

Da staatlicherseits die Koordination zwischen Zubau von regenerativen Energien und dem Netzausbau nicht funktioniert (einen »katastrophalen Verzug« beim Netzausbau beklagte selbst der dafür zuständige Wirtschaftsminister Peter Altmaier), sucht sich der Strom andere Wege. So kommt es zu Ringflüssen von der vorpommerschen Ostseeküste über Polen und Tschechien nach Bayern und von der Nordseeküste über die Niederlande, Belgien und Frankreich nach Baden-Württemberg. Seitdem sich die Nachbarn mit Phasenschiebertransformatoren gegen diesen ungewollten Transit wehren, wird der Regelbedarf größer.

Netzberechnungen sind äußerst komplex und nur durch Spezialisten seriös zu erledigen. Deshalb wundert es, wenn Bürgerinitiativen, Politiker und politische Wissenschaftler rundweg behaupten, der Netzausbau sei in dieser Form nicht notwendig. Patienten beim Arzt vertrauen in der Regel auf dessen Diagnose und die vorgeschlagene Behandlung. Der Mediziner ist nun mal der Spezialist. Wenn Spezialisten aber komplexe Infrastrukturfragen mithilfe höherer Mathematik bearbeiten, glauben plötzlich jede Menge Leute, es besser zu wissen. Dabei kennen die meisten die Steckdose nur von vorn.

Die Diskussion wird um das Thema Elektrosmog angereichert. Ohne dies gänzlich in Abrede stellen zu wollen: Das Magnetfeld der Kabel nimmt in Potenz mit der Entfernung ab. Bis zum Erdboden ist diese Distanz bei der Freileitung größer als beim Erdkabel.

So bleibt es beim öffentlichen Widerstand, von dem Jürgen Trittin noch 2013 behauptete, der Bürgerprotest gegen den Netzausbau sei ein Märchen aus dem Hause Rösler3, dem damaligen Wirtschaftsminister. Später musste er mit ansehen, wie sich die grünen Umweltministerinnen Priska Hinz (Hessen) und Anja Siegesmund (Thüringen) die Sued-Link-Trasse gegenseitig ins Land schieben wollten. Hessen führte an, dass die geologischen Verhältnisse in Thüringen günstiger seien, Thüringen bestand auf dem kürzesten Weg, der durch Hessen führt. Zudem würde die Trasse zweimal das Grüne Band entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze durchschneiden sowie die Rhön und den Thüringer Wald tangieren. Soviel Rücksichtnahme auf die Natur liegt in Thüringen aber nur partiell vor, denn im rot-rotgrünen Koalitionsvertrag von 2014 plante man den Ausbau der Windkraft auf das Dreifache, natürlich auch in Wäldern. Während in vielen Passagen die Bürgerbeteiligung hervorgehoben wurde, war diese beim sogenannten »Windenergieerlass« nicht vorgesehen. Im temporär verhinderten Koalitionsvertrag von 2020 sollte das Ziel gelten, sich bis 2040 zu 100 Prozent »erneuerbar« zu versorgen. Wozu dann eine Leitung für andere durchs Land?

Da stehen die Hessen nicht nach und forcieren den Windkraftausbau in den Wäldern. Nur die systemsichernden Kabel für sich und Süddeutschland wollen beide nicht. Während die Grünen-Bundesspitze täglich kurz vor der Weltrettung steht, dilettiert ihre subalterne LänderministerInnenriege an der Energiewende herum und bekommt praktische Probleme nicht gelöst. Das ist weder mutig noch wird daraus Zukunft gemacht. Durch den Einspruch des Bundeslandes Thüringen vor dem Bundesverwaltungsgericht wird die Stromautobahn SuedLink voraussichtlich erst später fertig sein, als zuletzt für 2025 geplant.4

Inzwischen meldet sich der BUND wieder zu Wort und stellt die gesamte Nord-Süd-Verbindung wegen für die Zukunft geplanter »Dezentralisierung« der Versorgung wieder in Frage. Nochmal zur Erinnerung: Offshore-Windenergie ist das krasse Gegenteil einer dezentralisierten Energieversorgung.

Wenn Ende 2022 letztmalig die Regelstäbe in die Reaktoren von Isar 2 und Neckarwestheim eingefahren werden, wird an SuedLink noch gebuddelt werden. Ob dann 2025 schon Strom fließt, ist fraglich. Bürgerinitiativen sind einem zügigen Stromautobahnbau abträglich. Die Planung und der Bau der großen Konverterstation mit einem Flächenbedarf von 36 Hektar in Osterrath wurde von heftigen Protesten begleitet.

Zur Besänftigung der Erdkabelgegner nimmt die Bundesregierung viel Geld in die Hand, um bis 2023 feststellen zu lassen, dass die Magnetfelder keine Gefahr für die Anwohner darstellen. Während Netzbetreiber Tennet nüchtern mitteilt, dass selbst in unmittelbarer Nähe eines HGÜ-Kabels ein magnetisches Feld von etwa 45 Mikrotesla auftritt – etwa in Höhe des Erdmagnetfeldes – kennt die Regierung die Befindlichkeiten ihrer mit Atom-, Klima- und Stromphobie ausreichend versorgten Bevölkerung genau. Sie hat ja selbst dafür gesorgt.

Die Südzone

Das Gebiet südlich der Mainlinie wird vermutlich zuerst vom nachhängenden Netzausbau in Verbindung mit den geplanten Kraftwerksabschaltungen betroffen sein. Früher nahm die Ostzone eine Sonderstellung ein. Als Sinnbild des Mangels, eingeschränkter Freiheit und eines ineffektiven Wirtschaftssystems war der Versuch, ein neues Gesellschaftssystem zu etablieren, ein am Ende gescheitertes Experiment. Nunmehr wird die Südzone Bestandteil eines Experiments. Die neue Demarkationslinie wird nicht bewacht, sie definiert sich über das Höchstspannungsnetz und weist dem Gebiet eine besondere Stellung zu. Praktisch wird ausgetestet, wie viele Kraftwerke abgeschaltet werden können, ohne dass die Weißwurst kalt bleibt, bei Daimler nicht mehr geschafft werden kann oder die Seilbahn zur Zugspitze nicht mehr fährt.

Die absehbare Situation ist von einigem Ernst, sodass die Uni Stuttgart und das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.) im Auftrag des baden-württembergischen Umweltministeriums im Dezember 2018 zum wiederholten Mal eine Studie5 vorlegte, die schon die betreffende Frage im Titel trägt: »Versorgungssicherheit in Süddeutschland bis 2025 – sichere Nachfragedeckung auch in Extremsituationen?« Alle Leistungsbilanzen wurden betrachtet, auch in den Nachbarländern und auch die »aufgetretenen Schwierigkeiten mit der Systemsicherheit im Januar 2017«. Zwei Varianten wurden untersucht: sowohl die mit als auch die ohne beschleunigten Kohleausstieg. Nach den Festlegungen im Kohleausstiegsgesetz dürfte wohl nur noch die Variante des schnellen Abschaltens zum Tragen kommen.

Ganz kurz zusammengefasst heißt das Ergebnis, dass »2025 für die Deckung der Nachfrage ausreichende Erzeugungskapazitäten vorhanden sind«. Die wichtige Ergänzung lautet: »Allerdings ist Deutschland dann in deutlichem Umfang auf Importleistung aus den Nachbarländern angewiesen« und seine Kapazitätsreserven würden aufgebraucht. Diese sollen eigentlich eine zusätzliche Sicherheit bei unvorhergesehenen Entwicklungen bilden. Risiken für besonders kritische Zustände würden steigen.

Im Vergleich zu einer Vorgängerstudie würde durch den längeren Weiterbetrieb von Kraftwerken im Ausland – insbesondere in Frankreich und Polen – mehr Leistung zur Verfügung stehen. Im Klartext bedeutet das, dass der Weiterbetrieb der Altanlagen im benachbarten Ausland die Abschaltung zum Teil modernerer deutscher Anlagen erst ermöglicht. Wer in bewährter deutscher Nabelschau nur die nationale Emissionsbilanz sieht, wird das dennoch begrüßen. Im 60-seitigen Text der Studie kommt der Begriff »Import« immerhin 44-mal vor.

Ausgehend von der nüchternen Feststellung, dass die Südzone mit den dort am Markt agierenden Kraftwerken bereits heute ein Bilanzdefizit vorweise, rechneten die Wissenschaftler die Kapazitäten aus. Dabei werden die über die Bundesnetzagentur gebundenen Reservekraftwerke für die Versorgungssicherheit berücksichtigt. Das sind weiterhin zwei Gigawatt aus der Kapazitätsreserve sowie auch insgesamt 2,7 Gigawatt aus den Braunkohlekraftwerken, die politisch erzwungen in die »Sicherheitsbereitschaft« gestellt wurden. Die Leistung aller Pumpspeicherwerke wurde ebenso mit verfrühstückt, wenngleich sie nur zeitweise zur Verfügung steht.

Für den Winter 2022/23 stellt die Bundesnetzagentur einen Bedarf an Reservekraftwerksleistung von 10 647 Megawatt fest. Das ist deutlich mehr als die 8000 Megawatt, die die 2020 noch laufenden Kernkraftwerke ins Netz schieben können. Es ist auch ein deutlicher Hinweis darauf, dass die regenerativen Energieerzeuger die wegfallende Kernkraft nicht oder nur manchmal werden ersetzen können. Die Reservekraftwerke sind künstlich beatmete Altanlagen, die ihre Kosten am Markt nicht mehr verdienen können. Selbst die neueren Kraftwerke wie Irsching blieben bisher meist durch zu hohe Gaspreise kalt und können – begünstigt durch niedrige Gaspreise und gestiegene CO2-Zertifikatepreise – erst jetzt wieder am Markt agieren. Diese Kraftwerksreserve wird über die Netzentgelte finanziert, die dann mit der Mehrwertsteuer »veredelt« auf den Stromrechnungen von Bürgern und Firmen landen. Dennoch ist das Geld für den Bereitschaftszustand laut Betreiber nicht ausreichend, die Kosten zu decken. Bisher kann die Bundesnetzagentur diesen Zustand erzwingen. Ob sich dies mit dem grundgesetzlich verankerten Eigentumsrecht vereinbaren lässt, ist offen. Kein Unternehmer kann im Grunde gezwungen werden, eine defizitäre Anlage weiter zu betreiben oder in Bereitschaft zu halten.

Vollgas statt Atom

Für den absoluten Notfall sollen künftig Anlagen vorgehalten werden, die offiziell nicht Kraftwerke heißen dürfen, sondern als »Netzstabilitätsanlagen« beziehungsweise »besondere netztechnische Betriebsmittel« bezeichnet werden. Grund der sprachlichen Verrenkung ist die EU-Vorgabe des Unbundlings, wonach Netzbetreiber keine Erzeugungsanlagen besitzen dürfen. Praktisch sind diese Stabilitätsanlagen meist Gaskraftwerke mit hohen Betriebskosten. Sie sollen nur wenige Stunden im Jahr laufen. Wie viele das sein werden, kann freilich niemand seriös sagen. Von technologischer Seite betrachtet sind dies offene Gasturbinenanlagen, die 500 Grad heißes Abgas ungenutzt in die Atmosphäre jagen. Eine Anlage in Marbach wird mit leichtem Heizöl betrieben werden. Manchmal kehrt trotz des Erneuerbaren-Hypes die Vergangenheit zurück.

Der Begriff Notfall ist ohnehin interpretierbar. Die Next Kraftwerke GmbH vernetzt Kraftwerke und wirbt damit, Notstromaggregate als Einnahmequelle zu nutzen und zu vermarkten: Gehen wir einmal davon aus, dass zum Beispiel Krankenhäuser bei einem echten Notfall ihre autarke Versorgung dann trotzdem beherrschen können und auch noch genug Diesel da ist.

Ohne diese Reserven anzugreifen, blieben für die Südzone laut Studie insgesamt bis zu 16 Gigawatt an Importbedarf (bei insgesamt etwa 20 Gigawatt deutscher Leitungskapazität der Interkonnektoren, der grenzüberschreitenden Verbindungen). Optimistisch wird angenommen, dass die Nachbarländer diese Leistung auch zur Verfügung stellen werden. Abstimmungen oder Verhandlungen zur Sicherung dieser Lieferungen seien bislang nicht geführt worden, Verträge existieren nicht.

Obgleich unsere Regierung für jegliche Fragen nach EU-weiten Lösungen ruft, bleibt sie an dieser Stelle merkwürdig passiv. Mit Italien gibt es bereits einen Netto-Stromimporteur, der auch beliefert werden will. Die fluktuierenden »Erneuerbaren« werden in der Studie mit Leistungen zwischen 2,4 und 77,0 Gigawatt kalkuliert, was im Grunde keinen Beitrag zur Versorgungssicherheit darstellt. Wenn dennoch ständig von der Windenergie als der »Säule« des künftigen Systems gesprochen wird, ist das Euphemismus höherer Potenz.

Unterdessen fehlen nach der Abschaltung von Philippsburg 2 Ende 2019 ganze 13 Prozent der Stromerzeugung in Baden-Württemberg. Auf besorgte Nachfrage antwortete der grüne Umweltminister Franz Untersteller, dass die Versorgung durch Importe, Netzausbau und Erneuerbare trotzdem gesichert werde.6 Auch in dieser Reihenfolge sagte er die Punkte an, denn importieren kann man sofort, während der Netzausbau, der dann dem Binnenimport aus Deutschland dient, und der weitere Ausbau der Regenerativen erst noch erledigt werden muss.

Wer liefert?

Welche Kraftwerke werden für die Versorgung der Südzone besonders wichtig sein?

Das sind zunächst die für den innerdeutschen Export in diese Zone. NRW stellt mit den großen Braunkohlekraftwerken in Niederaußem, Neurath, Weisweiler und Frimmersdorf noch eine Hochburg der Stromerzeugung dar. Der »Abschaltplan Braunkohle« gibt jedoch auch für Mitteldeutschland und die Lausitz den Sinkflug vor, von wo über die Südwestkuppelleitung und weitere drei Ost-West-Verbindungen schon heute permanent Strom in die »alten« Bundesländer geliefert wird.

Aus östlicher Richtung liefert das Kernkraftwerk Temelin, das seit 2000 in Betrieb ist. Es liegt knapp 60 Kilometer von der bayerisch-tschechischen Grenze entfernt und wird von bayerischen sowie österreichischen Atomgegnern gleichermaßen als »Pannenreaktor« verteufelt. Bei der Erstinbetriebnahme gab es Probleme mit der Turbine, was zu häufigen Abschaltungen führte, aber keinen Zusammenhang mit dem Reaktorbetrieb hatte. Inzwischen denken die Tschechen über einen weiteren Neubau ab 2030 nach, was auch wegen des absehbaren Mangels auf der bayerischen Seite einen guten Grund hat. Für das weiter östlich gelegene Kernkraftwerk Dukovany ist das Planfeststellungsverfahren zum Ausbau beendet, man bereitet die Ausschreibungen vor. Die Braunkohlevorräte im böhmischen Becken neigen sich dem Ende zu. Auch im slowakischen KKW-Standort Mochovce stehen Erweiterungsinvestitionen an.

Nur sechs Kilometer südlich der baden-württembergischen Grenze steht im Kanton Aargau das Kernkraftwerk Beznau, das seit 1969 in Betrieb und damit eines der ältesten der Welt ist. Es druckt fleißig Franken für die Eidgenossen, künftig vermutlich mehr denn je. Das eidgenössische Kernkraftwerk Leibstadt von 1984 dampft am Rhein gegenüber von Dogern in Baden. Mit dem KKW Mühleberg bei Bern ging Ende 2019 ein Erzeuger aus Altersgründen vom Netz. Generell wird die Schweiz in Zukunft eine zunehmende Rolle im zentraleuropäischen Bereich spielen. Sie ist wie kein anderes Land an 41 Punkten mit den Netzen der Nachbarländer verbunden und bewältigt maßgeblich den Transport von Nord- nach Südeuropa, dessen Richtung sich in den nächsten Jahren umkehren könnte.

Direkt am westlichen Rheinufer stellte der Oldtimer in Fessenheim 2020 seine Tätigkeit zum Verdruss der Menschen in der Region ein. Auch diese Stilllegung tangiert Süddeutschland durch ein verringertes Stromangebot.

Weiter nördlich, zwölf Kilometer westlich der saarländischen Grenze, spaltet das Kernkraftwerk Cattenom seit 1986 weiter unverdrossen die Atomkerne. Es soll noch bis Ende der 2040er-Jahre laufen. Wie lange die belgischen Reaktoren in Tihange und Doel noch laufen werden, ist ungewiss. Sie liegen zwar auf der Höhe von Aachen und damit entfernter von der Zone, haben aber ebenfalls Einfluss auf die Bilanzen des Großraums. Eine Laufzeitverlängerung ist angesichts knapper belgischer Binnenversorgung in Diskussion, obwohl Ausstiegstermine festgelegt sind. Für diesen Fall hatte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet den Belgiern noch 2017 rheinischen Braunkohlestrom angeboten.7 Daraus wird wohl nun nichts mehr werden. Als Ergebnis mangelnder Selbstreflexion beschuldigte er zwei Jahre später die Umweltverbände, durch den Kampf gegen die Kernkraft sinkende CO2-Emissionen zu verhindern.8 Wer regiert eigentlich das Land?

Dass es auf dem Strombasar knapp werden könnte, schwant nun auch Politikern im Kanzlerinnengefolge. Keck strecken sie den Finger in die Luft. Der energiepolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Joachim Pfeiffer, »erwärme« sich für die Kernkraft, schrieb n-tv.9 Wer jetzt denkt, er würde sich für eine Revision der Entscheidung von 2011 erwärmen und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorbereiten, geht allerdings fehl. Originalton:

»Wenn es jetzt aber darum geht, aus Klimaschutzgründen wieder in die Kernenergie einzusteigen, muss die Initiative dazu von den Grünen und Linken ausgehen.«

Das ist ein zweifellos interessanter Versuch, den Schwarzen Peter der Opposition zuzuschieben, um einen eigenen eklatanten energiepolitischen Fehler zu kaschieren. Als Profi weiß er, dass es einen solchen Vorstoß von Linken oder Grünen nie geben wird. Die Linken stimmten 2011 gegen die Änderung des Atomgesetzes, weil ihnen der Ausstieg zu langsam ging. Sie werden mit einer 180-Grad-Wende nicht ihre damalige Fehleinschätzung offenlegen. Für die Grünen gehört der Atomausstieg zur DNA, es ist ihr Gründungsmythos. Sie werden ihre Parteigeschichte nicht verraten und ihre guten Umfragewerte aufs Spiel setzen, indem sie die Frontkämpferveteranen vor den Kopf stoßen, die vor Wackersdorf im Dreck lagen.

Es ist eine opportunistische Scheinerwärmung von Pfeiffer. Er bringt sich damit in Stellung für künftige Zeiten, um seine Rolle im Desaster relativieren zu können.

Kanzlerin Angela Merkel wird auf den letzten Metern ihrer verlöschenden Kanzlerschaft energiepolitisch nicht mehr handeln. Damit ist kein weiterer Purzelbaum nach der Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke, also dem Ausstieg aus dem Ausstieg und dem folgenden Doch-Ausstieg zu erwarten. Dazu äußern wird sie sich auch nicht mehr. Es könnte Kritik zur Folge haben, im schlimmsten Falle Selbstkritik und das Eingeständnis von Fehlern. Das ist nicht ihre Wesensart.

Deutschland verteufelt die Kernkraft, nimmt aber gern den Strom. Wir verzichten auf die Wertschöpfung eigener Anlagen, teilen aber das Restrisiko des Betriebes grenznaher Kernkraftwerke. In jedem Fall hoffen wir auf ausreichenden Import, der zum Teil heute schon regelmäßige Praxis ist, wie einige Gaskraftwerke der österreichischen Linz AG zeigen, die 2017 und 2018 für 82 bzw. 100 Tage im deutschen Netz aushalfen.10 In Zeiten der Corona-Pandemie 2020 und geringen Bedarfs war zu beobachten, wie sich mit dem Sonnenuntergang der deutsche Export auflöste und gleitend der Import einsetzte. Dieser stammte überwiegend aus französischen Kernkraftwerken.

Geld spielt keine Rolle

In der Studie wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man keine Kostenbetrachtung anstellte. Jede Schwächung der Angebotsseite wird zwangsläufig zu höheren Marktpreisen führen; Zahlen anzugeben wäre aufgrund vieler Unwägbarkeiten blanke Spekulation. Aussagen von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), steigende Preise werde es nicht geben oder die Absicht des Wirtschaftsministers Peter Altmaier (CDU), man könne sie durch Steuergeld abfedern, entspringen erkennbar einem Wunschdenken.

Als Folge der deutschnationalen Abschaltpolitik sind Spannungen mit unseren Nachbarn zu erwarten, die ihre eigene Versorgung natürlich in den Vordergrund stellen werden. Wie schon die Auflösung der deutsch-österreichischen Strompreiszone und die Differenzen um Nordstream 2 zeigen, ist auf dem Sektor Energie ein Zusammenwachsen in der EU nicht zu erkennen, sondern eher eine Spaltung, die von Deutschland ausgeht. Einig ist man sich nur im Vereinbaren immer niedrigerer Emissionsmengen, womit Deutschland erheblich größere Probleme haben wird als Länder mit hohem Wasserkraft- und Kernkraftanteil und weniger Industrie.

Politisch und medial scheint der Atomausstieg erledigt. Praktisch ist er es nicht. Im Jahr 2019 wurden noch 75 Terawattstunden (TWh) Atomstrom produziert. Ins Verhältnis gesetzt zu den 125 TWh11 Windstrom würde der Ersatz des wegfallenden Atomstroms durch Windkraft den zusätzlichen Betrieb von etwa 18 000 Windkraftanlagen erfordern – im jährlichen Durchschnitt und ohne Betrachtung zeitpunktgerechter Produktion. Dadurch würde keine einzige Kilowattstunde Kohlestrom ersetzt.

Die »Energiewende« wird kein Exportmodell sein, wenn sie darauf fußt, dass wir uns nicht mehr selbst versorgen können und Nachbarländer ihre konventionellen Kraftwerke länger laufen lassen müssen, um sich und den »Vorreiter« abzusichern. Zum Glück gibt es das Netz aus Drähten, das uns hoffentlich weiter sicher versorgt, egal, wo der Strom herkommt.

KEIN LEBEN OHNE GLEICHGEWICHT

Wer aus dem Gleichgewicht kommt, fällt um. Im Stromnetz ist das Gleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch von existenzieller Bedeutung. Die Möglichkeiten der Stromspeicherung sind begrenzt und im Bezug auf unser Gesamtsystem nur marginal vorhanden. Sowohl Mangel als auch Überschuss können das System kollabieren lassen. Der Begriff der Überproduktion im Sinne einer zu großen Strommenge würde innerhalb kürzester Zeit zu Überfrequenz und damit zum Netzkollaps führen. Der Vorwurf der Überproduktion von Strom ist physikalischer Unfug und bezieht sich auf die Exporte im Rahmen des europäisch liberalisierten Strommarktes. Damit wird es ohnehin an wind- und sonnenschwachen Tagen bald vorbei sein.

Wer zu spät kommt, wird zum Glück nicht immer vom Leben bestraft. Wenn man zu spät zum Arbeitsplatz kommt, kann es auch am Wecker gelegen haben. Ein kurzer Stromausfall nachts könnte die Uhr auf null gestellt haben oder eine länger anhaltende Unterfrequenz ließ ihn langsamer laufen, obwohl wir heute immer noch eine ausgezeichnete Netzfrequenz genießen (in Echtzeit sichtbar zum Beispiel unter www.netzfrequenz.info/regelleistung). Die Abweichungen bewegen sich meist nur im Bereich von Hundertstel von Hertz, dennoch handelt es sich um ein durchaus fragiles System.

Deutschlands Stromnetz ist in das übergreifende ENTSO-E-Netz eingebunden, das den Drehstrom von der polnischen und türkischen Ostgrenze bis nach Portugal, von der dänischen Nordspitze bis nach Sizilien verbindet. Über Gleichstromkabel sind auch Skandinavien, Großbritannien, Malta und andere Inseln angeschlossen. Insgesamt 36 Länder sind auf diese Weise verbunden und geben die Sicherheit, sich bei Engpässen oder Störungen gegenseitig helfen zu können.

Schaut auf diese Stadt

Dennoch kann es zu Abweichungen von der Sollfrequenz kommen, was zu ungenauer Netzzeit für die direkt gekoppelten Uhren sorgt. Es hatte seinen Grund, dass in der späten DDR keine netzgesteuerten Uhren in Wecker oder Elektrogeräte eingebaut wurden, sondern nur Quarzuhren. Die damals meistens unterhalb von 50 Hertz liegende Frequenz hätte für nachgehende Uhren gesorgt.

Die Stromgeschichte Berlins ist eine besondere: Siemens & Halske, die AEG und andere prägten als Arbeitgeber der Elektroindustrie die aufstrebende Stadt des 20. Jahrhunderts und trieben die Entwicklung voran. Walther Rathenau ließ am Gendarmenmarkt das erste öffentliche Kraftwerk bauen, das am 13. September 1884 in Betrieb ging, im Umkreis von zwei Kilometern für Straßenbeleuchtung sorgte und einigen Haushalten elektrische Beleuchtung ermöglichte.

Später entstand die BEWAG als geradezu legendärer Versorger der Stadt. Ein Arbeitsplatz bei diesem Unternehmen brachte beamtenähnlichen Status und ebensolche Sicherheit. 1989 galt die BEWAG als eines der Energieunternehmen der alten Bundesrepublik mit den höchsten Gehältern und den üppigsten Sozialleistungen. Nach dem Mauerfall und der Fusion mit der benachbarten EBAG raunten die neuen Ost-Kollegen, dass es den Sozialismus wohl doch gegeben habe – hinter der Mauer.

Vorher hatten Kriegszeiten und Teilung schlimme Spuren hinterlassen. Nachdem die größten Trümmer beiseite geräumt waren, eskalierte der Kalte Krieg und die Sowjets schalteten den Westteil der Stadt am 5. März 1952 unter einem fadenscheinigen Vorwand schwarz. Unter großen Anstrengungen entstanden neue Kraftwerke und ein Inselnetz, was für die besonderen Anforderungen großer Lastschwankungen ausgelegt wurde. Auch Großbatterien kamen dabei zum Einsatz, was von manchen heute als neue Idee angepriesen wird.

Als sichtbares Zeichen der Teilung zerschnitt das helle Band der Mauerbeleuchtung die Stadt. Selbst in den dunklen Tagen der Jahreswende 1978/79, als ein Schneesturm und große Kälte die Braunkohlewirtschaft der DDR zum Erliegen brachte, blieb der »antifaschistische Schutzwall« unter voller Bühnenbeleuchtung. Möglich machte dies das Kernkraftwerk in Greifswald, das zwar von der Außenwelt abgeschnitten war, aber mit voller Leistung weiterlief. Der Strom war knapp und fast das ganze Land dunkel – die Mauer lag im Licht. Der damalige Oberschichtleiter im Kernkraftwerk, Manfred Haferburg, ärgert sich noch heute darüber, dass er selbst dafür sorgte. Später saß er als kritischer Geist und Fluchtversuchender im Stasi-Knast. Empfehlenswert ist sein autobiografischer Roman Wohn-Haft.

Nach der Wiedervereinigung blieb es bis 1992 bei den getrennten Netzen, bis eine Leitung vom Osten durchgeschaltet wurde, um den steigenden Bedarf im Westteil zu sichern. Mit dem Strom aus dem Osten bekamen die Westberliner auch die schlechtere Netzfrequenz. Wecker wurden wegen Ungenauigkeit reklamiert, elektrische Zeitschaltuhren brauchten manuelle Hilfe. Es dauerte bis zum 7. Dezember 1994, bis eine neue 380-Kilovolt-Leitung von Helmstedt nach Berlin in Betrieb ging und der ganzen Stadt den Weststrom brachte. Die innerdeutsche Stromwiedervereinigung erfolgte dann am 8. September 1995; kurz danach kamen Polen, Tschechien und Ungarn dazu.

Aber auch heutzutage kann es zu nachhängender Netzzeit, also länger andauernder Unterfrequenz kommen. Im ersten Quartal 2018 liefen so fast sechs Minuten Zeitverzug auf. Ursache waren politische Differenzen zwischen Serbien und dem Kosovo bezüglich der Lieferung von Regelleistung. Der Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) besitzt keine Weisungsbefugnis und konnte nur versuchen zu vermitteln. Über eine Fahrweise mit leichter Überfrequenz versucht man in solchen Fällen, die Uhren danach wieder in die Echtzeit zu bringen.

»Auf jedem Schiff, das dampft und segelt …«

… gibt’s einen, der die Sache regelt«, sprach Guido Westerwelle von sich als frisch gewähltem FDP-Vorsitzenden im Jahr 2001. Das gilt ebenso für eine funktionierende Strominfrastruktur, in der man nicht wie in einer Kommune lange diskutieren und dann abstimmen oder in einem Plenum alle anhören kann. Die magischen 50 Hertz verzeihen keinen Fehler, der das Gleichgewicht deutlich stört. Die einzelnen Elemente des Systems rebellieren über ihren Aggregateschutz gegen eine Über- oder Unterschreitung von Frequenz oder Spannung. Das tun sie automatisch und damit in einer Geschwindigkeit, die manuelles Handeln überfordert. Dementsprechend erfolgen wesentliche Teile der Netzregelung vollautomatisch.

Hier ist beispielhaft der Verlauf der Netzfrequenz über etwa zwei Minuten dargestellt (untere Linie). Sie schwankt leicht um die Sollmarke von 50 Hertz, was kein Grund zur Sorge ist. Störgrößen wie höhere Last, Ausfall eines Kraftwerks oder Änderung der Windgeschwindigkeit und damit Änderung der Windstromeinspeisung müssen ausgeregelt werden. Zum kurzfristigen Ausgleich dienen die Primär- und die Sekundärregelungen der Kraftwerke, zu denen diese gegenüber dem Netzbetreiber vertraglich verpflichtet werden. Im Bild ist die abgerufene Primärregelleistung an der zweiten Zahl (142) und der roten Linie zu sehen. Diese Leistung kann auch negativ sein, wenn heruntergeregelt werden muss.

Screenshot www.netzfrequenz.info/regelleistung

Die Primärregelung ist sozusagen der erste Wächter über die Netzfrequenz. Sie ist in Dampfkraftwerken relativ leicht realisierbar, da die Turbogeneratorsätze diese Regelung mit ihren natürlichen Kennlinien schon erfüllen. Sinkt die Frequenz, dann steigt die Leistung. Die Turbinenregelung arbeitet bei fester Leistungsvorgabe gegenläufig und fährt im Normalfall auf die vorgegebene Leistung zurück, wenn kein Anteil an Primärregelleistung vorgegeben wurde. Je nach Leistungsfähigkeit und Regelbarkeit der Anlage kann natürlich nur ein kleiner Teil der verfügbaren Leistung zur Primärregelung freigegeben werden. Zum Beispiel liegt dieser Anteil bei einem 500-Megawatt-Block bei maximal 25 Megawatt.

Die Primärregelung ist nur der erste Ausputzer. Am folgenden Bild kann man erkennen, was bei einem größeren Frequenzeinbruch, zum Beispiel nach dem Ausfall eines großen Kraftwerks, passieren würde.

Im oberen Diagramm ist ein Frequenzeinbruch dargestellt, der durch mehrere Regelungsarten ausgeglichen wird. In den ersten 30 Sekunden nach Ereigniseintritt versucht die Primärregelung einen automatischen Ausgleich. Gelingt dies nicht, tritt die Sekundärregelung in Aktion. Hier gibt ein Regler des Übertragungsnetzbetreibers automatisch einen neuen Leistungssollwert vor und es wird innerhalb eines vereinbarten Rahmens geregelt, zum Beispiel wiederum 25 Megawatt je 500-Megawatt-Block. Bleibt auch das innerhalb von 15 Minuten ohne Erfolg, erteilt die Netzleitstelle einen neuen Leistungsbefehl, wonach die Kraftwerke ihren Leistungssollwert erhöhen. Da dieses Leistungskommando (auch Tertiärregelung oder Minutenreserve genannt) meist für längere Zeit besteht, müssen dann meist die Tagesfahrpläne der Kraftwerke geändert werden, was dann als Redispatch bezeichnet wird.

Konventionelle Kraftwerke werden nach Fahrplänen (Dispatch) betrieben, die vom Netzbetreiber bestätigt werden müssen. Kohle- und auch Atomgegner stellen das System gern so dar, dass jeder einspeisen könne, wie er möchte. Das ist Unfug und gilt nur für die Erneuerbaren mit ihrem Einspeisevorrang. Die Konventionellen haben sich dem Netzbetreiber zu unterwerfen und können schon deshalb keine Netze »verstopfen«. Kabel sind keine Rohre. Natürlich ist die Regelfähigkeit – nach unten wie nach oben – begrenzt.

Im Jahr 2017 wurden an 320 von 365 Tagen im Netzbereich der 50Hertz GmbH die Fahrpläne geändert, was vor allem mit nicht eingetretenen Windprognosen zu tun hatte. Da die Windgeschwindigkeit in der dritten Potenz in die elektrische Leistung der Windkraftanlagen eingeht, wirken sich bereits geringe Abweichungen der Windprognose auf die tatsächlich eintretende Einspeisung deutlich aus. Insgesamt gesehen haben wir in Deutschland den planmäßigen Netzbetrieb bereits aufgegeben und arbeiten jetzt in einem operativen Modus.

Im Grunde ist das Stromnetz ein fragiles Gebilde, an dessen Stabilität europaweit einige tausend Menschen rund um die Uhr arbeiten, medial kaum beachtet. Die zu beherrschenden Abweichungen der Frequenz lassen sich anhand der Solldrehzahl der Turbinen bildlich darstellen. Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Aufgabe, die Motordrehzahl ihres Wagens per Gasfuß in einem Bereich von 2998 und 3012 Umdrehungen pro Minute zu halten, auch bergauf und bergab. Diese Grenzen entsprechen den 49,8 und 50,2 Hertz Netzfrequenz, außerhalb derer stabilisierende Maßnahmen wie Lastabwürfe oder Zwangsabschaltungen nötig wären. Der Fuß müsste schon sehr sensibel sein.

Zur Frequenzhaltung ist die Massenträgheit im System hilfreich. Die vielen tausend Tonnen rotierender Massen der mit dem Netz synchronisierten Turbogeneratoren stellen einen riesigen Schwungmassenspeicher dar, der die Mikroschwankungen wegbügelt. Durch zunehmende Einspeisung regenerativen Stroms über Wandler entfällt dieser Effekt. Der Strom wird in Windkraftanlagen oder Fotovoltaikmodulen als Gleichstrom erzeugt und dann über Wandler in eine digitalisierte (stufenartige) Sinuskurve überführt. Den dämpfenden Effekt der Massenträgheit gibt es dabei nicht.

Den meisten Abnehmern des Stroms dürften Mikroschwankungen der Frequenz nicht schaden, wohl reagieren aber empfindliche elektrische Anlagen wie IT-Systeme oder Automatiken. Einige Verbraucher müssen sich Batteriepuffer oder Anlagen zur unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV) zulegen. Die Kosten dafür müssen sie natürlich selbst tragen.

In den letzten fünf Jahren nahmen die Frequenzabweichungen im Energiesystem deutlich zu. Von 2014 bis 2019 verdoppelte sich die Zahl der Abweichungen von mehr als 75 Millihertz (mHz), vermehrt gab es Abweichungen von mindestens 200 mHz. Allein im Januar 2020 wurden 19 Abweichungen von über 100 mHz gemessen. Gleichzeitig stößt die Menge an vorgehaltener Regelenergie an ihre Grenzen.12

Auf der Suche nach dem Halt

Es kann kritische Situationen im Stromnetz geben, bei denen die Maßnahmen eines Übertragungsnetzbetreibers hinsichtlich Regelung und Redispatch nicht ausreichen und nachgelagerte Netzbetreiber helfen müssen. Dann greift die sogenannte Kaskadierung. Abschaltungen von Verbrauchern oder Erzeugern können so lokal begrenzt bleiben. Dieses Kaskaden-Prinzip ist seit Jahren bewährt, es bedeutet die situative Abkehr vom Normalbetrieb hin zum Störungsmanagement. Ziel ist, einen flächendeckenden Blackout als Folge einer Einzelstörung mit folgendem Dominoeffekt zu verhindern.