Klimaungerechtigkeit - Friederike Otto - E-Book

Klimaungerechtigkeit E-Book

Friederike Otto

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Beschreibung

Wie gerecht kann eine Welt in der Klimakrise sein? Der Klimawandel trifft uns nicht alle gleich. Friederike Otto liefert anhand von acht extremen Wetterereignissen konkrete Beispiele, was die wirklichen Ursachen sind, wer besonders betroffen ist und vor allem: Was Klimagerechtigkeit tatsächlich bedeutet und was dafür noch getan werden muss. Der Klimawandel zerstört nicht die Menschheit, aber Menschenleben und Lebensgrundlagen. Wir staunen über Rekordtemperaturen, Windgeschwindigkeiten und Regenmengen, aber fragen uns zu wenig, wer ihnen besonders ausgesetzt ist, wer sich nicht erholen kann - und warum. Ungleichheit und Ungerechtigkeit sind der Kern dessen, was den Klimawandel zum Menschheitsproblem machen. Damit müssen Fairness und globale Gerechtigkeit auch im Kern der Lösung stecken. Klimagerechtigkeit geht jeden etwas an. Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste Februar 2024

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Klimaungerechtigkeit

Friederike Otto, geb. 1982 in Kiel, ist Klimaforscherin, Physikerin und promovierte Philosophin. Am Grantham Institute for Climate Change des renomierten Imperial College London forscht sie zu Extremwetter und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft und hat das neue Feld der Zuordnungswissenschaft (Attribution Science) mitentwickelt. Sie zählt zu einer Handvoll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit, die in Echtzeit berechnen können, wie viel Klimawandel in unserem Wetter steckt. 2021 gehörte sie laut TIME Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen weltweit. 2023 erhält sie den Deutschen Umweltpreis.

Wie gerecht kann eine Welt in der Klimakrise sein?

Der Klimawandel trifft uns nicht alle gleich. Friederike Otto liefert anhand von acht extremen Wetterereignissen konkrete Beispiele, was die wirklichen Ursachen sind, wer besonders betroffen ist und vor allem: Was Klimagerechtigkeit tatsächlich bedeutet und was dafür noch getan werden muss. Der Klimawandel zerstört nicht die Menschheit, aber Menschenleben und Lebensgrundlagen. Wir staunen über Rekordtemperaturen, Windgeschwindigkeiten und Regenmengen, aber fragen uns zu wenig, wer ihnen besonders ausgesetzt ist, wer sich nicht erholen kann - und warum. Ungleichheit und Ungerechtigkeit sind der Kern dessen, was den Klimawandel zum Menschheitsproblem machen. Damit müssen Fairness und globale Gerechtigkeit auch im Kern der Lösung stecken. Klimagerechtigkeit geht jeden etwas an.

Friederike Otto

Klimaungerechtigkeit

Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

ISBN 978-3-8437-3022-8

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023

Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Unter Mitarbeit von Tanja Ruzicska (Kapitel 1–4) und Matthias Eckoldt (Kapitel 5–10)

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

Autorinnenfoto: Sarah M. L

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Inhalt

Titelei

Das Buch

Titelseite

Impressum

 

Kapitel 1   Im Brennglas der Ungleichheit

Lehrreiche Momente

Klima, Würde und Rechte

Eine kolonialfossile Welt

Teil I   HITZE

Kapitel 2   Ein Kontinent sprengt die Charts

Das Biest

Die Naturgefahr

Hitze heute

Zahlen sind nicht gleich Zahlen

Vulnerabilität und Exposition

Hitze tötet

Reichen Weckrufe aus?

Gerechtigkeit

Soziale Kipppunkte

Lungen haben keine Lobby

Kapitel 3   Ein afrikanisches Phantom?

Hitzewelle gesucht

Vorhergesagt ist nicht gewarnt

Anpassungspioniere und Anpassungsmuffel

Kolonialismus trifft Kapitalismus

Die Farmerinnen von Gambia

Anpassungsstrategien

Hohes Tempo

Teil II   DÜRRE

Kapitel 4   Wenn Gerechtigkeit in den Brunnen fällt

Dürren im Klimawandel

Drei Jahre Dürre in Kapstadt

Klimawandel in der lokalen Politik

Mal wieder: Weckruf

Hunger

Die Kosten des Klimawandels

Das Recht auf Wasser

Kapitel 5   Armut ist die Wurzel der Krise

Drei Jahre Dürre in Madagaskar

Kolonialismus

Vulnerabilität

Kolonialismus und Rassismus in NGOs

Zurück zum Klima

Ursachen verstehen

Teil III   FEUER

Kapitel 6   Das Ende des Regenwaldes

Feuer 2019

Bolsonaro und der Umweltschutz

Abholzung

Klimaschäden

Waldbrände

Vor Gericht

Klagen gegen Bolsonaro

Internationale Gerichte

Kapitel 7   Vom Spielball zum Gamechanger

Kohle- und Gasindustrie

Feuer

Medien

Gerichte

Teil IV   FLUT

Kapitel 8   Schuld und Verantwortung

Die Flut 2021

Einfluss des Klimawandels

Bebauung

Gefahrenbewusstsein

Wer trägt die Schuld?

Struktureller Rassismus

Die kolonialfossile Wurzel

Veränderung

Kapitel 9   Ein Land ertrinkt in Klimaschäden

Ein Land steht unter Wasser

Verletzlichkeit

Schäden und Verluste

Das Gerechtigkeitsproblem in nuce

Attribution

Ruf nach Gerechtigkeit

Tausend Arten des Verlusts

Koloniales und patriarchales Erbe

Ein Durchbruch?

Kapitel 10   Und jetzt?

Anhang

Dank

Anmerkungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1   Im Brennglas der Ungleichheit

Die globale Mitteltemperatur ist seit dem Beginn der industriellen Revolution um mehr als ein Grad gestiegen. Die Anfang 2023 herrschenden 1,2 Grad Celsius globaler Erwärmung mögen nicht nach viel klingen, aber das täuscht. Für einen Planeten – und vor allem seine Bewohner*innen – ist es ein riesiger Unterschied, ob die durchschnittliche, über alle Land- und Wassermassen gemessene Temperatur bei 14 oder bei 15,2 Grad liegt. Ähnlich wie es auch für einen menschlichen Körper einen enormen Unterschied macht, ob die Körpertemperatur bei 37 oder bei 38,2 Grad liegt. Mit 1,2 Grad Erwärmung ist die Erde heute wärmer als jemals zuvor in der Geschichte der menschlichen Zivilisation – wärmer als jede Welt, die ein Mensch bisher gekannt hat.

In der Welt, in der wir leben, hat sich der mit der industriellen Revolution einhergehende Klimawandel gegen Ende des 20. Jahrhunderts dramatisch beschleunigt. Auch heute, im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts, hält diese rasante Beschleunigung an. Während wir den Klimawandel in der eher abstrakt wirkenden Zahl der globalen Mitteltemperatur abbilden, spüren wir ihn konkret durch steigende Meeresspiegel, schmelzende Gletscher und sich verschiebende Jahreszeiten. Besonders intensiv macht er sich allerdings in Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen bemerkbar, die in diesem Buch eine wichtige Rolle spielen. All diese Extremwettereignisse verändern sich, fallen oft intensiver aus und kommen immer häufiger vor.

Das bedeutet nicht, dass unser Planet nicht schon vor knapp hundert Jahren fieberähnliche Symptome gezeigt hätte und Menschen nicht schon damals aufgrund des Klimawandels um ihr Leben gekämpft hätten. Bereits die Hitzewellen, die in den 1930er-Jahren während der Dustbowl-Jahre die großen Prärien der USA buchstäblich in eine Staubschüssel verwandelten und vielen Menschen in Oklahoma, Kansas, Texas, New Mexico und Colorado das Leben oder ihre Lebensgrundlage kosteten, waren heißer, als sie es ohne den Klimawandel gewesen wären.1 Und auch die dramatische Überschwemmung der südamerikanischen Stadt Huaraz in den peruanischen Anden, die 1941 von einer riesigen Schlammlawine größtenteils zerstört wurde, wäre ohne den Klimawandel weniger drastisch ausgefallen und hätte weniger Menschen getötet.2

Planetarisches Fieber misst sich im Vergleich zur vorindustriellen Temperatur der Erde, also in etwa zur globalen Mitteltemperatur zwischen 1750 und 1900. Schon bei einer globalen Erwärmung von nur 0,17 Grad kann man deutliche Folgen sehen: Für die Menschen, die 1934 beispielsweise in den USA ihr Leben durch diese geringfügig, aber signifikant heißere Hitze verloren, war mit einer Erwärmung von 0,17 Grad die Grenze eines akzeptablen Temperaturanstiegs erreicht. Als 1941 in Huaraz die Erwärmung um 0,21 Grad angestiegen war, verloren viele ihr ganzes Hab und Gut, und auch hier führte die Hitze und darauffolgende Gletscherschmelze unzählige Menschen an eine definitive Grenze: Wer tot ist, kann sich nicht mehr anpassen. Für all diejenigen, die über sechzig Jahre später die Hitzewelle 2003 in Europa das Leben gekostet hat, war die Grenze bei einer Erwärmung von etwas über 0,8 Grad deutlich überschritten. Kurzum: Hitzewellen gab es schon immer, aber durch den Klimawandel werden sie, wie ich in den nächsten beiden Kapiteln zeigen werde, immer gefährlicher. Das bedeutet, dass für all die Pflanzen und Tiere, die sich in den letzten Jahrzehnten nicht schnell genug anpassen konnten, jede Grenze längst hinfällig ist. Und das gilt natürlich auch für den Menschen.

Ist das akzeptabel?

Diese Frage wurde lange Zeit gar nicht gestellt, durch das vermehrte und beschleunigte Verbrennen fossiler Brennstoffe allerdings ganz offen mit »Ja« beantwortet.

Inzwischen ist die Debatte, wo eine akzeptable Grenze des Anstiegs der globalen Mitteltemperatur liegen mag, in vielen Ländern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 hat sie mit »deutlich unter 2 Grad, wenn möglich 1,5 Grad« markiert.3

Diese 1,5 Grad sind seither zum Inbegriff des Klimawandels geworden, und sie prägen die Art und Weise, wie wir über ihn und unsere Zukunft reden. In den Medien, im politischen oder auch im privaten Kontext sprechen wir stets über das 1,5-Grad-Ziel und damit über das Fieber als Symptom der Krankheit. Insbesondere in den deutschen Medien werden in diesen Diskussionen Klimawissenschaftler*innen mit den Worten zitiert, dass 1,5 Grad kein Ziel, sondern eine Grenze seien, womit sie meist nahelegen, dass das Überschreiten dieser Grenze katastrophale Folgen haben werde. Analogien, die in diesem Zusammenhang immer wieder bemüht werden, beschreiben Autos, die ungebremst gegen Wände fahren, oder einen Asteroiden, der auf die Erde stürzen wird. Solche Vergleiche mögen hilfreich sein, um die Größe des Problems zu illustrieren, aber als Metapher dafür, mit was für einem Problem wir es eigentlich zu tun haben, sind sie denkbar ungeeignet.

Die meisten, die dieses Buch lesen, werden nur durch eine mehr oder weniger erhellende Berichterstattung erfahren, dass wir die 1,5 Grad globalen Temperaturanstiegs überschritten haben. Andere werden es gar nicht merken, da sie aufgrund einer Überschwemmung bei 1,3 Grad bereits alles verloren haben oder in einer Hitzewelle bei 1,4 Grad globaler Erwärmung gestorben sind. Wenn man das 1,5-Grad-Ziel nur als physikalische Grenze betrachtet, werden diese Toten und Schäden völlig unsichtbar, ebenso wie die Tatsache, dass wir in Anpassung investieren müssen: Denn selbst wenn wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen und es nicht überschreiten, wird die Erde für viele Menschen kein sehr gemütlicher Ort sein. Die magischen 1,5 Grad sind ein Kompromiss. Ein Kompromiss zwischen Toten, Schäden und Verlusten auf der einen Seite und Profiten aus dem Verbrennen fossiler Brennstoffe auf der anderen. Sie sind ein politisches Ziel. Sie bezeichnen keine physikalische, sondern eine soziale Grenze.

Jedes Zehntel Grad globaler Erwärmung führt zu immer größeren Schäden und Verlusten, aber wer diese spürt und wie, hängt nur zu einem ganz geringen Teil vom Wetter und Klima ab.

Lehrreiche Momente

Ich erforsche Extremwetterereignisse, weil sie sehr interessante Fragen aufwerfen – unter anderem die, welche Rolle der Klimawandel für das Wetter nun eigentlich spielt. Als ich anfing, mich damit zu beschäftigen, behaupteten die meisten Wissenschaftler*innen, dass man diese Frage gar nicht beantworten könne. Zum einen hatte dies technische Gründe, da die Forschung lange Zeit keine Wettermodelle hatte, die in der Lage waren, alle klimabezogenen Prozesse ausreichend präzise abzubilden, die Forscher*innen sich anschauen müssen, um die Rolle des Klimawandels zu beurteilen. Zum anderen lag dies aber auch an Gründen, die mit der reinen Forschung wenig zu tun haben. Stellen Sie sich beispielsweise extreme Überschwemmungen in München, Rom oder London vor und heftige Regenfälle in den Slums der südafrikanischen Küstenstadt Durban. Wie die Menschen in den verschiedenen Orten diese extremen Wetter erleben, hängt, wie wir noch im Detail sehen werden, von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, aber grundlegend von der politischen Situation am Ort des Geschehens ab. Wetter – und damit auch die Rolle des Klimawandels – so zu erforschen, wie ich es tue, ist deshalb immer auch politisch, was es für viele Naturwissenschaftler*innen zu einem unangenehmen Forschungsgegenstand macht. Zu zeigen, dass beide Hürden, die technische wie die politische, überwindbar sind, ist mir wichtig: Unsere Klimamodelle sind immer besser geworden, gleichzeitig setzt sich auch in der Wissenschaft die Erkenntnis durch, dass Forschung nicht fernab der realen Welt passieren kann. Ich verstehe Wetterereignisse als teachable moments, also als lehrreiche Momente, die deutlicher als andere Momentaufnahmen zeigen, wie der Klimawandel die Menschen konkret betrifft und wie er sich wo anfühlt.

Die Idee der teachable moments stammt aus den Sozialwissenschaften und meint einen Zeitpunkt, zu dem wir etwas besonders gut und leicht lernen können. Stellen Sie sich vor, ein Kind erlebt gerade seinen ersten Schnee – das ist ein guter Moment, um etwas über verschiedene Aggregatzustände von Wasser zu lernen. Klimatisch lehrreiche Momente stellen allerdings eine große Herausforderung dar, wenn Forscher*innen herausfinden wollen, was genau uns ein Extremereignis eigentlich lehrt – und vor allem wen. Anfangs dachte ich, extreme Hitzewellen oder Überschwemmungen würden mir im Wesentlichen etwas über die durch den Klimawandel hervorgerufenen Veränderungen in der Atmosphäre zeigen. Wenn ich, so mein Gedanke, die atmosphärischen Auswirkungen besser verstehe, lerne ich auch einiges über das Wetter in Zeiten des Klimawandels. Tatsächlich aber habe ich viel mehr gelernt.

Zum Beispiel über das komplizierte Verhältnis von Extremwettereignissen und Risiko. Denn um genau zu wissen, wie riskant es wo für wen ist, eine Dürre zu erleben, brauchen wir eine ganze Menge Informationen. Dabei fallen vor allem drei Faktoren in die Waagschale: die Naturgefahr, die Art und Weise, wie wir ihr ausgesetzt sind – die Forschung spricht hier von Exposition –, und die Vulnerabilität, also die Verletzbarkeit, mit der wir ihr gegenübertreten.

Das in Bonn ansässige Büro der Vereinten Nationen für Katastrophenvorsorge (United Nations Office for Disaster Risk Reduction, UNDRR) definierte Naturgefahren 2022 als Naturphänomene, die »zu Verlust von Menschenleben, Verletzungen oder anderen gesundheitlichen Auswirkungen, Sachschäden, sozialen und wirtschaftlichen Störungen oder Umweltzerstörung führen können«.4 Eine solche Naturgefahr zeigte sich etwa 2022 in Westafrika. Dort litt die Bevölkerung ganzer Landstriche in der sich von Mai bis Oktober erstreckenden Regenzeit unter dramatischen Überschwemmungen. Teilweise wurden diese durch überdurchschnittlich starke Niederschläge verursacht, die, wie mein Team und ich herausfanden, deutlich intensiver waren, als sie es ohne den Klimawandel gewesen wären.5 Die Niederschläge sind damit eine sogenannte Naturgefahr, die durch den menschengemachten Klimawandel allerdings so verstärkt wurde, dass sie alles andere als nur natürlich ist.

Zu einem wesentlichen Teil wurden diese Überschwemmungen insbesondere in Nigeria auch dadurch verursacht, dass im benachbarten Kamerun ein Staudamm geöffnet worden war, der große Gebiete im dicht besiedelten Delta des Flusses Niger flutete. Obwohl diese Deltaregion kaum ein Drittel der Fläche des Vereinigten Königreichs umfasst, ist ihre Bevölkerung fast halb so groß wie die des europäischen Inselstaats: Über 30 Millionen Menschen leben hier. Sie sind den Niederschlägen auf besondere Weise ausgesetzt. Und mit ihnen die dortigen Ökosysteme und Vermögenswerte wie Gebäude, Brücken, Straßen und Wasserleitungen. Dass diese Region Wetter- und Naturgefahren besonders exponiert ist, ist natürlich kein Geheimnis. Nicht umsonst hätte es in jenem nigerianischen Teil des Deltas auch einen Staudamm geben sollen, der das Wasser auffängt. Dieser wurde jedoch nie gebaut,6 sodass die Menschen aufgrund der schlechten Infrastruktur sowie hoher Armutsraten besonders verletzlich oder vulnerabel sind, also viel stärker als andernorts von den Gefahren beeinträchtigt werden.

Wie also wird Wetter zur Katastrophe?

Das können wir noch nicht ganz genau sagen, denn wir wissen noch zu wenig darüber, wie die Auswirkungen des Klimawandels je nach Wetterart und Ort variieren. Aber wir haben in den letzten Jahren deutlich dazugelernt. Beispielsweise ist heute klar, dass sich Hitzewellen aufgrund des Klimawandels stärker verändern als andere Wetterphänomene (siehe Kapitel 2). Mit jeder Studie, die mein Team und ich durchführen, suchen wir für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung eine Antwort auf die Frage, was diese Veränderungen tatsächlich bedeuten. In diesen Untersuchungen – in der Fachwelt heißen sie Attributionsanalysen – analysieren wir nicht nur historische und aktuelle Wetterdaten, sondern auch Informationen zur Bevölkerungsdichte, zu sozioökonomischen Strukturen und eigentlich zu allem, was wir über das Ereignis finden können, um ein möglichst genaues Bild davon zu bekommen, was konkret passiert ist. Erst im nächsten Schritt fragen wir, ob der Klimawandel dabei eine Rolle gespielt hat. Dafür arbeiten wir mit verschiedenen Datensätzen, die eine riesige Anzahl verschiedener Aspekte – demografische Faktoren; infrastrukturelle Gegebenheiten; epidemiologische, gesundheitliche und wirtschaftliche Daten; vulkanische Aktivität; natürliche Wettervariabilität oder Treibhausgaseffekte und vieles mehr – berücksichtigen. Mithilfe von Klimamodellen simulieren wir grob gesagt zwei verschiedene Welten: eine mit und eine ohne den menschengemachten Klimawandel. Im Anschluss berechnen wir mit verschiedenen statistischen Methoden, wie wahrscheinlich oder intensiv Hitzewellen an konkreten Orten sind – und zwar mit und ohne die menschengemachte Erderwärmung. Nehmen wir beispielsweise die Hitzewelle, die Sibirien 2020 erlebt hat: In der ostsibirischen Ortschaft Werchojansk – einer der sogenannten Kältepole Asiens, der lange als das kälteste bewohnte Gebiet der Erde galt – wurden Rekordtemperaturen von 38 Grad gemessen. Attributionsanalysen zeigen, dass ohne den vom Menschen verursachten Klimawandel eine solche Hitze dort nahezu unmöglich gewesen wäre. Auch die 40 Grad im Londoner Sommer 2022 wären ohne den Klimawandel nicht zustande gekommen.

Ob aber Wetter zur Katastrophe wird, bestimmen Vulnerabilität und Exposition. Die Auswirkungen von Extremereignissen sind immer kontextabhängig – stets spielt es eine große Rolle, wer sich vor dem Wetter wie schützen kann. Deshalb ist der Begriff »Naturkatastrophe« vollkommen unangebracht, auch wenn er in den Medien und politischen Diskursen immer wieder verwendet wird. Übrigens können sich mehrere gleichzeitig stattfindende oder aufeinanderfolgende Extremereignisse auch zu zusammengesetzten Ereignissen kombinieren, oft befinden sich darunter sogar einige, die mit dem Wetter gar nichts zu tun haben – wie beispielsweise die Covid-19-Pandemie. Sie alle schwächen Menschen, Gemeinden und Gesellschaften.

Eine unserer Analysen aus dem Jahr 2021 ergab beispielsweise, dass die mit der Dürre im Süden Madagaskars verbundene Ernährungsunsicherheit hauptsächlich durch Armut, fehlende soziale Strukturen und eine starke Abhängigkeit von Regenfällen, nicht aber durch den Klimawandel verursacht wurde – in Kapitel 5 erzähle ich mehr dazu. Trotzdem sprach die internationale Berichterstattung nur über Wetter und Klima, ähnlich wie auch bei den Überschwemmungen in Nigeria. Dass hingegen die dortige, seit Jahrzehnten unfertige Infrastruktur einen entscheidenden Anteil an der Flutkatastrophe hatte, war den internationalen Medien so gut wie nicht zu entnehmen.

Wie wir über Extremereignisse berichten, worauf der mediale Schwerpunkt gesetzt wird, beeinflusst nicht nur, welche Maßnahmen wir für möglich halten, um darauf zu reagieren. Sondern auch, wen wir in der Verantwortung dafür sehen, diese notwendigen Schritte umzusetzen. Die Beschreibung von Extremwetter als Moment, der uns ausschließlich etwas über den Klimawandel erzählt, verschleiert Faktoren, die die Auswirkungen von Wetterereignissen ebenso, wenn nicht sogar noch stärker prägen – und bietet einen bequemen Diskussionsrahmen für Politiker*innen, die versuchen, die Aufmerksamkeit von lokalen Entscheidungs- und Planungsfehlern abzulenken. Dabei zeigt uns das Wetter als lehrreiches Moment noch viel größere Zusammenhänge.

Dass beispielsweise die Infrastruktur sowohl in Madagaskar als auch in Nigeria so mangelhaft und oft gar nicht vorhanden ist, hat insbesondere mit zwei Dingen zu tun: mit der nachhaltigen Zerstörung der dortigen sozialen Strukturen unter britischer, französischer und zum Teil auch deutscher Kolonialherrschaft sowie mit einer extremen Ungleichheit in der Bevölkerung. Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, zwischen Arm und Reich, zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Nur weil es diese gibt, ist der Klimawandel überhaupt ein derart großes Problem. Neben den offensichtlichen Dimensionen von Ungleichheit wie fehlende Infrastruktur und Armut gibt es auch sehr viel weniger offensichtliche Dimensionen, wie wir noch sehen werden.

Wer Extremwetterereignisse erforscht, schaut wie durch ein Brennglas auf Gesellschaften und beobachtet, wie das Zusammenspiel von Wetter, Klima, Geografie, Information, Kommunikation, Regierungsstrukturen und sozioökonomischen Gegebenheiten zu Katastrophen führt – und vor allem für wen. Was mich Extremwetterereignisse also vor allem gelehrt haben, ist, dass die Klimakrise eine Krise ist, die hauptsächlich durch Ungleichheit und die nach wie vor unangefochtene Vorherrschaft patriarchaler und kolonialer Strukturen geprägt ist, die zudem verhindern, dass ernsthaft Klimaschutz betrieben wird.7 Physikalische Veränderungen wie stärkere Regenfälle und trockenere Böden hingegen wirken sich nur mittelbar aus. Kurz: Der Klimawandel ist ein Symptom dieser globalen Krise der Ungleichheit und Ungerechtigkeit, nicht ihre Ursache.

Dass wetterbedingte Katastrophen kein Unglück oder Schicksal, sondern im Wesentlichen Unrecht und Ungerechtigkeit sind, gilt sowohl auf lokaler Ebene, wenn beispielsweise patriarchale Strukturen dafür sorgen, dass schwangere Frauen in traditionellen Gesellschaften bei extremer Hitze im Freien arbeiten, weil Feldarbeit für den Eigenbedarf als »Frauenarbeit« gilt (siehe Kapitel 3). Oder wenn Hilfsgelder an das männliche Familienoberhaupt ausgezahlt werden und nie bei jenen ankommen, die das Essen auf den Tisch bringen müssen. Aber die Ungerechtigkeit zeigt sich auch global. Schauen wir uns beispielsweise die Klimawissenschaften an: Das Feld ist von weißen Männern dominiert, die überwiegend einen naturwissenschaftlichen Hintergrund haben und vor allem Untersuchungen durchführen und anleiten, die die physikalischen Aspekte des Klimas betreffen. Zahlreiche andere Fragestellungen hingegen blenden sie aus. Deswegen befassen sich viel zu wenige Studien mit den globalen Wechselwirkungen von sozialen und physikalischen Veränderungen in einem sich wandelnden Klima. Kein Wunder, dass es an belastbaren Forschungsergebnissen mangelt, die uns auf wissenschaftlicher Basis über die Fragen von Schäden und Verlusten globaler Klimapolitik informieren könnten. Das macht es umso schwieriger, aufzuzeigen, wie die Kolonialpraktiken, die der Globale Norden seit Jahrhunderten gegenüber den Ländern des Globalen Südens betreibt, nach wie vor unsere Lebens-, Denk- und Handlungsweisen beeinflussen.

Heute führt die Vernachlässigung der Mehrheit der Weltbevölkerung dazu, dass genau diese auch am stärksten unter der Klimakrise leidet. Der Klimawandel ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen, und wir werden ihn nicht managen können, wenn wir die historisch angelegte Ungerechtigkeitsdynamik von Beherrschung und Abhängigkeit zwischen Ländern im Globalen Norden und Ländern im Globalen Süden nicht beheben.

Bevor ich mich mit Extremwetterereignissen und ihren Konsequenzen auseinandersetzte, war mir nicht bewusst, wie sehr unsere Welt noch immer von der Idee der Herrschaft geprägt ist: der Herrschaft des »Westens« über den Rest der Menschheit, aber auch über den Planeten. Der Einfluss dieser Idee manifestiert sich nicht nur in dramatischen Verlusten von Leben und Lebensgrundlage in den Ländern der ehemaligen Kolonien, sondern er zerstört auch in Deutschland Leben.

Aufgrund dieser Herrscherfantasie ist für viele von uns die Welt, wie sie sein sollte, eine Welt, die eben fossile Brennstoffe verbrennt – und das auch kann. Es ist eine Welt, in der viele Menschen noch immer so viel Fleisch essen wie möglich, ohne dass es Konsequenzen hätte. Wir hinterfragen diesen Lebensstil zu selten, für viele ist er noch immer der Inbegriff des erfolgreichen Lebens. Noch seltener fragen wir uns, woher diese Fantasie eigentlich kommt und was sie so erfolgreich gemacht hat. Das führt dazu, dass wir uns heute nur auf die Folgen dieser Lebensweise konzentrieren, die sozialen, politischen und kulturellen Ursachen aber außer Acht lassen. Wir messen Treibhausgase und globale Temperaturerhöhungen, wir berechnen die physikalischen Folgen des Verbrennens fossiler Energieträger und der Abholzung der Wälder. Auf diese Weise wird der Klimawandel zum Asteroiden, zu einer physischen Bedrohung, die es mit Technologien wie großen Staudämmen, Biokraftstoffen und Wasserstofffantasien oder mit Rechenspielen zu Kohlenstoffkompensation zu bekämpfen gilt. Wir vergessen dabei, dass es nicht um das Ende des Planeten oder das Ende der Menschheit als Ganzer geht. Die Erde wird weiterhin bestehen. Sie wird sich verändern und mit ihr viele ihrer Ökosysteme. Vielleicht wird sie eines Tages nicht mehr von Säugetieren dominiert sein, möglicherweise wird es eine Welt sein, die im Wesentlichen von Insekten bewohnt ist. Oder aber der Mensch wird das einzig überlebende Säugetier, in einer grünen Wüste, in der sich alles seiner Ernährung unterordnet. Von außen betrachtet sind diese Veränderungen weder gut noch schlecht. Dennoch ist der Klimawandel aus menschlicher Sicht schlecht, und zwar nicht, weil er uns als Spezies gefährdet, sondern uns als Gesellschaft. Was es zu retten gilt, ist nicht das Klima oder die Menschheit. Es geht schlicht und einfach darum, die Würde und Rechte der Menschen – und zwar aller Menschen – zu retten.

Klima, Würde und Rechte

Die Erkenntnis, dass der Klimawandel vor allem deshalb ein Problem ist, weil er die Würde und Rechte der Menschen verletzt, ist nicht neu. Sie ist vielmehr der Grund, warum wir überhaupt auf internationaler Ebene über ihn reden.

Auf den Weltklimakonferenzen der Vereinten Nationen, den sogenannten COPs (den Conferences of the parties, also den Konferenzen der UN-Vertragsparteien des Rahmenübereinkommens über Klimaänderungen), ging es nie um Eisbären oder den Untergang der Spezies Mensch. Es ging immer um Menschenleben und die Lebensgrundlage unzähliger Existenzen – und natürlich auch um wirtschaftliche Fragen, die allerdings nicht immer die wichtigste Rolle spielten, auch wenn das leicht zu übersehen ist. Das zeigt beispielsweise das diskutierte Zwei-Grad-Ziel. Es berücksichtigt zwar ökonomische Kosten-Nutzen-Abwägungen, aber es bleibt vor allem ein politisches Ziel, das zudem keinesfalls wissenschaftlich erwogen ist: Nicht eine einzige wissenschaftliche Bewertung hat jemals ein bestimmtes Ziel verteidigt oder empfohlen.8 Aus gutem Grund, denn bei der Festlegung eines solchen Zieles geht es letztendlich um eine ethische Abwägung. Sie lässt sich in einer einfachen politischen Frage ausdrücken: Wie viele Menschenleben, wie viele Korallenriffe, wie viele Insekten lassen wir uns die kurzfristige Weiternutzung vergleichsweise billiger fossiler Brennstoffe im Globalen Norden noch kosten?

Weil die Rede vom »gefährlichen Klimawandel« im Wesentlichen auf die politische Frage zielt, für wen es wann gefährlich wird, haben insbesondere die Niedriglohnländer des Globalen Südens und die kleinen Inselstaaten dafür gekämpft, das Ziel auf 1,5 Grad zu senken. Nicht wegen eines dräuenden Weltuntergangs bei 1,5 Grad, sondern weil in den Emerging Markets, wie die neoliberalistische Bezeichnung für den Globalen Süden zynischerweise mittlerweile lautet, schon jetzt die Lebensgrundlage vieler Menschen verloren geht.

Die Formel ist erschreckend einfach: Je reicher wir sind und je privilegierter wir leben, desto weniger anfällig sind wir für die physischen Folgen der Erderwärmung. Andersherum gesagt: Wer am wenigsten hat, leidet am meisten an den Folgen des Klimawandels. Sei es aus ökonomischen Gründen, weil die betroffenen Menschen keine Versicherungen abschließen können oder in schlecht isolierten oder mangelhaft gebauten Häusern leben. Sei es aus sozialen Gründen, wenn Leute keinen Informationszugang haben und keine Warnungen erhalten, oder wenn es ihnen an einer Krankenversicherung und alternativen Einkommensmöglichkeiten mangelt. Das gilt auf der globalen Nord-Süd-Achse ebenso wie innerhalb der ungleichen Verhältnisse in den Hochlohnländern.

Hinzu kommt, dass der Klimawandel wie ein gigantischer Verstärker wirkt: So, wie die Covid-19-Pandemie soziale Probleme verschärft hat, vertieft der Klimawandel die existierende Ungleichheit. Ungleichheit zerstört Vertrauen, Solidarität und sozialen Zusammenhalt. Sie mindert die Bereitschaft der Menschen, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Der Klimawandel verstärkt sie aber nicht nur innerhalb einer Gesellschaft, sondern auch auf globaler Ebene. In der Folge werden bereits marginalisierte Bevölkerungsgruppen überall noch stärker an den Rand gedrängt, wer ohnehin in instabilen Verhältnissen lebt, muss sich auf noch größere Gefährdung einstellen, bis hin zu Konflikt und Krieg. In der Summe macht der Klimawandel vor allem eins: Er beschneidet grundlegende Rechte. Das Recht auf Leben und Freiheit, das Recht zur Freizügigkeit, das Recht auf Eigentum, auf soziale Sicherheit, das Recht auf Wohlfahrt, nicht zuletzt die Freiheit des Kulturlebens. All dies sind Menschenrechte, die bekanntlich universell gültig sind. Das Pariser Klimaabkommen ist ein Menschenrechtsvertrag, kein Vertrag zum Schutz von Eisbären und kein Almosenvertrag zur Unterstützung des Globalen Südens.

Wenn wir die globale Mitteltemperatur messen oder zukünftige Änderungen des Klimasystems in Modellen projizieren – beispielsweise, um nachzuvollziehen, inwiefern global mehr Wasser verdunstet und dementsprechend auch wieder abregnet –, erhalten wir abstrakte Angaben und erst einmal nur Szenarien. Extremereignisse hingegen finden auf den Skalen statt, in denen Menschen konkret leben und in denen sie stadtplanerische Entscheidungen treffen, Frühwarnsysteme diskutieren, Felder bewirtschaften und Infrastrukturgroßprojekte entwerfen. Extremereignisse zeigen uns immer wieder in unterschiedlichen Zusammenhängen, wie die Veränderungen im Wetter mit unseren gesellschaftlichen Strukturen interagieren. Sie machen uns unmissverständlich klar, wie Klimawandel sich hier und heute und an den verschiedensten Orten der Welt anfühlt – und wer wie (un)geschützt ist.

Darum geht es in diesem Buch.

Eine kolonialfossile Welt

Hitzewellen in Nordamerika und in Westafrika, Dürren in Madagaskar und Südafrika, Überschwemmungen in Deutschland und Pakistan, Waldbrände in Australien und Brasilien: All diese grundverschiedenen Ereignisse treffen auf Gesellschaften, die mit sehr unterschiedlichen Problemen kämpfen – und sie alle zeigen die Rolle des Klimawandels anders. Aber egal, ob es die USA, Deutschland oder Südafrika trifft, überall bewahrheitet sich, dass diejenigen sterben, die wenig Geld haben und sich nicht ohne Weiteres ausreichend mit Informationen versorgen können.

Und das müsste nirgendwo so sein.

Dass es dennoch immer wieder genau so geschieht, liegt meines Erachtens insbesondere an einem gesellschaftlichen Narrativ, das sich hartnäckig hält. Es fußt vor allem auf der Idee, dass das Verbrennen fossiler Brennstoffe für den Erhalt dessen, was wir als Wohlstand bezeichnen, unerlässlich und »Freiheit« mit Tempolimit unmöglich sei.

Vergleichen wir unsere heutige Gesellschaft mit der vor dreihundert Jahren, schreiben wir die Errungenschaften der letzten Jahrhunderte in vielen Fällen unhinterfragt dem Verbrennen fossiler Energien zu, etwa die Tatsache, dass wir sauberes Trinkwasser haben.9 Wir verbinden Kohle, Öl und Gas historisch mit der Demokratie und den Werten des Westens, wobei wir Briketts und Wohlfahrtsstaat auch kausal verknüpfen: Das eine bedingt das andere. Selbst in den Fällen, in denen das tatsächlich stimmt, vergessen wir aber immer wieder, darauf hinzuweisen, dass der Umkehrschluss – geht das eine unter, stirbt das andere mit ihm – so fatal wie falsch ist.

Ich möchte zeigen, wie sehr sich dieses Narrativ – oder Framing – durch sämtliche soziale Ebenen und politische Entscheidungen zieht. Noch immer argumentieren sowohl der Globale Norden als auch der Globale Süden, dass die Länder des Globalen Südens aus Gerechtigkeitsgründen zunächst auch sehr hohe Treibhausgasemissionen haben müssten. Dabei gerät völlig aus dem Blick, dass auch im Globalen Norden die Armen für den Lebensstil weniger Reicher bezahlen, sei es der Kumpel, der im Bergwerk malocht oder die Stadtbewohner*innen, die in Ballungsräumen verstärkt der Luftverschmutzung ausgesetzt sind. Wer sagt denn, dass das, was im Globalen Norden passiert, selbstverständlich besser sei und damit der Welt übergestülpt werden müsse?

Als der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck im November 2022 für Deutschland einen neuen Flüssiggas-Deal mit Katar unterzeichnete, spielte er das Problem des Klimawandels gegen ein vermeintlich drängenderes politisches Ziel, das der Energiesicherheit, aus. Denn anders als vielleicht suggeriert werden sollte, behob dieser Deal nicht die akuten Engpässe im Winter 2022/2023, sondern liefert Gas erst ab 2026, dafür aber bis 2041. Auch wenn die tatsächlichen Liefermengen klein sein mögen, ist dies ein viel zu langer Zeitraum, wenn Deutschland seine Klimaziele ernst nehmen will. Statt Krisen gegeneinander auszuspielen und große Herausforderungen vermeintlich drängenderen nationalen Problemen zu opfern, müssen wir uns fragen, ob die Menschenrechte wirklich das normative Fundament darstellen, wie es sich die Vereinten Nationen 1948 erhofften.

Die Covid-19-Pandemie hat, genauso wie jede bisher abgehaltene Klimakonferenz, deutlich gezeigt, wie sehr das koloniale Denken noch heute die Politik bestimmt. Impfstoffe für den Globalen Süden? Gab es nicht. Das Versprechen des Globalen Nordens, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar in den Süden fließen zu lassen? Wurde nicht eingehalten. Damit muss sich der Süden mit den Auswirkungen des Klimawandels weiterhin hauptsächlich allein herumschlagen, und Klimaanpassungsmaßnahmen bleiben erst einmal mehr Traum als Realität.

Das Ausbeuten von Natur und Menschen bestimmt nach wie vor unser Handeln. Es ist schwer in einem Wort darzustellen, welche Strukturen, Framings und Ideen dem zugrunde liegen. Kritik am Kapitalismus ist heutzutage immer schnell bei der Hand, und ich bin mit Sicherheit kein Fan der derzeitigen neoliberalen Welt, in der es keine ernsthafte Vermögenssteuer gibt, in deren Bildungssystem der Erfolg vom Elternhaus abhängt und in der die Profitmaximierung einiger weniger mehr zählt als die Lebensqualität vieler. Aber ich möchte hier nicht das Für und Wider verschiedener Wirtschaftssysteme diskutieren, dafür bin ich nicht die Richtige, sondern Framings und Narrative identifizieren, die im neoliberalen Paradies eines Post-Brexit-Großbritanniens ebenso wirksam sind wie in Südafrika oder Pakistan. Für diese Narrative das eine Schlagwort zu finden, das sie am besten charakterisiert, würde mir wahrscheinlich nicht einmal mit einer philosophischen Abhandlung gelingen. Sind sie neoliberal? Patriarchal? Kolonial oder postkolonial? Rassistisch? Oder doch eher extraktivistisch, da wir alles aus Böden, Wäldern und Meeren herausziehen, was nur irgendwie geht, selbst wenn wir damit die Quelle all dieser Schätze zerstören? Für welchen Begriff auch immer ich mich entscheide, er wird in der Sache stets verkürzt sein. Um das Ganze besser zu verstehen, brauchen wir nicht nur das eine Wort, sondern das ganze Buch.

Meine Interpretation der Extremwettereignisse, die zu Katastrophen werden, ergibt immer wieder, dass das Erbe des Kolonialismus alles durchzieht. Der Einfluss der Industrie, die mit dem Verbrennen fossiler Brennstoffe reich und mächtig geworden ist, prägt weltweit unsere Erzählung davon, was ein erstrebenswertes Leben sei. In der Folge verfestigt unsere globale Gesellschaft in vielen Aspekten Ungleichheit, anstatt sie zu überwinden, was zu den extrem ungerechten Auswirkungen des Klimawandels führt. Daher nenne ich dieses Framing ein kolonialfossiles Narrativ. Wohl wissend, dass dieser Name nicht perfekt ist und eine Verkürzung in Kauf nimmt. »Extraktivistisch« wäre korrekter als »fossil«, aber zum einen ist das Wort sehr sperrig, und zum anderen ist der explizite Hinweis auf die Öl-, Kohle- und Gasindustrie wichtig, den der Begriff »fossil« transportiert. In »fossil« schwingt außerdem mit, dass wir es hier nicht nur mit etwas sehr Altem, sondern auch mit etwas längst Überholtem zu tun haben.

Und während der Begriff »fossil« ursächliche Bestandteile der Klimakrise einbezieht – es gäbe auch dann einen Klimawandel, wenn wir keine Kolonien erobert, aber trotzdem fossile Energieträger verbrannt hätten –, sähe dieser Klimawandel ohne unser »(post)koloniales« Denken ganz anders aus.

Der kolonialfossile Klimawandel ist daher im Wesentlichen weder Klimakrise noch Klimakatastrophe noch sonst irgendein dramatisches, zusammengesetztes Substantiv, das man mit »Klima« bilden kann, sondern eine Gerechtigkeitskrise. Diese Gerechtigkeitskrise durchzieht die Geschichte der Menschheit und findet nicht erst statt, seit der Klimawandel ein Thema ist. In Kombination mit den Auswirkungen des Klimawandels hat diese Gerechtigkeitskrise jedoch eine neue Dringlichkeit und globale Dimension erreicht, die nur mittelbar mit Physik zu tun hat.

Die Tatsache, dass es sich bei dem, was den Klimawandel zum Problem macht, nicht um eine Heißzeit oder andersgeartete physikalische Gegebenheiten handelt, hat weitreichendere Konsequenzen, als wir bisher anerkennen wollen. Sie macht uns klar, dass die Art und Weise, wie wir den Klimawandel aktuell hauptsächlich bekämpfen und erforschen – nämlich als Problem der Physik –, viel zu kurz greift. Natürlich brauchen wir eine Transformation dessen, wie wir Energie gewinnen. Vor allem aber brauchen wir eine Transformation dessen, wer wie am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, wie politische und wirtschaftliche Macht genutzt wird, wer wie Entscheidungen trifft. Wie wir eine derart grundlegende Transformation erreichen, ist schwer zu sagen. Ein erster Schritt wäre sicherlich, uns Folgendes bewusst zu machen: Auch wenn wir denken, dass wir den Klimawandel verstehen und glauben, ihn zunehmend ernst zu nehmen, da wir ihn ja bereits in Klimakrise umbenannt haben, ist das vielleicht nicht die ganze Story.

In diesem Buch erzähle ich eine andere Geschichte, und es ist nicht die des Asteroiden. Und auch wenn sie noch keine konkrete Lösung enthalten mag, ist sie doch mehr als die Analyse, die eine Physikerin bieten kann. Sie ist auch der Versuch, sich dem Klimawandel als Philosophin zu nähern und offenzulegen, worüber es sich nachzudenken lohnt.