Knäckeblut - Björn Berenz - E-Book

Knäckeblut E-Book

Björn Berenz

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Beschreibung

Cosy Crime in Schweden: skurril, witzig und diesmal erfrischend blutig!

In Småland liegt der erste Schnee: perfekte Bedingungen für den anstehenden Kunsthandwerkermarkt auf dem Tingsmålahof! Die Bewohner stürzen sich mit Feuereifer in die Vorbereitungen, allen voran Buchhändlerin Ina. Nach den aufregenden Sommermonaten freut sie sich darauf, Kunst und Handwerk der Gegend für die Besucher zu zelebrieren. Doch wie immer kommt alles anders: Viel zu schnell ist wieder ihre einzigartige Spürnase für Verbrechen gefragt. Eine Schlittenfahrt findet ein ziemlich blutiges Ende für den Hundeführer – und das bleibt leider nicht der einzige verhängnisvolle Vorfall auf dem Markt ...

Skurriler geht immer, besonders in Schweden – lesen Sie auch »Knäcketod« und »Knäckegrab« aus der Feder von Erfolgsautor Björn Berenz!

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Seitenzahl: 417

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Buch

In Småland liegt der erste Schnee: perfekte Bedingungen für den anstehenden Kunsthandwerkermarkt auf dem Tingsmålahof! Die Bewohner stürzen sich mit Feuereifer in die Vorbereitungen, allen voran Buchhändlerin Ina. Nach den aufregenden Sommermonaten freut sie sich darauf, Kunst und Handwerk der Gegend für die Besucher zu zelebrieren. Doch wie immer kommt alles anders: Viel zu schnell ist wieder ihre einzigartige Spürnase für Verbrechen gefragt. Eine Schlittenfahrt findet ein ziemlich blutiges Ende für die Hundeführerin – und das bleibt leider nicht der einzige tödliche Vorfall auf dem Markt …

Autor

Björn Berenz ist Jahrgang 1977 und gebürtiger Koblenzer. Als Redakteur war er jahrelang in einem süddeutschen Verlag tätig. Schon in Zeiten seiner hauptberuflichen Verlagslaufbahn hat er mit dem Schreiben von Geschichten begonnen und seitdem viele Romane und Hörspiele in den unterschiedlichsten Genres veröffentlicht. Seine Wurzeln als Bäckerssohn, eine eigensinnige Mutter und eine Autopanne, die ihn bei einem ausgedehnten Schwedentrip auf einem von Senioren geführten Aussiedlerhof stranden ließ, brachten ihn schließlich auf die Idee zu seinem ersten Schwedenkrimi »Knäcketod«. Björn Berenz lebt als freier Autor mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in der Vulkaneifel.

Weitere Informationen unter: www.bjoern-berenz.de

Von Björn Berenz bereits erschienen

Knäcketod · Knäckegrab

Björn Berenz

Knäckeblut

Kriminalroman

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Copyright © 2025 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Redaktion: Angela Kuepper

Umschlaggestaltung: Patrizia Di Stefano

unter Verwendung mehrerer Motive von alamy und depositphotos

BSt · Herstellung: DiMo

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-32734-7V001

www.blanvalet.de

Für Jenny

Prolog Ein tödlicher Augenblick

Die Welt geht vor die Hunde.

Der Gedanke durchzuckte ihn wie ein schmerzhafter Stich, der tief in seine Seele griff, so intensiv, dass es sich beinahe körperlich anfühlte. Ein kaum erträgliches, schweres Wort schob sich in sein Bewusstsein:

Weltschmerz.

Diesen deutschen Begriff hatte er einmal von einer Touristin aufgeschnappt, der er die Schönheit seines Landes gezeigt hatte. Ihre Affäre war so flüchtig gewesen wie der Sommer selbst, doch das Wort war geblieben. Es passte.

Weltschmerz.

Mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen umklammerte er die Haltestange des Hundeschlittens fester, dessen Kufen durch den Schnee pflügten. Er fühlte ihn wirklich, diesen tiefen Schmerz, der mit der nagenden Erkenntnis daherkam, dass nichts von Dauer war – nicht einmal diese überwältigende Schönheit um ihn herum. Dabei war es ein wundervoller Ort, ein echtes Paradies, welches er seine Heimat nennen durfte. In diesem Land war er aufgewachsen, hier wollte er alt werden. Aber wie sollte dieses Altwerden aussehen in einer Welt, die unaufhaltsam ihrem Verfall entgegenging?

Wer behütete diese Welt? Tat er selbst genug, um sie zu schützen?

Seine Gedanken kehrten zu den acht Huskys zurück, die den Schlitten mit unbändiger Kraft durch die verschneite Landschaft zogen. Sie liefen, als gäbe es kein Morgen.

Die klirrende Kälte biss in seine Haut, doch er zwang sich, die Augen weit offen zu halten. Er hatte den Blick wachsam nach vorne gerichtet, um auf ein plötzliches Hindernis zu reagieren. Auf keinen Fall wollte er seine Hunde einer unnötigen Gefahr aussetzen. Das Morgenlicht war noch matt, und die beißende Kälte der Nacht kroch ihm unter die Haut.

Die Huskys hingegen spürten die Kälte kaum, nicht weil sie unempfindlich wären, sondern weil sie sich mit jeder Faser ihres Körpers danach sehnten, sich zu verausgaben. Laufen war nicht ihre Aufgabe, es war ihre Leidenschaft.

Er kannte alle Eigenheiten seiner Hunde. Zwischen ihm und dem Gespann bestand ein unausgesprochenes Einvernehmen. Es reichte ein Zucken der Zügel oder ein kurzer Zuruf, damit sie verstanden. Manchmal kam es ihm so vor, als könnten sie seine Gedanken lesen.

Er atmete tief ein und ließ die eisige Luft in seine Lungen strömen. Eine schöne Welt, dachte er. Solch eine schöne Welt. Und dennoch, sie zerbrach langsam und unaufhaltsam, während die Hunde ihn durch die breite Waldschneise zogen, wie um ihn daran zu erinnern, dass selbst in einer sterbenden Welt Bewegung das Einzige war, was zählte.

Für einen kurzen Moment schloss er die Augen, konzentrierte sich auf den Fahrtwind, auf die Schneeflocken, die ihn umwehten.

Doch dann: Ein plötzlicher, unerwarteter Ruck traf ihn mit einer solchen Wucht in die Brust, dass es ihm den Atem raubte. Der Schmerz war sofort da, wie ein brennender Nagel, der tief in sein Innerstes getrieben wurde. Augenblicklich stand die Welt um ihn herum still, als hätte eine unsichtbare Kraft die Pause-Taste gedrückt – nur um im nächsten Moment hastig vorzuspulen.

Die Welt kippte.

Noch während er fiel, hörte er ein lautes Krachen, das durch den stillen Wald hallte. Vögel stoben krächzend und wild flatternd aus den Baumwipfeln in den blassgrauen Morgenhimmel.

Rücklings stürzte er in den Schnee. So hart, dass es ihm den letzten Rest Luft raubte. Ein kehliger Laut blieb ihm im Hals stecken. Er versuchte, sich zu bewegen, sich aufzurichten. Zu atmen! Doch sein Körper war wie blockiert. Arme, Beine, nichts gehorchte mehr. Stattdessen wühlte sich die eisige Kälte in ihn hinein, erreichte seine Knochen. Aber das war nichts gegen das Brennen in seiner Brust. Es war ein überwältigender Schmerz, der mit jedem Herzschlag heftiger wurde. Sein Kopf brüllte: Atme, verdammt! Beweg dich!

Doch nichts geschah. Er war gefangen in seinem Körper.

Seine Augen weiteten sich, suchten Halt in der Welt, die sich vor ihm auflöste. Der Schlitten mit den Hunden entfernte sich, die Tiere rannten weiter, als würden unsichtbare Geister hinter ihnen herjagen.

Er wollte nach ihnen rufen, wollte schreien. Sein Mund öffnete sich, doch kein Ton kam über seine Lippen. Als würde die Welt ihm den letzten Atemzug verweigern. Kein Laut, kein Hauch, nur Stille. Die Kälte breitete sich aus, erst in der Brust, dann in den Armen, schließlich bis in die Fingerspitzen hinein.

Sein Blick war jetzt ganz verschwommen, aber in den letzten Momenten schien die Welt ihm noch einmal klar vor Augen zu treten. Er dachte an den Wald, an den Schnee, an die Hunde. Eine schöne Welt. So schön …

Schwedisch für Anfänger – Teil 1 

Sommarlängtan

In Schweden, wo die Winter lang und dunkel sind, ist dieses Gefühl besonders ausgeprägt. Es beschreibt das starke, oft melancholische Verlangen nach dem Sommer, nach Licht und Wärme. Die Sehnsucht nach langen Tagen in der Natur und dem unbeschwerten Lebensgefühl, das viele Menschen mit dieser Jahreszeit verbinden. Wortwörtlich übersetzt wäre es die Sommersehnsucht.

Kapitel 1 Zurück zum Glück

Etwas früher …

Der Pick-up rollte die schmale schneebedeckte Straße entlang und unter dem Balkenkonstrukt hindurch, auf dem der Name des Hofes in ein Holzschild gebrannt war: Tingsmålahof.

Ina saß auf dem Rücksitz, eingekeilt zwischen den Wocheneinkäufen aus dem Coop, und ließ den Blick über die schneebedeckten Gebäude wandern. Der Hof wirkte wie aus einem Wintermärchen. Weiße Dächer, mit Frost überzogene Fensterscheiben, kleine Holzschuppen, die sich in die Schneelandschaft fügten.

»Es ist so wunderschön hier«, sagte sie mehr zu sich selbst. Gerade mal ein halbes Jahr lebte sie hier auf diesem wundervollen Flecken Erde. Und noch immer kam es ihr vor, als würde sie mit jedem weiteren Tag auch den Hof neu entdecken. Ganz besonders Anfang Dezember. Es war ihr erster schwedischer Winter. Und der war kälter und verschneiter als gedacht.

Und dunkler.

Sie bemerkte, wie das Licht draußen langsam schwand. Es war verrückt; es schien, als wäre der Tag gerade erst angebrochen, doch die Dämmerung kroch bereits wieder über die verschneite Landschaft. Der schwedische Sommer war eine nie endende Abfolge von sonnendurchfluteten Tagen gewesen, voller Leben und Energie. Und das mit einer Helligkeit, die ihr mitunter den Schlaf geraubt hatte. Der Kontrast zu den dunklen Wintermonaten hätte kaum größer sein können.

Die durchgehende Schneedecke reflektierte das schwindende Licht und gab der Szene einen fast magischen Schimmer. Das war wirklich schön. Doch trotz der Schönheit fühlte sich Ina schwer und müde.

Vielleicht liegt es an der Dunkelheit, dachte sie. Zu wenig Licht, zu wenig Sonne. Sie hatte irgendwo gelesen, dass der Körper in den dunklen Monaten nicht genug Melatonin produzierte, das Hormon, das wachhielt. Das erklärte vielleicht, warum sie sich in letzter Zeit so schläfrig fühlte.

Sie zog den Schal enger um sich und sah zu, wie der Pick-up langsam die letzte Kurve zum Parkplatz des Hofcafés nahm.

Janis, Agnetas Stiefsohn, hielt mit einem leichten Ruck und schaltete den Motor ab. »So, die Damen, Endstation. Ihr könnt euch aufwärmen, ich kümmere mich um das Abladen der Einkäufe.«

»Tack så mycket«, bedankte Agneta sich, öffnete die Beifahrertür und kletterte hinaus. Ohne jeden Zweifel war Agneta der wundervollste Mensch, den Ina je getroffen hatte. Und das, obwohl ihre erste Begegnung eher das Drehbuch für eine schwedische Dramaserie hätte liefern können. Immerhin war Ina jahrelang die heimliche Affäre von Agnetas Ehemann gewesen. Schon blöd, dass weder Ina noch Agneta auch nur die leiseste Ahnung voneinander gehabt hatten – bis Viggo gestorben und Agneta beim Aufräumen seiner Hinterlassenschaften auf Inas Briefe gestoßen war.

Kurzerhand hatte sie Agneta auf den Tingsmålahof eingeladen, weil sie die Nebenbuhlerin hatte kennenlernen wollen. Was keiner von beiden ahnen konnte: Aus der eher frostigen ersten Begegnung entwickelte sich eine tiefe Bindung.

Ina hatte fünfundsechzig Jahre gebraucht, um zum ersten Mal in ihrem Leben eine beste Freundin zu finden. Agneta war ein Mensch, auf den sie sich blind verlassen konnte. Und vielleicht verband sie nicht trotz, sondern gerade wegen alldem gemeinsam durchlebten Chaos so viel.

Ina folgte ihr, sog die klirrend kalte Luft ein und warf die Schalenden um ihren Hals, um der Kälte etwas entgegenzusetzen.

»Winter in Schweden«, murmelte sie leise, wieder halb zu sich selbst. »Definitiv etwas, woran man sich gewöhnen muss.«

Vor dem Café standen mehrere Schlitten und ein paar Fahrräder, von denen sie sich fragte, wie sie durch den tiefen Schnee gekommen waren.

Kaum hatten sie die Tür aufgezogen, umgab sie ein vielstimmiger Gesang.

Ina und Agneta traten ins warme Café, das offiziell zum Hof gehörte, inoffiziell aber als das Herzstück der ganzen Gemeinschaft galt. Hier wurde getagt, diskutiert, geplant, gefeiert, geschmaust – und manchmal auch gestritten, wenn’s um den besten Platz am Ofen ging. Wenn draußen der Frost an die Scheiben kratzte, feierte man drinnen Geburtstage, Einzüge, Auszüge und gelegentlich sogar das erfolgreiche Einwecken von Gurken. Das Café war nicht nur Hofmittelpunkt, sondern auch Magnet für Gäste aus nah und fern, die sich durch selbst gemachte Köstlichkeiten futtern wollten: fruchtige Limonaden, hochprozentige Kräuterschnäpse, Liköre, Schnäpse sowie Kuchen und Torten, die so gut waren, dass man spontan jedwede Diät in den Wind pfiff.

Kaum waren sie eingetreten, umfing Ina und Agneta eine lebendige Atmosphäre. Ein Holzfeuer knisterte im Kamin, an den Tischen hatten sich bereits ein Dutzend Menschen eingefunden, dick eingepackt in Winterkleidung, die sie teilweise abgestreift hatten, während der Duft nach Zimt, Kaffee und frisch gebackenen Saffransbullar die Luft erfüllte. Hinter dem Tresen erspähte Ina Agnetas Schwiegermutter Ebba, die gerade dabei war, Moltebeerschnaps in kleine Gläser einzuschenken. Sie hob grüßend die Flasche. Auf der anderen Seite des Cafés waren die Tische und Stühle zusammengeschoben worden, um Platz für zwölf gestandene Männer zu machen, die sich nebeneinander aufgereiht hatten und ein traditionelles schwedisches Volkslied vor sich hin schmetterten.

Doch der Gesang verstummte nach und nach, als die Anwesenden die neuen Gäste bemerkten. Ein Mann, der direkt am Kamin stand, nickte Agneta und Ina freundlich zu. Eine ältere Frau, die mit einer gestrickten Mütze an einem der Tische saß, lächelte und winkte kurz.

Nur der eigenbrötlerische Svante mit seinem unverkennbar tiefen Bass sang weiter. Erst als auch er die Ankunft der beiden bemerkte, verstummte er und gab ein undeutliches Brummen von sich.

Ina lächelte glückselig. Sie mochte es, wenn er sang. Und überhaupt mochte sie diesen Mann. Da war es fast eine Schande, dass sie sich mit ihren Gefühlen zueinander so sehr im Weg standen. Dabei war offensichtlich, was sie füreinander empfanden. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte Ina mehr als nur ein flüchtiges Interesse an ihm entwickelt. Optisch entsprach Svante voll und ganz ihrem Beuteschema. Er war groß, ein wenig wild und geheimnisvoll genug, um einen halben Krimi um ihn zu schreiben. Der Funke war beiderseits übergesprungen, und auf Umwegen hatten sie schließlich zueinandergefunden. Eigentlich standen die Zeichen für eine leidenschaftliche Beziehung gut. Wäre da nicht dieses winzige Detail, dass er mit einer afrikanischen Prinzessin verheiratet war. Und so stand sie nun zwischen ihnen, die königliche Ehe, wie ein Elefant im Raum. Ein ziemlich großer. Mit Diadem.

»Na endlich! Da bist du ja. Wir dachten schon, du kommst gar nicht mehr.«

Nils, der Hofbäcker, trat einen Schritt vor, direkt auf Agneta zu. »Ich möchte dir jemanden vorstellen.« Er legte eine Hand auf die Schulter eines Mannes, der neben ihm stand. »Wir haben ein neues Mitglied. Das ist Bjarne. Er wird von nun an bei uns im Chor mitsingen. Wir waren gerade dabei, seine Stimmlage zu finden, mit der er sich am besten einbringen kann.«

Bjarne war ein älterer Mann mit wettergegerbtem Gesicht und zottigem Bart. »Es ist mir eine große Ehre, im Chor singen zu dürfen«, sagte er. »Besonders mit dir, Agneta.« Er machte eine leichte, fast ehrfürchtige Verbeugung. »Ich meine, damals hatte ich sogar eine Schallplatte von dir.« Er lächelte so unbeholfen, dass Ina unwillkürlich grinsen musste. Vor allem, als sie Agnetas Blick einfing, auf deren Wangen sich ein leichtes Rot zeigte.

»Das ist wirklich lange her.« Sie wedelte abwehrend mit der Hand, an der noch der Handschuh hing. »Machen wir kein großes Ding daraus.«

»Kein großes Ding?« Bjarne schüttelte den Kopf. »Für mich ist das riesig. Wer kann schon behaupten, mit einem echten Star in einer Band zu sein?«

»Ein Chor ist keine Band«, korrigierte Ebba ihn von der Theke aus. »Und Agneta singt ja auch nicht mit euch, sie ist die Chorleiterin.«

»Trotzdem«, erwiderte Bjarne mit gespieltem Trotz und grinste Agneta weiter beschwörend an.

Doch die schüttelte nur den Kopf, bewegte sich auf die Kuchentheke zu und begann, ihre Handschuhe auszuziehen.

Ina musterte sie amüsiert. Sie konnte Bjarnes Begeisterung verstehen, schließlich war Agneta vor vielen Jahren wirklich eine Berühmtheit gewesen, mit einem Song, der es sogar in die schwedischen Charts geschafft hatte. Sie hatte das Leben im Rampenlicht jedoch schon seit Langem hinter sich gelassen, und Ina wusste, wie unangenehm es ihr war, wenn diese alte Geschichte wieder hervorgekramt wurde.

Svante räusperte sich lautstark. »Also, ich finde, es wird allerhöchste Zeit, dass wir die Liste der Lieder durchgehen, die wir auf dem Wintermarkt singen wollen.«

Dann wandte er sich an das neue Mitglied. »Und du, Bjarne, du bist ein Bass, das hört man sofort. Das ist gut und recht, aber viel dringender brauchen wir einen Tenor.«

Zustimmendes Gemurmel setzte ein.

»Und wo sollen wir den herbekommen?« Agneta warf Svante einen fragenden Blick zu.

»Vielleicht, wenn wir uns doch auf einen gemischten Chor einlassen«, schlug Nils vor, der sich auf einen der freien Hocker an der Theke gesetzt hatte und sich von Ebba ein Gläschen kredenzen ließ.

Aus dem zustimmenden Gemurmel wurde ein kollektives Aufbegehren – leise, aber deutlich verneinend.

»Wir müssen eben mit dem arbeiten, was wir haben«, sagte Agneta, die inzwischen auch Mütze, Schal und Jacke los geworden war und sich vor die Männer stellte. Auf den Wink ihres Zeigefingers hin fand auch Nils den Weg zurück in die Reihe, nachdem er den Moltebeerschnaps hastig hinuntergekippt hatte.

»Es muss ohne Tenor gehen«, entschied sie in ihrer Funktion als Chorleiterin und klatschte in die Hände. »Also, die Herren noch mal von vorne!« Sie schaute zu Ina. »Du achtest auf die richtigen Einsätze und das Tempo, ja?«

»Auf gar keinen Fall.« Ina schüttelte den Kopf. »Ich muss in meinen Souvenirladen. Es gibt noch viel vorzubereiten.«

Gerade als sie sich zur Tür wenden wollte, erklang Ebbas raue, aber herzliche Stimme von der Theke her.

»Aber ein Schnäpschen trinkst du doch noch mit mir, oder?«

Kapitel 2 Der Bücherclub

Es hatte wieder angefangen zu schneien, doch selbst der dichteste Schneefall konnte Ina nicht davon abhalten, ihren Souvenirladen zu betreten.

Wobei »Souvenirladen« längst Etikettenschwindel war, denn das Einzige, was dort inzwischen noch an Urlaub erinnerte, war die Tatsache, dass Touristen sich darin verirrten. Statt kitschiger Trollfiguren, Filzpüppchen oder Fika-Holzschildern reihte sich nun Buchrücken an Buchrücken.

Diese Entwicklung war eindeutig Inas Buchhandlungs-DNA geschuldet. Immerhin hatte sie ein halbes Leben lang einen eigenen Buchladen geführt. Als im Sommer ein Nachfolger für das Lädchen gesucht worden war, hatte sie sofort »Hier!« gerufen. Und mit der Zeit hatte sich das angestaubte Souvenirgeschäft in ein charmant getarntes Bücherstübchen verwandelt.

Mittlerweile hatte Ina alles im Repertoire: Fachliteratur, Ratgeber, Romane, Liebesschmonzetten und vor allem Krimis. Sie liebte Krimis. Ganz besonders hatte sie eine Schwäche für skandinavische Kriminalromane.

Oft hatte Ina sich gefragt, woran es lag, dass nordische Schriftsteller so meisterhaft darin waren, düstere und fesselnde Krimis zu schreiben. War es die raue Natur? Die Melancholie der Landschaften? Nun, da sie selbst in diesem Land lebte und die Dunkelheit des Winters hautnah erlebte, schien die Antwort naheliegend.

Es war die endlose, allgegenwärtige Dunkelheit, die den Verstand herausforderte. Die langen Nächte, in denen die Gedanken tief und manchmal erdrückend schwer wurden. Das Gefühl, dass das Licht immer ein wenig zu weit entfernt war.

Ja, hier schienen die Geschichten förmlich aus der Dunkelheit zu wachsen.

Ihre Begeisterung war ansteckend, und mit der einsetzenden Dunkelheit der Wintermonate hatte sie eine Idee gehabt: Warum nicht einen Bücherclub gründen?

Wie ein Blitz war die Idee eingeschlagen. Schon nach kurzer Zeit hatte sich eine Gruppe gefunden, die sich jeden Mittwoch traf, um über spannende Geschichten zu diskutieren. Ina stellte dabei ihre persönlichen Favoriten vor. Meist waren es junge Autoren, die sie für sich entdeckt hatte, deren Romane sie fesselten und nachts an ihrem wohlverdienten Schlaf hinderten, weil sie nicht genug von ihnen bekommen konnte. Von den Geschichten. Nicht von den jungen Autoren.

Direkt vor dem Eingang parkte Oves Traktor, dessen glänzend grüner Lack fast vollkommen vom Schnee bedeckt war. Ihn hatte es kurz nach Ina auf den Hof verschlagen, weil das Zusammenleben mit seinem Sohn nicht mehr funktionierte. Ina mochte ihn sehr, ebenso sehr seinen Sohn Lars, der nicht nur der Freund ihrer Tochter war, sondern auch ihr Ermittlungspartner.

Mit dem Öffnen der Tür ertönte die Ladenglocke, gefolgt vom wüsten Gebell von Zeus. Der kleine Terrier-Mischling, der eben noch gemütlich auf seinem angestammten Platz im Lesesessel gelegen hatte, sprang auf wie von einer unsichtbaren Feder katapultiert. Mit wedelndem Schwanz und heraushängender Zunge stürmte er auf Ina zu, als wäre sie Tage fort gewesen und nicht bloß ein paar Stunden.

Lachend ging sie in die Hocke und ließ die freudige Attacke über sich ergehen.

»Stäng dörren«, warf sich ihr mit der nassen Zunge eine wüste Stimme entgegen. »Mach die Tür zu, du bringst noch den ganzen Schnee mit rein!« Nach der Stimme erschien Fayola in ihrem Sichtfeld.

In den Armen balancierte sie einen Stapel Bücher, der ihr bis unters Kinn reichte.

Ina stand sofort auf und eilte ihr entgegen. »Kind! Die sind doch viel zu schwer für dich!« Sie nahm ihr die Hälfte der Bücher ab.

»Kind?« Fayola richtete sich auf und blickte Ina mit einer Mischung aus Trotz und Stolz an. »Du klingst schon wie mein Vater!«

Ina konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Mittlerweile mochte sie die Aufmüpfigkeit von Svantes Tochter. Vor allem aber mochte sie das Mädchen, das so abrupt in ihr Leben getreten war, auch wenn es eine ganze Weile gedauert hatte, bis Ina sich mit dieser ungewöhnlichen Situation arrangiert hatte. Denn von Fayola hatte sie ebenso jäh erfahren wie von Svantes adeliger Ehefrau. Dass diese Ehe eine Tochter hervorgebracht hatte, war der vergleichsweise kleinere Schock gewesen.

Svante hatte ihr ausführlich erklärt, dass seine Ehe wirklich nur noch auf dem Papier existierte. Natürlich war Ina wütend gewesen, dass er ihr das nicht von Anfang an erzählt hatte. Und seine Ausrede, dass er einfach auf den »richtigen Moment« gewartet habe, es irgendwann dafür aber zu spät gewesen sei, hatte Ina nur bedingt besänftigt. Vielleicht hätte die Sache anders ausgesehen, wenn Svante ein klein wenig Reue gezeigt hätte. Stattdessen hatte er geschmollt und sich von Ina gründlich missverstanden gefühlt. Letztlich hatte sie nur durch Fayolas Mutter von der Ehe erfahren, die überzeugt war, dass Schweden ihrer Tochter die beste schulische Ausbildung bieten könne. So lebte Fayola nun auf dem Tingsmålahof und besuchte die Schule in Värnamo.

Und das war gut so, denn das Mädchen war in jeder Hinsicht eine Bereicherung für diesen Hof. Fayola war eine beeindruckende junge Frau – offen, hilfsbereit und unglaublich witzig. Ina beobachtete mit Wohlwollen, wie gut sie Svante tat. Seit sie da war, war er zugänglicher geworden. Doch das Ganze hatte auch seine Schattenseiten. Definitiv brachte das Zusammenleben mit einer pubertierenden Tochter seine Herausforderungen mit sich.

Ina hätte sich gewünscht, dass Svante etwas lockerer an die Sache heranging. Doch er tat das Gegenteil.

Vielleicht versuchte er, all die Jahre als Vater aufzuholen, die er verpasst hatte. Er war liebevoll, aber auch streng. Kaum eine Aktivität außerhalb des Hofes erlaubte er ihr. Der Grund dafür lag für ihn auf der Hand.

Mit ihren lockigen dunklen Haaren und den tiefbraunen Augen erinnerte Fayola an eine jüngere Version von Naomi Campbell und verdrehte den Jungs in der Nachbarschaft reihenweise den Kopf. Besonders einem: Laso. Und genau dieser stand ebenfalls im Souvenirladen, wie Ina feststellte, nachdem er hinter einem der Holzbalken hervorgetreten war.

»Es ist nicht das, wonach es aussieht«, erklärte Fayola prompt, wohl weil sie Inas Blick bemerkt hatte. »Laso hilft mir beim Einräumen. Hoffe, das ist okay?«

»Natürlich ist das in Ordnung.« Ina winkte dem Jungen freundlich zu. Der winkte schüchtern zurück, stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte über ihre Schulter nach draußen.

Ina lachte leise. »Keine Sorge«, sagte sie beruhigend. »Svante ist noch bei der Chorprobe.«

Sie konnte Lasos Befangenheit gut verstehen. Beim letzten Treffen mit Fayola hatte Svante ihm eine »Botschaft« übermittelt. Zwar hatte er mit seiner Axt nur Holz gehackt, aber die Art, wie er sie geschwungen und dabei Laso keinen Moment aus den Augen gelassen hatte, war eine deutliche Warnung gewesen, die ihre Wirkung nicht verfehlt hatte. Seitdem war Laso unfassbar nervös, sobald Svante in der Nähe war.

Trotzdem suchte er nicht das Weite, sondern blieb. Und das sagte Ina, dass Laso wirklich etwas an Fayola lag.

In ihre Gedanken hinein vernahm Ina ein leises Räuspern. Aus dem hinteren Bereich des Ladens trat Ove hervor, in einer dick gefütterten braunen Steppjacke und mit einer farblich passenden Ohrenmütze. Er hatte einen Ratgeber in der Hand: Campen für Dummies. Während er sich der Kasse näherte, schüttelte er leicht den Kopf. »Das hier würde ich gerne kaufen«, sagte er. »Und kannst du es bitte einpacken? Es soll ein Geschenk sein.«

Ina schob den Hund ein Stück weg, trat hinter die Kasse und nahm das Buch entgegen.

»Es ist für meinen Sohn«, erklärte Ove ihr. »Er wird es sicher gut gebrauchen können bei der Schnapsidee, die er sich in den Kopf gesetzt hat! Die beiden wollen wirklich mit einem Camper in den Norden fahren«, grummelte Ove. »Bei diesem Wetter! Als wäre es nicht schon kalt genug hier unten.«

Ina schmunzelte. Ove konnte einfach nicht aus seiner Haut. Ständig mischte er sich in das Leben seines Sohnes ein. Kein Wunder also, dass das Zusammenleben gescheitert war. Nach dem letzten großen Streit hatte Ove schließlich die Konsequenzen gezogen, die gemeinsame Wohnung verlassen und lebte seit einigen Monaten auf dem Hof.

»Worüber regst du dich auf?«, fragte sie. »Die Polarlichter zu sehen, ist Paulas größter Traum. Und Lars will ihr diesen Wunsch erfüllen.« Mit einem verschmitzten Lächeln strich sie über den Einband. »Ich finde das, ehrlich gesagt, ziemlich romantisch von deinem Sohn.«

Ove schnaufte als Antwort. »Aber … in einem Camper. Bei dem Wetter.« Er beugte sich über die Theke und blickte ihr fest in die Augen. »Du kennst den schwedischen Norden nicht. Der ist bei Weitem nicht so milde, wie wir es hier gewohnt sind. So viel Schnee kannst du dir gar nicht vorstellen.«

Inas Brauen zuckten. Für ihre Verhältnisse war der Winter in Småland alles andere als mild. Dennoch legte sie Ove beruhigend eine Hand auf den Arm. »Manchmal muss man eben ein kleines Risiko eingehen, um unvergessliche Erlebnisse zu schaffen.«

Seufzend schob Ove sich die Mütze ein Stück tiefer in die Stirn, während Ina das Buch über den Scanner zog.

Ihre Tochter und Lars waren nun schon seit einem halben Jahr ein Paar, und es schien so, als hätten die beiden wirklich einander gefunden – vielleicht sogar für immer. Ina freute sich sehr über dieses junge Glück, zumal sie sich mit Ove keinen besseren Schwiegervater für Paula hätte wünschen können.

Lars hingegen, der Schwiegersohn in spe, war noch immer ein Kapitel für sich, besonders wenn es um ihre gemeinsamen Ermittlungen ging. Ina hatte bisher nicht die Rolle in ihrem Team inne, die ihr zustand. Und das trotz der Tatsache, dass sie einige der schwierigsten Fälle quasi im Alleingang gelöst hatte. Im Grunde war sein zurückhaltendes Verhalten ein echtes Unding!

Immerhin hatte Lars zumindest ansatzweise eingesehen, dass sie gemeinsam ein effektives Ermittlerduo bildeten, wenngleich er das nie so richtig ausgesprochen hatte. Aber Ina war gut darin, zwischen den Zeilen zu lesen. Zudem hatte er ihr seine Beförderung zum Polizeiinspektor zu verdanken. Denn mit ihrer Hilfe hatte er eine international gesuchte Mörderin stellen können.

Auf der Suche nach seinem Portemonnaie zog Ove immer mehr Dinge aus den tiefen Taschen seines Mantels, die er auf der Theke ablegte. Seine Autoschlüssel, das Handy, ein Stofftaschentuch und einen zerknitterten Briefumschlag.

»Hm«, grummelte er. »Wo ist es denn?«

»Keine Eile«, sagte Ina und warf einen Blick auf den Umschlag, auf dessen Vorderseite in großen, mehrfach mit einem Kugelschreiber nachgezogenen Buchstaben stand: An den Umweltsünder!

Sie betrachtete den Umschlag misstrauisch. »Was ist das denn?«

Ove schnaubte, winkte ab und zog endlich sein Portemonnaie hervor. »Ach, nichts Wichtiges. Irgendjemand glaubt wohl, witzig zu sein. Ich habe den Brief heute Morgen in meinem Briefkasten gefunden.« Er schaute nun auch drauf. »Eigentlich wollte ich ihn in den Müll werfen, hab es dann aber vergessen.«

»Und was steht drin?«, hakte Ina nach. Die eine Hand nahm das Geld entgegen, die andere Hand bewegte sich in Richtung des Briefes. »Darf ich ihn lesen?«

»Da gibt es nicht viel zu lesen.« Ove war schneller als sie. Er griff nach dem Umschlag und steckte ihn zurück in seine Manteltasche.

»Irgendein Unsinn eben.« Er zog die Schultern hoch, als wollte er das Thema abschütteln. »Da meint jemand, ich würde mit meinem alten Traktor die Umwelt vergiften.« Seine Stimme triefte vor Spott. »Der behauptet, ich würde jeden Tag mit dem Ding sinnlos durch die Gegend fahren und unnötig Abgase in die Luft pusten. Dabei nutze ich den Traktor nur, wenn’s nötig ist – um Holz zu holen und den Schnee zu räumen. Oder wenn ich ins Dorf muss. Oder zum Angeln …« Kurz hielt er inne und stöhnte dann leise. »Mein Gott, ja, ich fahre eben gern mit dem Ding durch die Gegend. Ist das verwerflich? Solch ein Traktor war schon immer mein Traum. Aber heutzutage scheint man nicht mal mehr atmen zu dürfen, ohne dass sich jemand beschwert.«

Ina nahm Kordel und Geschenkpapier zur Hand und machte sich ans Einpacken. Nachdem sie jahrzehntelang eine kleine Buchhandlung in Potsdam geführt hatte, war sie der ultimative Profi, der Terminator der Geschenkeverpacker. Dennoch ließ dieser Brief sie nicht in Ruhe.

Wer machte denn solch einen Aufstand wegen eines Traktors?

Sie hatte Verständnis für Oves Leidenschaft. Er hatte den Traktor in einer vergessenen Ecke der alten Scheune neben der Backstube entdeckt. Es war ein in die Jahre gekommener BM-Volvo, an den niemand mehr einen Gedanken verschwendet hatte, seit dessen Besitzer Knut, ein ehemaliger Hofbewohner, unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen war.

Unzählige Stunden liebevoller Kleinarbeit hatte Ove gemeinsam mit Svante und Janis in das alte Gefährt investiert.

Als der Traktor das erste Mal wieder geschnurrt hatte, hatte Ove ein Lächeln im Gesicht gehabt, das tagelang nicht verschwand. Seitdem war der Traktor sein treuer Begleiter.

Ina verschränkte die Arme und sah Ove fragend an. »Aber was ist denn das Ziel dieses Briefes? Was will der Schreiber damit bezwecken?«

Ove schnaubte. »Na, was wohl? Er will, dass ich mit dem Traktorfahren aufhöre. Wahrscheinlich denkt er, ich puste jedes Mal einen halben Wald in die Luft, wenn ich damit unterwegs bin.«

Ina betrachtete ihn eindringlich. »Und wenn du das nicht tust, was dann?«

Ove hielt ihrem Blick stand und verzog die Lippen zu einem spöttischen Grinsen. »Na ja, man hat mir ein Ultimatum gestellt«, sagte er mit einer Mischung aus Ironie und Bockigkeit. »Wenn ich mich nicht daran halte, will man mich umbringen.« Er blinzelte Ina vielsagend an. »Zum Wohle der Umwelt.«

»Bitte – was?«, fragte Ina, die sich beinahe an ihrer Spucke verschluckte. »Du hast eine Morddrohung erhalten?«

Ove winkte ab. »Gar nichts habe ich«, entgegnete er. »Da erlaubt sich jemand einen blöden Scherz.«

Er stopfte den Umschlag tiefer in die Manteltasche und sah ihr eine Weile schweigend beim Verpacken zu. Ina hatte indes Mühe, sich auf ihre Hände zu konzentrieren. Sie hielt inne, hob den Kopf und sah dem alten Mann ernst in die Augen.

»Du darfst das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Hier handelt es sich um eine handfeste Drohung. Eine Morddrohung sogar.«

Ove gab ein genervtes Schmatzen von sich und riss sich dann zusammen, wohl weil er verstand, wie ernst es Ina war.

»Du musst Lars davon erzählen, hörst du!«

»Ja doch.«

»Versprich es mir!«

»Ja-ha.«

Schwedisch für Anfänger – Teil 2 

»Stå med skägget i brevlådan.«

Wortwörtlich: Mit dem Bart im Briefkasten stecken bleiben.

Bedeutet: Blöd dazustehen, weil man auf frischer Tat bei etwas Unangenehmem ertappt wurde.

Kapitel 3 Träume aus Glas

»Ich sage doch nur, dass ich es unglaublich spannend finde!«

Mit Schwung klopfte Ina den Schnee von ihren Moonboots an der Haustreppe ab und drückte die Klingel. Kurz hob sich ihr Blick, und sie nahm das Schild über dem Eingang in Augenschein: Traditionelle Glasmanufaktur Sundberg.

Ihr Atem zeichnete weiße Wölkchen in die eiskalte Winterluft. »Einen echten Glasbläser kennenzulernen …«, sie wandte sich Agneta zu, »… das erlebt man doch nicht alle Tage!«

Agneta verzog die Lippen zu einem wohlwollenden Lächeln, während sie die Hände langsam von den Handschuhen befreite.

»Schön, dass du so begeistert bist.« Zwar klang ihre Stimme herzlich, doch ein nervöser Blick auf die Uhr an ihrem Handgelenk verriet ihre Eile. »Wir dürfen nur nicht trödeln. Es gibt eine Menge zu tun.« Mit einem tiefen Seufzen fuhr sie fort: »Der Lageplan der Stände muss noch ausgearbeitet werden.«

»Ich weiß.«

»Der Parkplatzbereich muss abgesteckt werden.«

»Klar doch.«

»Und keinesfalls dürfen wir vergessen, dass …«

Was auch immer keinesfalls vergessen werden durfte, ging unter, weil genau in diesem Moment die Tür aufgezogen wurde und ein überraschend junger Mann in T-Shirt und Shorts zum Vorschein kam.

»Hej.«

»Hej«, erwiderten Ina und Agneta unisono.

»Ihr müsst die Damen vom Tingsmålahof sein.« Er lächelte, wie die Falten um seine Augen verrieten. Der Rest lag hinter einem buschigen Vollbart verborgen. »Ihr seid ja überpünktlich.«

»Ja, so sind wir«, sagte Ina. »Pünktlich wie die Maurer.«

Der Mann sah sie irritiert an. Offenbar zündete diese Redewendung im Schwedischen nicht.

»Nun, ich bin Ina.« Sie hob grüßend die Hand und winkte wie einst die Queen.

»Und ich bin Agneta. Wir haben miteinander telefoniert.« Wieder warf sie einen kurzen Blick auf ihr Handgelenk. »Leider sind wir sehr in Eile.« Ohne Vorwarnung machte sie einen Schritt nach vorn, so entschlossen, dass ihr Gastgeber instinktiv zur Seite weichen musste, um nicht über den Haufen gerannt zu werden. Ina blieb noch einen Augenblick auf der Fußmatte stehen, wartete auf eine offizielle Einladung, die aber nicht kam, weil der Mann Agneta so verdutzt ansah, dass er überhaupt nichts mehr sagte. Also zuckte Ina mit den Schultern und folgte ihrer Freundin auf dem Fuße.

Im Innern der Werkstatt war es so warm, dass sofort sämtliche Extremitäten ihres Körpers zu kribbeln begannen. Tatsächlich schlug ihr eine unglaubliche Hitze entgegen und veranlasste sie dazu, ihren schweren Mantel aufzuknöpfen. Nun verstand sie, warum der Mann derart sommerlich gekleidet war.

»Es freut mich, dass ihr da seid.« Endlich hatte er seine Stimme wiedergefunden.

Ina ergriff die Hand, die er ihr entgegenstreckte und an der Agneta gerade vorbeigelaufen war.

»Ich bin Oskar«, stellte er sich vor. »Oskar Sundberg. Du kannst deinen Mantel dort an die Garderobe hängen.« Er grinste sie an. Es war ein freundliches Grinsen, das nun sogar über den Vollbart hinausging. Sie wollte ihren Mantel gerade über die Garderobe werfen, als Oskar einen großen Schritt auf sie zu machte und sie mit einem energischen »Stopp!« innehalten ließ.

»Nicht darauf«, sagte er gehetzt. »Das ist keine Garderobe, es ist eine Skulptur!«

Ina warf einen verwirrten Blick auf Oskar, dann auf das Ding, das er so wohlwollend als Skulptur bezeichnet hatte. Es war ein etwa zwei Meter hohes Gebilde aus einem bunten Etwas, das sie bei näherem Hinsehen tatsächlich als verstaubtes Glas identifizierte. Dieser Gegenstand war so abstrakt, dass sie mehrere Blicke brauchte, um zu verstehen, was der Künstler darstellen wollte. Eine rollige Katze.

Beschwichtigend streckte er die Arme aus und warf ihr ein entschuldigendes Lächeln zu. Anscheinend war ihm sein aufbrausendes Verhalten nun ein wenig unangenehm.

»Bitte, nicht auf den Bären. Er ist äußerst zerbrechlich, eben aus reinem Glas gefertigt. Hierbei handelt es sich um eine originale Olle-Ahlström-Skulptur. Er ist mein großes Vorbild, musst du wissen.«

»Bär?«, wiederholte Ina ungläubig. Sie inspizierte die Skulptur näher. Gut, mit viel Wohlwollen erkannte sie nun tatsächlich einen Bären. Wobei dieser Bär nichts mit dem zu tun hatte, den sie im Sommer im Wald aufgescheucht hatte. Der hier war so dünn und unförmig, dass er ebenso gut eine überdimensionierte streunende Katze hätte darstellen können, die in ein schweres Unwetter geraten war und nun mit tropfnassem Fell ziemlich belämmert dastand. Die Pranken oder Tatzen, ganz so sicher war Ina sich bei der richtigen Bezeichnung nicht, was Bären anging, waren gespreizt, und das war dann wohl auch der Grund, warum sie sie mit den Haken eines abstrakten Garderobenständers verwechselt hatte. Ein Versehen eben. Konnte ja mal vorkommen. Was verstand sie schon von Kunst?

»Förlåtelse – Verzeihung.« Sie klatschte sich ein entschuldigendes Lächeln ins Gesicht.

Damit es nicht noch einmal zu einem Missverständnis kam, nahm Oskar ihr den Mantel aus der Hand und hing ihn über die Garderobe, die sich direkt neben der Skulptur befand. Ein Brett an der Wand mit Haken, wo bereits zwei Jacken ihr hängendes Zuhause gefunden hatten. Ina spürte, wie sie hochrot anlief; das war ja nun doch ein wenig unangenehm.

Kaum war der Mantel am Haken, drehte Oskar sich schwungvoll zu Agneta und forderte sie ebenfalls auf, ihm den Mantel zu reichen. Doch diese schüttelte nur den Kopf und schien nicht im Traum daran zu denken, ihn auszuziehen. Und das trotz der Hitze in der Glasbläserei.

»Wir werden nicht lange bleiben«, erklärte sie.

»Also dann.« Oskar rieb sich die Hände. »Besprechen wir alle Einzelheiten für den Weltrekordversuch.«

»Unbedingt«, sagte Ina. »Du bist also wirklich ein Glasbläser?«

Er führte sie durch das Atelier. Mit jedem Schritt wurde es heißer. Der Grund dafür war ein großer Schmelzofen, der auf Hochtouren lief und das Zentrum des Raumes bildete, in den Oskar sie führte.

»Ich betreibe diese Glasmacherei in der dritten Generation.« Er drehte sich im Halbkreis und streckte die Arme aus. »Hier stelle ich alles her, was ein glühender Glasklumpen so hergibt.«

Ina blieb kurz stehen und ließ den Blick durch die Werkstatt schweifen.

Sie wusste, dass dieses Handwerk fest mit der Region verbunden war. Aber noch nie hatte sie eine Glasmanufaktur von innen gesehen. Entsprechend sog sie alle Eindrücke in sich auf. Sie sah Werkzeuge, deren Zweck sich ihr nicht erschloss: lange Zangen, Röhren mit seltsam geformten Spitzen und massive Eisenstangen.

An den Wänden reihten sich hohe Regale, auf denen die verschiedensten Glaserzeugnisse ausgestellt waren. Kerzenhalter, Gläser, Kelche, Vasen, Tassen … Überall entdeckte sie unzählige kleine Kunstwerke aus Glas.

Sie trat näher an etwas heran, das aussah wie ein gläserner Tintenfisch. Besonders fasziniert war sie von einer ganzen Herde an Hirschen und Elchen, die aus buntem Glas gefertigt waren. Vor allem einer zog sie in Bann: Die Schaufeln leuchteten in einem derart satten Orange, dass es wirkte, als stünden sie in Flammen.

Sie schaute sich weiter um.

Auf dem Arbeitstisch, der die halbe Raumlänge einnahm, lagen fertig geformte Glasblasen in verschiedenen Größen. Eine davon war so groß wie ein kurz vor dem Platzen stehender Luftballon.

Sie ging darauf zu, streckte die Hand aus, hielt aber inne, bevor sie eine der Glasblasen berührte, weil sie so zerbrechlich wirkten.

»Das ist beeindruckend.« Sie drehte sich zu Oskar um.

»Wenn du das sagst.« Er zuckte halbherzig mit den Schultern. »Ich finde ja, dass es noch nicht beeindruckend genug ist.« Mit Daumen und Zeigefinger strich er sich über den Bart und betrachtete die aufgereihten Blasen eingehend. »Wie ihr seht, habe ich viel geübt.« Seine Hand fuhr über die größte der Blasen. »Ein Weltrekordversuch ist echt kein Kinderspiel«, murmelte er.

Ina fand die Idee ungemein spannend. Seit sie zum ersten Mal aufgekommen war, hatte sie sich intensiv mit dem Thema »Weltrekorde« beschäftigt. Dabei hatte sie festgestellt, dass die Erfolgschancen gar nicht so schlecht standen. Bislang hatte es nämlich noch keinen offiziellen Versuch gegeben, den Rekord für die größte jemals mundgeblasene Glasblase aufzustellen. Lediglich ein deutscher Glasbläser hielt den Titel für die größte mundgeblasene Christbaumkugel der Welt. Dieser Rekord galt nun als Referenz – und bedeutete für Oskar, dass seine Glasblase einen Durchmesser von mehr als sechzig Zentimeter erreichen musste. Das war enorm. Zwar sah sie noch keine Blase in der Werkstatt, die auch nur im Ansatz an diese Größe herankam, aber das trübte ihre Zuversicht keineswegs.

»Jedenfalls glaube ich, endlich die richtige Technik gefunden zu haben.« Oskar strahlte mit einem Mal so sehr, dass sich sein Bart anhob. Und dann blies er die Backen auf und wirkte wie ein bärtiger Kugelfisch.

Ina riss ungläubig die Augen auf. Noch nie hatte sie gesehen, dass jemand so sehr die Backen aufblasen konnte. Allein dafür hatte sich dieser Besuch bereits gelohnt!

Agneta schien weniger beeindruckt. »Du wirst es aber doch hinbekommen?«, fragte sie mit hochgezogener Braue.

Oskar hob die Hände. »Keine Sorge«, sagte er in einem beschwichtigenden Tonfall. »Ich werde euch nicht blamieren.«

Ina sah ihm an, wie nervös er plötzlich war. Das war nur zu verständlich. Wie oft kam es schließlich vor, dass man einen Weltrekord aufstellen wollte? Selbst sie war aufgrund dieses Ereignisses angespannt.

Überhaupt war alles aufregend. Sie konnte es kaum bis zum Wochenende erwarten, wenn der gesamte Hof sich in einen Wintermarkt verwandeln würde. Sie hatten wahrhaft Großes vor. Neben den Ständen, an denen sie selbst erzeugte Produkte verkaufen würden, wurde der zugefrorene See zu einer Eislaufbahn umgestaltet – inklusive Schlittschuhverleih und jeder Menge bunter Lichterketten, die sich um den gesamten See spannten. Darüber hinaus hatte Ina sich von der Fernsehsendung Bares für Rares inspirieren lassen und mit dem ortsansässigen Antiquitätenhändler Sören Bergmann eine Kooperation vereinbart: Besucher konnten ihre vermeintlich wertvollen Schätze mitbringen und von ihm kostenlos begutachten lassen – eine Art Gratisexpertise vom Profi. Auch wenn Ina nach ihrer letzten Begegnung mit Bergmann noch immer wenig Sympathie für ihn empfand, musste sie einräumen, dass seine Teilnahme eine echte Bereicherung für den Wintermarkt darstellte. Also hatte sie ihre persönlichen Erfahrungen mit ihm beiseitegedrängt. Immerhin hatte Viggo ihn damals als Geschäftspartner gewählt. Also musste dieser Bergmann ja irgendetwas richtig machen.

Auf jeden Fall war es ein riesengroßer Spaß, gemeinsam mit Ebba, Agneta und Svante das Fest zu planen. Erstmals gab es Alpaka-Wanderungen durch den Schnee und sogar eine echte Hundeschlittenfahrt. Den absoluten Höhepunkt jedoch würde natürlich Oskars Weltrekordversuch darstellen.

Genau aus diesem Grund waren sie hier: um sich davon zu überzeugen, dass er tatsächlich gewinnen könnte. Und das teilte Ina ihm entsprechend mit. »Wir glauben an dich, du schaffst das!«

Mit einem tiefen Atemzug nickte er und spannte den Brustkorb ein wenig.

»Dafür trainiere ich jeden Tag«, erklärte er. »Ihr glaubt gar nicht, was es alles zu berücksichtigen gilt.« Er sah die beiden abwechselnd an. »Die Hitze, die Geschwindigkeit des Blasens, ein gleichmäßiger Druck, der immerzu ausgeübt werden muss.« Diesmal wirkte sein Lächeln beinahe verträumt. »Es ist wie ein Tanz mit dem Glas«, sagte er. »Eine perfekt einstudierte Choreografie.« Unvermittelt hielt er mit dem Schwärmen inne. »Ach, was rede ich. Möchtet ihr sehen, wie das funktioniert?«

Inas Augen leuchteten. »Oh, unbedingt! Das wäre fantastisch!«

Agneta hingegen blickte demonstrativ auf ihre Uhr. »Wir haben wirklich keine Zeit. Wir müssen doch noch so viel erledigen.«

»Es dauert nicht lange.« Oskar ließ sich nicht beirren. Er griff nach einer langen, hohlen Stange, die auf dem Tisch lag, und erklärte ihnen, dass es sich dabei um eine sogenannte Glasmacherpfeife handelte – das wichtigste Werkzeug seines Handwerks.

Dann klappte er die Ofenluke auf. Im selben Moment wich Ina instinktiv einen Schritt zurück, denn ihr schlug eine gewaltige Hitze entgegen, als hätte jemand den Zugang zu einem aktiven Vulkan geöffnet. »Der Ofen ist rund 1000 Grad heiß.« Oskar konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Als Glasbläser muss man große Hitze aushalten können.«

Vorsichtig führte er die Spitze der Glasmacherpfeife in den offenen Schmelzofen und tauchte sie in die zähflüssige, glühend rote Glasmasse, die dort brodelte wie Lava. Ina schlug noch mehr Hitze ins Gesicht, als Oskar das geschmolzene Glas herauszog. Es war ein leuchtender Klumpen, der wie ein Tropfen an der Spitze der Pfeife hing. In ständigen, kontrollierten Bewegungen drehte er die Pfeife, um das Glas gleichmäßig abzukühlen und zu formen.

Dann setzte er das Mundstück an die Lippen und begann, Luft in das Glas zu blasen. Der Klumpen dehnte sich langsam aus zu einer runden, glänzenden Blase, die stetig wuchs. Die Farben schimmerten – erst intensiv orange, dann nach und nach abkühlend zu einem sanfteren Gelb.

Ina stieß einen begeisterten Pfiff aus, als die Blase immer größer wurde. Oskar hielt inne, drehte die Pfeife weiter und blies erneut hinein. Es war faszinierend, wie präzise er arbeitete. Nun verstand sie, was er eben mit einer Choreografie gemeint hatte. Jede Bewegung schien absolut durchdacht.

Die Blase dehnte sich weiter aus. Erst wie ein Kaugummi, dann wie ein Luftballon. Doch als sie die Größe eines Fußballs erreichte, knickte sie an einer Seite ein.

Oskar hob die Pfeife an und versuchte, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Zunächst schien es, als würde es ihm gelingen. Doch im nächsten Augenblick fiel die Blase in sich zusammen, und die glühenden Überreste tropften auf den Arbeitstisch.

»Alles halb so wild!« Er fuhr sich durch die Haare und setzte ein unverwüstliches Lächeln auf. »Bis zum großen Tag wird es schon klappen.« Nun rieb er sich über die bärtigen Wangen. »Ich möchte mir eben noch ein wenig die Kräfte einteilen.«

»Das wird schon!« Ina lächelte ihn mit all ihrer Zuversicht an.

»Und der Ofen?«, fragte Agneta mit skeptischem Blick auf das massive Konstrukt. »Du kannst ihn ja schlecht zu uns auf den Hof transportieren.«

»Keine Sorge«, sagte Oskar. »Ich werde einen mobilen Gasofen mitbringen. Er ist kompakt, sodass ich ihn transportieren kann, und leistungsstark genug, um Glas zu erhitzen. Natürlich ist er kleiner als mein Werkstattofen, aber für eine einzelne Blase sollte es ausreichen.«

Agneta wirkte skeptisch. »Und der funktioniert genauso gut wie der hier?«

»Ich will es hoffen«, antwortete Oskar ehrlich. »Sonst würde ich vor den anderen Glasbläsern echt dumm dastehen.«

Ina strahlte ihn an. »Das wirst du ganz sicher nicht, Oskar. Du wirst das Highlight unseres Festes werden und den Weltrekord nach Småland holen!«

Kapitel 4 Glück im Teebeutel

Mit vollem Magen saß Ina in Ebbas Küche, in der der Ofen vor sich hin bollerte und wohlige Wärme verteilte.

Sie dachte nach.

Oves Brief ließ ihr einfach keine Ruhe, weshalb sie ihn noch einmal aufgesucht und mit entsprechendem Nachdruck darauf bestanden hatte, dass sie ihn zu lesen bekam. Seither sah sie sich endgültig darin bestätigt, dass dieses Schreiben nichts anderes war als eine handfeste Drohung. Beschwörend hatte sie auf Ove eingeredet, Lars davon zu erzählen – was er natürlich noch nicht getan hatte. Doch Lars war Polizist und wusste dementsprechend, wie man mit solchen Drohungen umzugehen hatte. Ove aber wollte davon nichts wissen und meinte nur, dass sein Sohn bereits genug Stress um die Ohren habe. Da müsse er ihn nicht auch noch mit solch abstrusen Dingen belästigen.

Ina verstand einfach nicht, wie das Verhältnis der beiden derart kompliziert sein konnte. Da lobte sie sich ihre Beziehung zu ihrer Tochter, mit der es in den letzten Monaten so harmonisch verlaufen war wie seit Jahren nicht mehr. Eigentlich grenzte es fast an ein Wunder, dass Paula und sie wieder zueinandergefunden hatten. Eine regelrechte Eiszeit hatte zwischen ihnen geherrscht, nachdem ihre Tochter der Ansicht gewesen war, dass Ina schuld am Zusammenbruch der Familie sei. Und damit hatte sie wahrscheinlich sogar recht. Aber das Leben verlief nun einmal nicht wie in einem Bilderbuch.

Selbst als Ina den Entschluss gefasst hatte, auszuwandern, hatte sie diese Entscheidung ohne den Zuspruch ihrer Tochter getroffen. Mehr noch, nicht einmal ans Telefon hatte sie Paula bekommen, um sich von ihr zu verabschieden. Umso mehr genoss sie das neue Miteinander auf einer Ebene, die weniger die von Mutter und Tochter war, sondern die zweier guter Freundinnen.

Sie nippte an ihrem heißen Tee, den Ebba ihr gerade serviert hatte, und dachte intensiv über Paula nach. Über das, was sie beide sich hier in dieser kurzen Zeit aufgebaut hatten, im fernen Schweden, weit weg von der Heimat. Gegenseitiges Verzeihen, tiefgründige Gespräche in den endlos wirkenden Sommernächten. Dann die Befreiung der Tochter aus den Klauen einer Serienmörderin … was es eben so brauchte, um wieder zueinanderzufinden. Und nun saß sie hier und genoss das Völlegefühl vom reichhaltigen Frühstück, das Ebba aufgetischt hatte. Mittlerweile war es zu einer hübschen Tradition geworden, dass sie sich einmal in der Woche zum gemeinsamen Frühstück trafen. Bis eben war Agneta mit von der Partie gewesen, doch sie hatte sich bereits verabschieden müssen, um den Fahrer des Getränkehandels in Empfang zu nehmen, der die Bestellung für das Winterfest anlieferte.

»Dass sie sich aber auch nicht mal den Hauch einer Entspannung gönnt.« Svante, der Ina in seinem kuscheligsten Flanellhemd gegenübersaß, brummte vor sich hin. So, wie er es immer tat. Dann griff er über den Tisch und nahm sich aus dem Weidekorb noch einen Haferkeks, den Ebba frisch gebacken hatte. Damit bewies er Mut. Ina war weitaus vorsichtiger damit, irgendwelche selbst gebackenen Dinge von Ebba zu probieren. Denn die hatten mitunter die Wirkung, dass man von einem Bissen auf den anderen völlig neben sich stand.

»Aber das ist doch nur verständlich«, erwiderte Ina. »Morgen ist der große Tag. Logisch, dass da noch einiges zu tun ist.«

»Das musst du mir nicht sagen«, gab er grummelnd von sich. »Ich habe selbst noch unendlich viel zu tun, aber dennoch muss man sich die Kräfte einteilen. Außerdem sollte sie ruhig ein Stück mehr Verantwortung an Janis abgeben. Der Junge kann das, er ist reif genug dafür.« Er fuhr sich durch das struppige Haar und hinterließ einen wuscheligen Wirbel an der Seite. »Außerdem ist nichts wichtiger als ein ausgewogenes Frühstück.« Wieder griff er quer über den Tisch, langte dieses Mal aber nicht nach einem Haferkeks, sondern nach Inas Hand. Er drückte sie sanft und lächelte sie an, während er sich den Keks in den Mund schob und genussvoll davon abbiss. Mit einem weiteren Bissen verschwand der Keks vollständig in seinem Mund. Er kaute, schluckte. Dann griff er nach der Teetasse und trank sie in einem Zug aus. Ina sah ihn verliebt an. Der Tee war unverschämt heiß, aber das schien diesem Bären von einem Mann überhaupt nichts auszumachen.

»Köstlich!« Mit dem Handrücken wischte er sich über den bärtigen Mund.

»So, findest du?« Ebba, die schräg neben ihm saß, goss ihm nach und beäugte ihn. »Was daran findest du besonders köstlich? Was schmeckst du heraus?« Ihre Hand wanderte in eine Falte ihrer Kittelschürze und zog einen kleinen Notizblock sowie einen Kugelschreiber heraus, auf dessen Knopf sie drückte. »Beschreibe es mir ganz genau«, forderte sie.

»Ebba?« Ina war in Habachtstellung. Svante jedoch antwortete ihr unbekümmert.

»Na, Kräuter eben«, sagte er. »Und zwar jede Menge davon.« Er grinste sie an. »Ist ja auch ein Kräutertee, nicht wahr?«

»Jaja.« Ebba nickte ungeduldig. »Aber welche hast du herausgeschmeckt?«

Ina warf einen Blick in ihre noch halb volle Teetasse. Es war ein vorsichtiger Blick.

Svante lehnte sich entspannt zurück und drehte die Teetasse langsam in den Händen. Dann hob er sie an die Nase und schnupperte tief. »Hm … also, da ist definitiv Kamille drin. Und … Pfefferminze. Ziemlich viel Pfefferminze, würde ich sagen.« Er hielt kurz inne, ließ den Tee auf der Zunge zergehen und fuhr fort: »Etwas Süßliches … Süßholz vielleicht?«

Ebba kritzelte eifrig auf ihren Notizblock. »Interessant«, murmelte sie. »Weiter.«

»Hm.« Svante rieb sich das Kinn. »Da ist noch etwas Herbes, aber nicht unangenehm. Vielleicht Wacholder? Ich kann es nicht richtig einordnen. Es schmeckt … wild.«

Ina beobachtete ihn skeptisch, weil es sie grenzenlos überraschte, wie sehr ihr Svante sich über den Teegeschmack auslassen konnte. Sie schaute Ebba an, in deren Augen ein neugieriges Funkeln loderte.

»Du, sag mal, Ebba«, setzte Ina noch einmal an, diesmal lang gezogen und in einem eindeutig mahnenden Tonfall. »Um was für eine Art von Kräutertee handelt es sich hier?«

»Oh, einer, in den nur die besten Kräuter kommen, die Schweden zu bieten hat«, antwortete Ebba vage, ohne vom Notizblock aufzusehen. »Alles aus der Natur. Außerdem ist es kein Kräutertee, sondern ein Glückstee.« Ihr Blick richtete sich auf Svante, der prompt vor sich hin gluckste. »Eben weil er glücklich macht, nicht wahr?«

Er nickte. »Und wie er das macht!«

Inas Verdacht erhärtete sich. Sie horchte in sich hinein. Fühlte sie etwas? War ihr schwindlig? Verspürte sie ein ungeahntes Glücksgefühl? Zumindest war da ein ganz leichter Druck an den Schläfen, aber das konnte auch Einbildung sein. Immerhin hatte sie bislang nicht mehr als zwei, drei Schlucke zu sich genommen, weil ihr der Tee noch zu heiß war. Sie hob die Tasse an, um einen prüfenden Blick auf den Tee zu werfen. Die goldene Flüssigkeit duftete tatsächlich intensiv, ein Hauch von Süße, ein Hauch von Bitterkeit. Und genau diese Mischung machte sie durstig. Also erhob sie sich und ging auf die Küchenzeile zu, um sich etwas Wasser einzuschenken. Da fiel ihr Blick auf das untere Regal des Küchenschranks.