Know Us 1. Know me again. June & Kian - Jette Menger - E-Book
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Know Us 1. Know me again. June & Kian E-Book

Jette Menger

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Beschreibung

Die Studentin June kommt vor Aufregung fast um: Kian, ihr bester Freund aus der Schulzeit, kehrt aus Australien zurück in ihre Heimatstadt Bath und zieht zu ihr in die WG. Doch die Zeit ist in den letzten Jahren nicht stehen geblieben. Der einst pummelige Kian hat Muskeln und Tattoos und die früher aufgedrehte June ist schüchtern und zurückhaltend geworden. Die Anziehung zwischen ihnen ist jedoch nicht zu übersehen. Es funkt gewaltig und June kann sich Kians Flirts kaum entziehen. Wären da nicht die Geheimnisse der Vergangenheit …

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Über dieses Buch

Was, wenn deine Vergangenheit plötzlich vor deiner Tür steht … und dein Leben vollkommen durcheinanderbringt?

June hat mit fast allem gerechnet, als sie ihren besten Freund Kian nach sieben Jahren zum ersten Mal wiedersieht. Nur nicht damit, dass ihr Herz plötzlich doppelt so schnell schlägt. Und auch nicht damit, dass aus dem pummeligen Jungen mit braunen Locken ein tätowierter Mann geworden ist. Die alte Vertrautheit zwischen ihr und Kian ist schnell zurück – doch sieben Jahre sind eine lange Zeit, und Junes Leben hat sich verändert, seit Kian sie verlassen musste. Wird June es schaffen, die Schatten der Vergangenheit hinter sich zu lassen, um sich Kian zu öffnen?

 

Band 1 der neuen New Adult-Reihe zum Dahinschmelzen

 

 

 

Für alle Schüchternen.

 

 

 

Früher

 

Wir kannten uns

waren wie Geschwister

konnten die Gedanken des und der anderen

in der Mimik lesen

konnten die Gefühle der und des anderen

auf hundert Meter Entfernung spüren

Wir waren eins

Eine Seele

Wir kannten uns

Früher

Kapitel 1

Ich bin in zehn Minuten da.

Noch vier.

Ich ließ den Bildschirm meines Handys schwarz werden und warf es aufs Sofa, um die Nachricht nicht noch ein weiteres Mal zu lesen. Meine Hände verschränkte ich ineinander, nur um sie im nächsten Moment wieder auszuschütteln. Fahrig strich ich mir durch meine braunen Locken.

Ich hätte Kian vom Flughafen abholen können, aber stattdessen war ich brav zu meinem letzten Kurs gegangen.

Jetzt konnte ich nur warten und von einer heißen Kohle zur nächsten springen.

Ich griff wieder nach meinem Handy.

Noch drei.

Auch das Hypnotisieren der Uhr ließ sie nicht schneller umspringen. Stöhnend warf ich das Telefon zurück aufs Sofa.

Immer noch drei Minuten.

Ruhig bleiben, June.

Ich stand auf und tigerte im Wohnzimmer auf und ab. Mein Atem ging unregelmäßig, und meine Handflächen schwitzten mittlerweile.

Als es an der Tür klingelte, zuckte ich zusammen. Mitten im Wohnzimmer blieb ich stehen und lauschte. Nicht sicher, ob ich mir das Geräusch vielleicht nur eingebildet hatte.

Aber nein, es klingelte erneut.

Langsam setzte ich mich in Bewegung. Ich ballte die Hände zu Fäusten und atmete in den Bauch.

Ich würde einem fremden Menschen die Tür öffnen.

Das waren wir inzwischen. Fremde.

Ich kannte seinen Lieblingsplatz nicht mehr und auch nicht den Ort, an dem er arbeitete.

Ich wusste nichts über sein Leben in Sydney.

Langsam durchquerte ich den Flur.

Meine Hände zitterten, als ich nach der Türklinke griff und ich brauchte mehrere Anläufe, um sie herunterzudrücken.

Das leise Klicken dröhnte laut in meinen Ohren.

Was, wenn wir uns nicht wiedererkannten?

Vielleicht hatten sieben Jahre Trennung bewirkt, dass wir keine Freunde mehr sein konnten.

Was würde ich dann tun?

Die Tür schwang auf.

Ich erstarrte.

Erst nach zwei Sekunden weiteten sich meine Augen, und aus Angst, den Boden unter den Füßen zu verlieren, klammerte ich mich an der Tür fest.

Da war er.

Kian.

Ich musste zweimal hinsehen, um ihn zu erkennen.

Bis auf die funkelnden Augen und das schiefe Lächeln erinnerte mich nichts mehr an den Jungen von damals.

Er hatte Tattoos. Das war das Erste, was mir auffiel. Schwarze Tinte zierte seine Ober- und Unterarme. Einzelne Wörter und Sätze waren für immer unter seiner Haut verewigt, zu klein, um sie von hier lesen zu können. Sein T-Shirt spannte über seinen breiten Schultern.

Ich schnappte nach Luft. Wann hatte mein pummeliger bester Freund Muskeln bekommen?

Er fuhr sich durch die Haare, die ihm nicht mehr bis über die Schultern reichten. Seine braunen Locken bildeten nur noch ein verstrubbeltes Etwas und waren nicht mehr lang genug, um sie zu einem Zopf zusammenzubinden.

Er musterte mich so eingehend, dass mir warm wurde.

Auch ich hatte mich verändert, meine Kleidung war schlichter geworden, ich trug mein Haar etwas länger und benutzte kein Make-up mehr.

Ob er mich wiedererkannte? Was er wohl dachte?

Seine Lippen formten ein tonloses Hey.

»Hey«, flüsterte ich zurück.

Das Lächeln, das er mir schenkte, löste endlich meine Schockstarre.

Es war Kians Lächeln.

Vertraut.

Ich konnte nicht sagen, wer sich zuerst bewegte, ob er zuerst seine Reisetaschen fallen ließ und die Arme ausbreitete, oder ob ich zuerst den Türrahmen losließ.

Mit einem einzigen Satz war ich bei ihm, schlang die Arme um seinen Körper und drückte ihn an mich.

Wie gut das tat.

Wie sehr ich das vermisst hatte.

Ich vergrub mein Gesicht an seiner Schulter und schloss die Augen.

Vertraut.

Er benutzte noch immer die gleiche, mir so sehr vertraute Seife. Die, deren Geruch sich nach Zuhause anfühlte, weil allein er so lange meine Definition von Heimat gewesen war.

Minze.

Ich entspannte mich.

Ich umarmte Kian. Den Mann, neben dem ich im Sandkasten gespielt hatte.

Einzelne Sätze gingen mir durch den Kopf, doch ich war zu durcheinander, um sie auszusprechen.

Schön, dich wiederzusehen.

Du hast mir gefehlt.

Ich lehnte mich zurück, um ihn anzusehen.

Ich brauchte nichts zu sagen, ich konnte sehen, dass er das Gleiche dachte.

Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

»Du siehst erwachsen aus.«

Ich erstarrte. Seine Worte ließen mich die Umarmung auflösen.

Werd erwachsen, June.

Ich verdrängte den Spruch von damals in den hinteren Teil meines Hirns. Kian war nicht wie diese Menschen.

Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen. »Du bist jung geblieben.«

Seine Antwort war ein Grinsen, er wusste offenbar, was für eine Wirkung er im Vergleich zu damals hatte, jedoch nicht, was in mir vorgegangen war.

»Bist du es wirklich?« Gespielt schockiert tippte ich gegen seine Brust. »Du siehst nicht aus wie mein Kian.«

Er kräuselte die Stirn, als müsste er erst darüber nachdenken.

»Ich weiß, ich sehe besser aus.«

Ein Augenzwinkern.

Lässig fuhr er sich durchs Haar. Eine Geste, in der ich nichts von dem alten Kian erkannte. Es versetzte mir einen Stich, trotzdem grinste ich.

»Das sehe ich. Ich hätte nie gedacht, dass ich dich mal nicht mehr wegen deinem nicht vorhandenen Bizeps aufziehen kann.«

Ich boxte gegen seine Schulter. Er lachte und ich stellte fest, wie sehr ich dieses Lachen vermisst hatte.

Langsam ließ er seinen Blick über meinen Körper wandern. Ein Funkeln lag in seinen Augen, als er antwortete. »Und ich hätte nie gedacht, dass ich dich mal nicht mehr wegen deiner nicht vorhandenen Brüste aufziehen kann.«

Hitze schoss mir in die Wangen, aber diese Seite an ihm kannte ich wenigstens. Kopfschüttelnd griff ich nach einer der beiden Reisetaschen, die er bei sich hatte.

»Komm doch erst mal rein, Bodybuilder.«

Eine einzelne Sekunde lang verdunkelten sich seine Augen. Seine Hand schloss sich um den Gurt der anderen Tasche und klammerte sich daran fest.

Ich trat einen Schritt zur Seite, um ihn durchzulassen.

War es Zufall, oder mied er meinen Blick?

Ich schloss die Tür hinter ihm, während er seine Schuhe von den Füßen trat.

Wir gingen ins Wohnzimmer. Kian lud seine Tasche mitten im Raum ab. Ich zwang mich, nicht auf die Muskeln zu starren, die dabei unter seinem Shirt zu sehen waren, und zog die andere Tasche neben ihn.

Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Über die gemütliche Sofaecke, den Holztisch, den wir zum Essen benutzten, und die große Regalwand, die größtenteils mit Büchern gefüllt war, aber auch meine Querflöte hatte darin Platz gefunden.

Kians Blick blieb an einem Foto hängen, das ich in einem Rahmen zwischen die Bücher gestellt hatte. Die Schwarzweißfotografie zeigte zwei Kinder, die sich in den Armen hielten. Kian küsste meine Stirn, während ich das Gesicht unglücklich verzogen hatte. Ich war an diesem Tag mit dem Fahrrad gestürzt und hatte mir die Knie blutig geschlagen. Kian hatte mir hochgeholfen und mich in den Armen gehalten.

Mein großer Bruder Jake hatte das Foto gemacht. Ich hatte eine Woche lang nicht mit ihm geredet, weil er sich lieber eine Kamera vor die Nase hielt, anstatt mir aufzuhelfen. Aber dann hatte ich das Foto gesehen und ihn geknutscht. Es war eine perfekte Momentaufnahme.

Dieses Bild zeigte, wie nah wir uns standen.

Wie nah wir uns gestanden hatten.

Ich wusste nicht, ob es noch immer so war. Aber Kians Lächeln ließ es mich fast glauben. Mit wenigen Schritten war er bei mir. Mein Blick folgte seinen Händen, die ein Portemonnaie aus seiner Hosentasche zogen. Er holte ein zerknittertes Foto heraus. Ich hielt den Atem an, als er es auseinanderfaltete und mir entgegenhielt. Es war das gleiche wie in meinem Bücherregal.

Für imer. stand in den krakeligen Buchstaben einer Sechsjährigen über unseren Köpfen. Damals hatte ich mich für die größte Poetin aller Zeiten gehalten. Heute brachte es mich zum Lächeln.

»Du hast es behalten«, flüsterte ich tonlos.

Entrüstet runzelte er die Stirn.

»Ich trage es immer bei mir.«

»Imer?«, fragte ich gespielt belustigt. Er verstaute das Foto wieder und sah mich ernst an.

»Für imer.«

Mein Herz machte einen Sprung. Mein Blick fand seinen und ich verlor mich in der Tiefe darin.

Ich trat einen Schritt vor.

Ich berührte ihn.

Meine Hand wanderte in seinen Nacken und sein Haar. Ich fing seine Locken ein, ließ sie durch meine Finger gleiten und zog leicht daran.

»Seit wann sind sie so kurz?«, fragte ich flüsternd, während ich fasziniert zusah, wie das Haar schon nach wenigen Zentimetern wieder meine Hände verließ.

»Erst seit Kurzem.« Er wich meinem Blick aus, als ich ihn ansah. »Ich habe sie geschnitten, bevor ich hergeflogen bin.«

Ich runzelte die Stirn. »Warum?«

Er sah mich wieder an, und für eine einzige Millisekunde war sein Blick offen, zeigte mir all den Schmerz, den er empfand, bis es vorbei war und ich glaubte, mir alles nur eingebildet zu haben.

»Wegen der Arbeit.« Er verschloss sich, als er mir antwortete. Er trat einen Schritt zurück und löste den Körperkontakt zwischen uns.

Ich fragte nicht weiter. Ich fragte nicht, was er gearbeitet hatte, und auch nicht, warum allein der Gedanke daran ihn so fertig machte. Ich kannte diesen Blick, den er aufsetzte, wenn er nicht darüber reden wollte. Und ich akzeptierte es.

Ich akzeptierte es, weil ich genau wusste, wie es sich anfühlte, nicht reden zu wollen.

Er ließ sich aufs Sofa fallen. »Wie geht es Ella?«, fragte er. Seine Lippen umspielte ein Grinsen, aber in seinem Blick lag noch immer der Schatten einer Erinnerung, von der ich keine Ahnung hatte.

Ich setzte mich ans andere Ende des Sofas, zog die Beine an meine Brust und schlang die Arme darum. »Sie kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen.«

Der traurige Ausdruck verschwand aus seinen Augen. Zurück blieb das Lächeln.

»Dachte ich mir.«

Wärme erfüllte mein Herz. Ella war die Einzige, die mir aus unserem damaligen Freundeskreis geblieben war.

»Ihr wart mir schon damals verfallen.«

Ich rollte die Augen.

»In deinen Träumen vielleicht.«

Er lachte und wackelte mit den Augenbrauen. »Glaub mir, June, in meinen Träumen spielst du die Hauptrolle.«

Wie konnte ein einzelner Satz mein Herz so schnell schlagen lassen?

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Seit wann ist dein Ego eigentlich so groß?«

Sein Lächeln erstarb. Er fixierte einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand.

Als er sich wieder zu mir umdrehte, war sein Gesicht eine kühle Maske.

»Was treibt Jase?«

Ich zuckte zusammen. Mein Herz trommelte. Ich hatte diesen Namen seit Jahren nicht mehr ausgesprochen gehört. Jeden einzelnen Tag aufs Neue versuchte ich ihn zu vergessen.

Ich wischte meine schwitzenden Hände an der Hose ab.

»Er hat die Stadt nach unserem Abschluss verlassen.«

Der einzige Grund, weshalb ich geblieben war.

Kian riss die Augen auf. »Oh«, formten seine Lippen.

»Wir haben keinen Kontakt mehr«, schob ich hinterher. Meine Stimme zitterte.

Ich wechselte das Thema.

Wir sprachen nicht mehr über die letzten sieben Jahre, und ich erzählte ihm nicht, wie sehr ich mich verändert hatte.

Kapitel 2

Simon reichte mir eine geöffnete Bierflasche, während Pekka seine feierlich in die Mitte des Tisches hob.

»Auf unseren neuen Mitbewohner.«

Wir stießen an.

Kian lächelte. Er hatte sich ein Hotel suchen wollen, aber ich hatte darauf bestanden, dass er zu uns in die WG zog.

»Danke, dass ihr mich unterkommen lasst«, meldete er sich zu Wort.

»Na logo, Junes Freunde sind immer herzlich willkommen.« Pekka grinste breit. Er setzte seine Flasche an die Lippen und stürzte den halben Inhalt hinunter.

»Wie lange willst du bleiben?«, fragte ich und nippte an meinem eigenen Bier.

Hoffentlich für immer.

Kian zuckte die Schultern. »Kommt drauf an, wie lange ich dich ertrage.«

Ich ignorierte die Tatsache, dass er mir mit einem Witz auswich, und schnaubte. »Oder ich dich.«

Pekka lachte laut auf. »Ich mag dich, Kumpel.«

Auch wenn er sich große Mühe gab, war sein Akzent kaum zu überhören. Er kam aus den Niederlanden, und diesem Akzent war die Hälfte seiner Bettbekanntschaften verschuldet.

Auch ich zählte dazu.

Ich lernte ihn an meinem neunzehnten Geburtstag kennen. Betrunken. Die schlechteste Voraussetzung, um nicht mit ihm im Bett zu landen. Und so hatte ich mein erstes Mal mit einem Mann, der jeden einzelnen Tag ein schwarzes T-Shirt und eine blaue Jeans trug, dessen Haare einem ebenfalls fast schwarz erschienen und der ein Arschloch war.

Ich war mir sicher, dass wir nur Freunde waren, weil er unsere Nacht vergessen hatte. Keine seiner Sexbekanntschaften bekam ihn noch mal zu Gesicht.

Es klingelte an der Haustür, und Pekka erhob sich. Kurz darauf war er mit vier Pizzakartons zurück. Er war mit Kochen dran gewesen, aber Pekka konnte nicht mehr zubereiten als eine Wodka-Orangensaft-Mische.

Er klopfte Kian auf die Schulter und stellte einen Karton vor ihm ab. »Du hast einen schlechten Tag erwischt, Mann.«

Schwerfällig ließ er sich zurück auf seinen Stuhl fallen.

»Wenn Simon kocht, gibt es das gute Essen.«

Simons Lippen umspielte ein Lächeln. Er machte eine Ausbildung zum Koch und war jetzt schon besser, als viele Sterneköche. Ich war überzeugt davon, dass er eines Tages selbst einer werden würde.

Wir tauschten einen wissenden Blick, als Kian versicherte, er würde Pizza lieben.

Irgendwann konnte man sie einfach nicht mehr sehen.

»Wenigstens einer, der meine Pizza zu schätzen weiß.« Pekka nickte Kian zu, während Simon aufstöhnte.

»Dieser Haushalt ist so schrecklich demütigend für einen Koch.«

Grinsend klappte ich meinen Pizzakarton auf.

Ich redete nicht viel während des Essens. Ich lachte über die Witze der anderen, hörte ihren Geschichten zu, erzählte selbst aber keine. Pekka und Simon waren das gewöhnt. Kian nicht. Ich erkannte den Blick, den er mir zuwarf, der mir signalisierte, dass er mein Schweigen bemerkt hatte. Nur wusste er nicht, dass dieses Schweigen mittlerweile normal war.

Nach dem Essen schauten wir Guardians of the Galaxy. Simon hatte beinah jeden Superheldenfilm auf Platte, und er war auch der Grund, weshalb in unserer WG kein anderes Genre mehr geschaut wurde. Lächelnd kam ich Kians Aufforderung nach, als er neben sich aufs Sofa klopfte.

»Pekka«, sagte ich und zeigte neben ihn. »Decke, bitte.« Auffordernd streckte ich die Hand aus. Er grinste mich an, griff nach der Decke, kuschelte sich selbst darin ein und schnurrte zufrieden.

Mistkerl.

Simon ließ sich neben ihn fallen, während er synchron mit Kian lachte. Bittend sah ich ihn an. Er warf mir eine Decke zu. Ich fing sie auf und funkelte Pekka an.

»Wenigstens wohnt ein Gentleman in diesem Haus.«

»Oh, ich bin sicher, jetzt hast du zwei«, gab Pekka ungerührt zurück, während er nach der Fernbedienung griff, um die Sprache einzustellen.

Ich wechselte einen Blick mit Kian. Er grinste mich an. Wir teilten uns die Decke und richteten unsere Aufmerksamkeit auf den Fernseher. Meine Augenlider wurden schon nach wenigen Minuten schwerer. Ich hatte die letzte Nacht vor Aufregung nicht geschlafen, und auch die drei Kaffee, die ich heute getrunken hatte, konnten nicht verhindern, dass mir jetzt Schlaf fehlte.

Ich glitt über in eine Welt ohne Probleme, in der Kian meinen Namen flüsterte und mir die Haare aus der Stirn strich.

Schöner Traum.

Seine Berührungen fühlten sich echt an und ließen mich die Augen öffnen. Kians Gesicht tauchte in meinem Blickfeld auf. Schöner Traum.

Und echt real. Meine Lider fielen wieder zu. Erneut flüsterte jemand meinen Namen.

Ich öffnete die Augen, und dieses Mal wurde ich wach. Ruckartig setzte ich mich auf und starrte ihn an. Ich blinzelte.

»Du bist hier.«

Ich schlang beide Arme um Kian und zog ihn an mich.

Leise lachte er. »Natürlich bin ich hier.«

Natürlich war er das. Wir hatten zusammen Pizza gegessen und uns eine Decke geteilt.

»Es ist zwei Uhr nachts, wir sollten ins Bett gehen.«

Mitten in der Nacht?

»Wie viele Filme habt ihr denn gesehen?«

Er nestelte an der Decke herum, die noch immer über mir ausgebreitet war.

»Nur einen.«

Vielleicht war ich noch zu müde, um klar zu denken, aber ich konnte mich nicht erinnern, dass dieser Film so lange ging.

»Möglicherweise habe ich dir eine Weile beim Schlafen zugesehen«, murmelte er. »Und die Chance ergriffen, ein Foto für die nächste Geburtstagskarte zu machen«, fügte er hinzu, bevor mein Herz schneller schlagen konnte.

Ich fluchte leise. Das hatten wir früher so oft getan. Noch heute besaß ich Karten, auf denen mein schlafendes Gesicht abgedruckt war. Ich boxte ihm gegen die Schulter.

»Wehe, es ist eine Nahaufnahme.« Drohend hob ich den Finger.

»Ist es«, erwiderte er.

Super, ich freute mich schon jetzt auf meinen nächsten Geburtstag.

Ich ließ meinen Kopf zurück in die Kissen fallen und gähnte. Ich war viel zu müde für solche Diskussionen.

Und viel zu faul, um ins Bett zu gehen.

»Lass uns hier schlafen«, murmelte ich und streckte eine Hand nach ihm aus.

Ein Zögern lag in seinen Augen.

»Kann ich meine Jeans ausziehen?«

Ich zuckte die Schultern und kuschelte mich tiefer in die Kissen. »Klar.«

Er legte sich zu mir. Automatisch rollten wir aneinander. Ich konnte seinen Herzschlag an meinem Rücken spüren.

Sieben Jahre,

Trennung.

Von seinen Armen und dem Geruch seiner Seife umgeben zu sein, war vertraut. Selbst nach all der Zeit.

Mein Herz hämmerte.

»June.« Seine Finger tasteten nach meiner Hand.

»Alles okay?«

Benommen nickte ich. Sein Daumen strich über meinen Handrücken.

»Du zitterst«, flüsterte er.

Er vergrub seine Nase in meinem Haar und zog mich näher. Erst da spürte auch ich das Zittern, von dem er gesprochen hatte. Es fuhr durch meinen gesamten Körper und ließ ihn an seinem beben.

Weil mich die Bewegung seines Daumens verrückt machte, verschränkte ich unsere Finger ineinander, damit er sie ruhig hielt. Er tat mir den Gefallen, aber das Kribbeln blieb auf meiner Haut zurück.

Eine Welle von Gefühlen überrollte mich. Ich schmeckte Salz, als die Tränen über meine Wangen rannen. Ich betete, dass Kian sie nicht bemerken würde, aber nach einer Weile war meine Nase so verstopft, dass ich sie hochziehen musste, und dieses Geräusch ließ seinen Körper an meinem verkrampfen.

»June«, stieß er leise hervor. Ich antwortete nicht, und so zog er mich einfach mit sich, als er sich auf den Rücken legte. Ich wollte mich wegdrehen, wollte ihn lieber nicht ansehen, doch anscheinend hatte ich vergessen, wer Kian war. Sanft umfasste er mein Kinn und hob es an, sodass mein Blick seinem begegnete. Er wartete auf eine Erklärung, darauf, dass ich irgendetwas sagte. Aber sein viel zu intensiver Blick nahm mir die Worte.

»Was ist denn los?«

Ich schloss die Augen, um seinem Blick zu entkommen. Mit jedem Zittern meines Körpers zog er mich näher an sich, als würde er mich mehr halten wollen. Dabei war es genau das, was meinen Körper zum Beben brachte.

»Kannst du mich loslassen?«, fragte ich und öffnete erst danach die Augen.

Er tat, worum ich ihn gebeten hatte. Dann drehte er sich zu mir, sodass wir uns ansehen konnten, uns aber an keiner einzigen Stelle mehr berührten.

»Ich kann einfach nicht glauben, dass wir wieder nebeneinanderliegen« flüsterte ich, als das Zittern langsam meinen Körper verließ. All die Emotionen, die ich damals, als er gegangen war, gespürt hatte, drangen wieder an die Oberfläche, und die Tränen spülten sie aus mir heraus. Sein Blick wurde weich. Er streckte die Hand aus, um eine Träne aufzufangen, zog sie aber wieder zurück, als ich scharf die Luft einzog.

»Ich werde nie wieder weggehen«, versprach er, und das Zittern in seiner Stimme war kaum zu überhören.

Ich werde dich nie wieder gehen lassen.

Ich sprach die Worte nicht aus.

Kapitel 3

Blinzelnd schlug ich die Augen auf. Licht schoss auf meine Netzhaut. Um dem Grellen zu entkommen, rollte ich mich auf die Seite. Langsam erkannte ich die Umrisse des Wohnzimmers. Mein Blick fiel auf den Teppich. Kian lag auf dem Boden, alle viere von sich gestreckt auf dem Bauch. Anscheinend war das Sofa zu eng geworden.

Ich unterdrückte ein Lachen und streckte mich, um an mein Handy heranzukommen. Das würde ein sehr schönes Bild für die nächste Geburtstagskarte geben. Rache war eben süß.

Mein Handy verriet mir, dass es bereits kurz nach elf war. Ich wühlte mich aus der Decke und hockte mich neben Kian.

Einen Moment sah ich ihn an und konnte nicht glauben, dass er hier in meiner Wohnung war.

Vorsichtig berührte ich ihn an der Schulter, um ihn zu wecken.

Keine Reaktion.

Typisch.

Ich verdrehte die Augen.

Meine Hände wanderten in sein Haar und massierten seine Kopfhaut.

Ich flüsterte seinen Namen, aber auch davon wachte er nicht auf. Erst als ich an seiner Schulter rüttelte und seinen Namen fast brüllte, regte er sich.

Stöhnend drehte er sich auf den Rücken und schlug die Augen auf. Als sein Blick auf mich fiel, lächelte er.

Dann verzog er das Gesicht.

»Du musst dir dringend neue Matratzen kaufen, die sind eindeutig durchgelegen.«

»Könnte daran liegen, dass du auf dem Teppich liegst«, erwiderte ich ungerührt.

Er kniff die Augen zusammen, setzte sich auf und sah sich um. Seine Hand fuhr über die weichen Fransen des Teppichs.

»Das müssen wir ändern.«

Schneller, als ich es angesichts seiner geistigen Kompetenz am Morgen für möglich gehalten hätte, war er auf die Beine gesprungen. Ich starrte ein wenig zu lange auf sein Lächeln und bemerkte erst, dass er mich an den Hüften gepackt hatte, als wir taumelten. Unsanft landeten wir auf dem Sofa. Ich griff nach einem Kissen, um es ihm ins Gesicht zu werfen, erwischte allerdings nur seine Schulter. Er warf es zurück. Und als wären wir wieder sechzehn, rauften wir miteinander. Wir bewarfen uns mit Kissen, versuchten einander auszuweichen und lachten so sehr, dass mir irgendwann der Bauch wehtat.

Es war wie früher.

Nur dass Kian mich früher nach seinem Sieg vom Bett geschubst hätte. Heute zog er mich in seine Arme. Nicht so dicht wie gestern Nacht, aber dennoch dicht genug, dass meine Haut schon wieder kribbelte.

»Ich brauche einen Kaffee«, verkündete ich, um seiner Umarmung zu entkommen.

Ich setzte mich auf, und Kian ließ mich los. Grinsend verschränkte er die Arme hinter dem Kopf. Ich rollte die Augen.

»Möchtest du kein Gentleman sein und mir einen machen?«

Er schüttelte den Kopf und schwang die Beine über die Sofakante.

»Ich möchte ein Gentleman sein und dich ausführen.«

Er stand auf. Stirnrunzelnd sah ich ihm dabei zu, wie er in seiner Reisetasche wühlte, die noch immer mitten im Wohnzimmer stand.

Er zog frische Boxershorts heraus und eröffnete damit den Kampf um das Badezimmer.

Ich sprang auf und sprintete los.

Kian fluchte hinter mir. Ich schlug ihm die Badezimmertür direkt vor der Nase zu.

Ha!

Beinahe triumphierend quittierte ich das Stöhnen hinter der Tür mit einem lang gezogenen »Ohhh.«

»Komm schon June, lass mich wenigstens Zähneputzen, während du duschst.«

Keine Chance.

Ich summte einen Song von Paramore und hielt mein Gesicht unter den warmen Wasserstrahl.

Es war so unwirklich. Bis vor Kurzem hatte ich nicht einmal gewusst, ob ich Kian jemals wiedersehen würde, und jetzt wohnten wir zusammen und stritten uns ums Bad.

Ich blieb länger im Bad, als es notwendig gewesen wäre, einfach nur um ihn zu ärgern.

Ich nahm mir ein Handtuch von der Ablage neben der Dusche und noch während ich mich darin einwickelte, bemerkte ich meinen Fehler. Kopfschüttelnd entriegelte ich die Tür und lugte um die Ecke. Schnell durchquerte ich den Flur und verschwand in meinem Zimmer. Ich wollte schon erleichtert ausatmen, da traf sein Blick meinen. Kian saß auf dem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, den Rücken gegen die Wand gelehnt. Seine Reisetaschen lagen vor ihm auf dem Boden, anscheinend hatte er mein Zimmer gefunden, ohne dass ich ihm je gesagt hatte, hinter welcher Tür es sich befand.

Er grinste.

»Da hat wohl jemand die Klamotten vergessen.«

Überall da, wo seine Blicke mich trafen, glühte meine Haut.

»Kian, geh duschen.«

Er dachte nicht daran, den Blick von mir zu nehmen.

Ich hätte es wissen müssen. Es war ein Fehler gewesen, ohne neue Klamotten ins Bad zu hechten.

Umständlich nestelte ich an dem Handtuch, versuchte, es gleichzeitig höher- und weiter runterzuziehen, was mir irgendwie nicht gelingen wollte. Kian brachte es zum Lachen.

Idiot.

Jedes einzelne meiner Körperteile stand in Flammen.

»Kian, raus jetzt.« Ich deutete auf die Tür.

Er ließ sich Zeit damit, seine Sachen aus der Tasche zu holen.

Ich starrte auf seine Seife.

Minze.

Heimat.

Er zwinkerte mir zu und verzog sich. Endlich konnte ich wieder freier atmen.

Ich wollte das Handtuch gerade zur Seite legen und mich anziehen, da wurde meine Zimmertür wieder aufgerissen.

»Mist.«

Ganz langsam drehte ich mich um. Kian lehnte im Türrahmen und grinste.

»Ich hatte gehofft, du bist nackt.«

Ich funkelte ihn an.

»Das wirst du sicher niemals zu Gesicht bekommen«, motzte ich los.

Hat er schon vor Jahren.

»Challenge angenommen.« Seine Augen funkelten.

»Kian, es gibt keine Challenge.«

Er zog die Augenbrauen hoch und grinste. Ich wedelte mit der Hand, um ihn zu verscheuchen.

»Hau schon ab.«

Er zog die Tür ins Schloss, allerdings nicht ohne mir vorher eine Kusshand zuzuwerfen. Ich zog nur eine Grimasse. Dieses Mal wartete ich, bis die Badezimmertür klappte. Ich öffnete meine Schublade und zog mir endlich etwas an, wobei ich mich für eine weite, bequeme Hose und einen langärmligen Rollkragenpulli entschied.

Kian stand zehn Minuten später wieder im Türrahmen, komplett angezogen. Natürlich war er so schlau gewesen, seine Klamotten gleich mitzunehmen.

Seine nassen Haare standen in die verschiedensten Richtungen ab, und ich widerstand dem Drang, sie zu berühren.

Er stützte sich mit den Händen an den oberen Türrahmen und ließ sich ein Stück nach vorne sinken. Selbst an der Innenseite seiner Oberarme hatte er Tattoos. Ich konnte die Schrift zwar nicht lesen, aber auch aus der Entfernung hatte es etwas Ästhetisches.

»June …«

Er löste sich vom Türrahmen und blieb direkt vor mir stehen.

»Starr mich nicht so an.« Seine raue Stimme strich über mich hinweg und ich erschauderte. »Sonst kann ich für nichts garantieren.«

Was? Ich schnappte nach Luft.

»Du bist auch heiß geworden.« Er wackelte mit den Augenbrauen, um seine Worte abzuschwächen.

Ich trat einen Schritt zurück.

Sie ist heiß.

Übelkeit brannte in meiner Kehle.

Was meint ihr, Jungs, sollten wir uns heute Nacht an ihr verbrennen?

Nur Wörter. Warum konnten sie mich noch immer so zu Boden schmettern?

Ich trat noch einen Schritt zurück. »Wir wollten frühstücken gehen.« Mechanisch fuhr ich mir durch die Haare. »Sollen wir los?« Ich begann zu faseln.

Kians Augen weiteten sich. Jetzt war er derjenige, der mich anstarrte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich kam ihm zuvor.

»Super, los geht’s.« Ich ging zur Wohnungstür und öffnete sie.

»Ey«, schnaubte er hinter mir. Seine Hand schloss sich um meinen Arm. Ich drehte mich wieder um. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen und musterte mich finster.

»Tu nicht so, als könnte ich nicht sehen, dass etwas nicht stimmt.«

Mein Herz sank in die Tiefen. Es kostete mich all meine Kraft, nicht gegen seine Brust zu sacken und die Arme um ihn zu schlingen.

»Was habe ich Falsches gesagt?«, fragte er leise. Seine Augen bettelten um eine Antwort.

Ich wandte den Blick ab.

»Nichts.«

Scharf atmete er ein.

Ich befreite mich aus seinem Griff und ging endlich durch die Tür. »Es ist alles in Ordnung, Kian.«

Schweigend sah er mich an. Langsam schüttelte er den Kopf, als könnte er nicht verstehen, warum ich mich so verschloss.

Kapitel 4

Wie angewurzelt blieb ich stehen.

Ich wusste, wo wir hingingen.

Diese Seitenstraße von Bath war mir vertraut. Die bernsteinfarbene Fassade war mir schon als Kind wie der Ausschnitt aus einem Märchen erschienen, heute raubte sie mir den Atem.

Kian drehte sich zu mir um und lief rückwärts. Er breitete die Arme aus und forderte mich zum Weitergehen auf. Obwohl es ein typischer grauer Märztag war, hatte er eine Sonnenbrille auf der Nase, die sein halbes Gesicht verdeckte.

Zögernd folgte ich ihm.

Sieben Jahre.

Ich wusste nicht, ob ich vor Freude losrennen oder lieber in die entgegengesetzte Richtung davonlaufen wollte.

Von außen hatte sich das Clara’s kaum verändert. Noch immer standen dort die gelben Sonnenschirme und die braunen Tische und Bänke vor der Tür.

Diesmal war es Kian, der stehen blieb. Leider verdeckte die Sonnenbrille seine Augen und somit auch seine Gefühle.

Ich trat neben ihn.

Sieben Jahre.

Langsam drehte Kian den Kopf zu mir. »Lass mich raten.« Er lächelte. »Sie haben noch immer den besten Kaffee der Stadt?«

Ich zuckte die Schultern und wandte mich zur Seite. Er runzelte die Stirn.

»June, wann warst du das letzte Mal hier?«

Ich schluckte und sah ihn wieder an. Mein Gesicht spiegelte sich in seiner Sonnenbrille.

»Vor sieben Jahren, mit dir«, brachte ich hervor. Ich war in ein tiefes Loch gefallen, als er damals ging. Jede Erinnerung hatte mich ihn nur noch schmerzlicher vermissen lassen. Hätte Ella mich nicht aus diesem Loch herausgeholt, würde ich vielleicht noch immer an seinem Boden liegen.

Wir näherten uns dem Eingang. Ich erkannte all die liebevollen Details wieder. Sogar die kleine Tafel, auf die jeden Morgen eine neue Lebensweisheit geschrieben wurde, hing noch neben der Eingangstür. Die typische Bernsteinfarbe der Häuser war an dieser alten Fassade inzwischen braun geworden und zeigte, wie viele Geschichten in den Mauern steckten.

Erfreue dich an schönen Erinnerungen.

Die heutige Lebensweisheit zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht.

Der vertraute Kaffeegeruch stieg mir in die Nase, als wir das Clara’s betraten, und ich atmete augenblicklich tiefer ein. Ich erkannte jeden Winkel, als wir nach hinten durchgingen. Kaum etwas hatte sich verändert. Die Zeit war hier drinnen stehen geblieben, während wir draußen weitergelebt hatten. Sogar unser Tisch stand noch in der kleinen Nische am Fenster. Kian schluckte hart, als er die Macke im Holz bemerkte. Ich streckte die Hand aus, um sie zu berühren.

Kian hatte damals seine Tasse fallen gelassen, als ich ihm erzählte, dass ich mit Blake Warton geknutscht hatte.

Wir setzten uns einander gegenüber, genau wie damals.

Die Bedienung war allerdings neu und hieß Betty, wie sie uns mitteilte. Kian bestellte für uns beide, und es überraschte mich, dass er noch immer wusste, wie ich meinen Kaffee trank.

Ich sabberte beinah, als das Getränk fünf Minuten später vor mir abgestellt wurde. Ein Blick über den Tassenrand ließ mich entzückt aufseufzen. Noch in derselben Sekunde führte ich die Tasse an die Lippen. Es war mir egal, dass ich mir den Gaumen verbrannte. Genießerisch schloss ich die Augen und erst, als ich sie wieder öffnete, um die Tasse abzustellen, bemerkte ich, dass Kian mich beobachtete.

Er hatte sich die Sonnenbrille ins Haar geschoben.

Ohne den Blick von mir zu nehmen, trank er auch einen Schluck von seinem Kaffee.

»Ich kann nicht fassen, dass ich nie hier war.« Ich drehte meinen Kopf, um möglichst viel von dem Treiben um uns herum einzufangen. »Ich glaube, ich wäre dir hier näher gewesen.«

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, wollte ich sie auch schon wieder zurücknehmen, denn über Kians Gesicht huschte ein überraschter Ausdruck. Aber bevor ich meine Worte ernsthaft bereuen konnte, war sein Lächeln zurück.

»So sehr hast du mich vermisst?«, neckte er mich. Ich verdrehte die Augen.

Als ob er das nicht wusste.

Er stellte seine Tasse ab und wurde wieder ernst.

»Es tut mir leid, dass ich damals gegangen bin.« Sein Blick verdunkelte sich.

Ich schüttelte den Kopf.

»Du konntest nichts dafür, es war nicht deine Entscheidung.« Ich schob die Kaffeetasse ein Stück zur Seite und legte meine Hand auf seinen Arm. Ich suchte seinen Blick und sah ihn fest an.

Nichts war seine Schuld. Nicht, dass er wegen des Jobs seiner Eltern ans andere Ende der Welt ziehen musste und auch nicht, dass es mir beschissen ergangen war.

»Glaub mir, hätte ich irgendwas tun können, um zu bleiben, ich hätte es getan«, murmelte er.

Ich würde ihm niemals von damals erzählen können. Er würde sich viel zu viele Vorwürfe machen.

»Das weiß ich, Kian.« Ich drückte kurz seinen Arm. »Wirklich.«

Er wollte etwas erwidern, doch noch bevor ein einziges Wort seine Lippen verlassen konnte, rief jemand unsere Namen.

Ein älterer Herr kam auf unseren Tisch zu.

Mit nur wenigen Schritten erreichte er den Tisch und scherte sich nicht darum, dass uns das gesamte Café anstarrte.

Mich dagegen trafen die Blicke wie Messerspitzen.

Ich zog automatisch den Kopf ein und meine Hand von Kians Arm. Wir lehnten uns beide in unseren Stühlen zurück. Kian verschränkte grinsend die Arme.