Know Us 3. Know our love. Ella & Dilan & Simon - Jette Menger - E-Book

Know Us 3. Know our love. Ella & Dilan & Simon E-Book

Jette Menger

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Beschreibung

Ella stellt der Clique ihren neuen Freund Dilan vor. Simon, der schon länger in Ella verknallt ist, fühlt sich sofort zu Dilan hingezogen. Irgendwoher kennt er ihn. Und auch Dilan scheint einiges über Simon zu wissen. Wer ist der Fremde, woher kommt diese Vertrautheit zwischen ihnen? Und warum musste Ella sich ausgerechnet in ihn verlieben, obwohl Simon sich seit Wochen um sie bemüht? Nur zufällig kommt Simon hinter Dilans Geheimnis und muss daraufhin alles infrage stellen, was er je über die Liebe zu wissen glaubte.

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Über dieses Buch

Simon flirtet seit Wochen mit Ella und ist erschüttert, als sie ihm ihren neuen Freund Dilan vorstellt. Er ist traurig über Ellas Ablehnung, aber auch verwirrt, weil Dilan ihm so vertraut erscheint. Und warum macht Dilan einen Tag später mit Ella Schluss? Simon fühlt sich hin- und hergerissen und kann seine Gefühle gar nicht mehr einordnen. Dann kommt er hinter Dilans Geschichte – und muss schließlich Liebe ganz neu für sich definieren.

Band 3 der Know-Us-Reihe. Ein LGBTQIAP+ Roman voller intensiver Gefühle, der zeigt, dass es mehr als nur einen Weg gibt, Liebe zu leben.

 

 

 

Für alle Simons da draußen.

Ihr dürft.

 

 

 

Ich kenne dich

du bist besonders

versteck dich nicht

meine Liebe zu dir

ist grenzenlos

Kapitel 1

Mit zitternden Händen schloss ich das Fotoalbum. Keine Ahnung, warum ich mir die Bilder meines Highschool-Abschlusses immer wieder ansah. Sie waren wie ein Schlag in die Magengrube. Besonders das Gesicht einer bestimmten Person, die ich einfach nicht vergessen konnte, sosehr ich es auch versuchte.

Energischer als nötig warf ich das Album aufs Bett und schüttelte den Kopf, um die schmerzhaften Erinnerungen zu vertreiben. Erinnerungen an ein rotes Abendkleid, einen letzten Tanz und unglückliche Augen.

Weg damit. Es gab jetzt andere Menschen in meinem Leben.

»Siiiimooooon!« Die schrille Stimme meiner kleinen Schwester ließ mich zusammenzucken.

Zum Beispiel sie.

Ich klaubte das Fotoalbum vom Bett und stopfte es in die hinterste Ecke meines Kleiderschranks. Dort, wo noch immer der Anzug vom Abschlussball hing.

Ich holte tief Luft, schloss den Schrank und sperrte die Erinnerungen damit ein. Dann verließ ich mein altes Kinderzimmer.

Auf dem Weg in die Küche traf ich meinen Bruder Cautschuk. Er warf seine Zimmertür zu und grinste mich an. Seit er uns seinen neuen Künstlernamen verkündet hatte, war auch ich dazu übergangen, ihn so zu nennen.

Er trug sein Haar kurz wie ein Igel. Seine natürliche Haarfarbe war wie bei mir braun, doch diese Woche leuchteten seine Stacheln goldgelb.

Ich dagegen hatte meine langen, glatten Haare einfach zu einem unordentlichen Dutt gebunden und machte mir weniger Gedanken über mein Aussehen. Meist begnügte ich mich mit einfachen T-Shirts und Shorts, während er Kunstwerke an Kleidung trug.

Wir schlugen uns ab, und er musterte mich stirnrunzelnd. »Mal wieder in alten Zeiten herumgestochert?«

Cautschuk sah es mir viel zu leicht an, wenn die Erinnerungen an jenen Abend und alles, was danach gekommen war, auf mir lasteten. Obwohl ich mit meinen vierundzwanzig Jahren drei Jahre jünger war als er, waren unsere Herzen miteinander verknüpft, als wären wir gleichzeitig auf die Welt gekommen.

Ausweichend zog ich den Kopf ein.

»Dieses Haus tut dir nicht gut, Mann.« Er klopfte mir auf die Schulter und schüttelte den Kopf. »Du bist viel zu oft hier.«

Ich verdrehte die Augen. »Sagt der Typ, der immer noch hier wohnt.« Belustigt hob ich eine Augenbraue. »Bei seinem Dad.«

Er schnaubte und winkte ab. »Hast du mal probiert, in Bristol ein Apartment zu finden?«

Nein, denn ich hatte mein Glück in Bath gefunden. Einer kleinen Stadt etwas weiter im Lande. Nichts könnte mich jemals zurück nach Bristol bringen.

»Du weißt genau, warum ich immer noch herkomme«, zischte ich ein bisschen bissiger als beabsichtigt.

Seine Mundwinkel kräuselten sich. »Weil du meine absolute Schönheit jeden einzelnen Tag vermisst.«

»Weil Lotte mich braucht.«

Cautschuk seufzte.

»Wer kommt denn da?«, rief Dad, als wir um die Ecke bogen.

Lotte saß in ihrem Stuhl und heulte.

»Lotti!«, rief ich. Augenblicklich verstummte das Geschrei, und ein Strahlen breitete sich auf dem Gesicht meiner kleinen Schwester aus.

»Verrat mir dein Geheimnis«, murmelte Dad.

Ich zuckte mit den Schultern, ging zu Lotte hinüber und strich ihr übers Haar. »Was ist denn los?«

Ihre großen Augen suchten meinen Blick. »Ich will keinen Schinken mehr essen.« Sie wedelte mit beiden Händen. »Dafür ist ein Tier gestorben.« Sie blinzelte mehrmals hektisch. »Dad soll den Schinken wegnehmen.«

Ich sah auf ihren Teller, auf dem es ein typisches English breakfast gab.

»Und das kannst du ihm nicht selbst sagen?« Ich deutete auf Dad. »Er steht doch genau neben dir und fragt, was los ist.«

»Er versteht nicht.«

Ich seufzte und nahm den Schinken vom Teller. Ich liebte Lotte, aber sie machte mir das Leben nicht gerade leicht.

»Gibt’s auch was für uns?« Cautschuk ließ sich auf den Stuhl neben Lotte fallen.

»Da sitzt Simon«, fuhr sie ihn an.

Mein Bruder verdrehte die Augen und rutschte einen Platz weiter. »Es kränkt mich, dass du ihn lieber hast als mich, obwohl ich eindeutig der Coolere bin.« Er zwinkerte ihr zu.

Ich hätte ihn dafür knutschen können, dass er, im Gegensatz zu Dad, einfach ganz normal mit unserer Schwester umging und sie weder wie ein Baby noch wie eine Kranke behandelte.

Lotte grinste. »Nein. Simon ist cooler.«

Ich imitierte ihr Grinsen. »Dem kann ich nur zustimmen.«

Gespielt schockiert sah mein Bruder mich an.

Da Lotte sich nun Cautschuks und meinem Club der Vegetarier angeschlossen hatte, musste Dad den Schinken essen und schwor uns, keinen mehr mit ins Haus zu bringen.

Ich klopfte ihm auf die Schulter.

Er lächelte dankbar.

Wir verbrachten den restlichen Sonntag damit, Spiele zu spielen, Lotte vorzulesen und einfach Zeit als Familie zu verbringen. Obwohl ich diese Tage schätzte und liebte, stieß ich doch erleichtert die Luft aus, als ich mich Stunden später auf einen Sitz in der Bahn fallen ließ.

Es regnete. Wassertropfen trommelten gegen die Scheibe. Die vertraute Landschaft zog vorbei und meine Gedanken ebenfalls.

Wir wussten nicht, ob Lotte jemals ein gewöhnliches Leben führen würde. Im Moment war es vergleichsweise noch einfach, doch was würde passieren, wenn sie im Sommer in die Schule kam?

Ich hatte eine Scheißangst davor, dass die anderen Kinder sie nicht akzeptierten.

Mum würde mir diese Gedanken ausreden und mir sagen, dass Lotte stark genug war und alles gut werden würde.

Ich presste die Lippen aufeinander. Dieser verfluchte Zug. Jedes Mal aufs Neue kam hier alles in mir hoch.

Als wir endlich in die Bath Spa railway station einrollten, seufzte ich erleichtert auf.

Bath war mein Zuhause. Mein Zufluchtsort. Auch wenn ich es hasste, dass ich meinen Freund*innen hin und wieder Lügen auftischen musste, wenn ich nach Bristol fuhr, war ich doch unendlich froh, an einem Ort zu wohnen, der von meiner Familie und alten Erinnerungen weit genug entfernt war.

Ich ließ meine Sorgen im Zug und stieg aus.

Oder ein.

In mein anderes Leben.

Kapitel 2

Auf Socken schlitterte ich zur Wohnungstür und zwang mich durchzuatmen, bevor ich öffnete. Ella raubte mir auch ohne einen Sprint den Atem.

Die beste Freundin meiner Mitbewohnerin trug ein selbst gestricktes Top und dazu hautenge Jeans. Ihre goldenen Federohrringe schwangen hin und her.

»Ella«, begrüßte ich sie gespielt überrascht. Als hätte ich nicht schon durch mein Fenster gesehen, wer unten geklingelt hatte. »Komm rein.« Meine Stimme klang rau. »Du siehst toll aus.«

Sie fasste sich an die Stirn, wie immer, wenn ich ihr ein Kompliment machte.

»Übertreib nicht.«

Ich lehnte mich mit einem Arm in den Türrahmen und grinste sie an. »Ich übertreibe nie.«

Sie wedelte mit der Hand, um mich zu verscheuchen, und ich trat zur Seite, um sie durchzulassen. Ihre langen roten Haare wehten hinter ihr her. Einige ihrer kunstvoll geflochtenen Strähnen waren in Braun- und Grüntönen gefärbt.

»Nicht, wenn es um dich geht«, fügte ich hinzu, während sie ihre Schuhe von den Füßen kickte.

Etwas flackerte in ihrem Blick auf.

Ich schloss die Haustür, wobei ich ihr näher kommen musste als gedacht. Durch die Garderobe war unser Flur nicht besonders geräumig.

Mein Herz setzte aus. Eine Gänsehaut jagte über meinen Rücken. Ich hätte mich ohrfeigen können, weil ich in eine flüchtige Berührung von Schulter zu Schulter so viel hineininterpretierte.

Sie sah mich herausfordernd an, als wäre nichts gewesen.

»Du solltest dir endlich eine*n Partner*in mit Kindern suchen, Simon.« Ihre Lippen kräuselten sich. »Sie würden es lieben, mit deinen Komplimenten überschüttet zu werden.«

Es war kein Geheimnis. All meine Freunde wussten, dass ich eine Familie gründen wollte. Dass es einer meiner größten Träume war, trotz allem, was damals passiert war.

Trotz Mum.

Meine Kehle schnürte sich einen Moment zu, doch ich zwang mich, es bei dem unbeschwerten Ton zu belassen. »Zufällig würde ich dich gerne mit der Rolle der Partnerin besetzen.«

Sie verdrehte die Augen, als hätte ich einen Witz gemacht.

»Danke, aber ich habe kein Interesse an einer heteronormativen Beziehung und dem Klischee von Haus, Garten und Hund.« Sie legte den Kopf schief. »Obwohl ich den Garten vielleicht nehmen würde?« Ihre Stirn kräuselte sich, und es entstand die Falte zwischen ihren Augenbrauen, die ich immer entdeckte, wenn sie nachdachte. »Ja, den Garten würde ich definitiv nehmen.«

Ich lachte. »Eventuell könnte ich auf den Hund verzichten.«

Sie sah mich einen Moment länger als nötig an.

»Dann wäre da immer noch das Haus.«

Warum klang ihre Stimme mit einem Mal so ernst?

»Für dich würde ich auch darauf verzichten.« Ich zwinkerte ihr zu, um die lockere Stimmung von eben zurückzuzaubern, doch ihre Züge blieben angespannt.

»Und deshalb, Simon, könnten wir niemals ein Paar werden, du müsstest zu oft zurückstecken.«

Ich wünschte, sie hätte die Worte im Scherz gesagt, denn dann hätte sich nicht diese Kälte in mir ausgebreitet, die mir riet, meinen Traum von mehr als Freundschaft zu begraben. Mit mir flirtete Ella schließlich genauso gerne wie mit Fremden. Ich wusste nie, ob unsere Neckereien mehr Gewicht hatten oder ob sie so mit mir umging, weil es einfach ihre Art war.

»Seid ihr im Flur festgefroren, oder was?« Pekka steckte den Kopf um die Ecke.

Obwohl ich froh war, dass er unser unangenehmes Gespräch beendete, sah ich meinen besten Freund und Mitbewohner vorwurfsvoll an. »Pekka, Ella wollte mir gerade ihre Liebe gestehen.«

Er tippte sich gegen die Stirn. »Träum weiter, Kumpel.«

Ella musterte mich belustigt, schüttelte den Kopf und folgte Pekka ins Wohnzimmer.

Dort saß June am Tisch und erledigte Hausarbeiten. Sie bewohnte das dritte Zimmer in unserer WG, und mit ihr war unsere Vierergruppe komplett.

Als sie Ella sah, sprang sie auf und umarmte ihre beste Freundin.

»Ich habe Neuigkeiten«, verkündete Ella, als sie sich voneinander lösten. Sie zog einen Stuhl heran, setzte sich rittlings darauf und verschränkte die Arme auf der Lehne. So als würde auch sie hier wohnen.

Kein Wunder, sie verbrachte fast ihre gesamte Freizeit bei uns in der WG. Was vermutlich der Grund dafür war, warum ich sie einfach nicht vergessen konnte.

Ich ließ mich neben Pekka fallen, während Ella tief Luft holte.

»Ich habe jemanden kennengelernt«, platzte sie heraus. Stille. »Und ich wünsche mir, dass ihr ihn auch kennenlernt«, fügte sie etwas leiser hinzu.

Was?

Ich verkrampfte mich.

Jemanden kennengelernt?

Fausthieb. Direkt in den Magen.

Ich schlang die Arme um meinen Bauch, als hätte sie mich tatsächlich dort getroffen. Hatten wir nicht gerade noch über ein Haus mit Hund und Garten gescherzt?

Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Pekka verzog das Gesicht, als wollte er sagen: Tut mir echt leid, Kumpel.

Ella blinzelte mich vorsichtig an. Das Funkeln in ihren Augen war durch Sorge ersetzt worden.

»Sag etwas, Simon«, flüsterte sie.

Ich hob die Schultern. Was sollte ich dazu sagen? Ich wollte dieses Haus. Am liebsten erfüllt von Kinderlärm.

Alles, was sie zuließ.

Doch jetzt wurde sie schon zur zweiten Person, die mich von sich stieß. Was verdammt noch mal machte ich falsch?

»Simon?« Ellas Stimme war leise und … ängstlich?

Ich schnaubte innerlich. Warum sollte sie Angst vor meiner Reaktion haben?

Weil du ihr vielleicht doch etwas bedeutest?

Ich schluckte. »Du hast gesagt, der Einzige, den du daten würdest, sei Jake.«

Echt jetzt? Das war alles, was mir einfiel?

Reiß dich zusammen, Mann. Wie wäre es mit ›Herzlichen Glückwunsch‹?

Ella seufzte. Jake war Junes großer Bruder, und anscheinend hatte sie das nicht ernst gemeint.

»Ich date Dilan nicht.«

Dilan.

Jetzt gab es also einen Namen.

»Sondern?«, hakte Pekka nach, was auch mich brennend interessierte.

»Wir sind Freunde«, behauptete Ella. Doch weder Pekkas hochgezogene Augenbrauen noch meine Skepsis zeugten davon, dass wir ihr das abnahmen.

»Er will euch supergerne kennenlernen.« Der Reihe nach sah sie uns an. »Gebt ihm eine Chance.« Sie bohrte ihren Blick in meinen. »Bitte.«

June schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.

Ich schwieg.

So wie sie über ihn redete, mochte sie ihn, und sie konnte nicht von mir verlangen, freundlich zu dem Menschen zu sein, der sie mir wegnahm.

Pekka suchte meinen Blick. Es rührte mich, dass er zuerst auf meine Antwort wartete, bevor er selbst etwas sagte, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich brachte kein Wort über die Lippen.

Sie mochte einen anderen Mann.

Ich würde niemals the one and only in ihrem Leben werden.

Pekka verschränkte die Arme vor der Brust. »Sorry, aber ich stehe da auf Simons Seite.«

»Es gibt hier keine Seiten«, fauchte Ella, und ich nickte, denn unsere Gruppe zu spalten war das Letzte, was ich wollte.

Pekka zuckte nur mit den Schultern.

Ella sah mich bittend an. »Es wird sich doch nichts zwischen uns ändern, Simon.« Sie fuhr sich durch die langen Haare. »Absolut nichts.«

Genau das war, was so sehr schmerzte. Dass ich für immer der Mitbewohner ihrer besten Freundin bleiben würde.

Ein guter Freund. Nicht mehr.

Ich zwang die Tränen hinter meinen Augen zurück.

June räusperte sich. »Lasst uns Dilan doch erst mal kennenlernen.« Unsicher sah sie erst mich, dann Pekka an. »Bestimmt ist er total nett.« Sie lächelte. »Ich bin sicher, alles wird gut.«

Ich fuhr mir mit beiden Händen übers Gesicht. Die Harmonie zwischen uns vieren war mir wichtig, und gerade verhielt ich mich wie ein Arschloch.

»Okay.« Ich seufzte. Was blieb mir anderes übrig, wenn ich Ella nicht auch noch als Freundin verlieren wollte?

Sie tauschte einen Blick mit June. Es sagte mehr als tausend Worte. Die beiden kannten sich seit ihrer Kindheit und verstanden einander, auch ohne die Dinge laut auszusprechen.

»Das ist unfair«, beschwerte Pekka sich prompt. »Sim und ich können keine Telepathie.«

Ich verdrehte die Augen. »Ich will gar nicht wissen, was sie sagen.«

June und Ella stöhnten auf.

 

Ella blieb noch zwei Stunden, doch ich konnte mich weder auf sie noch auf unser Gespräch konzentrieren. Meine Gedanken kreisten um den fremden Mann. Wie nahe standen sie sich? Bekam er all die Momente, die ich mir seit Jahren wünschte? Durfte er Ella kennenlernen, tief und ehrlich?

Die Vorstellung schnürte mir die Kehle zu.

Ella schob ihren Stuhl zurück und erhob sich. »Ich muss noch was für die Uni machen. Können ja nicht alle solche Genies wie Pekka sein.« Sie zwinkerte ihm zu.

Mein bester Freund schrieb Bestnoten, obwohl er offen zugab, nie mitzuschreiben, geschweige denn zu lernen. Er verbrachte seine Freizeit eher mit anderen Dingen.

»Ich fahr dich.« Ich stand auf und verschwand im Flur, bevor sie mir widersprechen konnte.

Dort trat ich in meine Chucks und zog meine Jacke über. Als ich mich umdrehte, stand sie vor mir, die Hände in die Hüften gestemmt.

»Erstens«, sie funkelte mich gespielt verärgert an, »ist das Letzte, was ich brauche, ein Mann, der mich nach Hause fährt.« Sie schnaubte. »Und zweitens habe ich echt keine Lust, dir schon wieder zu erklären, wie viel CO2 ein Auto deiner Größe ausstößt.«

Ein zaghaftes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Konnte doch alles sein wie zuvor? Konnten wir noch immer miteinander blödeln, als wäre nichts passiert?

»Dann bring ich dich zu Fuß«, sagte ich und öffnete die Haustür.

»Das ist absolut nicht nötig.«

Ich verzog das Gesicht. »Aber ich bin egoistisch und möchte gerne noch ein bisschen mehr Zeit mit dir verbringen.«

Hör auf, Simon. Sie liebt einen anderen.

Ella verdrehte die Augen. »Okay, aber nur, weil ich eh noch mit dir reden will.«

Sie schlüpfte in ihre Schuhe und rief June und Pekka eine Verabschiedung durch den Flur zu.

Wir traten auf die Straße. Die Sonne ging gerade unter und tauchte die Stadt in gelbes Licht.

Ella sah mich an. »Dilan ist bisher wirklich nur ein Freund.«

Bisher.

Ich schaffte es nicht, ihren Blick zu erwidern.

»Wir haben uns einfach kennengelernt, und ich mag ihn.«

Ich räusperte mich. »Wie sehr …« Ich schluckte. »Wie sehr magst du ihn?«

Ella hob die Schultern. »Ich weiß es noch nicht.« Wir schlugen den Weg zum Park ein. »Er ist mir wichtig.« Offen sah sie mich an. »So, wie ihr mir wichtig seid, und vielleicht kann daraus ja noch mehr entstehen.«

Ich presste die Lippen aufeinander.

Schweigend durchquerten wir den Park und kamen in ihr Viertel.

»Ich will dich nicht verletzen, Simon.«

Vor ihrer Haustür blieben wir stehen. Sie trat vor, als wollte sie mich in den Arm nehmen, doch ich wich zurück, und sie hielt inne.

»Ich hab dich gern, und daran wird sich nichts ändern«, sagte sie leise.

Gern.

Wie einen Freund? Ich schluckte meine Übelkeit hinunter. Konnte ich die Antwort darauf heute überhaupt noch ertragen?

Ich trat noch einen Schritt zurück.

»Träum schön, Ellie.«

Dann drehte ich mich um. Wie ein Trottel, dem nicht klar war, dass er sie so verlieren würde, ging ich die Straße hinunter. Aber wenn ich blieb, würde ich vielleicht anfangen zu heulen.

Sie war die Erste, für die ich nach meinem Abschlussball wieder romantische Gefühle entwickelt hatte. Es traf mich viel zu hart, dass ich meine Chance bei ihr nun vertan hatte.

Die Sonne war untergegangen, und es hatte sich zugezogen, als ich wieder in unsere Straße einbog. Erst fielen nur leise Tropfen, dann fing es an zu schütten.

Ich streckte das Gesicht zum Himmel und ließ die Tränen doch einfach laufen. Die kalten Wassertropfen vermischten sich mit den heißen Spuren auf meinen Wangen.

Würde ich je gut genug sein für die Frau, die ich liebte?

Ich schloss die Augen und blieb einen Moment auf der leeren Straße stehen, bevor ich ins Haus ging. Die WG war bereits dunkel, und auch ich verkroch mich direkt in meinem Zimmer. Ich hatte mein Handy hiergelassen, und als ich jetzt einen Blick darauf warf, lächelte mir eine Nachricht entgegen.

Ella: Na, nass geworden?

Ich konnte nicht anders. Ich antwortete ihr.

Ich: Hast du mir nachgeschaut, Ellie?

Ihre Antwort kam sofort. Als hätte sie auf meine Nachricht gewartet.

Ella: Bitte, als würde ich so etwas Kitschiges machen.

Ich verkniff mir ein Grinsen.

Ich: Das ist der einzig vernünftige Grund, weshalb du noch draußen bist und weißt, dass es regnet.

Ich konnte vor mir sehen, wie sie mit den Augen rollte.

Ella: Manche Menschen haben Fenster.

Nun grinste ich doch.

Ich: Ich weiß, dass du mir nachgeschaut hast.

Mit dem Handy in der Hand ließ ich mich aufs Bett fallen.

Ella: Du hast keine Beweise, Simon.

Mittlerweile reichte mein Grinsen bis zu meinen Ohren.

Ich: Ellie, du und ich wissen, dass ich die Wahrheit sage.

Sie brauchte einen Moment. Mir wurde angezeigt, dass sie tippte, löschte und wieder tippte.

Ella: Träum schön, Simon.

Seufzend legte ich mein Handy zur Seite. Konnte ich mir vielleicht doch noch Hoffnungen bei Ella machen, oder hatte Dilans Auftauchen wirklich jede Chance zunichtegemacht?

Es würde nichts verändern, hatte Ella gesagt.

Und doch veränderte es alles.

Kapitel 3

Ich richtete den Hemdkragen und sah in den Spiegel.

Zieh bloß nicht eins deiner zerlöcherten T-Shirts an, hallten Ellas Worte in meinem Kopf wider.

Ich hatte seit dem Abschlussball kein Hemd mehr getragen. Es passte nicht zu mir.

Ich warf meinem Spiegelbild einen genervten Blick zu. Musste ich wirklich so einen Aufstand machen, nur weil Ella uns heute ihren neuen bisher nicht festen Freund vorstellte?

Ein gemütliches Abendessen in der WG.

Gemütlich. Ich konnte mir nicht annähernd vorstellen, dass der Abend sich mit diesem Wort beschreiben lassen würde.

Pekka riss ohne anzuklopfen meine Zimmertür auf. »Alter, ich könnte in dieser Sekunde ein Date haben.«

Langsam drehte ich mich zu meinem besten Freund um.

Ich sparte es mir, zu fragen, mit wem, denn seine Dates wechselten jede Woche, und so viele Namen konnte ich mir beim besten Willen nicht merken.

Stattdessen rollte ich mit den Augen. »Sicher wird die Person auch morgen Zeit für dich haben.«

Pekka schnaubte. »Tristan Lane hat nicht immer Zeit.« Trotzig verschränkte er die Arme vor der Brust.

»Ich habe auch keine Lust auf diesen Abend«, kommentierte ich trocken.

Pekka musterte mich. Erst jetzt fiel ihm meine Kleidung auf, und er runzelte die Stirn. »Was hast du denn da an?«

Ich sah an mir hinunter, als wüsste ich nicht ganz genau, was ich trug.

»Zieh das wieder aus.«

»Aber es ist ihr verdammter Freund!«

Bisher noch nicht.

»Genau.« Pekka verdrehte die Augen. »Und dem willst du nicht gleich zeigen, wie sehr du Ella verfallen bist.«

Manchmal hasste ich ihn wirklich. Trotzdem zog ich das Hemd über den Kopf, warf es in die Ecke und nahm stattdessen ein schlichtes T-Shirt.

Pekka nickte zufrieden, während es im selben Moment an der Wohnungstür klingelte.

Mein gesamter Körper verspannte sich.

Junes Schritte hallten durch den Flur.

»Ich kann das nicht«, murmelte ich.

Ich konnte nicht dem Mann gegenübertreten, der Ella nachts in den Armen hielt, sie küsste oder, noch schlimmer, Sex mit ihr hatte.

Aber sie sind ja nicht zusammen.

Vielleicht taten sie das alles gar nicht.

Mitgefühl zeigte sich auf Pekkas Gesicht. Er legte mir eine Hand auf die Schulter. »Wenn du nicht kommst, kränkt es sie.«

Und wenn ich ging, tat es mir weh.

Scheiße.

Ich seufzte. »Okay, lass es uns hinter uns bringen.«

Pekkas Grinsen kam zurück. »Ja, bitte, vielleicht kann ich dann später noch zu Tristan.«

Ich stöhnte auf.

»Wir sind schon im Wohnzimmer«, rief Ella, als wir in den Flur gingen.

Ich straffte die Schultern und bemühte mich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Doch sobald wir in den Raum traten, konnte ich den Blick nicht mehr vom Boden lösen.

Pekka zog mich mit sich und stieß mit dem Ellenbogen in meine Seite. Ich hatte wohl keine andere Wahl, also zwang ich mich aufzusehen, Ella zuzulächeln und den Blick auf den Typen neben ihr zu richten.

Hitze sammelte sich in meinem Gesicht. Der Raum löste sich auf, und ich konnte nur noch den Mann anstarren, der da in meinem Wohnzimmer stand.

Unsere Blicke trafen sich. Wir schnappten im selben Moment nach Luft.

Ein Ausdruck, den ich nicht deuten konnte, huschte über sein Gesicht. Seine Augen kamen mir seltsam vertraut vor, obwohl ich diesen Mann noch nie gesehen hatte.

Hier stimmte etwas nicht. Ganz und gar nicht.

»Dilan, Simon, Simon, Dilan«, stellte Ella uns vor und machte die entsprechenden Handbewegungen dazu.

Dilan.

Er trug ein buntes Hemd zu hautengen Jeans. Seine kurzen rotbraunen Haare waren gestylt, und ein einzelner goldener Ohrring glänzte im Tageslicht. In seinen Augen spiegelte sich die gleiche Unsicherheit, die auch ich verspürte.

»Freut mich, dich kennenzulernen.« Pekka klopfte Dilan auf die Schulter. »Ich bin Pekka.«

»Mich auch.« June gab ihm die Hand und stellte sich ebenfalls vor.

Ich konnte ihn nur schweigend anstarren, während er Junes Hand ergriff.

»Mich freut es auch, euch kennenzulernen.«

Seine Stimme.

Seltsam vertraut und doch so fremd.

Heilige Scheiße, woher kamen diese Gedanken?

»Kochen wir alle zusammen, oder gehen wir ins Rico?« Fragend sah Ella in die Runde.

Das Rico war ein veganes Restaurant in unserer Straße, in dem ich bereits einige Male mit Ella gewesen war. Zum Mittagessen. Zu keinem Date, wie sie jedes Mal betont hatte.

»Wie wäre es mit Pizza?«, schlug Pekka grinsend vor.

June und ich stöhnten auf. Pizza gab es in der WG mindestens zweimal die Woche. Pekka konnte sich einfach nicht dazu aufraffen, sich von mir das Kochen beibringen zu lassen.

»War nur ein Scherz«, schob er lachend hinterher.

Ich meldete mich fürs Rico. Nach dieser Begegnung mit Dilan würde ich mich auf kein Gericht der Welt konzentrieren können, auch wenn ich normalerweise fürs Kochen brannte.

June und Pekka waren ebenfalls dafür.

Dilan zuckte nur die Schultern. Anscheinend kannte er den Laden noch nicht.

Ich konnte nicht verhindern, dass mein Blick auf dem Weg zum Restaurant immer wieder zu ihm glitt. Jedes Mal sah er mich bereits an. Zurückhaltend. Als hätte er Angst, ich könnte ihn jeden Moment ansprechen.

Warum nur kam er mir so vertraut vor?

Waren wir uns schon mal irgendwo begegnet? Oder hatte Ella ihm erzählt, dass ich sie auch mochte, und er sah mich deshalb so an?

Nachdem wir uns einen runden Tisch auf der offenen Terrasse des Lokals gesucht hatten, wandte Pekka sich dem Neuen in unserer Runde zu. »Was treibst du so in deinem Leben, Dilan?«

Ich versteckte das Gesicht hinter meiner Karte.

»Ella hat ein Riesengeheimnis daraus gemacht«, fügte June leise hinzu.

Ich schielte über den Rand der Karte. Keine Ahnung, warum mich seine Antwort auf einmal auch interessierte.

Dilan lächelte. »Ich bin im letzten Jahr meiner pädagogischen Ausbildung.«

Wow.

Ich schluckte. Und ich machte nur eine langweilige Ausbildung zum Koch. Wie sollte ich da mithalten?

Er schenkte Ella ein Lächeln. »Außerdem leite ich einen Kurs an Ellas Uni.«

Das wurde ja immer besser.

Ella studierte an der University of Bath statt wie June und Pekka an der Spa. Oft bekam ich deshalb nur wenig von ihrem Unialltag mit.

»Aber kennengelernt haben wir uns auf einer Fridays-for-Future-Demo.« Ella lächelte. »Ich organisiere sie ja oft, und Dilan engagiert sich auch viel.«

Er stand also auch noch für die gleichen Dinge ein wie sie. Wie hatte ich nur jemals glauben können, eine Chance bei ihr zu haben?

»Bei der letzten Demo hat Dilan die Musik gemacht.«

Kam er mir deshalb so bekannt vor? Hatte ich ihn dort schon einmal gesehen? Schließlich animierte Ella uns regelmäßig, mit zu Klimademos zu kommen.

Die Kellnerin trat an den Tisch und nahm unsere Bestellungen auf. Da ich kein einziges Wort der Karte gelesen hatte, tippte ich einfach auf irgendwas. Fleisch gab es nicht, also konnte ich nicht viel falsch machen.

Ich erwischte Dilan erneut dabei, wie er mich anstarrte, als ich der Kellnerin die Karte reichte. Ich erwiderte seinen Blick, und viel zu lange sah keiner von uns weg.

Meine Welt blieb stehen. In diesem Moment schien es mir, als könnte ich durch seine Augen tief in sein Inneres eintauchen.

Grüne endlose Weite.

Erst Ellas Schnauben katapultierte mich zurück in die Realität.

Ruckartig hob Dilan den Kopf. Langsam tat ich das Gleiche.

»Könnt ihr dieses Balzen bitte lassen«, zischte Ella verärgert.

»Wir balzen nicht«, antwortete Dilan mit einem kurzen Blick auf mich.

Nein. Keine Ahnung, was das eben gewesen war, aber es war dabei nicht um sie gegangen.

Ella musterte uns prüfend.

Dilan verschränkte die Hände auf dem Tisch und verwickelte sie in ein Gespräch über die nächste Demo. Sofort begannen ihre Augen wieder zu leuchten.

Er lenkte ab.

Warum lenkte er ab?

Kribbelte es etwa auch unter seiner Haut, wenn unsere Blicke sich trafen?

 

Ich hatte ein Pilzragout mit veganer Sahnesoße bestellt.

»Typisch der Koch.« Ella verdrehte die Augen.

Auf den Tellern der anderen gab es Burger und Salate. Mist, darauf hätte ich auch viel mehr Lust gehabt.

»Du bist Koch?« Ein bisschen zu schnell sah Dilan von seinem Teller auf.

»Ich bin noch in der Ausbildung«, erwiderte ich zögernd. Warum interessierte ihn das?

»Ja.« Ella grinste. »Aber ein paarmal die Woche arbeitet er im Bath Priory in der Küche.«

Dilan riss die Augen auf, und ich trat Ella unter dem Tisch gegens Schienbein.

Das Bath Priory war das luxuriöseste Hotel der Stadt und dieser Job ein echter Glückstreffer. Nichts, womit ich gerne angab. Ich hatte ihn über meinen Ausbilder bekommen, denn wie in jedem anderen Metier brauchte man auch in der Kochbranche Vitamin B. Ohne den Kontakt wäre es mir unmöglich gewesen, auch nur einen Blick in diese Küche zu werfen.

»Wow.« Dilan starrte mich an. »Herzlichen Glückwunsch.«

Ich lächelte.

»Wir laden dich mal ein, wenn Simon kocht«, funkte Pekka dazwischen. »Dann kannst du den Genuss dieser Welt in einem einzigen Gericht erleben.«

Dilan sah mich weiterhin unverwandt an. »Davon bin ich überzeugt.«

Ich rutschte auf meinem Stuhl herum. Wieso hatte ich das Gefühl, dieser Mann konnte in mich hineinschauen? So wie ich vorhin in ihn?

Ich schüttelte den Kopf. Das war doch verrückt.

In diesem Moment brachte die Kellnerin die letzten Gerichte und wünschte uns einen guten Appetit.

Ich warf einen Blick auf mein Pilzragout. Dilan sah ebenfalls auf meinen Teller.

Ich zögerte, doch dann gab ich mir einen Ruck. »Willst du probieren?«, fragte ich scherzhaft und nur Ella zuliebe. Ich wollte wenigstens versuchen, mit Dilan klarzukommen.

Er betrachtete mich einen langen Moment, dann seufzte er und schob mir seinen Burger hin.

»Tauschen?«

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Hatte er etwa mitbekommen, dass ich einfach irgendwas bestellt hatte?

Ich schielte auf sein Essen. So verlockend der Burger auch aussah, ich wollte ihm definitiv nichts wegnehmen. Doch alle am Tisch beobachteten uns, ich konnte sein Angebot nicht ablehnen.

»Hälfte, Hälfte?«, schlug ich vor und zwang mich zu einem Lächeln, um meine Nervosität zu überspielen.

Dilan nickte.

Ella starrte uns an, als wären wir nicht mehr zu retten.

Dilan schnitt den Burger bereits in der Mitte durch und wuchtete eine Hälfte auf meinen Teller.

War es nicht eigentlich seltsam, was wir hier taten? Wir kannten uns doch gar nicht.

Jetzt war es nur wirklich zu spät für einen Rückzieher, und ich gab Dilan ebenfalls die Hälfte meines Essens.

Das Pilzragout war köstlich, fast so gut wie mein eigenes. Aber der Burger war noch ein kleines bisschen besser.

Während des restlichen Abends lachten wir zwar viel, und Pekka riss jede Menge Witze, doch selbst er schaffte es nicht, die angespannte Stimmung ganz zu vertreiben.

 

»Bitte sagt mir, dass ihr ihn mögt!« Ella stapelte das leere Geschirr, als Dilan nach dem Essen kurz auf die Toilette verschwand.

»Er hat mir seinen halben Burger überlassen.« Ich zwinkerte ihr zu. »Dafür, dass er dich unerreichbar macht, ist er schwer in Ordnung.«

Sie verdrehte die Augen. Pekka grinste.

June zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, wir kennen ihn noch nicht gut genug, um zu urteilen.«

Ella seufzte. »Ich wünsche mir einfach so sehr, dass er zu uns passt.«

»Das wird er bestimmt.« June legte eine Hand auf ihren Arm.

Ich fühlte mich wie der mieseste Mensch auf Erden, weil ich mir das Gegenteil wünschte und trotzdem das Bedürfnis hatte, Dilan besser kennenzulernen.

Das war doch seltsam.

Das Gespräch wechselte zur bevorstehenden Woche und an welchen Tagen wir uns zu viert sehen würden, bis Dilan zurückkam und uns unterbrach.

Sein Blick lag abermals auf mir, als er an den Tisch trat. Nicht auf Ella.

Warum sah er nur mich an?

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Ich durfte das zwischen ihnen nicht versauen. Ella war mir wichtig.

Ruckartig erhob ich mich. »Ich habe noch einen Termin.« Ich lächelte entschuldigend. »Ganz vergessen.«

Pekka und June zogen gleichzeitig die Augenbrauen hoch. Meine Termine standen im Kalender am Küchenschrank, und außer meinen Arbeitszeiten mit den vermeintlichen Nachtschichten, für die Tage, an denen ich nach Bristol fuhr, war dort nicht viel eingetragen.

Ich ignorierte ihre Reaktionen, bat Pekka, für mich zu zahlen, und verließ den Laden. Draußen angekommen, stützte ich meine Hände auf die Knie und beugte mich nach vorne. Sobald frische Luft in meine Lungen strömte, konnte ich endlich wieder freier atmen.

Was war da gerade passiert? Hätte ich keinen besseren Abgang hinlegen können?

»Hey, was soll das?«

Ich fuhr herum und starrte in grüne Augen. Zum ersten Mal fielen mir die goldenen Sprenkel darin auf, sie erinnerten mich an Blüten auf einer Sommerwiese.

Dilan verschränkte die Arme vor der Brust. »Warum läufst du weg?«

Die Frage war eher, wie konnten die anderen es dort drin aushalten?

Ich seufzte. »Ich weiß es nicht … Du machst mich nervös und …« Hektisch gestikulierte ich mit den Händen, weil mir gerade bewusst wurde, was ich da sagte.

Er löste seine verschränkten Arme und trat einen Schritt näher. »Und?«, fragte er leise.

Seine Nähe nahm mir einen Moment den Atem.

»Und Ella ist schon die zweite Person, die ich verliere.«

Zu ehrlich. Viel zu ehrlich.

Dilan zuckte zusammen.

Ich biss mir auf die Lippe und sah weg. »Ich habe seit der Highschool keinen Menschen mehr so sehr gemocht wie Ella.«

Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Dilan schluckte. »Du stehst auf Ella?«

Seufzend fuhr ich mir durch die Haare und zerstörte dabei meinen Dutt.

»Sie bedeutet mir viel, ja.«

Er verzog das Gesicht. »Es tut mir so leid.« Ein Glänzen trat in seine Augen, als müsste er Tränen zurückhalten.

Verdammt, was?

Durch seine dichten Wimpern sah er zu mir auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass er einen halben Kopf kleiner war als ich.

»Ich will mich nicht in eure Vierergruppe drängen.«

Die Wucht, mit der seine Emotionen mich trafen, ließ mich einen Schritt zurücktreten.

»Und ich möchte keinen Konkurrenzkampf.« Flehend bohrte sich sein Blick in meinen. »Bitte, Simon.« Mein Name aus seinem Mund. Als wäre das selbstverständlich.

Ich schwieg, sagte ihm nicht, dass es darauf hinauslaufen würde, wenn er mehr von Ella wollte.

»Ich möchte Ella nicht verletzen.« Ernst sah er mich an. »Genauso wenig wie ich jemand anderen mit meiner Beziehung zu ihr verletzen will.«

Das war leider längst passiert.

Kapitel 4

Lotte hielt mir einen roten Filzstift unter die Nase.

»Bunt.« Stolz zeigte sie auf die Striche und Kreise, die neben dem Papier auf dem Boden entstanden waren.

Obwohl ich innerlich aufstöhnte, musste ich lächeln.

»Schön«, sagte ich und nahm ihr den Stift aus der Hand, um selbst Linien und Kreise dazuzumalen.

Begeistert klatschte sie in die Hände. »Mehr, mehr!«

»Wer wird das nur wieder sauber machen?« Cautschuk warf seinen Schlüssel auf die Anrichte und setzte sich zu uns auf den Boden.

»Das ist deine Aufgabe, ich wohne nicht hier.« Ich reichte ihm eine Hand.

»Wie war die Arbeit?«

Mit einem wehmütigen Lächeln schlug er ein. »Großartig.«

Ich lächelte. »Das freut mich zu hören.«

Cautschuk war Tätowierer, und wäre Mum noch hier gewesen, um ihn zu unterstützen, hätte er längst ein eigenes Studio gehabt. So tingelte er im Moment nur von Tür zu Tür.

»Was malt ihr da?«, fragte er Lotte, die sofort näher an mich heranrutschte, als würde ihr größerer Bruder ihr Angst einjagen.

Cautschuk seufzte. »Süße, Simon fährt gleich zurück nach Bath, dann musst du wieder mit mir vorliebnehmen.«

Lotte zog einen Schmollmund. »Simon geht nicht.«

Ich strich ihr übers Haar. »Doch, ich muss morgen arbeiten.«

So leid es mir auch tat, sie alleine zu lassen, so froh war ich gleichzeitig, diesen vier Wänden zu entkommen.

»Cautschuk kann viel besser malen als ich.«

Unser Bruder war der talentierteste Mensch, den ich kannte.

»Aber du malst wie ich.« Lotte lächelte mich so warm an, dass ich nicht anders konnte, als sie auf meinen Schoß zu ziehen und ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben.

Cautschuk lachte laut. »Dieses Mädchen ist dir verfallen, Sim.«

Ich verdrehte die Augen. »Na, immerhin eins.«

Sein Lachen verklang.

Ich hatte ihm heute Morgen von Ella und Dilan erzählt und sogar von der komischen Anziehung, die Dilan auf mich ausübte.

»Ella hat doch selbst gesagt, es wird sich nichts zwischen euch ändern.«

Ich seufzte. Ein anderer Mann änderte sehr wohl sehr viel. Auch wenn Cautschuk das nicht verstand, weil er manchmal selbst in zwei Männer auf einmal verliebt war.

Seine tätowierte Hand legte sich auf meine Schulter. »Ich bin sicher, sie mag dich.«

Ich verdrehte die Augen. »Ich bin zufällig vom Gegenteil überzeugt.«

»Das Leben steckt voller Überraschungen, Sim.«

Ich schüttelte seine Hand ab und verbarg mein Lächeln. »Blödmann.«

Er lachte. »Na, na, keine Flüche in Lottes Gegenwart.«

Ich schnaubte und reichte Lotte einen neuen Filzstift, damit sie ihr Kunstwerk beenden konnte. Sie hatte bereits alle Schimpfwörter dieser Welt gelernt. Dagegen war dieses nun wirklich harmlos.

Ich hob sie von meinem Schoß und setzte sie neben Cautschuk. »Ich mache jetzt mal Mittagessen und fahre dann los.«

Er grinste mich an, denn wir wussten beide, dass Lotte spätestens in vier Minuten bei mir in der Küche sein würde.

Sie brauchte drei, bis sie mit farbverschmierten Fingern neben mir stand und mich fragte, ob sie helfen könne. Sie konnte. Ich brauchte eine Person, die die Suppe umrührte, und stellte ihr dafür einen Hocker vor den Herd. Sie kletterte darauf.

Cautschuk breitete derweil seinen Zeichenkram auf dem Küchentisch aus. Das kleine Radio spielte We Are Family von Sister Sledge und lieferte einen so passenden Soundtrack, dass ich lächeln musste.

Gemütlich.

Wenn wir so beisammensaßen, vergaß ich manchmal, wie schwer es eine Zeit lang gewesen war. Wir waren tatsächlich wieder eine Familie geworden.

Während des Kochens fragte ich Lotte über den Kindergarten aus und versuchte so, herauszufinden, ob sie sich schon auf die Schule freute, auf die sie ab dem Sommer gehen sollte. Sie gab nur knappe Antworten, wollte stattdessen alles über die Zutaten wissen und erklärte mir, dass Cautschuk und Dad einfach nicht kochen konnten und sie es deshalb lernen wollte.

Ich grinste, während unser Bruder empört nach Luft schnappte.

»Ich kann sehr gut kochen, Lotti.« Er warf mir einen Blick zu. »Simon ist einfach kein Maßstab.«

Mein Grinsen wurde noch breiter. Das Kochen war meine größte Leidenschaft, und ich liebte es, wenn sie mich damit neckten.

Es machte meinen Traum, eines Tages von diesem Handwerk leben zu können, realer. Genauso wie mein Job im Priory, der schon mehr war, als ich mir jemals erträumt hatte.

Ich warf eine Prise Oregano in den Topf und ließ Lotte rühren.

»Fertig«, verkündete sie eine Minute später. Ihr Strahlen reichte von einem Ohr zum anderen.

»Juhu!« Cautschuk stand vom Tisch auf, holte Teller und Besteck, und ich trug den Topf zum Tisch.

Mein Bruder hatte seine Zeichnungen liegen lassen, und ich bestaunte die kompliziert aussehenden Kringel, Striche und Linien. Er war so verdammt talentiert, dass ich einen kurzen Moment auch über ein Tattoo nachdachte.

Einen wirklich kurzen.

Die Vorstellung, mich unter eine Nadel zu legen und freiwillig diese Schmerzen auszuhalten, schreckte mich noch mehr ab als die Angst, dass das Gestochene mir irgendwann nicht mehr gefallen könnte.

Ganz im Gegensatz zu Ella, die seit Jahren ein Tattoo wollte und sich sogar schon Motive überlegt hatte.

Ich seufzte. Würde ich meine Familie nicht komplett von meinen Freunden in Bath trennen, hätte ich ihr den besten Tätowierer des Landes empfehlen können.

»Wie findest du dieses?« Cautschuk hielt mir die Zeichnung eines im Wind schaukelnden Baumes entgegen.

Kein außergewöhnliches Motiv, doch durch seinen Stick-and-poke-Stil wunderschön.

»Es ist für Karon.«

Ich sparte es mir, zu fragen, wer Karon war, denn das Funkeln in seinen Augen sprach Bände. »Es wird ihm gefallen.« Ich zwinkerte meinem Bruder zu, und er lächelte, schob die Zeichnungen zusammen und trug sie vom Tisch weg.

Lotte hatte ihren Kuschelhasen geholt und setzte ihn auf Dads Platz. »Damit der Stuhl nicht leer bleibt.« Sie strahlte mich an.

Ich strich ihr übers Haar und küsste ihren Scheitel, versuchte, nicht auf den anderen leeren Platz zu starren, der einmal unserer Mutter gehört hatte.

Lotte reichte mir ihren Teller, und ich schöpfte ihr zwei Kellen auf. Als wir uns gerade satt und zufrieden in unseren Stühlen zurücklehnten, ging die Haustür auf, und Dad erschien im Türrahmen.

»Wie geht’s meinen Kindern?« Er drehte eine Runde um den Tisch, zerstörte mir und Cautschuk die Frisuren, indem er uns durch die Haare wuschelte, und drückte Lottes Schulter.

Sie verzog das Gesicht.

Ich schenkte ihr einen beruhigenden Blick. Er war ihr Dad, verdammt. Ein Dad, der lange Zeit nicht für sie da gewesen war, aber ihr Dad. Und er war wieder hier, das war alles, was zählte. Zumindest in meiner Welt.

Ich wünschte mir so sehr, dass auch Lotte es irgendwann schaffen würde, ihm zu vertrauen.

»Was meint ihr, noch ein Spiel, bevor Simon gehen muss?« Fragend sah Cautschuk in die Runde, während Dad meine Suppe lobte.

Lotte quietschte auf und nickte heftig. Bittend sah sie mich an.

Ich seufzte ergeben. »Ein Spiel.«

Mein Handy klingelte. Stirnrunzelnd kramte ich es aus der Hosentasche und warf einen Blick auf das Display.

Mein Herz begann, schneller zu schlagen.

»Sorry«, murmelte ich, stand auf und nahm das Gespräch mit Ella entgegen. »Hi, schönste Person der Welt.«

»Simon.« Erleichtert stieß sie den Atem aus.

»Was? Hast du nicht damit gerechnet, dass ich rangehe?«, fragte ich neckend.

»Nein«, erwiderte sie und holte zitternd Luft. Waren das etwa Tränen in ihrer Stimme?

»Ellie«, flüsterte ich. »Weinst du?«

Sie schwieg so lange, dass ich nach meinem Rucksack griff, den ich achtlos in der Küchentür liegen gelassen hatte.

»Wo bist du?«

Ich stopfte Jacke, Lernunterlagen und das Buch, das ich gerade las, hinein, das Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt.

»Vor eurer Tür, ich wollte zu June, aber weder sie noch Pekka sind zu Hause.«

Ja, da waren Tränen in ihrer Stimme.

»Ich bin in einer halben Stunde da, kannst du so lange warten?«

Wenn ich mich beeilte, würde ich sogar noch den Zug um zwanzig nach erwischen.

»Du musst nicht –«

Ich unterbrach sie. »June arbeitet noch mindestens bis fünf, und Pekka ist heute nicht vor sechs zu Hause.« Ich schulterte meinen Rucksack. »Bleib, wo du bist.«

Ich legte auf und warf meiner Familie einen entschuldigenden Blick zu. »Schafft ihr das Spiel auch ohne mich?«

Lotte schüttelte protestierend den Kopf, doch ich gab ihr nur einen schnellen Kuss und wich Cautschuks prüfendem Blick aus.

Dad verabschiedete mich per Handschlag.

Die gesamte Rückfahrt konnte ich nicht still sitzen. Nicht mal meine Lieblingsmusik von Imagine Dragons vertrieb meine Sorgen und auch nicht die Landschaft, die an mir vorbeizog.

Ich hatte das Gefühl, es wären statt einer halben sechs Stunden vergangen, als ich endlich die Treppenstufen zu unserer WG nach oben hechtete. Ella saß mit dem Rücken an unsere Tür gelehnt, das Gesicht in den Händen vergraben. Sie hob den Kopf, als sie meine Schritte hörte, und sah mir aus tränenverschmierten Augen entgegen.

Tonlos flüsterte ich ihren Namen.

Sie stand auf. Ich ließ meinen Rucksack fallen und schloss sie in meine Arme, drückte sie so fest ich konnte. Sie krallte ihre Finger in mein Shirt.

Ich schob eine Hand in ihr Haar und presste sie an mich. »Ich bin hier.«

Ella nickte an meiner Brust.

»Komm, ich mach uns Tee«, sagte ich, führte sie erst in die Wohnung und dann in die Küche.

Ihr Körper bebte auch noch, als ich Wasser aufsetzte und sie sich erschöpft am Tisch niederließ.

Ich goss den Tee auf, stellte den Topf zurück auf den Herd und ging vor ihr in die Hocke.

»Hey.« Ich nahm ihr Gesicht in beide Hände, sodass sie mich ansehen musste.

Ihre Stirn legte sich in tiefe Falten, und sie verzog die Lippen.

Kaum merklich schüttelte ich den Kopf. »Es muss dir nicht peinlich sein, zu weinen.« Eindringlich sah ich sie an. »Nicht bei mir.«

Sie sah weg.

Wenn sie gewusst hätte, wie oft ich in meinem Leben schon geheult hatte.

Wegen jenem Abschlussball.

Wegen Lotte.

Wegen Mum.

Wegen all dem Scheiß.

Trotzdem zog ich mich zurück, gab ihr mehr Freiraum. Ich stellte die Teekanne und zwei Tassen auf den Tisch und setzte mich neben sie.

»Erzählst du mir, was passiert ist?«

Sie presste die Lippen aufeinander.

»Oder wir trinken Tee und warten auf June?«

Ich zog die Kanne heran und schenkte uns ein.

Ihr Blick fand meinen. Unendliche Wärme breitete sich darin aus. Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, seufzte dann aber nur. »Was soll’s«, murmelte sie. »Ich habe Dilan geküsst.«

Ich riss die Augen auf. Die Tasse blieb auf halbem Weg zu meinem Mund in der Luft hängen.

»Ihr hattet euch vorher noch nicht geküsst?«

Sie schüttelte den Kopf, und Erleichterung überkam mich. Das bedeutete, dass sie auch keinen Sex gehabt hatten, oder?

Ich hasste mich dafür, dass ich mich darüber freute.

»Ich habe ja gesagt, dass wir nicht zusammen sind.« Ella wich meinem Blick aus. »Zuerst dachte ich, er würde den Kuss genießen, aber dann hat er mich von sich geschoben und behauptet, ich und meine Freund*innen würden nicht zu ihm passen.« Ihre zitternden Finger umschlossen die Tasse. »Was auch immer das zwischen uns war, er hat es beendet.«

Meine Hand mit der Tasse sackte zurück auf den Tisch. Tee schwappte über meine Finger. Die Hitze brannte auf meiner Haut, doch ich ignorierte sie.

Das hatte er gesagt?

»Es lag an uns?«, fragte ich.

An mir?

Ella zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, ich glaube, er hat es als Ausrede benutzt, um mir irgendetwas anderes nicht sagen zu müssen.«

Mir wurde heiß und kalt zugleich. Ich dachte an mein Gespräch mit Dilan zurück und bekam ein schlechtes Gewissen.

Ich möchte keinen Konkurrenzkampf.

War es falsch gewesen, ihm gegenüber meine Gefühle zu äußern?

Hatte er Ella jetzt einfach von sich gestoßen, bloß weil auch ich sie mochte? Um einen Konflikt zu umgehen?

Ich seufzte im selben Moment, in dem sie aufschluchzte. »Ich glaube, ich habe ihn bedrängt, und dich habe ich auch noch verletzt. Ich mache einfach alles falsch.« Sie ließ die Tasse los und vergrub das Gesicht in den Händen.

Ich griff nach ihrer Hand. »Gar nichts machst du falsch. Es war ein einziger Kuss, du hast ihn sicher nicht damit bedrängt.« Mit dem Daumen strich ich über ihren Handrücken. »Und mach dir keine Sorgen um mich.« Fest sah ich ihr in die Augen. »Du kannst nichts für deine Gefühle.«

Ebenso wenig wie Dilan.

Oder ich.

Sie umklammerte meine Finger.

»Ich würde dir gerne mehr von dem geben, was du dir wünschst.«

Ich wischte ihre Worte mit einer Handbewegung weg, als würden sie nicht einen Sturm in meinem Inneren auslösen.

Ellas Blick ruhte auf mir. Ihre blauen Augen blitzten, als würde der gleiche Sturm auch in ihr toben. Sie schluckte und kam wieder auf Dilan zu sprechen. »Weißt du, was er damit meint, dass wir nicht zu ihm passen?«

Ich seufzte. »Ich glaube, es geht dabei vor allem um mich.«

In knappen Worten erzählte ich ihr von meinem Gespräch mit ihm.

Sie riss die Augen auf. »Du hast ihm was erzählt?«

Ich seufzte erneut. »Er hat mich angesehen, als …«

Fuck.

Als würde ich ihm etwas bedeuten?

War es das, was ich gerade zu Ella hatte sagen wollen?

Ich biss mir auf die Lippe. »Ach, keine Ahnung.«

Zum Glück wurde in diesem Moment die Haustür aufgeschlossen, und kurz darauf kam June herein.

Sie ließ ihre Tasche und den Schlüssel zu Boden fallen, und Ella sprang auf.

Sie schlangen die Arme umeinander.

»Tränen reinigen die Seele.« Junes Stimme klang viel fester als sonst. »Vielleicht braucht er nur Zeit.«