Kochen am offenen Herzen - Max Strohe - E-Book
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Kochen am offenen Herzen E-Book

Max Strohe

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Beschreibung

»In seinem Buch erfindet Max Strohe die kulinarische Popliteratur.« Denis Scheck Max Strohe ist Schulabbrecher und Kochlehrling aus Sinzig am Rhein. Er hat die zweifelhafte Gabe, alles vor die Wand zu fahren. Zuallererst das eigene Leben. Er kocht mit offenem Herzen, aber lebt von der Hand in den Mund. Erst mit fünfzehn begegnet er seinem Vater, ein Lebemann und unter Antiquitätenhändlern eine Koryphäe. An seiner Seite lernt er eine Welt kennen, in der guter Geschmack alles bedeutet. Eine Geschichte beginnt, die so unglaublich wie wahr ist. Vom Schulabbrecher aus der Provinz zum Sternekoch mit Bundesverdienstkreuz – die Geschichte von Max Strohe ist einzigartig. Und die Art, wie er davon erzählt, ist es auch. Niemand hätte geglaubt, dass aus ihm noch etwas wird, als Max mit fünfzehn die Schule abbricht und sich mit Drogen und Frauen die Zeit vertreibt. Eine Lehre zum Koch in der Wendelinusstube in Sinzig-Koisdorf ist seine letzte Chance. Doch Max wird gefeuert, landet auf der Straße. Er muss Armut, Obdachlosigkeit, Versagen kennenlernen. Aber auch unverhoffte Freundschaft und den Blick für das Licht am Ende des Tunnels. Angst scheint er nicht zu kennen. Und Besitz bedeutet ihm nichts. Ganz anders sein Vater, Connaisseur einer Welt aus edlen Antiquitäten, mondänen Restaurants und halsabschneiderischer Großspurigkeit. Vater und Sohn könnten kaum verschiedener sein, und doch eint sie ihr Gespür für die schönen Dinge des Lebens. »Es ist eigentlich eine Frechheit, dass jemand, der so kochen kann, dann auch noch so schreibt.« Sophie Passmann »Eine Achterbahnfahrt vom jugendlichen Drogenrausch im Rheinländischen zu einem der außergewöhnlichsten Köche Deutschlands.« Tim Raue »Ich kann nicht kochen. Aber ich weiß, dass dieser Mann schreiben kann. Meinen Respekt.« Moritz von Uslar

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Seitenzahl: 251

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Dies ist der Umschlag des Buches »Kochen am offenen Herzen« von Max Strohe

Max Strohe

Kochen am offenen Herzen

Lehr- und Wanderjahre

Tropen Sachbuch

Impressum

In diesem Buch werden tatsächliche und fiktionale Ereignisse miteinander verwoben.

Max Strohe lebte wirklich, seine Darstellung wurde zum Teil fiktionalisiert.

Sein Vater, sein weiteres familiäres Umfeld und andere Figuren sind teilweise frei erfunden.

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Tropen

www.tropen.de

© 2022, 2023 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Zero-Media.net, München

unter Verwendung einer Abbildung

von ©FinePic®, München

Gesetzt von C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

Lektorat: Andreas Bernard

ISBN 978-3-608-50221-3

E-Book ISBN 978-3-608-11942-8

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der Vater ist Kunsthändler. Aber eigentlich ist er Sammler. Und kaufsüchtig.

Er ist stolz und hat Rückgrat. Und er hat nach eigenen Angaben den Weltgeschmack gepachtet. In einem Interview mit dem Magazin Weltkunst antwortete er auf die Frage, was er persönlich sammle: »Augenblicke und Begegnungen«. Natürlich stimmt das so. Aber eigentlich sammelt er, was andere nicht zu schätzen wissen, und behält für sich ein, was sie nicht verdienen.

Einmal, da hat er etwas verkauft, an einen Fertigfraß-Mogul. Ein wunderbares Möbel, »zum Wichsen geil« sei es gewesen. Als Dank für den Kauf schenkt der Mogul ihm eine Kiste Wein und eine seiner liebsten Zigarren. Als der Kunde den Wunsch des Vaters, das vollzogene Geschäft mit dem gemeinsamen Genuss einer Zigarre zu zelebrieren, ablehnt, verkriecht sich der stolze Händler auf den Sitz seines Wagens und beginnt zu weinen.

Er verflucht den Käufer und vor allem sich selbst.

Mit fast jedem Verkauf fällt ihm das Verkaufen schwerer.

Mein Vater ist Ästhet und idealistischer Romantiker. Mein Vater ist eine gute Seele und ein vernachlässigtes kleines Kind. Eine unsterbliche Persönlichkeit im Körper eines dahinscheidenden Neurotikers. Er ist Vorbild und abschreckendes Beispiel zugleich. Neid, Liebe und Bedauern erfüllen mein Herz, wenn ich an ihn denke. Ich liebe meinen Vater. Er riecht gut.

Es ist also der August des Jahres 1997, eitel Sonnenschein, »Mittelmeersommer«, in einem kleinen Ort im Westen der Republik, und zwar dort, wo die wunderbare Ahr in den absolut immer trüben Rhein mündet, in Sinzig.

Und nicht einfach nur »Sinzig«, sondern natürlich mit der Ergänzung »am Rhein«, damit hier auch ja keine Verwechslungen entstehen, es gibt nämlich absolut nur ein Sinzig auf der Welt, und das ist verdammt noch mal am Rhein. Am Rhein mit seinem Hochwasser, seiner Melancholie, seinen Ironman-Anekdoten, den Geschichten seiner Brücken während der Weltkriege, dem Binnenschiffsverkehr und den mittlerweile entkoffeinierten Kaffeefahrten der Köln-Düsseldorfer Dampferflotte. Von den Schiffen in Haifischoptik krächzt aus den Deckenlautsprechern die immerwährende Weisheit: »Der Rheinländer kehrt immer wieder ins Rheinland zurück«, so wie der Täter an den Tatort.

Der Tatort, an den ich die nächsten zweieinhalb Jahre regelmäßig zurückkehren sollte und an dem ich zum Komplizen wurde, zum Komplizen einer Art Verbrechen an mir selbst, einer Unkenntlichmachung meines ursprünglichen Ichs, ist ein beschauliches Stück deutscher Traditionsgastronomie. Die Wendelinusstube ist ein Landgasthof neben einer Kirche, die man eher Kapelle hätte nennen sollen, mit einem Saal für gut- bis spießbürgerliche Ereignisse (Gemeinderatssitzungen, Karnevalsfeste, Hochzeiten, Trauerfeiern) bei Kaffee, Blechkuchen und belegten Brötchen. Ein warmherziger Familienbetrieb, gelegen auf einem Hügel oberhalb des Sinziger Stadtkerns, im verschlafenen Nest Koisdorf. Ein paar Fremdenzimmer, ein gemütliches Restaurant und eine angrenzende Kneipe mit Dart und Würfelspiel für die Dorfältesten und die Junggesellen …

Martin ist dort Lehrling im zweiten Lehrjahr. Aber er ist auch zweiter Mann. Zweiter Mann hinter dem Küchenchef. Sous Chef also.

Martin sieht ein bisschen so aus, wie man sich den gemeinsamen Sohn von Benjamin von Stuckrad-Barre und Boris Becker vorstellen würde. Zur Zeit des Geschehens allerdings ist Boris Becker gerade auf dem Weg, sich aus dem Profisport zu verabschieden, und erklärt, mit auf Wimbledon schielenden Augen, seiner zukünftigen Exfrau Barbara, sein Hirn sei Rührei. Benjamin von Stuckrad-Barre arbeitet in Hamburg bei einem Plattenlabel, und zwar nicht für oder mit Udo Lindenberg, und ist auch weder fürs Rauchen noch fürs Koksen einem breiteren Publikum bekannt. Bücher hat er auch noch keine geschrieben.

Mich selbst zu dieser Zeit zu porträtieren, fällt mir gar nicht so leicht. Verblasste Erinnerungen und der Mangel an Beweismaterial. Handys mit Kamera gab es noch nicht, nur schwere Mobiltelefon-Installationen in teuren Autos von Menschen mit enormer Wichtigkeit. Fotoapparate waren was fürn Urlaub. Ich mein, es war noch D-Mark, Leute.

Ich versuche mich dennoch an mir selbst.

Im zarten Alter von fünfzehn – ich hatte gerade knapp mein erstes Mal überstanden, meinen leiblichen Vater bei einer New-York-Reise kennengelernt und mit Pauken und Trompeten zum zweiten Mal die achte Klasse des Gymnasiums vermasselt – war ich dabei, mein Äußeres in Richtung Hybrid aus Jim Morrison und Kurt Cobain zu optimieren. Schlank genug war ich, sogar so spindeldürr, dass ich unter meinen zerrissenen Jeans aus Scham eine weitere Hose trug, eine Nummer kleiner, in deren Gesäßtaschen ich Taschentuchpackungen platzierte, um mein Hinternvolumen zu vergrößern. Meine Haare waren fast kinnlang (und wurden leider nie mehr länger), Naturhaarfarbe undefinierbar. In meinen ausgelatschten hohen Vans schlurfte ich mit schlechter Körperhaltung, voller Wut auf alles und null Bock auf irgendwas durchs fade Rheinland.

Zweimal in derselben Klassenstufe sitzenzubleiben bedeutet, von der Schule zu fliegen. Wie man es auch dreht, man fliegt von der Schule. Und von der Schule zu fliegen war, entgegen meinen Erwartungen, nicht sonderlich cool.

Die Eltern sind enttäuscht, die Freundin findet’s doof. Ausschluss aus der Klassengemeinschaft. Verlust von Kontakten oder sogar Freundschaften.

Mir speziell boten sich nach dem Scheitern zwei Möglichkeiten: entweder direkt steil bergab, runter auf die Hauptschule, oder als Zwischenstopp die Realschule.

Die Lehrer und Direktoren der verschiedenen im Kreis ansässigen Schulen hatten selbstverständlich miteinander kommuniziert, und keiner von ihnen hatte den pädagogischen Ehrgeiz, sich eines Fünfzehnjährigen aus intakten sozialen Verhältnissen und mit besten Voraussetzungen anzunehmen. Ihre Aufmerksamkeit galt Schülern, die sich nicht sehenden Auges und selbstverschuldet zum Opfer degradierten und aufs Abstellgleis beförderten. Zu Recht.

Vom Abstellgleis aus fuhren dann nur noch zwei Züge mit One-Way-Ticket. Und zwar in Richtung Internat ganzweitweg und in Richtung Ausbildung vor der Tür.

In meiner bescheidenen schulischen Karriere hatte ich mir durchaus einiges Wissen darüber angeeignet, was ein Internat ist. Im ersten Moment flackerten vor meinem inneren Auge lebhaft unschöne Szenen auf: große Schlafsäle, superfrühes Aufstehen und Bettenmachen, militärische Strenge, Gebete, Homosexualität, Schülerverbindungen und Saufen mit Haltung und Stolz und bis zum Umfallen.

Kurz darauf schob sich in meine Vorstellung vom Internatsabsolventen hingegen das Bild vom Getümmel der Abschlussfeierlichkeiten und dem Dress eines amerikanischen College-Primus. Frenetisch feiernde Eltern mit Tränen des Stolzes und der Erleichterung in den Augen. Eltern, die sich selbst auf die eigene Schulter klopfen und sich gegenseitig beglückwünschen, alles richtig gemacht zu haben. Eltern, die nicht müde werden, gegenüber ihren Platznachbarn bei der Zeremonie zu betonen, dass ich ihr Sohn sei.

Danksagungen und Einträge von Professoren im Jahrbuch, meine Unterschrift in die Ehemaligenwand eingraviert wie die Namen der im Krieg gefallenen CIA-Spione in Langley. Berichte des Schulpsychologen über meine Person. So wie die Berichte, die Robin Williams mit immer tatwaffenpräzise gespitzten Bleistiftminen über den hochbegabten Good Will Hunting in sein Moleskine kritzelte. So schnell kritzelte er, weil sein hochintelligenter Patient im Sekundentakt Myriaden neuer Facetten seiner immens interessanten Persönlichkeit entwickelte. Und so wäre das bei mir, Good Max Strohe, dann auch gewesen.

Wenn man zu meiner Zeit ein Gymnasium bis zur achten Klasse besuchte, wusste man zwar, was ein Internat ist, aber man wusste nicht so recht, was eine Ausbildung ist.

Zumindest bereitet der Lehrplan einen nicht darauf vor. Vielleicht habe ich es auch einfach nicht mitbekommen oder in Gänze ignoriert.

Nachdem ich also das ein oder andere Internat in Augenschein genommen hatte und mir dabei nicht unbedingt warm ums Herz geworden war, kam meine Mutter mit viel Verständnis und der Möglichkeit einer Ausbildung um die Ecke.

Es galt nun herauszufinden, was mir liegt oder was ich gerne tue. Viel Zeit blieb nicht, die Sommerferien waren in vollem Gange, Mittelmeersommer und so.

Ich musste mit Erschrecken über mich selbst erfahren, dass ich handwerklich vollkommen unbegabt bin, was mich in eine denkbar ungünstige Position manövrierte: Völlig talentfrei, ohne Begeisterung und ohne Schulabschluss einen handwerklichen Ausbildungsplatz zu finden, in einem kleinen Kaff, in dem den meisten Einwohnern meine demonstrative Lethargie nur allzu gut vertraut war.

Was mir immer verhältnismäßig viel Freude bereitet hatte, war das gemeinsame Kochen daheim. Und mit ein bisschen Glück und Beziehungen kam ich in der Hoffnung, meine kulinarische Unfähigkeit etwas kaschieren zu können (immerhin wusste ich, wie man aß), zu einer Praktikumsstelle in einer Küche.

Das Team in der Wendelinusstube ist klein. Familienbetrieb, zwei Generationen.

Die Eltern, Barbara und Werner, fungieren so ein bisschen als Geldgeber und Aushilfen, ihr Sohn Thomas betreibt den Laden gemeinsam mit seiner Langzeitfreundin Susan. Martin ist Thomas’ rechte Hand.

Dorfstraßenseitig teilen sich Restaurant und Dorfschänke einen Eingang. Man tritt ein, rechts Gastraum und links Kneipe. Geradeaus befindet sich eine Tür mit der Aufschrift »Privat«. Als meine Mutter mich zum ersten Arbeitstag meines Praktikums in Koisdorf abliefert, betreten wir meine sozusagen erste Wirkungsstätte durch den Haupteingang. Oder, besser gesagt, den Eingang für die Gäste. In Zukunft jedenfalls werde ich den Laden über den Hintereingang betreten, mit eigenem Schlüssel. Personal VIP, klar.

Dienstbeginn ist um vierzehn Uhr.

Natürlich, und da hat meine Mutter großen Wert drauf gelegt, sind wir schon um dreizehn Uhr dreißig vor Ort. Meine Chefs begrüßen das sichtlich erfreut, aber nicht überrascht. Ich frage mich, was das wohl für eine komische Welt ist, mit der ich da gerade zu kollidieren drohe. Seltsam, dass man für cool gehalten wird, wenn man pünktlich kommt. Gott sei Dank redet meine Mutter. Ich liebe sie sehr.

Die beiden Köche in strahlendem Weiß stellen sich mit Vornamen vor, wir sind gleich per du. Jetzt geht es durch die verbotene Tür, und zack bin ich drin, backstage, auf privat. Ich winke meiner Mutter von der Türschwelle aus goodbye.

Auf der ersten Etage befinden sich ein paar Fremdenzimmer, ein Personalraum, gleichzeitig Umkleide, das Trockenlager, »Magazin« genannt, und die Küche samt Kühlhaus, Spülküche und einem kleinen Lastenaufzug, der die angerichteten Teller dann später, während des Abendservices, von oben nach unten fährt.

Ich ziehe mich um, habe ein weißes T-Shirt, eine karierte Kochhose mit fürchterlichem Schnitt und weiße Birkenstock, Modell Boston, im Gepäck. Ich betrachte mich im Spiegel und bestätige achselzuckend den peinlichen Look. Die Schuhe machen mir am meisten zu schaffen.

In dieser Aufmachung betrete ich die Küche, bin froh, mir trotz Aufregung und Unsicherheit den Weg gemerkt zu haben. Ich entdecke Martin und bin erleichtert: Er trägt auch Birkenstock. Allerdings sind seine schwarz und ein bisschen runtergerockt, cooler, fast verwegen.

Martin führt mich im Haus herum. Zuerst geht es in den zweiten Stock, im Eilschritt, er nimmt mindestens drei Stufen auf einmal.

Mit den Händen in den Hosentaschen, die Hose unter den Arsch drückend, komm ich da nicht hinterher. Scheiß auf Style, Zeit scheint hier knapp zu sein.

Oben befinden sich weitere Zimmer und auch die Wohnung vom Chef und seiner Frau. Außerdem ein weiteres Lager mit Gefriertruhen, Tischen, Stühlen und allerhand Zeug, das ich nicht zuordnen kann. An das Lager grenzt eine überdachte Terrasse. Kein Zutritt für mich, auch nicht, wenn ich schon Privatstatus habe. (Da weiß ich noch nicht, warum.) Jetzt geht es von ganz oben nach ganz unten. Weinkeller und ein weiteres Kühlhaus. Hier hängt ein Reh, es wird rheinischer Sauerbraten mariniert.

Kurze Einweisung in die Küche. Zweimal vier Flammen Gasherd gespiegelt, Elektro-Doppelfritteuse, Kippbratpfanne. Kühlschubladentische, kleines Kühlhaus in der Ecke bei der Haubenspülmaschine von Hobart, riesiges Doppelwaschbecken, in dem ich mir in Zukunft das ein oder andere Mal die Haare färben werde. Schneidebretter in verschiedenen Farben. Die Größe der Maschinen, aber auch der Töpfe und Pfannen, ist enorm. Die polierten Edelstahlflächen reflektieren das kalte Licht der Neonröhren.

Ich weiß noch, dass ich dachte, ich könne ganz gut kochen. Ich weiß auch, dass ich das nicht mehr dachte, als ich herausfand, dass ich Lauch nicht von Stangensellerie unterscheiden konnte.

Ich weiß noch, wie ich staunte, als Martin Zwiebeln schälte, ohne zu weinen, und sie schnitt, ohne hinzugucken. Er schnitt die Zwiebeln, ohne sein Messer abzusetzen, frei nach seinem Motto: Arme und Beine bilden eine rotierende Scheibe.

Ich weiß noch, wie die Seniorchefin in die Küche kam: Eben hatte sie noch in einem der nicht belegten Fremdenzimmer herumgefläzt und sich eine dieser gruseligen Seifenopern reingezogen, und schon flitzte sie durch die Küche, bediente die Industrie-Spülmaschine, zog Besteck aus dem brühend heißen Wasser, ohne mit der Wimper zu zucken, half mal hier und mal dort aus und nuschelte im tiefsten Kölschen Platt vor sich hin.

Ich weiß noch, wie ich ständig das Gefühl hatte, im Weg zu stehen (was ich auch tat), und bestimmt, aber respektvoll ermahnt wurde, die Hand gefälligst aus der Hosentasche zu nehmen. Wie ich dabei innerlich die Augen verdrehte, aber sofort spurte.

Ich weiß noch, wie mir alle alles Mögliche zum Probieren reichten. Saucenansätze, Schokoladenmousse-Basis, Bratkartoffeln, Sauce Tartare. Hier war viel Liebe im Spiel. Und Stolz. Alle schienen absolut zufrieden und erfüllt in ihrer Tätigkeit aufzugehen.

Ich hatte endlich das Auto von den Metroeinkäufen befreit und sollte nun den Rest meines ersten Tages in der kalten Küche verbringen, die Saladette auffüllen. Karotten schälen und Zwiebeln. Gurken schälen und durch eine Maschine schieben, um sie zu hauchdünnen Scheiben zu verarbeiten. Tomaten waschen und in Ecken schneiden, vorher den Strunk entfernen. Mais und Kidneybohnen aus ihren Dosen holen, abwaschen und umfüllen.

Meine schwierigste und in ihrer Absurdität kaum zu übertreffende Aufgabe allerdings war: Petersilie hacken.

Hierzu nimmt man krause Petersilie und wäscht sie zunächst.

In einer Salatschleuder zentrifugiert man das haften gebliebene Wasser wieder von dem »Peter« (und so darf man Petersilie anscheinend nennen, wenn man sie lange genug kennt). Insgeheim stelle ich mir vor, wie sich Roger Moore 1979 in Moonraker gefühlt haben mag. Leider kommt mir kein leicht bekleidetes Bond-Girl aus dem Waschbecken entgegen.

Aus der Schleuder zupfe ich zuerst die Blätter von den Stielen auf das grüne Brett. Wir wollen hier absolut ausschließlich das krause Blatt, Überreste wandern in einen riesigen Topf, in dem ein Fond vor sich hin simmert.

Meine Spezialwaffe zur Zerkleinerung des Krautes ist ein sogenanntes Wiegemesser. Man höre und staune, man wiegt es nämlich in enormer Geschwindigkeit von rechts nach links und von vorne nach hinten und wieder zurück über den Peter hinweg.

Peter klein, alles fein. Im nächsten Schritt positioniert man das Gut im Zentrum eines angefeuchteten Passiertuchs, rollt alles zu einem Ball und drückt das beim Wiegen ausgetretene chlorophyllhaltige Wasser unter Zuhilfenahme aller im Bizeps gespeicherten Kraft wieder heraus.

Anschließend wird es auf Küchenpapier ausgebreitet und unter eine Wärmelampe zum Trocknen gelegt. Die nun bis zur Unkenntlichkeit entstellte Petersilie verliert sich in einem fiesen Grauton und riecht nach Hasenstall. Der Service wird sie später dazu nutzen, sie rundherum auf den Tellerrand zu streuen, wo sie dekorativ wirken soll.

Was für ein Kokolores.

Am ersten Abend meines Praktikums essen zwanzig Gäste im Lokal. Die meisten von ihnen nehmen eine Vorspeise und einen Hauptgang. Desserts gehen kaum welche raus. Ein festes mehrgängiges Menü gibt es nicht. Martin arbeitet auf dem Posten des Entremetiers und bereitet Beilagen und Suppen zu.

Der Chef kocht als Saucier, brät Fleisch, dämpft Fisch und schmeckt die Saucen ab. Ich mache die kalte Küche zusammen mit der Seniorchefin. Von unserem Posten gehen eigentlich nur Salate raus, da aber fast überall einer dazugeht, ist trotzdem genug zu tun.

Die Bons mit den Bestellungen kommen über den Aufzug aus dem Restaurant direkt in die Küche. Ich nehme sie heraus und überbringe sie dem Meister, der sodann laut und deutlich und mit fester Stimme seiner Mannschaft die Bestellung der Gäste annonciert.

Martin ist schnell und rau im Ton. Vielleicht weil er so konzentriert ist. Die beiden Köche tauschen hie und da ein paar Blicke, es wird wenig gesprochen. Dennoch scheint alles nach Plan zu laufen. Beide sind zeitgleich mit der Zubereitung der verschiedenen Komponenten fertig, eilen im Stechschritt zum Pass (so nennt man die Fläche, die allein für das Anrichten frei gehalten wird, in Küchenfachsprache, eine Edelstahlfläche unter wärmenden Lampen) und richten wortlos und präzise an. Eine erstaunliche Choreografie. Ich bin sofort Fan.

Ich probiere ein Schnitzelchen nach Wiener Art, dazu verschiedene Saucen.

Auf der Speisekarte stehen noch Kässpätzle (mein Favorit, Käse gewinnt immer), Schweinefiletmedaillons in Apfel-Calvados-Rahmsauce mit flambierten Apfelspalten und Kartoffelkroketten. Ein Rumpsteak mit Kräuterbutter, Pommes frites und Salat. Ein Grillteller mit verschiedenen Sorten Fleisch. Hausgeräucherter Lachs mit Sahnemeerrettich. Ein gesottener Tafelspitz mit Bouillongemüse. Rheinischer Sauerbraten in einer wahnsinnig geilen Sauce mit Rosinen drin und mit Grafschafter Goldsaft und Schwarzbrot. Dazu werden Apfelrotkohl und Semmelknödel gereicht.

Wann immer sich eine Pause anbietet, verabschiedet sich der Chef hinauf in seine Wohnung und macht Buchhaltung oder so an seinem Computer.

Barbara schaut Seifenopern oder Quizsendungen in einem der Zimmer. Ihr Mann verbringt die Abende damit, in der Kneipe quasi sein bester Gast zu sein, mit den Junggesellen zu knobeln und über den mäßigen Erfolg seines Vereins Borussia Mönchengladbach zu schwadronieren.

Martin arbeitet eigentlich unentwegt. Manchmal macht er eine Zigarettenpause. Im Flur vor der Küche steht er an einen Haushaltskühlschrank gelehnt, steckt seine West in den Mundwinkel und raucht sie in einem durch. Ein überfüllter Aschenbecher ist Zeuge.

Die ersten zwei Wochen meines Praktikums bereiten mir tatsächlich Freude. Das Team, die Familie, alle sind sehr nett und einfach liebe Menschen. Ich werde sehr familiär und wohlwollend in die Mannschaft aufgenommen. Die Arbeitsstunden bis in den späten Abend entsprechen meiner vagen Vorstellung, eine Art Rock-’n’-Roll-Lifestyle. Nachts falle ich müde und mit wohliger Bettschwere in meine Träume, während ich noch nach Küche dufte. Morgens ausschlafen zu können, gefällt mir ebenfalls. An meinem letzten Tag bekomme ich eine Kochjacke geschenkt, mit meinem Namen draufgestickt. Dazu gibt’s eine unverschämt große Portion Lob und etwas Trinkgeld. Mir wird ein Ausbildungsplatz angeboten und eine monatliche Entlohnung in Höhe von sechshundert Mark. Sechshundert Mark?

Warum hat man mir das nicht gleich gesagt?

Deal!

März 1997, ein halbes Jahr zuvor. Sinzig am Rhein. Stadt der Gewinner.

Ein Herr im besten Alter – der Gang vom Gewicht seines Bauches leicht vornübergebeugt, die Arme hinter dem Rücken verschränkt – betritt gemächlich in Schaufensterbummel-Gemütlichkeit mein Zimmer.

Die Sohlen der braunen Lederschuhe, die ich später als John-Lobb-Doppelmonk aus Pferdeleder und mit Rosshaarnaht identifizieren würde, sind an den Fersen mit Kupfer beschlagen und geben einen trippelnden, aber unaufgeregten Takt vor. Seine Augen huschen scheu umher, der Blick neigt sich hinab. Eine Bakelit-Lesebrille liegt schief auf der Nasenspitze. Die Augen, halb dahinter verkrochen, halb darüber hinwegfunkelnd, raubtierartig, aber gütig, meiden Blickkontakt. Ein Dreitagebart und strähniges, kinnlanges Haar rahmen das symmetrische und schöne Gesicht.

Er schiebt den Kiefer und die Unterlippe vor, bläst ruckartig Atemluft nach oben, um eine Strähne seines Haares aus den Augen zu vertreiben.

Den Ellenbogen seines rechten Armes winkelt er auf seinen Bauch gestützt an, ergreift fest meine Hand, zieht mich zu sich, schnuppert an meinem Haar und küsst meine Wange.

»Maximilian, mein junger Sohn, Schmitz-Avila mein Name. Wie ich höre, begleitest du mich nach New York.«

Es ist früh am Morgen, so ungefähr vier Uhr. Ich fühle mich unbehaglich und bin verunsichert. Mein Großvater und ich laden den Vater vor seinem Haus ein, einer Jugendstilvilla aus dem Jahre 1905, direkt am Rhein, und fahren zum Koblenzer Hauptbahnhof.

Ich versuche, unbeobachtet den Vater dabei zu beobachten, wie er daran scheitert, am Automaten des Bahnhofes eine Fahrkarte zu kaufen, und kurz davor ist, die Kontrolle zu verlieren. Ein dicker Batzen unsortierten Bargeldes in großen Scheinen in der einen Hand und ein ständig erlöschender Zigarrenstummel in der anderen tragen weder zur Lösung des Problems noch zur Beruhigung bei. Mein Vater, und das würde ich von nun an noch ausführlicher studieren können, besaß das Nervenkostüm eines stolzen und überzeugten Cholerikers.

Ein ziemlich verwirrter und allem Anschein nach wohnungsloser Mann (ein Penner, so der Vater) flüchtet mit einer Glocke in der Hand vor der Polizei, hinein in den an eine vollgepisste Unterführung erinnernden Tunnel, von dem aus Aufgänge zu den verschiedenen Gleisen führen.

Alle paar Meter stoppt der Verfolgte, hält kurz inne und horcht sodann mit gespitzten Ohren und halb verdrehten, wie runtergeschluckt wirkenden Augäpfeln dem Klang der Glocke, die er mit seinen stark verschmutzten Fingern energisch läutet, formt die Lippen zu einem O und trillert die Klänge der Glocke als Echo hinterher, verstummt dann und rennt wie ein Fußballspieler nach dem Anpfiff wieder davon.

Mit allerhand Gepäck (der Vater reist stilsicher mit Rimowa-Koffern und Ärztetasche aus Krokodilleder, ich mit irgendwas mit Reißverschluss und Nike-Rucksack), aber ohne Zugfahrkarte steigen wir in den ICE Richtung Frankfurt-Flughafen.

Zäh verstreicht die Zeit, während das Land draußen langsam in Morgenröte getaucht wird. Meine Versuche, die Stimme zu einem Gespräch zu erheben, werden vom Rattern der unebenen Bahngleise unterdrückt. Während wir einander anschweigen und ich mir wünsche, dass wir nicht beim Schwarzfahren erwischt werden, wünsche ich mir, dass wir beim Schwarzfahren erwischt werden, damit unsere Reise endet, bevor sie begonnen hat.

Ich beobachte den Vater dabei, wie er versonnen und schlaftrunken aus dem Fenster schaut und sich seine Augen dabei ganz schnell bewegen, und ich wünsche mir, ich könnte mich selbst dabei beobachten. Weil ich wissen möchte, wie ich dabei aussähe.

Ich stelle mir vor, wie der Sehmuskel-Bizeps des Vaters platzt, ohne dass er es merkt. Weil er so versonnen dreinschaut und gar nichts mitbekommt von der Anstrengung seiner Augen und der Anspannung seines Sohnes.

Wir erreichen Frankfurt, ohne kontrolliert zu werden.

Durch die Lautsprecher im Flughafeninneren hallt der letzte Aufruf für Dr. Schmitz-Avila.

Zögerlich weise ich den Vater darauf hin, und wir spurten zum Gate.

Der Vater schreit umher, seine offene Gürtelschnalle pendelt im Auf und Ab der eiligen Schritte zwischen den Kniekehlen. Seine Kupferhufe klackern schmetternd auf dem gefliesten Boden der endlosen Hallen.

Auf unseren Plätzen im Nichtraucherbereich des Flugzeuges pafft der Vater die letzten Züge seiner Montecristo-Zigarre und reagiert mit völligem Unverständnis auf das Unverständnis unserer Mitreisenden.

Er stattet mich mit allerlei Lektüre des ADAC über New York aus, schluckt eine Schlaftablette, wünscht mir und sich selbst einen ganz großartigen Flug, ignoriert die Aufforderung zum Anschnallen und schläft fast auf der Stelle ein.

Aus den Lautsprechern bei der Zollkontrolle des Flughafens Newark läuft die Boyzone-Version von Cat Stevens’ Song »Father & Son« in Endlosschleife. Der Vater ist bestens aufgelegt und ausgeschlafen, hat er doch gerade den drohenden Jetlag mit einer doppelten Mütze Schlaf überlistet, wie er behauptet. Den Antrag für sein Visum hat er im Flugzeug von mir ausfüllen lassen, für so eine kleinkarierte Scheiße habe er weder Zeit noch Verständnis.

Er wird eingehend studiert, gefilzt und gründlich überprüft. Im Gespräch mit den Beamten weigert er sich, von seiner Fähigkeit, Englisch zu reden, Gebrauch zu machen, spricht stattdessen in Hochgeschwindigkeit Französisch und ist nicht verlegen, hie und da mal ein griechisches Schimpfwort süffisant in seinen Monolog hineinstolpern zu lassen. »Wissen Sie, was ein Idiot ist?«, fragt er.

»Just relax, take it easy, you’re still young, that’s your fault, there’s so much you have to know.«

Die große Menge Bargeld, Deutsche Mark und US-Dollar, sorgt zusätzlich für einige Verwirrung, genauso wie die zwei unterschiedlichen Nachnamen in unseren Pässen, nachdem wir uns als Vater und Sohn vorgestellt haben.

Ich selbst habe mich vorbildlich vorbereitet, trage, wegen der hohen Kriminalität in den USA und insbesondere natürlich in New York, Brustbeutel mit American-Express-Travellerschecks und einigen wenigen Dollar Bargeld, versteckt unter meinem Pullover und nah beim Herzen.

Während der Vater mit den Beamten herumdiskutiert, verliert mein Verstand vor lauter Müdigkeit so allmählich den Anschluss, ich drifte ab in stumme Isolation und stelle mir vor, wie wir in einer Seitenstraße überfallen werden, in der Bronx natürlich oder in Harlem. Von hungrigen und entzugsgeplagten Drogensüchtigen, die Gangsta-Rap hören und nichts mehr zu verlieren haben. Wie sie hektisch und unorganisiert im Schallschutz des immerwährenden Sirenengeheuls auf uns einbrüllen, der Vater sie ignoriert oder gar in irgendeiner toten Sprache beschimpft. Ein Schuss löst sich in all der Aufregung, panisch und wie zufällig aus einer nicht registrierten Billigknarre, eine Kugel schnellt hysterisch aus dem Lauf.

Durch die Todesangst zur Höchstleistung manipuliert, werfe ich mich intuitiv und theatralisch und in Zeitlupe in die Schusslinie, mein komplettes, zu kurzes Leben zieht in wenigen Augenblicken an meinem inneren Auge vorbei.

Die dicke Schicht aus Geld und Schecks im Brustbeutel vor meinem Herzen (über dessen Spießbürgerlichkeit sich der Vater pausenlos amüsiert) rettet mein Leben und ich das des Vaters. Mein Vater, das war eine der ersten Einsichten, führte das Leben einer alten Seele im Geiste eines kleinen Kindes. Ein Leben, das prall gefüllt war mit den schönen Dingen der Vergangenheit, alten Werten und toten Sprachen.

Ich zeige meinen Reisepass und mein ausgefülltes Touristenvisum vor und bestehe somit den Einreisetest ohne Beanstandung.

Nach einigem Hin und Her und mehreren vehement vereitelten Versuchen des Vaters, sich eine Zigarre anzuzünden, werden wir schließlich durch große Schwingtüren hinaus in die Freiheit der unbegrenzten Möglichkeiten entlassen, und ich frage mich, warum es in den USA nicht ganz besonders gut riecht, so verheißungsvoll und mächtig, und bekomme keine Gänsehaut.

Den Himmel des Ford Crown Victoria Yellow Cabs zieren unzählige bunte Pins und Buttons verschiedener Musiker und Zeitschriften, diverse Messages und Parolen. Die Sex Pistols hängen über uns herab, neben den Pet Shop Boys ragt ein Hakenkreuz aus einem Mülleimer, und die Jungs von Metallica stützen sich auf die New York Knicks. Ich sitze hinter dem Fahrer und erfreue mich daran, dass alles in den Taxis genau so zu sein scheint, wie man es aus den berühmten Hollywood-Klassikern mit Robert De Niro und Al Pacino kennt.

Mein Vater verschlingt vor dem Einsteigen noch ganz schnell etwas sehr Fettiges, von dem ich nicht weiß, woher er es hat, mit einem großen Bissen, wischt sich die fettigen Finger in den Haaren ab und fixiert seine Frisur, als würde er Gel benutzen, ein wenig nach hinten, entzündet sich, auf theatralische Weise dem Wind ausweichend, endlich diese verfluchte Zigarre und lässt sich auf den Sitz neben mir fallen. Er schreit zufrieden: »Mich kannste schicken!«

Bevor es unser Fahrer bemerkt oder sich beschwert, kurbelt der Vater die Fensterscheiben der Hintertür ein wenig hinunter, steckt die Zigarre hindurch, kurbelt das Fenster wieder hoch und klemmt sie ein. Mundstück im Auto, qualmende Glut außen. Auf Spanisch weist er dem Fahrer die Richtung und das Ziel. Beide lachen, der Vater lacht lauter.

Er beugt sich vor, streckt den Kopf zum halbgeöffneten Fenster und pafft genüsslich an der Zigarre. Er erinnert mich stark an Jack Nicholson, wie er da an der Zigarre nuckelt.

Er zwinkert mir zu, und ich bin stolz, es bis hierhin geschafft zu haben, und wende mich, eine Träne vergeudend, von ihm ab und ergebe mich dem Sog der Stadt.

Der Vater verabschiedet sich an der Aufzugtür, drückt mir zweitausend Dollar in die Hand und verabredet sich mit mir für den übernächsten Tag zum Abendessen, Treffpunkt um zwanzig Uhr vor dem Hotel.

Mein Einzelzimmer im Hotel Waldorf Astoria ist in etwa so groß wie die Wohnung, in der ich mit meiner Mutter lebe. Ein Page erklärt mir in akustisch schwer verständlichem Englisch die Vorzüge meines Zimmers, untersagt mir wild fuchtelnd den Zugriff auf die Bar und verlässt unaufgefordert, aber sichtlich verärgert das Zimmer.

Hohe Decken, ein Teppichboden so dick und tief und weich wie nasses, sattes Moos, bodentiefe Vorhänge, Wände mit altrosafarbener und längsgestreifter Tapete, Möbel aus dunklem Mahagoniholz und prächtige riesengroße Kunstdrucke in barocken Rahmen verstärken mein Unbehagen.

Vom Hotelzimmer-Telefon aus rufe ich meine Mutter in Deutschland an, nachdem ich mich mit der Verwendung der Ländervorwahl vertraut gemacht habe. Unter Tränen klage ich ihr mein Heimweh und meine Überforderung, berichte aufgelöst und fassungslos von dem vielen Geld und dem Unverständnis über das abrupte Verschwinden des Vaters.

Vehement klopft es an meine Zimmertür. Ich öffne zögerlich die wie bei Chesterfield-Sitzmöbeln mit Leder bezogene Tür, und der Vater poltert, eine Arie pfeifend und nur mit Shorts und Poloshirt bekleidet, in mein Zimmer herein.

Was ich wollen würde, fragt er. Und ob ich besoffen sei, ob ich wüsste, was das kosten würde, vom Hotel aus nach Deutschland zu telefonieren. Und was ich nun vorhätte, jetzt, wo er schon mal da sei. Womit man sich in meinem Alter denn so die Zeit vertreibe.

Am frühen Morgen verlassen wir gemeinsam das Hotel, Manhattan habe man zu Fuß zu erkunden, so der Vater. Die Straßen sind noch leer, die Luft liegt bleiern und diesig auf dem unebenen Asphalt der Gehwege. Ampeln springen stumm von Rot auf Grün, niemand folgt ihrem Geheiß. Vereinzelt schreckt ein einsames Hupen ein paar übriggebliebene Tauben auf, große Müllwagen leiden unter ihrer schweren Hydraulik und schleppen sich von Container zu Container. Aus Kanaldeckeln strömt zu dichtem Dampf gewordene warme Luft, an Ecken und in Seitenstraßen suchen Obdachlose in Mülleimern nach Essensresten und Zerstreuung. Trübes Putzwasser rinnt die Schaufenster der Designerboutiquen hinab und kräuselt sich wie Bierschaum in den Abflüssen auf den Straßen. Rollgitter von Luxusuhrenherstellern und Juwelieren werden unter rostigem Geheul langsam emporgezogen.

Wir frühstücken in einem Diner. Spiegeleier, Speck, Bratkartoffeln und Toast. Orangensaft und Kaffee, so viel man möchte. Der Vater verlässt kurz seine Deckung als Englisch-Verächter und studiert die New York Times.

Als wir das Diner verlassen, sind die Straßen nahezu überfüllt. Taxis hupen mehr, als dass sie vorwärtsfahren, eilige New Yorker holen sich im Stechschritt Kaffee und Gebäck auf die Hand, verzehren und verschlingen ihr Frühstück im Eiltempo, und die Stretchlimousinen schweigen vornehm im Stau.

Im Schatten der Hochhäuser gibt es kaum Licht, man sieht auch gar nicht, wie hoch die Häuser sind, weil der eigene Horizont einen daran hindert. Gelegentlich blicke ich nach oben, die Häuserschluchten hinauf, und suche ein Stück Himmel als Fluchtpunkt zwischen den Wolkenkratzern, und mir wird schwindelig.

In der Grand Central Station beobachten der Vater und ich eine Horde uniform gekleideter Asiaten in schwarzen Anzügen, mit Aktenkoffern aus unpoliertem Edelstahl in den Händen. Regungslos schweben sie die Rolltreppen zum MetLife Building hinauf, als sei es ein fliegender Ameisenhaufen. Das sei geil und widerlich zugleich, erklärt der Vater.

Es geht hinunter in die Katakomben des Bahnhofs. Die bogenartigen Konturen des gefliesten Gewölbes fassen die schimmernden Kappendecken ein, und es wirkt irgendwie so, als seien sie mit Lichterketten dekoriert.