Kochen im falschen Jahrhundert - Teresa Präauer - E-Book

Kochen im falschen Jahrhundert E-Book

Teresa Präauer

3,0

Beschreibung

Gastgeberin sein zu können heißt letztlich: erwachsen geworden zu sein. Der Roman eines Abends und einer Einladung zum Essen. Voll mit Rezepten für ein gelungenes Leben und einen misslingenden Abend, der immer wieder neu ansetzt, schlau, witzig, heiter, gleichzeitig begleitet von den unterschwelligen oder ganz offen artikulierten Aggressionen der Beteiligten. In ihren Gesprächen verhandeln sie die ganz großen und kleinen Themen, von den ›Foodporn‹-Bildern im Internet über Kochen, Einkaufen und Wohnen als soziale Praktiken. Zunehmend wird der Abend komischer, tragischer, erotischer – dabei werden einzelne ›heutige‹ Begriffe diskutiert, während die Gastgeberin keine besonders talentierte Gastgeberin ist und sich immer wieder ins falsche Jahrhundert versetzt fühlt. Nebenbei wird in Anekdoten eine Geschichte der Waren, Speisen und des Kochens erzählt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 153

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
3,0 (1 Bewertung)
0
0
1
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Teresa Präauer

Kochenim falschenJahrhundert

Roman

Inhalt

Umschlag

Kochen im falschen Jahrhundert

Impressum

Erinnerst du dich daran, wie du das erste Mal in deiner eigenen Wohnung, es war nicht mehr als ein Zimmer, etwas kochen wolltest und dir erst mittendrin aufgefallen ist, dass du noch Salz würdest kaufen müssen? Du besaßest nicht einmal einen Salzstreuer. Woran man nicht alles denken musste in einem Erwachsenenleben! Dein erstes Salz, wie würde es schmecken?

Wie sehr man am Anfang stand. Deine erste Tasse Kaffee, damals mit viel Zucker. Das erste Mal chinesisch essen mit Freunden. Deine Schwester schloss eine Wette ab, sie könne einen Teelöffel des roten Chilipulvers in den Mund stecken und auf einmal hinunterschlucken. Dein erster Freund, deine erste Capricciosa mit Artischocken, der Rotwein schmeckte euch beiden nicht. Ihr wart so jung, Coca-Cola wäre euch lieber gewesen.

Die erste Artischocke im Ganzen gekocht. In Rom, wo sonst? In einer kleinen Küche, die du dir mit fremden Menschen teilen musstest. Das Zusammenleben ist am Ende nicht mehr schön gewesen, aber anfangs eben doch.

Am Anfang war die Artischocke. Und eine Schüssel mit Salz, Pfeffer, Zitrone und Olivenöl vor dir auf dem Tisch. Blatt für Blatt zupftest du von der großen Knolle ab, von außen nach innen, bis du ans Innerste kamst, zum köstlichen Artischockenherz und dem Boden, von dem man das sogenannte Heu hätte entfernen müssen. Es kitzelte und stach beim Hineinbeißen. Diese süße Bitterkeit! Du hast dir danach das Öl und die Zitrone von den Fingern geschleckt.

Deine erste Auster? Spät, du warst da schon Mitte dreißig. Hast den anderen dabei zugesehen, wie sie die kalkige Muschelschale an die Lippen setzten und das lebendige, glibberige Ding in den Mund gleiten ließen mitsamt dem Schluck Salzwasser aus dem Pazifik. Du hast es einfach nachgemacht. Du hattest dich an nichts gewöhnt in deinem Leben und warst hungrig auf jeden neuen Geschmack. Die Luft war kalt, die Sonne soeben im Begriff unterzugehen, das Licht rosa und blau. So etwas kann man nicht planen, und es lässt sich auch nicht wiederholen. In der Gruppe war eine Flasche Sancerre geordert worden, ihr standet im Freien auf dem berühmten Pike Place Market in Seattle. Der Abend war schön, und alles das keine Selbstverständlichkeit.

Das erste Salz? Natürlich schmeckte es salzig, rief die Gastgeberin und lachte.

250 g Mehl

125 g Butter

1 Ei

Es begann wie einer jener Abende, an denen man Gäste zu sich nach Hause eingeladen hat. Das Backrohr war vorgeheizt, der Salat vorbereitet im Kühlschrank, noch ohne Öl und Essig, auf dem Tisch standen Schüsseln mit salzigen Keksen und Nüssen. Auf große schwere Teller waren kleine Schüsseln platziert, daneben gefaltete Servietten und das Besteck in der richtigen Reihenfolge, rechts das Messer, links die Gabel. Oder beides auf der rechten Seite? Die Gastgeberin legte den Kopf schief und überlegte. Benötigten sie Löffel? Sie eilte vom Esszimmer in die Küche. Spannung und Vorfreude lagen, ja, in der Luft. Von draußen drangen Stimmen ins Zimmer, junge Menschen gut gelaunt vor dem Ausgehen, Spaziergänger mit ihren Hunden, das Rollen eines Skateboards über den Asphalt, das Vorbeifahren der nahen Stadtbahn. Ansonsten war es still, wie es nur an Sommerabenden still sein konnte.

Es kamen ein befreundetes Paar, das mittlerweile ein Ehepaar war, und, mit akademischer Verspätung, ein Freund aus der Schweiz, der seit vielen Jahren hier in der Stadt lebte. Jeder hatte eine Flasche Wein als Geschenk in der Hand, man klopfte sich pflichtschuldig die Schuhe vor der Tür ab und fragte mit stummem Blick auf die nassen Sohlen nach dem Anbehalten derselben. Die Gastgeberin nickte, Großzügigkeit und Lässigkeit bestimmten ihr Verhalten für die Dauer des Abends. Alle sollten sich wohlfühlen. Ihr Partner hatte den Gästen die Jacken abgenommen und hängte sie auf Kleiderbügeln in die Garderobe. Die Gastgeberin lief, allen voran, barfuß ins Esszimmer.

Jazzmusik lief im Hintergrund. Auf Nachfrage erfuhr man, worum es sich handelte. Sechziger Jahre? Wayne Shorter oder John Coltrane? Man sprach von Platten, auch wenn man die Musik über einen digitalen Streamingdienst hörte, der die Titelauswahl automatisch übernommen hatte und immer ausgerechnet das spielte, was jeweils zur Stimmung passte. Die Playlist versammelte Jazz für Jazzliebhaber mit wenig Ahnung und viel Geschmack.

Vom Esszimmer aus ging es durch einen schmalen türlosen Durchgang in die Küche. Die Ehefrau, diese nun auch barfuß, tapste der Gastgeberin hinterher, der Ehemann hob entschuldigend die Arme und behielt seine Mokassins an. Teil des Outfits, sagte er lachend. Die Schuhe wirkten, wie alles an seiner Kleidung, ironisch gesetzt und dennoch elegant. Er hatte ein paar Mal im Leben über Mode nachgedacht, doch eine Leidenschaft war nicht daraus geworden.

Sie öffneten eine Flasche Crémant, prosteten einander zu, blieben in der Küche stehen und erzählten, was in den letzten Wochen, da sie sich nicht gesehen und gesprochen hatten, vorgefallen sei. Sowohl Angenehmes als auch Nebensächliches. Die freundliche Gastgeberin trug einen ärmellosen schwarzen Hosenanzug und ihre Haare hochgesteckt. Eine Baumwollschürze, grün-blau-gestreift, hatte sie im Nacken geknotet und um die Taille gebunden. Auf den schönen Abend, sagte der Ehemann zur Gastgeberin, wandte seinen Blick dann der Ehefrau und schließlich dem Partner der Gastgeberin zu, während man das Eintreffen des Schweizers erwartete, welcher nun auch schon im Treppenhaus stand. Alle vier wieder mit den Gläsern in der Hand der Reihe nach von der Küche durchs Esszimmer über den Flur zur Tür. Große Umarmung, drei Küsse, nicht zwei in der Schweiz.

Nun aber zurück in die Küche! Ein fünftes Glas musste aus dem Regal genommen werden. Ist das finnisch? Das Glas? Iittala, sagte die Gastgeberin. Prost, antworteten die Gäste. Schön, dass ihr da seid. Die Gastgeberin verschluckte sich während des Satzes, ihr Partner schlug ihr mit der flachen Hand auf den Rücken, um die Luftröhre freizumachen. Prost!

Die Gastgeberin hörte nicht nur Jazz gern, sondern auch Pop, Klassik und Neue Musik. John Cage, für die Dauer von vier Minuten dreiunddreißig einfach nur Stille verordnend. New Yorker Avantgarde aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, warum nicht? Echte Neugier gepaart mit hoher Toleranz hatte nicht zuletzt das Horoskop aus dem Internet der Gastgeberin für den Tag, die Woche und das Leben vorausgesagt. Fische würden außerdem zu Verletzlichkeit, zum Tagträumen und zu kritischem Denken neigen. An Sternzeichen wiederum glaubten Fische nicht.

Das Holzbrett, auf dem zuvor Gemüse geschnitten worden war, lehnte über dem Spülbecken, das große Küchenmesser stand zum Trocknen in einem Behälter aus Edelstahl. Die Ehefrau beteiligte sich nicht am Gespräch, sondern starrte zum Fenster hinaus. Im Haus gegenüber standen zwei Polizisten ebenfalls am Fenster und rauchten Zigaretten. Hatten sie der Ehefrau etwa zugewinkt? Als die aufmerksame Gastgeberin die Ehefrau wieder miteinbeziehen wollte, erschrak diese und wandte sich endlich der Gruppe zu. Nun seien alle wieder einmal versammelt! Die Ehefrau lachte und entschuldigte sich, nämlich für ihre mangelnde Aufmerksamkeit. Wie die Studentinnen, rief der Schweizer ausgelassen. Die Ehefrau sah ihn an und schüttelte den Kopf, war aber dennoch bereit, mitzulachen. Eine Studentin war sie schon lange nicht mehr.

Man unterhielt sich. Prost noch einmal, auf den schönen Abend, rief die Gastgeberin. Sie zeigte keine Scheu, Gesten und Sprüche zu wiederholen, solange sie dem gemeinschaftlichen Ritual dienten. Das Dave Brubeck Quartet spielte Take Five. Wollen wir uns setzen, fragte der Partner der Gastgeberin.

1 Zwiebel

1 Stange Porree

150 g Speck

War es wirklich so gewesen? Oder vielmehr so, dass das befreundete Paar, wieder einmal, zu spät gekommen war? Nicht nur die als höflich geltenden Minuten, sondern um mehr als eine halbe Stunde? Und dass hingegen der Schweizer Freund durchaus pünktlich eingetroffen war? Den Vergleich mit der Präzision eines Uhrwerks verkniffen sich die Gastgeberin und ihr Partner unter vier Augen nicht.

Als dem Gast geöffnet wurde, fragte dieser allerdings keineswegs nach Hausschuhen, sondern trat selbstbewusst ein, überreichte den Wein und steuerte direkt auf das Esszimmer zu. Er setzte sich und griff nach den Nüssen. Hungrig sei er, da er den ganzen Tag nichts anderes getan habe als Prüfungen abzunehmen. Das riecht schon gut, rief er, schob die Cracker auf seine Seite des Tisches und führte sie, einen nach dem anderen, rasch zum Mund.

Die Gastgeberin blieb im Raum stehen und öffnete eine Flasche Crémant. Aus dem Elsass, selbstverständlich. Sie warf einen prüfenden Blick, der dem Schweizer nicht entgehen sollte, auf das lavendelfarbene Etikett und füllte die Gläser. Danach setzte sie sich ebenfalls an den Tisch, strich ihre Schürze glatt und lockerte sie gleich darauf wieder. Sie stellte einen Fuß auf die Sitzfläche ihres Stuhls, legte den Kopf schief und hörte zu, wie sich ihr Partner und der Schweizer Freund, die sich noch nicht lange kannten, miteinander unterhielten. Die Gastgeberin saß da wie auf einem Gemälde, bewusst platziert, sitzende Frau mit hochgezogenem Knie, ganz falsches Jahrhundert. Schöner Ausblick, schwärmte der Schweizer. Die Gastgeberin senkte den Blick und sah auf die Schürze hinunter. Die Kombination aus elegantem Overall und praktischen Kochutensilien versprach einen sinnlichen Abend. Der Schweizer, der vom Gebäude gegenüber gesprochen hatte, musste lachen. Du auch!

Auf der anderen Straßenseite, vom Esszimmer aus gesehen, lag eine der sogenannten Landespolizeidirektionen, ein imposantes Bauwerk im Stil der Jahrhundertwende mit weiß lackierten Gitterstäben vor den Fenstern. Die Wohnung der Gastgeberin lag im obersten Stock eines jener Altbauten, wie man sie in den bürgerlichen Vierteln dieser Stadt zahlreich finden konnte. Ein schmaler französischer Balkon, der sich kaum benutzen ließ, zeigte auf die Gasse hinaus, ein zweiter kleiner Balkon lag, wenn man die Tür am Ende des Badezimmers öffnete, auf der gegenüberliegenden Seite der Wohnung mit Blick in den Innenhof. Ein Netz war dort etwa auf Höhe des Daches über den Hof gespannt, um die Tauben davon abzuhalten, sich niederzulassen.

Der Himmel war an diesem Abend beinah ohne Wolken. Noch war es draußen hell, langsam würde es dämmrig werden. Die Gastgeberin stand auf, um Kerzen aus der Küche zu holen und auf den Tisch zu stellen. Die Kerzenständer waren alte Fundstücke aus Messing und Silber. Sie zündete die Kerzen an und setzte sich. Das Wachs schmolz und tropfte auf den neuen dänischen Esstisch. Die Gastgeberin übte sich in Gelassenheit gegenüber den Wachstropfen, ließ sie fest werden und entfernte sie nicht. Ein Esstisch müsse schließlich vom Leben erzählen.

Alle drei prosteten einander überschwänglich zu und tranken den Crémant, während sie auf das sich verspätende Ehepaar warteten. Irgendwann hatten alle in diesem Freundeskreis begonnen, weder Champagner noch Sekt zu trinken, auch wenn es sich beim einen wie beim anderen um Schaumwein handelte, sondern immer nur Crémant. Der Wein, den man kaufte, war teurer als früher, als man die Preise an den Schildern im Supermarkt verglichen hatte, um ein paar Münzen zu sparen. Der Crémant dagegen wurde in großen Scheinen bezahlt oder bargeldlos.

Prost! Man erzählte einander nun, was in der letzten Zeit geschehen war. Es ging um Erledigungen vor dem Sommer und die angebliche Passivität der heutigen Studierenden, vor allem, führte der Schweizer im Detail aus, in Bezug auf das eigenständige Aufgeben eines gestelzten Durchdringens. Er musste husten, denn er hatte sich versprochen, und setzte neu an. Das eigenständige Durchdringen der gestelzten Aufgaben! Alle lachten. Sie sei damals als Studentin sehr eigenständig gewesen, sagte die Gastgeberin bestimmt. Der Schweizer lachte und hustete gleichzeitig. Die gestellten Aufgaben, rief er, jetzt hatte er es endlich über die Lippen gebracht. Schlag ihm mit der flachen Hand auf den Rücken, forderte die Gastgeberin ihren Partner auf. Dieser zögerte. Der Schweizer winkte ab.

Sie sei in ihrer Familie eine der ersten gewesen, die studiert haben, sagte die Gastgeberin. Eine kreative falsche Antwort, setzte der Schweizer seine Rede fort und ließ sich nicht unterbrechen, sei ihm lieber als dieses kritiklose Nachbeten des Stoffs. Kreativ, wiederholte die Gastgeberin, als hätte sie in eine rohe Zwiebel gebissen. Dies sollte kein Abend werden, an dem sie bloß zuhörte. Im Sinne von gestaltend, sagte ihr Partner in der Stimmlage eines höflichen Mediators. Mit eigenen Vorstellungen von der Welt, rief der Schweizer und hob dramatisch die Arme. Er sah dabei aus wie ein Klassenkämpfer. Gleich fielen seine Arme wieder herab und seine Finger suchten nach weiterem Salzgebäck.

Er trug ein dunkles T-Shirt, kurze Cargohosen und praktische Sandalen. Eine Haarlocke hatte sich soeben aus seiner Frisur gelöst und schwankte tollkühn auf der Höhe seines Kopfes. Eigene Vorstellungen von der Welt habe er sich als junger Mensch beim Lesen des internationalen Teils der bekannten Schweizer Tageszeitung gemacht. Diese Zeitung könne man aber ohnehin nicht mehr lesen aus den bekannten Gründen. Der Partner der Gastgeberin sagte, er lese ausschließlich den Guardian und die New York Times. Am liebsten die Kreuzworträtsel und die Rezepte für verbrannten Blumenkohl.

Es gibt keine Utopien mehr, rief der Schweizer etwas zu laut und zu verzweifelt und schnappte sich den letzten Cracker aus der ersten Schüssel. Es klang wie ein paar Mal zu oft gesagt. Er zeigte wenig Scheu, Gesten und Sprüche zu wiederholen, solange sie der Bestätigung seiner Ansichten dienten. Miles Davis spielte So What. Ein weiteres Glas Crémant würde die Ermunterung zu weiterem Monologisieren bedeuten. Die Gastgeberin wollte kein Ausblick sein. Wann kämen bloß die restlichen Gäste?

Wo der Schweizer Freund denn den verdienten Sommerurlaub verbringen würde, versuchte der Partner der Gastgeberin das Thema zu wechseln und das Gespräch in eine weniger kulturpessimistische Richtung zu lenken. Und ob es schon Pläne für den Herbst gebe? Nichts als Prüfungen, sagte der Schweizer und fuhr fort, über das kommende Studienjahr zu lamentieren, ein Studienjahr ohne Utopien.

Bei ihren Eltern habe es keinen Brockhaus im Regal gegeben, setzte erneut die Gastgeberin an. Wohl aber hätten diese mit dem Aufkommen des Internets und der darauf folgenden Einstellung des Vertriebs der gedruckten Enzyklopädie eine unvollständige Ausgabe desselben antiquarisch erworben. Der Partner der Gastgeberin lachte nun etwas zu laut, gemessen daran, dass die Gastgeberin keinen Witz erzählt hatte.

4 cl Campari

4 cl Vermouth Rosso

Man war mittlerweile heiter. Zwei Schüsseln Nüsse und Cracker waren aufgegessen, der Salat war im Kühlschrank geblieben. Den könne man jetzt aus der Tupperware nehmen und in die große Keramikschüssel geben, sagte die Gastgeberin.

Die Tupperware passte nicht zur Lässigkeit, die die neuen Kochbücher in ihren Bildern propagierten. Man trug beim Kochen verwaschene Leinenhemden, weite Jeans und Turbane aus bunten Tüchern, man ließ sich vor Quitten, Zitronen und Auberginen porträtieren, vor dicken Büscheln an Kräutern. Die gesamte Vorbereitung bestand niemals darin, dass man schwitzend mit vollem Einkaufswagen an der Supermarktkasse stand, vielmehr nahm man sich Zeit und ging auf den Markt oder den Basar. Dort kannte man die Händler beim Namen und testete ihre Produkte mit den Händen. Man verkostete eingelegte Oliven, getrocknete Maulbeeren und korsischen Käse.

Brauchst du Hilfe, fragte der Schweizer. Es klang nicht so, als würde er die Hilfe auch wirklich leisten wollen. Bleibt sitzen! Die Vinaigrette aus Senf, Olivenöl und Essig war bereits angerührt. Das vorgeheizte Backrohr hatte die Gastgeberin wieder etwas abkühlen lassen bei geschlossener Ofentür. Eine Quiche könne warten, das sei das Praktische daran. Ein klassisches Schweizer Gericht, rief der Schweizer Freund aus dem Esszimmer in Richtung Küche, gefolgt von einem kräftigen Einatmen seinerseits, das dem Geruch von gebackener Quiche gelten sollte, während diese bedauerlicherweise noch ungebacken war.

Der Schweizer hatte es sich bequem gemacht. Unter dem Esstisch hatte er sich nun doch seiner Schuhe entledigt, kurze Söckchen mit der Aufschrift Sport waren zum Vorschein gekommen. Ihr raucht ja nicht mehr, sagte er und blieb sitzen. Vom Korrigieren der Abschlussarbeiten vor dem Sommer waren sie übergangslos zum Modern Jazz Quartet gekommen. Es lief die Air von Bach, und man hatte sich warmgeredet. Ein paar Mal war wieder das Wort Platte gefallen in Verbindung mit verschiedenen Jahreszahlen und der unvermeidlichen Nennung des Namens des Komponisten. Bach, hatte die Gastgeberin auszurufen sich hinreißen lassen. Bach! Bach hatte noch Utopien, hatte der Schweizer deklamiert. Der glaubte aber auch noch an Gott, hatte der Partner der Gastgeberin erwidert.

Dann wieder hatten sie über das Ausgehen gesprochen, das man nicht mehr so betreibe wie früher, als man jünger gewesen. Es mache nur Spaß, wenn man single wäre, hatte der Schweizer behauptet. Wo sind eigentlich die Frauen im Jazz, hatte die Gastgeberin daraufhin gefragt. Im Gegenteil, hatte der Partner der Gastgeberin dem Schweizer widersprochen, häufiger gehe man heute aus, nämlich in die besseren Bars, wo es die besseren Drinks gebe und Live-Jazz. Der Partner der Gastgeberin begann von Mixgetränken zu schwärmen und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Der Cuba Libre in dieser American Bar in der Innenstadt, rief er. In seinen Ausführungen machte er, wie so oft, einen lebensbejahenden und großzügigen Eindruck. Seine Eltern hatten sehr wohl den Brockhaus zu Hause im Regal stehen gehabt, aber bis zum Schlagwort des Appetenz-Aversions-Konflikts war er beim Lesen nie gekommen. Das Leben hatte es gut mit ihm gemeint, und auch er meinte es gut mit dem Leben, das musste schließlich auf Gegenseitigkeit beruhen. Er konnte sich gleichzeitig für ein freies Kuba wie für den AmericanWay of Life begeistern.

Der Schweizer drehte während des ganzen Gesprächs in seiner Hand die gelbe Zigarettenpackung der Marke Parisienne. Auf Deutsch, Französisch und Italienisch stand darauf als Warnung geschrieben, dass Rauchen tödlich sei. Hier klappte die innereuropäische Verständigung. Der linke Oberschenkel des Partners der Gastgeberin hüpfte mit den Liedern im Takt auf und ab. Er hatte sein Smartphone aus der Hosentasche gezogen und nach einer Liste von Jazzmusikerinnen im Internet gesucht. Sarah Vaughan, Ella Fitzgerald, Billie Holiday. Die Liste war zu lang, als dass man alle Namen hätte nennen können, und diese waren nur die bekanntesten. Aber alle schon tot, morte, perdues, rief der Schweizer. Suche Jazzmusikerinnen, weiblich, einundzwanzigstes Jahrhundert, forderte die Gastgeberin ihren Partner auf, der die neuen Suchbegriffe in sein Smartphone tippte. Seit ein paar Jahren war die Gastgeberin mit ihrem Partner zusammen, der wiederum mit seinem Smartphone zusammen war. Der Schweizer hatte eine Freundin, konnte aber auch gut alleine sein. Er könne Mixgetränke überhaupt nicht leiden, wiederholte dieser, den Crémant aus dem Elsass würdigend, und hob sein Glas. Santé!

Als die verspäteten Gäste endlich an der Tür läuteten, hatten die Wartenden zu dritt die erste Flasche Crémant ausgetrunken. Die Gastgeberin erhob sich, der Partner der Gastgeberin und sein Smartphone folgten ihr, der Schweizer hinterher. Dem Ehepaar wurde die Tür geöffnet.

Da seid ihr ja!

4 cl Rum

4 cl Sodawasser

3 Teelöffel weißer Zucker

1 Limette

Minzblätter

Eiswürfel