KomaSee - Oliver Maria Schmitt - E-Book

KomaSee E-Book

Oliver Maria Schmitt

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Beschreibung

Elena Barone, berühmte Paparazza, will es allen noch mal zeigen. Sie will ein Foto von George Clooney schießen – DAS unglaubliche, tolle, irre, skandalöse Bild von Clooney schlechthin: der Star privat, in seiner Villa am Comer See – und mit seiner geheimnisvollen Affäre, über die man tuschelt! Also fährt Elena an den Lago di Como, quartiert sich ein, späht und spioniert, um an Clooney ranzukommen. Das ist schwieriger als gedacht. Elena versucht alles, und mehrere merkwürdige Männer sollen, wollen ihr helfen, bald auch ihre glamouröse Mamma aus Mailand beziehungsweise Titisee. Kein Wunder, dass es rund um den See wilder zugeht als in den Hollywood Hills. Wird Elena in Clooneys Villa gelangen und das Foto bekommen, mit dem sie für immer ausgesorgt hat? Ein sehr komischer Roman über die ewige Jagd nach Geld und Ruhm und über das Wesen von Männern und Frauen – mit entsprechenden amourösen Spannungen. Alles vor traumhafter südalpiner Kulisse, und mittendrin ein wirklicher Star, George Clooney, natürlich vollkommen unerreichbar – oder vielleicht doch nicht?

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Seitenzahl: 366

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Oliver Maria Schmitt

KomaSee

Roman

 

 

 

Über dieses Buch

Elena Barone, berühmte Paparazza, will es allen noch mal zeigen. Sie will ein Foto von George Clooney schießen – DAS unglaubliche, tolle, irre, skandalöse Bild von Clooney schlechthin: der Star privat, in seiner Villa am Comer See – und mit seiner geheimnisvollen Affäre, über die man tuschelt! Also fährt Elena an den Lago di Como, quartiert sich ein, späht und spioniert, um an Clooney ranzukommen. Das ist schwieriger als gedacht. Elena versucht alles, und mehrere merkwürdige Männer sollen, wollen ihr helfen, bald auch ihre glamouröse Mamma aus Mailand beziehungsweise Titisee. Kein Wunder, dass es rund um den See wilder zugeht als in den Hollywood Hills. Wird Elena in Clooneys Villa gelangen und das Foto bekommen, mit dem sie für immer ausgesorgt hat?

 

 

Ein sehr komischer Roman über die ewige Jagd nach Geld und Ruhm und über das Wesen von Männern und Frauen – mit entsprechenden amourösen Spannungen. Alles vor traumhafter südalpiner Kulisse, und mittendrin ein wirklicher Star, George Clooney, natürlich vollkommen unerreichbar – oder vielleicht doch nicht?

Vita

Oliver Maria Schmitt, Jahrgang 1966, ist Autor und Journalist. Er hat Romane («Anarchoshnitzel schrieen sie», «Der beste Roman aller Zeiten») und Reportagen («Ich bin dann mal Ertugrul») veröffentlicht sowie die erfolgreichen «Titanic»-Bände wie etwa «Das Erstbeste aus 30 Jahren» oder «Das totale Promi-Massaker» mit herausgegeben. Er schreibt für die «Zeit» und die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», vor allem Reiseberichte. Für seine Reportagen wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Henri-Nannen-Preis. Oliver Maria Schmitt lebt am Comer See und in Frankfurt am Main.

 

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juni 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt · Berlin Verlag GmbH, Berlin

Covergestaltung Anzinger und Rasp, München

Coverabbildung und Illustration bei Kapitelanfängen Adobe Stock

ISBN 978-3-644-02133-4

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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Für Silke

«Man möchte hier leben und hier sterben.»

Gustave Flaubert

Ein großer, gleißend hell orangerotgelber Feuerball blitzt auf, und die Nacht wird Tag. Für einen endlos langen Augenblick. Ein zweiter großer, gleißend hell orangerotgelber Feuerball flackert auf im schwarzen Spiegel des Sees. Eine Druckwelle rast übers Wasser, in ihrem Schlepp: der Knall. Wer genau hinschaut, kann im Moment des Verglimmens die zerfetzten Reste eines Bootes ausmachen: ein paar Planken, ein Ruder, ein Rettungsring, die wirbeln durch die Luft. Noch rast das Echo der Explosion zwischen den Bergwänden hin und her. Schwächer werdend, ganz allmählich. Schließlich erbarmt sich der Lago und nimmt die traurigen Überreste des Nachens in sich auf. Dann ist da nur noch der See.

Da ruht er wieder.

Still und starr, unendlich und schwarz.

1. Nass wie Onassis

Sie war eine Fotografin, die allein in einem mittelprächtigen Boot auf dem mittleren der norditalienischen Seen dümpelte, und sie war jetzt einundzwanzig Tage und Nächte hinausgefahren und ohne Beute zurückgekehrt. Die ersten Male hatte sie ein Mädchen bei sich gehabt, als Assistentin. Aber nach der ersten ergebnislosen Woche hatte Nonna Renata, die Großmutter des Mädchens, entschieden, dass die Frau aus Deutschland, die eine halbe Italienerin war, ja wohl ganz schön matto sei. Was in Italien nur von Menschen gesagt wird, die schon ziemlich deutlich das sind, was man woanders verpeilt oder bekloppt oder vielleicht sogar cringy nennt. Mittlerweile half das Mädchen namens Riva in Peppas Kaffeebar in Molina Lario aus, von wo aus sie manchmal das Boot der deutschen Frau beim An- oder Ablegen beobachten konnte.

Es machte Riva traurig, wenn sie diese Frau sah, tief unter einer Kapuze versteckt, wie sie langsam in den Hafen getuckert kam. Mit hängenden Schultern und müden Augen. In diesem kleinen Boot. Dann ging sie hinunter, um ihr beim Festmachen der Leinen zu helfen oder beim Aushieven des schweren Fotorucksacks. Der war zwar wasserdicht, aber auch zäh und faltig, wie alte Säcke nun mal sind.

Die Frau war drahtig und braun gebrannt. Ihr schulterlanges brünettes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Feine Furchen an Fingern und Händen verrieten, dass sie zupacken konnte, und was sie einmal anpackte, das hielt sie ruhig und fest: ob das nun ein nasses Tau war, die Steuerpinne eines Außenborders, das Lenkrad eines alten Mercedes oder das Handgelenk eines alten Mannes, der glaubte, sich etwas herausnehmen zu können, nur weil sie ihn mal angeschaut hatte. Sie schaute Menschen meist ziemlich genau an, eine Berufskrankheit. Und wen sie mal gesehen hatte, den vergaß sie nicht. Vielleicht war sie deshalb Fotografin geworden und hatte sich auf die Gesichter von Menschen spezialisiert. Von Menschen, deren Gesichter viele andere Menschen kannten. Ihre Augen blickten jung und schnell wie eh und je, flink und unbestechlich. In dieser Sommernacht aber auch einigermaßen müde.

 

Schwarzblau hing die Finsternis über dem Comer See. Die schwüle Hitze, die tagsüber geherrscht hatte, begann zu weichen. Luzides Leuchten, die Wasseroberfläche ein einziger glatter und glitzernder Spiegel. Glitzern nah und Glänzen fern, Mondschein sanft im See sich spiegelnd. Wasser und Himmel dehnten sich in tiefem Schweigen. Am Tage protzte und prunkte dieser immer leicht überkandidelte Alpensee schon sehr mit seiner aufdringlichen Grandezza, immer wirkte er ein bisschen wie zu stark geschminkt. Nächtens jedoch, wenn die kühle Luft schwarz von den umgebenden Bergen floss, sich das beleuchtete Band der Häuser, Villen, Dörfchen und Straßenlaternen wie eine Perlenkette um die Uferlinie legte, dann servierte der Lago seine Melancholie so majestätisch, dass Mann und auch Frau nach einem Rotweinschlückchen zu viel fast schon ins Schluchzen kommen mochten.

Vielleicht schluchzten sie aber auch nur deswegen, dachte sie, weil sich da vorne am Ufer absolut rein gar nichts tat.

Niente.

Stunden schon saß die Fotografin in ihrem Boot und starrte durch das Teleobjektiv auf die Fenster der weißen Villa, die vor ihr am Ufer thronte. Über ihr, auf Höhe der Strada Regina, fächerten nur noch gelegentlich weiße Lichtkegel durch die Nacht, wenn ein Auto in Richtung Cernobbio fuhr. Dort setzten die Laternen der Seepromenade ein unübersehbares Leuchtzeichen. In der entgegengesetzten Richtung war Argegno nur noch als verlöschendes Glutflackern zu erkennen. Irgendwo in der Ferne der Schwarzwasserfläche blinkte was, rot und grün. Die Bojen der Fischernetze, die nachts im Wasser trieben und im Morgengrauen eingeholt wurden.

Im Haus direkt vor ihr tat sich: noch immer nichts.

Die Fenster blieben dunkel wie die Augenhöhlen eines Totenschädels. Zwar brannte das kleine Licht über der Eingangstür, doch das tat es immer. Tag und Nacht. Ein verlorenes Positionslicht, nur gelegentlich umschwirrt von einer einsamen Fledermaus. Merkwürdig genug, da doch der Besitzer des Hauses nicht den geringsten Wert auf gute Sichtbarkeit legte. Jedenfalls nicht im Privatleben.

Das schöne alte Sportboot, das normalerweise am Anleger vor der Villa festgemacht war, fehlte. Ohne Spur. Irgendwann würde es wieder anlegen müssen. Nur deswegen lag sie ja hier noch auf der Lauer. Am Nachmittag oder am frühen Abend muss jemand damit losgefahren sein. Zu einer Party? Einem Empfang? Ausflug mit Abendessen? Mit dem Boot erreichte man jeden Punkt des Comer Sees schneller als mit dem Auto. Die ständig verstopften Uferstraßen umgaben den Lago wie ein verkalktes Herzkranzsystem. Der letale Infarkt war nicht der drohende Notfall, er war die tägliche Regel.

Mittlerweile war die gemeine Dinierzeit längst überschritten, das Handy zeigte eine Uhrzeit weit nach Mitternacht, bald schon früher Morgen. Dazu einen verpassten Anruf ihrer Mutter. Das war nichts Neues, diese Anrufe verpasste sie immer. Sie hasste es, mit ihrer Mutter zu telefonieren.

Irritiert nahm sie zur Kenntnis, dass auch Lenny angerufen hatte, der Boss ihrer Agentur. Er hatte keine Nachricht hinterlassen. Mit ihm war sie kommende Woche in Mailand verabredet. Was wollte der denn jetzt? Absagen? Wäre eigentlich schön, dachte sie. Da war er wieder, sein perfider Kommunikationsterror. Noch schlimmer als ihre Mutter fand sie nur diejenigen Anrufer, die keine Nachricht hinterließen. Lenny indes hasste sie nicht, jedenfalls nicht direkt. Nur seine Art. Eine Gefühlsgemengelage zwischen nostalgischer Belustigung und Verachtung, wenn sie an ihn und die gemeinsame Zeit in New York dachte. Mitte der Neunziger, als sie die Celebritys reihenweise abschoss, wie sie gerade kamen. Als der Lift nur nach oben fuhr und sie fest eingecheckt hatte in der Hot-Shot-Etage. Als sie ihre Verträge selbst aussuchte und die dazugehörigen Partner gleich mit. Als sie hungrig war, gierig und nur selten zufrieden. Eigentlich nie. Fast immer wäre ein noch besserer Schuss möglich gewesen, besseres Licht, weniger Distanz, mehr Emotion. Doch manchmal reichte die Zehntelsekunde eben nicht aus, in der alles zu geschehen hatte. Es gab nur einen ersten Schuss, und der war fast immer auch der letzte. Das waren die Regeln ihres Handwerks.

Nun hatte Lenny also angerufen, um ihr nichts mitzuteilen. Am allerschlimmsten, also noch schlimmer als ihre Mutter und Anrufer, die keine Nachricht hinterließen, fand sie nur noch Menschen, die kurz auf die Mailbox quakten und um Rückruf baten – ohne den Grund ihres Anrufs zu nennen. Auf solche Nullbotschaften reagierte sie nie.

Außer vielleicht, wenn George Clooney angerufen hätte. Hat er aber nicht und hätte er auch gar nicht können – woher sollte er ihre Nummer haben? Er hatte nichts von ihr und sie hatte nichts von ihm. Immer noch nicht. Nicht mal den Hauch einer Ahnung, wo er steckte. Selbst wenn er sich irgendwo auf einer dieser bescheuerten Partys herumtrieb, mag sein in Como, in Bellagio oder Nochanderswo, dann müsste diese Party wirklich überaus verdammt megaschweinös, ja schon mykonoshaft aus dem Ruder gelaufen sein, doch das hielt sie für äußerst unwahrscheinlich. «Am Comer See gibt es kein Nachtleben», hatte Faustino gesagt, und der schien zu wissen, wovon er sprach.

Die Fotografin ärgerte sich darüber, dass sie das Boot wohl am Nachmittag oder am frühen Abend mal kurz aus dem Fokus verloren und den Moment des Ablegens und Losfahrens verpasst hatte. Aber sie konnte ja wirklich nicht ununterbrochen von ihrer Wohnung aus auf die Villa und das alte Sportboot starren. Abermals ärgerte sie sich auch, dass sie diesen bescheuerten Auftrag überhaupt angenommen hatte. Doch das Angebot, das ihr dieser merkwürdige Mister auf Mykonos unterbreitet hatte, war nicht nur völlig bescheuert, sondern auch auf so unverschämt gute Weise bezahlt, dass sie es keinesfalls hätte ausschlagen können. Also hatte sie die Vorschusszahlung nicht nur bereitwillig angenommen, sondern inzwischen auch fast schon wieder komplett ausgegeben. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

 

Sie blickte hinauf in die Schwärze des Himmels. Erste Anzeichen des Morgens, es bläute hinter den Bergen. Ferne funkelten Positionslichter. Kamen sie auf sie zu? Gesehen werden konnte sie aber nicht, denn sie hatten ihre eigenen Lichter gelöscht, verbotenerweise. So machte sie eben einen auf nächtliche Fischerin. Weil das Dümpeln nahe der Villa für Privatboote nicht erlaubt war, saß sie stumm unter einem Cape auf ihrem Nachen, hielt zwei Angelruten aufgepflanzt und tat unverdrossen so, als ob. Ihr Boot war ein Batell, das alte, traditionelle Boot der Fischer des Comer Sees: länglich, tief liegend, in der Mitte drei große, hohe Bögen, wie auf einem Planwagen. Nur waren sie nicht mit Stoff überzogen, sondern ragten wie drei große Bogenantennen in den Himmel. In der Nacht reichte das, niemand würde Verdacht schöpfen. Sie musste an Ron Galella denken, den legendären amerikanischen Paparazzo. Hatte der sich nicht auch mal als griechischer Fischer verkleidet? Hatte er – und sich so an die Jacht von Onassis rangeschippert, um Jackie Kennedy im Bikini abzuschießen. Ein Sensationsfoto.

Deutlich nun setzte Dämmerung ein. Bald würde sie mit ihrem ollen Holzkahn von Land und vom Wasser aus gut zu sehen sein. Höchste Zeit, die nicht vorhandenen Segel zu streichen, den Motor anzuwerfen und dann wohl auch diese weitere Expeditionsnacht als erfolglos zu verbuchen. Ablage unter N wie Niente. Sie trennte das Teleobjektiv vom Gehäuse der Kamera, verstaute alles im Rucksack, nahm einen Schluck aus der Weinflasche, startete den Außenborder, wendete das Boot und nahm Kurs retour. Auf die kleine Hafenmole von Molina Lario.

Nebelfetzen trieben über den See. Im Tal hing feucht die Morgenluft. Hier auf dem Wasser war sie noch angenehm kühl. Doch im Laufe des Tages würde sich alles wieder zu jenem tropischen Brodem aufheizen, der den norditalienischen Sommer der letzten Tage zu einer einzigen mikroklimatischen Zumutung, zu einer unentrinnbaren Hitzehölle gemacht hatte. Fast sehnte sie sich zurück nach Mykonos. Aber nur ein ganz klein wenig.

 

Schüchtern erhob sich der Tag, bleicher Schimmer umschlich die Zacken der Alpen. Berghänge lösten sich aus dem planen Schwarz, plusterten sich auf, gewannen Kontur und Masse und schossen sturheil himmelwärts. Bläue blitzte. Richtung Bellagio glühten die ersten Alpengipfel auf.

Die Luft war so frisch, dass die Fotografin fast meinte, kalte Füße zu bekommen. Ganz angenehm eigentlich.

Moment mal.

Nein, das war überhaupt nicht angenehm. Ihre Füße waren – nass! Triefend nass. Sie stand im Wasser, es gluckerte schon über die Bodenbretter. Sie stoppte den Motor. Mit einem kurzen, spitzen Schrei des Entsetzens zog sie den Kamerarucksack hoch. Wasser tropfte, alles war schon klatschnass. Wo kam dieses verdammte Wasser auf einmal her?

Mit ihrer Taschenlampe suchte sie das Boot nach etwas zum Schöpfen ab. Da war nur ihr Rucksack, der jetzt auf der Sitzbank lag, hier schwamm ihr durchgeweichtes Zigarettenpäckchen, dort ein Rettungsring, dazwischen ein paar Meter Tau. Sonst nichts. Kein Paddel, keine Schale, mit der man das Wasser hätte über Bord schütten können. Die Weinflasche? Würde zu lange dauern, bis sie volllief. Die Brühe stand schon knöchelhoch. Sie blickte über den See und fühlte auf einmal, wie allein sie jetzt war.

Jetzt besser schleunigst zurück. Sie startete den Motor. Versuchte es jedenfalls. Doch der Motor sprang nicht an. Keinen Mucks tat das Scheißding, sosehr sie auch den Startknopf drückte.

Katastrophe.

Immer wieder und wieder und wieder hämmerte sie auf den verdammten roten Knopf ein. Nichts tat sich, absolut nichts. Wie sollte sie nur von hier wegkommen?

Das Wasser im Boot stieg höher. Immer höher. Sie war keine ausgewiesene Nautikerin, musste sie auch nicht sein, um zu wissen, dass es nur eine Frage sehr überschaubarer Zeit sein konnte, bis der Nachen keinen Auftrieb mehr haben und sich allmählich abwärts bewegen, ja schließlich sinken würde. Was tun?

Klamotten ablegen und rüber zur Villa schwimmen?

Es waren wohl nicht mal hundert Meter. Doch warteten da ganz sicher Bewegungsmelder und Alarmanlagen, die sie feierlich beim Landgang begrüßen würden. Und den Vormittag unter den genüsslichen Blicken geiler Carabinieri auf irgendeiner verranzten Dorfwache zu verbringen, war wenig verlockend. Außerdem wäre dann die Fotoausrüstung perdu. Kam also nicht infrage.

Vielleicht würde sie es sogar schaffen, auf die gegenüberliegende Seite zu schwimmen, von der sie gekommen war? Hier war der See gar nicht so breit, nur etwas mehr als einen Kilometer, das müsste sogar sie als leidlich trainierte Gelegenheitsschwimmerin meistern können. Dann aber Dario und Domaso völlig durchweicht und ohne Boot gegenüberzutreten, diesen Triumph wollte sie den beiden trüben Brüdern wirklich nicht gönnen. Absaufen war einfach keine Option.

Sie nahm die Weinflasche, löste den Schraubverschluss und nahm den letzten Schluck. Lugana. Vom Gardasee. Was hatte der hier eigentlich verloren?

Egal, in Gefahr und größter Not schützt das Feuer vor dem Tod, dachte die nun doch überzeugte Liebernichtschwimmerin, zog die Schnur aus der Kapuze ihres Hoodies, öffnete den Tankstutzen des Außenborders, ließ die Kordel in den Benzintank fallen, zog sie wieder raus und wickelte sie um den oberen Teil des Flaschenbauches. Nahm ein Feuerzeug, zündete den Benzinfaden an, ließ ihn kurz abbrennen und hielt die Flasche dann ins wacker steigende Wasser im Bootsrumpf.

Knack!

– machte der Flaschenhals und sprang ab. Besser Wein getrunken wie erworben als im Comer See gestorben.

Beherzt schöpfte sie mit der offenen Flasche, schapf, schapf, schapf, das Wasser zurück ins Wasser, in den See. Keine fünf Minuten später waren die Bodenbretter wieder an der Luft. Im Schein der Handylampe waren kleine Wirbel über der Ablassschraube im Rumpf zu erkennen. Dort also drang die Brühe ein. Bewegen oder gar festziehen konnte sie die Schraube nicht.

Es dauerte dann auch keine weitere Minute, bis ihr klar wurde, dass sie, wohl aus Versehen und im Eifer des Wasserbekämpfungsgefechts, vorhin den Not-Ausschalter betätigt hatte. So konnte der Motor auch wirklich nicht anspringen. Nun aber tat er es mit gleichmütigem Getucker, und die Fotografin drehte den Gasgriff bis zum Anschlag. Bis aus dem Morgendunst endlich die blinkenden Bojen des kleinen Hafens von Molina Lario auftauchten. Keine Sprache, dachte sie, keine Sprache, keine Sprache treibt mich um auf dem Pfad der Dämmerung.

Die Fenster der Werft- und Bürohalle der Gandola Cantieri S.R.L. waren noch dunkel. Ist auch gut so, dachte sie, so konnte sie in aller Ruhe und ungestört das olle Boot fest- und sich selbst davonmachen. Gekonnt, weil oft geübt, bremste sie mit Gegenschub, schwappte an die Mole, schlang das Tau um den Poller und wuchtete den schweren Rucksack auf den Anleger.

 

Schrecklich schrill kreischend, krass kratzend und auch quietschend öffnete sich das große Schiebetor der Werfthalle. Erst nur einen Spaltbreit. Und nicht weiter.

Hing.

Hing fest, das Ding.

Dann rasselte es noch mal ganz fürchterlich, der schmale Torspalt weitete sich, und ein schlanker, hochgewachsener Mann trat aus dem Dunkel hervor. Trotz des noch matten, fast undurchsichtigen Morgens trug er bereits eine zentnerschwere Sonnenbrille im Gesicht, auf dem Kopf einen Herrendutt spazieren und dazu eine schwere Goldkette überm ärmellosen Basketballshirt.

Er breitete beide Arme ellenlang aus: «Elena! Che bella! Was für eine fantastisch große Freude, dich zu sehen!»

«Glaub ich dir nicht, Dario.»

«Aber wenn ich’s doch sage! Benvenuto Signora Capitano, an diesem herrlichen Morgen!»

«Ob du’s glaubst oder nicht, Dario – heute bin sogar ich froh, dich zu sehen.» Sie baute sich vor ihm auf. «Euer scheiß Äppelkahn ist undicht, da rauscht das Wasser rein wie ins Klobecken. Ich wäre fast abgesoffen! Das ist kriminell, eure Kunden mit so was loszuschicken. Schau lieber gleich nach, sonst ist das Ding weg.»

«Ah, ecco, wahrscheinlich die Ablassschraube. Ich schätze mal, Domaso hat sie nicht richtig festgezogen, das sieht ihm ähnlich. Tut mir wirklich leid, kann manchmal vorkommen.»

«Aber nicht mehr oft, sonst müsst ihr umsatteln. Vom Bootsverleih auf Seebestattungen.»

«Sehr lustig, Elena, ich lache.»

Was Dario jedoch nicht tat, dafür verschärfte er seinen Ansageton.

«Elena, dimmi: Hast du ihn erwischt?»

«Fehlanzeige. War alles dunkel, die ganze Nacht.»

«Ich glaube, du solltest vielleicht besser nicht mehr rausfahren.» Er schaute über seine Sonnenbrille hinweg. «Hör mal, Elena: Das bringt doch nichts. Warum machst du es dir nicht einfach in Como gemütlich? Dort sind die berühmten Leute. Oder in Milano, la bella moda!»

«Lass das mal meine Sorge sein, wo ich knipse.»

«Va bene. Und was ist damit?» Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. «Wir müssen auch von was leben. Heute ist schon der Zehnte, und du hast noch nicht mal die Bootsmiete für den Juli bezahlt. Glaubst du, die Boote pflegen sich von selbst? Und das Benzin füllt sich von selbst nach?»

«Aber nein, das füllt doch Domaso nach. Bevor er dann dafür sorgt, dass die Ablassschraube auch wirklich undicht ist.»

«Lass meinen Bruder aus dem Spiel, der hat’s schwer genug.»

«Weil er dich hat?»

Dario wollte gerade ansetzen, ein weiteres Mal die buchhalterischen Zusammenhänge von Einnahmen und Ausgaben zu beleuchten, als aus dem Inneren der Halle ein gewaltiges Krachen zu hören war. Gefolgt von einem grell metallischen Scheppern. Darios Miene bewölkte sich immer mehr.

«Allora, Elena, schau: Du bist uns jetzt drei Wochen Bootsmiete schuldig. Und in der Zeit, in der du das Boot hast, kann ich keine anderen Geschäfte damit machen.»

«Ihr habt doch viele andere Boote.»

«Das sind aber keine Batells. Manchmal brauche ich genau das alte Batell.»

«Willst du etwa fischen gehen? Dann gib halt mir ein anderes Boot.»

«Si, si, chiaro. Ich gebe dir eins unserer ganz neuen, modernen Ausflugsboote mit Sonnensegel, GPS und Bose-Soundsystem – und dafür bekomme ich von dir dann kein Geld. Hört sich nach einem guten Geschäft an.»

«Nach einem guten Geschäft an», echote plötzlich eine zweite männliche Stimme, deren Inhaber nun im offenen Spalt des Hallentors sichtbar wurde: ein zweiter Dario. Er trug ebenfalls eine goldblitzende Sonnenbrille, die unter seiner formvollendet aufgeföhnten Vokuhilafrisur beinah medaillenhaft, fast wie eine Auszeichnung wirkte.

«Verpiss dich, Domaso», sagte Dario. «Ich habe was mit Elena zu bereden.»

«Mit Elena zu bereden, hihihi.»

«Ich hab dir schon hundertmal gesagt, du sollst dich nicht einmischen, wenn ich im Kundengespräch bin.» Dario wurde deutlich ungehalten.

«Im Kundengespräch.»

«Und hör auf, mir alles nachzuplappern», zischte Dario und hob zur Bekräftigung des Gesagten kurz die Sonnenbrille an. «Sonst fängst du gleich eine.»

«Gleich eine», repetierte Domaso papageienhaft und ging augenblicklich zu Boden. Er hatte sich von Dario einen sauberen Ellenbogen eingefangen.

«Mann, spinnst du? Ich bin doch dein Bruder!», heulte er.

«Das ist ja das Schlimme», sagte Dario, half seinem Geschwisterteil erst auf und machte dann Anstalten, ihn wieder zu schubsen.

«Lass mich, Dario.»

«Geh runter zum Batell und schau nach der Ablassschraube. Die ist undicht.»

«Die ist undicht.»

«Ja, wie du.»

«Wie du.»

«Elena wäre fast abgesoffen. Scher dich an deine Arbeit, du Blödmann.»

«Du Blödmann.»

«Ich sag’s dir zum letzten Mal, Domaso!»

«Zum letzten Mal, hihihi.»

Bald waren beide Brüder schubsend und schimpfend in Richtung Anleger verschwunden. Elena ging durch die Halle, klaute sich aus Domasos Packung, die auf der Werkbank lag, eine Zigarette, entfachte sie und verließ hastig das Gelände der Gandola Cantieri S.R.L., Bootswerft und Verleih in vierter Generation.

 

Stufe um Stufe um Stufe um Stufe um Stufe um Stufe um Stufe erklomm Elena die steile Steintreppe, die nach oben in den alten Ortskern von Molina Lario führte. Vorbei am Brunnen, der niemals Wasser führte, vorbei an der Kirche der Mutter der allerheiligsten Dreifaltigkeit, die den Einfältigen zum letzten Mal vor über vierhundert Jahren erschienen war, und vorbei am Alimentari, in dem die gute Milch aus dem Veltliner Tal langsam, aber sicher ihrem Mindesthaltbarkeitsdatum entgegenschwappte.

Die feuchte Frische der Nacht und der zu hohe Wasserpegel im Boot steckten der Fotografin noch in den Knochen. Vor allem aber in den Schuhen – die Chucks waren klatschnass. Stufe um Stufe um Stufe. Bis die Schuhe anfingen, bei jedem Schritt zu quietschen. Genau einhundertsechsundachtzig Stufen waren es bis zur Strada Provinciale, zur Hauptstraße, die von Bellagio nach Como führte. Theoretisch auch von Como nach Bellagio – aber nur, wenn sie nicht gerade verstopft und zugestaut war.

Peppas Kaffeebar an der Strada war seltsamerweise schon geöffnet. Licht schimmerte aus dem Inneren, die Tür stand offen, und dann stand da auch Peppa selbst. Sie balancierte zwei große und offenbar schwere Kartons vor sich her.

«Ziehst du aus?»

«Maledetto, was?» Die Patronin setzte die Kartons ab und versuchte vergeblich, ihre braunen Locken unter die Basecap zu drapieren. «Elena! Mein Nachtgespenst! Warst du wieder hinter ihm her? Hast du ihn?»

«Nada, nix hab ich. Ich hab nur manchmal das Gefühl, George versteckt sich vor mir, absichtlich. Eigentlich müsste er da sein. Auf Instagram hab ich gesehen, dass er gestern Abend irgendwo auf einer Party war, mit dem Boot. Ich bin dann erst nachts los, weil ich ja wusste, dass er spät zurückkommen wird. Aber sein Boot kam die ganze Nacht nicht. Wahrscheinlich hat er sich mit dem Auto zurückchauffieren lassen. Ganz schön fies von dem.»

«Ja, der ist ja nicht blöd. Hör zu, Elena, ich bin die nächsten Tage mal weg, ich mach in Como eine neue Bar auf. Einen Imbiss. Besuch mich mal, ist in der Via Cinque Giornate.»

«In Como? Und wer macht dann hier deine Bar?»

«Riva.»

«Riva?»

«Riva. Si.»

«Die ist doch noch gar nicht geschäftsfähig.»

«Kaffee kann sie aber. Und wenn du dir Alkohol nimmst, sieht sie das und schreibt’s auf deinen Deckel, das sag ich dir gleich. Geh rein, sag ihr buon giorno und bau sie ein bisschen auf, sie hat nämlich heut ihren ersten Tag. Ich muss jetzt weiterpacken.»

 

Es war nur schwer zu sagen, ob Riva überhaupt am Leben oder ob das nur eine große Puppe war, die da vor der Espressomaschine stand und ein fünfzehnjähriges Mädchen in einem übergroßen Hoodie mit Måneskin-Tourdaten verkörpern sollte. Sie stand völlig regungslos, den Kopf gesenkt und ins Smartphone vertieft.

«Riva?»

«Riva?!»

«Riiiiivaa!»

Erst beim dritten Ansprechversuch reagierte die Adoleszente, zog die In-Ears raus, nahm einen Schluck aus einer neonfarbenen Energydrinkdose und schenkte Elena ein herzhaftes Impulsgähnen aus dem tiefsten Schlund ihrer Seele.

«Um fünf hat mein Wecker geklingelt. Wer hat diese Uhrzeit eigentlich erfunden?»

«Willkommen in der Arbeitswelt, meine Liebe. Bald wirst du den süßen Duft von Erfolg riechen.»

«Erfolg? Ich mach das nur, weil ich nicht mehr mit dir rausfahren darf und weil die Nonna sonst nervt und weil ich meine Ruhe haben will und weil ich dann über Peppas Firma scharfe Chips bestellen kann. Ich hab Ferien und könnte jetzt soo schön schlafen, um neun gemütlich aufstehen, streamen und Geld verdienen, wenn ich Call of Duty spiele.»

«Spiel doch mal Call of Espresso und mach mir einen doppelten. Und du solltest vielleicht gleich einen vierfachen nehmen», sagte Elena

«Du denkst total paternalistisch. Obwohl du eine Frau bist. Voll lame.»

Riva klopfte den Siebträger aus, mahlte, stempelte, ließ einen schwarzen Espressofaden aus der Maschine laufen und filmte sich dabei. Das Aroma frisch gebrühten Kaffees durchzog die kleine Bar, in der sich die brummende Gelatotheke ungestört einer Lärmbattle mit dem Spielautomat hingab.

«Postest du das?», wollte Elena wissen.

«Nee, dann müsste ich ja dazu tanzen oder irgendwelche Moves machen. Es gibt grad ’ne Coffeeshop-Dance-Challenge, aber das ist nicht mein game. Ich zeige Peppa nur, wie sie Viral-food-Videos schneiden muss, damit die auf TikTok trenden. Aber vielleicht poste ich’s doch, mal sehn, auf Insta. Ich könnte ein Barista-Tagebuch machen: ‹Tag 1: Teen gegen Technologie. Gewinner unklar.›»

«Fänd ich gut, ich setze auf dich», sagte Elena und nahm einen prüfenden Schluck aus der Espressotasse. «Vielleicht setze ich aber auch auf die Maschine. Wenn sie Peppa wieder bedient.»

«Danke. Das ist bisher das Netteste, was mir heute gesagt wurde.»

«Wird sich bestimmt ändern, sobald der erste echte Kunde kommt.»

Riva widmete sich wieder ihrem Smartphone. «Vielleicht gehe ich doch wieder streamen.»

Elena lachte. «Ach, hör auf. Du wirst das großartig machen, ich bleibe auf jeden Fall Stammgast. Und wer weiß, vielleicht lernst du hier sogar, wie man mit Menschen umgeht.»

«Oder wie man sie meidet, wenn sie paternalistisch nerven.»

 

Draußen hatte Peppa gerade die letzten zwei Kartons in ihren kleinen Lieferwagen gepackt, als diese sich rumpelnd und krachend wieder den Weg zurück in die Freiheit bahnten und auf dem Asphalt landeten. Peppas braune Lockenmähne bebte vor Wut. Elena half ihr beim Aufsammeln.

«Maledetti scatoloni di cazzo!»

«Und was für einen Imbiss machst du da in Como? Tramezzini? Die schmecken hier immer so gut.»

«Nein, nix Traditionelles. Ist auch nicht wirklich ein Imbiss. Eher eine kleine Spezialitätenbackstube.»

«Backstube? Bist du jetzt Bäckerin?»

«Nein. Ich backe so Trendzeugs. Für die Instagramkids. Ich will das mal ausprobieren, rein virales Marketing. Die letzten Wochen habe ich nur Crookies gemacht.»

«Cookies?»

«Nein, Crrrrrookies, mit Errre! Ein Hybrid, eine Kombi aus Croissants und Cookies.»

 

Elena liebte das, wenn Peppa das Errrr rrrrollte. Mit ihrer leicht heiseren und schwer sexy Stimme, die ein bisschen so klang wie die von Gianna Nannini.

«Das geht?»

«Sogar ganz einfach: Du nimmst ’nen Croissantrohling und klatscht in die Mitte ’nen Löffel Keksteig drauf.»

«Klingt ja köstlich.»

«Die Kids fahren voll drauf ab, fett und süß. Das ist viral food, die TikTok- und Instagram-Bambini sind total verrückt danach. Die stehen Schlange, um das zu posten. Und ab morgen biete ich was Neues an.»

«Was noch Köstlicheres?»

«Kann ich dir nicht sagen, Betriebsgeheimnis.»

Peppa ging einen Schritt auf Elena zu und schaute sich um, ob vielleicht Industriespione in der Nähe waren. Dann flüsterte sie: «Na gut. Es ist was ganz neues: Pizzatone.»

«Pizza … tone?»

«Pizzatone – ein Hybrid aus Pizza und Panettone. Mehr kann ich dir absolut nicht verraten. Check mal den Hashtag und besuch mich bald, ciao, Bella.»

«Ciao, Süße. Bata.»

«Bata?»

«Ein Hybrid aus buona und giornata.»

2. Romina Powers heißer Hund

Wie um den halben Erdball. Vom Balkon ihrer kleinen Dachwohnung in Molina Lario konnte Elena ihr Weltreich, das ein Seereich war, formidabel überblicken. Von ganz links nach ganz, ganz rechts, von megahart backbord bis hyperdypersteuerbord: ein einziges großbildleinwandgroßes Prachtpanorama aus See und Bergen, Hängen und Gipfeln, Bergen und See. Dazu eine Uferlinie, so weit wie das Auge nur reichte, gesäumt von kleinen Dörfchen mit spitzen Kirchtürmen, garniert mit emsigem Schiffs- und Autoverkehr. Eine gigantische Modelleisenbahnlandschaft, nur ohne Gleise und Züge. Insgesamt schon ein ziemlich schamloser Touristenkitsch, dachte Elena, nur dass das alles hier längst aufgebaut und installiert war, als es noch gar keine Touristen gab. Weit und breit nichts als Lario.

Larioooo!

Was für ein schönes Wort! So nannten die Italiener ihren Lago di Como. Weil sie mitsamt ihrer Sprache von den alten Römern abstammten, die ihn Lacus Larius nannten, den Larischen See; weil Plinius der Jüngere ihn so in seinen Briefen bezeichnete – paff, weil er es konnte; und weil er der Erste war, der seinen zahlreichen Brieffreunden von diesem See berichtete.

Larioooo!

Eine monumentale, stahlblau polierte Platte, an deren Rändern die Hänge hart und ungestüm in den Himmel stiegen. Von ferne wirkten die wild waldigen Hügel wie gewellt, teppichhaft aufgeworfen, fast faltig, zernarbt. Und in diesem heißesten aller Sommer legte sich über das tiefe, schwere Sommergrün schon jetzt, Anfang August, ein welkbrauner Schleier.

Bewohnt und eigentlich besiedelt war nur die untere Handbreit nahe der Uferlinie. Darüber ging es so steil nach oben, dass jeder Mauerstein, den man in einem Anflug von Übermut mühsam hochgeschleppt hätte, sowieso gleich wieder abgerutscht und ins Wasser geplumpst wäre. Auf der gegenüberliegenden Seeseite, oberhalb der Ortschaft Laglio, schwang sich der mächtige Monte Colmegnone wie selbstvergessen aus dem Wasser. Fast riss er die Vierzehnhundert-Meter-Linie. Dort oben konnten sich Bäume nicht mehr halten, die Großvegetation schwächelte, daher war die Bergkuppe lediglich mit einem Grasteppich bedeckt. Inmitten der forstigen Umgebung wirkte die Grasinsel wie eine Tonsur auf einem alten Mönchsschädel. Und ein paar Meter weiter begann bereits die Schweiz.

 

Gut vier Wochen waren inzwischen vergangen, seit der Bus aus Como sie hier ausgespuckt hatte. Unten, an der Strada, neben Peppas Bar. Zur Begrüßung hatte Elena die unsichtbare Bewohnerschaft von Molina Lario mit einer Auswahl neuester, aber auch klassischer deutscher Flüche bekannt gemacht, Stufe für Stufe, die sie ihr Gepäck die gefühlt zweitausend Stufen bis zum Apartamento hinaufschleifen musste.

So fühlte sich also homecoming an, hatte sie gedacht, denn in ihrem Ausweis stand als Geburtsort: «Como». Vier Buchstaben, die ihr nicht allzu viel bedeuteten. Sie war zwar dort geboren, doch nach dem Unfalltod ihres deutschen Vaters irgendwo hier am See zog ihre italienische Mutter mit der kleinen Elena in ein Haus im Schwarzwald. Der Vater hatte es wohl hinterlassen. Sie hatte also keinerlei Erinnerung mehr an ihren Geburtsort, zu Hause wurde nicht viel über die Zeit in Italien gesprochen; und obwohl ihre Mutter als geborene Mailänderin mehr als deutlich machte, was genau sie von Titisee-Neustadt hielt, waren sie nach der Übersiedlung nie wieder hier am Lago gewesen. Wenigstens nicht gemeinsam.

Merda, cazzo, maledetto – das ging zwar einigermaßen von der lingua, von der Zunge, ihr Italienisch war immer noch ganz brauchbar. Doch echtes Qualitätsfluchen lief in der deutschen Muttersprache einfach besser – obwohl die ja genau genommen die Vatersprache war.

«Lei è la signora Barone?»

Die kompakte ältere Dame in geblümter Kittelschürze und Crocs hatte Elena gleich in Empfang genommen, als sie die letzte und damit auch höchstgelegene Gasse des Dorfes erreichte. Noch keuchend und leicht nachfluchend, stellte die Fotografin umgehend klar, dass sie hier aber nur unter ihrem Vornamen, als Elena unterwegs war – nicht als Signora. So weit kommt’s noch. Beflissen nickend nahm Nonna Renata die Information zur Kenntnis, erklomm mit der neuen Mieterin die letzten Stufen zum Apartamento, schloss auf und präsentierte stolz Elenas Nest für die nächsten Wochen: diese extrem schnucklige Dachgeschosswohnung, hoch überm Comer See.

Stein und Holz aus alter Zeit. Kein Fernseher, dafür aber gleich drei kleine Balkone. Schon beim ersten Hinaustreten hatte sie dieses merkwürdige Gefühl der endgültigen, ja fast schon finalen Ankunft gespürt. Ein Gefühl, das man so vielleicht nur zweimal im Leben hatte: beim Bezug der ersten eigenen Wohnung und beim ersten eigenen Ableben. Um sie herum nur Glockengezwitscher und Vogelgeläut, ein Alpentraum in Blau.

Galionsfigurengleich stand sie an diesem Mittag zur Tagesbegrüßung auf einem der Balkone, eine stolze Statue ihrer selbst, seelisch erbaut durch die gloriose Umgebung, körperlich gestärkt durch die erste Zigarette des Tages und ein erfrischendes Glas Weißwein. Konsolidierung des Nervenkostüms. Nur ein paar mickrige Stunden hatte sie flach gelegen, mehr gedöst als geschlafen. Jetzt stand die Sonne schon wieder hoch überm See, und die Dachkemenate verwandelte sich allmählich wieder in einen umluftlosen Backofen. Elena schaute auf die Uhr und stellte zufrieden fest, dass gleich der erste Höhepunkt des Tages anheben würde: das Zwölf-Uhr-Läuten. Das tägliche glockengestützte Mittagskonzert, wenn all die Kirchtürmchen und Campanile der zahllosen Gotteshäuser und Götzentempel rund um den fast fünfzig Kilometer langen See mit leichtem Zeitversatz anfingen zu schlagen und zu läuten; wenn die Glockenspiele einsetzten und Melodien schlugen, unbekannte, alte Weisen in merkwürdigen archaischen Rhythmen, nie genau auf den Takt, aber auch nie so richtig daneben. Einfach ein geiles Geländegebimmel, das da rundherum dengelte, dröhnte und klingelte, von überallher und überallhin. Schwerelos schwebte der Klangteppich über den Wassern, ein himmlisch bimmelndes Klingklangkonzert für alle Anwohner, per tutti i signore e signori e bambini. Und für sie.

Nach knapp zwei Minuten verstummten auch die letzten Klänge, von ferne wehten noch vereinzelte Bimmelsoundfetzen über den See, dann war das Glockentagwerk vollbracht.

Elena ergriff ihr mobiles Endgerät, warf sich auf das mit einem Schonlaken beworfene Sofa und checkte die einschlägigen Promi-Feeds auf Instagram, schaute nach unter #como, #comopeople und #celebritycomo und auf ein paar italienischen und internationalen Illustriertenseiten. Ihren Instagram-Account nutzte sie nur privat zum Rumschauen. Obwohl sie Fotografin war, postete sie keins ihrer Bilder – was ihr manchmal sogar seltsam vorkam, regelrecht kauzig. Doch hatte sie keine Lust, nebenher und auch noch unbezahlt einen Peopleaccount zu betreiben und zu pflegen. Wenn man so was machte, dann musste das auch aktiv bespielt werden und professionell wirken – und das überließ sie dann doch lieber anderen.

Schnell kontrollierte sie noch, ob es neue Bilder von Tommy Ducati gab. Doch die vielversprechende Pornohoffnung der Nullerjahre blieb weiterhin abgetaucht. Eigentlich fand sie den Typen enorm dämlich, aber ein bisschen cute war er halt schon auch. Ab und zu mal Kontrolle konnte da nicht schaden.

Im Messenger fand sie nur zwei Nachrichten, und beide waren beunruhigend. Ihre Mutter hatte geschrieben: «Ich komme.» Das alleine war zwar schon schlimm genug, doch dass sie den Zeitpunkt ihrer heraufziehenden Ankunft auch noch offenließ, machte die Androhung annähernd infam. Die zweite Nachricht kam von Faustino: «Hole dich morgen Mittag ab, Dresscode maximal, wir treffen deinen grande attore Clooney!»

Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Sie textete zurück: «Was ist los? Party?»

Er antwortete sofort: «Große Gartenparty. International. Hole dich morgen alle due.»

 

Zur Feier der dritten Tasse aus der Moka-Maschine versuchte Elena, einen objektiven Blick auf ihr bisheriges Leben zu werfen. Möglicherweise war der Plan für diese Tageszeit noch etwas zu gewagt. Eine Nummer zu groß in Anbetracht ihres aktuellen Zustands. Der schlechte Schlaf wirkte nach, die meiste Zeit hatte sie mit Hin-und-her-Werfen verbracht, Kopf auf dem Kissen, Kopf unter dem Kissen, Kopf neben dem Kissen. Es war einfach zu heiß. Unter ihrer Dachziegelglocke kochte sich die Ferienwohnung in aller Ruhe auf. Drei Ibus zum Frühstück mussten reichen, und die Bewertung, ja vorsichtige Bilanzierung der letzten vierkommafünf Wochen konnte allenfalls provisorisch vorgenommen werden.

Ihre Gedanken schweiften den Schwalben hinterher, die pfeilschnell unter dem Balkon durch die Sommerluft schossen. Ja, es war die absolut richtige Entscheidung gewesen, hierher an den Lago zu kommen. Selbst wenn sie Lenny bis jetzt noch kein einziges verwertbares Foto von hier hatte schicken können – es war gut, dass sie Mykonos hinter sich gelassen hatte. Jetzt noch mal eben den George-Job machen und dann die Kohle kassieren, die dieser komische Auftraggeber ihr zugesichert hatte. Was hatte der nur mit diesen Fotos vor? Auf jeden Fall mussten sie echt sein, die konnte sie keineswegs zurechtpixeln. Mit KI ging zwar schon sehr viel, aber so richtig glaubwürdig sahen künstlich geschaffene Paparazzishots noch nicht aus. Lange würde es wahrscheinlich nicht mehr dauern, bis die künstliche Rechnerintelligenz auch diese Authentizitätslücke würde schließen können, doch davor hatte Elena keine Angst. Sie war gewappnet. Sie hatte und beherrschte alle Grafikprogramme und die AI-Dienste, mit denen sie jede Art von Foto so herstellen, so be- und überarbeiten konnte, dass es für einen Laien einfach echt wirken musste. Wie richtig draußen im Leben fotografiert.

Am besten funktionierte das natürlich mit Bildern, die außer ihr selbst und der honorarabdrückenden Person überhaupt niemand zu sehen bekam. Das gefiel Elena nämlich immer am besten: ordentliches Honorar dafür, dass ein Bild nicht gezeigt und nicht gedruckt wurde, ja nicht einmal in Umlauf kam. Für den Auftrag, den sie mit dem Clooneybild hatte, funktionierte das aber leider nicht. Dieses Bild musste echt sein, von Elena Barone handgeschossen.

Und das wäre auf Mykonos gar nicht möglich gewesen, denn da fuhr Clooney nie hin. Wie hatte sie es überhaupt so lange dort ausgehalten, auf diesem grässlich-griechischen Blingbling-Ballermann? Immer zu laut, immer zu voll, zu viel Schminke und zu viel Bräunungscreme – eine einzige eingefettete Zumutung im blauen Wasser der Ägäis. Fast ein ganzes Jahr hatte sie dort zugebracht, ja abgesessen. Warum nur? Eigentlich ein verlorenes Jahr. Im Nachhinein fühlte es sich an wie ein vergeudetes halbes Leben. Vielleicht auch deswegen, weil sie dort immer die gleichen Leute gesehen und geknipst hatte: je zweimal Bill Gates und Justin Bieber, dreimal Gigi Hadid und Ariana Grande und kein einziges Mal Taylor Swift oder Mick Jagger. Obwohl die eigentlich ganz sicher hätten da sein sollen. Da waren sich die Informanten immer sehr sicher. Und so hatte es auch Lenny versprochen, ja regelrecht zugesichert. Doch niente Taylor, niente Mick. Dafür aber die ganzen namenlosen Hühner von Victoria’s Secret, die immer so taten, als wollten sie nicht fotografiert werden. Und gefühlt elfmal Lothar Matthäus mit seiner fünften oder siebten Neuen. Wen interessierte der noch? Außer Springer oder die ganzen Billo-Boulevardblätter? Die nahmen zwar klaglos alles ab, zahlten aber kaum. Die Kollegen waren nur am Fluchen, sie hatte immerhin den Festvertrag mit InterPic, mit Lennys Agentur. Die Pauschale lief weiter, auch wenn die Abgeschossenen drittklassig waren. So verging der Sommer, und so zerrann der Winter zwischen Paraga Beach und Super Paradise Beach. Sonst aber nix gesehen von der Insel, die im Sommer so braun verbrutzelt war wie ihre Besucher. Und über allem waberte dieser supergriechische Wrasen aus altem Aioli und fischigem Frittierfett. Ihr wurde schlecht, wenn sie nur daran dachte.

 

Da war dieser sauber gefasste und gut belüftete Lombarden-Lago doch eine ganz andere Welt. An ihrem kleinen Bergdorf gefiel ihr vor allem, dass es so bergdörflich war. Als steinerner Balkon krallte es sich ans Ostufer des linken Seearms, Raum und Zeit enthoben. Und doch war sie mit der Vespa in nur einer Viertelstunde in Como. In einer richtigen Stadt.

Sie wohnte im Borgo von Molina Lario, im alten, steilen Teil des Dörfchens. Die grobklotzigen Steinhäuser waren durch ein Gewirr von Gassen, steilen Stiegen und Stufen miteinander verbunden. Es ging treppauf und treppab, der Weg führte erst an der Kirche mit der zu lauten Glocke vorbei, an dem Haus mit den zwei bescheuerten Hunden, weitere Treppenkaskaden auf- und abwärts, dann wieder ein paar Stufen und Gässchen, bis schließlich die Via Castello erreicht war, die letzte Dorfgasse. Danach kam nur noch Wald.

Sie hatte eine einfache Behausung bezogen, im obersten Stockwerk eines Hauses aus der frühitalienischen Steinzeit, die hier noch in voller Blüte stand. Der Zugang zu ihrer Wohnung lag fast ebenerdig; jedenfalls dann, wenn man von der obersten Dorfgasse kam. So wohnte sie streng genommen im Erdgeschoss. Unter ihr wohnte und rumorte Nonna Renata, die ihre Gemächer durch einen Seiteneingang von der Nebengasse betrat. So hatte auch sie eine Erdgeschosswohnung. Genau wie das Ehepaar, das im gleichen Haus, jedoch unterhalb der Nonna wohnte und das seine Wohnung von einer Parallelgasse betrat. Über die Jahrhunderte war der kleine Ort den Hang hinaufgewachsen, und die stolzen Steinbaumeister hatten Zimmer, Übergänge, Treppen, Räume und Zugänge immer weiter, munter und wild übereinandergestapelt. Obwohl sie alle im gleichen Haus wohnten, hatte jede Partei eine andere Adresse mit einem anderen Straßennamen auf einem anderen Straßenniveau. Und ganz oben, im dritten Stock, wohnte Elena in ihrer Erdgeschosswohnung.

 

Sie nahm das Fernglas in die Hand, legte auf das gegenüberliegende Ufer an und hatte die Villa sofort im Blick. Vielleicht schon zum tausendsten Mal. Wenn’s reichte. Sämtliche Fensterläden waren geöffnet, und selbstverständlich brannte das ewige Licht über der Eingangstür. Das Boot dümpelte vorm Haus, als wäre es nie weg gewesen. Sogar die Persenning war wieder aufgezogen. Hinter den wie stets stockdunklen Fenstern keine Bewegung, keinerlei Leben. War George jetzt da? War er’s nicht?

Obwohl er sie nicht wirklich gut kannte und sie ihn noch nie live gesehen hatte, obwohl sie beide sich also nie persönlich begegnet waren, schien George Clooney ihr inzwischen fast so etwas wie ein fester Lebenspartner zu sein. Zumindest ein fester Lebensbestandteil. Er war ja auch sozusagen ihr direkter Nachbar – zwischen George und ihr lagen allenfalls ein paar Schlucke Wasser. Ein schmales Stück See. Was war das schon? Ein bisschen Wasser und ein wenig Luft. Direkte Luftlinie vielleicht gerade mal ein Kilometer.

Was es über den zweifachen sexiest man alive zu wissen gab, das hatte sich Elena redlich zusammengegoogelt: dass der beliebte Volksschauspieler seine Villa in Laglio schon vor zwanzig Jahren gekauft hatte; wie die Tage im herrlichen Italien sein Leben entspannt und bereichert hatten; wie er früher, bevor er Amal kennenlernte, auf seiner schweren Harley um den See gebrettert war. Dazu hatte sie jede Menge unscharfer Paparazzifotos studiert: George mit den Obamas beim Bootsausflug, George mit Brad Pitt, Matt Damon, Jennifer Aniston und anderen Kumpelinos beim Feiern, George mit Amal bei Kerzenschein in einem romantischen Restaurant am Seeufer. Und nachdem ein schweres Unwetter mit Überschwemmungen, Erdrutschen und Schlammlawinen große Schäden in Laglio angerichtet hatte, tauchte George eines Tages plötzlich beim Bürgermeister auf, bot seine tatkräftige Hilfe an und erklärte herbeigeeilten Reportern: «Diesen Ort hier gibt es schon immer. Es wird ihn auch weiterhin geben, und er wird besser dastehen als je zuvor. Dieser Ort ist hart im Nehmen.» Sätze wie Dampfhammerschläge. Sätze, wie sie so nur ein George Clooney aussprechen konnte.

Im Netz hatte Elena sogar ein Video gefunden, auf dem er sie persönlich einlud – zum gemeinsamen Abendessen mit seiner Frau Amal, der berühmten Menschenrechtsanwältin. Elena müsse lediglich einen ansehnlichen Betrag für deren Charityorganisation spenden, und schon würde sie an einer Lotterie teilnehmen und im Glücksfall ein Abendessen mit Amal gewinnen. Hier, in Laglio, in seiner Villa am See. Er, George, würde dann servieren.

 

Das Blickfeld ihres Fernglasokulars wanderte abwärts, in Richtung des eigenen Ufers. Dort drehte sich ein Baukran, der Zementsäcke von einer Transportbarke am Ufer nach oben aufs Straßenniveau hievte. Sack für Sack. Gleich daneben Peppas Bar. Auf dem Stühlchen vor dem Eingang saß ein rauchender Gast mit Weinglas in der Hand. Als ehrenamtlicher Rauchverzehrer nahm er neben den eigenen auch gleich noch die Abgase der Fahrzeuge auf, die sich direkt vor ihm auf der Strada stauten. Die Uferstraße war auch heute wieder in beide Richtungen verstopft. Hochsommer, Hochsaison, hoher Mittag und dann auch noch Wochenende, da fuhr und da ging gar nichts mehr. Nur Rollerfahrer flutschten durch sich öffnende Lücken, gefolgt von todesmutigen Rennradlern in grellbunten Ganzkörperkondomen.

Elenas Fernglasblick schweifte weiter nach unten, immer näher heran: rote Dächer, ein Stück Gasse, eine Treppe, ein Blumentopf. Auf einem Mauervorsprung lag, penibel zur Sonne hin ausgerichtet, die fuchsrotgoldene Dickschwanzkatze. Vollständig geplättet lag sie da, mehr tot als lebendig. Nur ihr dicker,