Kommissar Katzorke - Volker Lüdecke - E-Book

Kommissar Katzorke E-Book

Volker Lüdecke

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Beschreibung

Berlinkrimi, der mit ironischem Unterton die Berliner Polizeibehörde und den staatlichen und privaten Überwachungswahn auf die Schippe nimmt. Ein Kommissar und eine Kommissarin ermitteln parallel, aber getrennt voneinander und mit verschiedenen Perspektiven und Motivationen am gleichen Fall. Der Kriminalroman stellt uns vor die Frage, warum aus einer Schulklasse die einen Karriere machen und die anderen auf die schiefe Bahn geraten.

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Volker Lüdecke

Kommissar Katzorke

Süße Schrippen

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

Impressum neobooks

1.

Kommissar Katzorke konnte von sich behaupten, einen kompletten Zellentrakt der Haftanstalt Tegel durch seine akribische Ermittlungsarbeit besiedelt zu haben. Im Dienste der Staatsgewalt hatte er erreicht, dass zweihundertsiebenundsiebzig Strafgefangene verschiedener ethnischer Herkunft ihn als ihren persönlichen Feind betrachteten.

Den Hass ihrer Clans und Familien nicht mit eingerechnet.

Sorglos über Berliner Boulevards spazierend, ahnte er nicht, welches Glück ihm widerfuhr, sich nicht einmal den Bruchteil jener Grausamkeiten vorstellen zu können, die ihn erwarteten, fiele er zufällig in die Hände eines von ihm Inhaftierten.

An öden Zellenabenden, wenn vor den Gitterfenstern draußen kalter Nebeldunst hing, wusste seine Klientel oft nichts Besseres zu tun, als „Würgt den Katzorke“ zu spielen. Oder sich umfassendste Grausamkeiten auszumalen, mit welcher Art von Folter sie seiner Karriere besonders schmerzhaft ein Ende bereiten wollten.

„Erledigt!“

Katzorkes Lieblingswort, wenn er den Bildschirm auf seinem Schreibtisch ausschalten konnte, weil ein Fall gelöst war. Minutenlang genoss er die matt dunkle Oberfläche.

Dann entdeckte er darin Ertrinkende, wie im schwarzen Wasser des Teufelssees, um Hilfe zappelnde Opfer von Verbrechen. Seine Obsession, die er pflegte, weil sie ihm für alles, was er tat, als Rechtfertigung diente. Den Opfern helfen! Dienstschluss kannte er nicht.

In Berliner Unterweltkreisen wurde er „Der Beißer“ genannt. Aus Respekt, sonst hätten sie ihn „Der Scheißer“ genannt.

Pausenlos produzierte sein Hirn Strategien zur Observierung von potentiellen Straftätern. Auch solchen, die es in den Bezirken draußen noch gar nicht gab. Der Unterschied zwischen Dienst und Freizeit bestand für ihn darin, dass er im Dienst die polizeilichen Regeln einhalten musste. Während er anschließend seinen eigenen Maßgaben folgte.

Warum sollte er privat zu Hause kein Nachtsichtgerät benutzen, während sich der gewöhnliche Bürgernachbar damit im Versandhandel längst eingedeckt hatte?

Ein Kommissar zur Bekämpfung von organisierter Bandenkriminalität, schlechter ausgerüstet als der Spanner von nebenan?

Privatsphäre hin oder her, seine staatsbürgerliche Pflicht war es, den Realitäten ins Auge zu sehen. Sofern diese im Dunklen stattfanden, musste er eben auch in den Nächten Durchblick bekommen!

Zu Hause blätterte er gerne in Elektronikkatalogen, verglich Preise von Richtmikrofonen und Überwachungsdrohnen, berauschte sich an Kamera- und Flugeigenschaften. Ihn reizte das halb legale Arsenal. Er wusste, dass harmlose Tüftler in beinahe harmlosen Technikvereinen täglich daran schraubten und löteten, um die private Nische des merkwürdigen Nachbarn auszuspionieren.

„Die Neigung zum Bespitzeln liegt in der Natur des Menschen. Es verschafft ihm ein Gefühl von Überlegenheit und eigener Bedeutung.“

Diese Meinung vertrat er gegenüber den Kritikern des Überwachungsstaats. Aus seiner Erfahrung heraus hatte die private Schnüffelei die Kapazitäten von Geheimdiensten längst in den Schatten gestellt.

„Überwachungstechnik von Morgen schon heute erproben.“

Öffentlich schwieg er über sein plakatives Berufsethos, aber in ein paar Jahren würden auch seine Kollegen damit ausgerüstet sein. Er wäre dann längst damit bestens vertraut.

„Was nützt dem Bürger der Schutz seiner Privatsphäre, wenn man ihn dafür bestiehlt und ermordet?“

Ein weiteres Motto, das er nur im Kreis von speziellen Kollegen zum Besten gab. Über die anderen, die über veraltete Polizeiausrüstung lamentierten, ohne selbst dagegen etwas zu unternehmen, ärgerte er sich unverhohlen.

„Was suchen die bei der Polizei?“

Mit den Jahren seiner Beamtentätigkeit hatte er sich ein stattliches Arsenal an Überwachungstechnik zugelegt. Als sein privates Hobby sozusagen. Keine Spielzeuge, alles Profigeräte. Vergleichbare Technik, wie Militärs und Geheimdienste sie verwenden. Er liebte gediegene und robuste Qualität. Auch wenn die Apparate beinahe unerschwinglich waren.

Ein Boulevardblatt hatte kürzlich seine Erfolge öffentlich gewürdigt. Mit der Schlagzeile: „Der Superkommissar“.

Sein Foto hätten sie in der Zeitung allerdings gern weglassen können. Seitdem war „Der Beißer“ eine öffentliche Person. Kein angenehmes Gefühl.

Aber im Landeskriminalamt wurde seitdem kolportiert, seine Beförderung sei nur noch eine Frage von Wochen. Oder von Monaten. Je nach Wetterbericht.

In der Behörde nannten sie ihn nicht Beißer, sondern „Das Tier“. Obwohl er keineswegs beliebt war. Nie hatte er freiwillig mit Kollegen über Privates geredet. Sein erster Gang morgens war der zum Kaffeeautomat. Geschwätz interessierte ihn generell nicht.

Lieber zog er seinen massigen Kopf tief zwischen die Schultern, um nicht rechts oder links grüßen zu müssen. Blieb einfach stumm, wie verschlafen und trank anschließend seinen Kaffee allein am Schreibtisch. Schwarz, er traute keinem mit Milch und Zucker!

Dann senkte er seinen pomadigen, schwarz gelockten Schädel so dicht über den Inhalt der Akte, oder kroch fast in den Bildschirm, dass jeder Beobachter den Eindruck gewinnen musste, er wäre kurzsichtig. Oder fast blind. War er aber nicht.

Diese seltsame Angewohnheit half ihm bei seiner Konzentration. Gegen die alltäglichen Befindlichkeiten von Kollegen. Die Diskussionen um Zugluft, das Wetter, die Tagespolitik. Am meisten verabscheute er Plaudereien über die Familien, die übliche Bürogruppendynamik. Wie sie bestimmt in jeder größeren Bürogemeinschaft stattfand. Er fühlte sich nicht berufen, mit Kollegen über miserables Kantinenessen oder den defekten Fahrstuhl zu debattieren. Bei seinen Fällen ging es immer um Leben oder Tod!

„Genau in diesem Moment wird wieder ein Verbrechen vorbereitet. Es hängt schon unsichtbar wie ein Gottesurteil über dem Opfer!“

Nur ein einziges Mal hatte er die Nerven verloren und einen faulen Kollegen mit dieser Aussage gebrandmarkt.

Später, im Laufe des Vormittags, ungefähr ein bis zwei Stunden nach Dienstbeginn, richtete sich seine Gestalt dann langsam auf. Bis Mittag saß er kerzengerade am Schreibtisch. Er redete sogar, wenn eine Ermittlung es erforderte, in sachlichem Tonfall mit ausgewählten Kollegen.

Alles hat seine Geschichte, und menschliches Verhalten resultiert daraus. Nachdem er als junger Beamter aus einer Wache in Reinickendorf in die Zentrale nach Tempelhof versetzt worden war und sich darüber freute, hatten sie ihn gemein „Deus ex Deo“ getauft. „Gott ohne Deo“ bedeutete der Spruch, weil er Körperpflege nur am Wochenende betrieb.

Ihr böser Humor war jedoch bald verflogen, nachdem er in der Hierarchie der Behörde elegant an ihnen vorbeigezogen war. Keiner hatte dem ein Meter fünfundsechzig Mann solchen Ehrgeiz zugetraut. Ab da waren sie gewarnt.

Einige Zeit lang kursierten Gerüchte, er verfüge über einen Mentor im Umfeld des Polizeipräsidenten. Seine familiären Verhältnisse wurden klassisch ausspioniert, es fehlte trotzdem der passende Hinweis. Definitiv stammte er nicht aus reichem Hause.

Als man befürchtete, er werde Bereichsleiter, begann die Arschkriecherei.

„Bin gerade am Kaffeeautomaten vorbeigekommen: schwarz, ohne Milch und Zucker? Na, klar!“

Auf einmal kamen einige regelmäßig an seinem Minibüro vorbei.

2.

Eine interessante Geschäftsidee zu haben, ist eine feine Sache. Allein, sie in ein real existierendes Geschäft zu verwandeln, stellt eine unvergleichlich größere Herausforderung dar.

Es war höchste Zeit für Sandor, in seinem Leben etwas gebacken zu kriegen. Wieder war ein angenehm faul verbrachter Sommer fast vorüber und braungebrannte Urlaubsrückkehrer füllten zum Ende der Sommerferien die U7 Richtung Rixdorf.

Dort wohnte Sandor, seitdem er Philosophie studiert hatte. Eigentlich studierte er immer noch.

Wenn er sich im Kreis seiner langjährigen Freunde umsah, musste er mit Wehmut feststellen, dass die Anzahl derjenigen, mit denen er nachts um die Häuser ziehen konnte, auf wenige Kandidaten zusammengeschrumpft war.

Karrieristen waren keine mehr darunter, die verkehrten nicht mehr in poststudentischen Kreisen. Eher „Zurückgebliebene“, die es seit Schulzeiten nicht geschafft hatten, sich von ihren Spielekonsolen abzunabeln.

Sandor war sich über die Veränderungen in seinem Umfeld bewusst. Mit einem dieser ewig Jugendlichen unterwegs zu sein, war ungefähr so spannend, wie einen Autisten im Rollstuhl durch den Klinikpark zu schieben. Innerlich spielten die einfach die ganze Zeit weiter. Festgeklebt in einer bunten, utopischen Fremdfantasiewelt.

Den Einschnitt in seinem Leben hatte er allerdings erst richtig bemerkt, als ihn die attraktiven Frauen in Bars und Clubs von Neukölln nicht mehr wahrnahmen. Von heute auf morgen unsichtbar!

Er hatte tatsächlich einmal probiert, durch die Wände seiner Wohnung zu gehen. Eine Beule an seinem Kopf signalisierte ihm, sein Körper war materiell noch vorhanden. Nur er fühlte sich körperlos.

Färbte etwa das Image seiner Begleiter negativ auf ihn ab?

„Die sind alle fixiert auf den neuen Trendtyp.“

Unterwegs auf der Treppe im U-Bahn-Schacht fielen ihm solche Sätze ein, die fantastisch zu seiner Protagonistin im Drehbuch passten. Bloß nicht vergessen, die coole Suade!

Sein Job im Copyshop an den Yorckbrücken brachte ihm gelegentlich einen One Night Stand ein. Meistens aber nur mit einer Studentin, die sich einfach mal vom Klausurenstress abreagieren musste. Todsicher folgte bei der Zigarette danach die unfassbar unerotische Frage.

„Wann hast du denn vor, dein Studium zu beenden?“

Und anschließend das dämliche Kompliment.

„Du siehst doch gar nicht aus wie ein Langzeitstudent.“

Was für ein Absacker nach einem Quickie!

„Der Zwang der Ökonomie macht mich nicht gerade locker, Babe!“

Solch flapsigen Bemerkungen verhinderten alle weiteren Treffen. Und erst recht eine dauerhafte Beziehung.

Für seine Vita in Bewerbungsschreiben war er schlicht auf einem öden Job im Copyshop hängen geblieben. Von außen sah es deutlich so aus. Weil er nicht jedem auf die Nase binden wollte, was er wirklich vorhatte.

„Für die Realisierung meiner Geschäftsidee brauche ich vorerst noch ein regelmäßiges Nebeneinkommen. Später läuft die Firma dann von selbst.“

Sein Partystatement, was immer gut ankam. Das er allerdings schon lange nicht mehr losgeworden war, mangels einer passenden Party. Seine Freunde feierten nicht mehr zu Haus.

Immerhin konnte er sich bei zwanzig Wochenstunden Hilfstätigkeit wenigstens zwischendurch gedanklich seinem Filmprojekt widmen. Sogar während der Arbeitszeit!

Was allerdings nur bedingt richtig war, denn von jedem Job musste man sich erst innerlich wieder lösen, um sich anschließend davon erholen zu können. Daher stapelten sich zahlreiche Drehbuchfassungen seit Monaten unberührt unter seinem Bett. Für ein und denselben Spielfilm.

Immerhin blieben seine Manuskripte bestens geschützt vor den gierigen Augen der Medienmafia, die jeden neuen Stoff, jeden Trend, jede Idee abgriffen, um sie als ihre Ideen zu vermarkten und damit Kasse zu machen. Für die war jeder Schreiberling nichts weiter als das Übel am Text.

Sandor knurrte sich unterwegs in das Thema hinein.

„Ich das Übel am Text? Niemals!“

Am liebsten übersahen diese Mediengangster das Copyright. Ihnen standen ja versierte Justitiare jederzeit zur Verfügung. Die armen Poeten dagegen konnten sich eh keine Klage vor Gericht leisten.

„Die haben leichtes Spiel!“

Sandor quetschte seinen eins achtzig Body in einen überfüllten U-Bahn Waggon. Eine Zumutung, diese BVG Kurzzüge.

Längst Allgemeinwissen, dass Burnout gefährdete Fernsehredakteure, koksende Regisseure oder geldgeile Filmproduzenten junge Autoren ausweideten, um ihnen komplette Dialoge und Storys zu klauen. Sie allein hatten die Macht zu entscheiden, was dem Fernsehzuschauer zu gefallen habe und was nicht.

„Ein Drehbuch ist locker mal zwanzig bis fünfzigtausend Euro wert!“

Immer wenn Sandor diesen Satz in die wöchentliche Kneipenrunde geworfen hatte, sah er die Scheine in Bündeln schon vor sich. Seine Kumpels hingegen schalteten dabei längst geistig in andere Regionen.

„Wenn einer Beziehungen hat!“

„Ja, ja!“

Diese Einschränkung war die bittere, alles entscheidende Wahrheit. Schütti und Thorsten nickten mechanisch.

„Was für ein Schwachsinn im Fernsehen verholzt wird. Und die kriegen auch noch Geld dafür!“

Nächste Runde. Ohne Beziehungen war das beste Drehbuch nicht mehr wert als der Preis von Altpapier.

Über hilfreiche Kontakte verfügte Sandor nicht. „Vom Tellerwäscher zum Millionär“, der amerikanischen Traum, funktionierte in Deutschland nicht. Stattdessen kassierte er seine tägliche Dosis krebserregenden Feinstaub aus den Tonerkartuschen der Kopierer.

Sandor hustete immer öfter.

„Eine Mafia hat kein Interesse an ehrlich arbeitenden Menschen. Die fördern nur Kriminelle!“

„Grand Theft Auto. Du musst deine eigene Gangsterkarriere starten!“

„Von mir aus.“

Gruselgeschichten von geprellten Künstlern waren Sandor häufig zu Ohren gekommen. Autoren, deren jahrelange Arbeit an einem Buch von der Medienmafia mit einem Schlag vernichtet worden war. Dreiste Plagiate, sogar im öffentlich rechtlichen Fernsehen!

„Mir wird das nicht passieren!“

Aber wie sollte er mit Produzenten ins Geschäft kommen, wenn er sein Manuskript nicht präsentierte? Seine Litanei von der Ungerechtigkeit der Gesellschaft war ja schön und gut, nur andere hatten es ja auch irgendwie geschafft.

Inzwischen lag die siebte Überarbeitung seines Drehbuchs sicher unter der gebrauchten Matratze. Absolut sicher, denn seine Schlafunterlage bewies so viel natürliche Bodenhaftung, dass mutmaßlich kein Bettgast den Wunsch verspürte, jemals einen Blick darunter zu werfen.

„Mein Leben hat immerhin ein Ziel.“

„In meinem gibt es auch eines: immer das nächste Level erreichen.“

Thorsten wirkte irgendwie immer müde. Sein Geheimnis, warum.

„Eine attraktive Redakteurin eines zahlungskräftigen Fernsehsenders wird eines Tages in deiner Reichweite erscheinen.“

Seine Kumpels fanden seinen Gesichtsausdruck dazu passend.

„Sie wird sich natürlich sofort in dich verlieben. Und dann ganz zufällig dein Drehbuch lesen.“

„Das findet sie nicht.“

Sandor meinte es ernst. Der Spott der beiden ärgerte ihn.

„Ich gebe ihr den entscheidenden Tipp. Unter deiner Matratze.“

Woher kannte Schütti sein Drehbuchversteck?

„Woher weißt Du von meinem Versteck?“

Seine Freunde lächelten süffisant.

„Noch ein Bier?“

Die Drinks in der Rixdorfer Kneipe waren teuer.

„Nee, Schluss für heute! Ich hau ab.“

„Na, denn!“

Die U-Bahn vibrierte beim Bremsen vor der Station. Noch zwei Stopps, dann wäre er zu Hause.

Thorsten und Schütti würde er an diesem Abend ganz sicher nicht treffen. Keine Lust auf die Loser. Dass er ihnen versehentlich sein Versteck ausgeplaudert hatte, ärgerte ihn maßlos. Wie besoffen musste er gewesen sein, als er das ausgeplaudert hatte.

Zum Glück hatte er vor ein paar Monaten zum ersten Mal einen kleinen Nebenverdienst auf der Berlinale ergattert. Für die Dauer des Filmfestivals. Davon zehrte er immer noch. Es ging also aufwärts. Vielleicht folgte dort im neuen Jahr ein noch besserer Job.

Die Filmpartys, die er während der Berlinale mitgekriegt hatte, fand er legendär. Je länger sie zurück lagen, desto legendärer wurden sie in seinen Erinnerungen.

Das kollektive Besäufnis des britischen Filmverbands zum Beispiel, im schicken Literaturhaus in der Fasanenstraße. Für Sandor ein einmalig tiefer Einblick in sein zukünftiges Leben als Drehbuchautor. Fulminant saufen und halbnackt auf den Tischen tanzen! Das hatte ihm schon sehr zugesagt.

Oder das kalte Fisch Buffet bei den nicht minder trinkfesten Skandinaviern, in der Botschaft der skandinavischen Länder am Tiergarten! Solche unvergesslichen Erlebnisse würden ja bald regelmäßige Highlights seines gewohnten Alltags sein. In diesen Momenten empfand er sich der Medienindustrie und ihren Vorzügen längst zugehörig. Er war ja einer von ihnen, mittendrin!

„Are you a director?“

„No, sorry, I´m not!”

Sandor hatte die auf Jobsuche umher streunenden Schauspieler gehasst. Sie plusterten sich immer fürchterlich auf. Wollten von allen Seiten Beifall. In seinem neuen Partyrevier. Aufgrund seiner rötlichen Haare hielten sie ihn wohl für einen irischen Regisseur, dessen unscharfes Foto im Festivalkatalog abgebildet worden war.

„Ich bin aus Berlin.“

„Welcher Bezirk?“

„Rixdorf.“

Nach diesen Biodaten ließ das Interesse normalerweise schnell nach. Am liebsten hätte er sich ein Schild umgehängt, mit der Aufschrift: „Seid ihr blind? Ich suche auch!“

Gelegentlich versuchten einige männliche Filmbonzen ihrem libidinösem Glück mit ihm im Pool der Cineasten nachzuhelfen. Gaben sich als bedeutende Regisseure aus. Um mal einen Eingeborenen in ihr Hotelbett zu kriegen. Einen Hetero verführen, das war für sie der geilste Kick.

Sandor brauchte an diesem Abend eine halbe Flasche Wein, um halb getröstet einzuschlafen.

Am folgenden Tag saß er wieder in der U7 auf dem Weg zum Copyshop an den Yorckbrücken, wo er sich sicher mit defekten Kopiergeräten herum ärgern würde.

Seinem Chef gehörte ebenfalls die Bar mit dem Namen „Wirtschaftswunder“, ganz in der Nähe, Yorckstraße. Aber trotzdem war er zu geizig, um neue Kopiergeräte anzuschaffen.

An fast jeder U-Bahn Station der U7 stiegen urlaubsgebräunte Fahrgäste ein, deren rötlicher Teint von Mallorca, Teneriffa, Antalya oder den Kapverdischen Inseln stammte. Glückliche Flüchtlinge, die sich eine Auszeit vom Stress in der Stadt erkauft hatten.

Von seiner lausigen Bezahlung blieb nichts für Urlaub.

Um die im Bahnabteil ihm gegenüber sitzenden Urlaubsgesichter nicht länger ertragen zu müssen, spannte er eine auf der Sitzbank vergessene BZ auf. Die Artikel des Boulevardblatts überflog er mit schnellen Blicken. Nur an den BZ Girls blieb sein Blick ein paar Sekunden lang haften.

Urlaubsschönheiten, halbnackt am Strand!

3.

Als Fatma zum ersten Mal im LKA Präsidium erschien, kicherten die Polizeikollegen hinter vorgehaltener Hand. Ein junger Beamter führte sie durch die Büroetage.

„Junges Frollein! Lüften Sie als erstes in ihrem Büro! Ihr Vorgänger hat das Fenster nicht aufgekriegt.“

Ein älterer Beamter mit Backenbart hatte den Satz ungeniert quer durch das Büro gebrüllt.

„Da lang!“

Der junge Kollege war unter seinen glucksenden Lachlauten rot angelaufen. Niemals zuvor in ihrer jungen Karriere hatte Fatma eine komplette Einheit ehrwürdiger Polizeibeamte dermaßen kichernd erlebt. Was für ein seltsamer Einstand!

Als Frau mit dem familiären Hintergrund von türkischen Einwanderern hatte sie sich um die öffentlich ausgeschriebene Kommissarstelle im Landeskriminalamt am Tempelhofer Damm beworben. Nur so zum Spaß, an einem verregneten Sonntagnachmittag!

Sie war überrascht, als sie die Stelle dann tatsächlich bekam.

„Da ist es!“

Er zeigte auf die Tür zu Fatmas neuem Büro. Die allgemeine Heiterkeit ebbte immer noch nicht ab. Zum Glück hatte das Büro eine Tür.

„Kicherwasser getrunken?“

Es fiel ihr schwer, ihr Verhalten nicht auf sich zu beziehen. Da vernahm sie ein sonores Brummen, eine Melodie. Auf einmal brüllte ein Chor von Polizeibeamten lauthals den Rest eines bis dahin nur zu ahnenden Refrains:

„… Stinki, das Tier!“

Einen Moment später war es atemlos still. Sie hörte nur noch das Umblättern von Papierseiten auf den Schreibtischen. Fatma meinte sogar, in den Gesichtern einiger Beamte eine entsetzte Betroffenheit über das eigene Verhalten entdeckt zu haben, aber dann stand ein junger Mann mit Igelschnitt und Pickel am Kinn von seinem Schreibtisch auf, kam auf sie zu und schüttelte ihr die Hand.

„Lummer. Wie Heinrich Lummer hat ihr Vorgänger ausgesehen.“

Das verwirrte sie allerdings noch mehr. Der andere junge Kollege nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz.

„Früher Innenminister von West Berlin. Alter Kauz.“

Fatma wusste nun, wer dieser Heinrich Lummer war. Welche Rolle er in Berlin gespielt hatte.

„War auch vor meiner Zeit. Aber die Kollegen machen sich gern noch lustig über ihn. Nicht über Sie. Verstehen Sie das nicht falsch.“

Seinem Gesicht war nicht zu entnehmen, ob er meinte, was er sagte.

„Karl Kaiser.“

„Fatima Dogan. Alle nennen mich Fatma.“

Er öffnete die Tür zu ihrem Büro und stieg sofort auf einen Stuhl, um das knapp unter der Zimmerdecke liegende Butzenfenster zum Innenhof zu öffnen.

„Ältere Herren duften ja nicht immer nach Rosenwasser. Ein paar Wochen lang lüften, dann ist der Duft raus!“

Er wünschte ihr noch ein dickes Fell für den Job und toi, toi, toi, viele Verhaftungen. Dann ließ er sie allein.

„Lustige Truppe hier!“

Ihr Büro sah aus wie eine Gefängniszelle. Hier brauchte sie wirklich ein dickes Fell, so viel war Fatma nach den ersten Minuten schon klar.

Vor drei Jahren noch auf der Polizeiakademie, dann erfolgreich beim Berliner Drogendezernat als verdeckte Ermittlerin, und jetzt dieser Karrieresprung. Kommissarin in der Abteilung OK, organisierte Kriminalität. Wahrscheinlich war sie im Landeskriminalamt die jüngste Ermittlerin aller Zeiten.

Sicherlich eine Seltenheit in dieser biederen Polizeibehörde. Fatma untersuchte ihren neuen Schreibtisch. Als sie die Schubladen aufzog, kroch noch mehr muffiger Geruch hervor.

„Nicht zum Aushalten, puh!“

Hier hatte jemand jahrelang ein Schweißproblem ausgesessen. Ihr Vorgänger wohl, etwa über unlösbaren Fällen?

Zum Glück ahnte keiner der neuen Kollegen, wie sie ihre Fälle gelöst hatte. Sie wäre gewiss nicht so schnell die Karriereleiter hinaufgeklettert, hätte der Personalchef bei seiner Entscheidung gewusst, wie viel sie dabei ihrem älteren Bruder Mehmet verdankte.

Egal, der neue Arbeitsvertrag lag hübsch unterschrieben zu Hause, die Tinte darauf noch fast flüssig.

Von ihrem bald ansehnlichen Gehalt wollte sie in ein paar Jahren in der Türkei ein verfallendes Landgut in den Ausläufern des Taurus Gebirges erwerben. Mit Hilfe des Wertunterschieds zwischen Lira und Euro wäre es günstig wiederherzustellen, um irgendwann vielleicht eine Bienenfarm daraus zu machen.

Beziehungsweise von Mehmet aufbauen zu lassen, denn sie war ja beruflich fest in Berlin. Ihr Leben insgesamt brauchte den inneren Ausgleich. Und dafür eignete sich besonders diese ferne, sonnige Perspektive!

„Mein neuer Schreibtisch zeigte wohl mal eine helle Oberfläche.“

Fatma holte sich Reiniger und Wischtuch aus der Teeküche.

„Um wenigstens keine Infektion zu kriegen!“

Entgegnete sie den fragenden Blicken der Kollegen, als sie mit Eimer und Wischwasser durch das Großraumbüro ging. Der Spruch hatte gar nicht mal schlecht gesessen. Die meisten zogen die Köpfe ein.

Solch ein Projekt aus der Distanz zu entwickeln barg einige Risiken. Aber mit ihrem älteren Bruder Mehmet verstand sie sich seit frühester Kindheit gut. Er würde in Zukunft die Bienenfarm leiten, sie nur von Saison zu Saison den Honig mit ernten. So war sein Plan.

Für ihr Selbstbewusstsein galt es jedoch zuvorderst sich selbst zu beweisen, auch ohne Mehmets Hilfe bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens erfolgreich zu sein.

Am Nachmittag ihres ersten Arbeitstages im LKA war sie in das eine Etage über ihrer Dienststelle liegende Büro ihres direkten Vorgesetzten bestellt. Sie kannte ihn vom Vorstellungsgespräch. Fatma nahm den Fahrstuhl, obwohl es nur drei Treppen waren.

Peter Müllers Stimme schnarrte ein helles „Herein“, als sie an seine Bürotür klopfte.

Diesmal sah er aus wie ein Kapitän zur See auf Landgang. Er trug zwar keine Polizeiuniform, aber an seinem Anzug fehlten nur die Streifen auf den Schultern des gepolsterten Jacketts und die Kapitänsmütze, um nicht vollständig den Eindruck eines Uniformierten zu erwecken.

„Fräulein Dogan! Wie schön! Nehmen Sie Platz!“

„Alle nennen mich einfach nur Fatma.“

Der weißhaarige ältere Herr schüttelte den Kopf.

„Fräulein Dogan, unsere neue Kommissarin! Setzen Sie sich! Herzlich willkommen im LKA!“

„Vielen Dank, Herr Müller!“

Er pflegte diesen näselnden, hanseatischen Ton, der Fatma unwillkürlich an tief fliegende Möwen denken ließ. Sein Büro roch nach staubigem Teppich.

„Sie haben sich ja bisher nur in ihrer Ausbildung mit unserem Fachgebiet, den organisierten, kriminellen Banden, auseinandergesetzt. Nicht wahr?“

Vielleicht wollte dieser ein Meter neunzig Mann tatsächlich nett erscheinen, aber sein Tonfall klang eher herablassend. Seine schmalen, genussfeindlichen Lippen unterstrichen diesen Eindruck.

„Übrigens hatte sich unser Personalvorstand trotz Ihrer mangelnden Erfahrung einstimmig für Sie entschieden. Nicht, dass Sie also an Ihren Fähigkeiten zweifeln möchten, Fräulein Dogan. Ihre Aufgabe, die OK Bekämpfung, wird bis auf Weiteres nicht besonders anspruchsvoll für Sie sein.

Kommissar Katzorke, der vor Ihnen die Stelle innehatte, überlässt Ihnen die Stadt sowie das nähere Umland quasi besenrein.“

Er machte eine rhetorische Pause, um den Eindruck seiner Worte in ihrem Gesicht abzulesen.

Fatma schluckte. Sie war blass im Gesicht geworden.

“Kommissar Katzorke hat deutsche Rockerbanden zerschlagen und die russische Mafia nach Magdeburg verdrängt. Ja, sogar unsere Albaner haben sich mit ihren Prostituierten zurück nach Hamburg verzogen. Was ich bedauerlich finde, da Hamburg meine Heimatstadt ist.“

Sie nickte und wusste eigentlich nicht, warum.

„Unsere Türken und unsere Araber sehen seit Katzorkes Befreiungsschlag Berlin nur noch als Rückzugsgebiet. Verstehen Sie, was das heißt?“

Fatma öffnete den Mund, doch Müller redete längst weiter.

„Die parken hier nicht mal falsch! Sie möchten nicht auffallen, leben ordentlich mit ihren Familien und möchten, dass alles ganz schön ist. Kommissar Katzorke hat wirklich ganze Arbeit geleistet.“

Fatma hatte den Mund wieder geschlossen. Wieder suchte er vergeblich eine Reaktion in ihrem Gesicht.

Müller lächelte und zeigte dabei seine blitzsauberen dritten Zähne.

„Unser Katzorke hat unter den Berliner Kriminellen gewütet wie der Fuchs im Hühnerstall!“

Fatma spürte die Reste vom Frühstück im Magen, ihr wurde übel.

Wieder sah er sie mit durchdringenden Blicken an. War es blöde Macho Anmache, oder wollte er sie provozieren?

„Eine solche Effektivität können Sie als Berufsanfängerin, Fräulein Dogan, bei allem Diensteifer, den ich Ihnen selbstverständlich gern unterstelle, nicht erreichen!“

Nun lächelte Fatma ihr charmantestes Lächeln, das sie auf ihr Gesicht zaubern konnte. Der hohe Beamte Müller kam durch ihren Liebreiz offensichtlich aus dem Konzept.

„Nun ja, ich wollte damit sagen, es ist das Beste, sie versuchen es von Anfang an erst gar nicht. Zu hohe Ansprüche an sich selbst verderben die Laune. Ich meine, sie sollen ihren Dienst tun und bei uns nicht nur herumsitzen! Aber in der augenblicklichen Lage ist es für unsere Abteilung das Beste, wenn die Kriminalstatistik noch so lange wie möglich unverändert bleibt.

Glauben Sie mir, solange wir nichts tun, wissen die Kriminellen dieser Stadt nicht, was wir vorhaben. Nach Katzorkes Kahlschlag ist das abschreckend genug.“

Fatma verbarg ihre Enttäuschung und antwortete ihrem Vorgesetzten loyal.

„Ich freue mich über meinen neuen Auftrag und werde alles dafür tun, Sie nicht zu enttäuschen, Herr Müller!“

Er sah sie einen Augenblick lang versonnen an. Sein Mund verzog sich zu der Form eines Fischmauls.

„Schön, dass Sie ihren begreiflichen Ehrgeiz zügeln wollen. Es mag nicht der allgemeinen Vorstellung über die Polizei entsprechen, aber unsere Macht besteht vor allem aus Drohpotenzial. Aus Schein! Wenn alle potentiell kriminellen Bürger von Berlin ahnen würden, wie schwach wir tatsächlich sind, hätten wir im Handumdrehen Anarchie!“

Fatma spürte, wie ihr unter seinem Röntgenblick Schweißperlen den Rücken hinunterliefen. Worauf wollte er eigentlich hinaus?

„Aber das ist die höhere Schule. Ich möchte sie nicht unnötig verwirren.“

Er zog seine blassblauen Augen von ihrer Oberfläche ab.

„In Ihrem Alter habe ich auch noch an das Märchen geglaubt, dass wir alle hier tagtäglich auf Verbrecherjagd sind. Unsere Realität sieht leider ganz anders aus.“

Fatma stellte sich vor, wie ihr Chef langsam vom Boden abhob, durch das geöffnete Fenster hinaus in den Himmel über der Stadt schwebte, um dort mit einem lauten Knall zu zerplatzen.

Müller schaute sie einen Moment lang über die Ränder seiner Lesebrille hinweg misstrauisch an.

„Sie hätten auch eine Karriere als Model einschlagen können. Aber, was soll´s, nun sind Sie halt Kommissarin geworden.“

Fatmas Gesicht blieb maskenhaft. Am Abend drohte ihr ein schmerzhafter Muskelkater im Gesicht, wenn sie ihre Gefühle weiterhin so angespannt kontrollierte.

Müller zog resignierend und mit einem Seufzer seine gepolsterten Schultern hoch und deutete auf die Tür.

„So viel zur Einführung, Fräulein Dogan.“

Mit betulichen Altherrenmanieren begleitete er sie bis zur Tür. Fast sah es so aus, als wolle er sich dabei nur ihre körperliche Nähe nicht entgehen lassen.

„Kommen Sie einfach vorbei, wenn Sie etwas auf dem Herzen haben!“

„Vielen Dank! Auf Wiedersehen, Herr Müller!“

Im Gang vor seinem Büro holte sie tief Luft. Wo war sie hier bloß gelandet?

Vor allem dieses an Tristesse kaum noch zu überbietende Büro! Welch ein Arbeitsplatz! In der Stellenausschreibung las sich das noch ganz anders. Zum Glück verbesserte sie sich wenigstens beim Gehalt.

Obwohl das Fenster noch offen stand, roch es weiterhin muffig! Wie früher in der Umkleidekabine beim Schulsport.

Morgen wollte sie sich eine stark duftende Zimmerpflanze ins Büro stellen, eine mit ganz geringem Lichtbedarf. Ihre Blumenhändlerin würde ihr bestimmt die passende Pflanze empfehlen.

Auf ihrem Schreibtisch fand sie inzwischen ein Stapel Akten abgelegt. Aus der Registratur im Kellergewölbe des Hauses. Ein Zettel darauf, der mit unleserlichem Kürzel versehen, sie aufforderte.

„Bitte um Durchsicht!“

Sie blätterte den Stapel oberflächlich durch, es handelte sich vorwiegend um endgültige Aktenanlagen. Keine aktuellen Fälle, die bearbeiteten wohl Kollegen.

„Das werde ich mir mal über die Datenbank ansehen.“

Sie schaltete ihren Computer ein, doch der Bildschirm blieb schwarz.

„Der Anschluss funktioniert noch nicht. Liegt an der defekten Leitung.“

Fatma wirbelte herum, als sie die Stimme des jungen Kollegen mit dem Stoppelschnitt auf dem Schädel in ihrem Rücken vernahm.

Unhörbar leise hatte er ihre Bürotür aufgemacht.

4.

Die U7 näherte sich der Station Yorckstraße, als Sandors Blick zufällig den Anzeigentext eines Stellenangebots in der BZ erfasste.

„Intelligenter Blindenhund mit rhetorischem Geschick gesucht.“

Darunter eine Telefonnummer.

„Was bedeutet das denn?“

Niemand im Abteil beachtete seinen Ausspruch. Die Bahn bremste, er stand auf und ging zum Ausgang. So etwas Verrücktes hätte Sandor nicht einmal in sein neues, vom Genre her märchenhaftes Drehbuch geschrieben. Eine verschlüsselte Botschaft in einer Boulevardzeitung.

„Ein Gag?“

An der Station Yorckstraße kam er wieder ans Tageslicht.

„Glaubt einem keiner, wenn man das in ein Drehbuch schreibt!“

Er riss im Gehen die Anzeige aus der Zeitung und stopfte den Rest von dem Blatt in einen Abfalleimer. Im Copyshop mit der BZ unterm Arm aufzutauchen, kam weniger gut an. Junge Philosophie Studentinnen standen auf andere Literatur.

Den originellen Anzeigentext klemmte er zwischen zwei Seiten seiner Lektüre des französischen Philosophen Roland Barthes.

Der vielversprechende Titel: „Der Tod des Autors“.

Eine abgegriffene Lektüre, die er während seines Jobs gelegentlich demonstrativ in der Hand hielt. Vor allem, wenn zufällig hübsche Studentinnen den Laden betraten.

Seine Kollegin von der vorherigen Schicht wartete schon ungeduldig auf ihn. Er hatte sich verspätet, sie einen wichtigen Termin.

Schnell überprüfte er ihre Abrechnung und löste sie ab. Seine Schicht dauerte offiziell bis zweiundzwanzig Uhr. Manche Frühaufsteher gingen dann schon wieder zu Bett. Mit solchen Leuten pflegte er keinen Umgang.

Die Kasse musste immer stimmen, bis auf zehn Cent genau! Fehlte ein Betrag, wurde der vom Trinkgeld abgezweigt.

Am Schichtanfang hatte jeder Mitarbeiter die neuesten Defekte an den Kopiermaschinen in der Wartungsliste einzusehen. Bei Schichtende die Defekte eintragen und sämtliche Papierkörbe in einen Container entleeren.

Dafür gab es offiziell zehn Minuten Zeit.

Die genügte jedoch nicht, wenn die Kasse nicht stimmte.

Frühestens um zweiundzwanzig Uhr dreißig verließ er normalerweise seinen Arbeitsplatz. Oft wurde es jedoch später, bis er zuhause war. Kaum Gelegenheit für ihn, Freizeitbeziehungen mit der tagesgeschäftigen Welt zu pflegen.

Sandor betrachtete von seinem Tresen aus seine Kundschaft an den Kopierern. Heute war Rentnertag im Copyshop.

„Der demographische Wandel.“

Er brummelte ärgerlich vor sich hin, denn die Omas und Opas an den Kopierern kamen selten allein mit den Geräten klar. Zusätzliche Arbeit für ihn.

Sandor seufzte und ließ seinen Roland Barthes unter dem Tresen verschwinden.

Die elektronischen Displays an Kopierern waren von Technikern gestaltet und programmiert worden, die sich über die kognitiven Einschränkungen im Alter keine Gedanken machten. Bei falscher Bedienung legten Geräte plötzlich wie vom Teufel besessen los.

Manche Einstellungsebenen und Modi für A4 Quer- oder Hochformat, A3 Sortieren, hell oder dunkel, ein- oder beidseitig, Einzel- oder Stapeleinzug blieben je nach Hersteller auch ihm als Profikopierer nicht immer erklärbar.

„Mensch, Cyborg, bitte nicht wieder im Schleudergang!“

So redete er nur mit einer der Maschinen, wenn sie wieder einmal wie vom Teufel besessen Fehldrucke auszuspucken begann. Ein Gerät, das theoretisch alles konnte, aber dessen Hersteller einen dermaßen genialen Modus eingebaut hatte, der alle in den Wahnsinn trieb. Solch elementare Aussetzer von Elektronik waren anders nicht zu erklären.

„Junger Mann, eine Frage. Könnten Sie mal vorbei kommen?“

„Gleich.“

Wie erwartet, so ging die Schicht los.

„Gleich. Bin gerade dabei, Seiten zu zählen.“

Sandor konnte sich mit Zahlenreihen selbst hypnotisieren. Weil sie für ihn eine kryptische Zeichensprache waren. Für seine Copyshop Kunden sah er dabei voll konzentriert aus. Sie warteten voller Respekt und geduldig, bis er bereit für sie war.

Zuvorkommend zu sein gelang ihm gelegentlich auch. Zum Beispiel, wenn eine Rentnerin mit zerschlissener Tasche hilflos im Laden stand.

Da half er gern. Fehlkopien berechnete er nicht. Gab ihr mehr Wechselgeld heraus.

Sobald keine Kunden im Laden waren, redete er mit sich laut. Vor allem, wenn er wegen Fehlfunktionen mal wieder stundenlang zwischen den Schrottgeräten hin und her hetzen musste.

„Verfluchte Schrotthaufen! Saftladen!“

Der Kopierauftrag musste irgendwie fertig gebracht werden.

Gegen Abend hingen seine Arbeitsstunden immer zäher an ihren Minuten. Die Zeit lief wie eine Saftpresse. Am Ende kommt immer das Dicke heraus. So rückten die Zeiger der großen Wanduhr gegen Schichtende immer langsamer vor. Die Rentner waren schon längst wieder zu Haus.

Neue Kunden drängelten, holten spät noch Aufträge ab.

Am Abend hatte es jeder eilig. Leider hatte Sandor einen Kundenauftrag, der falsch einsortiert war, schlicht übersehen. Das gab Ärger.

„Ich rufe ihren Vorgesetzten an. Geben Sie mir seine Nummer.“

„Bitte, aber dann mache ich Feierabend. Sofort!“

Manche monierten, reklamierten, meckerten und stritten mit ihm, als hätte er an allem Schuld.

„Sehen Sie sich um! Ich mache den Service ganz allein hier.“

Was für ein gebrauchter Tag! Gerade wollte er sich ausgiebig ereifern, als eine göttliche Erscheinung den Laden betrat.

Eine sensationelle Frau!

Er erinnerte sich.

Diese Studentin, mit langen dunklen Haaren, war vor kurzem nachmittags schon einmal da gewesen. Tagsüber wirkte sie unscheinbar. Es gibt Menschen, die blühen erst zu später Stunde in Schönheit auf.

Sie blickte sich nach einem freien Kopierplatz um.

Sandor spürte einen Kloß im Hals. Gleich würde sie ihn ansprechen. Leider nur, weil sie kopieren wollte. So viel war klar.

Ihm stockte der Atem, als sie auf ihn zu schwebte! In ihren zerrissenen Jeans, mit dem Einblick in erotische Zonen und einem weichen Schimmern in den Augen! Was für Augen!

Sandor tastete nach seinem Roland Barthes.

Sie lächelte.

Dann zog sie ein Manuskript aus ihrer Umhängetasche.

„Mit Einzug vom Blatt kopieren und anschließend heften! Welchen Kopierer kann ich dafür verwenden?“

Sandor krächzte heiser.

„Nummer drei!“

Bekam einen Hustenanfall, räusperte sich sodann vernehmlich und stellte den Kopienzähler von Nummer drei auf Null.

„Kann losgehen!“

Als sie sich abwandte, beobachtete er bewundernd ihr elegantes Schweben in Richtung von Nummer drei. Auch ihr nettes Lächeln war ihm nicht entgangen. Als wäre er ihr in einem früheren Leben schon einmal begegnet.

Sandors Herzfrequenz blieb konstant auf dem Level von Hardcore Techno. Ein Gespräch mit ihr anfangen! Aber wie?

Er schaute auf Roland Barthes und zögerte. Die Masche zog doch schon lange nicht mehr. Alles andere, was ihm als Thema einfiel, hing öde mit dem Kopieren zusammen. Über den baldigen Herbstanfang zu kommunizieren, erschien ihm auch nur als der perfekte Töter. Gähn!

Bei bester Gelegenheit, Leere im Hirn.

Ausgerechnet jetzt!

Fieberhaft forschte er in seinem Repertoire. Den angebrochenen Abend mit dieser schlanken, traumhaft schönen Lady verbringen? Er dachte noch nicht einmal an eine Nacht, die allgemein schönste Entschädigung für jede Plackerei.

Der Minutenzeiger schien zu beschleunigen. Ganz sicher, Minute für Minute rückte immer schneller der Ladenschluss herbei. Dann wäre die Begegnung mit ihr unwiderruflich vorbei.

Er müsste die verblieben Kunden hinaus bitten, die Eingangstür hinter ihnen abschließen.

Wenn er sich an die Regeln hielt.

5.

Kommissar Katzorke hatte bei seinen Nachforschungen außerhalb seiner Dienstzeit eine Wohnung in einem vierstöckigen Mietshaus im Stadtbezirk Mariendorf ins Visier genommen. Bisher ergebnislos.

Laut Aktenlage, mit der er sich morgens im Büro erneut zu beschäftigen hatte, residierten dort Mitglieder einer neu aufkommenden, kriminellen Bande.

Die Akte über die Herrschaften war ein Prachtexemplar.

„Die größten Dilettanten des Berliner Polizeiapparates präsentieren hier eindrucksvoll ihr persönliches Versagen.“

Katzorkes Hände zitterten vor Wut.

Selten hatte er ein nachlässigeres Stückwerk an Ermittlungsarbeit vor Augen gehabt. Solch einen Pfusch von ermittelnden Streifenhörnchen! Solche schriftlichen Protokolle der unleserlichsten Art!

„Nicht zu ermitteln! Das geht in Buxtehude vielleicht!“

Schimpfte er und las sich diesen Satz immer wieder vor: „Nicht zu ermitteln“.

Die drei Worte fast das Einzige, was er von dem Gekritzel überhaupt entziffern konnte.

Selbst bei seinem gewohnten Verständnis für unter Stress ermittelnde Streifenbeamte, das Geschmiere war Arbeitsverweigerung.

„Eine Verspottung der höheren Dienstgrade!“

Laut Anmerkung am Seitenrand des Protokolls, von wem auch immer in die Akte hineingeschrieben, hätten die Beamten nebenbei noch einen fliehenden Bankräuber zu verfolgen gehabt.

Für Katzorke war das eine faule Ausrede.

Daraufhin hatte er minutiös die Tagesereignisse parallel zu diesem Fall recherchiert und festgestellt, dass sie auch den nicht geschnappt hatten.

Immerhin, gelogen hatten sie nicht.

„Totalversager!“

Katzorke vermutete Alkohol im Dienst. Aber sich an höherer Stelle über die beiden zu beschweren, brachte nichts.

„Wir scheißen uns ja innerhalb der Polizei nicht gegenseitig an. An diesem Beispiel sieht man, wohin das führt.“

Die Verdächtigen waren laut Protokoll zweifelsfrei Bürger aus Griechenland. So viel konnte er endlich entziffern. Der übrige Rest blieben vage Vermutungen und arge Beschuldigungen von angeblichen Zeugen seltsamer Vorfälle.

Mutmaßlich Verleumdung.

Als Beweise der „organisierten Kriminalität“ waren in dem Bericht Vorkommnisse aufgeführt, wie zum Beispiel nächtliche Transportaktivitäten von schweren Gegenständen im Treppenhaus des vierstöckigen Mietshauses. Außerdem nächtliche Zusammenkünfte männlicher Personen in der Wohnung der Griechen.

„Nächtliche Ruhestörung? Welcher Kollegenschuft hat mir diesen Fall zugespielt? Ein Bagatelldelikt!“

Katzorke knurrte wütend seine Prognose des Falls gegen die weiße Wand seines Büros und tigerte minutenlang heftig schwitzend auf zwei Quadratmetern hin und her.

„Mir meine Zeit rauben! Nicht mit mir!“

Er beschloss, diesen Fall besonders schnell abzuschließen.

Er kannte einige Griechen persönlich. Sie betrieben in Berlin freundliche Restaurants. Einfach mal nachfragen. Wegen dieses völlig überbewerteten, läppischen Nachbarschaftsstreits. Wäre ein Ansatz.

Nur, welche begründeten Verdachtsmomente konnte er überhaupt vorbringen? Das wollte sich seinem Verstand auch nach noch intensiveren Recherchen im alten Aktenbestand über Mariendorf nicht erschließen.

Katzorkes an sich schon notorisch schlechte Laune hatte ihren absoluten Tiefpunkt erreicht.

Welcher Kollegenschuft wollte seine Fähigkeiten als analytischer Ermittler auf die Probe stellen? Er öffnete die Tür seines Büros, lugte hinaus ins Großraumbüro. Dort herrschte eine unauffällige Arbeitsatmosphäre.

Katzorke war nach einem frustrierenden Arbeitstag nichts übrig geblieben, als eigene Ermittlungen aufzunehmen.

Er würde sich an diesem Fall nicht die Zähne ausbeißen.

Tags darauf arbeitete er eine Liste griechischer Restaurants ab. Rief hier und da seine Bekannten an, erkundigte sich nach den Konditionen für eine angebliche Familienfeier. Dabei erwähnte er Gastronomie Lieferanten, erwähnte die Namen der Verdächtigen Personen aus seiner Akte. Die aus Mariendorf.

Ergebnislos! Lebensmittelimporte aus Griechenland? Lieber Gott! Das war höchstens eine Angelegenheit für den Zoll!

Katzorke grübelte bald mehr über die Motive derjenigen, die ihm diesen Fall auf den Schreibtisch gezaubert hatten, als über eventuelle Zusammenhänge mit aktenkundigen Personen!

Vielleicht gab es ja irgendeinen höheren Beamten innerhalb seiner Behörde, der aus welchen Gründen auch immer persönlich etwas gegen Griechen hatte?

„Ein dummer Rassist mit Beamtenlaufbahn!“

In der Presse waren gelegentlich Vorwürfe wegen Ausländerfeindlichkeit inmitten der Berliner Polizei aufgetaucht. Katzorke grübelte auch in diese Richtung.

Geschmacklose Witze kursierten gelegentlich, aber das ergab sich schon allein aus dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Den üblichen Prozenten an Dumpfbacken.

Dennoch vernachlässigte er diese Hypothese nicht. Niemals ein Motiv von vornherein ausschließen! So hatte Katzorke Polizeiarbeit gelernt.

Aber Ermittlungen aus rassistischen Motiven gegen ein paar Schinken, Wein und Gastronomiebedarf importierende Griechen seitens der Polizei? Auf diese Art von rassistischer Schikane musste einer erst mal kommen!

Grotesk, hörte sich absolut nicht so an wie die Lösung des Falls.

Andererseits, es gab in der Geschichte der Behörde einige pikante Fälle.

Entführungsopfer durch Inkompetenz ums Leben gebracht. Mord aufgrund von Schlamperei nicht aufgeklärt. Nur weil in der Maschinerie einer Behörde ein Rädchen nicht in das andere gegriffen hatte, ein Großkopferter sein Rad ganz alleine drehen wollte.

„Acht Stunden vergeudet!“

Brummend vor übler Laune hatte Katzorke an diesem Abend mit unbeweglicher Maskenmiene den Ausdruck seiner Online Recherche des Falls in der Aktentasche vorbei an den gemeinen Kollegen in seinen angeblichen Feierabend getragen.

„Schönen Feierabend, Katzorke!“

Fick dich selbst, dachte er wortlos beim Hinausgehen.

Seine Freizeit opfern wegen der Schlamperei von Kollegen!

Erst kürzlich hatte er sich nach kritischer Selbstanalyse ein Hobby als Ausgleich zum Berufsstress verordnet. Einfach mal zur Ruhe kommen! Ein unbekannter Zustand, seit der Kindheit nicht mehr erlebt!

Sein neues Hobby sollte der Aufbau einer Modellstadt werden.

Mit kleinen Häusern, Eisenbahnen, elektrischen Miniaturautos, rauchenden Fabrikschloten und Minimenschen. Kurz, seine Idealstadt, in der von oben betrachtet alles so funktionierte, wie er es für richtig hielt.

Mit dem totalen Überblick. Er würde genau wissen, was in jedem Winkel geschieht.

Am Alexanderplatz war er auf diese Idee gekommen. In einem Einkaufszentrum war dort eine gigantische Modelllandschaft aufgebaut. Wo Kinder wie Erwachsene staunend drum herum standen.

Stundenlang war er an den Tischen mit den Aufbauten gestanden. Schon damals wäre am liebsten unter die Tische in das Innere der Anlage hinein gekrochen.

Aber dann fehlte ihm wie immer die Zeit, seine Pläne für ein eigenes Modell voranzutreiben.

Nach dem Abendessen also erneut auf Verbrecherjagd!

So sah Katzorke eine gesunde Berufsauffassung. Keine Pause, solange ein Fall nicht gelöst war!

Lieber ohne Nachtschlaf am nächsten Tag vor Müdigkeit implodierend, aber die Akte mit einem positiven Vermerk an die Dienststelle in Mariendorf sendend, als morgens ohne Ergebnis seinen Dienst anzutreten.

Laut aktuellem Kartenmaterial vom Bezirk Mariendorf stellte er fest, dass sich gegenüber der bezeichneten Wohnung in Mariendorf eine Kleingartenkolonie befand.

Zu später Abendstunde unter der Woche würde sich dort bestimmt niemand aufhalten. Er fuhr mit seinem Kombi dort hin.

Auf einem der Gartenwege war mit geübten Griffen im Dunkeln bald seine Überwachungsdrohne in Startposition gebracht.

Geschickt lenkte er sie per Fernsteuerung dicht an den beleuchteten Fenstern im dritten Stockwerk vorbei. Das Flugmanöver war nicht einfach. Bäume mit ausladenden Ästen standen im Weg.

Zehn Minuten Akkulaufzeit, dann musste er mit den Aufnahmen fertig sein.

Als sein Fluggerät von der Erkundung zurück war, packte er es vorsichtig in eine große Sporttasche. Augenblicklich sah es so aus, als käme er vom Training in einem der Mariendorfer Sportvereine.

Zu Hause wollte er die Aufnahmen gleich anschauen. Gemütlich bei einem Gläschen Weinbrand mit Cola.

Bekannt war diese alkoholische Mischung auch unter dem Namen „Futschi“!

6.

Wer schnell aufsteigt, läuft Gefahr, eine große Anzahl von Neidern auf den Plan zu rufen.

Der neuen Kommissarin Fatma, Deutsch Türkin der dritten Generation, waren alle Vorbehalte gegen ihre Person innerhalb der Abteilung „Organisierte Kriminalität“ im LKA bewusst. In der Reihenfolge ihrer Bedeutung.

Erstens Frau, zweitens aus einer türkischen Familie, drittens Berufsanfängerin.

Trotzdem hatte sie vor, sich Respekt innerhalb der Behörde zu verschaffen. Vor allem in ihrer Abteilung.

Nicht Auffallen als vornehmste Berufsauffassung, lautete die Dienstanweisung ihres Vorgesetzten Müller. Schlaflose Nächte hatte sie seit dieser Ansage verbracht. Einfach Ignorieren erschien gefährlich, denn sie war ja noch in der Probezeit.

Die zerstörerische Wirkung dieses inneren Konflikts konnte sie jeden Morgen im Spiegel beobachten.

„Meine Haare sind krank.“