KonfettiChaos - Sibylle Luig - E-Book

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Sibylle Luig

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Beschreibung

Ein Buch wie ein Glas Chablis! (Freya petersen) Die Autorin und Literaturagentin Julia hat einen coolen Deal gelandet. Aus einer Zufallsbekanntschaft im Kölner Karneval ergibt sich der Auftrag, ein Drehbuch zu schreiben. Die Filmproduktionsgesellschaft Filmfreunde schickt Julia auf die Nordseeinsel Langeoog. Hier soll sie in den ruhigen Wochen vor Ostern den faden Roman eines ehemaligen Bestsellerautors in das Drehbuch für eine bitterböse Komödie verwandeln. Doch mit der Ruhe ist es so eine Sache, wenn Benedikt Opladen, der Produzent des Films, mit seiner ganzen Familie ebenfalls auf Langeoog ist. Vor allem sein attraktiver Cousin Hanno erschwert Julia die Aufgabe, aus einem faden Stoff etwas anderes als eine Romanze zu machen …

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KonfettiChaos

Sibylle Luig

Impressum

www.verlag-monikafuchs.de

www.sibylle-luig.de

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de abrufbar.

Unter der ISBN 978-3-947066-50-6 – auch als Printbuch erhältlich

© 2021 Verlag Monika Fuchs | Hildesheim

Text: Sibylle Luig

Cover-/Umschlaggestaltung: Buchgewand Coverdesign | www.buch-gewand.de

Verwendete Grafiken/Fotos: Veronika; Galina; SimpLine; Shara; lichtbildmaster; Tim Aßmann (alle stock.adobe.com); julieboro; bejotrus (alle depositphotos.com)

Layout und Satz: Die Bücherfüxin | Hildesheim | www.buecherfuexin.de

Lektorat: Casjen Griesel

Alle Teile dieses Buches sind urheberrechtlich geschützt. Vervielfätigungen, Abdrucke, Bearbeitungen, Verfilmungen etc. sind nur mit Erlaubnis der Rechteinhaber gestattet. Anfragen richten Sie bitte an den Verlag.

Inhalt

1

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Die Autorin

1

Der Zug rauschte mit zweihundert Sachen durch die kahle Februarlandschaft und brachte Julia Kilometer für Kilometer ihrer Heimatstadt näher. Sie hatte es sich im Großraumwagen des ICE nach Köln bequem gemacht, vor sich auf dem Tisch einen Stapel bedruckter Seiten. Lustlos blätterte sie darin herum, als ihr Handy klingelte und eine ihr unbekannte Nummer im Display anzeigte. Der Anrufer konnte nur Herbert Weidel sein, der Bestseller-Autor, mit dessen Manuskript sie sich gerade abmühte. Sie hätte sich denken können, dass er nicht so einfach aufgeben würde.

»Wollen Sie nicht drangehen?« Die Frau auf der anderen Seite des Tisches zeigte auf das klingelnde Handy.

Wollen ist definitiv das falsche Wort, dachte Julia. Ich will nicht, aber ich muss wohl. Sie nahm das Telefon.

»Julia Krings.«

»Julia! Wie schön, dass ich Sie erreiche.«

»Hallo, Herr Weidel.« Sie gab sich Mühe, freundlich zu klingen.

»Ich wollte mich noch einmal melden. Sie sind vorhin so hastig aufgebrochen, gerade als wir an einem wirklich wichtigen Punkt in meinem Manuskript waren!«

»Ja?« Julia konnte sich an den Punkt im Gespräch nicht mehr erinnern. Sie war aufgebrochen, als er zum dritten Mal die Hand auf ihr Knie gelegt hatte, um ihr eine vermeintlich wichtige Stelle im Text zu zeigen.

»Wir sind doch gewissermaßen gemeinsam auf einen Höhepunkt in der Geschichte zugesteuert.«

Herbert Weidels Stimme war laut und euphorisch. Julia spürte förmlich die neugierigen Blicke der Frau gegenüber.

»Ein gewisser Höhepunkt?«, wiederholte sie. Welcher Höhepunkt sollte das gewesen sein in einer Geschichte, die von einer amourösen Begegnung zur nächsten mit größtmöglicher Belanglosigkeit vor sich hinplätscherte?

Herbert Weidel sah das offensichtlich anders: »Ja, ja. Sie sind weggelaufen, als es spannend wurde! Genau in dem Moment, in dem Paul realisiert, dass er seine Traumfrau schon längst getroffen hat.«

Auf einmal konnte sich Julia wieder an die Stelle im Text erinnern, an der sie abgebrochen hatte. Der Held war in einem Blumenladen auf Sylt, um mitten im August einen riesengroßen Strauß Tulpen für seine Freundin zu kaufen. Die Szene lebte von einer ebenso anschaulichen wie ausführlichen Beschreibung des wogenden Dekolletés der Floristin, die langsam Tulpe für Tulpe in den üppigen Strauß steckte. Sie hatte sich den Kommentar erspart, dass es im August keine Tulpen gibt. Der Text war voller falscher Bilder und sie hatte an dieser Stelle bereits aufgehört, sie anzumerken.

»Er merkt, dass die Blonde seine Traumfrau ist, als er mit der Floristin flirtet?« Julia kniff die Augen zusammen. Die Nachmittagssonne, die zum Zugfenster reinschien, blendete sie.

»Na ja, vielleicht nicht genau in diesem Moment. Außerdem ist sie keine Floristin, sondern …« Herbert Weidel brach ab, ihm war offenbar entfallen, welchen Beruf die Frau ausüben sollte, die in seinem Manuskript in einem Blumengeschäft arbeitete.

»Ah, okay, da weiß Paul es also noch nicht, dass er seine Traumfrau schon gefunden hat.« Julia versuchte, ihre Stimme möglichst neutral klingen zu lassen. Um sich abzulenken, klemmte sie sich das Handy unters Kinn und wollte das Rollo vors Fenster ziehen. Es gelang ihr nicht.

»Aber nicht lange danach!« In Herbert Weidels Stimme klang Triumph mit.

»Nicht lange danach?« Julia ließ vom Rollo ab und blätterte im Manuskript.

»Ah, dann ist es sicher, als er die mit dem lustigen Pferdeschwanz fragt, ob sie mit ihm am Strand reiten gehen möchte, oder?«

»Nein, natürlich nicht! Doch nicht in dieser Szene!« Man hörte Herbert Weidel an, wie absurd er diesen neuen Vorschlag fand.

»Ich dachte, da wird ihm vielleicht bewusst, dass es keine gute Idee ist, so viel Zeit mit anderen Frauen zu verbringen?« Julia blätterte weiter.

»Oder bei dem One-Night-Stand mit dem zwanzigjährigen Model?« Es fiel ihr immer schwerer, nicht in offenen Sarkasmus zu verfallen.

»Wie kommen Sie denn da drauf?« Ihr Gesprächspartner war jetzt wirklich irritiert.

»Nur so eine Idee wegen der zeitlichen Nähe.« Julia atmete tief durch.

»Nein, also es ist eher so …« Herbert Weidel verstummte. »Wie war noch mal Ihre Frage?«

Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, zähl­te Julia in Gedanken und nahm dann einen großen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Dies wäre der perfekte Moment, Herbert Weidel zu bitten, aufzulegen und sich mit seinem Manuskript an eine andere Literaturagentur zu wenden. Aber leider war das keine Option. Herbert Weidel war schließlich nicht irgendwer, sondern ein gefeierter Autor, und sie war eine kleine Lektorin, die erst vor einem halben Jahr eine Literaturagentur mitgegründet hatte. Das Buch war schrecklich und noch dazu schrecklich langweilig, aber sie musste einen Weg finden, ihm höflich klar zu machen, dass dieser Text im Moment noch nicht bereit war für eine Veröffentlichung. Dass er es wohl nie sein würde, brauchte er schließlich nicht von ihr zu erfahren.

Sie setzte erneut an: »Wissen Sie, Herr Weidel, es ging mir bei der Frage um den Spannungsbogen in Ihrer Geschichte. Ich glaube, die Leser möchten wissen, wann ihm auffällt, dass die Blonde seine Traumfrau ist.«

»Also wirklich, Julia!« Jetzt war Herbert Weidel nicht mehr irritiert, sondern beleidigt. »Erstens haben diese Frauen alle Namen und außerdem, es geht doch wohl nicht darum, auf die Sekunde genau festzulegen, wann er gemerkt hat, dass er nur Jessica liebt.«

»Jessica?« Julia überschlug ein paar Seiten. »Ich dachte Jacqueline?«

Es herrschte einen kleinen Augenblick Stille am anderen Ende der Leitung. Dann hatte sich Herbert Weidel gefangen.

»Meine ich ja, Jacqueline! Natürlich Jacqueline. Haben Sie das Buch überhaupt gelesen?«

Julia schaute aus dem Zugfenster in die gleißende Sonne des letzten Februartages. Hatte er gerade den Namen seiner Protagonisten verwechselt und ihr dann vorgeworfen, das Buch nicht gelesen zu haben? Die Sonne blendete sie zu stark. So konnte sie sich nicht konzentrieren. Sie legte das Handy auf den Tisch und stand auf, um mit beiden Händen am Rollo zu ziehen.

Ihre Nachbarin stand auch auf und winkte ihr herrisch zu. »Lassen Sie nur! Ich mach das!«

Julia setzte sich wieder und nahm erneut das Handy ans Ohr.

»Wo waren wir stehen geblieben? Wollten Sie mir gerade erklären, worum es in dem Roman geht?«

»Julia, hören Sie mir überhaupt zu? Das habe ich doch eben schon mal gesagt.«

Die Frau hatte das Rollo heruntergezogen und saß jetzt wieder Julia gegenüber. Sie hatte Nüsschen aus ihrer Tasche geholt, und während sie wie ein Eichhörnchen an ihnen knabberte, ließ sie Julia nicht aus den Augen.

Julia nahm das Telefon vom Ohr.

»Soll ich auf Lautsprecher stellen?«

»Geht das? Ich verstehe ihn nur schlecht.« Die Frau strahlte.

Julia verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.

»Mit wem reden Sie denn da?« Jetzt klang Herbert Weidel vorwurfsvoll. Der hatte echt Nerven.

»Ich sitze im Zug und hier ist eine Dame, die fasziniert unsere Unterhaltung verfolgt.«

Die Dame nickte und schob Julia die Nüsschen rüber. »Bedienen Sie sich!«

»Wieso sind Sie denn im Zug?«

Julia nahm sich eine Erdnuss und steckte sie sich in den Mund. Herbert Weidel wurde ungeduldig.

»Sagen Sie doch was, Julia. Wo fahren Sie denn hin?«

»Ich fahre nach Köln, um endlich Karneval zu feiern.«

Sie biss sich auf die Lippen, das »endlich« hätte sie sich sparen können, aber er hörte ihr sowieso kaum zu.

»Karneval? Also das ist eine Art von Humor …«

»… mit der Sie nichts anfangen können. Ich weiß, Sie erwähnten es.« Mit welcher Art von Humor er etwas anfangen konnte, hatte er nicht gesagt.

»Jetzt fahren Sie nach Köln zurück?«, unterbrach Herbert Weidel ihre Gedanken. »Ich dachte, wir beide … Also ich hatte den Eindruck, dass …«

»Da müssen Sie sich getäuscht haben, das war wohl die mit den braunen Locken, nicht ich.«

Julia lachte betont fröhlich, um dem Satz die Schärfe zu nehmen. Sie konnte es sich nicht leisten, ihn zu vergraulen.

»Ha, ha«, machte Herbert Weidel.

»Hi, hi, hi«, kicherte die Dame mit den Nüsschen.

»Julia, jetzt hören Sie mir doch mal zu. Ich glaube wirklich, dass Sie und ich, also wir beide zusammen …«

»Das ist eine wunderbare Idee. Lassen Sie uns den Faden hier am Aschermittwoch wieder aufnehmen, dann habe ich Zeit gehabt, mich mit meiner Agenturkollegin abzustimmen. Ich rufe Sie an.«

Don’t call me. I’ll call you, dachte Julia und legte auf, ohne den Protest von Herbert Weidel zu beachten. Lange hätte sie nicht mehr freundlich bleiben können.

»Schade«, kommentierte die Dame.

»Um den ist es nicht schade!« Julia nahm sich noch eine Erdnuss.

»Ich hätte so gerne noch zugehört. Endlich passiert mal was.«

Julia schaute die Frau an: »Endlich passiert mal was?«

»Also, ich finde die Geschichte sehr spannend, aber ich muss leider in Hannover schon aussteigen.« Die Dame zeigte auf den Koffer, den sie sich bereits aus der Gepäckablage heruntergenommen hatte.

»Dann passt es ja.« Julia konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Soll ich Ihnen mit dem Koffer helfen?«

»Ach, das schaffe ich schon. Gute Weiterreise. Ich lasse Ihnen die Nüsse da.« Sie stand auf und zerrte den Koffer umständlich vom Sitz. Auf dem Weg zum Ausgang drehte sie sich noch einmal um. »Sind Sie sich sicher, dass Sie ihm nicht noch eine Chance geben wollen?«

Julia winkte ihr zum Abschied. »Nein, ausgeschlossen, aber danke für die Nüsse.«

Ob der ganze Wagen ihr Gespräch so interessiert verfolgt hatte wie ihre Tischnachbarin? Julia schaute sich um, aber von ihrem Sitzplatz aus konnte sie nur eine Frau an dem Tisch auf der anderen Seite des Gangs entdecken. Sie hatte kurze schwarze Haare und Julia sah, dass sie Kopfhörer in den Ohren hatte. Die hatte sie jedenfalls nicht gestört. Es wirkte sehr gemütlich, wie sie so dasaß mit Musik auf den Ohren, in einen großen Schal gewickelt und vor sich eine Thermoskanne. Irgendwie kam Julia die Frau bekannt vor. Ja, natürlich! Das war doch Dagmar, die sie immer auf den Geburtstagen ihrer Freundin Selda traf.

»Hallo, Dagmar …« Julia stand von ihrem Tisch auf und winkte, um sich bemerkbar zu machen. Die Frau schaute hoch, entfernte die Ohrstöpsel und lächelte Julia an.

»Ich habe dich vorhin schon gesehen, aber du warst sehr beschäftigt, da wollte ich nicht stören.«

»Hättest du mal gestört!« Julia grinste. »Fährst du nach Köln zum Karneval?«

»Ja, ich fahre zu Selda!«

»Ach stimmt! Das hatte sie erzählt. Wie lustig, dass wir im gleichen Zug sind! Willst du dich hersetzen?« Julia zeigte auf den freien Platz ihr gegenüber.

»Gerne!« Dagmar schnappte sich ihre Handtasche und die Thermoskanne und setzte sich zu Julia. »Heute Abend feiere ich mit Selda und Anne. Morgen fahre ich weiter zu Freunden nach Bonn.«

»Das hat Selda erzählt. Oh Mann, ich weiß gar nicht, was sie für heute geplant haben. Ich dachte, ich bin auf diesem Termin in Berlin und kann nicht feiern. Wo geht ihr denn heute Abend hin?«

Auf einmal war Julia nervös. Sie feierte jedes Jahr mit Selda und Anne Karneval und jetzt saß sie hier im Zug. Ohne Kostüm und ohne Pläne für den Abend. Es war eine Katastrophe.

»Wir gehen ins Haus Weyer!«

»Wohin?« Julia wurde immer nervöser. Haus Weyer, was war das denn? Davon hatte sie noch nie was gehört. Eine neue Karnevalslocation und sie war nicht dabei?

»Bei Selda um die Ecke. Haus Beyer oder Weyer oder so.«

»Haus Mayer!« Endlich kapierte Julia, was Dagmar meinte. »Das Weyers ist in Berlin. Da komme ich gerade her.« Sie verzog das Gesicht.

»Kann auch sein. Willst du Tee? Ich habe hier irgendwo noch einen Becher.« Dagmar kramte in ihrer Tasche.

»Gerne. Ich muss nur kurz Selda und Anne fragen, ob ich noch mitkommen kann.«

Sie wählte Annes Nummer. »Habt ihr noch eine Karte für heute Abend?«, fragte sie statt einer Begrüßung, sobald Anne ans Handy gegangen war.

»Bist du schon wieder da?« Anne war überrascht.

»Gleich!«

»Großartig. Wir brauchen keine Karte. Der Bruno ist in der Küche, der lässt dich rein. Kein Problem! Ich freu mich so!«

»Aber ich brauche ein Kostüm. Wir sind um vier in Köln. Ihr verkleidet euch sicher bei Selda, oder? Dann fahren wir einfach zusammen zu ihr«

»Du bringst ihn mit?«

»Wen? Herbert Weidel oder was? Bin ich irre? Ich habe Dagmar im Zug getroffen!«

»Spitze! Bis gleich.« Anne legte auf.

»Alaaf!« Julia prostete Dagmar mit dem Tee zu. »Freust du dich?«

»Und wie!« Dagmar strahlte übers ganze Gesicht. »Ich wollte schon letztes Jahr Karneval feiern und dann hat’s ja wegen des Drehs doch nicht geklappt.«

Selda hatte Dagmar auf der Schauspielschule kennengelernt und inzwischen waren beide erfolgreich im deutschen Fernsehen unterwegs. Julia spürte einen kleinen Stich Neid. Alle hatten Karrieren, nur sie dümpelte mit ihrer Schreiberei und der Agentur so vor sich hin.

»Diesmal ist ja nichts dazwischengekommen!«, sagte sie betont fröhlich.

Sie hatte ihr Handy in der Hand behalten, um ihrer Mutter noch schnell eine Textnachricht zu schreiben. Nach einem Abend im Haus Mayer wollte sie auf keinen Fall mehr quer durch die Stadt in ihre Wohnung in Ehrenfeld fahren. Da würde sie lieber zu Fuß zu ihrem Elternhaus laufen und eine Nacht in ihrem alten Kinderzimmer schlafen.

»Und wieso bist du nicht in Köln? Selda behauptet immer, dass Weiberfastnacht der beste Tag ist.«

»Oh Gott, sprich bloß nicht davon. Der Donnerstag ist so schön und ich musste nach Berlin.«

»Was hast du denn in Berlin gemacht?« Dagmar schenkte sich Tee nach und bot Julia auch noch etwas an.

»Ich hatte einen Termin mit einem Autor, der uns sein Manuskript zur Vermittlung anbieten wollte.«

Julia schob ihr den Becher entgegen.

»Klingt doch gut.«

»Klingt gut, ist es aber leider nicht.« Julia zeigte auf den Haufen Zettel, der vor ihr lag. »Der Inhalt ist genauso unordentlich wie die Aufmachung.«

»Ich verstehe nicht, dass du durch die halbe Republik fährst, weil einer ein schlechtes Manuskript geschrieben hat. Man sollte meinen, dass auch in Köln schlechte Bücher geschrieben werden.«

»Absolut!« Julia verdrehte die Augen und lachte. »Viele sogar! Die Sache bei diesem Autor ist, dass er vor fast vierzig Jahren mal ein Buch geschrieben hat, das verfilmt und in dreißig Sprachen übersetzt wurde. Seitdem steht die literarische Welt stramm, wenn er anruft.«

»Kenn ich das Buch?«

»Das kennt jeder! Mein Herz schlägt laut Berlin.«

»Das ist von dem? Den Film habe ich tausendmal gesehen.« Dagmars Gesicht bekam einen verträumten Ausdruck.

»Der Film ist Kult, aber der Typ ist total daneben. Der dachte, wir gehen sein neues Meisterwerk Satz für Satz zusammen durch. Am besten mit seiner Hand auf meiner Hüfte …« Julia seufzte. »Lesen muss ich es leider. Meine Kollegin flippt aus, wenn sie hört, dass ich den einfach sitzengelassen habe. Ich wollte den Termin unbedingt machen …«

»Du, kein Problem. Ich muss sowieso noch Text lernen.« Dagmar zog einen Hefter aus ihrer Tasche.

»Na, dann!« Julia blättere mit spitzen Fingern durch das angegraute Manuskript bis zu der Stelle, an der der Anruf des Autors ihr Lesen unterbrochen hatte.

2

Als Julia nach zwei weiteren Stunden im Zug das hohle Rattern hörte, mit dem sich die Fahrt über die Hohenzollernbrücke ankündigte, beugte sie sich vor und legte ihr Gesicht an die Fensterscheibe. Sie wollte unbedingt den Dom sehen, der gleich auf der linken Seite auftauchen müsste.

»Was machst du da?« Dagmar betrachtete ihre Verrenkungen.

»Nichts.« Julia löste sich vom Fenster und rieb sich die kalte Wange. »Ich wollte nur wissen, ob wir jetzt da sind.«

Dagmars Kommentar ging im Kreischen der Bremsen bei der Einfahrt in den Bahnhof unter.

»Komm!«

Mit ihrer Reisetasche in der Hand stieg Julia aus dem Zug aus und schaute sich glücklich um. Überall waren kölsche Jecken unterwegs. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, für diesen beknackten Termin nach Berlin zu fahren?

»Hier lang!« Julia hatte es jetzt eilig. Sie lief vorneweg und bahnte ihnen einen Weg durch die rot-weiße Menge.

»Hier sind ja schon alle verkleidet!« Dagmar schaute sich staunend um, während sie versuchte, mit Julia Schritt zu halten.

»Genau!« Julia wollte sich endlich auch verkleiden.

»Und warum so viele in Rot und Weiß?« Dagmar kam kaum hinter Julia her.

»Die kölschen Farben«, rief Julia ihr über die Schulter zu. »Rud und Wieß …«, trällerte sie vor sich hin und gleich fiel eine Gruppe von Frauen, die auf ihren Zug warteten, in die Melodie mit ein.

»Alaaf!« Julia winkte ihnen zu und warf eine Kusshand hinterher. Was für ein Erlebnis, mitten im Karneval in Köln anzukommen! »Wir nehmen ein Taxi!«, rief sie.

»Wow!« Dagmar war auf dem Bahnhofsplatz stehen geblieben und legte den Kopf in den Nacken. Julia folgte ihrem Blick. Der Anblick des Doms in seiner ganzen steinernen Pracht war wirklich überwältigend, aber sie hatten jetzt keine Zeit, ihn zu bewundern.

»Die feiern alle schon seit gestern. Ich halte es nicht mehr aus.« Sie zog Dagmar am Ärmel ihres Trenchcoats zum Taxistand auf der rechten Seite des Platzes.

»Wo darf isch denn de Damen hinbringen?« Der Taxifahrer lehnte mit roter Clownsnase und einen karierten Cappy an seinem Auto, als Julia und Dagmar auf ihn zugesteuert kamen.

»Nach Lindenthal! In die Krieler Straße!« Julia hatte schon die Autotür in der Hand.

Dagmar stieg schweigend ein und blieb, anders als im Zug, die ganze Fahrt über still. Wahrscheinlich fand sie es befremdlich, dass Julia und der Taxifahrer mit der roten Nase ein Karnevalslied nach dem anderen mitsangen, die gerade im Radio gesendet wurden.

»Vill Spasss …!«, wünschte ihnen der Taxifahrer, als sie in der Krieler Straße angekommen waren, und küsste Julia zum Abschied auf beide Wangen.

»Das geht ja gut los!«, kommentierte Dagmar.

»Das finde ich auch!« Julia schnappte sich ihre Reisetasche und ging auf Seldas Haus zu.

Sie klingelten und zum Summen des Türöffners schrie ihnen Selda »Alaaf« durch die Anlage entgegen. Die Musik hörten sie schon im Treppenhaus und an der Wohnungstür begrüßten Selda und Anne sie mit Kölsch.

Julia umarmte Anne und drückte sie, als ob sie sich wochenlang nicht gesehen hätten. Dann prostete sie ihren Freundinnen zu: »Ihr seht herrlich aus!«

Selda und Anne sahen wirklich großartig aus. Sie waren bereits verkleidet und geschminkt. Anne trug ein Cowboy-Outfit in Weiß und Gold wie Elvis Presley, und Selda war eine Kuh. Beide hatten sich um die Taille jede Menge Lasso geschlungen und trugen Lasso-Ohrringe und Lasso-Dutts. Es hatte bestimmt Spaß gemacht, die Kostüme vorzubereiten. Julia hatte dieses Jahr nicht mitgemacht, die Agentur hatte ihre ganze Zeit beansprucht. Jetzt tat es ihr leid, die Karnevalsvorbereitungen verpasst zu haben.

»Ihr müsst euch auch umziehen!«, unterbrach Selda ihre Gedanken. »Die Party geht um fünf Uhr los!«

»Ich habe kein Kostüm!« Nicht zu fassen, dass Julia das mal an einem Freitag im Karneval zu ihren Freundinnen sagen musste.

»Kein Problem, such dir was aus!« Selda zeigte auf die Klamotten, die überall in ihrem Wohnzimmer verteilt lagen.

»Wie wäre es damit?« Lachend hielt Anne ein türkisfarbenes Rüschenkleid hoch, das am Boden gelegen hatte. »Weißt du noch, Selda, da warst du ›die Spitze des Eisbergs‹ drin.«

»Ja, genau. Das war spitze!«

»Da waren wir noch in der Schule, als du das anhattest. Da passe ich im Leben nicht rein!« Julia schüttelte den Kopf.

»Dann nimm doch den hier!« Anne setze sich einen grauen, spitzen Hut aus Pappmaschee auf.

»Was ist das?«, wollte Dagmar wissen, während sie sich ihr rosa Cowgirl-Outfit anzog.

»Das ist der Hut von meinem alten Hinkelstein-Kostüm. Da waren wir mal auf einer Asterix- und Obelix-Party.«

»Ich werde auf gar keinen Fall heute Abend Hinkelstein!« Julia zerrte an einem weißen Kleid, das noch in der Verkleidungsschublade lag. »Guck mal, Krankenschwester wäre doch schön.«

»Du gehst nicht als Krankenschwester«, sagte Anne streng. »Das kommt nicht in Frage.«

»Warum nicht Krankenschwester?« Dagmar zupfte sich ihren Pony unter dem Cowboyhut zurecht.

»Krankenschwester ist einfach …« Julia wollte Dagmar erklären, warum Anne, Selda und sie einander verboten hatten, so offensichtliche Rollenklischees zu bedienen, aber Anne unterbrach sie.

»Ich hab’s.« Triumphierend hielt sie ein türkisfarbenes Kleid und einen goldene Perücke hoch.

»Oh …«, flüsterte Julia ehrfurchtsvoll. »Darf ich, Selda?«

»Na, klar!« Selda schaute kaum hin. Sie war damit beschäftigt, saure Gürkchen und eingelegten Fisch in sich reinzustopfen. »Noch jemand Matjes?«

»O nee, ich habe schon so viel gegessen!« Anne wehrte das Angebot lachend ab. Während auch Dagmar ablehnte, schlüpfte Julia in Seldas Kostüm. »Das Kleid ist der Knaller!« Sie setzte sich die goldene Perücke auf.

»Wie cool! Eine 4711-Flasche!« Dagmar war begeistert.

»Komm, ich schminke dich!« Anne malte Julia ein Herz in Gold und Türkis auf die Wangen.

»Großartig!« Selda hatte endlich aufgehört zu essen. »Und jetzt müssen wir los!«

3

Sie zogen ihre Mäntel an und spazierten lachend im Nieselregen durch das kahle graue Köln zum Haus Mayer auf der Berrenrather Straße. Dagmar, die vor jeder neuen Gruppe kölscher Jecken wieder erstaunt Halt machte, immer ein paar Schritte hinter ihnen.

»Cool mit den Karten vom Karnevalsverein, oder?« Anne gab Selda und Dagmar ihre Tickets.

»Stimmt! Und ich geh durch die Küche rein! Wie früher.«

»Lass mich mal durch die Küche reingehen.« Anne gab Julia ihre Karte. »Ich weiß nicht, ob Bruno dich sofort erkennt. Das ist mein Veedel hier.«

»Danke, Liebelein!« Julia warf Anne eine Kusshand zu.

»Ich glaub, ich höre schon die Musik!« Die letzten Meter zur Kneipe rannte Selda, während sich die anderen kaputtlachten.

Dä Plan von Querbeat fing gerade an und Selda sang schon im Laufen mit. Julia ging hinter ihr her zur Tür rein. Die Kneipe war knallvoll und sie sah absolut niemanden, der nicht tanzte und sang. Alles im Raum schien sich zu dem Beat zu bewegen. Es war herrlich!

Sie zog Dagmar, die fassungslos hinter ihr stehen geblieben war, mit sich mit. Einen Augenblick schauten beide einfach nur gebannt der Party zu. Dann beugte sich Dagmar vor und schrie in Julias Ohr: »Ich glaub’, ich hol’ uns erst mal ein Bier!«

Julia nickte ihr zu: »Top!«

Während sich Dagmar zum Tresen durchkämpfte, blickte Julia sich nach einem Platz für ihren Mantel um. Selda hatte ihre Sachen schon in die extra mitgebrachten Tüten gestopft und in einer Ecke verstaut. Anne war auch aus der Küche aufgetaucht und beide tanzten und sangen, als hätten sie den ganzen Tag nichts anderes gemacht.

Julia war noch nicht soweit. Sie wartete auf Dagmar und das Kölsch und schaute ihren Freundinnen beim Tanzen zu.

Selda und Anne waren ein ungleiches Paar. Selda war groß und sehr schlank. Mit ihren langen schwarzen Haaren und den ebenmäßigen Gesichtszügen war sie klassisch schön. Anne hatte rötliche, gewellte Haare und war etwas kleiner und üppiger. Wobei, wer war das nicht im Vergleich zu Selda? Sie waren zu dritt in die Schule gegangen und genauso lange befreundet. Seit Anne Kinder und Selda eine Karriere hatte, waren sie nicht mehr die besten Freundinnen, aber heute schon. Während sie die beiden so betrachtete, merkte Julia, dass ihre textsiche­ren und fröhlichen Freundinnen bereits die Blicke auf sich zogen.

»Hier«, schnaubte plötzlich Dagmar neben ihr und streck­te ihr vier Kölsch entgegen, damit sich Julia eines davon nehmen sollte. »Ganz schön voll!«

Julia grinste. Logisch war es voll. Das war ja das Schöne. Es war Karneval!

Dagmar kämpfte sich weiter zu Anne und Selda vor, um das Bier abzuliefern, kam dann aber zu Julia zurück. Dagmar sah mit dem rosa Cowboyhut, den rosa Federwimpern und der geblümten Hose mit Fransen wirklich super aus. Selbst passende rosa Stiefel hatte sie sich besorgt.

»Prost!«, sagte Dagmar in Julias Gedanken hinein und fügte hinzu: »Du siehst fantastisch aus«.

»Danke, aber du solltest Selda mal darin sehen!« Julia grinste.

»Ach, Quatsch!« Dagmar nickte ihr zu. »Komm, wir drängeln uns mal zu den Mädels durch!«

Anne und Selda schunkelten in einer Traube von Menschen, die alle Arm in Arm inbrünstig Du bes Kölle… sangen. Julia war sofort klar, dass sie bei dieser Gruppe an echte Kölsche geraten waren. Hier konnten alle den Text Wort für Wort und sangen jede Strophe mit. Großartig, dachte Julia. Genauso soll es sein! Sie schaute zu Dagmar, aber um die musste sie sich offensichtlich keine Sorgen machen. Sie hatte sich von einem Vampir unterhaken lassen und machte passende Mundbewegungen zu dem Lied, das sie bestimmt noch nie in ihrem Leben gehört hatte. Ein Naturtalent, dachte Julia.

Dann blieb ihr Blick an einem Piloten hängen, der neben Dagmar stand. Er war der Einzige in der Runde, der nicht mitsang, aber auch wenn das auffällig war, war es nicht das, was sie fesselte. Julia konnte nicht aufhören, ihn anzuschauen, weil er so unfassbar attraktiv war. Er überragte die meisten seiner Freunde und sie konnte ihn über die Menge der Köpfe hinweg anschauen. Sie bewunderte sein dunkles, volles Haar, das unter der schmucken Pilotenmütze hervorschaute, die hohen Wangenknochen und das markante Kinn. Wie gut ihm diese Pilotenuniform stand! Als sei sie maßgeschneidert und kein Karnevalskostüm. Julia war bisher noch nie aufgefallen, dass sie Uniformen super sexy fand. Dieser Pilot war überhaupt genau ihr Typ. Und er war gar nicht weit weg von ihr. Sie musste nur zu Dagmar rübertanzen und sich zwischen die beiden einhaken und dann …

Gerade als sie lostanzen wollte, klopfte ihr jemand auf die Schulter: »Du siehst so aus, als hättest du Durst!«

Julia zuckte zusammen und blickte sich um. Neben ihr stand ein großer, stämmiger Mann mit einem komplett blau angemalten Gesicht, auf seinem Kopf wippte eine Sonne an einem Haarreifen.

Julia nickte. »Und wie!«

»Soll isch dir mal wat zu trinken holen?« Er machte eine Pause. »E Kölsch vielleisch?«

Julia nickte wieder und lachte. Als ob man hier irgendetwas anderes bekommen würde.

»Is jut!«

Mit beeindruckender Geschwindigkeit verschwand der Typ in der schunkelnden Menge. Julia schaute ihm nach. Wahrscheinlich geht er als Himmel, dachte sie. Als Himmel auf Erden im Karneval loszuziehen war eine super Idee, das würde sie auch mal machen. Nur das viele Blau im Gesicht war doof. Unmöglich, damit zu bützen! Aber man könnte sich ja auch rot-weiße Wölkchen auf die Wangen schminken, überlegte sie noch, als der Himmel schon mit einem Kranz zurückkam und Kölsch verteilte. Er schien die halbe Kneipe zu kennen, der Kranz war sofort leer. Als alle versorgt waren, wandte er sich wieder Julia zu und stellte sich vor.

»Prost! Ben«.

»Julia, Prost!«

Er wollte gerade ansetzen, noch etwas zu sagen, als ein junger Mann ihn an einem seiner Hosenträger zog und ein Gespräch mit ihm begann. Und schon hatte sie nicht nur ein Kölsch, sondern auch wieder Zeit, ihren Piloten zu beobachten. Julia war gerade bei der Bewunderung seiner breiten Schultern angekommen, als Selda auftauchte und sich bei ihr einhakte: »Heute will ich tanzen, tanzen, tanzen!«

Julia grinste. So war es immer im Karneval: Selda tanzte und sang und riss alle in ihrer Begeisterung mit. Sie drehte sich nach Anne um. Ob die sich auch schon so gut amüsierte? Aber eigentlich war es klar. Anne tanzte selig und selbstvergessen. Sie war die echteste Karnevalistin von ihnen allen. Schon als Kind war sie mit ihren Eltern immer zum Rosenmontagszug gegangen: mit Trommel und Fässchen und Wiener Würstchen im Gepäck. Anne tanzte und sang und war im Gegensatz zu den anderen immun gegen Karnevalsliebschaften.

»Und wir sammeln dann die Brosamen vom Tisch der Reichen auf«, pflegte Selda zu sagen, die sehr gerne im Karneval flirtete. Julia pflichtete ihr immer eifrig bei. Einer plötzlichen Anwandlung folgend, nahm Julia Selda in den Arm und drückte sie: »Ich freu’ mich so, dass wir zusammen feiern!«

Selda strahlte zurück: »Ich mich auch! Super Abend, oder? Ich hol’ auch mal nen’ Kranz.« Und schon war sie in Richtung Theke verschwunden.

Julia schloss sich Dagmar an, die mitten in der Menge schunkelte, als plötzlich Ben wieder an ihrer Seite auftauchte und ihr eine Hand auf die Schulter legte: »Darf ich bitten?« Er nahm er sie in den Arm und fing an, mit ihr durch die Menge zu tanzen. Die Finger seiner rechten Hand landeten zielgenau auf ihrer Wirbelsäule, als ob er sie von da aus steuern wollte. Ein halbes Lied lang bemühte sie sich, im Takt zu bleiben, aber dann gab sie auf.

»Ich kann nicht tanzen!«, schrie sie ihm ins Ohr.

»Was du nicht sagst!« Er grinste sie an und tanzte einfach weiter.

»Du musst mal mit Selda tanzen, die will heute Abend nichts anderes tun! Das hat sie mir gerade noch gesagt.« Julia versuchte, ihn durch ein Gespräch vom Tanzen abzuhalten.

»Das klingt gut!« Er wirbelte sie durch den Raum und fragte über ihre Schulter. »Und du, was willst du machen?«

»Von allem ein bisschen, aber auch ein bisschen atmen«.

Er lachte wieder und lockerte seinen Griff.

»Besser so?«

»Mhm …«

Einen Moment später kam Selda mit dem Kranz zurück und Julia nutzte die Chance, um sich aus Ben Umarmung zu befreien. Er hörte auf zu tanzen und prostete ihr zu: »Schön, mal ein neues Gesicht hier zu sehen!«

Julia blickte sich um. Bis auf ihre drei Freundinnen gab es nur neue Gesichter für sie. Dann fiel ihr ein, dass sie die Karten fürs Haus Mayer über Annes Karnevalsverein bekommen hatten. Wahrscheinlich gehörte Ben auch zum Club.

»Du kennst hier alle?«

»Absolut! Bis auf dich.«

Er sah so aus, als ob er das gerne ändern würde.

Dagmar kannst du auch nicht kennen, dachte Julia, aber sie ersparte sich den Kommentar.

»Mehr Kölsch?« Er streckte die Hand nach ihrem leeren Glas aus und sammelte dann die Gläser der anderen ein.

»Danke, ich brauche eine kleine Pause. Sonst bin ich gleich willenlos.« Julia grinste.

»Dann kriegst du Wasser. Willenlos ist nichts für mich.«

Ben verschwand mit dem leeren Kranz.

»Ich bin sowieso nichts für dich«, murmelte Julia halblaut vor sich hin. Was bildete der sich ein? Julia warf einen Blick zu dem Piloten rüber. Aber der wäre was für mich, dachte sie, als Ben mit einem Kranz Kölsch und zwei Gläsern Wasser zurückkam. Ben gab das eine Wasserglas Julia, das andere trank er selbst.

»Ich hab gestern schon ordentlich gefeiert!«, erklärte er.

»Ich leider nicht.« Das Wasser tat gut. »Bin gerade erst angereist.«

»Biste jeck?«

»Ich hatte einen Termin in Berlin. Habe ich mir selbst eingebrockt. Ich dachte, ich wäre dem neuen Mein Herz schlägt laut Berlin auf der Spur.« Julia verdrehte die Augen.

»Was?«

Hatte er sie nicht verstanden oder hatte er noch nie etwas von dem Film gehört? Egal, dachte Julia. Der Kneipenkarneval war nicht der Ort für solche Gespräche. Sie beschloss, es abzukürzen.

»Lange, sehr öde Geschichte, in der ein Manuskript, das ich nicht verkaufen können werde, die Hauptrolle spielt.«

Ben lachte. »Da wärst du mal lieber hiergeblieben! Es war herrlich gestern. Wir waren in der Südstadt.«

Wir, dachte Julia. Damit konnte er doch nur die Freunde meinen, die er ständig mit Kölsch versorgte.

»Habt ihr gestern auch schon alle zusammen gefeiert?« Julia zeigte in die Runde und versuchte, vor allem auf den Piloten zu zeigen.

»Ja, genau. Das sind Freunde und Verwandte von mir!«

»Verwandte?«

»Der junge Mann da zum Beispiel, der Vampir, das ist mein Sohn. Also: Hände weg!« Ben grinste.

»Wirklich? Bist du schon so alt?« Julia zwinkerte Ben vergnügt zu.

»Ich bin uralt!«, kam es wie aus der Pistole geschossen. Als ihr nicht sofort eine Antwort darauf einfiel, beugte er sich zu ihr runter. »Alt und sehr erfahren!«

Julia lachte. Die Antwort saß. Das war er offensichtlich nicht zum ersten Mal gefragt worden.

Ben lachte mit und nahm sie wieder in den Arm.