Nix als Trouble mit dem Ex - Sibylle Luig - E-Book
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Sibylle Luig

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Beschreibung

Esther, 35, Promi-Reporterin, bereitet sich im Hotel Alpenwirt auf ihre Traumhochzeit mit Jürgen vor. Alles scheint perfekt, bis sie dem Eigentümer des Hotels begegnet: Es ist ihr Ex-Freund Mark, zu dem sie seit zehn Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Erinnerungen an die Zeit mit ihm, ihrer ersten großen Liebe, werden wach und stürzen Esther in ein Gefühlschaos. Richtig kompliziert wird es aber, als Esther im Hotel den smarten Filmstar Danyal Karim kennenlernt. Um trotz der Hochzeitsvorbereitungen ein Exklusiv-Interview mit ihm machen zu können, kommt Esther auf eine aberwitzige Idee …

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Nix als Trouble mit dem Ex

Sibylle Luig

Inhalt

1

2

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6

7

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9

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Die Autorin

1

Es lag eine sommerlich satte Ruhe über der Anlage des Wellness-Hotels Alpenwirt. Auf dem lichtblauen Himmel schlummerten Schäfchenwolken. Über den Tennisplätzen summten Bienen emsig in der Mittagshitze. Die Wiesen leuchteten grün und die Kieswege glitzerten silbrig in der strahlenden Sonne. Von den umliegenden Weiden hörte man das Muhen der Kühe, untermalt vom leisen Geläute ihrer Glocken. Was könnte schöner sein als ein Sommertag in den Bergen?

Esther saß auf ihrem Balkon und betrachtete die Aussicht mit Wohlgefallen. Es war nicht nur wunderschön, es war auch ganz genau so, wie sie sich das perfekte Setting für ihre Hochzeit vorstellte. Sie stemmte die Füße gegen den großen Blumenkasten und erfreute sich an ihren frisch in Geraniumrot lackierten Fußnägeln inmitten der Blütenpracht. Gestern war sie noch im verregneten Köln gewesen und hatte sich nicht vorstellen können, den nächsten Tag schon in den Bergen zu verbringen. Jetzt kam es ihr undenkbar vor, irgendwo anders auf der Welt zu sein. Es war einfach zu schön. Heute Abend sollten sich Jürgens und ihre Eltern kennenlernen. Morgen würde Gerlinde, ihre beste Freundin und Trauzeugin, ankommen, und am Sonntag war dann schon der große Tag. Unfassbar, wie schnell das auf einmal alles gekommen war. Fast ein bisschen zu schnell. Und es gab immer noch ein paar Dinge, um die sie sich bisher nicht gekümmert hatte. Der Blumenschmuck fiel ihr als Erstes ein, und ach ja – die Sitzordnung! Und natürlich ihre Frisur. Sie hatte eine To-do-Liste gemacht, aber die lag drinnen im Hotelzimmer. Es stand noch so viel darauf, dass Esther sie vorsichtshalber unter einem Stapel Zeitschriften versteckt hatte. Viel lieber wollte sie die Aussicht genießen und einfach darauf vertrauen, dass alles andere genauso perfekt werden würde wie das Kuhgebimmel-Idyll vor ihrem Balkon.

Sie wackelte mit den Zehen und betrachtete das Ergebnis ihrer Probe-Pediküre. Das hatte sie immerhin schon geschafft: An diesem coolen Rot würde sie auf jeden Fall festhalten, und alles andere würde sie morgen mit Gerlinde zusammen ganz schnell entscheiden.

Esther gähnte ausgedehnt und streckte sich. Die Sonne hatte sie schläfrig gemacht. Wie spät war es eigentlich? Sie schaute auf die Uhr: kurz nach drei. Der Nachmittag schien sich endlos vor ihr auszudehnen. Ohne Gerlinde hatte sie keine Lust, ihre Liste abzuarbeiten. Aber sonst hatte sie auch nicht viel zu tun. Wenn sie sich die Pediküre nur nicht so früh gebucht hätte … Sie unterdrückte ein erneutes Gähnen. Außer dem festlichen Abendessen, einer nachgeholten Verlobungsfeier im kleinen Familienkreis, hatte sie heute nichts mehr vor.

Zusammen mit einer Biene, die sich für Geranium zu interessieren schien, verscheuchte Esther den sanften Anflug von Bedenken mit ihrer Hand. Das würde schon nett werden, das Abendessen. Sie legte den Kopf in den Nacken und starrte in das unglaubliche Blau des Sommerhimmels hinauf, um den Schäfchenwolken Formen zuzuordnen. Sie wartete so lange, bis ein Wölkchen für einen flüchtigen Moment wie ein vierblättriges Kleeblatt aussah, und lächelte dann zufrieden. Es lag ja auf der Hand, dass sie Glück gehabt hatte. Jürgen war ein Traummann. Er sah gut aus, war charmant und eloquent.

Nur das Kennenlernen der Eltern, das hätte sie gerne schon hinter sich gehabt. Es war nicht auszuschließen, dass ihre Eltern Jürgens Eltern ziemlich hohl finden würden. Und Jürgens Eltern würden ihre Eltern … hm, was würden sie wohl von ihnen halten?

Für einen Augenblick sah Esther ihren zukünftigen Schwie­­­gervater vor sich. Manfred Kuhnke war ein Voll­blutgeschäfts­mann. Einer, der es selbst zu etwas gebracht hatte, wie er gerne betonte. Für ihn war Geld gleich Erfolg. Dazu passten der Goldschmuck und das glockenhelle Lachen von Jürgens Mutter Roswitha, mit dem sie versuchte, das Unternehmergetöse ihres Mannes zu übertönen. Aber eigentlich waren sie ganz nett, oder? Zu ihr waren sie immer freundlich und großzügig gewesen. Und sie waren begeistert von Jürgens und ihren Hochzeitsplänen, was man von ihren Eltern nicht gerade behaupten konnte.

»Das Alter hast du ja«, hatte ihre Mutter zu ihr gesagt, als sie ihnen von Jürgens Antrag berichtet hatte. Nach übertriebener Freude hatte das nicht geklungen. Das Alter hast du ja … Esther rollte mit den Augen. Wo andere Mütter sich zumindest »Herzlichen Glückwunsch« abgerungen hätten.

Esther stand auf. Sie würde eine kleine Runde durchs Hotel drehen. Schließlich musste sie sich auskennen, wenn sie ihre Hochzeitsgäste hier begrüßen wollte. Unter ihrem Balkonstuhl fand sie ihre Flip-Flops und schlüpfte hinein. Im Zimmer blieb sie vor dem Spiegel am Kleiderschrank stehen. Konnte sie so rausgehen? Ihre langen braunen Haare waren immer noch ein bisschen feucht vom Duschen und hatten auf dem T-Shirt nasse Flecken hinterlassen. Ihre Jogginghose sah auch nicht gerade so aus, als dass man darin Gäste hätte empfangen wollen. Esther zögerte, aber vor siebzehn Uhr konnten Jürgens Eltern nicht hier sein.

Sie beschloss, sich jetzt erstmal umzuschauen und erst danach zurechtzumachen. Auf Jürgen würde sie auch nicht stoßen, der kümmerte sich um seinen Trauzeugen.

Esther fuhr sich mit der Hand durch die feuchten Haare und betrachtete weiter ihr Spiegelbild. Durchs Hotel zu wandern und die Anlage zu erkunden, würde sicher Spaß machen. Vielleicht würde ihr beim Spazierengehen auch noch etwas für ihren Trauspruch einfallen. Am Anfang hatte ihr die Idee gut gefallen, dass sie sich selbst einen Satz füreinander überlegen würden. Aber jetzt wusste sie beim besten Willen nicht, was sie zu Jürgen am Altar anderes sagen sollte als »Ja, ich will«. Aus irgendeinem amerikanischen Film müsste sie doch einen Spruch klauen können, oder? Wenn nur Miri schon da wäre, die kannte jede romantische Komödie, die jemals gedreht worden war. Oder noch besser: Gerlinde! Wenn ihre beste Freundin schon da wäre, könnte sie jetzt mit ihr Sekt trinken und sie müsste ihren Verlobungsring bestaunen. Gerlinde würde sicher ein schön kitschiger Trauspruch einfallen.

Zum hundertsten Mal an diesem Nachmittag zog Esther ihr Handy aus der Hosentasche, aber es blieb dabei: keine neuen Nachrichten, keine Mail, keine SMS und auch keine neue WhatsApp. Ihre letzten Nachrichten an Gerlinde und Miri waren immer noch ungelesen.

Esther stopfte ihr Handy zurück in die ausgebeulte Tasche ihrer Sporthose und lächelte ihrem Spiegelbild aufmunternd zu. Ist ja auch egal, dachte sie. Später würde noch genug los sein. Aperitifs an der Bar, das Abendessen. Im Anschluss würde Jürgen zwar mit seinen Freunden vom Tennisverein zum Junggesellenabschied aufbrechen, aber wenn er zurückkam, dann würde sich alles nur um sie beide und ihre Hochzeit drehen. Meine Hochzeit mit dem Mann, der mich glücklich machen wird. Meine Hochzeit mit Herrn Dr. Jürgen Kuhnke, dachte Esther verträumt.

Diese kleine nachmittägliche Durststrecke würde sie schon überstehen. Apropos Durst. Sie beschloss, einen Sekt an der Hotelbar zu trinken. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie sich eine Zigarette dazu gönnen sollte, aber dann entschied sie sich dagegen. Jürgen mochte es nicht, wenn sie rauchte. Es tat ihm weh, zu sehen, wie sie sich selbst schadete. Weil er sie so sehr liebte.

Seit sie mit Jürgen zusammen war, rauchte sie fast gar nicht mehr. Vielleicht sollte sie gerade deshalb jetzt eine rauchen? Wie früher! Schließlich waren diese letzten Tage vor ihrer Hochzeit ein Abschied von einem Lebensabschnitt. Sie könnte ja mal eine mitnehmen.

Esther kramte die Schachtel aus einer Seitentasche ihres Kulturbeutels, wo sie sie versteckt hatte, hervor und zog eine Zigarette und ihr Feuerzeug heraus. Dann wählte sie ein Buch und eine Zeitschrift, mit denen man sich sehen lassen konnte, falls doch jemand früher ankommen sollte, steckte alles in ihre Handtasche und verließ ihr Zimmer.

Im Aufzug überlegte sie, ob sie auf der Etage ihrer Eltern anhalten sollte, um sie zum Sekttrinken mitzunehmen. Aber dann entschied sie sich fürs Rauchen. Ihre ­Eltern könnte sie später auch noch treffen. Das klang doch gut. Jetzt hatte sie ein Nachmittagsprogramm.

Esther stieg im Erdgeschoss aus dem Lift aus und ging auf dem schweren roten Teppich in Richtung Foyer. Alles blitzte und blinkte, man merkte an jeder Ecke, dass das Hotel frisch saniert war. Ein bisschen mehr Patina, ein bisschen »die Dietrich ist auch immer so gerne hier gewesen« hätte ihr gut gefallen, aber ihre Eltern hatten das Hotel ausgesucht, und schön war es wirklich. Und »die Dietrich« war wahrscheinlich nie in den Bergen gewesen. Obwohl sie gut in die Hotelbar des Alpenwirt gepasst hätte, wie Esther feststellte, als sie die Bar gefunden hatte. In diesem Raum mit seinem breiten Eichenparkett und den dunklen, indirekt beleuchteten Wänden war ein Hauch des alten Flairs erhalten geblieben. Richtig schön war es hier, aber anscheinend wollte keiner der wenigen Gäste bei diesem strahlenden Sonnenschein in einem der wunderbar tiefen, cognacfarbenen Sessel liegen und Alkohol trinken. Nur ich, dachte Esther, und ließ sich mit einem zufriedenen Seufzen in das weiche Leder sinken. Ach, war das schön. Noch bevor sie beim Kellner Sekt bestellte, zündete sie sich eine Zigarette an. Mit dem wohligen Gedanken daran, dass dies höchstwahrscheinlich ihre allerletzte Zigarette jemals sein würde, blies sie den blauen Dunst fast andächtig in die Luft. Hübsch sah das aus, wie er sich da gemächlich in Richtung der dunklen Kassettendecke emporkringelte. Eigentlich schade, dass sie nun ganz aufhören musste. Manchmal eine Zigarette zu rauchen, war doch eine schöne Sache. Sie nahm noch einen Zug und lauschte dem leisen Knistern der Glut. Ja, das hatte was. Das war zweifelsohne sehr atmosphärisch und richtig gemütlich.

»Das ist übrigens eine Nichtraucherbar«, hörte sie plötzlich eine Stimme ganz in der Nähe. Sie schaute sich um, aber alles, was sie sah, waren die Rücklehnen anderer Ledersessel.

»Entschuldigung«, sagte Esther trotzdem, während sie dachte, dass es doch immer irgendwo einen Spielverderber gab. Sie suchte nach etwas, an dem sie ihre Zigarette ausmachen könnte, als sie eine schmale, bläuliche Rauchsäule hinter einem dieser anderen Sessel aufsteigen sah. Aha, so war das also. Sie musste grinsen.

»Keine Sorge«, rief sie der Rücklehne des Sessels zu, »ich inhaliere nicht.«

Der blaue Dunst über dem Sessel geriet in Bewegung. Ein Mann stand auf, drehte sich um und kam langsam auf sie zu.

Esther wusste, wer es war, noch bevor er sich vollständig aus dem Sessel erhoben hatte. Sie hatte schon oft gelesen, dass Herzen in solchen Momenten zum Aussetzen neigen oder zum Rasen. Dass sie beides auf einmal tun konnten, war ihr neu.

»Hallo Esther!« Mark lächelte.

Esther schaffte es noch nicht einmal, »hallo Mark« zu sagen, sie starrte ihn einfach nur an und ihre Gedanken überschlugen sich. Das war Mark, der da vor ihr stand. Mit kurzen Haaren und in Anzughose und einem weißen Hemd mit breitem italienischem Kragen. Lässig sah er aus, die Hände in die Hüften gestemmt, die Zigarette im Mundwinkel. Es schien ihn nicht im Geringsten zu überraschen, sie hier zu treffen.

Das konnte sie von sich nicht behaupten. Esther war überrascht. Total überrascht. Hektisch zog sie an ihrer Zigarette, verschluckte sich und musste husten.

Mark schaute sie an. »Bist du sicher, dass du nicht inhalierst?«

Esther rang nach Luft und spürte, wie ihr Gesicht vom Husten rot wurde. Na toll! So hatte sie sich ihr Wiedersehen nicht vorgestellt. Mark besser aussehend als jemals zuvor und sie in Jogginghose mit nassen Haaren und unter Atemnot leidend.

Aber der Husten erwies sich als Rettung. Wenn sie ihrem ersten Instinkt hätte folgen können, hätte sie ihn angeschnauzt, was er hier zu suchen habe. Aber während sie so vor sich hin hustete, fiel ihr gerade noch rechtzeitig ein, was sie sich damals geschworen hatte. Sie hatte sich geschworen, dass sie, Esther, niemals mehr vor Mark die Fassung verlieren würde. Was auch immer geschehen würde: Das würde ihr nie, nie wieder passieren!

Contenance, Esther, Contenance. Sie unterdrückte den Hustenreiz und atmete durch. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig.

»Mark, wie nett!« Endlich konnte sie wieder sprechen. Als hätte sie es geprobt, stand sie auf und lächelte ihn freundlich an. Na gut, sie hatte es geprobt, ganz am Anfang ihrer Trennung. Esther stellte sich auf die Zehenspitzen und beugte sich vor, um ihn auf die Wange zu küssen. Sie bereute es augenblicklich. Seine Bartstoppeln kitzelten die Haut an ihrem Hals und er roch sexy. Nach irgendeinem teuren Aftershave. Was hatte sie erwartet? Dass er sich immer noch an den Old-Spice-Vorräten seines Vaters bedienen würde?

Sie sahen sich an und Esther fiel nicht ein, was sie weiter hätte sagen können. Trotz der Proben. Es war einfach alles viel zu lange her. Sie hatte sich außerdem nie vorgestellt, dass Mark und sie bei einem Wiedersehen alleine sein würden. Da waren immer auch andere Leute gewesen. Irgendein gesellschaftlicher Rahmen, in dem sie sich bewegt hatten. Ein Gespräch hätte sich von ganz allein ergeben. »Ach, Mark, wie nett, dich hier zu sehen …« Heute war das anders. Sie standen alleine in dieser Bar wie Boxer im Ring und starrten einander an.

Mark war derjenige, der das Schweigen brach: »Deine Haare sind nass!«

Instinktiv griff sich Esther in den Nacken und fuhr sich durch die Haare.

»Feucht«, korrigiert sie ihn und ärgerte sich sofort. »Meine Haare sind feucht, nicht nass.« Es wurde nicht besser.

»Ach so, feucht.« Mark grinste.

»Ich habe geduscht.«

Esther merkte, dass sie trotzig klang. Was für eine schwachsinnige Unterhaltung. Nachdem man sich zehn Jahre lang nicht gesehen hatte.

»Ah.«

Er schaute sie weiter an. Sie spürte förmlich, wie seine Blicke über ihren Körper wanderten. Warum gelang es ihr nicht, genauso zurückzuschauen? Sie versuchte es. Es kann doch nicht sein, dass Männer so schauen können und Frauen nicht.

»Hab ich da was?« Mark fing an, sich am Hemd rumzuwischen. Doch, anscheinend war es so.

»Nein, du hast da nichts«, sagte Esther resigniert. »Du siehst super aus.«

Es stimmte. Mark war perfekt angezogen und sie in Jogginghose. Als hätte sie die Kontrolle über ihr Leben verloren. Wer hatte das nochmal gesagt? Egal.

Am liebsten würde sie jetzt hinter einem der Sessel stehen. Aber um dorthin zu gelangen, hätte sie sich entweder völlig albern rückwärts zurückziehen oder sich umdrehen müssen. Und das Hinterteil der Sporthose war noch weniger vorteilhaft als die ausgebeulten Knie. Was war das nur für eine dämliche Situation? Was gab ihm das Recht, sie so anzuschauen, und was machte er überhaupt hier?

»Was machst du hier?« Ein überhaupt konnte sie sich gerade noch verkneifen.

»Was ich hier mache?« Mark lächelte. »Dasselbe könnte ich dich fragen.«

Esther zögerte. Sie wusste selbst nicht warum. Eigentlich müsste es doch ein Triumph sein, ihm entgegenzuschleudern, dass sie hier, in diesem Traumhotel, am Pfingstsonntag ihre Hochzeit feiern würde. Nach allem, was zwischen ihnen gewesen war.

Wieso sagte er nichts? Wieso schaute er sie einfach immer nur weiter an? Mit diesem dämlichen Grinsen im Gesicht?

Plötzlich war sie wütend. »Schau mich nicht so an!«

Sie hätte ihn am liebsten geboxt.

»Wie schau ich dich denn an?«, fragte Mark interessiert.

Ihr Treffen, das Esther aus der Fassung brachte, schien ihn zu erheitern.

»Wie du mich anschaust? Du weißt genau, wie du mich anschaust. Mit diesem Ich-weiß-wie-du-nackt-aussiehst-Blick!«

Mark zog die Augenbrauen langsam hoch und Esther konnte dabei zuschauen, wie sich sein ironisches Grinsen auf seinem ganzen Gesicht ausbreitete.

»Du meinst mit diesem Ich-weiß-wie-du-vor-zehn-Jahren-nackt-ausgesehen-hast-Blick?«

Esther stöhnte. Es war einfach unglaublich, in welche Richtung dieses Gespräch mit Mark in wenigen Minuten abgedriftet war. Wenn Jürgen sie jetzt hören würde. Jürgen. Sie atmete erneut tief durch.

»Ich feiere hier meine Verlobung«, erklärte Esther mit dem Rest Haltung, den sie aufbringen konnte. Als Mark nicht reagierte, fügte sie hinzu: »Heute Abend. Mit meinem Traummann. Und am Sonntag feiere ich meine Hochzeit. Ebenfalls hier.«

»Aha. Ebenfalls mit deinem Traummann, nehme ich an?«

»Selbstverständlich!«, sagte Esther würdevoll.

»Ich gratuliere.« Er streckte ihr die Hand entgegen.

Esther hätte sie gerne weggeschlagen, konnte sich aber gerade noch beherrschen.

»Da hast du dir ein schönes Fleckchen ausgesucht für deine Hochzeit«, lobte Mark und zog seine Hand wieder zurück. Er war nicht aus der Ruhe zu bringen. Er schien sich weder zu wundern, dass sie hier war, noch, dass sie heiraten wollte. Aber eigentlich konnte ihr das ja auch völlig egal sein.

»Ja, das ist es wirklich. Ein schönes Fleckchen …« Esther sah sich in der Bar um. Plötzlich war sie stolz, dass ihre Eltern so ein tolles Hotel für sie ausgesucht hatten. Damit konnte sie sich überall und auch vor Mark sehen lassen.

»Darf ich dich auf ein Glas Sekt einladen? Anstoßen auf deine Hochzeit?«

Esther zögerte. Sie war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Trotzdem, so hatte sie sich ein Treffen schon eher vorgestellt. Souverän, gelassen. Zwei Erwachsene, die entspannt miteinander plauderten. Sie glücklich und verlobt, er nett und zuvorkommend. So könnte sie sich auch auf ein Getränk einladen lassen, oder? Einen Moment überlegte sie noch, aber dann nickte sie. Mark ging zur Bar, um gleich darauf mit zwei Gläsern Sekt zurückzukommen.

»Auf deine Hochzeit!«

»Auf meine Hochzeit.« Esther nahm einen Schluck aus dem Glas, das er ihr gegeben hatte. »Ist das wirklich eine Nichtraucherbar?« Auf einmal hatte sie schreckliche Lust auf eine Zigarette.

»Ich fürchte, ja. So ist das heutzutage. Aber jetzt, wo hier nichts los ist, machen die sicher eine Ausnahme.« Er stand auf, um erneut zum Tresen zu gehen. Er kam mit einem Aschenbecher zurück und schob Esther sein Päckchen Zigaretten hin.

»Nimm dir.«

Esther nahm sich eine Zigarette und ließ sie sich von ihm anzünden. Es waren Camel. Endlich etwas wirklich Vertrautes. Mark hatte schon immer Camel geraucht.

»Ich rauche fast gar nicht mehr.« Esther blies den Rauch in Richtung Decke.

»Ich auch nicht. Wo auch? Und mit wem, oder?«

»Stimmt. Ist ja auch besser so.«

»Absolut. Schlechte Angewohnheit.« Mark grinste und zog an seiner Zigarette. Esther grinste zurück und merkte, wie sie sich entspannte. Es war gar nicht so schlimm, Mark zu treffen und mit ihm auf ihre Hochzeit anzustoßen. Im Gegenteil. Genauso funktionierte es perfekt. Besser könnte ein Treffen gar nicht ablaufen. Bis auf die Jogginghose natürlich. Und die nassen Haare, also die feuchten Haare. Sie fasste sich wieder in den Nacken. Inzwischen waren sie fast trocken. Umso besser, dachte sie, als sich ihr Ring in den Haaren verhedderte. Sie versuchte, einen Blick auf seine rechte Hand zu werfen, während sie mit ihrem Verlobungsring kämpfte. Vielleicht war er ja schon lange …

»Bist du verheiratet?« Sie konnte sich die Frage nicht verkneifen. Falls sie Mark damit überraschte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.

»Nein. Hat sich nicht ergeben. Ich hab’s versucht, aber ist dann nix geworden. Irgendwie.« Er machte eine Pause und lächelte Esther an. »Na ja. Wie das so ist.«

Esther überlegte noch, was sie darauf antworten sollte, als das Lächeln aus seinem Gesicht plötzlich verschwand.

Er drückte seine Zigarette aus und stand auf. Esther drehte sich um. Jemand musste ihre Unterhaltung mitangehört haben.

Bitte nicht Jürgen, bitte nicht Jürgen, bitte nicht Jürgen.

Jürgen war sowieso eifersüchtig. Wenn er sie jetzt hier sehen würde, wie sie mit einem fremden Mann in der Hotelbar rauchte, dann fände er das bestimmt nicht lustig. Und noch weniger lustig, wenn er herausfände, dass dieser Mann gar nicht so fremd war.

Aber es war nicht Jürgen. Es war eine Frau. Schlank und groß, größer als Esther und schlanker als sie. Und sehr schön. Sie sah ein bisschen aus wie Cindy Crawford ohne das markante Muttermal. Nur viel jünger natürlich als Cindy Crawford. Sehr jung sogar.

»Mark?« Cindys Stimme war der Vorwurf deutlich anzuhören. »Kommst du? Es ist schon halb vier.«

Mark schaute auf seine Armbanduhr, murmelte »Mist« und nickte dann Esther zu. »Tut mir leid. Ich muss. Wir sehen uns.«

»Mark, hast du da gerade geraucht?«, hörte Esther Cindy noch im Weggehen fragen. Mark schien ihr eine Antwort schuldig zu bleiben.

Stöhnend ließ sich Esther zurück in ihren Sessel fallen. Auf einmal fühlte sie sich, als hätte sie die Begegnung mit ihrer Jugendliebe um Jahre altern lassen. Jetzt brauchte sie unbedingt noch einen Sekt, oder vielleicht doch etwas Stärkeres?

Sie bestellte sich einen Cuba Libre. Das sah wenigstens unverfänglich aus. Von einer Cola nicht zu unterscheiden, falls noch mehr Leute aus ihrer Vergangenheit hier auftauchen sollten. Esther griff zum Glas, das ihr der Kellner reichte, und nahm mehrere große Schlucke.

Tausend Mal hatte sie sich ausgemalt, wie es sein würde, Mark irgendwann zufällig wiederzusehen. Sie hatte anfangs ganze Tage damit verbracht, sich coole und lockere Sprüche für genau diesen Anlass zu überlegen.

Lange hatte es diese Momente gegeben, in denen sie dachte, da steht er, das ist er. Im Kino, im Café oder einfach nur auf der Straße. Ihr Herz hatte angefangen zu klopfen, und sie hatte genauer hingesehen oder war auf ihn zugegangen, aber nie war er es wirklich gewesen. Irgendwann hatte sie aufgehört, sich vorzustellen, ihn zu treffen. An den Bushaltestellen standen keine Männer mehr, die ihm ähnelten, und auch aus den Cafés und Restaurants war er allmählich verschwunden. Sie hatte die coolen und lockeren Sprüche, die sie sich zurechtgelegt hatte, vergessen und nur noch ganz selten an ihn gedacht. Bis heute. Es dauerte, bis der Cuba Libre zu wirken begann.

Was zum Teufel trieb Mark hier? War er zufällig im gleichen Hotel? Warum hatte er sich nicht gewundert, sie zu treffen? Hatte er gewusst, dass sie hier war? Möglich wäre es. Seine Eltern waren zur Hochzeit eingeladen. Schließlich waren Ute und Klaus die besten Freunde ihrer Eltern. Sie könnten es ihm erzählt haben. Aber ergab das Sinn? Theoretisch wussten Ute und Klaus immer, wo sie war. Jedenfalls dann, wenn ihre eigenen Eltern es auch wussten. Esthers Mutter und Ute telefonierten jeden Tag. Jeden Tag mehrmals selbstverständlich. Das hatte aber in den letzten zehn Jahren nie dazu geführt, dass Mark plötzlich irgendwo aufgetaucht war.

Aber hier war er. In dem Hotel, in dem sie Jürgen heiraten sollte.

Jürgen. Oh Gott, was würde Jürgen dazu sagen, dass Mark hier war? Bei dem Gedanken rutschte Esther noch etwas tiefer in den Ledersessel.

Jürgen kannte Mark »nur« als Esthers große Liebe. Ja, so in etwa hatte sie Jürgen das am Anfang ihrer Beziehung geschildert. Am Anfang, als sie vor Aufregung kein Auge zutun konnte, wenn Jürgen neben ihr lag. Als an Schlaf nicht zu denken war, wenn es noch irgendeine kleine unbedeutende Geschichte von ihr gab, die sie ihm bisher nicht erzählt hatte. In diesem Rausch ihrer Anfangszeit, als sie wollte, dass Jürgen alles, alles von ihr wissen sollte, als sie sich am liebsten »Jürgen forever« auf den Hintern tätowieren lassen wollte. In dieser verrückten Zeit, da hatte sie ihm von Mark erzählt. Ausführlich erzählt. Schwer vorstellbar, dass sie das jetzt wieder runterspielen konnte. Esther trank ihren Cuba Libre aus.

Was hatte sie sich nur dabei gedacht, diese läppische Teenie-Beziehung so zu stilisieren? Und jetzt tauchte dieser sagenumwobene Mark plötzlich wenige Tage vor ihrer Hochzeit auf. Wenn Jürgen auf Mark treffen würde, würde er ausflippen. Wenn einer nicht an einen lustigen Zufall glauben würde, dann Jürgen. Er und Mark durften sich auf keinen Fall begegnen. Was sollte sie nur tun? Sie brauchte dringend einen Plan. Mark musste unbedingt verschwinden.

2

»Wisst ihr, wer hier ist?« Esther stürmte ohne anzuklopfen in das Zimmer ihrer Eltern und schaute sich um. Das schöne Hotelzimmer, ganz in Beigetönen gehalten und mit eleganten Designermöbeln ausgestattet, war leer. Esther war drauf und dran, das Zimmer wieder zu verlassen. Sie hatte schon die Tür weit aufgerissen, um sie zuknallen zu können, da merkte sie, dass die Balkontür offenstand. Von draußen, zusammen mit den Sonnenstrahlen und dem ländlich lauten Vogelgezwitscher, drangen Fetzen eines Gespräches herein. Esther schmetterte die Zimmertür hinter sich zu, dass die Fenster klirrten und die Balkontür leise in den Angeln schwankte. Ihre Stimmung stand im krassen Gegenteil zur malerischen Idylle ihrer Umgebung.

»Wisst ihr, wer hier ist?« Ihre Stimme überschlug sich, als sie draußen auf dem Balkon ihren Eltern noch einmal die gleiche Frage stellte.

An Esthers Eltern schien der Zustand, in dem sich ihre Tochter befand, vorbeizugehen. Ihre Mutter Christiane bastelte an einem kleinen Sträußchen für die Tischdekoration herum, ihr Vater Sepp schwenkte in aller Ruhe eine Weißbierflasche, um sich dann die gelbliche Hefe in die Schaumkrone seines Bieres zu gießen. Und in den üppig blühenden Geranien summten ungerührt die Bienen. Esthers Mutter drehte sich noch nicht mal um.

»Sind schon Gäste eingetroffen?«, fragte sie nur.

»Gäste? Mann, Mama. Wer redet denn hier von Gästen? Mark Berger ist hier. Ich habe ihn eben an der Bar getroffen.«

»Mark?« Einen Augenblick schien Esther die Aufmerksamkeit ihrer Mutter zu haben, dann widmete Christiane sich wieder ihrer Bastelarbeit.

»Du wusstest doch, dass die Bergers zur Hochzeit kommen«, sagte sie zu ihrem Sträußchen.

»Ich wusste, dass Klaus und Ute kommen.« Esther ließ sich neben ihren Vater auf eine der Lounge-Liegen fallen, die auf dem großen Balkon standen. Ihre Mutter reagierte nicht. Sie hatte ein Stück Blumendraht im Mund und schien sich ganz auf ihre Bastelarbeit konzentrieren zu müssen.

»Wärn’s halt ihrn Buam mitbracht ham!«

Sepp Hartinger bewunderte in aller Ruhe die Krone seines Weißbiers.

»Mann, Papa«, entlud sich Esthers Zorn jetzt gegen ihren Vater. »Das ist doch kein Bub, den man mal eben mitbringt.«

»Na, eigentli ned. Hoscht a wieda recht.« Er setzte ungerührt sein Glas an und trank es halb leer. Dann stellte er es mit einem zufriedenen Seufzen vor sich auf den Tisch. Esthers Vater war mal wieder in sein heimatliches Bairisch zurückgefallen. Wahrscheinlich war es der Alpenblick, der das bewirkt hatte. Er war seit seinem Studium in Köln und sprach sonst kaum noch Dialekt.

»Das wievielte Bier ist das eigentlich, Papa?«

Geflissentlich bückte sich ihr Vater und zählte die Flaschen unter dem Tisch. »Eins, zwei. Das ist jetzt das dritte.« Er schien sehr zufrieden mit sich.

»Papa, das dritte Weißbier! Es ist noch nicht mal vier. Willst du total besoffen sein, wenn du Jürgens Eltern kennenlernst?«

Cuba Libre und Sekt schienen auf einmal sehr lange her zu sein.

»Schaden kann’s nicht, oder?« Ihr Vater hob sein Weißbier wieder an.

Esther biss sich auf die Lippen. Das geschah ihr recht! Wenn sie ein bisschen weniger über Jürgens Eltern gelästert hätte, würden sich ihre Eltern vielleicht darauf freuen, sie heute Abend kennenzulernen.

»Gib mal her!« Esther griff nach dem Weißbier ihres Vaters und nahm einen großen Schluck.

»So ist’s recht.« Sepp klopfte ihr zufrieden auf die Schulter.

»Und was machen wir jetzt?« Esther wischte sich den Schaum vom Mund.

»Jetzt trinke ich noch ein letztes Weißbier und …«

»Mit Mark! Was machen wir jetzt mit Mark?«

Endlich blickte Esthers Mutter von ihrer Bastelarbeit auf.

»Ute hat ihn sicher nicht eingeladen, mit uns das Wochenende zu verbringen. Das hätte sie mir doch gesagt.«

»Wenn sie ihn nicht eingeladen hat, wer dann?«, fragte Esther.

»Ist doch nicht so schlimm, dass er hier ist. Immerhin hat er mal fast zur Familie gehört« – sie legte eine Kunstpause ein – »wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«

Esther wurde rot. Der Seitenhieb hatte gesessen.

»Darum geht es doch jetzt gar nicht!«

»Worum geht es denn dann?«

»Ich will, dass ihr ihn bittet zu gehen, Mama. Das ist doch schließlich kein Wochenende in den Bergen, zu dem man sonst wen einladen kann, sondern meine Hochzeit. Ich will ihn nicht bei meiner Hochzeit dabeihaben.«

»Das war ja mal ganz anders.« Esthers Mutter band in Allerseelenruhe ein Sträußchen zu Ende. Esther schnappte nach Luft, aber bevor sie antworten konnte, redete ihre Mutter weiter. »Esther, niemand freut sich mehr für dich, dass du heiratest, als deine Eltern, oder, Sepp?«

»Was ist?« Sepp holte gerade ein weiteres Bier aus seiner Kühltasche unterm Tisch hervor und hatte offensichtlich nicht zugehört.

Aber Christiane, die gar nicht mit einer Antwort gerechnet hatte, fuhr unbeirrt fort. »Ich bin mir sicher, dass er nicht hier ist, um auf deiner Hochzeit zu tanzen. Das wird sich alles in Wohlgefallen auflösen.«

In Luft soll er sich auflösen, dachte Ester. Wie er es schon mal getan hat.

»Kannst du Ute und Klaus nicht einfach mal anrufen?«, bat Esther ihre Mutter.

»Jetzt mache ich erstmal den Blumenschmuck für deine Hochzeit.« Christiane zeigte auf ihre Sträußchen. »Oder möchtest du übernehmen?«

»Toll!« Esther schüttelte schlecht gelaunt den Kopf. »Wieso laden wir ihn nicht gleich ein?«

»Ja, warum nicht?«, antwortete ihre Mutter gelassen. »Immerhin ist das ein Fest, auf dem mit Familie und Freunden deine Hochzeit gefeiert wird. Reich mir doch bitte mal die Drahtschere. Wie findest du eigentlich die Sträußchen?«

»Schön«, behauptete Esther mechanisch und ohne hinzusehen.