König Matz der Erste - Janusz Korczak - E-Book

König Matz der Erste E-Book

Janusz Korczak

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Beschreibung

Das Gesetz verlangt, dass nach dem Tod des Königs sein Sohn den Thron besteigt. Doch Matz ist erst zehn. Wie soll ein König, der weder schreiben kann noch das Einmaleins beherrscht, Befehle erteilen? Nicht mal die Türen im Königsschloss kann Matz selbst öffnen, die Klinken sind viel zu weit oben. Nun soll er lernen, den Bedürfnissen seiner Untertanen gerecht zu werden. Noch dazu denken die Könige der anderen Länder, das große Reich des kleinen König Matz sei leichte Beute. Matz verbringt seine Zeit alleine im Palast, ohne andere Kinder, und wird mit den Problemen der Welt konfrontiert, die allesamt den Erwachsenen zu verdanken sind: Ungerechtigkeiten, Hass, sogar Krieg. Von seinen Ministern getäuscht und im Stich gelassen, beschließt Matz, wenigstens die Kinder glücklich zu machen - und gründet ein Kinderparlament.

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Janusz Korczak

König Matz der Erste

Roman

Aus dem Polnischen von Hans Gregor Njemz

atlantis

Kurzum, als ich noch so war wie auf dieser Fotografie, da wollte ich selber all das tun, was hier aufgeschrieben ist. Später habe ich es vergessen, und jetzt bin ich alt. Und ich habe nun weder Zeit noch Kraft, um Kriege zu führen und zu den Menschenfressern zu reisen. Die Fotografie zeige ich, weil es wichtig ist, wann ich wirklich König sein wollte, und nicht, wann ich über König Matz schreibe. Und ich denke, man soll von Königen, Weltenbummlern und Schriftstellern Fotografien zeigen, auf denen sie noch nicht erwachsen und alt sind, denn es scheint ja so, als ob sie von Anfang an klug und nie klein gewesen wären. Und Kinder denken dann, sie könnten nicht Minister, Weltenbummler und Schriftsteller werden, aber das stimmt nicht.

Erwachsene sollten meinen Roman überhaupt nicht lesen, denn manche Kapitel sind für sie ungeeignet, und sie werden sie nicht verstehen und darüber lachen. Aber wenn sie unbedingt möchten, sollen sie es probieren. Schließlich kann man Erwachsenen nichts verbieten, denn sie gehorchen ja nicht – und wer könnte ihnen etwas anhaben?

Und das war so …

Der Doktor sagte, falls der König nicht in drei Tagen wieder gesund würde, sähe es schlecht aus.

Der Doktor sagte so:

»Der König ist schwer krank, und falls er nicht in drei Tagen wieder gesund wird, sieht es schlecht aus.«

Alle waren sehr besorgt, und der Ministerpräsident setzte seine Brille auf und fragte:

»Was passiert denn, falls der König nicht wieder gesund wird?«

Der Doktor mochte es nicht aussprechen, doch alle hatten begriffen, dass der König dann sterben würde.

Der Ministerpräsident war sehr besorgt und rief die Minister zur Beratung zusammen.

Die Minister versammelten sich im großen Saal und nahmen in den bequemen Sesseln am langen Tisch Platz. Vor jedem Minister lagen auf dem Tisch ein Blatt Papier und zwei Stifte: ein gewöhnlicher Bleistift und ein zweiter mit einer blauen und einer roten Seite. Vor dem Ministerpräsidenten stand noch eine kleine Glocke.

Die Minister schlossen die Tür ab, um nicht gestört zu werden, machten die elektrischen Lampen an und sprachen nicht.

Dann läutete der Ministerpräsident mit der kleinen Glocke und sagte:

»Wir wollen jetzt beraten, was zu tun ist. Denn der König ist krank und kann nicht regieren.«

»Ich denke«, sagte der Kriegsminister, »man muss den Doktor rufen. Er soll uns sagen, ob er den König gesund machen kann oder nicht.«

Vor dem Kriegsminister hatten alle Minister große Angst, denn er trug immer einen Säbel und einen Revolver bei sich, also hörten sie auf ihn.

»Gut, rufen wir den Doktor«, sagten die Minister.

Sie schickten sogleich nach dem Doktor, doch der Doktor konnte nicht kommen, weil er dem König gerade vierundzwanzig Schröpfköpfe ansetzte.

»Tja, dann müssen wir eben warten«, sagte der Ministerpräsident. »Sagen Sie derweil, was wir tun werden, falls der König stirbt.«

»Ich weiß es«, erwiderte der Justizminister. »Laut Gesetz hat nach dem Tod des Königs der älteste Königssohn den Thron zu besteigen und zu regieren. Deswegen wird er auch Thronfolger genannt. Falls der König stirbt, besteigt sein ältester Sohn den Thron.«

»Wo doch der König nur einen einzigen Sohn hat.«

»Mehr braucht es nicht.«

»Nun gut, aber der Königssohn, das ist der kleine Matz – wie kann der denn König werden? Matz kann ja noch nicht einmal schreiben.«

»Da kann man nichts machen«, entgegnete der Justizminister. »Ein solcher Fall ist in unserem Staat noch nicht da gewesen, aber in Spanien, in Belgien und noch anderen Staaten kam es vor, dass der König starb und einen kleinen Sohn hinterließ. Und dieses kleine Kind musste dann König werden.«

»Ja, stimmt«, rief der Post- und Telegrafenminister, »ich habe sogar schon Briefmarken mit der Fotografie eines solchen kleinen Königs gesehen.«

»Aber, aber, meine Herren«, schaltete sich der Bildungsminister ein, »es geht doch nicht an, dass der König nicht schreiben und rechnen kann, ja, dass er weder Geographie noch Grammatik beherrscht.«

»Das finde ich auch«, sagte der Finanzminister. »Wie soll denn der König ausrechnen oder Befehl geben, wie viel neues Geld gedruckt werden muss, wenn er das Einmaleins nicht kann?«

»Am schlimmsten, meine Herren«, sagte da der Kriegsminister, »ist doch, dass vor einem solch kleinen König niemand Angst haben wird. Wie soll er da mit Soldaten und Generälen zurechtkommen?«

»Ich glaube«, sagte der Innenminister, »dass vor so einem kleinen König nicht nur die Soldaten, sondern auch sonst niemand Angst haben wird. Es wird immerzu Streiks und Aufruhr geben. Ich kann für nichts garantieren, wenn Sie Matz zum König machen.«

»Ich weiß nicht, was es geben wird«, sagte rot vor Wut der Justizminister. »Aber eins weiß ich: Das Gesetz verlangt, dass nach dem Tod des Königs sein Sohn den Thron besteigt.«

»Aber Matz ist zu klein!«, riefen alle Minister.

Und es hätte bestimmt einen fürchterlichen Streit gegeben, doch in dem Augenblick ging die Tür auf, und ein ausländischer Botschafter betrat den Saal.

Es mag seltsam erscheinen, dass ein ausländischer Botschafter in die Beratung der Minister hereinplatzte, wo doch die Tür abgeschlossen war. Daher muss ich erklären, dass man, als nach dem Doktor geschickt worden war, vergessen hatte, die Tür wieder abzuschließen. Manche sprachen später sogar von Verrat und sagten, der Justizminister habe die Tür absichtlich unverschlossen gelassen, weil er wusste, dass der Botschafter kommen würde.

»Guten Abend«, sagte der Botschafter. »Ich komme im Namen meines Königs und verlange, dass Matz der Erste König wird. Sonst gibt es Krieg.«

Der Ministerpräsident erschrak sehr, tat aber so, als ginge ihn das nichts an. Auf das Blatt Papier schrieb er mit dem blauen Buntstift: Gut, dann gibt es eben Krieg und reichte das Blatt dem ausländischen Botschafter.

Dieser nahm das Blatt, verneigte sich und sagte:

»Gut, ich werde meiner Regierung davon schreiben.«

In diesem Augenblick betrat der Doktor den Saal, und alle Minister baten ihn, er möge den König retten, weil es Krieg und Unglück geben könnte, falls der König stirbt.

»Ich habe dem König schon alle Medikamente verabreicht, die ich kenne. Ich habe ihm Schröpfköpfe gesetzt und kann nichts weiter tun. Aber man kann vielleicht andere Doktoren rufen.«

Die Minister befolgten den Rat und riefen berühmte Doktoren, die beratschlagen sollten, wie der König zu retten sei. Sie schickten alle königlichen Autos in die Stadt und baten ihrerseits den königlichen Koch um ein Abendessen, denn sie waren sehr hungrig, weil sie nicht geahnt hatten, dass die Beratung so lange dauern würde, und zu Hause nicht einmal zu Mittag gegessen hatten.

Der Koch trug silberne Teller auf und füllte besten Wein in Flaschen, denn er wollte auch nach dem Tod des alten Königs am Hof bleiben.

Also aßen und tranken die Minister und wurden sogar schon fröhlich; im Saal versammelten sich unterdessen die Doktoren.

»Ich denke«, sagte ein alter Doktor mit Bart, »man muss den König operieren.«

»Und ich denke«, sagte ein anderer Doktor, »man muss dem König heiße Umschläge machen, und er soll den Hals spülen.«

»Und er muss Pulver nehmen«, sagte ein herausragender Professor.

»Tropfen sind sicher besser«, sagte ein anderer.

Jeder der Doktoren hatte ein dickes Buch mitgebracht und zeigte nun, dass in seinem Buch etwas anderes stand, wie diese Krankheit zu behandeln sei.

Es war schon spät, und die Minister waren sehr schläfrig, doch sie mussten abwarten, was die Doktoren zu sagen hatten. Und im ganzen Königsschloss herrschte solch ein Lärm, dass der kleine Thronfolger, Matz, der Königssohn, schon zweimal aufgewacht war.

›Mal nachsehen, was da los ist‹, dachte Matz, stieg aus dem Bett, zog sich flugs an und trat auf den Gang hinaus.

Er blieb vor der Tür des Speisezimmers stehen, nicht weil er hätte lauschen wollen, sondern weil im Königsschloss die Türklinken so hoch waren, dass der kleine Matz die Türen nicht selbst öffnen konnte.

»Einen guten Wein hat der König«, rief der Finanzminister. »Trinken wir noch, meine Herren. Falls Matz König wird, braucht er sowieso keinen Wein, denn Kinder dürfen ja keinen Wein trinken.«

»Zigarren dürfen Kinder auch nicht rauchen. Also können wir ein paar Zigarren mit nach Hause nehmen«, rief der Handelsminister.

»Und wenn es Krieg gibt, meine Lieben, dann versichere ich Ihnen, dass von diesem Schloss nichts übrig bleiben wird, denn Matz wird uns ja doch nicht verteidigen.«

Da lachten alle und riefen:

»Trinken wir auf das Wohl unseres Verteidigers, des großen Königs Matz des Ersten!«

Matz begriff kaum, was sie sagten, er wusste, dass sein Papa krank war und die Minister sich oft zur Beratung versammelten. Aber wieso sie über ihn, Matz, lachten und ihn König nannten und was das für ein Krieg sein sollte, verstand er überhaupt nicht.

Ein wenig verschlafen und ein wenig verängstigt ging er weiter den Gang entlang und hörte durch die Tür des Beratungssaals ein anderes Gespräch.

»Ich sage Ihnen, der König stirbt. Sie können ihm Pulver und Arznei verabreichen, das wird nichts nützen.«

»Ich lege meine Hand ins Feuer, der König hat keine Woche mehr zu leben.«

Mehr hörte Matz nicht mit an. Er rannte den Gang hinunter, durch zwei große königliche Gemächer, und erreichte atemlos das Schlafzimmer des Königs.

Der König lag im Bett, war sehr blass und atmete schwer. Bei ihm saß derselbe gutmütige Doktor, der auch Matz behandelte, wenn er krank war.

»Papa, Papa!«, rief Matz unter Tränen. »Ich will nicht, dass du stirbst.«

Der König schlug die Augen auf und blickte seinen Sohn traurig an.

»Auch ich will nicht sterben«, sagte der König leise. »Ich möchte dich, mein Sohn, nicht allein auf der Welt zurücklassen.«

Der Doktor nahm Matz auf den Schoß, und sie sagten nichts mehr.

Matz fiel ein, dass er schon einmal so am Bett gesessen hatte. Damals hatte ihn sein Vater auf dem Schoß, und im Bett lag seine Mama, genauso blass, und atmete genauso schwer.

›Papa stirbt genauso wie Mama‹, dachte Matz.

Und ihn befiel schreckliche Trauer, und ihn überkamen Grimm und Groll gegen die Minister, die dort über ihn, Matz, lachten und über den Tod seines Vatis.

›Das gebe ich ihnen zurück, wenn ich erst König bin.‹

Das Begräbnis des Königs fand mit großem Gepränge statt. Die Straßenlaternen waren mit Trauerflor umwunden. Alle Glocken läuteten. Das Orchester spielte einen Trauermarsch. Kanonen fuhren vorüber, das Militär paradierte. Blumen wurden mit Eisenbahnzügen aus den wärmsten Ländern geliefert. Alle Menschen waren sehr traurig. Die Zeitungen schrieben, das ganze Volk beweine den Verlust des geliebten Königs.

Matz saß traurig in seinem Zimmer, denn er sollte zwar König werden, hatte aber seinen Vater verloren – und nun hatte er niemanden mehr auf der Welt.

Matz erinnerte sich an seine Mama; sie hatte ihm den Namen Matz gegeben. Obwohl Mama Königin war, war sie überhaupt nicht hochmütig gewesen; sie spielte mit ihm, türmte Bauklötze mit ihm auf, erzählte ihm Märchen, zeigte ihm Bilder in Büchern. Seinen Vater sah Matz seltener, denn der König fuhr oft zum Militär oder zu Besuch oder empfing verschiedene Könige. Dann hatte er wieder Beratungen und Sitzungen.

Aber es kam vor, dass auch der König einen Augenblick Zeit für Matz fand, mit ihm kegelte oder einen Ausritt durch die langen Alleen des königlichen Gartens unternahm: der König auf einem Pferd, Matz auf einem Pony.

Und was sollte jetzt werden? Immer dieser langweilige ausländische Erzieher, der ein Gesicht machte, als hätte er soeben ein Glas scharfen Essigs getrunken.

Und war es denn so angenehm, König zu sein? Eher wohl nicht, oder? Ja, wenn wirklich Krieg wäre, könnte man sich wenigstens schlagen. Aber was hat ein König zu tun, wenn Frieden herrscht?

Matz war traurig zumute, als er allein in seinem Zimmer saß, und ihm war traurig zumute, als er durch das Gitter des königlichen Gartens zusah, wie die Kinder der Schlossbedienten fröhlich im königlichen Hof spielten.

Da spielten sieben Jungen – meist Militär. Zum Angriff geführt, exerziert und geleitet wurden sie immer von demselben kleinen, ungemein lustigen Jungen. Er hieß Feli. So riefen ihn die anderen Jungen.

Schon oft hatte Matz ihn rufen wollen, um durch das Gitter mit ihm zu sprechen, aber er wusste nicht, ob er es durfte und ob es sich schickte, und er wusste auch nicht, was er sagen und wie er das Gespräch beginnen sollte.

Unterdessen waren in allen Straßen große Bekanntmachungen angeklebt worden, dass Matz König geworden sei, dass er seine Untertanen begrüße, dass die Minister dieselben blieben wie vorher, und dass sie dem jungen König bei seiner Arbeit helfen würden.

Alle Schaufenster waren voll mit Fotografien von Matz. Matz auf dem Pony, Matz im Matrosenanzug, Matz in Militärkleidung. Matz bei der Truppenschau. Auch in den Lichtspieltheatern wurde Matz gezeigt. Alle in- und ausländischen Illustrierten waren voll von Matz.

Und die Wahrheit ist: Alle mochten Matz. Die Erwachsenen bedauerten ihn, weil er so früh schon beide Eltern verloren hatte. Die Jungen freuten sich, dass wenigstens einer unter ihnen war, auf den alle hören mussten, vor dem sogar Generäle strammstanden und erwachsene Soldaten das Gewehr präsentierten. Den Mädchen gefiel dieser kleine König auf dem flinken Pferdchen. Am meisten aber liebten ihn die Waisenkinder.

Als die Königin noch lebte, hatte sie zu den Feiertagen stets Bonbons in die Waisenhäuser schicken lassen. Als sie starb, hatte der König befohlen, weiterhin Bonbons zu schicken. Und auch wenn Matz nichts davon wusste, so wurden den Kindern seit Langem in seinem Namen Süßigkeiten und Spielsachen geschickt. Und viel später verstand Matz dann, dass man mit einem Posten im Staatshaushalt den Menschen viel Gutes tun konnte, ohne es auch nur zu ahnen.

Ungefähr ein halbes Jahr nach der Thronbesteigung wollte es der Zufall, dass Matz große Beliebtheit erlangte. Das heißt, alle sprachen von ihm, aber nicht weil er König war, sondern weil er etwas getan hatte, das allen gefiel.

Ich will erzählen, wie das geschah.

Durch seinen Doktor erbat Matz die Erlaubnis, Spaziergänge durch die Stadt zu unternehmen. Lange hatte Matz den Doktor bedrängt, er möge ihn doch wenigstens einmal pro Woche in den Garten führen, wo alle Kinder spielten:

»Ich weiß, im königlichen Garten ist es schön, aber allein langweilt man sich auch im allerschönsten Garten.«

Schließlich hatte der Doktor es versprochen und sich vom Hofmarschall zur Schlossverwaltung führen lassen, damit der königliche Betreuer beim Ministerrat für König Matz die Erlaubnis zu drei Spaziergängen in zweiwöchentlichem Abstand erwirkte.

Es mag seltsam erscheinen, dass ein König es so schwer hat, einen ganz normalen Spaziergang zu machen. Hinzuzufügen ist, dass der Hofmarschall nur deshalb damit einverstanden war, weil der Doktor ihn kurz zuvor von Leibschmerzen befreite, nachdem er nicht mehr frischen Fisch gegessen hatte. Die Schlossverwaltung bemühte sich schon seit Langem um Geld für den Bau eines Pferdestalls, den auch der königliche Betreuer benutzen sollte, und der Innenminister gab seine Zustimmung, um den Finanzminister zu ärgern, denn für jeden königlichen Spaziergang erhielt die Polizei dreitausend Dukaten, und die Sanitätsabteilung bekam ein Fass Kölnisch Wasser und tausend Taler in Gold.

Vor jedem Spaziergang des Königs Matz säuberten nämlich zweihundert Arbeiter und hundert Frauen gründlich den Garten. Es wurde gekehrt, es wurden die Bänke angemalt, die Alleen mit Kölnisch Wasser gesprengt und der Staub von Bäumen und Blättern gewischt. Die Doktoren achteten darauf, dass es sauber war, dass es keinen Staub gab, denn Schmutz und Staub schaden der Gesundheit. Die Polizei achtete darauf, dass während des Spaziergangs keine Lümmel im Garten waren, die Steine warfen, schubsten, sich prügelten und laut schrien.

König Matz amüsierte sich ausgezeichnet. Er trug normale Kleidung, sodass niemand wusste, dass da der König ging, denn man erkannte ihn nicht. Und es kam auch niemandem in den Sinn, dass der König sich in den gewöhnlichen Garten begeben könnte. König Matz ging zweimal um den ganzen Garten herum und bat, sich auf die Bank an dem Platz setzen zu dürfen, wo die Kinder spielten. Doch kaum saß er, da kam schon ein Mädchen gelaufen und fragte ihn:

»Möchten Sie Ringelreihen spielen, junger Mann?«

Sie nahm Matz bei der Hand, und sie spielten zusammen. Die Mädchen sangen Lieder und drehten sich im Kreis. Als sie dann auf ein neues Spiel warteten, begann das Mädchen sich mit ihm zu unterhalten.

»Haben Sie eine kleine Schwester?«

»Nein, ich habe keine.«

»Und was macht Ihr Papa?«

»Mein Papa ist gestorben. Er war König.«

Womöglich dachte das Mädchen, Matz mache Witze, denn sie lachte und sagte:

»Wenn mein Vati König wäre, müsste er mir eine Puppe kaufen, die bis zur Decke reicht.«

König Matz erfuhr, dass der Vater des Mädchens Hauptmann bei der Feuerwehr war, dass sie Reni hieß und die Feuerwehrleute sehr mochte, die ihr manchmal erlaubten, auf dem Pferd zu reiten.

Matz wäre gern länger geblieben, aber seine Erlaubnis galt nur bis vier Uhr zwanzig Minuten und dreiundvierzig Sekunden.

Ungeduldig wartete Matz auf den nächsten Spaziergang, doch es regnete, und man fürchtete um seine Gesundheit.

Beim zweiten Mal hatte Matz einen Unfall. Er spielte wieder mit den Mädchen Ringelreihen. Da kamen einige Jungen heran, und einer rief:

»Seht mal, der Junge spielt Ringelreihen mit den Mädchen!«

Und sie lachten los.

Und König Matz bemerkte, dass er tatsächlich als einziger Junge Ringelreihen spielte.

»Komm und spiel lieber mit uns«, sagte der Junge.

Und Matz sah ihn aufmerksam an:

Ach, das war ja Feli, derselbe Feli, den Matz früher hatte kennenlernen wollen.

Feli sah ihn jetzt aufmerksam an und rief aus vollem Hals:

»Oh, der sieht ja aus wie König Matz!«

Matz schämte sich sehr, denn auf einmal schauten ihn alle an. Er wäre gern so schnell wie möglich zu dem Adjutanten gelaufen, der zur Tarnung ebenfalls gewöhnliche Kleidung trug, doch vor Eile oder auch vor Scham stürzte er und schürfte sich das Knie auf.

Im Ministerrat wurde beschlossen, dass man dem König nicht erlauben durfte, in den Garten zu gehen. Sie würden alles tun, was der König nur wolle, aber in einen gewöhnlichen Park dürfe er nicht gehen, denn dort seien unartige Kinder, die ihn belästigt und ausgelacht hätten, und der Ministerrat könne nicht zulassen, dass sie den König auslachten, denn das vertrage sich nicht mit der Königswürde.

Matz war sehr bekümmert und dachte lange an seine beiden frohen Spiele im gewöhnlichen Garten, bis ihm Renis Wunsch wieder einfiel.

›Sie möchte eine Puppe, die bis zur Decke reicht.‹

Der Gedanke ließ ihm keine Ruhe.

›Ich bin doch der König, also darf ich befehlen. Stattdessen muss ich allen gehorchen. Ich lerne Lesen und Schreiben wie alle anderen Kinder. Ich muss mir die Ohren und den Hals waschen und die Zähne putzen, genau wie alle anderen Kinder. Das Einmaleins ist dasselbe für Könige wie für alle anderen. Was habe ich also davon, König zu sein?‹

Matz begehrte auf, und bei einer Audienz verlangte er mit lauter Stimme vom Ministerpräsidenten, dass man die größte Puppe der Welt kaufen und Reni schicken sollte.

»Eure Majestät geruhen zu bemerken«, hub der Ministerpräsident an.

Matz konnte sich sofort denken, was folgen würde; dieser unausstehliche Mensch würde lange und viele unverständliche Dinge reden – und am Ende wäre es nichts mit der Puppe. Matz fiel ein, wie derselbe Minister einmal seinem Vater etwas zu erklären anfing; damals hatte der König mit dem Fuß aufgestampft und gesagt:

»Ich verlange es unwiderruflich.«

Also stampfte jetzt auch Matz genauso mit dem Fuß auf und sagte sehr laut:

»Herr Minister, hören Sie, ich verlange dies unwiderruflich.«

Verblüfft schaute der Ministerpräsident Matz an, dann notierte er etwas in seinem Notizbuch und murmelte:

»Ich werde den Begehr Eurer Majestät im Ministerrat vorbringen.«

Was im Ministerrat besprochen wurde, weiß keiner, denn die Beratung fand hinter verschlossenen Türen statt. Es wurde jedoch beschlossen, die Puppe zu kaufen, und der Handelsminister lief zwei Tage lang durch alle Geschäfte und sah sich die größten Puppen an. Doch eine so große Puppe gab es nirgends. Da rief der Handelsminister alle Industriellen zu einer Beratung zusammen, und ein Fabrikant übernahm es, binnen vier Wochen die gewünschte Puppe für teures Geld in seiner Fabrik herzustellen. Als die Puppe fertig war, stellte er sie ins Schaufenster seines Geschäfts, mit der Aufschrift: Der Hoflieferant Seiner Majestät hat diese Puppe angefertigt für die Feuerwehrhauptmannstochter Reni.

Sofort erschienen in den Zeitungen Fotografien von der Feuerwehr beim Löschen eines Brandes und eine Fotografie von Reni und der Puppe. Es hieß, König Matz sehe sehr gern zu, wie die Feuerwehr ausrückt und wie es brennt. In einem Leserbrief schrieb jemand, er sei bereit, sein Haus anzuzünden, wo doch der geliebte König Matz Brände so sehr möge. Viele Mädchen schrieben Briefe an König Matz, sie hätten auch gern eine Puppe. Doch der Hofsekretär las Matz diese Briefe gar nicht vor, denn der zornige Ministerpräsident hatte es ihm strengstens verboten.

Vor dem Geschäft stand drei Tage lang eine Menschenmenge und betrachtete das königliche Geschenk; erst am vierten Tag wurde auf Anordnung des Polizeipräfekten die Puppe aus dem Schaufenster entfernt, damit vorbeifahrende Straßenbahnen und Autos nicht behindert wurden.

Noch lange sprach man von der Puppe und von Matz, der Reni ein so schönes Geschenk gemacht hatte.

Matz stand immer um sieben Uhr morgens auf, wusch und zog sich selbst an, putzte selbst seine Schuhe und machte sein Bett. Diesen Brauch hatte noch Matzens Urgroßvater eingeführt, der tapfere König Paul der Sieger. Gewaschen und angezogen, trank Matz dann ein Glas Lebertran und setzte sich zum Frühstück hin, das nicht länger dauern durfte als sechzehn Minuten fünfunddreißig Sekunden. So lange nämlich aß Matzens erhabener Großvater, der gute König Julius der Tugendhafte. Danach ging Matz in den Thronsaal, wo es sehr kalt war, und empfing die Minister. Im Thronsaal gab es keinen Ofen, weil Matzens Urgroßmutter, die kluge Anna die Fromme, sich als kleines Mädchen beinahe an Kohlenmonoxid vergiftet hatte; zum Gedenken an ihre glückliche Rettung wurde ins Schlosszeremoniell die Regel aufgenommen, dass der Thronsaal fünfhundert Jahre lang ohne Ofen bleiben musste.

Matz saß auf dem Thron, zähneklappernd vor Kälte, und die Minister sagten ihm, was im ganzen Staat vor sich ging. Das war sehr unangenehm, denn irgendwie waren alle Nachrichten unerfreulich.

Der Außenminister erzählte, wer böse auf ihren Staat war und wer sich mit ihm anfreunden wollte, und Matz verstand davon fast nichts.

Der Kriegsminister zählte auf, wie viele Festungen kaputt waren, wie viele Kanonen entzweigegangen waren, sodass man mit ihnen nicht schießen konnte, und wie viele Soldaten krank waren.

Der Eisenbahnminister erklärte, es müssten neue Lokomotiven gekauft werden.

Der Bildungsminister beklagte, dass die Kinder nicht lernen wollten, zu spät zur Schule kämen, dass die Jungen heimlich Zigaretten rauchten und Seiten aus ihren Heften rissen. Die Mädchen seien immer gekränkt und zerstritten, die Jungen prügelten sich, würfen Steine und zerbrächen Fensterscheiben.

Der Finanzminister war andauernd böse, weil er kein Geld hätte. Er wolle weder neue Kanonen noch neue Lokomotiven kaufen, weil das zu teuer wäre.

Danach ging Matz in den Park und konnte eine Stunde lang herumlaufen und spielen. Aber so ganz allein machte es ihm fast keinen Spaß.

Deshalb kam er recht gern zum Unterricht zurück. Matz lernte fleißig, weil er wusste, dass er ohne Bildung schlecht König sein konnte. Daher lernte er auch schon bald, seine Unterschrift mit einem ganz langen Schnörkel hinzuschreiben. Und er musste Französisch und andere Fremdsprachen lernen, damit er sich mit anderen Königen unterhalten konnte, wenn er sie besuchen fuhr.

Matz hätte noch lieber und fleißiger gelernt, wenn er verschiedene Fragen hätte stellen dürfen, die ihm durch den Kopf gingen.

Lange dachte Matz darüber nach, ob man ein Brennglas erfinden könnte, mit dem sich aus der Ferne Schießpulver entzünden ließe. Wenn Matz ein solches Brennglas erfunden hätte, würde er allen Königen den Krieg erklären und dann am Vorabend der Schlacht alle feindlichen Pulvermagazine in die Luft sprengen. Er würde den Krieg gewinnen, weil er als Einziger noch über Pulver verfügte. Und dann wäre er sofort ein großer König geworden, obwohl er so klein war. Was soll’s, sein Lehrer zuckte mit den Schultern, verzog das Gesicht und gab ihm keine Antwort.

Ein andermal fragte Matz, ob es nicht möglich wäre, dass ein Vater, wenn er stirbt, seinen Verstand an den Sohn weitergibt. Matzens Vater, Stefan der Kluge, war sehr weise gewesen. Und nun saß Matz auf demselben Thron, trug dieselbe Krone, aber musste alles von vorn lernen – und wusste nicht einmal, ob er je so viel wissen würde wie sein Vater. So aber hätte er mitsamt der Krone und dem Thron auch die Tapferkeit seines Urgroßvaters Paul des Siegers, die Frömmigkeit seiner Großmutter und das ganze Wissen seines Vaters bekommen.

Doch auch diese Frage fand kein Gefallen.

Lange, sehr lange überlegte Matz, ob er nicht an eine Tarnkappe herankommen könnte. Wie schön wäre das: Matz würde solch eine Kappe aufsetzen und könnte überall hingehen, ohne gesehen zu werden. Er könnte sagen, er habe Kopfweh, dann dürfte er den ganzen Tag im Bett bleiben und könnte ausschlafen. Nachts würde er dann die Tarnkappe aufsetzen und in die Stadt gehen, durch die Hauptstadt spazieren, sich Schaufenster ansehen, ins Theater gehen.

Matz war nur einmal im Theater gewesen, bei einer Galavorstellung, als Papa und Mama noch lebten; er konnte sich fast an nichts mehr erinnern, denn er war noch sehr klein gewesen, aber er wusste, dass es wunderschön gewesen war.

Mit einer Tarnkappe wäre er aus dem Park in den Schlosshof gegangen und hätte sich mit Feli angefreundet. Und im Schloss hätte er überallhin gehen können: in die Küche, um zuzuschauen, wie das Essen gekocht wurde, in den Stall zu den Pferden, in all die verschiedenen Gebäude, die er jetzt nicht betreten durfte.

Es mag seltsam erscheinen, dass einem König so vieles verboten sein konnte. Also muss ich dazusagen, dass an Königshöfen eine sehr strenge Etikette herrscht. Etikette bedeutet: So haben es die Könige schon immer gemacht, und ein neuer König darf nichts daran ändern, denn wollte er etwas anders machen, dann würde er seine Ehre verlieren, und niemand würde ihn mehr fürchten und respektieren. Es würde nämlich bedeuten, dass er seinen großen Vater und König, seinen Großvater oder Urgroßvater und König nicht achtete. Falls der König irgendetwas anders machen möchte, muss er den Zeremonienmeister fragen, der über die Hofetikette wacht und weiß, was die Könige schon immer so gemacht haben.

Wie gesagt, Matzens Frühstück dauerte sechzehn Minuten fünfunddreißig Sekunden, denn so hatte es sein Großvater gehalten, und im Thronsaal gab es keinen Ofen, denn so hatte es seine Großmutter gewollt, die schon lange gestorben war, und die man nun nicht mehr fragen konnte, ob sie jetzt vielleicht erlaubte, einen Ofen aufzustellen.

Manchmal darf der König etwas ein bisschen verändern, aber dann werden lange Beratungen abgehalten, so wie bei Matzens Spaziergang. Deswegen ist es unangenehm, um etwas zu bitten und dann so lange zu warten.

König Matz befand sich in einer schlechteren Lage als andere Könige, denn die Etikette war ja für erwachsene Könige gemacht, doch Matz war ein Kind. Deshalb musste man sie ein wenig verändern. Daher hatte Matz statt köstlichen Weins zwei Gläser Lebertran zu trinken, der ihm überhaupt nicht schmeckte. Statt Zeitungen zu lesen, schaute er sich daher nur die Bilder an, denn er konnte noch nicht so gut lesen.

Es wäre alles anders gewesen, wenn Matz den Verstand seines Vaters und Königs und eine Zaubertarnkappe gehabt hätte. Dann wäre er ein echter König gewesen. Aber so wusste er oft selber nicht, ob es nicht besser gewesen wäre, als gewöhnlicher Junge geboren zu werden, der zur Schule ging, Seiten aus den Heften riss und mit Steinen warf.

Bis es Matz einmal in den Sinn kam, wenn er schreiben lernte, könnte er Feli etwas auf ein Blatt schreiben, und vielleicht würde Feli ihm antworten, und dann wäre es, als ob er sich mit Feli unterhielte.

Von da an lernte Matz richtig schreiben. Er schrieb tagelang, schrieb Geschichten und Gedichte aus Büchern ab. Wenn man es ihm erlaubt hätte, wäre er nicht einmal in den königlichen Garten gegangen, sondern hätte von früh bis spät geschrieben. Das durfte er aber nicht, denn die Etikette und das Hofzeremoniell verlangten, dass der König aus dem Thronsaal direkt in den Garten ging. Und zwanzig Lakaien standen schon parat, um die Türen vom Thronsaal in den Garten zu öffnen. Wenn Matz nicht in den Garten gegangen wäre, hätten diese zwanzig Lakaien nichts zu tun gehabt und sich sehr gelangweilt.

Nun wird vielleicht jemand einwenden, es sei doch keine Arbeit, Türen zu öffnen. Das kann nur sagen, wer die höfische Etikette nicht kennt. Ich muss also erklären, dass diese Lakaien ganze fünf Stunden lang beschäftigt waren. Jeder von ihnen nahm morgens ein kaltes Bad, dann frisierte sie der Friseur und rasierte sie; und ihre Kleidung musste sauber sein, es durfte sich kein Stäubchen darauf befinden, denn einmal, vor dreihundert Jahren, als König Heinrich der Hitzkopf regierte, war ein Floh von einem Lakai auf das Königszepter gesprungen, also hieb der Henker diesem Schlump den Kopf ab, und der Hofmarschall entkam dem Tod nur knapp. Seitdem überprüfte der Aufseher selbst die Reinlichkeit der Lakaien, die ab elf Uhr sieben Minuten angezogen, gebadet und sauber auf dem Gang standen und bis ein Uhr siebzehn Minuten darauf warteten, dass der Zeremonienmeister persönlich sie inspizierte. Sie mussten sehr aufpassen, denn für einen offenen Knopf drohten ihnen sechs Jahre Gefängnis, für eine nachlässige Frisur vier Jahre Schwerstarbeit und für eine ungeschickte Verbeugung zwei Monate Arrest bei Brot und Wasser.

Über all dies wusste Matz schon ein wenig Bescheid, deswegen kam es ihm gar nicht erst in den Sinn, nicht in den Park hinauszugehen. Und wer weiß: Vielleicht hätte man herausgefunden, dass irgendwann einmal ein König nicht in den Garten hinausging, und dann hätte man verlangt, Matz solle sich daran halten. Dann wäre das Schreibenkönnen ganz umsonst, denn wie hätte Matz dann Feli seinen Brief durch das Gitter aushändigen sollen?

Matz war begabt und willensstark. Er sagte:

»In einem Monat schreibe ich den ersten Brief an Feli.«

Und trotz Hindernissen schrieb und schrieb er so viel, dass schon nach einem Monat ganz ohne fremde Hilfe der Brief an Feli fertig war.

Lieber Feli, schrieb Matz, schon lange sehe ich euch zu, wie ihr fröhlich im Hof spielt. Und ich möchte auch so gern spielen. Doch ich bin der König, deswegen darf ich es nicht. Aber du gefällst mir sehr. Schreib mir, wer du bist, denn ich möchte dich kennenlernen. Wenn dein Vater beim Militär ist, erlaubt man dir vielleicht, manchmal in den königlichen Garten zu kommen.

Matz – König

Mit klopfendem Herzen rief Matz durch das Gitter Feli herbei und gab ihm das Blatt.

Und mit klopfendem Herzen nahm er auf demselben Wege zwei Tage später die Antwort entgegen.

König, schrieb Feli, mein Vater ist Zugführer der Palastwache und ist Militär, und ich möchte sehr gern in den königlichen Garten kommen. Ich bin dir treu, König, und bin bereit, für dich durchs Feuer zu gehen und dich bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen. Wann immer du Hilfe brauchst, pfeife einfach, und ich bin sofort zur Stelle.

Feli

Matz legte den Brief ganz unten in die Schublade, unter alle Bücher, und übte eifrig Pfeifen. Matz war auf der Hut und wollte sich nicht verraten: Wenn er verlangte, Feli in den Garten zu lassen, würden sofort Beratungen beginnen – wieso, woher kenne er Felis Namen, wie hätten sie sich kennengelernt; und was, wenn sie es herausfänden und schließlich nicht erlaubten? Sohn eines Zugführers – wenn es wenigstens ein Oberleutnant wäre. Einem Offizierssohn würden sie es möglicherweise erlauben, aber so stimmten sie ganz sicher nicht zu.

›Man muss noch abwarten‹, beschloss Matz. ›Unterdessen lerne ich Pfeifen.‹

Pfeifenlernen ist gar nicht so leicht, wenn es einem keiner zeigt. Aber Matz hatte einen starken Willen, also lernte er es.

Und pfiff.

Er pfiff nur zur Probe, um sich davon zu überzeugen, dass er es beherrschte. Wie verblüfft war er, als schon einen Augenblick später Feli höchstpersönlich vor ihm strammstand.

»Wie bist du hier hereingekommen?«

»Durch das Gitter geschlüpft.«

Im königlichen Garten wuchsen sehr dichte Himbeersträucher. Dort versteckte sich König Matz mit seinem Freund, um zu beratschlagen, was sie nun tun sollten.

»Hör zu, Feli, ich bin ein sehr unglücklicher König. Seit ich Schreiben gelernt habe, unterzeichne ich alle Papiere, es heißt, ich regiere den ganzen Staat, eigentlich tue ich aber, was man mir befiehlt, und man befiehlt mir nichts als langweilige Dinge und verbietet mir alles Angenehme.«

»Wer befiehlt und verbietet denn Euer Majestät?«

»Die Minister«, sagte Matz. »Als mein Papa noch da war, tat ich, was er befahl.«

»Na klar, damals warst du königliche Hoheit, Thronfolger, und dein Papa war Seine Majestät der König. Aber jetzt …«

»Eben, jetzt ist es hundertmal schlimmer. Da ist ein ganzer Haufen Minister.«

»Militärs oder Zivilisten?«

»Militär ist nur einer, der Kriegsminister.«

»Und der Rest Zivilisten?«

»Ich weiß nicht, was das heißt, Zivilisten.«

»Zivilisten sind solche, die keine Uniform und keinen Säbel tragen.«

»Also ja, Zivilisten.«

Feli stopfte sich eine Handvoll Himbeeren in den Mund und versank in Gedanken. Dann fragte er langsam und etwas zögerlich:

»Gibt es Kirschen im königlichen Garten?«

Die Frage verwunderte Matz, doch da er großes Vertrauen zu Feli hatte, gestand er, dass es Kirschen und Birnen gab, und versprach, Feli durch das Gitter so viel davon zu reichen, wie dieser nur wünschte.

»Nun gut, uns öfter sehen dürfen wir nicht, denn man könnte uns auf die Spur kommen. Wir werden so tun, als ob wir uns gar nicht kennen. Wir werden uns Briefe schreiben. Diese Briefe legen wir dann auf den Zaun, daneben können die Kirschen liegen. Sobald die Geheimkorrespondenz hier liegt, pfeifen Eure Majestät, und ich hole dann alles ab.«

»Und wenn du mir zurückgeschrieben hast, pfeifst du«, freute sich Matz.

»Nach einem König pfeift man doch nicht«, sagte Feli entrüstet. »Ich kann einen Kuckucksruf von mir geben. Ich stelle mich in der Ferne auf und rufe Kuckuck.«

»Na gut«, willigte Matz ein. »Und wann kommst du wieder?«

Feli überlegte lange, dann erwiderte er endlich:

»Ohne Erlaubnis darf ich hier nicht herkommen. Mein Vater ist Zugführer und hat sehr gute Augen. Er erlaubt mir nicht einmal, mich dem Zaun des königlichen Gartens zu nähern, und hat mir schon oft gesagt: ›Feli, ich warne dich: Lass dir ja nicht einfallen, Kirschen im königlichen Garten zu pflücken. Denk daran: So wahr ich dein Vater bin, wenn du dabei erwischt wirst, ziehe ich dir das Fell über die Ohren und lasse dich nicht lebend davonkommen.‹«

Matz wurde verlegen.

Das wäre schrecklich: Da hatte er nun auf so schwierige Weise einen Freund gefunden, und durch sein, Matzens, Verschulden sollte diesem Freund das Fell über die Ohren gezogen werden. Nein, fürwahr, diese Gefahr war zu groß.

»Na, und wie kommst du jetzt wieder nach Hause?«, fragte Matz unruhig.

»Eure Majestät können sich entfernen, ich komme schon irgendwie zurecht.«

Matz nahm den Rat an und trat aus dem Dickicht. Es war höchste Zeit, denn sein ausländischer Hauslehrer war durch die Abwesenheit des Königs beunruhigt und sah sich im königlichen Garten nach ihm um.

Matz und Feli handelten von nun an gemeinsam, wenn auch durch das Gitter getrennt. Matz seufzte oft, wenn der Doktor bei ihm war, der ihn einmal pro Woche wog und maß, um festzustellen, wie der kleine König wuchs und wann er groß sein würde; er klagte über Einsamkeit und erwähnte sogar einmal gegenüber dem Kriegsminister, dass er gern das Exerzieren lernen würde.

»Herr Minister, vielleicht kennen Sie einen Zugführer, der mir Unterricht erteilen könnte.«

»Das Bestreben Eurer Majestät, militärische Kenntnisse zu erlangen, ist freilich lobenswert. Doch weshalb soll es ein Zugführer sein?«

»Es könnte auch der Sohn eines Zugführers sein«, sagte Matz freudig.

Der Kriegsminister zog die Brauen zusammen und notierte den Wunsch des Königs.

Matz seufzte; er wusste schon, welche Antwort er nun hören würde:

»Ich werde den Wunsch Eurer Majestät in die nächste Sitzung des Ministerrates einbringen.«

Es würde nichts daraus werden; bestimmt würden sie ihm irgendeinen alten General schicken.

Doch es kam anders.

Auf der nächsten Ministerratssitzung gab es nur ein Gesprächsthema:

Drei Staaten zugleich hatten König Matz den Krieg erklärt. Krieg!

In Matzens Adern floss nicht umsonst das Blut seines Großvaters, des mannhaften Pauls des Siegers: Er war in seiner Ehre getroffen.

Ach, hätte er doch das Fernbrennglas gehabt, um das Pulver des Feindes in Brand zu setzen, und dazu die Tarnkappe.

Matz wartete bis zum Abend, er wartete bis zum anderen Mittag – nichts. Vom Krieg erfuhr er durch Feli. Bei den vorherigen Briefen hatte Feli nur dreimal Kuckuck gerufen, diesmal rief er wohl an die hundert Mal. Matz begriff, dass der Brief eine außergewöhnliche Nachricht enthalten musste. Doch er ahnte nicht, wie außergewöhnlich sie war. Einen Krieg hatte es schon lange nicht mehr gegeben, denn Stefan der Kluge hatte es verstanden, so mit seinen Nachbarn auszukommen, dass zwar keine große Freundschaft zwischen ihnen herrschte, er jedoch niemandem den offenen Kampf angesagt und auch niemand es gewagt hatte, ihm den Krieg zu erklären.

Na klar: Sie nutzten es jetzt aus, dass Matz so klein und unerfahren war. Doch umso mehr hatte Matz den Wunsch, ihnen zu beweisen, dass sie sich getäuscht hatten, und dass er, König Matz, sein Land zu verteidigen vermochte, obwohl er klein war. Felis Brief lautete:

Drei Staaten haben Eurer Majestät den Krieg erklärt. Mein Vater hatte immer versprochen, dass er sich bei der ersten Nachricht vom Krieg vor Freude betrinken will. Darauf warte ich, denn wir müssen uns treffen.

Auch Matz wartete: Er dachte, man würde ihn noch am selben Tage zu einer außerordentlichen Sitzung des Ministerrates rufen – und jetzt könnte er, Matz, der rechtmäßige König, das Steuer des Staates in die Hand nehmen. Eine Beratung fand tatsächlich in der Nacht statt, doch Matz wurde nicht gerufen.

Am nächsten Tag hielt der ausländische Lehrer wie gewohnt Unterricht mit ihm ab.

Matz kannte die höfische Etikette und wusste, dass der König keine Launen haben, nicht halsstarrig oder wütend sein durfte; erst recht in solch einem Augenblick wollte er durch nichts den Anstand oder die königliche Ehre verletzen. Nur seine Brauen waren zusammengezogen und seine Stirn gerunzelt, und als er während des Unterrichts in den Spiegel sah, kam ihm in den Sinn:

›Ich sehe ja fast aus wie König Heinrich der Hitzkopf.‹

Matz wartete auf die Stunde der Audienz.

Als aber der Zeremonienmeister ihm verkündete, die Audienz sei abgesagt, sagte Matz ruhig, aber sehr blass und mit Nachdruck:

»Ich verlange, dass man unverzüglich den Kriegsminister in den Thronsaal beordert.«

›Krieg‹ sprach Matz dabei mit solchem Nachdruck aus, dass der Zeremonienmeister sofort begriff, dass Matz schon alles erfahren hatte.

»Der Kriegsminister ist bei der Sitzung.«

»Dann werde auch ich bei der Sitzung sein«, entgegnete König Matz und lenkte seine Schritte in Richtung des Sitzungssaals.

»Mögen Eure Majestät geruhen, nur einen Augenblick zu warten. Mögen Eure Majestät geruhen, sich meiner zu erbarmen. Ich darf das nicht. Ich bin verantwortlich.«

Und der Alte fing an, laut zu weinen.

Matz bekam Mitleid mit dem Alten, der tatsächlich genau wusste, was der König tun durfte und was sich nicht gehörte. Manchmal saßen sie an langen Abenden zusammen am Kamin, und gern lauschte Matz den spannenden Geschichten über seinen Vater, den König, und über seine Mutter, die Königin, über die höfische Etikette, ausländische Bälle, Galavorstellungen in den Theatern oder Militärmanöver, an denen der König teilgenommen hatte.

Matz hatte Gewissensbisse. Dem Sohn eines Zugführers Briefe zu schreiben, war eine große Verfehlung; am meisten quälte ihn das heimliche Pflücken von Kirschen und Himbeeren für Feli. Zwar gehörte ihm der Garten, zwar pflückte er das Obst nicht für sich, sondern als Geschenk; doch er tat es heimlich, und wer wusste, ob er damit nicht die ritterliche Ehre seiner großen Vorfahren besudelte.

Nicht umsonst war Matz schließlich Enkel der gottesfürchtigen Anna der Frommen. Matz hatte ein gutes Herz, die Tränen des Alten rührten ihn. Und vielleicht hätte Matz wieder etwas Unpassendes getan und sich seine Rührung anmerken lassen, doch er besann sich rechtzeitig; er runzelte die Stirn noch mehr und sagte kühl:

»Ich warte zehn Minuten.«

Der Zeremonienmeister lief hinaus. Im Königsschloss fing es an zu brodeln.

»Woher hat Matz das erfahren?«, rief der verärgerte Innenminister.

»Was hat dieser Rotzlöffel vor?«, rief der Ministerpräsident erregt.

Doch der Justizminister rief ihn zur Ordnung:

»Herr Ministerpräsident, das Gesetz verbietet es, sich auf offiziellen Sitzungen in dieser Weise über den König zu äußern. Privat dürfen Sie sagen, was Ihnen beliebt. Aber unsere Beratung ist offiziell. Hier dürfen Sie so etwas nur denken, aber nicht sagen.«

»Die Beratung ist unterbrochen«, versuchte sich der erschrockene Ministerpräsident zu verteidigen.

»Sie hätten verkünden müssen, dass Sie die Sitzung unterbrechen. Aber das haben Sie nicht getan.«

»Das habe ich vergessen. Entschuldigung.«

Der Kriegsminister schaute auf die Uhr:

»Meine Herren, der König gab uns zehn Minuten. Vier Minuten sind schon um. Also streiten wir nicht. Ich bin Militär und habe den unmissverständlichen Befehl des Königs auszuführen.«

Der arme Ministerpräsident hatte Grund zu Befürchtungen; auf dem Tisch lag ein Blatt Papier, auf dem mit blauem Buntstift geschrieben stand:

Gut, dann gibt es eben Krieg.

Damals war es leicht gewesen, den Mutigen zu spielen, aber jetzt war es schwer, Verantwortung für die leichtsinnig hingeschriebenen Worte zu übernehmen. Und was sollte er sagen, falls der König ihn fragte, weshalb er das damals geschrieben habe? Alles hatte doch damit angefangen, dass sie nach dem Tode des alten Königs nicht Matz hatten wählen wollen.

Alle Minister wussten darüber Bescheid, und sie frohlockten sogar ein bisschen, weil sie den Ministerpräsidenten nicht mochten, da er zu eigenmächtig verfügte und zu überheblich geworden war.

Keiner wollte etwas beratschlagen, jeder überlegte, wie er es anstellen könnte, dass der Zorn des Königs über die Verheimlichung einer so wichtigen Nachricht einen anderen träfe.

»Noch eine Minute«, sagte der Kriegsminister; er knöpfte den letzten Knopf zu, rückte die Orden zurecht, zwirbelte den Schnurrbart, nahm den Revolver vom Tisch – und eine Minute später stand er schon vor dem König stramm.

»Also Krieg?«, fragte Matz leise.

»So ist es, Eure Majestät.«

Matz fiel ein Stein vom Herzen, denn es muss hinzugefügt werden, dass auch Matz zehn Minuten in großer Beunruhigung verbracht hatte:

›Hatte Feli das vielleicht nur so geschrieben? Stimmte es womöglich nicht? War es vielleicht ein Scherz von ihm?‹

Das knappe »So ist es« wischte alle Zweifel hinweg. Es war Krieg, und zwar ein großer Krieg. Sie wollten das ohne ihn erledigen. Aber Matz hatte auf eine nur ihm bekannte Weise das Geheimnis entdeckt.

Eine Stunde später riefen die Zeitungsjungen aus voller Kehle:

»Sonderausgabe! Krise im Ministerrat!«

Also hatten die Minister sich zerstritten.

Die Krise im Ministerrat war folgende: Der Ministerpräsident spielte die beleidigte Leberwurst und wollte nicht mehr Ministerpräsident sein. Der Eisenbahnminister erklärte, er könne die Truppen nicht befördern, weil nicht genug Dampflokomotiven da seien. Der Bildungsminister erklärte, dass die Lehrer gewiss in den Krieg zögen, sodass in den Schulen noch mehr Fensterscheiben eingeworfen und Bänke beschädigt würden, und deshalb trete auch er zurück.

Für vier Uhr wurde eine Sonderberatung einberufen.

König Matz nutzte das allgemeine Durcheinander aus und entschlüpfte in den königlichen Garten; er pfiff ein Mal und noch ein Mal durchdringend, aber Feli zeigte sich nicht.

Mit wem sollte er sich in so einer wichtigen Stunde beraten? Matz spürte, dass eine große Verantwortung auf ihm ruhte, wusste aber nicht, was tun.

Plötzlich fiel Matz wieder ein, dass man alles Wichtige mit einem Gebet beginnen sollte. So hatte es ihn einst seine gute Mutter gelehrt.

Entschlossenen Schrittes drang Matz tiefer in den Garten vor, wo ihn niemand sehen konnte, und richtete ein inbrünstiges Gebet an Gott:

»Ich bin ein kleiner Junge«, betete Matz. »Ohne deine Hilfe, Gott, schaffe ich es nicht. Nach deinem Ratschluss habe ich die Krone erhalten, so hilf mir, denn ich habe großen Kummer.«

Lange bat Matz Gott um Hilfe, und heiße Tränen rannen über seine Wangen. Doch vor Gott schämt sich nicht einmal ein König dafür, dass er weinen muss.

Abwechselnd betete und weinte Matz, bis er einschlief, an einen Birkenstumpf gelehnt.

Ihm träumte, sein Vater säße auf dem Thron; und vor ihm stünden sämtliche Minister stramm. Auf einmal schlug die große, vor vierhundert Jahren zum letzten Mal aufgezogene Uhr im Thronsaal wie eine Kirchenglocke. Der Zeremonienmeister trat ein, und hinter ihm trugen zwanzig Lakaien einen goldenen Sarg herein. Da erhob sich sein Vater der König vom Thron und legte sich in den Sarg, der Zeremonienmeister nahm ihm die Königskrone vom Kopf und setzte sie Matz auf. Matz wollte sich auf den Thron setzen, doch als er hinsah, saß dort wieder sein Vater, jetzt ohne Krone und so seltsam, so wie ein Schatten. Und sein Vater sagte:

»Matz, der Zeremonienmeister hat dir meine Krone gegeben, ich aber gebe dir meinen Verstand.«

Und der Schatten des Königs nahm den Kopf in die Hand. Matzens Herz pochte: Was würde nun geschehen?

Da rüttelte jemand an ihm, und Matz erwachte.

»Eure Majestät, es geht auf vier Uhr.«

Matz erhob sich aus dem Gras, auf dem er geschlafen hatte, und ihm war etwas wohler als vorhin beim Aufstehen. Matz wusste nicht, dass er noch manche Nacht so unter freiem Himmel im Gras zubringen und sein königliches Bett lange nicht wiedersehen würde.

Und so, wie er es geträumt hatte, gab der Zeremonienmeister ihm die Krone. Um Punkt vier Uhr läutete König Matz im Sitzungssaal und sagte:

»Meine Herren, wir beginnen die Beratung.«

»Ich bitte ums Wort«, sagte da der Ministerpräsident.

Und er hielt eine lange Ansprache darüber, dass er nicht mehr länger arbeiten könne, dass es ihm leidtue, den König in so schwerer Stunde alleinzulassen, dass er jedoch krank sei und zurücktreten müsse.

Dasselbe brachten vier andere Minister vor.

Matz war kein bisschen erschrocken, er sagte nur:

»Das ist ja alles sehr schön, aber jetzt herrscht Krieg, und für Krankheit oder Müdigkeit ist keine Zeit. Sie, Herr Ministerpräsident, kennen alle Angelegenheiten, daher müssen Sie bleiben. Sobald ich den Krieg gewinne, können wir wieder reden.«

»Aber die Zeitungen haben schon geschrieben, dass ich abtrete.«

»Dann werden sie jetzt eben schreiben, dass Sie bleiben. Das ist meine … Bitte.«

König Matz hatte sagen wollen:

›Das ist mein Befehl.‹

Doch offenbar hatte des Vaters Schatten ihm in so schwerer Stunde geraten, statt ›Befehl‹ ›Bitte‹ zu sagen.

»Meine Herren, wir müssen das Vaterland verteidigen, wir müssen unsere Ehre verteidigen.«

»Eure Majestät wollen also gegen drei Staaten kämpfen?«, fragte der Kriegsminister.

»Was denn sonst, Herr Minister. Wollen Sie, dass ich sie um Frieden bitte? Ich bin Urenkel von Julian dem Sieger. Gott wird uns beistehen.«

Diese Ansprache gefiel den Ministern, und der Ministerpräsident war zufrieden, dass der König ihn gebeten hatte. Er tat noch ein wenig so, als bleibe er stur, willigte dann aber ein zu bleiben.

Die Beratung dauerte lange, und als sie zu Ende war, riefen die Zeitungsjungen auf den Straßen:

»Sonderausgabe! Krise beigelegt!«

Was bedeutete, dass die Minister sich versöhnt hatten.

Matz war etwas verwundert, weil bei der Beratung nicht erwähnt worden war, dass er, Matz, eine Ansprache an das Volk halten und auf einem Schimmel an der Spitze des tapferen Heeres reiten werde. Man hatte über Eisenbahn, Geld, Zwieback, Militärstiefel, Heu, Hafer, Ochsen und Schweine geredet, so als ob es nicht um einen Krieg, sondern ganz andere Dinge ginge.

Denn Matz hatte viel von früheren Kriegen gehört, wusste aber überhaupt nichts über den modernen Krieg. Den sollte er erst noch kennenlernen, er sollte in Kürze begreifen, wofür Zwieback und Stiefel gut seien und was sie mit dem Krieg zu tun hätten.

Matzens Unruhe nahm zu, als am anderen Morgen zur gewohnten Stunde sein ausländischer Hauslehrer zum Unterricht erschien.

Doch schon nach der Hälfte des Unterrichts wurde Matz in den Thronsaal gerufen.

»Die Gesandten der Staaten, die uns den Krieg erklärt haben, fahren ab.«

»Wohin fahren sie denn?«

»Nach Hause.«

Es kam Matz seltsam vor, dass sie so ruhig abreisen durften, doch es war ihm lieber, als wenn sie gepfählt oder gefoltert worden wären.

»Und weshalb sind sie gekommen?«

»Um sich von Euer Majestät zu verabschieden.«

»Muss ich gekränkt sein?«, fragte er leise, sodass die Lakaien es nicht hören konnten, denn sie hätten sonst den Respekt vor ihm verloren.

»Nein, Eure Majestät können sich freundlich von ihnen verabschieden. Sie werden das im Übrigen selbst tun.«

Die Gesandten waren weder gefesselt noch trugen sie Ketten an Füßen und Händen.

»Wir sind gekommen, um uns von Euer Majestät zu verabschieden. Es tut uns sehr leid, dass es Krieg geben muss. Wir haben alles getan, um einen Krieg nicht zuzulassen. Das ist uns leider nicht gelungen. Wir sind gezwungen, Euer Majestät die königlichen Orden zurückzugeben, denn es schickt sich für uns nicht, Orden eines Staates zu tragen, gegen den unsere Regierungen Krieg führen.«

Der Zeremonienmeister nahm ihnen die Orden ab.

»Wir danken Euer Majestät für die Gastfreundschaft in Ihrer schönen Hauptstadt, aus der wir die angenehmsten Erinnerungen mitnehmen. Wir bezweifeln nicht, dass dieses kleine Zerwürfnis alsbald enden und unsere Regierungen dann wieder die alte herzliche Freundschaft verbinden wird.«

Matz stand auf und erwiderte mit ruhiger Stimme:

»Richten Sie Ihren Regierungen aus, dass ich ehrlich erfreut bin über den Kriegsausbruch. Ich werde bestrebt sein, Sie so schnell wie möglich zu besiegen – und dann stelle ich milde Friedensbedingungen. So haben es meine Vorfahren getan.«

Einer der Gesandten lächelte, es gab eine tiefe Verbeugung, der Zeremonienmeister stieß dreimal mit seinem Silberstab auf den Boden und sagte:

»Die Audienz ist beendet.«

König Matzens Rede, die von allen Zeitungen abgedruckt wurde, weckte Begeisterung.

Vor dem Königsschloss versammelte sich eine riesige Menschenmenge. Die Hochrufe wollten kein Ende nehmen.

So vergingen drei Tage. Vergebens wartete König Matz darauf, dass man ihn endlich riefe. Denn ein Krieg war schließlich nicht dazu da, damit die Könige Grammatik paukten, Diktate schrieben und Rechenaufgaben lösten.

Tief bekümmert ging Matz durch den Garten, als er den bekannten Kuckucksruf vernahm.

Einen Augenblick später hatte er einen kostbaren Brief von Feli in der Hand.

Ich fahre an die Front. Mein Vater hat sich betrunken wie angekündigt, doch statt sich schlafen zu legen, fing er an, sich marschbereit zu machen. Er konnte die Feldflasche, das Taschenmesser und den Patronengurt nicht finden. Er dachte, ich hätte die Sachen genommen, da hat er mich ordentlich verdroschen. Heute oder morgen Nacht haue ich von zu Hause ab. Ich war an der Bahn. Die Soldaten haben versprochen mich mitzunehmen. Falls Eure Majestät mir etwas aufgeben wollen, warte ich bis sieben Uhr. Für die Fahrt könnte ich eine Wurst gebrauchen, am besten Dauerwurst, eine Flasche Schnaps und etwas Tabak.