Königlicher Verrat - Cornelia Naumann - E-Book

Königlicher Verrat E-Book

Cornelia Naumann

4,8

Beschreibung

Paris, 23. November 1407. Ein Mord auf offener Straße verändert das Leben von drei Frauen entscheidend. Königin Isabel, als bayerische Prinzessin fremd in Frankreich, verliert ihren besten Freund. Margaud, Flüchtling vom Lande, wird unversehens zur Gegnerin der königlichen Politik. Christine de Pizan, als emanzipierter »Blaustrumpf« verspottet, verstrickt sich in eine aussichtslose Liebe. Die Königin von Frankreich steht vor einer fundamentalen Entscheidung. Muss sie zur Verräterin an ihrem eigenen Land werden, um es retten zu können?

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Cornelia Naumann

Königlicher Verrat

Historischer Roman

Impressum

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag: Die Portraitmalerin (2014)

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2016 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2016

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung einer Zeichnung aus dem »Buch der Königin« von Christine de Pizan (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Isabeau_de_Baviere3.jpg?uselang=de)

ISBN 978-3-8392-5080-8

Zitat

Wie konnten es all diese großartigen Frauen,

die so weise und gelehrt,

die des Schreibens mächtig waren

und schöne Bücher verfassten,

wie konnten diese Frauen es so lange widerspruchslos hinnehmen,

daß alle möglichen Männer Scheußlichkeiten

über sie verbreiteten –

schließlich wußten sie nur zu gut,

daß man ihnen damit gewaltiges Unrecht zufügte?

Christine de Pizan, 1405 

Dramatis Personae

Prinzessin Elisabeth von Bayern-Ingolstadt, später Isabel, Königin von Frankreich (1370 – 1435), genannt Isabeau de Bavière

Charles VI, König von Frankreich, ihr Gatte (1368 – 1422), genannt le fou, »der Wahnsinnige«

Ihre Kinder:

Charles (*/† 1386)

Jeanne (1388 – 1390)

Isabella (1389 – 1409) ∞ Richard (1367 – 1400), König von England

Jeanne (1391 – 1433) ∞ Johann VI. Montfort (1389 – 1442), Herzog der Bretagne

Charles (1392 – 1401)

Marie (1393 – 1438), Nonne in Poissy

Michelle (1395 – 1422) ∞ Philipp (1396 – 1467), Herzog von Burgund

Louis (1396 – 1415), Dauphin, ∞ Margarete von Burgund († 1441)

Jean (1398 – 1417), Dauphin, ∞ Jakobäa von Bayern-Hennegau (1401 – 1436)

Catherine (1401 – 1437) ∞ Henry V. (1387 – 1422), König von England

Charles (1403 – 1461), genannt Charlot, 1422 Charles VII. König von Frankreich ∞ Marie von Anjou (1404 – 1463)

Philippe (*/† 1407)

Die französische Herzogsfamilie:

Louis von Valois, Herzog von Orleans, Bruder des Königs (1372 – 23.11.1407)

Johann, Herzog von Berry (1340 – 1416), Onkel des Königs

Louis II., Herzog von Bourbon (1337 – 1410), Onkel des Königs

Ludwig I. von Anjou (1339 – 1384), Onkel des Königs

Philipp II., Herzog von Burgund (1342 – 1404), Onkel des Königs

Johann Ohnefurcht, genannt Jean Sanspeur, sein Sohn (1371 – 1419)

Die bayerische Herzogsfamilie:

Herzog Stefan III. von Bayern-Ingolstadt, der »Kneissl«, Isabels Vater (1137 – 1413)

Ludwig der Bärtige von Bayern-Ingolstadt, Isabels Bruder (1368 – 1447)

Weitere:

Katharina von Fastavarin und Catherine d’Alencon, Hofdamen Isabels

Blanca, angelehnt an Blanca von Navarra (1331-1398), Witwe Philipp II.

Margaud, Mädchen vom Land

Maria, ihre Freundin

Blanche, Bäckerin

Louis, Ballspieler

Jaquette, seine Großmutter

Christine de Pizan, Dichterin und Philosophin (1364 – nach 1429)

Yolantha von Aragon (1384 – 1442), Gattin Ludwig II. von Anjou

Simon le Coutelier, genannt Caboche, Abdecker und Revolutionär (um 1413)

Jean Gerson, Professor der Theologie an der Sorbonne (1363 – 1429)

Der schwarze Ritter

Jeanne Tarc, später Johanna von Orleans genannt (1412 – 1431)

Die kursiv gesetzten Figuren sind keine historischen, sondern von der Autorin frei erfundene Figuren.

23. November 1407

Margaud

Der Nebel war dicht. Der federnde Waldboden, durchtränkt vom Regen der vergangenen Tage, dämpfte den festen Schritt der Söldner. Margaud blickte nicht zurück. Nicht, weil sie in den feuchten grauen Schwaden des Novembermorgens kaum einen der geduckten Hausgiebel ihres Heimatdorfes hätte erkennen können. Sie blickte nicht zurück, weil es nichts gab, was sie noch einmal sehen wollte. Am Grab war sie gestern gewesen. Sie hatte der Mutter eine der letzten Rosenblüten auf die feuchte Erde gelegt und ihr erklärt, warum sie fortmusste, fort aus diesem untergehenden Dorf, fort vom ständig betrunkenen Vater, fort aus der bitteren Armut. Nach zwei Missernten und einer marodierenden Soldateska hatten die verwüsteten Felder in diesem Herbst zum dritten Mal keinen Ertrag gebracht. Verzweifelt und sittenlos sei das Leben hier auf dem Lande, hatte Margaud der Mutter erklärt, es bleibe kein anderer Ausweg, sie müsse nach Paris. Zärtlich hatte sie ein neues Kreuz aus Weidenruten geflochten und auf den Grabhügel gesteckt. Sei mein Schutzengel, schwebe über deiner Tochter, ich werde mich gewiss nicht leichtfertig in Gefahr begeben, Maria ist ja mit von der Partie. Das Leben ist woanders, Mutter.

Margaud war sicher, dass die Mutter ihren Plan billigte. Nie hätte sie dem Vater zugestimmt, Margaud mit dem halbirren Sohn des Dorfvorstehers zu verheiraten. Dessen Idee war vor zwei Jahren aufgekommen, als Margaud zwölf Jahre alt war, und seitdem hatte sie sich des grinsenden, schielenden Kerls kaum erwehren können, der mit beachtlichen Kräften nach ihr griff, wann immer er ihr begegnete. Die Hochzeit wurde immer wieder verschoben, da Margauds Vater die Mitgift nicht aufbringen konnte. Schließlich hatte der Dorfvorsteher auf die Mitgift verzichtet. Kein Wunder, dachte Margaud, die der Ekel unwillkürlich heftig schüttelte, der Junge wuchs ihnen über den Kopf. Zwei Mädchen des Dorfes hatte er bereits Gewalt angetan und die Eltern mussten zahlen. Statt einer Mitgift sollte der Debile in Margauds Familie übersiedeln. So wollten die Eltern den unbequemen Sohn loswerden. Aber nicht mit mir, dachte Margaud und band entschieden das Tuch, das die wenigen Dinge enthielt, von denen sie sich nicht trennen mochte, fester um ihre schmale Taille. Die Soldaten waren zwar nicht minder bedrohlich als der schwachsinnige Dorfvorstehersohn, aber wenn sie alles beherzigte, was ihre Freundin ihr geraten hatte, konnte Paris ihre neue Heimat werden.

Margaud griff nach Marias Hand, die stumm, mit gesenktem Kopf, neben ihr durch den feuchten, winterdunklen Morgen schritt, eine mit Streitäxten gefüllte Holzkarre hinter sich herziehend. Maria war zwei Jahre älter als sie, im Nachbarhof groß geworden, und sie hatten alles gemeinsam getan, als wären sie Schwestern. Ihre Tatkraft, ihr Durchsetzungsvermögen und ihre Schönheit bewunderte Margaud neidlos. Im Gegensatz zu Margaud war Maria von lieblicher Molligkeit, hatte blondes Haar und wunderschöne bernsteinfarben schimmernde Augen.

Maria drückte Margauds Hand.

»Wirst sehen, in Paris kann eine Frau reich werden, ohne dass sie heiraten muss«, raunte sie. Margaud nickte zustimmend, obwohl die Freundin ihr Nicken im Dunkel des Waldes nicht sehen konnte.

»Und ihren Spaß kann sie auch haben, wenn du verstehst, was ich meine!« Maria stieß Margaud in die Seite.

Margaud hatte keine Ahnung, welchen Spaß Maria meinte. Wein in großen Mengen sollte angeblich eine Menge Spaß bringen, aber der Vater war alles andere als lustig, wenn er gezecht hatte, und er hätte auch den letzten silbernen Livre der Mutter, den Margaud hütete wie einen Schatz, vertrunken, wenn er ihn bei seiner berserkerhaften Suche im Haus gefunden hätte. So musste er sich damit begnügen, alles zu zerstören, was ihm in den Weg kam, er schmiss Tische und Stühle umeinander, riss das Bord mit dem Geschirr von der Wand, sodass sie zuletzt gezwungen war, einen Topf von der Nachbarin zu leihen, um den Hirsebrei zu kochen. Im Spiel mit kleinen Kindern konnte Margaud viel Spaß haben, aber … Margaud wollte den Gedanken verscheuchen, doch das Bild hatte sich so fest in ihr eingebrannt, dass sie es nie wieder auslöschen konnte.

Die Soldaten hatten den kleinen Bruder, der sein erstes Lebensjahr noch nicht erreicht hatte, aus der Wiege gerissen. Gröhlend hatten sie sich den Säugling zugeworfen, bis einer, verärgert vom gellenden Schreien des winzigen Wesens, das Bündel nicht mehr mit der Hand, sondern mit der Spitze seiner Pike aufgefangen hatte. Mit der blutigen Trophäe war die Horde brandschatzend und plündernd durchs Dorf gezogen.

Margaud hatte das entsetzliche Spiel vom Heuboden aus beobachtet. Sie hatte sich den Zipfel ihrer Schürze in den Mund gestopft, um nicht laut zu schreien. Nicht auszudenken, was die Soldaten ihr angetan hätten, wäre sie von ihnen entdeckt worden.

Nein, das Leben konnte nur besser werden in Paris. Margaud erwartete keinen Spaß, sondern ein bescheidenes Auskommen, ohne sich an einen Mann zu ketten, der sie schlagen oder auf andere nicht auszudenkende Arten quälen würde. Wurden Mägde nicht stets gesucht von den Stadtleuten? Margaud wusste, was im Haus zu erledigen war. Von klein auf hatte sie nichts anderes getan, als auf dem Feld und im Haus zu arbeiten, und stets hatte die Mutter sie gelobt, weil alles gut wuchs, das Geflügel prächtig gedieh und der Lehmfußboden des kleinen Hauses jeden Abend sauber gefegt war. Spaß, das war, wenn Margaud mit der Mutter nach einem harten Tag ein Bad im See nehmen und auf dem Heimweg einen Strauß Feldblumen pflücken konnte.

Das Fähnlein des Herzogs Johann von Burgund trabte zügig durch den Wald, von gefährlicher Lautlosigkeit wie ein Rudel Wölfe. Nur die Streitäxte und Morgensterne klirrten leise am Gürtel beim Laufen. Hin und wieder hörte Margaud ein Keuchen, einen unterdrückten Fluch, wenn sich eine Pike in tief hängenden Ästen verfing, und immer wieder das Schnauben der Pferde von den Berittenen, die weit vorn den Zug anführten.

Margaud wusste nicht, wie viele es waren. Sie ging hinter dem Fähnlein, das dreihundert Söldner umfassen sollte, aber es waren weniger. Margaud hatte gesehen, wie der Hauptmann die Werber geprügelt hatte, weil sie nicht die erforderliche Anzahl von Armbrustschützen, Pikenieren und Hellebardieren zusammengebracht hatten. Dieser Hauptmann, dessen Umrisse sie nur im Morgendämmern unter den Wehlauten der Werbersoldaten gesehen hatte, schien ein brutaler Kerl zu sein, sie musste sich vor ihm in Acht nehmen.

Maria und Margaud waren nicht die Einzigen, die dem Fähnlein folgten. Den Tross bildeten fast ausschließlich Frauen und Kinder aus Burgund. Ihr Herzog, Jean Sanspeur, der furchtlose Johann genannt, zog aus dem heimischen Burgund nach Paris.

Es hieß, sie sollten vor den Stadttoren von Paris in der Nähe des herzoglichen Besitzes, Hotel de Bourgogne genannt, Quartier beziehen. Warum? Die Frauen wussten es so wenig wie das Fußvolk. In Frankreich herrschte nicht mehr König Charles der Weise, es herrschte Charles VI. mit seiner ausländischen Königin, die sie Isabel de Baviére nannten, und seinem furchtbaren Konnetabel, dem Herrn Krieg. Als Margaud geboren wurde, herrschte der Krieg bereits in voller Brutalität und Ungerechtigkeit. Die Alten nannten ihn den Hundertjährigen Krieg. Nicht einmal der Dorfälteste konnte sich an Zeiten des Friedens erinnern. Der Krieg in Frankreich hatte bald sein siebzigstes Jahr erreicht, aber er stand in voller Manneskraft. Mal hier, mal dort loderte er auf wie Waldbrände in trockenen Sommern, und immer ging es nur um eines: die königliche Thronfolge. Mal dienten die Soldaten den Burgundern, mal den Orléanisten, mal den Engländern, die die Normandie besetzt hielten, mal deren Gegnern, den Schotten. Aber der Sold blieb immer wieder aus, die Söldner wurden nur als Routiers für drei Monate bezahlt oder die Heere wurden aufgelöst, wenn die Herzöge wieder einmal zahlungsunfähig waren. Daher zog, wer niemanden fand, bei dem er sich verdingen konnte, plündernd durch die Lande. Ehefrauen zogen mit ihren Männern, Schwestern versorgten ihre Brüder, Marketenderinnen verdienten Geld mit der Versorgung der leiblichen, aber auch weiterer körperlicher Bedürfnisse der Männer, von denen Margaud gehört und vor denen ihre Mutter sie gewarnt hatte. Margaud war diesen Gefahren bisher entgangen und hatte ihre Jungfräulichkeit, ihr höchstes Gut, wie die Mutter gesagt hatte, stets bewahrt. Viele Frauen schleppten den Söldnern Waffen und Munition hinterher, wie Maria, damit der Tross dem Zug direkt folgen konnte und die Söldner bei einem Angriff schnell zum Nachschub greifen konnten. Die Männer wurden für den Kampf gebraucht, als Lastesel waren sie zu schade.

Es war heller Tag, als das Fähnlein nach vielen Stunden Marsch und einem mehrstündigen Transport auf Flößen die Seine hinunter vor den Stadtmauern von Paris das Lager aufschlug. Margaud erschien es riesig, es besaß jedenfalls mehr Zelte als ihr Dorf Hütten und doppelt so viele Söldner wie Einwohner. Eine Frau behauptete, hier sei der Treffpunkt von zwei Fähnlein. Der Herzog sei mit 600 Bewaffneten losgezogen, um Paris und den König zu schützen. Wovor? Die Frau zuckte nur die Achseln: Was weiß unsereins schon. Da ist ständig Streit, zwischen den Herzögen Burgunds, Orleans, Anjou und Bourbon. Alle wollen König sein. Sie sollten besser einig gegen die Englischen kämpfen. Aber was verstehen wir arme Leute davon. Und wandte sich ab, ihren Kessel über dem Feuer aufzuhängen und Wasser hineinzugießen, das ein kleiner Junge in einem Ledereimer brachte.

Maria stieß Margaud an: »Komm! Wir müssen hinein, solange die Tore geöffnet sind!«

Offenbar hatte sie eine Verabredung getroffen, denn eine Rotte von zwölf Bewaffneten stand bereit, in die Stadt zu ziehen, und einer von ihnen blickte Maria auffordernd an. Die deutete auf Margaud, worauf der Soldat den Hauptmann anstieß. Der wendete sich um und warf einen scharfen Blick auf das Mädchen. Margaud schrak zusammen.

Mit diesem Mann sollte sie nach Paris gehen? Am liebsten hätte sie laut geschrien, aber kein Laut kam über ihre ausgetrockneten Lippen. Schnell senkte sie den Blick, nestelte an ihrem Umhang, richtete ihr Tuch. Keiner durfte ihr Entsetzen wahrnehmen. Niemals würde sie dieses schreckliche Gesicht vergessen. Die Narbe eines Schwertschlages, den der Hauptmann in einem Gefecht erhalten haben mochte, zog sich von seinem rechten Ohr über seine Wange und hatte auch seinen Mund nicht verschont. Der Hieb hatte seine Oberlippe so gespalten, dass sein Gesicht zu einem höhnischen Grinsen entstellt war. Seine Augen standen dem nicht nach. Kalt und mitleidlos blickten sie auf alles, was sich bewegte, auch auf wehrlose kleine Kinder. Dieser Mann war kein Chevalier, kein Soldat, der auf ritterliche Tugenden hielt. Dieser Mann hatte Margauds unschuldigen kleinen Bruder ermordet.

»Was hast du? Komm jetzt!« Maria legte sich den dicken Zopf nach vorn über die Schulter und lächelte dabei den Soldaten mit schräg gelegtem Kopfe an. Sie zog die Freundin am Arm mit sich. Als sie Margauds körperlichen Widerstand spürte, hielt Maria inne und schaute sie unwillig an.

»Was zögerst du?«

»Müssen wir mit diesen Männern gehen? Können wir nicht allein gehen?«

»Bist du blöde? Wir haben keine Passierscheine, sie würden uns am Tor nicht einlassen!«

»Wir könnten uns in die Stadt schleichen, wenn es dunkel ist!«

Maria schüttelte den Kopf und betrachtete Margaud wie ein geduldiger Esel den Spatz im Trog.

»Sie schließen am Abend alle Tore! Jean erzählte mir, die Pariser spannen sogar dicke Eisenketten über die Straßen! Wie willst du da hineinkommen?«

Margaud flüsterte hoffnungsvoll: »Wenn wir ein Stück die Seine hinunterlaufen und dann im Dunkeln über den Fluss?«

Sie hatte keine Ahnung, wie und wo sie die Seine überqueren konnten. Der kleine Fluss, auf dem sie in Nogent die angsterregenden zusammengeklammerten Baumstämme betreten hatten, war zu einem immer breiteren Strom angeschwollen, auf dem die Flöße immer schneller flussabwärts getrieben waren. Aber Margaud war entschlossen, jede Plage auf sich zu nehmen, nur um nicht gemeinsam mit diesem entsetzlichen Hauptmann nach Paris zu gehen.

Maria schüttelte entschieden den Kopf, verärgert über die Halsstarrigkeit ihrer Freundin. Was sollte der nette Soldat von ihnen denken?

»Kannst du schwimmen?«, fragte sie erzürnt, und ohne Margauds Antwort abzuwarten, erklärte sie: »Ich nicht. Mir war schon auf dem Floß himmelangst, ich habe einen Rosenkranz nach dem anderen gebetet.«

»Vielleicht ein Fischer …«, meinte Margaud verzagt.

Ungeduldig erklärte Maria: »Auch über die Seine haben sie dicke Eisenketten gespannt, und Gewappnete stehen an den Ufern der Isle de Paris. Was glaubst du, was sie mit uns tun, wenn sie uns erwischen? Zwei Mädchen allein, ohne jeden Schutz, ohne Reisepapiere?«

Margaud sah der Älteren in die Augen, die unter den ärgerlich zusammengezogenen Brauen blitzten, und schauderte. In ihrem sechzehnjährigen Leben hatte sie genug gesehen, um zu wissen, wozu eine aufgebrachte Soldateska fähig war.

»Nur unsere Soldaten können uns mitnehmen«, sagte Maria eindringlich. »Und sie tun’s gern! Er da, der Jean, hat es mir versprochen, und ich …« Sie kicherte.

Margaud blickte auf die verwitterten Schaftstiefel des furchterregenden Hauptmannes, um seinem grausamen, kalten Blick nicht standhalten zu müssen. Unsere Soldaten, dachte sie. Es waren aber auch unsere Soldaten, die unser Dorf überfallen haben. Ein immerwährender Krieg ohne Hoffnung auf Gerechtigkeit. Keiner weiß, wer Freund, wer Feind ist. Nur Maria schien es seltsamerweise zu wissen.

Margaud wandte sich der Freundin zu. »Was hast du ihm versprochen?«

Maria errötete. »Dem Jean? Ein Küsschen … da ist doch nichts dabei! Der ist sogar Doppelsöldner!«

»Doppelsöldner! Und was hast du dem Hauptmann versprochen?«

Maria wandte sich verlegen ab. Eine böse Ahnung überkam Margaud. Sie packte ihre Freundin am Arm. »Dieser da ist der Mörder meines kleinen Bruders! Eines unschuldigen Kindes, das ihm nichts getan hat! Was hast du ihm versprochen?«

Maria sah ihre Freundin tödlich erschrocken an. »Nichts, bei der Muttergottes, nichts hab ich ihm versprochen!«

»Schwör keinen Meineid bei der Heiligen Jungfrau! Warum sieht er mich so an?«

Aber Margaud wusste, warum der Mann sie betrachtete wie ein Stück Fleisch. Maria mochte lügen oder nicht. Dieser Mann würde sich nehmen, was er wollte, wie es ihm passte, so wie er winzige Kinder tötete, nur zu seinem Vergnügen. Und wenn sie sich ihm verweigerte … Aber sie musste nach Paris, sie hatte keine Wahl. Zurück konnte sie nicht mehr.

Margaud griff nach ihrem Bündel und betrachtete die hohen steinernen Mauern, die Paris umgaben. Die neueste Stadtmauer war gerade vor einem Jahr fertig gebaut worden. Wenn ihr Dorf eine solche Mauer gehabt hätte, wäre ihr Bruder vielleicht noch am Leben. Diese Wälle, hoch wie zwei Mann zu Pferd und breit wie Brücken, versprachen Schutz in ihrem Innern. Sie fasste Marias Hand und drückte sie fest. So folgten die Mädchen Hand in Hand der Rotte von zwölf Söldnern, indes Margaud einen Plan nach dem anderen schmiedete und wieder verwarf. Unklar wirbelten verwegene Ideen in ihrem Kopf herum. Bis zu den Stadtmauern musste ihr etwas einfallen. Sie band ihr Bündel mit zwei Stricken fest um die Taille und folgte Maria.

Aber Margaud hatte nicht mit ihrem Feind gerechnet.

Isabel

Die Königin hatte sich am 23. November ins Hotel Barbette zurückgezogen. Offiziell hieß es, sie wolle dort die Niederkunft ihres Kindes erwarten, und Isabel war das recht. Mochten die anderen denken, was sie wollten, Isabel war nie einfach nur Mutter. Isabel war immer Königin, und diese in zwei Wochen erwartete Niederkunft würde ihre zwölfte sein. Die heilige Reliquie der Vorhaut Jesu Christi würde ihr auch diese leicht machen, denn die Königin regierte immer, und derzeit war dies mehr als nötig, nachdem die Irrsinnsanfälle ihres Gatten immer häufiger wurden und sie die alleinige Verantwortung im Kronrat trug. Für die Zeiten seiner Anfälle hatte sie befohlen, dass diese als »Abwesenheit« des Königs bezeichnet wurden.

Langsam, die Hände an die Seiten ihres prallen Leibes gelegt, schritt Isabel durch den schönen Garten, den sie vor zwei Jahren hinter den hohen Mauern ihres neu erworbenen Hotels Barbette hatte anlegen lassen. Sie betrachtete die verblassenden Farben der letzten Herbstastern und schickte ein kurzes Gebet an die heilige Barbara, dass alle schönen Blumen den Winter gut überstehen mögen. Und da ihr dies gleich darauf hoffärtig vorkam und die Hoffärtigkeit eine Todsünde war, bat Isabel die Heilige umgehend um Verzeihung und sandte ihr ein weiteres Gebet, in dem sie auch um Schutz für die Feldfrüchte, das Getreide und den Wein bat. Dann besuchte sie ihre besonderen Lieblinge, die wertvollen exotischen Vögel in den Volieren.

Habe ich mich an die Anfälle von Charles schon gewöhnt?, fragte Isabel sich traurig. Wahnsinn war etwas nicht Greifbares, nicht zu Heilendes, eine Strafe Gottes, gegen die nichts half als Wallfahrten und Messen lesen, immer wieder, und beides veranlasste Isabel ständig und großzügig. Sie nahm es als göttliche Gnade, dass der König von Frankreich immer wieder aus seinem Wahn erwachte und sich für kurze Zeit in den liebevollen, klugen Mann verwandelte, mit dem sie verheiratet worden war.

Isabel beobachtete, wie der prächtige Goldfasan seine unscheinbare braungefiederte Henne anbalzte, und musste unwillkürlich daran denken, wie sie, die kleine, schlecht gekleidete bayerische Prinzessin, ihrem Goldfasan gegenübergestanden hatte. Isabel gestattete sich einen kurzen schwärmerischen Ausflug in ihre Erinnerungen. Die politischen Erwägungen mussten zurückstehen.

Charles, siebzehn Jahre, nur zwei Jahre älter als Isabel. Blonde Locken fielen weich auf blauen Samt, kurz und eng lag das samtene Wams um seinen schmalen Körper, schlanke Beine steckten in der neuen, koketten Mode der engen Beinkleider, verlängerten sich über spitz zulaufenden Schuhen. Wie schön er ausgesehen hatte, noch nie hatte sie einen solchen Mann erblickt. Er musste seinen Körper nicht unter einem faltenreichen, bodenlangen Gewand verbergen. Die Alten und die Pfaffen verurteilten die schöne neue Mode als lasterhaft, aber deren Körper, von der Todsünde der Völlerei verfettet, hätten in den neuen eng und kurz geschnittenen Schecken hässlich und albern ausgesehen. Wahrscheinlich waren die, die gegen die neue Mode predigten, nur neidisch.

Charles war schön, aber er besaß nicht den Hochmut der Schönen. Er war freundlich, mutig und klug. Jedes Mal, wenn der Wahn ihn losließ, verschaffte er sich in wenigen Stunden Überblick über das politische Geschehen und traf seine Anordnungen. Alle waren richtig, der Situation angemessen, und alle galten nur einem Ziel: seinem gegeißelten Land Frieden zu schenken. Frieden, damit wieder Wohlstand einkehrte auch im untersten Stand, denn der König wusste, dass der Reichtum Frankreichs bei den Bauern begann und nicht bei den Edelleuten, die sie ausplünderten. Aber die Edelleute wollten hofiert sein, sie gierten nach Macht und Reichtum, auch wenn sie so taten, als sei ihnen Gottes Gnade und das Wohlwollen ihres Königs das Wichtigste im Leben.

Isabel griff in das Säckchen, das am Gitter der Voliere hing, und lockte den bunten Stieglitz mit einem Körnchen Gerste an. Sie pfiff ihm ein Liedchen vor und beobachtete, wie er das schwarzrote Köpfchen schief legte. Sie lächelte in Erwartung seiner Antwort, hielt ihm ein zweites Körnchen hin, und er zwitscherte ein langes Lied, als Dankeschön, wie Isabel glaubte. Ach, sie waren so dankbar, ihre Lieblinge, und so schön in ihrem bunten, glänzenden Gefieder, sie waren Gottes Lieblinge und trösteten sie über die Undankbarkeit der Menschen hinweg.

Vor drei Jahren war der Onkel des Königs gestorben, Herzog Philipp von Burgund, dem sie ihre Hochzeit verdankte und dem sie jeden Tag aufs Neue ihre Dankbarkeit bezeugt hatte. Seinem Rat hatte sie unbedingt vertraut. Nach dem Tode Philipps schien keiner die Königin ernst zu nehmen. Oh, es fehlte nicht an Respekt, den wusste sie sich zu verschaffen, aber ständig geschahen Dinge hinter ihrem Rücken, kleine, hässliche Intrigen, und sie wurde vor vollendete Tatsachen gestellt, die sie vor Zorn und Machtlosigkeit erbeben ließen. Sie reichte dem Stieglitz das Körnchen und ermahnte sich, so ausdauernd, genügsam und Gott gehorsam zu sein wie dieser Vogel. Dann ging sie weiter.

Isabel straffte sich, als sie weiterschritt. Hochschwanger zu sein, musste nicht bedeuten, wie ein Bauernweib zu watscheln. Graziös und gemessen setzte sie einen kleinen Fuß vor den anderen, stolz war sie auf ihre zierlichen Gliedmaßen. Nun, sie würde es allen zeigen. Sie hatte den Vorsitz im Kronrat, und wenn der unfreundliche Sohn Herzog Philipps, dieser hässliche Jean, den alle »Sanspeur«, den Furchtlosen, nannten, nicht zugänglicher wurde, dann würde sie Jean Sanspeur fallen lassen und stattdessen mit seinem Rivalen Louis, dem Bruder des Königs, enger zusammenarbeiten. Der Tod Philipps hatte viele ihrer Hoffnungen zerstört, denn mit ihm ebenso wie mit seiner Gattin Margarethe, die ihre bayerische Cousine war, hatte Isabel echte Freundschaft verbunden. Mit Margarethes Sohn aber, diesem Raubein Jean, der nicht einmal richtig Französisch sprach, sondern dieses entsetzliche Flämisch, konnte Isabel wenig anfangen. Die Feindschaft zum Bruder des Königs, seinem Cousin Louis von Orleans, machte ihn unberechenbar. Er machte aus seinem Hass keinen Hehl, und das geziemte sich nicht. Er musste klein gehalten werden.

Sanft strich Isabel über ihren gewölbten Bauch, der sich seit einigen Tagen nicht mehr nach vorn wölbte, sondern nach unten senkte. Sie war eine erfahrene Mutter und wusste, was dies bedeutete. Ihr Kind würde in wenigen Tagen zur Welt kommen. Siebenunddreißig Jahre und noch immer fruchtbar, schön und machtvoll, dachte Isabel, nicht ein graues Haar, das soll mir erst mal eine nachmachen.

Sie schlenderte von Voliere zu Voliere, betrachtete mit Missbilligung einen toten Goldfasan am Boden, befand die Einstreu als nicht frisch genug. Das Futter roch muffig. Sie befahl einer ihrer Ehrendamen, die ihr in respektvollem Abstand folgten – stumm, das ständige Schwatzen und Kichern hatte Isabel sich verbeten –, die Vernachlässigung dem Gärtner zu melden. Einen Finger werde sie ihm abhacken lassen, wenn dies noch einmal vorkomme.

Ihr zwölftes Kind! Ihr zwölfter Beitrag für Frieden und Verständigung! Isabel überlegte, wem es dienen könnte, während sie den Weg einschlug, der zum Spielplatz führte. Die Verbindung ihrer Tochter Isabella mit England war ein geschickter Schachzug gewesen, die Normandie zu befrieden. Aber der englische König Richard war von seinem Cousin Henry ermordet worden, sodass nicht nur ihre kluge Familienpolitik, sondern auch Isabellas Lebensglück zerstört war. Zwei Jahre hatte sie um Isabella in England gebangt, gedroht, verhandelt. Endlich hatte Henry IV. die kindliche Witwe zurückgeschickt, natürlich hatte er die Mitgift frech behalten. Erst im vergangenen Jahr hatte sie die untröstliche Kleine mit ihrem viel jüngeren Cousin erneut verheiratet, um sich den Beistand ihres Schwagers Louis zu sichern. Vorher aber hatte sie den Dauphin Louis mit Burgunds Tochter verlobt, um sich die Loyalität der Burgunder zu erhalten. Es war ihr gelungen, Jean Sanspeur und Louis von Orléans mit dieser Doppelhochzeit ihrer Kinder zu versöhnen. Sie hatten ihre Heere entlassen, auf weitere giftige Embleme verzichtet und sich die Hände gereicht. Isabel war mit dieser Politik des Ausgleichs recht zufrieden.

Die jüngere Tochter Jeanne hatte sie mit Jean de Montfort verbunden, dem reichen, unabhängigen Herzog der Bretagne. Sie brauchte einen Schwiegersohn, auf dessen Loyalität sie sich verlassen konnte, um die Küste zu sichern. Marie hatte sie mit Jesus Christus vermählt, als Opfergabe für den kranken König, eine Entscheidung, die sie manchmal bereute, aber vielleicht konnte man das Mädchen umstimmen. Marie war inzwischen fünfzehn Jahre alt und damit im heiratsfähigen Alter.

Der kleine Johann war gerade neun Jahre alt. Die niedliche Catherine, erst sechs Jahre alt, und den schüchternen vierjährigen Charlot hatte sie noch keinem versprochen. Sie waren Isabels Unterpfand, die Herzöge gierten danach, sich der der königlichen Familie zu verbinden. Mal hier, mal da konnte sie Interesse heucheln oder kokett sein, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Eigentlich galt es jetzt, das Haus Burgund ein wenig zu streicheln. Vielleicht konnte sie eine Heirat einfädeln, die Burgund in die königliche Familie holte, ohne sich einen Befehlshaber heranzuziehen, und sich gleichzeitig Jean von Burgund so weit wie möglich vom Leib halten.

Isabel griff nach dem Schläger und befahl der Hofdame mit einem Nicken, das cochonet aufzustellen, das Schweinchen, einen Kegel, den es mit dem Ball zu treffen galt. Die Hofdamen versammelten sich um sie, alle mit Schlägern, ein Diener brachte die kleinen, schweren Lederbälle, die das Schweinchen umwerfen sollten. Isabel hatte sich in jedem ihrer Gärten einen kleinen Sandplatz eingerichtet für das beliebte quilles und boule – ein Spiel, das sie erheiterte. Es war ihr zu langweilig, in ihrem Garten nur zu promenieren, wenn eine ihrer Schwangerschaften sie daran hinderte, auf die Jagd zu reiten.

»Die Siegerin erhält diesen Rubinring«, verkündete Isabel und hielt den kleinen Finger mit dem rot schimmernden Ring in die Höhe. Sie erwartete ein Kind, sie war schön und mächtig, sie wollte großzügig sein. Nichts war schlimmer als eine geizige Königin.

Die Damen lachten aufgeregt und griffen nach den kurzen hölzernen Schlägern, mit denen sie die kleinen Bälle nach den quilles, den schweren Holzkegeln, schlugen, um sie umzuwerfen.

Isabel wartete, bis die Damen geschlagen hatten. Nun galt es, die letzten beiden quilles zu treffen. Sie taxierte mit zusammengekniffenen Augen die Entfernung, holte weit mit dem Schläger aus und traf den Ball, als ein Schmerz wie ein Blitzschlag ihren Körper um die Lende durchzuckte. Stöhnend stützte sie sich auf den Schläger und griff mit beiden Händen unter den harten runden Leib.

Besorgt ließen die Damen die Schläger fallen und stützten ihre Königin. Mühsam richtete Isabel sich auf. War es schon so weit? Dieses Kind kam früh, hoffentlich nicht zu früh.

»Lasst mir ein Bad ein!«, befahl sie einer Dame, und während die andere zum Arzt rannte, schickte sie die dritte zur Wehmutter. Sie griff nach der Reliquie, die an einer schweren Goldkette um ihren Hals hing. Keines ihrer elf Kinder war tot geboren worden. Es war ein trauriges Geschick, dass Gott drei ihrer Kinder früh zu sich geholt hatte, obwohl sie sie gesund zur Welt gebracht hatte.

Langsam, auf zwei ihrer Damen gestützt, erreichte Isabel ihre Gemächer in der ersten Etage des Hotels Barbette. Sie ließ sich entkleiden und den Körper mit kostbarem weißem Schlamm einreiben, den ihre Schwägerin Valentina eigens aus Byzanz kommen ließ. Dann bestieg sie den Badezuber und streckte sich wohlig aus. Mit einer energischen Handbewegung wies sie alle Damen hinaus, nur die Bademagd durfte sich in der Nachbarkammer zur Verfügung halten, um die Wehmutter zu empfangen.

Isabel seufzte genussvoll und verrieb den Rest des Schlammes auf ihrem Gesicht.

So, Gustl, du hast dich also entschieden, früher das Licht dieser Welt zu erblicken, sagte sie zu ihrem Ungeborenen, der sich nun durch eine erste Wehe ankündigte.

Gustl nannte sie alle ihre Kinder während der Schwangerschaft, nach dem Lieblingsjagdhund ihres Vaters, der als Welpe mit großen Pfoten so täppisch dahergelaufen war, dass die Jäger des bayerischen Herzogs sich vor Lachen gebogen hatten.

Sie schloss die Augen und versuchte, sich an das Gesicht des Vaters zu erinnern. Es gelang ihr nicht. Vor mehr als zwanzig Jahren hatte sie Herzog Stephan verlassen. In die väterlichen, früher so vertrauten Gesichtszüge des Vaters mischte sich das bärtige Gesicht ihres älteren Bruders Ludwig.

Sie riss die Augen auf. Der Wiggerl! Auch so eine Sache, die sie klären musste, und zwar mit diplomatischen Samthandschuhen. Sie liebte ihren einzigen Bruder, und er liebte sie, seine kleine Schwester, zärtlich, warum sonst verbrachte Ludwig so viel Zeit an ihrem Hofe, nahm immer wieder die beschwerliche weite Reise von Bayern nach Paris in Kauf. Doch nur, um sie zu sehen, ihr zu raten. Seit sie die Hoffnung aufgegeben hatte, dass der König wieder dauerhaft zu Verstand kam, lag ihr viel am brüderlichen Beistand. Ludwig war der Einzige aus ihrer Familie, der sie ernst nahm. Sie beschenkte ihn gern, und war sie nicht großzügig? Seinetwegen hatte sie das kostbarste Schmuckstück, das »goldene Rössel«, das sie Charles vor vier Jahren zum Dreikönigstag geschenkt hatte, versetzt. Aber Frankreich war kein orientalischer Basar, er konnte hier nicht billig alles verpfänden und erwerben, wonach ihm der Sinn stand. Erst im vergangenen Jahr hatte es viel Gerede um zehn mit Gold beladene Esel gegeben, die von schwer Gewappneten nach Bayern getrieben wurden. Alles war legal, Isabel hatte die Gemüter beruhigt, denn es handelte sich um die Mitgift seiner Gattin Anna von Bourbon, ihrer geliebten Hofdame, aber Ludwig musste vorsichtiger sein. Wie immer, wenn sie an den Bruder dachte, fiel sie ins Bayerische zurück, fing sie an, deutsch zu denken, obwohl sie längst französisch sprach, dachte und träumte.

Wiggerl, wie soll ich die Fehden befrieden, die du vom Zaun brichst, grübelte die Königin unzufrieden. Du solltest dich lieber um deine Gattin kümmern, wenigstens der Form halber, wenn es dir schon nicht möglich ist, mit ihr liebevollen Umgang zu pflegen.

Aber dann durchfuhr eine weitere Wehe so heftig ihren Leib, dass sie sich am Rand des Zubers festkrallte und nach der Wehmutter rief.

Christine

Es war noch dunkel am Morgen dieses 23. November, als Christine de Pizan sich von ihrer Tochter Marie verabschiedete. Es schlug Laudes, und die morgendlichen Exerzitien im Kloster Poissy waren beendet. Christine ging mit den Nonnen ins Refektorium und löffelte ihren Morgenbrei aus einem einfachen Fichtenholzschälchen wie alle.

Ihr Herz zog sich zusammen, als sie Marie betrachtete, deren schmales weißes Gesicht unter der strengen schwarzen Kutte eigenartig reglos wirkte, wie aus Marmor gemeißelt. Wenn sie nur glücklich ist, meine einzige Tochter, dachte Christine. Eine Jungfrau, zart, beinahe heilig in ihrer durchscheinenden Blässe, mit kindlichen braunen Augen, nichts deutete darauf hin, dass sich hier aus einem Mädchen eine junge Frau entwickelte. Dabei war Marie inzwischen fünfzehn Jahre alt und lebte seit ihrem vierten Lebensjahr in Poissy. Gemeinsam mit der gleichnamigen Königstochter Marie, die Königin Isabel ins Kloster gegeben hatte als Opfer für Charles’ Krankheit, war sie nach Poissy gegangen, und beide Marien fühlten sich hinter den dicken Mauern des Stiftes offensichtlich wohl.

Nach dem einfachen Frühstück trafen Mutter und Tochter in der Halle zusammen und umarmten sich. Nun kam auch die Königstochter die Treppe hinunter.

»Liebe Christine, würdest du dies bitte meiner Mutter mitbringen?«

Sie reichte Christine ein Häubchen aus feinem blauem Wollstoff, wunderschön mit königlichen Lilien aus goldenen Fäden bestickt. »Ich habe es selbst genäht und bestickt, denn bald werde ich ja noch ein Geschwisterchen haben, wenn es Gott gefällt.«

Christine dankte der jungen Frau. Natürlich würde sie der Königin mit Freuden das Geschenk überbringen. Nach jedem Besuch in Poissy befahl die Königin sie zu sich, um ihren Bericht über Maries Befinden zu hören.

Christine drückte beide Mädchen herzlich an sich. Die Prinzessin erkundigte sich scheu nach ihrem Vater.

Dem König gehe es leider derzeit nicht gut, musste Christine zugeben. Er hatte die Königin angegriffen, sie beschimpft und versucht, sie zu schlagen. Die Königin hatte es wegen ihres Zustandes vorgezogen, das Hotel Saint-Paul zu verlassen und die Geburt in ihrem neuen Palais, dem Hotel Barbette, zu erwarten.

Marie nickte gedankenvoll und spielte mit den kostbaren Elfenbeinperlen ihres Rosenkranzes. Sie hielt die Wahnsinnsanfälle des Königs für eine Strafe Gottes. Charles VI. war König von Gottes Gnaden, und Gott gefiel es, ihm die Gnade seiner schützenden Hand zu verweigern. War ihre Familie verflucht?

Christine de Pizan hielt nichts von diesen Gedanken.

»Dein erlauchter Vater ist krank. Wir müssen den Wahnsinn als eine Krankheit sehen, gegen die es kein Mittel gibt – noch nicht. Eines Tages wird die ärztliche Kunst solche Krankheiten heilen können. Es kann nicht Gottes Wille sein, dass ein König unrettbar dem Wahnsinn verfällt.«

Marie zog ein weiteres kleines Päckchen aus ihrem Umhang hervor.

»Dies ist für meinen Vater. Siehst du eine Gelegenheit, es dem König zukommen zu lassen, vielleicht über …« Sie stockte, eine tiefe Röte überzog ihr Gesicht. Dann fuhr sie tapfer fort: »Vielleicht über Mademoiselle Odinette?«

Christine verstand. Odinette de Champdivers war vor fünf Jahren zur offiziellen Mätresse des Königs bestimmt worden. Der Kronrat hatte beschlossen, die sanftmütige junge Frau, eine Tochter des königlichen Stallmeisters, Charles als Pflegerin zuzuführen, als seine Anfälle von geistiger Umnachtung häufiger und heftiger auftraten. Sogar die Königin hatte dem Beschluss zugestimmt. Sicherlich nicht gern, dachte Christine, aber die Pflege des Königs ging über ihre Kräfte. Die Königin hatte wichtige Aufgaben im Kronrat wahrzunehmen, auch die Erziehung und Heiratspolitik ihrer Kinder oblag ihr allein. Es hieß, dass der König in seinen Anfällen nicht nur das Mobiliar zerschlug und auf alles eindrosch, das sich ihm widersetzte, sondern sogar die Königin brutal misshandelte. Auch wenn er ihr Herr war, musste seine Gemahlin dies nicht ertragen. Eigentlich war Odinette weniger die Geliebte als eine Pflegerin des Königs, aber sie schlief auch bei ihm und hatte vor zwei Jahren eine Tochter von ihm empfangen. Dass Marie dies sehr peinlich war, verstand Christine. Dennoch ging der Weg zum König oft nicht über die Königin, sondern über Odinette. Sie nahm das Päckchen und lächelte die junge Nonne aufmunternd an.

»Der König wird das Geschenk seiner Tochter bekommen, das verspreche ich dir, Marie. Und er wird es in Ehren halten, denn immer, wenn Gott ihn erhellt, ist er fröhlich, der Königin und seinen Kindern zärtlich zugetan und bei wachem Verstand.«

»Die Wege des Herrn sind unerforschlich, nicht wahr?«, flüsterte die Prinzessin, der über Christines Schilderung die Tränen in die Augen getreten waren.

Christines Tochter ergriff freundlich ihre Hand.

»Gott liebt den König, Marie. Er liebt ihn so sehr, dass er ihn ein Martyrium erleiden lässt wie seinen eigenen Sohn.«

Christine lächelte wenig überzeugt. Der Vergleich des irren Königs mit Jesus Christus behagte ihr nicht. Christine war die Tochter eines Wissenschaftlers, des Astrologen Thomas de Pizan, der dem verstorbenen König Charles V. die Sterne gedeutet hatte. Die Konstellationen der Gestirne bestimmten das Wetter. Sie hatten Einfluss auf die Ernte, auf die Zustände der Menschen, und sie waren erklärbar, wenn man sie weiterhin erforschte, die Ergebnisse notierte und die Entwicklungen ständig systematisch beobachtete. Christine hätte nie bestritten, dass der allmächtige Gott Himmel und Erde und den Menschen erschaffen hatte, aber es lag an den Menschen, was sie aus den Fähigkeiten machten, die Gott ihnen verliehen hatte. Der bedauernswerte Zustand des Königs war eine Krankheit, so entsetzlich wie die Pest und andere Seuchen, die immer wieder wüteten, aber mit den richtigen Arzneien geheilt werden konnten. Bevor es diese Arzneien gab, fürchteten die Menschen hinter jeder Krankheit eine Strafe Gottes oder hielten die Juden für die Schuldigen.

Christine hatte dazu ihre eigenen Gedanken. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Gott seine eigene Schöpfung wieder verdarb. Der Mensch hatte die Pflicht, die ihm von Gott geschenkten Fähigkeiten segensreich zu verwenden. König Charles war 1368 unter einem schlechten Stern geboren worden, und es hätte die besondere Sorgfalt seiner Eltern gebraucht, ihn auf den richtigen Weg zu bringen. Aber diese hatten den Einfluss des schlechten Sterns nicht rechtzeitig erkannt, waren früh gestorben, und daher war diese Sorgfalt versäumt worden. Für den kleinen Kronprinzen war es schwer, vaterlos aufzuwachsen und schon mit zwölf Jahren zu herrschen, bevormundet von vier ehrgeizigen Onkel, die nur eines wollten: Macht.

Also lächelte Christine nur, pflichtete Marie ein wenig zerstreut bei, denn einer Königstochter widersprach man nicht, und bestieg ihr Maultier, das der Reitknecht hilfsbereit vorführte.

»Lebe wohl, chere maman!« Wie immer hatten Mutter und Tochter Tränen in den Augen. Wie immer konnte es der letzte Besuch gewesen sein, wer wusste schon, wohin das Leben die Mutter trieb, die entschieden abenteuerlicher lebte als die Tochter.

Christine winkte zum Abschied, dann überließ sie sich dem ruhigen Schritt ihres Maultiers. Der Knecht ritt neben ihr und führte das Tier am Führzügel, und dieses Mal wehrte Christine sich nicht dagegen. Sie ritt sonst gern allein, den Knecht hinter sich wissend, aber an diesem Morgen fühlte sie sich erschöpft und wusste nicht recht, warum.

Als die Sonne aufging, war Christine de Pizan schon vier Meilen geritten. Eine Pause für sie, den Esel und das Pferd war in einem kleinen Weiler vorgesehen, in dem sie im Frühjahr auf ihrem Rückweg ebenfalls Station gemacht hatte. Sie hatte dort bei einer Bauernfamilie Milch, Brot und weißen Käse mit frischen Kräutern bekommen.

Sie schnalzte aufmunternd, und das weiße Maultier beschleunigte seinen sanften Passgang und trabte auf den Hof.

Aber ach, wie sah es hier aus! Entsetzt blickte Christine um sich. Der Reitknecht riet, so schnell wie möglich zu verschwinden. Das Dorf war von Soldaten gebrandschatzt worden. Schwarz verkohlte Mauern ragten in den herbstlichen Morgen. Die Hütten, aus Lehm und mit Schilfdächern errichtet, waren völlig verbrannt. Der Brunnen war zerstört. Noch bevor Christine vom Reittier steigen konnte, stürzte aus den Trümmern eine halb nackte Frau. Mit weit aufgerissenen Augen schrie sie unverständliche Flüche und Verwünschungen und schlug mit einem verkohlten Ast wild auf die Maultiere ein. Der Reitknecht benutzte den Fluchtreflex der scheuenden Tiere und suchte schleunigst im Galopp das Weite.

Im nächsten Weiler waren beide Höfe erhalten, aber die Reisenden hatten kaum ihre Ziegenmilch getrunken, als der Bauer seine Frau aus einem nichtigen Anlass verprügelte. Christine schritt ein, aber der Bauer scheute sich nicht, auch sie anzugreifen, und behauptete, Frauen müssten regelmäßig gezüchtigt werden und die Züchtigung sei das Recht aller Männer, denen ihre Frau untertan sei. Christine ließ die Milch stehen und flüchtete, bevor der Bauer übergriffig wurde.

Kaum saß Christine wieder auf ihrem Maultier, da kroch aus einer mit Schilf bedeckten Erdhöhle eine halb wahnsinnige Frau und flehte sie auf Knien an, sie mitzunehmen, um weiteren Vergewaltigungen durch nachrückende Soldaten zu entgehen. Auf den Misthaufen lagen die Leiber verhungerter Kinder, ein weiteres Dorf war durch die Pest vollkommen entvölkert, in einem kleinen Weiler wurde sie mit Forken und Dreschflegeln angegriffen und verdankte ihr Leben nur ihrem schnellen Maultier und der Besonnenheit des Reitknechtes.

Die Wintersonne hatte längst den Zenit überschritten, als Christine de Pizan in Paris anlangte. Die elf Meilen von Poissy hatte sie in einem halben Tag zurückgelegt, regelrecht auf der Flucht, aber sie war nicht erschöpft, sondern wütend. Seit zehn Jahren besuchte sie regelmäßig ihre Tochter. Die normalen Unbequemlichkeiten einer Landpartie blieben auch ihr, der gefeierten Dichterin, nicht erspart. Sie blieben keinem Menschen erspart, der es wagte, sich den Unbilden der schaurigen Wege und des Novemberwetters auszusetzen, sei es zu Fuß, reitend, in einer Maultiersänfte oder in einer Chaise, und die war mit ihren hohen hölzernen Rädern das Unbequemste, was ein Reisender wählen konnte. Nein, was sich dort auf dem Land verändert hatte, ging alle an.

Christine entlohnte den Reitknecht und betrat ihr Haus, einen alten Turm der einstigen Stadtmauer, den der frühere König ihrem Vater überlassen hatte. Noch im Vorraum riss sie sich die steife weiße Haube vom Kopf, hängte sie an den Haken neben der Tür und schüttelte ihr Haar. Dann ließ sie den dünnen weißen Witwenschleier, der ihr Gesicht umspannte, als Tuch um den Hals fallen und ging alle schaurigen Details ihrer Erlebnisse auf der Hinreise vor drei Tagen und auf der heutigen Heimreise durch. Zügellos sind die Leute geworden, dachte Christine wütend, jedes Menschliche ist ihnen abhandengekommen, und daran sind sie nicht einmal selbst schuld. Schuld waren die Fürsten, die ihnen nichts anderes vorlebten, die sie ausplünderten, statt sie zu schützen, die zwei Päpste, ja zeitweilig sogar drei, anbeteten, deren Heere gottlos alles vergewaltigten und unterjochten, wie es ihnen gefiel, weil ein schwacher König ihnen nicht Einhalt gebot. Und währenddessen breitete sich der Krieg um Frankreichs Thron immer weiter aus, die Engländer standen in der Normandie, und das Volk verhungerte, verrohte oder verkam ebenso im Wahn wie sein Regent.

Sie musste an die Königin schreiben.

Christine ging die gewundene Treppe hinauf, betrat ihre Schreibstube und beruhigte sich ein wenig bei dem behaglichen Anblick. Im Kamin brannte ein Feuer, die schweren blauen Brokatvorhänge umrahmten die Fenster mit Butzenscheiben. Ihr altes hölzernes Schreibpult war geputzt, ordentlich steckten die gespitzten Federn in dem grauen Metallkästchen, und in der Lade unter dem Pult lagen mehrere Bögen preiswertes Papier für Notizen sowie teures Pergament für die Reinschriften. Christines bequemer Sessel mit der hohen Lehne stand vor dem Pult, und die Wand dahinter bedeckte ein Gobelin mit dem Bildnis eines wunderschönen Einhorns, ein Geschenk des Herzog von Berry, in dessen Auftrag sie die Geschichte des weisen Königs Charles V., des Vaters des Königs, geschrieben hatte. Die andere Wand beherbergte ihre gut sortierte Bibliothek. Christine seufzte zufrieden auf, als die Wärme ihres studiolo sie umfing.

Die Kopistin unterbrach ihre Arbeit an ihrem Pult in der Ecke nicht, als Christine eintrat, sondern sah nur kurz auf und grüßte respektvoll. Der große Eichentisch war mit dem schweren grünen Tuch bedeckt, der hoffnungsvollen Farbe der Auferstehung, das sie von ihrem Vater geerbt hatte. Seine astrologischen Berechnungen hatte er an diesem Tisch angestellt, und sie hatte ihn vor allen Gläubigern retten können, weil er ihnen zu schäbig erschien. Auf dem Tisch lagen mehrere Blätter mit farbigen Zeichnungen. Die Illustratorin Anastasia habe sie am gestrigen Abend gebracht, erzählte die Kopistin, sie seien für den Auftrag des Buches über das Gemeinwesen.

Christine begrüßte ihre Kopistin mit einem erleichterten Lächeln. Wie friedvoll alles war, wie warm und freundlich war ihr schmaler Turm, welch ein Gegensatz zu dem Entsetzlichen, das sie hatte sehen müssen! Wie notwendig war es, über das Gemeinwesen zu schreiben, offensichtlich war Frankreich von jeglichem Gemeinwesen, von Gerechtigkeit, Freiheit und Wohlstand weit entfernt.

Christine sah die Arbeit der Kopistin durch, lobte sie für ihre Sorgfalt und fragte, ob sie mit ihr essen wolle. Das Mädchen errötete vor Freude und bejahte. Christine schickte sie zur Köchin, damit diese das Nachtmahl auftischte, und meinte, sie müsse schnell noch einige Notizen niederschreiben, auch wenn sie Hunger habe wie eine Wölfin, die zehn Welpen ernähren müsse.

Die Kopistin goss ihr ein Glas mit Wasser vermischten Wein aus der Karaffe ein und ging in die Küche.

Aufatmend nahm Christine an ihrem Schreibpult Platz. Königin Isabel erwartete ihren Bericht aus Poissy. Isabel wollte stets wissen, wie es ihrer Tochter Marie ging, und sie ermöglichte daher Christine die häufigen Reisen, die diese sich sonst nicht hätte leisten können. Dank der Königin, der sie schon vor acht Jahren ihr erstes Buch, eine Sammlung von Liebesballaden, gewidmet hatte, ging es Christine de Pizan besser als in den ersten Jahren ihrer Witwenschaft, in denen sie von Gläubigern bedrängt und um ihre Erbschaft betrogen worden war.

Fünfzehn Bücher in acht Jahren, dachte Christine zufrieden, und mit dem Ende dieses Jahres 1407 sind mir nicht die Ideen ausgegangen. Natürlich sind meine Werke nicht vollkommen, aber sie sind wichtig, und ich muss meine guten und schlechten Erfahrungen mitteilen, heute mehr denn je.

Ob es helfen würde, sich an die Königin zu wenden? Oder würde diese nur wieder ein neues Buch zu ihrem Lieblingsthema, dem Cour d’amour, erwarten? Eine rhetorisch raffiniert formulierte Antwort auf die einfache Frage, wer schlechter dran sei, der betrogene Ehemann oder der betrogene Liebhaber. Oder welche Tugenden die höfische Minne ausmachten.

Christine beschloss, ihren Sendbrief nicht ausschließlich an die Königin zu richten. Sie könnte zu Recht beleidigt sein, wenn Christine in ihr die einzig Schuldige an den schrecklichen Zuständen sah. Sie begann: »Edle Fürsten, öffnet die Augen!«

Sorgfältig malte sie Buchstaben um Buchstaben, ließ auch Platz für den Illustrator, denn eine Schrift war nichts wert ohne schöne Bilder, vor allem wenn es eine Klageschrift werden sollte.

»Im Namen des Allmächtigen, öffnet eure Augen – und Ihr werdet die Ruinen von Städten, zerwüstete Ortschaften und Burgen sowie geschleifte Festungen erblicken!«

Dies wird etwas anderes werden als Liebeslyrik, dachte Christine, aber das Maß ist voll, wenn eine Frau nicht mehr unbeschadet von Paris nach Poissy reiten kann. Die armen Bauernfrauen, die keine Stadtmauern haben, können sich nicht wehren, und das alles nur, weil die königliche Erbfolge nicht geregelt ist.

»Und wo?«, fuhr sie fort, nachdem sie das Anschneiden der Feder zu weiterem Nachdenken genutzt hatte.

»Mitten in Frankreich! Jene edle französische Ritterschaft, jene erlesene Jugend, die einst in vollkommener Eintracht Königtum und Gemeinwesen schützte, streitet nun in einem schmachvollen Kampf einer gegen den anderen, Verwandte gegen Verwandte.

Todbringend sind ihre Schwerter, die Schlachtfelder des Grauens quellen über von Blut, Leichen und abgeschlagenen Gliedern! Bei Gott, das ist ein Sieg, auf den Sieger stolz sein können!

Und welcher Ruhm winkt als Preis für einen solchen Sieg? Wird es einen lorbeerbekränzten Sieger geben? Ach, ich arme, unglückliche Frau – dieser Siegerkranz wird ein Kranz der Schmach sein, gewunden aus pechschwarzen Dornen als Zeichen dafür, dass dies nicht der Ruhm eines Siegers, sondern der eines Schlächters von seinem eigenen Fleisch und Blut ist. Schwarz gekleidet möge dieser Sieger gehen, wie es sich gehört, wenn ein Blutsverwandter den Tod erlitt!«

Sollte sie wirklich bis morgen warten? Der Bote der Königin befahl sie stets, wenn sie aus Poissy zurückkam, zur Königin, sie wurde bevorzugt vorgelassen.

Christine fasste einen Entschluss. Schnell schrieb sie ihre Lamentacion auf gutes Pergament ins Reine, streute Sand über die feuchte Tinte, rollte die Bögen zusammen und band sie mit einem Band zu einer Rolle, die sie in den Korb zu Maries Geschenken legte. Dann warf sie ihren Umhang über und ging zur Küche.

»Wartet nicht auf mich, bitte esst, ihr seid hungrig. Ich gehe zur Königin.«

Die Köchin und die Kopistin sahen erschrocken aus.

»Um diese Zeit, im Dunkeln …«, begann die Köchin.

»Keine Sorge, ich nehme den Hund mit«, unterbrach Christine den Wortschwall, der jetzt drohte. Sie kannte die spindeldürre kleine Frau, die aussah, als würde sie von dem, was sie kochte, niemals essen.

Die Kopistin wagte einzuwenden, dass der Hund ein Feigling sei. Aber Christines Entschluss war gefasst. Sie sei Bürgerin dieser Stadt, erklärte sie energisch, was solle ihr in Paris schon geschehen. Auf dem Lande herrsche die wahre Gefahr, das habe sie heute gesehen und sie müsse die Königin warnen. Sie sei bald zurück.

Mit diesen Worten trat Christine de Pizan, den Korb am Henkel über dem Arm, hinaus auf die dunkle, menschenleere Gasse.

Margaud

Die Söldner hielten ihr Wort. Margaud hatte während des Weges durch die Ebene ständig ihr kleines Messer in der Hand gehalten, bereit, sich auf jeden zu stürzen, der es wagen würde, sie anzugreifen und in ein Gebüsch zu drängen, statt wie versprochen in die Stadt zu bringen. Aber keiner der Soldaten hatte einen solchen Versuch unternommen. Die Stadt, deren schöne Türme sich in der abgeholzten Ebene abzeichneten, war weiter entfernt, als Margaud erwartet hatte. Erst nach einer Stunde zügigen Marsches erreichten sie ein wuchtiges Stadttor. Der Hauptmann schlug den breiten Kragen über seinem Kettenhemd zurück und sagte zu dem Stadtsoldaten: »Ich houd!«

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