Königreich zu verschenken - Nicole Gozdek - E-Book

Königreich zu verschenken E-Book

Nicole Gozdek

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Hast du auch schon mal davon geträumt, eine Prinzessin oder ein Prinz zu sein, im Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu stehen und den Thron zu besteigen? Doch was ist, wenn es dein größter Albtraum ist, Königin oder König zu werden, und dieser wahr zu werden droht? Was wirst du tun? Als König Henri und seine nächsten Erben bei einem tragischen Verkehrsunfall sterben, werden die Geschwister Alexander, Peter, Julien und Karolina unerwartet zu den nächsten Thronerben. Dumm nur, dass keiner von ihnen die Krone will. Verzweifelt kämpfen die Prinzen und die Prinzessin um ihre Träume und ihr letztes bisschen Privatleben. Doch was können sie tun, um der Bürde der Krone zu entkommen, um nicht der nächste Fettnäpfchen-König zu werden und um sich nicht ihr persönliches Glück rauben zu lassen? Mit wahnwitzigen Plänen versuchen sie, das Schicksal abzuwenden. Doch dann schlägt Murphys Gesetz zu und ihre Pläne gehen fürchterlich schief … Unterhaltsame royale Komödie für alle Adelsfans!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 710

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nicole Gozdek

Königreich zu verschenken

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

1999, irgendwo in Europa

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

Impressum neobooks

Vorwort

Die Charaktere und Handlung dieses Romans sind frei erfunden. Jede eventuelle Ähnlichkeit mit realen lebenden oder toten Personen ist reiner Zufall und von mir nicht beabsichtigt.

1999, irgendwo in Europa

1

Alexander war ein ganz normaler Mensch. Er war dreiunddreißig Jahre alt, seit fünf Jahren verheiratet und hatte zwei Kinder und eine Frau, die er abgöttisch liebte. Sie wohnten in ihrem eigenen Häuschen in der Nähe einer kleinen, gemütlichen Stadt. Jeden Morgen stand er früh auf, um zur Arbeit zu gehen, und wurde abends von seiner Frau mit einem Kuss und von seiner Tochter, die mittlerweile drei Jahre alt war, mit einem freudestrahlenden „Papa“ empfangen. Eine ganz typische Familie eben.

Er hätte glücklich sein können, wenn nicht diese eine Sache gewesen wäre. Eigentlich ein ganz banaler Zufall und völlig unwichtig, wie Alexander fand. Eine Sache, die ihn zu überwältigen drohte und sein Leben zur Tortur machte. So wie an diesem Sonntagmorgen.

„Da hinten ist er!“

Alexander erschrak. War er etwa gemeint?

Er blickte sich um und blinzelte ins Licht der Morgensonne. Niemand zu sehen. Als Nächstes riskierte er vorsichtig einen Blick nach hinten und da sah er sie. Die Meute. Seine unbarmherzigen Jäger. Er meinte beinahe körperlich zu spüren, wie er als Ziel markiert wurde. Die Beute war ausfindig gemacht, die Jagd konnte beginnen! Die Augen seiner Jäger glänzten vor Adrenalin. Sie spürten die Erregung der Jagd.

Sechs Verfolger. Nein, sieben, da hinten kam noch einer angerannt. Durch ein unsichtbares Zeichen des Rudels musste er mitbekommen haben, dass die anderen ihre Beute gefunden hatten.

Was nun? Sollte er fliehen? Reden? Nein, das hatte er schon einmal versucht. Reden half gar nichts. Im Gegenteil, Reden konnte die Sache nur schlimmer machen.

Hektisch sah er sich nach allen Seiten um. Noch war er nicht umstellt!

Dann machte der Erste einen Schritt auf ihn zu. Alexander erkannte ihn. Er kannte zwar nicht den Namen seines Verfolgers, aber dieses Gesicht war ihm - leider! - nur zu vertraut. Um die vierzig, ein rundliches Gesicht, die blauen Augen huschten flink von einer Seite zur anderen. Es waren verschlagene Augen, die Augen eines erfahrenen Jägers. Die breite Nase war schief, so als wäre sie schon einmal gebrochen gewesen oder als hätte ein Kind sie aus Knete zusammengeklatscht und es nicht besser hingekriegt.

Alexander überlegte, welche der beiden Möglichkeiten wohl wahrscheinlicher war. Er entschied sich für die erste. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, dass eines seiner Opfer das Wiesel unterschätzt und sich gegen ihn gewehrt hatte. Wiesel war eher unscheinbar, aber Alexander machte trotzdem nicht den Fehler, ihn zu unterschätzen. Er gehörte zu seinen hartnäckigsten Jägern.

„Alexander!“, schrie er. Seine Stimme klang erregt und hatte in Alexanders Ohren einen drohenden Unterton.

Sein Puls beschleunigte sich. Das Blut pochte in seinem Kopf. Wiesel machte noch einen Schritt auf ihn zu und so als wäre dies das Startsignal, fingen plötzlich alle an zu rennen, die anderen Verfolger sogar noch vor Wiesel. Aber trotzdem waren sie langsamer als Alexander, der, jeden klaren Gedanken vergessend, einen fulminanten Start hingelegt und schon drei lange Schritte gemacht hatte, bevor der erste Verfolger losgerannt war.

Wohin? Nachdem er die ersten hundert Meter von Panik beherrscht zurückgelegt hatte, fing Alexander wieder an zu denken. Warum war er bloß losgerannt, als hätte er etwas ausgefressen? Doch nun war es zu spät für Reue, er musste weiterrennen und hoffen, dass seine Verfolger irgendwann aufgeben würden.

Bis zum nächsten Mal.

Also wohin? Auf jeden Fall erst einmal raus aus dem Park. Der Park bot mit seinen nur übersichtlichen Rasenflächen und vereinzelten Büschen und Bäumen keine Möglichkeit, seine Verfolger abzuschütteln oder sich zu verstecken. Abrupt änderte er die Richtung, verließ den Fußweg und sprintete auf kürzestem Weg zum Ausgang.

Von dem plötzlichen Richtungswechsel überrascht, brauchten seine Verfolger etwa drei Sekunden, bis auch sie sich auf den noch vom Morgentau nassen Rasen wagten. Drei Sekunden, die er an Vorsprung gewonnen hatte! Geschickt wich er einem einzelnen Baum aus und stolperte beinahe über das nächste, unerwartete Hindernis.

Eine Schubkarre! Was machte die verdammte Schubkarre hier?

Glücklicherweise hatte er gute Reflexe und Leichtathletik war schon immer seine Stärke gewesen. Höher als eine Hürde beim Hindernisrennen war die Schubkarre ja schließlich auch nicht. Immer noch empört und leicht erschrocken setzte er seine Flucht fort.

Aha, das Rätsel war gelöst! Der Gärtner, der die Schubkarre so leichtsinnig auf seinem Weg platziert hatte, kam mit einem Bündel Zweige langsam auf ihn zu. Die Empörung des alten Mannes verwandelte sich in Fassungslosigkeit und Alexander wusste, dass er seine Verfolger entdeckt haben musste, die nur wenige Meter hinter ihm waren.

Ein ohrenbetäubendes Krachen ließ Alexanders Kopf herumschnellen. Ein flüchtiges Grinsen huschte über sein Gesicht, als er die Ursache für den Lärm erkannte. Einer der Jäger war in die Schubkarre hineingelaufen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht klappte der Mann zusammen und löste damit eine verhängnisvolle Kettenreaktion aus. Der zweite Verfolger hatte zwar die Schubkarre rechtzeitig gesehen und einen Schritt nach rechts gemacht, um dem unerwarteten Hindernis auszuweichen, aber dort, wo bis vor einem Augenblick der Weg noch frei gewesen war, lag jetzt sein Kollege, ein knapp zwei Meter großer Stolperstein. Er fiel. Mit einem Schmerzenslaut entwich die Luft aus seinen Lungen, als auch der Dritte nicht mehr ausweichen konnte und sehr unsanft auf ihm landete.

Alexander rannte weiter und freute sich einen Augenblick lang über diesen kleinen Sieg. Mitleid mit den drei Unglücklichen hatte er nicht. Das waren keine normalen Menschen, das waren Hyänen! Aasgeier!

Nach ein paar Metern riskierte er wieder einen Blick zurück. Hatte er sie abgehängt? Alexander unterdrückte einen Fluch. Nein, so viel Glück hatte er natürlich nicht, er war schließlich nicht der Glückspilz in der Familie! Bei seinem Cousin Edward hätten sich die Verfolger wahrscheinlich schon nach fünf Metern gegenseitig außer Gefecht gesetzt, aber Edward wäre auch nie in die Verlegenheit gekommen, wie ein Hase gejagt zu werden.

Alexander verzog das Gesicht. Der stets perfekte Edward, das Musterbeispiel an Benehmen, das ihm schon seit Kindertagen vor Augen geführt wurde, sobald er etwas falsch machte. Edward machte nie etwas kaputt und wenn der siebenjährige Alexander vor lauter Unruhe zappelte, saß der achtjährige Edward kerzengerade und mucksmäuschenstill auf seinem unbequemen Stuhl. Der perfekte Edward, der Liebling ihres Großvaters!

Alexander verbot sich energisch jede Tagträumerei. Er durfte auf keinen Fall vergessen, wo er war und dass vier Verfolger ihm noch immer dicht auf den Fersen waren. „Du Idiot!“, beschimpfte er sich selbst. „Du solltest lieber darüber nachdenken, wie du diese Kerle abhängen kannst!“

Der Ausgang! Endlich! Alexander machte sich nicht die Mühe, das niedrige Eisentor zu öffnen, sondern beschleunigte seine Schritte und sprang mit einem olympiareifen Satz darüber.

„Alexander!“

Das war Wiesel, Alexander erkannte seine Stimme. Warum verfolgten sie ihn bloß? Hatten sie denn überhaupt kein Erbarmen? Aasgeier, alle miteinander!

Er riskierte einen flüchtigen Blick zurück und da waren es nur noch drei Verfolger. Der Vierte war nicht mehr zu sehen, er musste aufgeben haben. Die Reihen seiner Verfolger lichteten sich allmählich. „Wartet es nur ab!“, dachte er. „Ich werde euch schon noch einzeln zu fassen bekommen und dann könnt ihr etwas erleben!“

Alexander überlegte flüchtig, ob er sie zu einem Duell herausfordern sollte. Pistolen oder Schwerter? Er kam sich ein bisschen vor wie einer der drei Musketiere gegen die Schergen Richelieus. Wagemutig, tapfer, auf der Seite der Gerechten.

Nein, ein Duell wäre zu viel der Ehre, das hatten Wiesel und seine Männer nicht verdient. Dann doch eher ein Faustkampf.

Bei diesem Gedanken zuckte Alexander zusammen. Was würde bloß sein Großvater dazu sagen? Alexander konnte es sich nur zu gut vorstellen: „Was hast du dir dabei gedacht? Dich zu prügeln wie ein räudiger Straßenköter! Wo ist dein Stolz geblieben? Mein Enkel prügelt sich nicht! Selbstbeherrschung, das ist es, was dir fehlt! Was dir schon immer gefehlt hat! Sieh dir nur deinen Cousin Edward an! Von dem kannst du noch etwas lernen! Man lässt sich in unseren Kreisen durch nichts aus der Fassung bringen! Widrigkeiten werden königlich ignoriert, so als wären sie unserer Beachtung nicht wert!“

Ja, er konnte sich nur zu gut vorstellen, was sein Großvater sagen würde. Und sein perfekter Cousin Edward würde daneben stehen und ihn mit einem ungläubigen, herablassenden Kopfschütteln bedenken, als könnte er sich nicht vorstellen, dass sie wirklich Cousins waren. Diese Genugtuung wollte er Edward nicht gönnen. Ein Faustkampf kam nicht in Frage, blieb also nur noch das Weglaufen, das nicht minder unwürdig war. Alexander unterdrückte den Hauch von Selbstverachtung mit einer Leichtigkeit, die Übung verriet.

Alexander blickte sich rasch nach links und rechts um. Irgendwo musste es doch eine Möglichkeit geben, seine Verfolger abzuhängen! Da! Führte diese Nebenstraße nicht in die Innenstadt? Das war die Lösung! In den unzähligen kleinen Gassen der Innenstadt konnte er seine Verfolger durch ein paar Mal Abbiegen leicht abhängen.

Er bog abrupt nach rechts ab, was seine Verfolger dieses Mal leider nicht so sehr überraschte wie beim ersten Mal. Als erfahrene Jäger machten sie nicht zweimal den Fehler, ihr Wild zu unterschätzen.

Eigentlich hätte er die Lauferei genießen können. Sein Weg führte ihn vorbei an hübschen kleinen Wohnhäusern. Die Gärten standen jetzt, Mitte Mai, in voller Blüte. Da schlich eine gestreifte Katze aus ihrem Versteck und musterte ihn misstrauisch. Ein kleiner Hund bellte ihn an, als er an ihm vorbei lief. Ein Junge verteilte die Sonntagszeitung. Es war ein ganz normaler Sonntagmorgen. Man hätte sagen können idyllisch, wären da nicht seine Verfolger gewesen.

Ein Windstoß drohte ihm die schützende Mütze zu entreißen. Er konnte sie gerade noch festhalten. Das war knapp gewesen!

Fast da! Die nächste Abzweigung nach rechts. Geschafft! Er hatte die Innenstadt erreicht. Das wäre doch gelacht, wenn es ihm hier nicht gelingen sollte, seine Verfolger abzuhängen!

Uahh! Mülltonne! Welcher Idiot stellte sonntags seine Mülltonne raus?

Er atmete mühsam ein und aus. Vor Schreck wäre ihm fast das Herz stehen geblieben. Das war knapp gewesen. Da hatten bis zum Zusammenstoß nur Millimeter gefehlt.

„Aargh!“

Alexander gestattete sich ein flüchtiges Grinsen. War es Wiesel? Ein Blick zurück sagte ihm, dass er sich geirrt hatte. Das wäre auch zu schön gewesen, wenn Wiesel im Müll gelandet wäre, wo er Alexanders Meinung nach hingehörte. Aber dafür waren es nur noch zwei. Alexander machte sich Mut. Das sollte doch zu schaffen sein! Schließlich hatte er schon fünf abgehängt!

„Alexander!“

Sein Gesicht verzog sich zu einer enttäuschten Miene. Das war auch zu schön gewesen, um wahr zu sein! Neue Verfolger! Gab es denn hier irgendwo ein Nest?

Aus einer Nebenstraße tauchten fünf Gestalten auf, die Alexander nur zu vertraut waren. Aber nicht die fünf abgehängten Jäger, oh nein! Neue Jäger, die anders als Alexander, Wiesel und Kumpan noch völlig frisch waren.

„Hierher!“

Der Anführer machte Alexander ein Zeichen. Alexander erkannte ihn. Adler. Dieser hieß wirklich so, das war kein Spitzname, den Alexander ihm verpasst hatte. Aber trotzdem passte der Name wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Mit der Adlernase und den stechenden Augen hätte man ihn wirklich gut für einen Raubvogel halten können. Alexander hatte sich eines Tages mal den Jux erlaubt und sich Adlers Personalausweis zeigen lassen. Um sicher zu gehen, wie er sagte. Sein Großvater hatte das nicht komisch gefunden.

Adler wiederholte seine Aufforderung: „Hierher!“

Alexander kam es flüchtig in den Sinn zu gehorchen, doch dann dachte er an die Demütigung, die im Anschluss daran folgen würde, erst durch Adler und dann durch seinen Großvater. Nicht mit ihm! Er war doch kein kleines Kind! Er kam gut alleine klar!

Er hörte Adler fluchen, als er in die entgegengesetzte Richtung abbog. Erst jetzt bemerkte er den Lärm vor ihm, der langsam lauter wurde. Stimmen, die brüllten und anfeuerten. Alexander fühlte sich in ein Fußballstadion versetzt. War das nicht auf der anderen Seite der Stadt? Er hielt sich die Hand vor Augen, um gegen die Sonne besser sehen zu können. Was konnte das bloß sein?

Abbiegen konnte er nicht. Eine schnurgerade Häuserreihe führte ihn direkt auf die Ursache des Lärms zu. Mist! Er hatte doch versucht, Menschenmengen zu vermeiden, die ihn hätten aufhalten können!

Fast da. Der Lärm wurde ohrenbetäubend.

„Fred, Fred!“

„Durchhalten, Paul! Ich weiß, du schaffst es!“

„Ich bin so stolz auf dich, Peter!“

Der Marathon!

Alexander schlug sich angesichts der Menschenmenge, die sich auf dem Bürgersteig direkt vor ihm versammelt hatte und die Läufer anfeuerte, vor den Kopf. Wie hatte er nur den jährlich stattfindenden Marathon vergessen können? Kein Wunder, dass Adler und die anderen ihn so leicht aufgespürt hatten! Sie mussten gedacht haben, er hätte die Absicht gehabt, ihn sich anzusehen, wie jeder andere Bürger der Stadt!

Adler kam in Sicht. Er hatte Alexander schon gesehen. Aber vorausschauend wie er war, vermied er es, ihn erneut zu rufen. Auch die anderen waren dicht hinter ihm.

Ein Gedanke schoss Alexander durch den Kopf. Das war doch die Gelegenheit! In der Menschenmenge konnte er sich gut verstecken!

Er versuchte, sich etwas weiter nach vorne zu drängeln. Doch das brachte ihm nur wütende Proteste, einige Ellenbogenstöße und einen ordentlichen Tritt ans Schienbein ein.

„Stell dich gefälligst wieder nach hinten, Mistkerl!“

„He! Wir waren zuerst hier!“

Da war kein Durchkommen. Im Rücken der Zuschauer lief er an den Häusern entlang. Plötzlich erspähte er eine Lücke. Und wenn er ...

Ein weiterer flüchtiger Blick zurück. Seine Verfolger waren ihm immer noch dicht auf den Fersen. Alexander beschloss, es zu riskieren. Flink rannte er durch die Lücke auf die Straße zu den Marathonläufern.

Die Lücke schloss sich hinter ihm. Alexander hörte Adler fluchen. Er hatte es nicht mehr geschafft, die Gunst der Stunde auszunutzen. Nun musste er sich durch wütende Zuschauer drängeln.

Einen Augenblick lang lächelte Alexander. Er hatte es geschafft! Doch das Grinsen gefror ihm auf dem Gesicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Adler so leicht aufgeben würde. Ein Blick zurück bestätigte seine Befürchtung. Adlers Kollegen hatten zu ihm aufgeschlossen und gemeinsam bahnten sie sich nun einen Weg durch die Menge. Auf der Straße angelangt, setzten sie die Verfolgung fort.

Alexander dirigierte seine Schritte langsam, aber entschlossen nach rechts zum anderen Straßenrand. Meter um Meter gewann er. Nur noch drei Läufer trennten ihn von der anderen Straßenseite. Hier standen auch weniger Zuschauer. Glück musste man haben!

Doch Alexander hatte es an diesem Tag nicht.

„Hi, ich heiße Peter!“, schnaufte ihm sein Nebenmann liebenswürdig ins Ohr. Ein Blick nach rechts zeigte Alexander einen Mann um die vierzig, stark übergewichtig und stark schwitzend. Ein großes Handtuch lag auf seinen Schultern, mit dem er vorsichtig den kontinuierlich rinnenden Schweiß abtupfte. Es war Alexander ein Rätsel, wie dieser Mann auf die Idee kommen konnte, einen Marathon zu laufen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er vor Zielende mit einem Herzinfarkt zusammenbrach, lag bei über neunzig Prozent.

„Ich mache zum ersten Mal mit. Und du?“ Er schnaufte erneut. „Wie heißt du?“

Sollte er lügen? Ihn ignorieren? Doch irgendwie hatte Alexander Mitleid mit dem Kerl, der wahrscheinlich ein Pantoffelheld war und den Marathon nur seiner Frau zuliebe mitlief, damit diese beim nächsten Kaffeekränzchen mit ihrem Peter angeben konnte.

„Etwa der Peter, der vorhin angefeuert wurde?“, fragte er.

Sein Nachbar nickte stolz mit dem Doppelkinn. „Meine Frau“, erklärte er, „ist ein richtiger Fan des jährlichen Marathons. Letztes Jahr ist einer unserer Nachbarn mitgelaufen und kam doch glatt ins Ziel, obwohl er schon sechzig ist und zum ersten Mal teilgenommen hat! Und da meinte mein Schatz, dass ich das, was der kann, schon lange kann“, stieß Peter, von unzähligen Schnaufern unterbrochen, hervor.

Ab und zu hatte er einen Blick über die Schulter riskiert, doch Adler und die anderen waren immer noch da und kamen näher. Er musste sich schnell etwas einfallen lassen, um sie abzuhängen.

Da! Rechts standen keine Zuschauer mehr. Alexander hatte sich geschickt an den Rand des Feldes manövriert und konnte sich nun bequem unbemerkt vom Feld absetzen. Er bog in die nächste Seitenstraße ein.

„Du kennst eine Abkürzung?“

Alexander zuckte zusammen. Von wegen unbemerkt! Sein freundlicher Nebenmann war ihm gefolgt und schaute ihn hoffnungsvoll an. Er sah so aus, als wäre er über jeden Meter weniger glücklich.

Was sollte er tun, um Peter loszuwerden? Der Kerl hing an ihm wie eine Klette! Und zu allem Überfluss bogen nun auch Adler und seine Kollegen in die kleine Seitenstraße ein!

Hektisch sah er sich nach allen Seiten um. Irgendwie musste es doch eine Möglichkeit geben, diese Nervensägen wieder loszuwerden! Warum folgten sie ihm bloß alle? Langsam kam er sich schon vor wie Forrest Gump!

Alexander schaute sich immer wieder hektisch um, während er lief. Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte.

Es machte platsch. Alexander war auf den Essensresten, die aus einer umgefallenen Mülltonne quollen, ausgerutscht und saß nun mit dem Hintern auf der Erde. Oder besser gesagt, im Müll.

Peter starrte ihn erschrocken an, während Adler und seine Kollegen naserümpfend auf ihn hinab sahen. Alexander bot ein Bild des Jammers und zu allem Überfluss stank er auch noch, als käme er direkt aus der Jauchegrube. Heute war wirklich nicht sein Tag! Seufzend schaute sich Alexander den stinkenden Schlamassel an. Schlimmer konnte es nun ja wirklich nicht kommen!

Doch da irrte er sich. Wiesel hatte unbemerkt zu der Gruppe aufgeschlossen.

Klick.

„Scheiße!“, fluchte Alexander.

2

Ein paar Stunden später.

Die große, weiße Limousine hielt vor der Treppe des Nobelhotels. Ein junger Hotelpage eilte dienstbeflissen herbei. Eine solche Limousine, auch wenn sie mit der größten Wahrscheinlichkeit nur gemietet war, versprach ein großzügiges Trinkgeld. Menschen, die sich bemühten, nach außen hin einen wohlhabenden Eindruck zu vermitteln, indem sie in einem protzigen Wagen vorfuhren, würden diesen Eindruck nicht im nächsten Moment wieder zerstören, indem sie am Trinkgeld knauserten, dachte er hoffnungsvoll.

Der Junge beeilte sich, die Wagentür möglichst schnell, aber stilvoll zu öffnen. Vor allem Hollywood-Diven wurden leicht ungeduldig, wenn sie zu lange warten mussten. Ob es sich bei dem Fahrgast wohl um eine Schauspielerin handelte? Und wenn es nun Julia Roberts war? Er bekam vor Aufregung feuchte Hände. Er würde vor seinem großen Idol keinen Ton herausbekommen!

Er machte eine vor Aufregung leicht wackelige Verbeugung und hielt dem zukünftigen Hotelgast die Wagentür auf. Lange, schlanke Beine kamen zum Vorschein, verhüllt in einem farblich zur Limousine abgestimmten Beinkleid, dem man an der schlichten Eleganz ansah, dass es teuer gewesen sein musste. Der Junge ließ seinen Blick schüchtern von den weißen Hosenbeinen zum Gesicht wandern.

Ein Kerl! Und dann noch nicht einmal ein bekannter! Er verspürte einen Stich der Enttäuschung. Wer mochte das sein? Ein Sänger? Die selbstsichere Ausstrahlung dafür hatte der Mann auf jeden Fall. Nein, dafür war seine Körperhaltung viel zu selbstbewusst und zu vornehm. Beinahe königlich. Und wenn das gespielt war? Konnte das womöglich ein bekannter Schauspieler sein?

Der Mann war ausgestiegen und wartete nun darauf, dass der Junge mit dem Ausladen seines Gepäcks fertig wurde. Dabei schenkte er ihm jedoch keinen Blick, als wäre die Ausführung einer solch niederen Tätigkeit seiner Beachtung nicht wert.

„So ein reicher Schnösel!", dachte der Junge wütend. „Für den existiere ich gar nicht! Wahrscheinlich ist der es gewöhnt, von morgens bis abends bedient zu werden! Gehört wahrscheinlich zu der Sorte, die sich allein noch nicht einmal die Schuhe zubinden können!"

Er bemühte sich, seine Wut nicht zu zeigen. Nicht aus Angst, dass der andere sie sehen könnte, denn der ignorierte ihn weiter, sondern aus Angst, dass ein anderer Hotelangestellter seinen Mangel an Respekt bemerken könnte. Das wäre es dann mit seinem hart verdienten Taschengeld.

Derweil sah sich das Objekt seines Zorns in aller Seelenruhe um. Weder die großzügig angelegten Gartenanlagen noch die imposante Hotelfassade mit ihrer eindrucksvollen Freitreppe entlockte ihm eine Geste der Anerkennung.

Für die nächsten paar Tage würde er es hier notfalls schon aushalten können, dachte Julien. Langsam erklomm er die breiten Stufen der Freitreppe. In Gedanken versunken bekam er weder mit, dass der Junge das letzte seiner Gepäckstücke auf dem Gepäckwagen verstaut hatte und sich nun beeilte, ihm auf der langen Rampe zu folgen, noch dass seine Limousine Anstalten machte, das weitläufige Hotelgelände wieder zu verlassen.

In der Eingangshalle angekommen, gestattete sich Julien einen Augenblick lang, die Szenerie zu betrachten. Sein Blick erfasste flüchtig die beiden Geschäftsmänner in den dunklen Anzügen, die es sich in ihren breiten Sesseln bequem gemacht hatten und genüsslich ihre Zigarren pafften, was ihre Nachbarin, eine Frau von Anfang vierzig in einem schicken Kostüm, sichtlich irritierte. Abgesehen von den beiden Männern war sie die einzige Person in der Hotelhalle. Julien ließ den Blick kurz auf ihr verweilen und entschied dann, dass sie seiner Beachtung nicht wert war.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte ihn eine angenehme Stimme.

Julien hatte den Eindruck, als würde sie schnurren wie eine Katze, so seidenweich war diese Stimme. Er drehte sich um, um ihre Besitzerin in Augenschein zu nehmen. Was er sah, gefiel ihm gut. Mit ihren langen, blonden Haaren, ihren meergrünen Augen, dem sinnlichen Mund und den langen, schlanken Beinen gehörte die Mitzwanzigerin zu den schönsten Frauen, die Julien je gesehen hatte. Und er hatte in seinem Leben schon eine Menge schöner Frauen gesehen. Ja, hier konnte er es eine Zeit lang aushalten!

Julien schenkte ihr ein Lächeln, das selbst George Clooney oder Brad Pitt neidisch gemacht hätte und das seine Wirkung sichtlich nicht verfehlte. Das Lächeln der jungen Frau wurde etwas unsicherer. Schüchtern sah sie den neuen Hotelgast an.

„Das will ich doch hoffen“, entgegnete Julien. „Und die Aufgabe sollte für Sie auch nicht unlösbar sein, denke ich, Miss ...?" Er hob fragend die Augenbrauen und lächelte sie ein weiteres Mal an.

„Miss Carpenter“, entgegnete die junge Frau. Und als Julien sie weiterhin fragend ansah, fügte sie hinzu: „Miss Julia Carpenter.“ Sie streckte ihm zur Begrüßung die Hand entgegen. „Willkommen im Palace, Sir.“

Julien ergriff ihre zierliche Hand mit einer fließenden Bewegung. „Mein Name ist Julien“, stellte er sich vor, „und ich bin erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Julia.“

Er lächelte sie strahlend an, bevor er ihre Hand an die Lippen führte und küsste. Als er an der leichten Röte ihrer Wangen sah, dass diese Geste den erhofften Effekt gehabt hatte, ließ er ihre Hand wieder los. Ob er etwas sagen sollte? Nein, lieber nicht. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass die meisten Frauen es nicht schätzten, wenn ein Mann zu direkt vorging. Frauen wollten umworben werden. Das alles war ein Spiel, das Zeit erforderte, was Julien aber nicht im Mindesten störte. Das Umwerben und die langsame Eroberung bildeten für ihn den größten Reiz an der Sache.

Immer noch freundlich lächelnd, fuhr er im normalen Gesprächston fort: „Ich habe gestern mit Ihrem Kollegen telefoniert und eine Suite reserviert. Ich hoffe, es ist nicht ungelegen, dass ich etwas früher gekommen bin als angekündigt.“

„Nicht im Geringsten, Sir“, erwiderte sie und bemühte sich, ihrer Stimme einen professionellen Klang zu geben. Sie blätterte in ihrem Notizblock, um etwas Zeit zu gewinnen. „Hier steht es ja. Wir haben für Sie die Präsidentensuite reserviert. Von dort haben Sie eine wunderbare Aussicht auf den Lake. Ihre Wünsche wurden natürlich berücksichtigt. Ich hoffe, dass alles zu Ihrer vollsten Zufriedenheit ist.“ Julia schenkte ihm nun ihrerseits ein Lächeln. „Falls nicht, zögern Sie bitte nicht, es mir mitzuteilen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt im Palace.“

„Danke.“

Julia winkte Jack, den jungen Hotelpagen, heran. „Jack, würdest du dem Herrn bitte seine Suite zeigen? Der Herr bewohnt die Präsidentensuite.“

„Aber natürlich“, sagte Jack. Er wies mit der Hand zum Fahrstuhl. „Wenn der Herr mir bitte folgen würde.“

Er wartete, bis Julien sich in Richtung Fahrstuhl aufgemacht hatte, um ihm langsam mit dem Gepäckwagen zu folgen. Trotz seiner Äußerung wäre es äußerst unhöflich, tatsächlich vorauszugehen. Als Hotelpage hatte er dem Gast in angemessenem Abstand zu folgen und diskret Richtungshinweise zu geben. Wie sah es denn aus, würde er mit dem Gepäckwagen vorangehen und der Gast dahinter, als wäre dieser ein folgsames Hündchen!

Aber noch nie zuvor war Jack versucht gewesen, die Schritte zu beschleunigen und vor dem Gast beim Fahrstuhl zu sein. So ein reiches Muttersöhnchen! Er hatte doch nie die Zeitung austragen oder das Geschirr abwaschen müssen, um sich sein Taschengeld zu verdienen, geschweige denn im Hotel seines Onkels als Page arbeiten müssen! Ob er sich überhaupt vorstellen konnte, wie hart Jack arbeiten musste, um sich den Traum vom eigenen Auto erfüllen zu können? Wahrscheinlich hatte er zum bestandenen Führerschein gleich einen Ferrari von Papi geschenkt bekommen!

Jack bemühte sich, seine Wut zu zügeln, und beschleunigte seine Schritte. Inzwischen war Julien am Fahrstuhl angekommen und wartete auf den Jungen, ohne sich nach ihm umzusehen. Jack drückte den Knopf und der Fahrstuhl kam. Als die Türen aufgingen, hatte Julien Jack noch immer keinen Blick gegönnt, geschweige denn das Wort an ihn gerichtet, um ein wenig mit ihm zu plaudern.

Im Fahrstuhl hatte Jack Gelegenheit, den anderen zu betrachten. Alles an dem Kerl stank nach Kohle, die teuren Schuhe - wahrscheinlich maßgefertigte, italienische Designerschuhe, dachte Jack, doch damit kannte er sich nicht so aus -, der elegante, weiße Anzug, die goldene Uhr. Doch es war nicht diese Zurschaustellung von Reichtum, die Jack so aufregte. Sollte der Schnösel doch ruhig seine schicken Klamotten und die Rolex behalten! Nein, was ihn störte, war diese unglaubliche Arroganz, die aus seiner Haltung und jeder seiner Bewegungen sprach. Dieser Mann war es gewohnt, auf seine Mitmenschen herabzusehen. Und Jack hasste ihn mit jeder Sekunde mehr.

Oben angekommen ließ Jack den Gast als Erstes aussteigen und wartete ungeduldig. Julien wandte sich nach links, während Jack schwieg. „Falsche Richtung, du Idiot!“, dachte er hämisch. Er hatte nicht vor, den Kerl über seinen Irrtum aufzuklären, sondern bog in aller Ruhe mit dem Gepäckwagen nach rechts ab.

Julien hatte schon zehn Meter zurückgelegt, als ihm klar wurde, dass etwas nicht stimmte. Er hörte den Gepäckwagen nicht hinter sich! Wo war der Junge?

Er drehte sich um. Der Junge ging in die entgegengesetzte Richtung, hielt vor einer Tür, holte einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und öffnete die Tür, ohne sich um ihn zu scheren.

So eine Frechheit! Julien schäumte vor Wut. Dieses unverschämte Benehmen würde er dem Jungen nicht durchgehen lassen! Wusste der Junge nicht, wer er war?

Wütend stampfte Julien ihm hinterher. Er hatte Mühe, ein ausdruckloses Gesicht zu bewahren. Selbstbeherrschung, ermahnte er sich, er durfte seine Selbstbeherrschung nicht vergessen!

Jack frohlockte innerlich, als er den Gast zur Tür hereinkommen hörte. So als wäre alles in bester Ordnung, lud er einen Koffer nach dem anderen ab und schob den Gepäckwagen wieder Richtung Tür. Doch dort stand Julien und versperrte ihm den Weg. In seinen Augen blitzte die Wut und hätte der Junge nicht so dicht vor ihm gestanden, er hätte es nicht bemerkt.

Jack wartete geduldig. Er würde nicht als Erster etwas sagen, den Triumph würde er ihm nicht gönnen.

Julien wurde bewusst, dass der Junge nicht als Erstes das Wort ergreifen würde. Doch der Junge wusste genau, was los war, auch wenn er ihn mit gespielter Arglosigkeit anschaute, die Brauen leicht fragend gehoben.

„Wie heißt du, Junge?“, fragte er.

Der Junge lächelte ihn an, als wüsste er nicht, dass Julien die Frage nur gestellt hatte, um sich nachher über ihn zu beschweren. „Mein Name ist Jack. Und Ihrer?“, erkundigte er sich.

Julien war angesichts dieser Dreistigkeit erst einmal sprachlos. Er brauchte einige Augenblicke, um sich zu fangen. „Hör mal gut zu, Junge! Wenn du glaubst, ich würde deine Frechheit einfach so dulden, dann irrst du dich!“, stieß er wütend zwischen den Zähnen hervor.

„Was soll an meiner Frage frech gewesen sein?“, fragte der Junge. „Wenn die Frage nach dem Namen frech sein soll, dann bin ich ja nicht der Erste, der eine ungehörige Frage gestellt hat, oder?“

„Junge, du ...“

„Jack“, unterbrach ihn dieser. „Mein Name ist Jack, Sir.“

Jack wusste genau, dass er für sein Verhalten noch büßen würde, aber das war ihm in diesem Moment egal. Er hatte nicht die Absicht, jetzt klein beizugeben.

Julien atmete langsam ein und aus, um seine Wut wieder unter Kontrolle zu bringen. „Also gut, Jack“, Julien betonte den Namen geringschätzig, „ich weiß, dass dir klar ist, dass du grob unhöflich gewesen bist. Aber wenn du willst, werde ich gerne deutlicher. Ich habe die Absicht, mich über dich zu beschweren! Dein Benehmen war unmöglich! Du hast mich absichtlich in die falsche Richtung laufen lassen, doch statt mich über meinen Irrtum aufzuklären, hast du mich schlicht und einfach ignoriert. Und ich schätze es gar nicht, ignoriert zu werden.“

„Ich auch nicht“, erwiderte Jack ungerührt.

„Wie bitte?“

„Ich mag es auch nicht, ignoriert zu werden, als wäre ich ein Möbelstück“, wiederholte Jack geduldig, als wäre Julien schwerhörig oder ein kleines Kind, dem man alles mehrmals erzählen musste.

„Wie bitte? Das ist deine Erklärung für dein unglaubliches Benehmen? Du fühlst dich von mir ignoriert? Was willst du eigentlich? Hätte ich dir gleich an der Tür dein erstes Trinkgeld geben sollen?“ Julien konnte es nicht fassen, dass er sich auf ein Streitgespräch mit dem Jungen einließ.

„Ich will Ihr verdammtes Geld nicht!“, zischte Jack wütend.

Julien starrte ihn skeptisch an. „Du erwartest doch nicht im Ernst, dass ich das glaube! Natürlich willst du Geld, sonst würdest du doch nicht hier arbeiten!“ Er zückte seine Brieftasche und holte ein paar Scheine heraus. „Hier!“

Jack starrte ihn an. Er rührte sich keinen Zentimeter. Ungläubig wanderte sein Blick von Juliens Gesicht zum Geld und wieder zurück. Glaubte der Kerl denn, dass man mit Geld alles regeln konnte?

„Ich. Will. Ihr. Verdammtes. Geld. Nicht“, wiederholte er langsam. „Ist das so schwer zu verstehen? Ja, ich arbeite hier. Ja, ich möchte Geld verdienen, um mir irgendwann ein eigenes Auto kaufen zu können. Aber was ich nicht möchte und nicht akzeptieren werde, ist, dafür wie das letzte Stück Dreck behandelt zu werden, so als müsste ich mich schämen zu arbeiten!“

Er sah Julien an, dass er immer noch nicht begriffen hatte. Unwillig knurrte er. Also gut, dann eben noch mal!

„Wissen Sie eigentlich, wie sich ein normaler Hotelgast verhält? Ich glaube, Sie kommen noch nicht einmal auf die Idee, jemanden zu grüßen, Belanglosigkeiten über das Wetter oder das letzte Footballspiel von sich zu geben, geschweige denn auf die Idee, einen anzuschauen oder danke zu sagen!“

„Wozu?“, fragte Julien verständnislos. Er begriff nicht, worüber sich der Junge so aufregte. Wenn er zu Hause Probleme hatte, dann sollte er diese dort lassen und nicht die Gäste behelligen! Er konnte doch nicht erwarten, dass jeder ihn mit Samthandschuhen anfasste!

Jack starrte ihn fassungslos an. Er hatte das Gefühl, dass er genauso gut Chinesisch hätte sprechen können, das Ergebnis wäre das gleiche gewesen. Wie betäubt schob er den Gepäckwagen an Julien vorbei. Dann schloss er leise die Tür, ohne ihn noch einmal anzuschauen. Langsam ging er zum Fahrstuhl. Dort lehnte er den Kopf gegen die Wand.

Zum ersten Mal dachte er an die Konsequenzen seines Handelns. Der reiche Schnösel würde nicht zögern, sich über ihn zu beschweren! Sein Onkel würde toben! Er würde nie wieder hier arbeiten können! Und seine Mutter wäre sicherlich maßlos von ihm enttäuscht. Traurig schlich er wieder zurück zum Eingang. Julia Carpenter, die ihm zuwinkte, bemerkte er nicht.

Julia schüttelte besorgt den Kopf. „Was ist bloß heute mit Jack los?“, überlegte sie und beschloss, nach Dienstschluss mal in Ruhe mit ihrem Cousin zu reden.

Währenddessen überlegte Julien, was er als Nächstes tun sollte. Sollte er sich beim Hoteldirektor über den Jungen beschweren? Doch dann müsste er dem Direktor erzählen, was vorgefallen war und wie er sich mit einem einfachen Hotelpagen einen Schlagabtausch geliefert hatte. Diese Demütigung! Nein, besser wäre es, den Vorfall zu ignorieren. Daraus konnte ihm kein Vorteil erwachsen.

Oder vielleicht doch? Ihm kam eine glänzende Idee. Und wenn er gegenüber der entzückenden Julia eine besorgte Bemerkung fallen ließe? Sich als mitfühlender und verständnisvoller Gast zeigte, der auf eine Beschwerde verzichtete, zum Wohle des Jungen? Ja, das würde er tun. Der Junge stünde dann in seiner Schuld und Julia wäre ihm so dankbar, dass er sie leicht zum Essen einladen konnte. Ja, das wäre perfekt!

Unterdessen stand Jack in Gedanken versunken vor dem Hoteleingang. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sein Onkel vom Vorfall erfahren würde. Was würde er denken? Wahrscheinlich würde er nicht glauben können, dass Jack einem Gast gegenüber unhöflich gewesen war. Er würde eine Erklärung verlangen, erst vom Gast und dann von Jack.

Ihm graute vor dem Gespräch. Er konnte sich gut vorstellen, wie enttäuscht und wütend sein Onkel sein würde. Er würde keine andere Wahl haben, als Jack fristlos zu kündigen, schließlich konnte er es sich nicht leisten, einen Gast zugunsten seines Neffen vor den Kopf zu stoßen. So etwas spräche sich schnell herum und würde dem Hotel sehr schaden. Sein Onkel würde stattdessen dem Gast eine Entschädigung und eine Entschuldigung anbieten. Wenn er daran dachte, dass er sich in wenigen Minuten bei dem Mistkerl würde entschuldigen müssen! Jack fühlte sich miserabel.

Er war so in Gedanken versunken, dass er die Limousine erst bemerkte, als sie mit quietschenden Reifen vor ihm hielt. Doch bevor er auch nur einen Schritt machen konnte, flogen die Wagentüren auch schon auf und seine Insassen, vier Männer und zwei Frauen in schwarzen Anzügen und mit Sonnenbrille, beeilten sich auszusteigen. Jack war verblüfft. Das waren die ungewöhnlichsten Gäste, denen er je begegnet war!

Der Älteste der vier Männer kam nun direkt auf ihn zu. Jack wusste nicht, wie er sich diesem neuen Gast gegenüber verhalten sollte, also wartete er ab.

Der Mann lächelte ihn freundlich an und nahm seine Sonnenbrille ab. „Hallo, Junge!“, begrüßte er ihn. „Wie heißt du denn?“

„Jack, Sir“, erwiderte er.

„Ich heiße Piers. Freut mich.“

Piers lächelte ihn an und streckte die Hand aus, die Jack ergriff und schüttelte. „Jack“, wiederholte er. „Vielleicht kannst du mir helfen. Wir suchen einen Bekannten, der ebenfalls in der Stadt ist, aber wir wissen nicht, in welchem Hotel. Wir glauben, dass er hier abgestiegen sein könnte. Vielleicht hast du ihn ja gesehen. Es handelt sich um einen jungen Mann von Mitte zwanzig, gut gekleidet und mit selbstsicherem Auftreten. Ist heute zufällig jemand eingetroffen, auf den diese Beschreibung passt?“

Jacks Gesicht verfinsterte sich. Sie suchten den reichen Schnösel! Da war er sich ganz sicher. Was hatten sie bloß mit dem zu tun? Piers machte auf ihn einen normalen, netten Eindruck. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die beiden befreundet waren. Eigentlich konnte er sich nicht vorstellen, dass der arrogante Widerling überhaupt Freunde hatte.

„Du hast jemanden gesehen, auf den meine Beschreibung passt, oder?“, fragte Piers aufgeregt. Als Jack widerwillig nickte, bat er: „Könntest du ihn mir vielleicht beschreiben? Es könnte ja auch sein, dass es sich um jemand anders handelt.“

Jack kam der Aufforderung nach. „Ein Mann ist vor einer Stunde in einer weißen Limousine vorgefahren. Elegant gekleidet. Weißer Anzug. Goldene Uhr. Vielleicht vierundzwanzig oder fünfundzwanzig. Beim Alter bin ich mir nicht sicher, aber auf jeden Fall nicht sehr viel älter als ich. Sehr arrogant. Behandelt einen wie ein Möbelstück oder als wäre man nicht vorhanden. Es sei denn, man ist jung, hübsch und weiblich. Dann wird der Kerl plötzlich arschfreundlich.“ Jacks Stimme verriet seine Wut, aber das kümmerte ihn in diesem Moment nicht.

Die sechs grinsten. Ja, sie waren am richtigen Ort. Angesichts der Beschreibung des Jungen war ein Irrtum so gut wie ausgeschlossen. Piers ließ es zu, dass Walter sich nach vorne drängelte, um zu fragen: „Und wo befindet er sich jetzt?“

Jacks Miene drückte Enttäuschung aus. Sie suchten doch tatsächlich diesen arroganten Schnösel! Na, sollten sie doch! Aber dann fing er an zu überlegen. Sein Onkel schätzte es nicht, wenn man Informationen über die Gäste weitergab. Aber andererseits hatten sie gewusst, dass er sich in diesem Hotel aufhielt. Letzten Endes entschied er sich, die Frage zu beantworten.

„In seiner Suite, denke ich.“

„Kannst du uns sagen, wo die ist?“, erkundigte sich Piers freundlich.

Jack entschied, dass dieser Mann nicht zu den Freunden seines Gastes gehören konnte. Wahrscheinlich war er den sechs irgendwie auf die Füße getreten und nun waren sie hier, um mit ihrem Bekannten ein Hühnchen zu rupfen. Und Jack wäre der Letzte, der Informationen zurückhalten würde, um diesen Kerl zu schützen.

„Präsidentensuite. Die befindet sich im obersten Stockwerk“, erzählte er bereitwillig. „Am besten nehmen Sie den Aufzug, der befindet sich direkt gegenüber dem Eingang. Wenn Sie oben sind, müssen Sie nach rechts. Klopfen Sie an der ersten Tür!“

Piers nickte und machte seinen Untergebenen ein Zeichen. Walter nickte. Die fünf machten sich auf den Weg, während Piers beim Jungen blieb. Ihn interessierte, wie Julien es so schnell geschafft hatte, sich den Jungen zum Feind zu machen.

„Danke, Jack“, sagte er. Seine Stirn legte sich besorgt in Falten. „Ich hoffe, du bekommst keinen Ärger, weil du uns geholfen hast?“

Der Junge verzog verbittert das Gesicht. „Den Ärger habe ich schon. Und zweimal kann mein Onkel mich ja schließlich auch nicht feuern.“

Als er sah, dass sein Gegenüber gespannt auf eine Erklärung wartete, begann er von seinem Zusammentreffen mit Julien zu erzählen. Piers nickte öfters, als käme ihm etwas bekannt vor, unterbrach den Jungen aber nicht in seiner Erzählung.

Genauso hatte er sich das vorgestellt. Er war aber erstaunt, dass der Junge es gewagt hatte, Julien Paroli zu bieten. Das musste das erste Mal gewesen sein, dass jemand sich nicht darum scherte, wer Julien war, und ihm offen seine Meinung sagte. Ob der Junge es überhaupt wusste? Und falls ja, ob es ihn kümmerte? In den Staaten war Julien schließlich kaum bekannt.

Piers kam eine exzellente Idee. Doch ob der Junge mitmachen würde? Er unterbreitete ihm seinen Vorschlag. Ungläubig starrte Jack ihn an und schien im ersten Augenblick rundweg ablehnen zu wollen, doch Piers redete auf ihn ein. Schließlich gab er nach und nickte.

„Aber Sie müssen zuerst mit meinem Onkel reden. Und mit meiner Mutter“, wandte Jack ein. Er war skeptisch. Sicher, er würde auf keinen Fall mehr im Hotel arbeiten können, aber ob sein Onkel dieser Idee zustimmte, war eine ganz andere Sache.

„Gehen wir!“, meinte Piers bloß und lächelte siegesgewiss.

Julien hob überrascht den Kopf, als es an der Zimmertür klopfte. Wer konnte das sein? Er hatte doch gar nichts bestellt? Oder gehörte es zum Hotelservice, zur Begrüßung des Gastes eine Flasche Champagner zu spendieren? Das würde es sein.

„Herein“, sagte er und wartete.

Die Tür öffnete sich einen Spalt und eine Frau in einem schwarzen Anzug betrat das Zimmer. Julien schüttelte verwundert den Kopf. Derjenige, der für die Kleiderordnung hier im Hotel zuständig war, gehörte seiner Meinung nach fristlos entlassen! Die arme Frau sah eher aus wie die Angestellte eines Bestattungsunternehmens als wie eine Hotelangestellte! Der schwarze Anzug verbarg mehr die körperlichen Reize der Frau, als dass er sie betonte. Julien konnte sich nicht vorstellen, dass sie in dieser Aufmachung viel Trinkgeld bekam.

„Stellen Sie es einfach auf den Tisch!“, meinte er und wandte sich wieder der Zeitung zu, in der er in den vergangenen Minuten geblättert hatte.

„Ich bin keine Hotelangestellte“, entgegnete die Frau kühl.

Julien hob angesichts ihres Tonfalls abrupt den Kopf. Wieso war sie wütend? War er denn heute nur von Mimosen umgeben? Er wartete auf eine Erklärung. Und die bekam er auch, nur war es eine andere, als er erwartet hatte.

„Ihr Großvater schickt mich. Er ist gar nicht begeistert, dass Sie sich einfach in die Staaten abgesetzt haben, obwohl Sie zu Hause gebraucht werden. Sie haben schließlich eine Verantwortung gegenüber Ihrer Familie.“

Juliens Gesicht verfinsterte sich. Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte er ihre Vorhaltungen vom Tisch. Doch so schnell wurde er die Frau nicht los. „Wir sind gekommen, um Sie wieder nach Hause zu holen“, fuhr sie fort. Ihre Stimme hatte mittlerweile einen ungnädigen Ton angenommen.

Wir? Erst jetzt bemerkte Julien, dass hinter der Frau noch vier andere Personen unbemerkt ins Zimmer geschlichen waren. Langsam wurde das lästig!

„Danke für Ihre Mühe“, zwang sich Julien zu sagen. „Ich werde die Rezeption anweisen, sich um einen Rückflug zu kümmern.“ Er machte Anstalten, zum Telefon zu gehen. Doch keiner regte sich. Wütend hielt Julien inne. „Danke, Sie können gehen und meinem Großvater sagen, dass ich auf dem Weg bin.“

Nun ergriff Walter das Wort. „Wir rühren uns nicht vom Fleck. Wir lassen uns doch nicht an der Nase herumführen! Wetten, dass Sie sich aus dem Staub machen, sobald wir das Zimmer verlassen haben? Nein, Sie begleiten uns! Wie ich sehe, haben Sie noch nicht ausgepackt. Gut. Gehen wir!“, befahl er.

Julien war empört. Was erlaubte sich dieser Kerl? Wie konnte er ihm so etwas unterstellen und dabei noch nicht einmal mit der Wimper zucken? Dass er genau das vorgehabt hatte, war in diesem Moment vergessen.

„Und wenn ich mich weigere?“, fragte er trotzig. „Sie können mich nicht zwingen mitzukommen!“

Walter grinste freudlos. „Ach ja?“

Metall blitzte auf. Julien schluckte.

Klick.

„Scheiße!“, fluchte er.

3

Etwa zur selben Zeit in einem anderen Hotel.

Peter unterdrückte ein Gähnen. Geschafft! Nach den scheinbar endlosen Verhandlungen der letzten Tage waren nun endlich alle zufrieden und er wurde nicht länger als Schlichter benötigt. Er konnte sich wieder auf die Heimreise machen.

Peter griff zum Telefonhörer. Nachdem er sich um einen Rückflug gekümmert und seine Rückkehr zu Hause angekündigt hatte, konnte er sich zum ersten Mal an diesem Tag etwas entspannen. Für heute war seine Arbeit erledigt und sein Flieger würde erst morgen gehen. Zeit genug also für eine erfrischende Dusche und ein gemütliches Abendessen.

Doch er war kaum wieder aus der Dusche heraus, als er es auch schon an der Tür klopfen hörte. Hätte er nicht die Badezimmertür offen gelassen, er hätte es nicht gehört. Einen flüchtigen Augenblick überlegte er, ob er das Klopfen nicht einfach ignorieren sollte. Doch andererseits, wenn es etwas Wichtiges war? Seufzend trottete er zur Tür.

„Ich komme ja schon!“, rief er und öffnete die Tür einen Spalt weit.

Sam MacBride strahlte ihn an. Wie konnte der Kerl bloß immer so gut gelaunt sein, fragte sich Peter. Sam MacBride war der einzige seiner Verhandlungspartner, der nie seine gute Laune verloren hatte, egal wie lange sich die Verhandlungen an dem Tag schon hingezogen hatten. Er war nachts um eins genauso gut gelaunt wie morgens um neun.

„Peter!“, begrüßte MacBride ihn donnernd. „Wie schön, dass Sie noch nicht abgereist sind! Ich hatte gehofft, Sie hier zu treffen.“

„Sam“, entgegnete Peter überrascht. „Ich hoffe, es sind keine unerwarteten Probleme aufgetreten?“

Sam lachte fröhlich und grinste. „Nein, mein Freund. Es ist alles in bester Ordnung. Ich wollte Ihnen nur etwas zeigen. Kommen Sie näher!“ Er zeigte auf einen kleinen Karton, der neben ihm auf dem Flur stand.

Neugierig trat Peter etwas näher heran und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Was hatte MacBride sich nun ausgedacht? Peter bemerkte, dass der Karton nicht richtig verschlossen war. Erstens war er nicht zugeklebt und zweitens schien der Karton schon etwas älter zu sein, denn er hatte nicht unbeträchtliche Löcher.

MacBride bückte sich und öffnete den Karton von oben. Ein leises Winseln ertönte, als er den kleinen Racker aus seinem Gefängnis befreite.

Ein Welpe! Peter war entzückt. Nur zu bereitwillig nahm er MacBride seine Last ab, als er ihm den Welpen entgegenhielt. Der Welpe leckte an seinem Gesicht und wedelte freudig mit dem Schwanz.

„Ein entzückender Hund, Sam!“, erklärte Peter begeistert.

„Freut mich, dass Sie so denken, Peter“, entgegnete der Amerikaner. „Ich habe bemerkt, wie Sie meinen Hund heute bewundert haben, und da habe ich beschlossen, mich für die gute Zusammenarbeit mit Ihnen zu bedanken und Ihnen einen seiner Welpen zu schenken.“

Peter blickte überrascht auf. „Aber das kann ich unmöglich annehmen!“, protestierte er. „Ich habe schließlich nur meine Arbeit gemacht, dafür müssen Sie sich nicht bedanken! Und schon gar nicht mit einem so wunderbaren Geschenk!“

Sam strahlte. „Möchte ich aber. Sie würden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie den Welpen annähmen.“

Peter konnte schlecht auf seinem Protest beharren, ohne MacBride zu kränken. Und abgesehen davon benutzte der Welpe in diesem Moment seine größte Waffe gegen ihn, seine treuherzigen, warmen Augen. Zwei gegen einen. Peter hatte keine Chance. Bereitwillig gab er nach. „Ich danke Ihnen. Ein schöneres Geschenk hätten Sie mir nicht machen können.“

MacBride nickte zufrieden und warf einen Blick auf die Uhr. „Oh, schon so spät! Es tut mir leid, ich muss mich jetzt leider von Ihnen verabschieden. Meine Frau wartet darauf, dass ich sie zum Essen ausführe.“ Er machte ein paar Schritte in Richtung Fahrstuhl und drehte sich kurz um. „Sie müssen sich noch einen Namen für ihn ausdenken!“, erinnerte er ihn. „Ich wünsche Ihnen einen guten Heimflug!“

MacBride eilte zum Fahrstuhl, drehte sich noch einmal kurz um, um Mann und Hund zuzuwinken, und verschwand in der Kabine, während Peter gedankenverloren seinen Welpen betrachtete.

„Was soll ich jetzt mit dir machen? Hm?“, fragte er ihn. Er hatte zwar die Absicht, den kleinen Racker zu behalten, aber das stellte ihn vor ein paar Probleme, von denen das Finden eines geeigneten Namens noch das Geringste war.

„Wie bekomme ich dich bloß nach Hause? Ich kann dich ja schlecht mit ins Flugzeug nehmen, nicht wahr?“ Doch der Gedanke war verlockend. Er würde sich den ganzen Papierkram und dem armen, kleinen Burschen all die ärztlichen Untersuchungen ersparen.

Peter beschloss, später über dieses Problem nachzudenken. Erst einmal wollte er sich jetzt richtig anziehen, etwas essen und sich um Futter und eine Leine für seinen neuen, kleinen Freund kümmern. Er nahm den Karton und drehte sich um. Weil er keine Hand mehr frei hatte, lehnte er sich mit der Schulter gegen die Tür, um sie zu öffnen.

Die Tür bewegte sich keinen Zentimeter. Statt die Tür hinter sich anzulehnen, hatte er sie ins Schloss gezogen, er musste wohl oder übel doch eine Hand zu Hilfe nehmen. Seufzend stellte er den Karton ab und drehte den Türknauf. Einmal, zweimal. Vergeblich.

„Oh nein!“, stöhnte er. Er hatte sich doch tatsächlich ausgesperrt! Und nun?

Peter dachte an das Bild, das er bieten musste, und betete, dass ihn niemand sah. Ein Mann von Ende zwanzig stand nur mit einem Handtuch bekleidet auf dem Hotelflur, die Haare noch leicht feucht und einen kleinen Hund auf dem Arm. Er hoffte, er sah nicht so verloren aus wie das Hündchen.

Was sollte er jetzt machen? Ohne seine Karte kam er nicht in sein Zimmer und auf dem Flur stehen bleiben konnte er schließlich auch nicht. Blieb ihm nur noch, jemanden vom Personal um Hilfe zu bitten.

Bei dem Gedanken verzog er das Gesicht. Das würde peinlich werden! Er konnte sich schon das wissende Grinsen vorstellen, mit dem der Hotelangestellte ihn betrachten würde. Er wäre zwar nicht der Erste oder der Letzte, der sich aussperrte oder ausgesperrt wurde. Doch sie irrten sich, wenn sie glaubten, dass seine Geliebte ihn nach einem Streit vor die Tür gesetzt hatte. Er hatte nämlich keine.

Seufzend sah er seinen Welpen an. Gerührt stellte er fest, dass der kleine Bursche in seinen Armen eingeschlafen war. Behutsam veränderte er seinen Griff, um ihn nicht aufzuwecken. Dann machte er sich auf die Suche. Wenn er Glück hatte, befand sich ein Hotelangestellter in diesem Moment auf seiner Etage.

Er hatte kein Glück. Kein Mensch weit und breit zu sehen.

„Wenigstens bin ich bisher keinem anderen Hotelgast begegnet!“, dachte er. Doch er wusste genau, dass er das nicht vermeiden konnte. Die einzige Möglichkeit, wieder in sein Zimmer zu kommen, bestand darin, einen Hotelangestellten zu finden, diesem sein Missgeschick zu erklären, um eine neue Karte für sein Zimmer zu bekommen. Doch um einen Hotelangestellten zu finden, musste er runter zur Rezeption und auf dem Weg dorthin niemandem zu begegnen, war unmöglich.

Widerwillig machte er sich auf den Weg zum Fahrstuhl. Je eher er es hinter sich brachte, desto besser. Den Welpen immer noch auf dem Arm, wartete er darauf, dass der Fahrstuhl kam. Er hatte es einfach nicht übers Herz gebracht, den Kleinen wieder in den Karton zu sperren und sich alleine auf den Weg zur Rezeption zu machen.

Ein leises Klingen machte ihn darauf aufmerksam, dass der Fahrstuhl endlich da war. Ungeduldig wartete er darauf, dass die Türen aufglitten. Wenn er Glück hatte, war der Fahrstuhl leer und er musste sich keine dummen Bemerkungen oder gut gemeinte Ratschläge anhören.

Er hatte ausnahmsweise Glück. Erleichtert betrat er den Fahrstuhl und drückte den Knopf fürs Erdgeschoss. Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Peter wartete. Dann hielt der Fahrstuhl. Er blickte auf. Konnte es sein, dass sie schon im Erdgeschoss waren? Dauerte die Fahrt sonst nicht länger?

Sechster Stock. Oh, oh!

Die Türen glitten langsam auf und gaben den Blick auf eine Frau in den Dreißigern frei. Die Frau betrat den Fahrstuhl und musterte Peter neugierig. Ihr Blick glitt vom Kopf bis zu seinen nackten Füßen und verharrte kurz verblüfft auf dem Welpen.

„Aber hallo!“, säuselte sie und lächelte ihn an.

„Hallo“, erwiderte Peter kurzangebunden.

„Sie Ärmster! Ausgesperrt?“ Sie sah ihn wissend an.

Das war eigentlich keine Frage, sondern mehr eine Einladung zu einem Gespräch. Wenn er nicht völlig unhöflich sein wollte, dann musste er antworten. Notgedrungen rang er sich ein „Ja“ ab und hoffte, dass die Frau danach Ruhe geben würde.

Aber sie ließ ihn nicht in Ruhe. Im Gegenteil, sie rückte sogar noch näher an ihn heran, obwohl in der Kabine weiß Gott genug Platz für zehn weitere Personen war. Ohne Scham legte sie ihm eine sorgfältig manikürte Hand auf die Schulter.

„Welche Frau ist denn so herzlos und sperrt zwei so entzückende Wesen aus?“, hauchte sie und rückte noch ein Stückchen näher an ihn heran, während sie ihre Hand von seiner Schulter langsam zu seiner Brust wandern ließ.

Hilfe! Er wurde sexuell belästigt!

Schockiert überlegte er, wie er sie bloß wieder loswerden konnte. Möglichst unauffällig rückte er ein Stückchen von ihr weg, doch so schnell ließ sie ihn nicht entkommen. Sie folgte ihm. Er ging noch einen Schritt zur Seite, sie machte ebenfalls einen Schritt. Er geriet in Gefahr, in die Ecke gedrängt zu werden. Gezwungenermaßen blieb er stehen. Peter betete, dass der Fahrstuhl endlich im Erdgeschoss ankam.

„Sie sollten ihr das nicht einfach so durchgehen lassen, finde ich“, fuhr sie beschwörend fort und ließ ihren rechten Zeigefinger über sein Schlüsselbein gleiten. „Wahrscheinlich wartet sie darauf, dass Sie vor ihrer Tür warten und sie anflehen zu öffnen, nicht? Warum lassen Sie sie nicht ruhig noch etwas länger zappeln? So behandelt man doch nicht einen so stattlichen Mann wie Sie. Ich wüsste, wie man einen Mann verwöhnt.“ Sie schenkte ihm ein verführerisches Lächeln.

Erdgeschoss! Peter verspürte eine immense Erleichterung, als die Türen endlich aufglitten und ihn von seiner Begleiterin befreiten. Widerwillig rückte diese ein Stückchen von ihm ab. Doch aufgegeben hatte sie noch nicht.

„Denken Sie darüber nach!“ Sie schenkte ihm ein letztes verführerisches Lächeln und machte einen Schritt zum Ausgang. „Zimmer 612“, hauchte sie und verließ hüftwackelnd den Fahrstuhl.

Peter hatte nicht die Absicht, auf ihr Angebot einzugehen. Frauen wie sie verursachten ihm Unbehagen, aber das würde er niemals zugeben. Besonders nicht vor seinem jüngeren Bruder. Dieser hätte die Gelegenheit niemals ungenutzt verstreichen lassen.

Erleichtert darüber, dass er sie los war, wartete er einen Augenblick, bevor er den Fahrstuhl verließ. Vorsichtig sah er um die Ecke. Abgesehen von dem jungen Hotelangestellten, der an der Rezeption arbeitete, war niemand zu sehen. Erleichtert huschte er, den Hund in den Armen, zur Rezeption.

Der junge Mann spürte, dass sich jemand näherte, und sah erwartungsvoll auf. Als er Peter sah, fiel ihm vor Überraschung die Kinnlade herunter. Er musterte den Gast von Kopf bis Fuß und schenkte dem Welpen einen zweiten Blick. Es bedurfte sichtlich einiger Anstrengung, bis er sich wieder gefasst hatte.

„Ja, bitte?“, fragte er unsicher und räusperte sich.

„Ist es möglich, dass ich eine zweite Karte für mein Zimmer bekomme?“, erkundigte sich Peter und streichelte dem Welpen kurz über den Kopf, während der andere Mann ihn beobachtete.

„Ihre Freundin hat Sie wohl ausgesperrt?“, fragte der junge Mann mitfühlend.

Peter war genervt, aber er versuchte, sich das nicht ansehen zu lassen. „Ich habe keine Freundin“, erwiderte er. „Ich habe mich selbst ausgesperrt, als ich vor wenigen Minuten von einem Geschäftspartner diesen Welpen geschenkt bekommen habe“, erklärte er bemüht geduldig. „Meine Karte liegt immer noch auf dem Wohnzimmertisch. Also, besteht die Möglichkeit, dass ich eine zweite Karte bekomme oder dass mich jemand wieder hereinlässt?“

Das Telefon klingelte. „Selbstverständlich“, erwiderte sein Gegenüber lächelnd. „Wie ist denn Ihre Zimmernummer?“

„904“, antwortete Peter erleichtert.

Das Telefon klingelte ein zweites Mal. Der junge Mann lächelte entschuldigend und griff zum Hörer. „Gehen Sie schon mal vor!“, forderte er ihn auf. „Ich komme gleich nach, sobald ich dieses Gespräch beendet habe.“

Peter nickte dankbar. Wenigstens musste er nicht hier in der Eingangshalle warten, wo jeden Moment jemand hereinkommen konnte, um ihn anzustarren. Er würde lieber vor seiner Zimmertür warten.

Langsam kehrte er zum Fahrstuhl zurück. Der Fahrstuhl war noch da, doch die Türen schlossen sich in diesem Moment langsam. Er musste sich zwar etwas beeilen, aber er schaffte es ohne große Mühe, den Fahrstuhl noch zu erreichen.

Die Türen hatten sich bereits hinter ihm geschlossen, als er bemerkte, dass er nicht alleine war. Eine ältere Dame, Peter schätze sie auf Ende sechzig, in einem konservativen Kostüm stand auf der anderen Seite der Kabine, in einer Hand eine altmodische Handtasche, in der anderen ein großer Regenschirm mit einer Metallspitze. Sie erinnerte Peter an das typische Großmütterchen aus den Fernsehwerbungen, die ihre Enkel mit traditionellem Kuchen und ihre Töchter beziehungsweise Schwiegertöchter mit Haushaltstipps versorgte.

Peter war erleichtert. Von dieser alten Dame ging keine Gefahr aus. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie auf die Idee kommen könnte, ihn sexuell zu belästigen.

Sie bemerkte ihn zum ersten Mal, als er sich vorbeugte, um auf die Neun zu drücken. Er lächelte sie an. Sie kniff die Augen zusammen, nahm ihre Brille ab, holte ein besticktes Spitzentaschentuch aus ihrer Handtasche und putzte sie. Danach setzte sie ihre Brille wieder auf. Und als sie begriff, dass sie zuvor keine Halluzination gehabt hatte, sondern dass dieser unverschämte Kerl tatsächlich nackt vor ihr stand und sie frech angrinste, verwandelte sich ihre sprachlose Verblüffung in maßlose Empörung.

„Sie ... Sie Unhold!“, schimpfte sie empört. Vor Wut fehlten ihr die Worte und das Atmen fiel schwer vor lauter Aufregung.

Peter war völlig überrumpelt. Wie bitte? Fassungslos stellte er fest, dass sich das harmlose Großmütterchen in eine tobende Furie verwandelt hatte, die ihn entrüstet anstarrte. Er hatte ihr doch gar nichts getan!

Die alte Dame hatte in der Zwischenzeit ihre Sprache wiedergefunden und setzte zu einer wahren Schimpftirade der Empörung an. „Unhold! Sittenstrolch! So etwas wie Sie sollte man einsperren! Schämen Sie sich denn gar nicht, so unzüchtig herumzustolzieren und ehrbare Frauen zu belästigen?“

Peter versuchte, sich von diesem unerwarteten Angriff wieder zu erholen. Wäre das Ganze nicht so absurd gewesen, so irreal, er hätte lachen können, aber so fehlten ihm erst einmal die Worte. Regungslos ließ er die Moralpredigt über sich ergehen.

Als die alte Dame innehalten musste, um erschöpft Luft zu holen, hatte er sich vom ersten Schreck wieder erholt. Er würde versuchen, sie wieder zu beruhigen, er war schließlich kein Exhibitionist, der Spaß daran hatte, nackt über Fußball- oder Polofelder zu laufen! Er hatte sich doch nicht freiwillig in diese unangenehme Lage gebracht und außerdem hatte er doch noch immer ein Handtuch züchtig um die Hüften gewickelt!

Beschwichtigend hob er die Hand und rang sich mühsam ein Lächeln ab. „So hören Sie doch, ich ...“

Entsetzt kreischte sie auf. Er würde sich doch nicht tatsächlich an ihr vergreifen wollen, oder? Zitternd wich sie einen Schritt zurück. Sie war völlig hilflos! Und wenn sie daran dachte, dass sie gestern noch über ihren Sohn gelacht hatte, der ihr ein Pfefferspray gekauft hatte, damit sie sich gegen Diebe wehren konnte, falls sie mal abends in der Stadt war! Hätte sie es doch nur angenommen! Nun hatte sie keine Waffe, um sich gegen diesen Verbrecher zu wehren!

Zitternd packte sie ihre Handtasche und ihren Regenschirm fester. Der Regenschirm! Natürlich! Damit konnte sie sich verteidigen! Erleichtert blieb sie stehen und schwang ihre improvisierte Waffe drohend gegen ihren Angreifer.

„Halten Sie sich fern von mir!“, befahl sie. „Sonst, sonst ...“

Peter fühlte sich zusehends von allen guten Geistern verlassen. War er denn im falschen Film? Erst wurde er sexuell belästigt und dann im Gegenzug für einen abnormen Flitzer gehalten, der Spaß daran hatte, alte Damen einzuschüchtern. Es musste doch eine Möglichkeit geben, die Situation zu entschärfen und das Missverständnis aufzuklären!

„So hören Sie mir doch zu!“, flehte er. „Ich bin kein ...“

„Stopp!“, befahl sie panisch und schwang ihren Regenschirm. Er würde sich davon nicht aufhalten lassen, wurde ihr plötzlich klar. Er war viel stärker als sie! Wenn sie zuließ, dass er sich ihr näherte, dann hatte sie keine Chance gegen ihn! Sie musste sich jetzt wehren! Entschlossen packte sie ihren Schirm fester. Jetzt oder nie! Sie ließ den Schirm mit all ihrer Kraft auf den Fuß ihres Gegners sausen.

„Aaargh!“

Wimmernd vor Schmerzen hüpfte er auf einem Fuß. War sie denn verrückt geworden? Er hatte ihr doch nichts getan!

Als sie ihn vor Schmerzen zusammenzucken sah, durchflutete sie eine Welle des Triumphs. Diesem Kerl würde sie es zeigen! Er würde nicht noch mal hilflose, ältere Frauen belästigen! Sie ergriff ihren Knüppel und schlug wieder zu.

Er krümmte sich vor Schmerzen, als die Hiebe unbarmherzig auf ihn niederprasselten. Sein einziger bewusster Gedanke galt dem Welpen. Er musste seinen Welpen vor dieser Irren beschützen! Schützend hielt er die Arme vor ihn und drehte sich zur Seite, damit sie ihn nicht erreichen konnte.

Der Fahrstuhl kam endlich zum Stehen. Sie versetzte ihm einen letzten Hieb und mit einem geschnauften, aber hörbar zufriedenen „Mistkerl!“ verließ die alte Dame die Kabine. Ihrem Opfer schenkte sie keinen Blick mehr.

Wimmernd vor Schmerzen ließ er sich auf die Knie sinken. Sein Welpe winselte leise. Er war unverletzt. Peter war es gelungen, die Hiebe von dem Kleinen fernzuhalten.

Die Türen glitten zu und der Fahrstuhl setzte sich wieder in Bewegung. Nach einigen Augenblicken hielt er endlich im neunten Stock. Peter sah auf. Mühsam bewegte er sich und unterdrückte einen Schmerzensschrei. Langsam krabbelte er Richtung Ausgang, den Welpen auf dem Arm. Jede Bewegung verursachte ihm Qualen. Meter um Meter kämpfte er sich in Richtung seines Zimmers vor.

„Oh, mein Gott!“

Entsetzt eilte der junge Hotelangestellte herbei, die Ersatzkarte in der Hand. Peter ließ es zu, dass der Mann ihm hilfreich unter die Arme griff und ihn zu einem der Stühle geleitete, die auf dem Flur standen. Wimmernd ließ er sich auf den Stuhl fallen.

„Was ist denn bloß passiert?“, erkundigte sich der junge Mann fassungslos. „Sie sehen aus, als wären Sie einer Schlägerbande in die Hände gefallen.“

Peter lachte auf und bereute es augenblicklich, als die Schmerzen ihm den Atem zu nehmen drohten. Langsam und vorsichtig atmete er ein und aus.

„Wenn es doch nur eine Schlägerbande gewesen wäre!“, seufzte er. „Dann könnte ich zu meiner Ehrenrettung sagen, dass sie in der Überzahl gewesen sind. Wenn ich zu Hause erzähle, dass ich von einer rasenden Irren verprügelt worden bin, die meine Großmutter sein könnte, dann lachen sie mich mit Sicherheit aus.“

„Eine alte Frau?“, fragte der junge Mann verblüfft.

Peter nickte und blickte auf seinen Welpen, der den Blick aus treuherzigen Augen erwiderte. Er lächelte kurz, als der Welpe ihm die Hand leckte und erfreut winselte. „Wenigstens ist ihm nichts passiert!“, stieß er erleichtert hervor.

„Aber warum macht jemand so etwas?“

Peter zuckte hilflos mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich war kaum im Fahrstuhl, da ist sie wie eine Furie auf mich losgegangen und hat mich beschimpft. Einen Unhold hat sie mich genannt und bevor ich ihr erklären konnte, wie ich in diese missliche Lage gekommen bin, hat sie mich auch schon mit ihrem Regenschirm attackiert, als ginge es um Leben und Tod.“

„Sie hat gedacht, Sie wollten sie vergewaltigen?“, erkundigte sich der junge Mann.

„Absurd, nicht?“ Peter lachte verbittert. „Dabei bin ich wahrscheinlich der Letzte in dieser Stadt, vor dem sie Angst haben sollte.“

Der Hotelangestellte nickte mitfühlend und tätschelte ihm vorsichtig den Arm. „Ich werde einen Verbandskasten holen“, bot er an.

Peter lächelte dankbar. Er musste nicht lange warten, bis sein freundlicher Helfer wieder zurückkam. Anscheinend gab es in diesem Hotel in jedem Stockwerk einen Erste-Hilfe-Kasten.