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Nicole Gozdek

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Beschreibung

In Tressina City gelten die goldäugigen Musen als die Elite unter den Völkern. Sie gehen meist ein Bündnis mit einem menschlichen Partner ein, um ihre magischen Kräfte entfalten zu können. Der 22-jährige Jay aus dem menschlichen Getto sieht in den Musen jedoch nur seine Chance, um mithilfe ihrer Magie zum Verbrechergenie zu werden. Kurzerhand entführt er die 18-jährige Muse Niliana, die allerdings keineswegs die Absicht hat, ihm zu helfen. Als die beiden bei einem Streit ungewollt das Musenbündnis und damit Nilianas volle Kräfte aktivieren, kann sie ihre Macht nur noch in Zusammenarbeit mit Jay einsetzen – und möchte ihren ahnungslosen Verlobten so schnell wie möglich wieder loswerden.

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Inhalt

Cover & Impressum

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Epilog

4

Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Für einen Moment starrte sie noch auf die Stelle, wo der Mann verschwunden war. Sie wartete, lauschte, seine Schritte entfernten sich und ihr wurde bewusst, dass sie so flach geatmet hatte, dass ihr schon schwindelig wurde.

Ein, aus, ein, aus.

Sie hatte für diesen Fall trainiert, und während sie die Atemübungen machte, beruhigten sich ihre Gedanken ein wenig. Er war fort, zumindest für den Moment. Das Eingesperrtsein war für sie weniger schlimm als das Gefühl, mit ihm in einem Raum zu sein. Sie musste jetzt einfach die Nerven bewahren.

Ulpirri und Qrok hatten jahrelang mit ihr und ihren Brüdern für diesen Fall geübt.

Verschaffe dir einen Überblick über deine Umgebung!, lautete eine ihrer ersten Lektionen und das tat Niliana nun. Wie ihr erster Eindruck vermuten ließ, befand sich der Kellerraum anscheinend in einem alten Gebäude, denn der Putz war abgeblättert und Oberflächenrisse zierten die Mauern wie die Furchen und Runzeln eines in die Jahre gekommenen Gesichts. Sie klopfte gegen eine der Wände und lauschte. Trotz ihres Alters war das Mauerwerk stabil und dicker als in neueren Häusern. Aber selbst wenn es dünn gewesen wäre, hätte sie erst einmal einen Hammer oder Ähnliches haben müssen, um es einzuschlagen, oder ein anderes Werkzeug, mit dem sie den Mörtel lösen und die Ziegel der Zwischenwand herausbrechen konnte, die vermutlich nachträglich eingezogen worden war, um aus einem Abstellraum zwei zu machen. Durch die Wand war schon mal kein Entkommen.

Sie rüttelte einmal am Türgriff. Nichts bewegte sich. Die massive Tür hatte kein Spiel, saß felsenfest im Rahmen und stand damit zwischen ihr und der Freiheit. Sie bückte sich und spähte in das Schloss. Der Schließmechanismus schien ihr recht simpel zu sein, sie hatte schon viel kompliziertere Schlösser im Unterricht bei Ulpirri geknackt. Mit einem Satz Dietriche war das ein Klacks. Dummerweise hatte sie heute Morgen nicht damit gerechnet, in der Kunstschule in eine Situation zu geraten, in der sie eine Tür aufbrechen musste, und so hatte sie jetzt keine dabei. Und natürlich hatte ihr Entführer auch keine in ihrer Zelle herumliegen lassen, um es ihr einfach zu machen. Sie fluchte.

Warum hatte sie nicht welche von diesen Dingern, die sie letzten Monat in diesem Spionagefilm gesehen hatte? Die Haarstäbe, die die Agentin getragen hatte, waren getarnte Dietriche gewesen. Zu dem Zeitpunkt hatte sie über das ungewöhnliche Einbruchswerkzeug gestaunt und es als unrealistisch empfunden. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte nach dem Kino gegoogelt, ob es so etwas wirklich gab. Hätte, wäre, wenn … am besten nicht darüber nachdenken, was sie nicht hatte. Was stand ihr denn zur Verfügung?

Immerhin, etwas Ausrüstung hatte sie ja. Schließlich trug sie ihre Gürteltasche. Vielleicht konnte sie improvisieren und eine ihrer Haarspangen oder -klammern darin zu einem Dietrich umfunktionieren?

Sie griff sich an den Gürtel und ertastete Leere, bevor ihr Blick ihrer Bewegung folgte und das Ergebnis ihrer vergeblichen Suche bestätigte. Ihre Tasche war weg!

»Das kann doch nicht wahr sein!«

Er musste ihr die Gürteltasche abgenommen haben, nachdem er erkannt hatte, dass sie daraus den Funkenstab hervorgezogen hatte. Darum also hatte er gesagt, sie solle nicht nach ihrer Waffe suchen.

Für einen kurzen Moment wurde ihr schlecht, als ihr ein schrecklicher Gedanke kam. Was hatte er noch alles getan, als sie bewusstlos gewesen war? Hatte er sie etwa abgetastet und betatscht, als sie sich nicht dagegen hatte wehren können? Hatte er sie nur auf weitere potenzielle Waffen untersucht oder auch andere Dinge getan, die sie sich nicht vorstellen wollte? Sie schüttelte sich und versuchte ihre panischen Gedanken zu zügeln wie ein von Furcht erfülltes Pferd, damit es nicht kopflos in die falsche Richtung davonpreschen konnte.

Stattdessen konzentrierte sie sich wieder auf das Wesentliche: ihre Flucht. Sie würde ihm entkommen, auch ohne den Funkenstab und ihre Haarklammern!

Zeit für eine Bestandsaufnahme. Nun gut, das hatte ihre Ausrüstung beträchtlich reduziert. Damit besaß sie nur noch den Gürtel selbst, der sich dank eines versteckten Gummizugs auf der Innenseite möglicherweise auch als Werkzeug eignete, von den Modemachern dazu aber sicher nicht gedacht gewesen war. Dazu kamen noch das Notfallgeld im Versteck in ihren Schuhsohlen, ihr Training und ihre Musenkräfte.

Aber mehr brauchte sie auch nicht. Alles, was sie sonst noch benötigte, befand sich mit ihr in diesem Raum.

Sie betrachtete den kleinen Tisch, auf den ihr Entführer vorausschauend eine gefüllte Wasserflasche aus Plastik gestellt hatte. Theoretisch konnte sie die Flasche als Keule benutzen.

Neben dem Tisch und einem Holzstuhl gab es nur noch das alte, knarzende Bett, auf dem sie gerade gesessen hatte. Ansonsten war der Raum kahl. Keine Nägel in den Wänden, noch nicht einmal Fußbodenleisten konnte sie entdecken. Hatte er die Zelle etwa von möglichen Fluchtwerkzeugen oder Waffen gesäubert? Das zeugte von mehr Voraussicht und Planung, als sie ihm zugetraut hatte.

Doch nicht von Erfahrung, denn dann hätte er gewusst, dass der einzige fluchtsichere Raum der ohne Fenster, Türen oder Ausstattung war. Man konnte aus jeder Zelle ausbrechen!

Und dieser Kellerraum hatte ein gekipptes Holzfenster direkt unterhalb der Decke, durch das Licht von draußen fiel. Frische Luft strömte durch die kleine Öffnung herein, doch ein Fliegengitter verhinderte, dass Insekten, Mäuse oder andere Tiere hinein- oder herausgelangten. Es war zwar nicht groß, aber Niliana war schlank, sie war zuversichtlich, dass sie hindurchpassen würde. Jackpot!

Doch zunächst einmal musste sie es komplett öffnen und das Gitter herausbrechen. Und der Griff befand sich in etwa zehn Fuß Höhe. So lange Arme hatte sie natürlich nicht. Auch nicht wenn sie sich auf das Bett stellte. Oder den Tisch auf dem Bett platzierte, dann darauf stieg und sich auf die Zehenspitzen stellte.

Ihre Glieder zitterten, als sie sich so weit wie möglich ausstreckte und auf das kleine Fenster zur Freiheit starrte, das schon zum Greifen nahe schien und doch unerreichbar war. Wenn sie nur ein Stück größer gewesen wäre, und sei es nur eine Handbreit! Aber immerhin, es fehlten ihr nur noch wenige Zoll bis zum Ziel.

Dummerweise knackte jetzt der Tisch laut und sie bekam einen Riesenschreck, als er plötzlich unter ihr zusammenbrach und sie mit einem Ächzen auf der Matratze voller fieser Sprungfedern aufkam.

Und es lag nicht an ihrem Gewicht!

»Schlechte Qualität!« Sie rappelte sich wieder auf, rieb sich den schmerzenden Po und seufzte. Aber was hatte sie erwartet?

Das stellte sie leider vor ein kleines Problem. Sie glaubte nicht, dass der Stuhl besser zum Daraufsteigen geeignet war, und ihr fehlte die Höhe. Selbst wenn sie auf das Kopfteil des Bettes kletterte und dann sprang, so war der Griff so ungünstig an der Oberseite angebracht, dass sie ihn nicht unbedingt erwischen konnte, um das Fenster zu öffnen.

Seufzend setzte sie sich aufs Bett und dachte nach. Es musste eine Lösung geben!

Es gibt immer einen Fluchtweg und wenn du alle Gegner niederschlägst, die zwischen dir und deiner Freiheit stehen!, hatte Qrok ihr eingebläut. Aber Qrok war ein Troll von acht Fuß Körpergröße und mit gewaltigen Muskeln. Klar, dass diese Methode bei ihm funktionierte. Nur bei ihren knappen fünf Fuß wurde das etwas schwierig.

Langsam bekam sie Durst und so nahm sie einen Schluck aus der Wasserflasche, obwohl das die Schlagkraft ihrer improvisierten Waffe schwächte.

Während sie grübelte, fragte sie sich, wie viel Zeit vergangen war. Das Licht, das von oben in ihre Zelle fiel, nahm immer mehr ab. Es war also nicht mehr Nachmittag, sondern schon Abend.

»Licht!«, murmelte sie und sah sich um. Seltsamerweise gab es im Kellerraum weder einen Lichtschalter noch eine Lampe. Nun fiel ihr zum ersten Mal auf, dass auch Steckdosen fehlten. Dieser Raum mochte früher einmal als Vorrats- oder Lagerraum gedient haben, mehr aber auch nicht.

Bald würde es dunkel sein und für die Flucht brauchte sie Helligkeit! Genervt räumte sie nun endlich die Holztrümmer des Tischs vom Bett und schob sie darunter.

Moment mal! Drunterschieben, aber natürlich!

Das Bett mochte vielleicht zu niedrig sein, aber nur in seiner aktuellen Position!

Es dauerte keine fünf Minuten, bis sie sich ihren Fluchtweg gebaut hatte. Das Bett stand nun auf dem Kopfteil und ragte die gesamte Länge in die Höhe. Die Trümmer des Holztisches hatte sie so verkeilt, dass das Bett einen möglichst stabilen Stand hatte. Dennoch würde ihre Konstruktion nicht lange halten, auch wenn sie nun entschlossen auch noch den Stuhl davorstellte. Vorsichtshalber hatte sie die Matratze vor das Bett geschoben, damit sie nicht ganz so hart fiel und sich alle Knochen brach, sollte es nicht klappen.

Sie atmete einmal tief ein und aus, bevor sie ihren Gürtel löste und den versteckten Gummizug hervorholte. Im Notfall würde der Gummizug sie retten, falls das Bett zu früh unter ihr zusammenbrach und sie sich mit ihm am Fenstergriff festhalten musste. Sie zog kräftig, das Material dehnte sich und die Nähte rissen eine nach der anderen. Rasch hatte sie eine Armlänge befreit und Erleichterung überkam sie, als sie sah, dass ihr Plan funktionierte. Im nächsten Moment knallte es hörbar, etwas peitschte durch die Luft und hinterließ eine brennende Spur des Schmerzes auf ihrem Unterarm und ihrer rechten Hand. Dann flog auch schon der Gürtel aus ihrer Linken und klatschte laut gegen die Wand. Niliana zuckte erschrocken zusammen.

»Das darf doch nicht wahr sein!«

Frustriert ballte sie die Hände zu Fäusten, atmete einmal tief ein und aus, bevor sie zwei Schritte vor ging, um die Überreste ihres Gürtels aufzuheben und zu betrachten. Leider war das Stretchmaterial zwar schick und praktisch, wenn man bei einem Festgelage einmal zu viel gegessen hatte und sich der Bauch unangenehm spannte, aber den Belastungstest hatte es nicht bestanden und sie ärgerte sich, dass sie keinen Ledergürtel getragen hatte. Jener wäre bestimmt stabiler und nützlicher gewesen.

Und jetzt? Sie setzte sich auf die Matratze auf dem Boden, um nachzudenken, und verzog erneut das Gesicht vor Schmerz, als ihr eine Metallspirale in den Hintern pikte.

»Autsch!«

Sie sprang auf und starrte auf die verflixte Unterlage. Das war die Lösung! Erleichtert lachte sie auf und schlug sich im nächsten Augenblick die Hand vor den Mund. Hatte er sie gehört?

Niliana lauschte mehrere Sekunden angestrengt, doch sie konnte weder Stimmen noch Schritte hören. Gut so! Anscheinend befand sich ihr Entführer nicht in der Nähe.

Dann jedoch erlaubte sie sich keine weiteren Zweifel, sondern löste eins der abgebrochenen Tischbeine aus der Unterkonstruktion, stieg dann auf den Stuhl und von dort zog sie sich rasch auf das Fußteil des Bettes, das bedenklich unter ihrem Gewicht knarrte. Sie musste schnell sein, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, daher konzentrierte sie sich auf das Oberlicht, das jetzt in ihrer Reichweite war. Der Griff bewegte sich schwerfällig, das Holzfenster war wohl schon lange nicht mehr geöffnet oder geölt worden. Aber er ließ sich drehen, das Fenster klappte nach unten und so trennte sie nur noch ein dünnes Fliegengitter von der Freiheit.

Aber dafür hatte sie ja das Tischbein. Sie setzte es am Rahmen an, um das Gitter kraftvoll herauszuhebeln.

Zu ihrer größten Überraschung sprang der Rahmen augenblicklich heraus, das Werkzeug glitt durch ihren Schwung aus ihren Händen, rutschte ein kleines Stück zur Seite weg und durchstieß mit Leichtigkeit die Gaze. Vermutlich hätte sie das Tischbein noch nicht einmal gebraucht, um sich aus ihrer Zelle zu befreien. Doch damit war ihre Bewegung noch nicht zu Ende. Durch den Stoß schoss ihr Oberkörper nach vorn, die Unterkante des Fensters presste sich in ihre Brust. Plötzlich war ihr Kopf draußen und sie strampelte unwillkürlich mit den Füßen, während sie sich verzweifelt bemühte, sich am Fensterrahmen festzuhalten.

Das jedoch war ein Fehler. Sie spürte noch, wie ihre Zehen gegen das Bettgestell kamen, es fortstießen und dann brach die Konstruktion unter ihren Füßen zusammen.

»Argh!«

Sie hätte nicht schreien dürfen, das wusste sie, doch falls der Lärm oben zu hören war, dann hätte der Entführer auch das Getöse des umstürzenden Bettes gehört. Eile war angesagt!

Sie zog sich weiter durch das geöffnete Fenster, löste ihren verkrampften Griff vom Rahmen, anschließend schob sie sich mit letzter Kraft mit dem Oberkörper durch die schmale Öffnung, dann war sie draußen und blieb für mehrere keuchende Atemzüge liegen, bevor sie sich aufrappelte. Erleichtert wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und dann die feuchten Hände am Kleid ab.

Das war knapper gewesen, als sie zugeben wollte. Und nun drängte die Zeit. Es würde nicht lange dauern, bis ihr Entführer ihre Flucht bemerkte, wenn er nicht jetzt in diesem Moment schon auf dem Weg zu ihrer Zelle war.

Sie setzte sich ohne weiter zu zaudern in Bewegung. Es musste irgendwann geregnet haben, denn der Gehweg neben dem Haus war immer noch feucht und sie musste aufpassen, dass sie auf den wackligen und gesprungenen Steinen nicht ausglitt oder umknickte. Pfützen hatten sich neben dem Weg gebildet und ihr wurde nach ein paar Sekunden klar, dass sie sich zu sehr auf den Boden zu ihren Füßen konzentrierte.

Sie gönnte sich einen Moment, um sich umzusehen. Sie stand neben einem baufälligen, mehrstöckigen Haus, von dem auch von außen der Putz abbröckelte, mit alten Holzfenstern und einem kleinen Garten, der schon seit Jahren nicht mehr die Hände eines Gärtners gesehen hatte. Irgendwo in der Nähe hörte sie das leise Summen eines Insekts. Die Büsche und Bäume schirmten sie größtenteils vor den Blicken aus den Nachbarhäusern ab, die ebenfalls nach heruntergekommenen Mehrfamilienhäusern aussahen. Einige wirkten unbewohnt. Bei einem Gebäude waren die Fensterscheiben eingeschlagen, ein anderes war nur noch eine verrußte Ruine, als wäre es irgendwann abgebrannt und niemand hatte sich seitdem die Mühe gemacht, es vollständig abzureißen und den Schutt vom Grundstück zu entfernen.

Sie fühlte sich wie in einer anderen Welt. Nichts erinnerte sie an ihr Zuhause und die Hässlichkeit ihrer Umgebung trieb ihr die Tränen in die Augen. Niliana war froh, dass sie keine geschärfte Sehkraft und keinen ausgeprägten Geruchssinn hatte, sondern nur ein verstärktes Gehör. So konnte sie jetzt die Schritte im Keller und das Geräusch eines sich herumdrehenden Schlüssels wahrnehmen, litt aber nicht übermäßig unter dem Gestank und der ästhetischen Verwahrlosung.

Sie musste sich beeilen!

Irgendwo zu ihrer Rechten hörte sie fremde Stimmen, es klang nach einer größeren Gruppe Männer, und instinktiv lief sie in diese Richtung. Der Gehweg führte sie auf einen öffentlichen Fußweg zu, der jedoch von einer rostigen Pforte blockiert war, die sie ein paar wertvolle Sekunden kostete. Vermutlich befand sich ihr Entführer schon auf dem Weg zur Treppe, um sie aufzuhalten.

Niliana rannte los. Sie nahm keine Rücksicht auf die Pfützen, die ihre Schuhe und Kleidung weiter beschmutzten, sondern konzentrierte sich darauf, schnellstmöglich zu den Stimmen zu kommen. Vielleicht konnte sie ihren Verfolger abschütteln, indem sie in der Gruppe untertauchte, oder aber einer der Anwohner würde ihr helfen, wenn sie ihm erklärte, dass sie gekidnappt worden und nun auf der Flucht war. Hinter sich hörte sie bereits, wie die Haustür ihres kurzzeitigen Gefängnisses geöffnet wurde und dann geräuschvoll ins Schloss fiel.

Schneller!

»He! Warte!«, brüllte nun jemand. Ihr Entführer hatte die Verfolgung aufgenommen. Beinahe hätte sie angesichts seiner absurden Forderung gelacht.

Also rannte sie durch die Straßen einer heruntergekommenen Stadt und begann nach ein paar Minuten zu keuchen. Langsam wurde ihr mulmig zumute. Es sah überall nicht besser aus als bei dem Haus, in dem sie gefangen gewesen war. Sie hatte solche Bilder höchstens mal im Fernsehen gesehen, an Kriegsschauplätzen und Anschlagsorten. Ausgebrannte und schrottreife Autos und Fahrräder säumten ihren Weg. Müll lag auf den Straßen und Gehwegen, die voller Schlaglöcher waren. Sie hörte weinende Kinder, sah zerlumpte Gestalten, die auf Treppen herumlungerten und in die Gegend stierten.

Wo war sie hier nur gelandet? Sie hatte gedacht, dass sie nicht lange bewusstlos gewesen war, aber all dies hier erinnerte sie an ein fernes Land oder die Hölle.

»Bitte warte! Lauf nicht dorthin!«, flehte ihr Entführer nun, als sie Anstalten machte, abzubiegen und in eine Querstraße zu rennen.

Ende der Leseprobe