Königsfeuer - Monika Pfundmeier - E-Book
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Königsfeuer E-Book

Monika Pfundmeier

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Beschreibung

Tödliches Gipfelfeuer: Der dritte Fall für die unkonventionelle Ermittlerin Theres Hack Oberammergau, Schauplatz der weltberühmten Passionsspiele: ein Ort, an dem Tradition groß geschrieben wird! Jedes Jahr im August leuchten die umliegenden Gipfel im Gedenken an Ludwig II. Ein spektakuläres Schauspiel – das einer jungen Frau zum Verhängnis wird. In Monika Pfundmeiers drittem Krimi prallen Tradition und Moderne aufeinander. Die umtriebige Metzgerin Theres Hack begegnet allem Althergebrachtem mit einer Portion Misstrauen. Auch die Journalistin Tio kritisiert die König-Ludwigs-Feuer. Schließlich handelt es sich dabei um eine reine Männersache: Nur die Feuermacher dürfen die Holzkreuze entzünden, um dann bis zum Morgengrauen kräftig darauf anzustoßen. Als die Journalistin kurz vor dem flammenden Ereignis halb tot aufgefunden wird, beschließt Theres, der Sache auf den Grund zu gehen. - Band 3 der erfolgreichen Krimi-Serie rund um Hobby-Ermittlerin Theres Hack - Moderner Regionalkrimi mit Bezug zur Geschichte Oberammergaus - Tradition vs. Moderne: Wie viel Brauchtum ist heute noch zeitgemäß? - Sarkastisch, düster und eigenwillig: dieser Alpenkrimi ist die perfekte Urlaubslektüre! Schauplatz Oberammergau: Verbrecherjagd vor idyllischer Kulisse Als Jägerin und Metzgerin ist der Tod praktisch die Spezialität von Theres Hack. Mit Wort und Grant mischt die taffe Frau das Leben in der kleinen bayrischen Gemeinde gehörig auf. Doch auf Befindlichkeiten kann Theres Hack keine Rücksicht nehmen. Was ist dem Opfer widerfahren? Ist sie gestürzt oder wurde sie gestoßen? Haben die Feuermacher sich an ihr gerächt? Oder hat am Ende jemand ganz anderes etwas damit zu tun – jemand, den Theres eigentlich seit Ewigkeiten gut zu kennen glaubt? »Königsfeuer« ist ein Lesevergnügen für alle Krimi-Fans, die keine Scheu haben, in die Abgründe hinter der perfekten Fassade einzutauchen!

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Seitenzahl: 300

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Monika Pfundmeier

KÖNIGSFEUER

Ein Oberammergau-Krimi

Die Autorin dankt dem Bayerischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst für die Gewährung eines Stipendiums zur Förderung der Arbeit an diesem Roman.

Diese Geschichte ist frei erfunden. Tatsächlich existierende Personen und Firmen wurden verändert und/oder von der Autorin ausgedacht, Geschehnisse anderen und/oder fiktiven Personen zugeordnet. Verbleibende Übereinstimmungen mit etwaigen realen Personen wären somit rein zufällig und sind nicht gewollt.

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger

Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.

Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage 2022

Copyright © 2022 by Monika Pfundmeier

Copyright Deutsche Erstausgabe © 2022 Servus Verlag bei

Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der

Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Palatino, Courier, Bauer Bodoni Black

Lektorat: Nina Hübner

Umschlaggestaltung: www.b3k-design.de, Andrea Schneider, diceindustries

Umschlagmotive: © ADragan/shutterstock.com; © Al.geba/shutterstock.com; © United Archives/Carl Simon/Bridgeman Images; @ akg-images; © akg-images/picturedesk.com

Karte Innenklappe: © Nina Andritzky

Autorenillustration: © Claudia Meitert/carolineseidler.com

ISBN: 978-3-7104-0241-8

eISBN: 978-3-7104-5053-2

Inhalt

Personenverzeichnis

Taten

1. UmSchläge

2. Theres – Tun und Lassen

3. Paul – verbunden

4. Tio – Zunder

5. Theres – Rückkehrer

6. Tio – DenkMal

7. Anton – Fahrspuren

8. Tio – Stürze & Alte Wunden

Worte

9. Theres – Dämmerung

10. Theres – Ein Bett aus Stein und Dornen

11. Paul – Waldsterben

12. Babba – Herzschlacht

13. Anton – Absperrband

14. Tio – Blitze

15. Theres – Knochen & Fragen

16. Babba – Pflaster

17. Toni – Listen & Steingemeißeltes

18. Königsfeuer

19. Paul – Granit & Gefühle

20. Toni – Kühle Überraschungen

21. Tio – versunken

22. Theres – Schatten

23. Toni – (R)ausgerutscht

24. Anton – Vernehmung

25. Babba – zusammen & allein

26. Tio – Märchentod

27. Theres – Bauklötzchentürme

28. Anton – Geschichten

29. Babba – Blumen

30. Theres – Vorwände & Verbündete

31. Paul – Ansichten

32. Toni – Kümmernis

33. Paul – Tod ist (k)ein Freund

34. Theres – Familiensachen

35. Tio – Krallen, Federn, Nacht

36. Theres – Schweigen

37. Paul – morgen ist morgen

38. Anton – Kaffee & Automaten

39. Tio – Brüche

Feuer

40. Paul – Über den Berg

41. Tio – In die Nacht

42. Theres – (K)ein Leben …

43. Theres – Herzen & Heilen

Epilog – Theres – Feuer in der Nacht

Nachwort

Weitere Infos zum Thema

Danke

Glossar

Personenverzeichnis

Theresa »Theres« Hack (41), geschieden, Ex-Eventmanagerin, Metzgerin und Jägerin mit Schweinefleischallergie. Nach der Rettung und Umstrukturierung der väterlichen Traditionsmetzgerei zwingt die verfehlte Abschussquote des Vorjahres Theres weit öfter als zuvor auf die Jagd – manch eine davon ganz anders als erwartet.

Wolfin, Irische Wolfshündin, graufelligste und treueste aller Gefährtinnen, die Theres durch alle Lebenslagen stupst.

Josef Hack (67), Theres’ Vater, dessen Ruhestand seine Tochter seit ihrer Rückkehr aus Wien zu seinem anfänglichen Missfallen in ein bewegtes (unruhiges) Gegenteil verkehrt.

Anton Sollinger (42), Hauptkommissar, Leiter der Polizeistation Oberammergau mit glänzender Verbrechensstatistik – selbst trotz Theres’ Rückkehr nach Oberammergau. Nach den letzten unruhigen Jahren – privat und beruflich – hofft er endlich, einen ruhigeren Sommer zu erleben.

Toni Baurieder (44), Kommissar, Ex-Münchner, seit ca. vier Jahren in Oberammergau, mit der außerordentlichen Begabung, seinen Vorgesetzten Anton Sollinger gelegentlich zur Verzweiflung zu treiben. Theres und ihre Anziehungskraft in Sachen Todesfälle haben zusätzlich seinen Ehrgeiz geweckt, sich beruflich zu beweisen.

Elif Aygün (35), Kommissarin bei der Kriminalpolizei Weilheim. Im Vorjahr unterstützte sie für kurze Zeit die Polizeistation Oberammergau, nutzte dann ihre Chance, ihre Karriere nach vorne zu bringen.

Paul Langer (41), Dorfpfarrer und Theres’ bester Freund seit dem Kindergarten. Was immer ihn in Gottes Arme getrieben hat, ist Theres ein Rätsel. Seine und Theres’ Vergangenheit sowie seine Aufgaben gegenüber der Gemeinde stehen zwischen ihm und einem unbeschwerten Umgang mit Theres. Die alten Missverständnisse würde er ein für alle Mal ausräumen – wenn endlich Zeit für ein ausführliches Gespräch wäre und nicht schon wieder der nächste Todesfall in Theres’ Umfeld.

Viktoria »Tio« Linh Sophia Nghun (29), freie Journalistin, ursprünglich aus Oberammergau. Nimmt sich am liebsten Traditionen und aktuelle Themen für ihre Artikel vor.

Patricia »Pat« Khanh Amalia Nghun (25), pädagogische Fachkraft, Tios Schwester.

Manuel »Manu« Demmler (29), Feuermacher und ehemaliger Mitschüler von Tio.

Felix Brunner (27), Feuermacher und Sohn der Hotelfamilie Brunner. Nach schwierigen Zeiten für das Familienhotel gleicht er durch die Mitarbeit im Lieferservice von Theres’ »Hack-Flitzern« die finanziellen Verluste für sich etwas aus und entlastet die Metzgerin bei der Planung.

Andreas »Andi« Neulinger (39), seit Jahren engagiert als Feuermacher, mittlerweile für seine eigene Gruppe zuständig.

Kofel, der Haus- und Wächterberg Oberammergaus.

Boandlkramer, Theres’ besonderer »Kumpel«, der Tod, der Senser.

Taten

1. UmSchläge

Ende Juni, München, Agnesstraße Ecke Hiltenspergerstraße

Die Wohnung lag im dritten Stock mit Balkon zum Hinterhof und war nicht einsehbar. Eigentlich. Auf der anderen Seite der Wohnung war München – das Draußen mit all den Geräuschen; die Stadt, das Viertel, die Menschen. Und es war hell, Mittag. Tio lenkte ihren Blick zurück auf den Bildschirm.

Hier drin ist nichts, dachte sie. Niemand. Hier bin ich sicher.

Sie starrte auf den Laptop. Ihr Atem, ihr Herzschlag setzten für einen Moment aus. Ihre Welt klaffte auseinander, das WG-Zimmer, der Rest zerbröckelte, bis nichts blieb, abgesehen von dem, das vor ihren Augen stand. Die Grafik füllte das gesamte Sichtfeld, nahm alles ein. Eine Todesanzeige. Ihre Todesanzeige.

»Ich hab deine Sachen auf den Küchentisch gelegt, Viktoria!«, rief Hannes aus dem Flur.

Sie fuhr zusammen und blinzelte. »Tio.« Von selbst schoss die Erwiderung aus ihrem Mund, korrigierte ihren Mitbewohner wieder einmal, sie ballte die Hand. »Wie oft denn noch?«, murmelte sie leiser. Der Schreibtisch, der Stuhl, das Bett, die Wände kehrten zurück. Durch den Dunst aus Angst und Entsetzen in ihrem Kopf drängte sich die Stimme ihres Mitbewohners und jagte ihr eine andere Art von Gänsehaut über den Körper.

»Sehen wir uns nachher in der Redaktionsrunde?«, rief er hinterher.

Sie machte einen Screenshot, sicherte die Dateien und versuchte, ruhig zu atmen. »Ja, genau, aber nur über Videocall«, rief sie, bemüht um einen unbeschwerten Ton. »Heute und morgen arbeite ich für die Magazine.«

»Stimmt«, holperte Hannes’ Stimme aus dem Gang zurück, dann folgte ein dumpfer Schlag, als ob ein Schuh zu Boden plumpste. »Hatte ich verdrängt. Immer diese freien Schreiber und ihre tausend Optionen.« Ein Lachen stolperte hinterher und stoppte. »Irgendwann mach ich es wie du.«

Tio schob das Gestell ihrer Brille ein Stück nach oben und spähte durch den Türspalt in den Flur. Sie zögerte, setzte dann aber der Aussage doch etwas entgegen. »Ein Büro und sicheres Gehalt gegen ein Zimmer zum Arbeiten und Leben in einer WG tauschen?«

Hannes schubste die Zimmertür auf, Tio mühte sich, weder zusammenzufahren noch zu seufzen. In seinem zerknautschten Oversize-Blazer lehnte er am Türstock und zerrte den zweiten Sneaker über den Fuß, schüttelte den Kopf. »Zu schreiben, was mich wirklich bewegt, wofür ich wirklich brenne«, ächzte er. »So wie du! Das könnten wir auch zusammen machen und gemeinsam reisen, zum Beispiel.«

Tio wandte sich ab und starrte auf ihren Laptop, dann drehte sie sich kurz noch mal zurück zu ihm und schob ein Lächeln hinterher, ein unverbindliches, hoffte sie. Nicht zu freundlich, nicht zu abweisend. »Ja, mal sehen«, murmelte sie.

Seine Schritte tappten über das Holzparkett ihres Zimmers, dann war eine Hand an Tios Schulter. Kurz zuckte sie, versuchte, sich zu beruhigen, zu erinnern, wer er war. Ihr Mitbewohner, ihr Kollege, der Hauptmieter der Wohnung mit einem bezahlbaren Zimmer, das er ihr als Untermieterin überließ. Bezahlbar in München. Bezahlbar heißt Kompromisse. Ihr Hirn wiederholte die Worte.

»Hey!« Er beugte sich an ihrem Ohr vorbei, seine etwas zu langen Haare kitzelten ihre Wange, sie schluckte, als sie sein Parfum roch, unterdrückte ein Schaudern, so gut es ging. »Krass«, sagte er.

Tio schob seine Hand von ihrer Schulter und sich auf dem Bürostuhl weg von ihm. Sie nickte.

»Wenn du willst, sehen wir uns das zusammen an heut Abend. Ich bring Wein mit, dann spülen wir das weg«, schlug er vor. Wieder rutschte er ein Stück näher und berührte ihren Oberarm. »Du weißt, ich bin gern für dich da. Vielleicht Pizza dazu? Yasemina ist heute Abend leider nicht da, soweit ich weiß, aber ich lenke dich gerne ab. Ich denke, das tut dir gut. Immerhin ist es diesmal nur virtuell. Und nun waren ohnehin schon lange keine Briefchen oder Vorfälle mehr, oder? Vielleicht würde sich das mit dem Stalker auch erledigen, wenn er bemerkt, du hättest einen Freund.« Der Druck seiner Hand an ihrem Arm verstärkte sich, er beugte sich ein wenig vor und suchte ihren Blick.

Bilde ich mir das nur ein? Durch Tios Kopf fleuchten tausend Gedanken, keinen bekam sie für eine gute Ausrede zu fassen. »Virtuelle Anfeindungen treffen auch im echten Leben. Das schockt sehr real.« Sie versuchte Zeit zu gewinnen und starrte zurück auf den Bildschirm. »Passt schon«, nuschelte sie, ohne zu blinzeln. Schnell schob sie noch ein Danke hinterher. Dann drehte sie sich wieder ein wenig zu ihm, schulterzuckend. »Ich glaub, bei mir ist heut Abend noch ein Termin drin von einem der Magazine.«

»Oh. Echt schade.« Er klang enttäuscht. »Na ja, dann ein andermal. Du weißt, ich bin gern für dich da. Und vergiss nicht: Haters gonna hate – lass die Hasser hassen. Das geht vorbei. Es gibt so viele andere, die mögen, was du schreibst.«

»Danke«, wiederholte sie und räusperte sich. »Bist du noch ausreichend gut in der Zeit für die Redaktionsbesprechung?«

»Ich kann auch hierbleiben, wenn du willst, und mich online einloggen, dann machen wir den Call gemeinsam«, schlug er vor.

Tio zurrte das Lächeln fest in ihren Mundwinkeln, bemüht, freundlich zu klingen. Auf der von Hannes abgewandten Seite presste sie die Faust gegen ihren Oberschenkel, um ruhig zu bleiben. »Ich bin nur zeitweise dabei, anschließend in einer anderen Besprechung. Ich fürchte, keiner von uns kann gut arbeiten, wenn wir beide hier in unterschiedlichen Konferenzen quatschen. Aber gleich sehen wir uns ja.« Sie deutete ein Winken an. Über sein Gesicht zuckte Enttäuschung und …

Ist er sauer?

»Okay, klar.« Hannes fuhr herum, schnaubte, dann war er zur Tür hinaus. Sie hörte ihn am Schrank im Flur mit den Jacken. »War sonst was in der Post für mich?«, rief sie ihm hinterher.

»Werbung, was von der Versicherung. Einer war … Schau es dir einfach an. Und melde dich, wenn was ist, okay?«

Einen Moment blieb es still. Tio hörte ein Räuspern aus dem Flur, ein Murmeln, das ein Fluch sein könnte. Sie schluckte.

Noch einmal steckte Hannes den Kopf zur Tür herein. »Hier bist du sicher, Tio. Und wie gesagt, melde dich, wenn was ist. Bis nachher!« Dann krachte die Tür ins Schloss.

Tio atmete aus und riss das Fenster auf, als könnte sie erst jetzt wieder atmen. Ihr Blick wanderte über die Bilder am Schreibtisch – die Küchenparty letztes Jahr, die schlimmsten Postkarten, die an Urlaubsorten zu finden waren, Fotos aus ihren Kinderzeiten: Tio mit Schultüte und Zahnlücke, und Eltern und Oma voller Stolz daneben, die Haare hochgesteckt mit den geschnitzten Haarnadeln ihrer vietnamesischen Familie. Dann sah sie wieder zur Fake-Todesanzeige auf dem Bildschirm mitsamt ihrem falsch geschriebenen Namen.

»Sicher.« Das Wort quoll aus ihrem Mund, im Moment schmeckte es falsch. Einmal mehr kaute sie in Gedanken darauf. Dann zog Tio die Vorhänge in der Küche und im Wohnzimmer zu. Um die Rollos zu schließen, war es noch zu früh. Im Halbdunkel lehnte sie sich neben dem Fenster an die Wand. Schluckte und schloss die Augen.

Unten krachte eine Tür. Stapfende Schritte dröhnten über die Stiegen, näherten sich. Tio hetzte durch den Flur, rutschte auf den Fliesen weiter, krachte beinahe in die Wand und stoppte im letzten Moment an der Wohnungstür. Sie drückte dagegen. Zu. Drehte den Schlüssel herum und noch mal und schob den Panzerriegel vor. Der zweite klemmte. Ihr Puls raste, sie presste den Oberkörper gegen die untere Türhälfte und versuchte erneut, den widerspenstigen Riegel zu schließen, schließlich rastete er ein. Das Rauschen in ihrem Kopf wurde leiser. Sie lauschte.

Nichts. Warum ist es so still? Wo ist er hin?

Tio legte das Ohr ans Türblatt. Ist das mein Atem oder kommt der von draußen? Da waren sie wieder: Schritte. Entfernten sich.

Das Holz der Wohnungstür drückte gegen ihren Arm, ihr Ohr. Ihr Gesicht schmerzte. Ihr Atem wurde lauter und wieder leiser, in ihrer Brust beruhigte sich der Trommelschlag. Ein Pling knallte durch den Raum, eine Nachricht auf ihrem Smartphone und noch eine weitere. Das Geräusch quetschte sie klein, um im nächsten Moment ihren Herzschlag zu sprengen.

Irgendwo im Treppenhaus hallte das Geräusch von Metall, das über Metall kratzte, Schlüssel auf Schloss, eine Wohnungstür ging auf. Dann Stille, nur noch ein Stechen in ihrem Kopf, ihrer Brust.

Irgendwann löste sie sich von der Tür. Sie ging zurück in ihr Zimmer und nahm ihr Handy mit in die Küche.

Man kann nie vorsichtig genug sein.

Sie wiederholte den Gedanken in ihrem Kopf, um nicht an das zu denken, was sie fürchtete. Heute war einer dieser Tage, an denen sie in der Küche nach den frischen Plastikhandschuhen griff.

Man kann nie vorsichtig genug sein.

Der Umschlag auf dem Tisch war rot, ihre Adresse aufgeklebt, schwarz, gedruckt. Das Kuvert eher quadratisch. Es lag ganz oben, darunter die weißen, länglichen, in deren Fenstern sich üblicherweise maschinengeschriebene Buchstaben zu einer Adresse fügten.

Fuck.

Tio stoppte. Angst, ihre alte Bekannte, trat aus den Schatten. Eisenklauen schnappten nach ihr.

Augenblick um Augenblick verrann. Von draußen drang ein Martinshorn durchs Fenster, heulte das bekannte Lied. Zu spät, zu spät.

Tio blinzelte. Sie fuhr herum, lief zurück in ihr Zimmer, krachte auf das Bett.

Hört das nie auf?

Irgendwann fasste Tio sich an die Stirn und rückte ihre Brille zurecht. Der Gedankenstrudel endete dadurch nicht. Ihre Arme zitterten, ihre Finger. Auf dem Weg zurück in die Küche klopfte sie an Yaseminas Zimmertür, obwohl sie wusste, sie war nicht da. Auch nach ein paar Minuten hörte sie nichts als Stille und ihren eigenen Atem.

Wieder stand Tio vor dem Küchentisch, konzentrierte sich darauf, die Hände flach gegen die Oberschenkel zu pressen, atmete bis in den Bauch. Noch einmal sah sie sich um, lauschte, ob nicht doch ein Geräusch in der Wohnung zu hören war. Alles blieb still.

Warum ist genau jetzt niemand da?

Wieder begann sie zu zittern, aber sie streckte ihre Hand aus. Sie hielt inne, als die Plastikhandschuhe gegen das Rot stießen. Schließlich schob sie ihren Finger in den Spalt des Umschlags und öffnete das Kuvert und zog das Papier heraus und faltete es auf. Das Schriftstück bebte. Der schwarze Trauerrand zog ihren Blick an. Wieder ihr Name.

Victoria Linh Sophia Nghun

Ihr Name war etwas oberhalb der Mitte in fetten Buchstaben gesetzt und auch diesmal falsch geschrieben. Ihr Geburtsdatum, Tag und Monat standen darunter, weiterhin:

Gutmensch

Schmierenfink

anmaßendes Stück Lügenpresse

Aus dem gefalteten Papier glitt eine Notiz auf den Tisch. Kraftlos öffneten sich ihre Finger, und auch das Schriftstück segelte zu dem Zettel. Tio schloss die Augen, aber die Worte hatten sich längst in ihre Netzhaut gebrannt. Mit der einen Hand tastete sie nach dem Notizzettel, nach dem Küchenstuhl mit der anderen. Erst nach einigen Minuten gelang ihr, die Augen wieder zu öffnen. Sie las.

Ein Gespräch. Ich bringe alle Fakten mit, und du wirst sehen und erkennen, wie falsch du liegst. Ort deiner Wahl.

Darunter klebte ein abgerissener Streifen mit einer gedruckten Handynummer. Tio schüttelte den Kopf.

So vieles beachtet, alles gedruckt, und dann doch eine Telefonnummer? Seine? Oder ist das ein Scherz, nur einer dieser Abrisszettel von Wohnungsgesuchen, die an Laternen hängen?

Sie fluchte, zerknüllte alles und holte aus, zog dann aber den Arm zurück. Sie entfaltete das Papier vorsichtig wieder, raffte die Todesanzeige, den roten Umschlag, die Notiz zusammen. Zurück in ihrem Zimmer zerrte sie den Rollkoffer vom Schrank, ordnete Shirts, Jeans, eine leichte Jacke so platzsparend wie möglich ein, Unterwäsche und Socken in die Lücken, Schuhe in die Seitentaschen, ebenso die Kabel für Laptop und die anderen Geräte. Über die App buchte sie auf dem Weg zur U-Bahn das Ticket für die Öffis und das für den Zug, versuchte erst Yasemina zu erreichen, dann zögerte sie, schickte Hannes schließlich eine Nachricht, dass sie für einige Zeit zu ihrer Familie fahren würde.

Auf der Polizeistation zeigte sie wie vereinbart auch diese neuesten Anfeindungen ihres anonymen Stalkers an und verfasste kurz darauf im Zug E-Mails zu ihrer aktuellen Situation an ihre Redakteurinnen bei der Zeitung und bei den Magazinen. Zwischen den Seiten ihres Notizbuchs zog sie das aktuelle Polizeiprotokoll hervor, überflog nochmals die Angaben zum Vorfall. Sie ging die Liste der übergebenen Unterlagen und Dateien durch, die so weit vorhandenen Daten der Gewaltschutzanordnung, dann die älteren Formulare, das letzte gerade mal zwei Monate alt.

Was noch fehlt, wird die Polizei finden, dachte sie. Die Spur auswerten. Schnell, hoffentlich. Wie lang wird es diesmal dauern, bis der Antrag in Kraft tritt? Wie lang wird es dauern, bis ich keinen derartigen Antrag mehr brauche?

Am oberen Rand des geschlossenen Fensters verfing sich ihr Blick, sie wischte sich über die Stirn. Kein Fahrtwind milderte die Hitze des Junitages. Sie starrte hinaus auf die letzten Gebäude und Münchens Stadtrand, die sattgrünen Felder, die sich irgendwann anschlossen. Rote Mohntupfen verwischten zwischen den Ähren von Weizen und Gerste, zwischen Gruppen von Bäumen.

Ein paar Stationen weiter murmelte Tio ins Smartphone, berichtete der Redakteurin ihres größten Auftraggebers, was geschehen war, was sie persönlich plante und was das für ihre Artikel bedeutete. Sie erinnerte sich an das letzte Mal und die Hinweise der Polizei.

Die Stimme ihrer Chefin klang fest, ruhig. »Ich weiß, davon zu erzählen ist schwer genug«, hörte sie. »Prävention beginnt mit Kommunikation«, hörte sie. Dann Fragen. Tio richtete sich auf, rang nach Atem. Sie wich aus. Sie schluckte, dann hörte sie ihren Namen. »Du willst keine Auszeit? Auch nicht für ein paar Tage?«

Anstelle einer Antwort skizzierte Tio eine Idee, notierte die Anmerkungen der Redakteurin in ihr Notizbuch, auch deren Okay notierte sie, Tag, Uhrzeit, den ungefähren Wortlaut.

Protokolle helfen immer. An dem Gedanken in ihrem Kopf klebte noch die Stimme des Kommissars von der Polizeiwache eben. Sie haben das Richtige getan, hatte er gesagt. Von ihrer Chefin gute Wünsche zum Abschied. Sie legte auf.

Der Zug bremste, ein krakeliger Strich kreuzte über das Papier, der Zug fuhr an, ein Fahrer auf dem Blatt in anderer Richtung. Vor dem Fenster bauschten sich die Felder zu Wäldern, die Wälder zu Hügeln, die Hügel ballten sich aneinander, stiegen zu Gesteinswänden an. Das grüne Band der Bäume an den Bergen zu sehen, beruhigte Tios Gedanken.

Dann lag das Handy wieder in ihrer Hand. Sie tippte die Nummer und wählte, sie schluckte, zwang ihre Mundwinkel hoch und etwas wie Unbeschwertheit in ihre Gedanken und ihre Tonlage. Zweimal klingelte es, dreimal. Ihre Mutter ging ran, im Hintergrund die Stimme ihrer Schwester.

Vertrautheit und Wärme füllten selbst die Lücken im Handynetz. Wenig später stand all das vor ihr. Ihre Mutter wartete mit struppelkurzem, blondiertem Haar am Gleis von Oberammergau.

»Zu viel Grau.« Die Mutter deutete auf die neue Frisur, zuckte mit den Schultern. »Die Friseurin hat sich erst gewundert, dann geflucht, bis das Schwarz wirklich raus war, aber ich mag’s.«

»Papa wollte lieber Blau«, warf ihre Schwester ein und umarmte Tio. Erst nach einer Weile löste Pat sich und griff den Koffer, ächzte kurz. »Hast du Ziegelsteine eingepackt oder deinen ganzen Hausstand? Bisschen viel für ein paar Tage.«

Tio zuckte mit den Schultern. Arm in Arm schlenderten sie zum alten Familienbus auf dem Parkplatz. Die Vorsprünge, die Kanten, die Gipfel der Oberammergauer Berge rahmten sie ein, das buschige Grün der Wälder. Der Kofel stemmte seinen riesigen Zacken gegen die Nachmittagshitze, wachte unverändert, unbeeindruckt als Höchster über dem Ort.

Die Trommel in Tios Brust beruhigte sich. »Kannst du mich kurz zur Polizei fahren und dann bei der Metzgerin absetzen, Mama?«, fragte sie vom Beifahrersitz.

»Was? Ist was passiert?«

»Was ist los?« Von der Rücksitzbank beugte Pat sich nach vorn.

Tio schüttelte den Kopf. »Nix, alles gut! Nur eine Verlustanzeige, ich will das schnell erledigen. Und mit der Metzgerin muss ich sprechen wegen einer Artikelreihe.«

Die Mutter nahm ihre Hand und drückte sie. »Ist wirklich alles gut, oder hast du dich wieder mit deinen Mitbewohnern gestritten oder verkracht, oder wie sagt man das heutzutage?«

»Ich weiß schon, was du meinst, Mama!« Tio setzte ein Lächeln auf und konzentrierte sich intensiv auf die Insektenüberreste auf der Frontscheibe, statt auf ihre Mutter und Schwester. »Alles gut«, wiederholte sie. »Wirklich, Mama, du musst dir keine Sorgen machen. Ich hab meinen Redaktionen ein Projekt vorgeschlagen, das ich von hier aus umsetzen kann – in Oberammergau, um Oberammergau, über Oberammergau und rundum. Ich denke, ich werde hier in nächster Zeit einiges zu tun haben.«

Von hinten legte ihre Schwester die Hand auf Tios Schulter. »Heißt: Du bleibst länger?«

»Ein paar Wochen vermutlich. Es ist einiges an Recherche.« Sie schluckte den wahren Grund, der sie aus München vertrieben hatte, herunter. »Ich bleibe eine Zeit lang. Zu pendeln wäre Zeit- und Geldverschwendung.«

Pats Griff löste sich. Im Rückspiegel sah Tio, wie ihre Schwester zurücksank, den Blick in die Ferne.

»Die erfolgreiche Journalistin aus der Großstadt erweist also dem Ort ihrer Kindheit und Jugend die Ehre und lässt das Licht ihres außergewöhnlichen Lebens für ein paar Momente wieder auf uns scheinen. Wie schön.« Pat überkreuzte die Arme. Sie seufzte, zuckte dann mit den Schultern und begegnete Tios Blick im Spiegel. »Jedenfalls: Stell dich gleich darauf ein, im Kindergarten einen Vortrag zu halten. Meine Chefin liegt mir damit schon lange genug in den Ohren, dass meine studierte Schwester den Kindern und Eltern von ihrem aufregenden Alltag erzählt. Jemand, der es in die große, weite Welt geschafft hat.«

Tio starrte weiter in den Spiegel, runzelte die Stirn. »Willst du mich nicht hier?«

»Quatsch, nur Spaß, alles gut!« Ein Lachen stolperte von der Rückbank durch den Wagen. »Ist ja beinahe wie früher.«

»Schön«, schaltete sich ihre Mutter ein. »Dann machen wir endlich wieder einen Familienausflug. Euer Bruder kann sich dafür auch mal einen Tag freinehmen. Familie ist wichtig! Ich mag dein Projekt bereits jetzt.«

»Ich bin noch nicht sicher, ob dann für uns alle auch wirklich das Essen reicht!«, warf Pat scherzend ein, ihre Stimme klang belegt.

»Du meinst, ob die Zeit reicht, das alles zu essen, ohne zu platzen, was bei uns auf den Tisch kommt, sobald Gäste da sind?« Tio fuhr mit der Hand über eine angedeutete Bauchkugel.

»Zieht mich ruhig damit auf«, erwiderte ihre Mutter. »Aber das war bei euren Großeltern schon so, selbst in Vietnam. Und hier in Oberammergau genauso. Selbst wenn sie damals erst mal die Sprache lernen mussten und diesen seltsamen Dialekt – für Gäste war auch in diesem Land immer mehr als genug auf dem Tisch, bei jeder Familie, die sie aufgenommen hat.« Ihre Mutter nickte. »Auch wenn unsere Wurzeln anderswo liegen, Erde ist auch hier Erde, und Essen und Freundschaft verbindet uns alle.«

Für einen Moment lockerte sich die Klammer um Tios Brust. Sie bogen in die Hauptstraße ein, rollten vorbei an den Holzbalkonen und vorbei an den Hausfassaden mit der Lüftlmalerei. Am Hotel Alte Post passierten sie Tios Lieblingsbild: das Pferdefuhrwerk vom Feld und die herrschaftlichen Reiter. Die Erinnerung an ihre Kindheit kehrte zurück, Wärme, Geborgenheit.

Für ein paar Minuten schrumpfte die Angst. Die Welt war gut.

2. Theres – Tun und Lassen

Ende Juni, Oberammergau, Metzgerei & Tages-Bar Hack

Vor ihrer Haustür im Hinterhof der Metzgerei schickte Theres Hack einen stillen Gruß zum Gipfel des Kofel, hob das Gewehr in ihrer Hand kurz an. Zweimal schnell und laut pfiff sie durch die Zähne. »Wo bist du Sturschädel nur wieder?« Sie brummte vor sich hin, hielt Ausschau nach Wolfin, der Irischen Wolfshündin. Bei jedem Schritt pendelte das Nachtsichtgerät gegen ihren Brustkorb. Den Schal für die Nacht auf dem Jägerstand, die zusätzliche Decke und ihre Jacke für die Jagd warf sie vor Wolfins Transportkäfig in den Kofferraum. Sie fasste ihr Haar nach hinten zusammen und strich die letzten Strähnen aus ihrem Gesicht. Schritte hallten über den Hof, sie wandte sich um.

»Da schau an«, rief sie. »Nach meinem Babba schaust du mir nicht aus.« Wenigstens gibt Wolfin Geleitschutz, dachte sie. Kann man ja nie wissen, was passiert im Hinterhof einer Metzgerei.

Theres’ Blick folgte jedem lässigen Pfotentapp der Hündin, jedem leicht gehetzt wirkenden Schritt des unwesentlich größeren Menschen daneben. Vor Theres blieb Wolfin stehen, hob den grauen Strubbelkopf ein wenig. Tio musste sich nur wenig hinabbeugen, um durch das Fell zu wuscheln.

Stirnrunzelnd betrachtete Theres die beiden.

Die gefährlichste und unbestechlichste Wachhündin aller Zeiten und die Frau mit Stift und Worten.

Eine Schiebermütze verdeckte einen Teil von Tios Gesicht, darunter fiel das glatte, schwarze Haar eines akkurat geschnittenen Longbobs auf die Schulter. Die Nachbargebäude und die Berge spiegelten sich in den runden, großen Brillengläsern. Etwas wie Wiedersehensfreude lag auf Tios Gesicht, gleichzeitig ein Schatten. Die Journalistin blieb ein paar Schritte entfernt stehen. Wolfin schob sich gegen ihren Oberschenkel und hob die Schnauze. Mit einem Blick und einem tiefen Brummen erschlich sie sich weitere Strubbeleinheiten.

»In München schon alle Storys auserzählt? Oder ist der Sommer in der Stadt nichts gegen die Sehnsucht nach den Bergen?«

»Ach, da ist einfach nicht genug Blut und Tod in dieser Großstadt! Was bleibt einem da zu berichten?« Tio hob die Arme, schob die silberne Nickelbrille etwas höher.

»Deswegen kommst du hierher in meine Metzgerei? Ich wusste schon immer, eine romantische Seele wohnt in dir. Was tun wir nicht alles für mehr Blut und Tod im Leben.« Theres meinte, ein Zögern wahrzunehmen. »Alles okay bei dir, Tio?« Sie legte den Kopf schief.

Tios Mundwinkel stemmten sich nach oben und formten ein Lächeln, es erreichte die Augen nicht. »Freilich. Aber die Sehnsucht nach daheim kennst du ja zu gut – und natürlich die Faszination, die ein Crime-Hotspot wie Ogau bis in alle Winkel der Welt ausstrahlt, seit du hier bist.«

Wolfin stupste erneut dazwischen und forderte weitere Aufmerksamkeit. Tio zauselte das Fell der Hündin, dann sah sie auf und deutete auf das Gebäude zur Straße. »Übrigens: Ich soll dir einen schönen Gruß von deinem Vater bestellen. Ob du deine Jagdausrüstung so gepackt hast, dass du diesmal nicht nur zufällig über den Tod stolperst, will er wissen. Er war gerade dabei aufzuräumen und den Laden abzusperren und nicht sicher, ob du nicht schon los bist. Aber …« Sie klopfte Wolfins Flanken. »Die Gute hier war ziemlich überzeugt, du bist noch nicht fort.«

»Der Babba!« Theres schüttelte den Kopf und winkte beide mit sich in Richtung ihres Geländewagens. »Der Mord an den Thallers verfolgt mich, ganz gleich, wie lang zurück die letzte Rasur dieser Geschichte liegt. Ob sich alle Heiligen noch in hundert Jahren daran erinnern werden?« Sie fuhr sich übers Kinn und über einen imaginären Bart nach unten bis auf Höhe ihres Nabels.

»Nichts Genaues weiß man nicht.« Tio wiegte ihre Hand in der Luft, dann zog sie ihren glatten, schwarzen Bob zu einem kurzen Zopf im Nacken zusammen. »Und zu seiner und unser aller Verteidigung: So lange ist das nun auch wieder nicht her, und auch nicht die Geschichte mit der Künstlerin. Immerhin hast du mitgeholfen, beides zu lösen, nicht zu begehen. Ich kann mir vorstellen, das macht das Zusammenleben hier in Ogau mit dir ungleich angenehmer.«

»Sag, Tio, willst du auf was Bestimmtes hinaus? Kann ich dir irgendwie helfen?« Theres deutete vielsagend auf ihren Kofferraum und das Gewehr, das sie noch immer hielt.

»Immer.« Diesmal wirkte Tios Lächeln echt. »Es sei denn, du hast keine Zeit zwischen deinen Plänen als Frau, als Metzgerin, als Jägerin, den Ort auf den Kopf zu stellen.«

»Irgendjemand muss die Leut hier ja mit verrückten Ideen beschäftigen, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen.« Theres hob ihre Braue und spielte die Unterhaltung weiter, neugierig, wohin sie führte. Sie wurde nicht schlau aus Tios Besuch bei ihr. »Aber sag, was machst du hier, Tio, mitten am Tag, mitten in der Woche? Entsagst du dem Journalismus und kommst zurück in deinen alten Nebenjob in meinem Lieferdienst, oder liegt es am Kofel, über dessen Abwesenheit dich München mit all seinem Zauber nicht hinwegtrösten kann?«

Über Tios Gesicht blitzte ein Ausdruck, den Theres nicht einordnen konnte. »Der Kofel, auf jeden Fall! Ehrlich gesagt: nicht ganz. Aber ich bin deinetwegen hier. Beruflich.«

Theres verstaute Gewehr und Nachtsichtgerät unter zusätzlichen Decken. »Meinetwegen? Welche Frau hört das nicht gerne?« Mit einem Knall fiel die Heckklappe ins Schloss. Sie bedeutete der Jüngeren mitzukommen, stapfte nach vorn in Richtung Laden, Wolfin voraus. »Ich ahne Grauenhaftes«, murmelte sie. »Am Ende wird dir der faszinierende Blick aus meinen graublauen Augen nicht reichen, und ich werde auch noch reden müssen.«

»Möglich.« Die Journalistin schob die Brille etwas höher. »Mit Vokalen und Konsonanten. Mich wundert, dass du heute noch welche über hast.«

Theres wischte durch die Luft. »Ich hab mich erfolgreich durch den Tag geschwiegen, aber jede Glückssträhne endet. Kommst schnell mit rein, oder wartest hier? Für den erquickenden Gefallen, mir zusätzliche Gesprächseinheiten zu verschaffen, muss ich mich beim Babba geschwind bedanken.«

»Oder ihm sagen, dass du aufbrichst und er sich keine Sorgen machen muss?«, schlug Tio vor. »Ich dachte übrigens immer, deine Augen wären eher grüngrau.«

»Je nach Licht und Laune.« Theres bemerkte ein Grinsen und Zwinkern, mit dem Tio antwortete. »Bist du sicher, dass du nicht lieber gleich wieder zurück nach München fährst? Wenn das schon mit den Farben nicht klappt bei dir?«

Der Ausdruck auf Tios Gesicht entglitt, dann blinzelte sie, und das Lächeln war zurück. In Theres’ Mitte zuppelte das eigenartige Gefühl, hinter Tios Anwesenheit steckte anderes, als einer Metzgerin ein paar Fragen für eine Münchner Zeitung zu stellen. Was Tio ihrer ehemaligen Chefin sicher nicht beim ersten Treffen nach Jahrhunderten auf die Nase binden wird. Theres rieb sich die Nase.

»Also: Weswegen bist du noch mal hier?«

Tio straffte die Schultern, richtete sich auf. »Ich plane eine Artikelreihe. Du bist der Anfang, Theres. Jägerin, Metzgerin, eine, die nach einer halben Ewigkeit aus Wien zurückgekehrt ist, von der großen Stadt aufs Land, zurück ins Heimatdorf mit den bemalten Hausfassaden, den getrimmten Hecken, den jahrhundertealten Sitten.« Sie drehte sich theatralisch im Kreis. »Für die Touristen, für die Berge und das ganze Stückl Bayern.«

Theres furchte die Stirn. »Mei«, sagte sie. »Es ist …«

»Nicht alles, wie es scheint«, übernahm Tio den Satz. »Und genau darüber werde ich schreiben. Ogau, der Passion, die Einheimischen, die Zuagroasten und Gestrandeten, Reisende von überall her, Discounter, Familienbetriebe, die sich neu aufstellen, die Berge und ihre Bräuche. Nicht mehr alles ist nur in Männerhand. Nicht alles bleibt in Männerhand.«

»Ach.«

»Wie bei eurer Metzgerei.«

»Meinst?« An der Treppe zum Laden wandte Theres sich um, lachte auf.

»Veränderung in einem Ort voller Tradition.«

»Mit Veränderung gewinnt man keine Freunde. Aber wer braucht Freunde, wenn man berühmt sein kann – oder berüchtigt. Viel Feind, viel Ehr!« Theres zuckte mit den Schultern und zog den Mundwinkel zu einem Lächeln »Komm am Mittwoch vorbei, Tio, da passt es gut am Nachmittag. Oder bist du dann schon wieder in München?«

»Nein. Erst mal hier«, antwortete Tio, die Stimme klang leiser, heiser. Wieder franste der Blick aus.

Wieder zupfte die seltsame Ahnung in Theres’ Bauch.

»Und falls mir die modernen Unternehmerinnen und Gestalter im Traditionsort ausgehen, kann ich immer noch über den Kini berichten. Der ist zwar nimmer so fresh, aber wenigstens war er mal modern. Und vor Feinden hab ich hier eh keine Angst. Vielleicht klappt das mit der Ehre aber trotzdem.«

Für einen Moment schwieg Theres, versuchte Tios Miene zu deuten. Vergebens. »Ich wünsch es dir, Tio«, sagte sie, lächelte. »Dann bis Mittwoch!«

Tio verabschiedete sich. Bevor Theres die Tür zum Laden aufzog, hörte sie sie noch einmal räuspern. »Was meinst, Metzgerin? Das Ludwigsfeuer, das gäbe doch einen guten Bericht mitsamt der Frage, warum sich seit Jahrzehnten nichts geändert hat an dieser Männertradition, oder? Ist von deinem Lieferdienst nicht auch jemand bei den Feuermachern?«

»Den du zufällig mal löchern könntest?« Theres nickte. »Der Felix, fällt mir da ein. Er hilft noch bei mir aus. Mal sehen, wie lange noch. Im Hotel seiner Eltern geht es bergauf. Die letzten Jahre waren schwierig, wo uns die Touristen ausgeblieben sind.«

»Felix …« Tios Stimme klang wie weit aus der Ferne, ihr Blick glitt davon, als folgte sie einem anderen Gedanken. Sie räusperte sich. »Schön zu hören, gerade wenn es noch diesen Zusammenhalt hier gibt. Und du meinst, ich sollte ihn dazu fragen?«

»Darüber, warum sich manche Dinge nie ändern?« Theres stieß etwas zwischen Lachen und Schnauben durch die Nase. »Hast du da Zweifel? Freilich kannst den Felix fragen. Habt ihr beide nicht auch zusammengearbeitet?«

Tio legte den Kopf schief. »Nicht wirklich viel. Zu der Zeit war jeder mit dem eigenen Kram beschäftigt. Mir war mein Volontariat das Wichtigste. Mit den Auslieferungen nach München hab ich ein wenig dazuverdient. Und Felix ist … Als Sohn von Geschäftsleuten mit dem Hotel war er immer … Nun ja, er ist auch jünger als ich.« Sie zögerte, zuckte schließlich mit den Schultern. »Er hatte andere Interessen und ein anderes Umfeld, in dem er aufgewachsen ist.«

Theres musterte sie, überlegte kurz. »Die letzten Jahre hat sich einiges verändert. Würd ich’s glauben, würd ich sagen: Menschen ändern sich. Meistens ändert sich aber höchstens das Mobiliar der Wohnungen oder die Klamotten. Aber mei! Ausnahmen bestätigen die Regel. Felix ist mitunter ein bissl stur, aber nicht verkehrt.«

Ein Schmunzeln huschte über Tios Miene. »Erlebe ich gerade, dass eine Metzgerin ein Lob ausspricht? Oder zählt auch schon als Lob, wenn einem dein Metzgermesser nicht zwischen den Rippen steckt?«

Theres lachte kurz auf, nickte anerkennend über den treffenden Scherz. »Nur so als Tipp: Stell deine Fragen ruhig genau in der Art. Ich seh schon vor mir, wie du Unmengen an neuen Freunden gewinnst«, konterte sie.

Tio rieb sich übertrieben das Kinn. »Als wäre meine Frage irgendwas anderes als ein Strauß ausgewählter Höflichkeiten?«

»Eigentlich meine Spezialität, durch die Haut und bis auf die Knochen zu schneiden. Aber ich bin sicher, dass man hier zwei von unserer Sorte verträgt.«

Tio nickte. »In Oberammergau? Warum auch nicht. Dicker als das Fell der Leut sind bloß die Felsen am Kofel oder die Traditionen, die scheinbar sogar die Berge und erst recht jede Frage überdauern werden, vermutlich sogar den Tod. Den bemantelten Gesellen hält immerhin unsere Metzgerin und Jägerin in Schach.«

Theres bedeutete ihrer Hündin, vor dem Laden zu warten. »Der Boandlkramer, mein bester Kumpel.« Sie kreuzte Zeige- und Mittelfinger, schmunzelte, dann war sie halb durch die Tür, hörte ihren Vater ein Räuspern husten. Josef Hack stand inmitten des Türstocks, grimmbrummelig stirnrunzelnd. Ein wenig Grau schimmerte an seinen Schläfen, wie ein feiner silberner Kranz, wo noch Haar war. In seiner ganz eigenen Art grinste er innerlich, ohne eine Falte auf seiner Miene zu bewegen. In den Augen ihres Vaters tanzte das typisch schelmische Funkeln. Theres drehte sich zu Tio, hob die Hand zum Abschied. »Man muss und sollte tun, was man nicht lassen kann. Frau erst recht.«

3. Paul – verbunden

Ende Juni, Oberammergau, Kirche St. Peter & Paul

Mit einem Blick über die Schulter auf den Altar stieß Paul die Kirchentür auf, nur um auf der Schwelle zu stoppen. Mehr als die Tür von hinten überraschte ihn, wer vor ihm stand.

»Sag bloß, der Herr Pfarrer hat ein Leben außerhalb der anspruchsvollen Dienste für seinen Herrn?«

Demonstrativ zog Paul sein Handy und checkte das Display. »21. Jahrhundert – ist das nicht ein wenig zu spät für dich, um noch in die Nähe einer Kirche zu kommen, Herr Kommissar?«