Kreizkruzefix - Monika Pfundmeier - E-Book
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Kreizkruzefix E-Book

Monika Pfundmeier

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Beschreibung

Wo der schöne Schein trügt: Ein Regionalkrimi mit Biss und Herz Oberammergau, eine kleine bayrische Gemeinde, eingebettet in die Ammergauer Alpen und weltberühmt für die alle zehn Jahre stattfindenden Passionsspiele – hier wird Tradition groß geschrieben. Monika Pfundmeier wählt diesen Ort als Schauplatz für ihren ersten Krimi – nicht ohne Grund! Als Theres Hack nach Jahren aus Wien zurückkehrt und die väterliche Traditionsmetzgerei umkrempelt, ist nicht jeder davon begeistert. Doch nicht nur die junge Metzgerin, die mit Wort und Grant so manch Althergebrachtes auf den Kopf stellt, stört die Dorfidylle. Als die Gin-Produzenten Sophie und Franz Thaller nur wenige Tage vor Beginn der Passionsspiele ermordet werden, droht eine PR-Katastrophe für den Ort. Theres Hack gerät ins Visier der örtlichen Polizei, war sie doch als Erste am Tatort und ist geübt mit Messer und Jagdgewehr. Für Theres genau der richtige Anlass, um Hauptkommissar Anton Sollinger und Kommissar Toni Baurieder auf die Sprünge zu helfen. - Charismatische Figuren mit Ecken und Kanten: allen voran Theres Hack, Ende dreißig, geschieden, Ex-Eventmanagerin, Metzgerin und Jägerin mit Schweinefleischallergie - Tradition vs. Moderne: wie Social Media, Instagram & Co. das traditionelle Dorfgeschehen gehörig aufmischen - Spannende Urlaubslektüre: ein Alpenkrimi mit Humor und Biss Der Berg, die Jagd und der Tod: Auftakt zur neuen Krimi-Reihe mit Schauplatz Oberammergau Monika Pfundmeiers moderner Heimatkrimi ist mehr als die Aufklärung eines Mordfalls. Sie greift auch aktuelle Themen auf: Müssen Traditionen neu erfunden werden? Braucht ein Dorf eine hippe Bio-Metzgerei, und ist es der richtige Weg, eine nicht rentable Landwirtschaft in eine gewinnträchtige Gin-Destille umzuwandeln? »Kreizkruzefix« ist ein Lesevergnügen für alle Krimi-Fans, die keine Scheu haben, in die Abgründe hinter der perfekten Fassade einzutauchen!

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Seitenzahl: 332

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Ähnliche


Monika Pfundmeier

KREIZKRUZEFIX

Ein Oberammergau-Krimi

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger

Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.

Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage 2020

Copyright © 2020 by Monika Pfundmeier

Copyright Deutsche Erstausgabe © 2020 Servus Verlag bei

Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der

Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Palatino, Bauer Bodoni, Courier, Helvetica Neue, Digital Numbers Regular

Umschlaggestaltung: www.b3k-design.de, Andrea Schneider, diceindustries

Umschlagmotiv: © plainpicture/BY, © Schuelke/Caro/picturedesk.com, © jordachelr/istockphoto.com

ISBN: 978-3-7104-0236-4

eISBN: 978-3-7104-5025-9

Für die, die uns anstoßen,uns zum Besseren zu ändern,für die, die sich dem Wandelmit offenem Geist stellen.

Inhalt

Personenverzeichnis

1. Theres / Beute

2. Andere Augen

3. Theres / Seile & Feuer

4. Toni / Kohle

5. Andere Augen

6. Anton / Fleisch an den Knochen

7. Marie / Heiligenschein

8. Theres / Offene Herzen

9. Toni / Wein mit Sti[e]l

10. Marie / Alte Wäsche

11. Theres / Bars & Beichten

12. Anton / Wurst in Akten

13. Theres / Tatort

14. Toni / Musik und Pillen

15. Andere Augen

16. Theres / Gerede

17. Anton / Neue Freunde

18. Marie / Dauerlauf

19. Theres / Leberkäs für die Seelen

20. Alessia / Lüftl

21. Toni / Verbindungen

22. Andere Augen

23. Alessia / Der Preis der Seele

24. Marie / Gottes mysteriöse Wege

25. Anton / Dezente Ermittlungen

26. Theres / Leben in Kästchen

27. Toni / Aussicht

28. Andere Augen

29. Alessia / Brotkrumen

30. Anton / Gerüst

31. Theres / Offene Beziehungen

32. Toni / Karma

33. Andere Augen

34. Marie / Gemeinsam

35. Theres /Durch die Finger

36. Anton / Überraschender Besuch

37. Theres / Über alle Berge

38. Alessia / Mittendrin

39. Anton / Graben

40. Marie / Falle

41. Theres / Blind

42. Marie / Lohn

43. Theres / Licht

44. Anton / Bericht

45. Theres / Hinter dem Vorhang …

Nachwort

Über den Roman

Danke

Quellenverzeichnis / weiterführende Infos

Personenverzeichnis

Theresa (Theres) Hack (39), geschieden, Ex-Eventmanagerin, Metzgerin und Jägerin mit Schweinefleischallergie. Nach Jahren in Wien ist sie zurück in Oberammergau und krempelt die väterliche Traditionsmetzgerei um: nachhaltig, modern, bio, hip. Nicht jeder ist davon begeistert.

Anton Sollinger (40), Hauptkommissar, Leiter der Polizeistation Oberammergau mit glänzender Verbrechensstatistik – bis Theres wieder im Ort auftaucht. Die Metzgerin und Jägerin hat ihm schon zur Schulzeit schlaflose Nächte bereitet. Privat kämpft er mit dem Scheitern seiner Ehe.

Anton (Toni) Baurieder (42), Kommissar, liebt Schiller, Shakespeare und Ruhe. In den Polizeiberichten lebt er seine schriftstellerische Begabung aus und treibt damit seinen Vorgesetzten Anton Sollinger zur Verzweiflung. Theres’ Blick für die Details schätzt er wie ihren Wein und ihre Gesellschaft – was die Spannungen mit seinem Vorgesetzten nicht gerade mindert.

Floriane (Flo) Dinklmeier (29), Oberwachtmeisterin, ehrgeizig, schlagfertig und um keine Schlussfolgerung verlegen. Kämpft für Gerechtigkeit in gesellschaftlichen wie in juristischen Belangen und scheut nicht davor zurück, jeglichen Gender-Verstoß zu ahnden.

Josef Hack (65), Metzger im Unruhestand, hasst Veränderungen, liebt das kleine Mädchen, das seine Tochter einmal war. Den Weggang zum Studium nach Wien hat er ihr so wenig verziehen wie die Umgestaltung seiner Traditionsmetzgerei. Theres’ mangelndes Interesse am sonntäglichen Kirchgang und daran, eine Familie zu gründen, ist ihm so suspekt wie dem Rest Oberammergaus.

Paul Langer (39), Dorfpfarrer und Theres’ bester Freund seit dem Kindergarten. Sofern neben seiner heimlichen Leidenschaft für Online-Gaming Zeit bleibt, kümmert er sich gern um seine Schäfchen. Was immer ihn in Gottes Arme getrieben hat, ist Theres ein Rätsel.

Marie Wengerle (26), Hauptdarstellerin der Passionsspiele Oberammergau, auf dem Sprung zur großen Karriere als Schauspielerin. Ihren Durchbruch will sie so schnell wie möglich erreichen. Für ihre Imagepflege nutzt sie jedes Mittel.

Alessia Forster (26), Influencerin und Bloggerin aus Hamburg. Das weltbekannte Ereignis der Passionsspiele will sie sich nicht entgehen lassen und bringt mit ihrer virtuellen Präsenz die Lokalprominenz in Aufruhr.

Chris Zentmayr (31), Co-Regisseur der Passionsspiele und zweiter Geschäftsführer der Marketingagentur Zhoch2, die nicht nur dem KöniGin der Thallers zum Durchbruch verhelfen soll, sondern auch die Ambitionen von Marie unterstützt. Dabei achtet er darauf, dass seine eigenen Ambitionen nicht zu kurz kommen.

Sonja (44) und Franz (45) Thaller, ehemals Landwirte, die ihren Hof dem Neid und den Anfeindungen zum Trotz in eine moderne, gewinnträchtige Produktion für ihren KöniGin umgewandelt haben.

1. Theres / Beute

Dorfrand, Thaller-Hof

Diese Montagnacht roch nicht wie immer. Nicht nach Glut und Wacholder. Und nicht nach nassem Hund. Theres schaute nach oben vorbei am Hausgiebel in den Nachthimmel. Hoch über ihr, weit droben haftete ihr Blick: am Kofel, dem Wächterberg. Tag für Tag wachte er über Oberammergau, Mondnacht für Mondnacht versilberte ein Schimmer seinen kantigen Zacken.

Die Klinge des Schlachtermessers unter ihren Fingern beruhigte ihren Puls. Gut scharf hat noch niemandem geschadet … Wahrscheinlich. Was sie vor sich sah, gefiel ihr nicht: Die Eichenholztür mit ihren verwitterten, ineinander verkeilten Planken stand um einen Spalt offen, aus dem Haus auf die Treppe quoll Dunkelheit. Nichts hielt das Schwarz zurück.

»Ist das die Einladung für den Putzengel, der kommt und euren Saustall aufräumt? Ich würd ja glatt wieder beten, wenn’s so wär.«

Hinten im Garten krächzte ein Vogel. Verfluchte Krähe.

Die Beute rutschte vor der Haustreppe des alten Bauernhauses von Theres’ Schulter. Knirschend verschoben sich die Kiesel unter ihren Füßen. Rechts und links die Fenster, das ganze Thaller-Haus mit seinem abgeplatzten Putz starrte blind auf das Oval des Hofs. Theres’ Blick stolperte am umgekippten Komposteimer neben dem Stall. Durch das Schiebetor dort hinten drang ebenso kein Lichtschein, keine Musik, kein singendes Krächzen. Licht, Leben, jegliche menschlichen Laute fehlten.

Sie drehte sich zum Haus, kaute auf ihrer Lippe.

Hier?

Drehte sich zur Tür.

In Oberammergau?, dachte sie, sah auf ihre Hand. Es wäre nur ein kleiner Stoß. Ein Blick. Nur kurz, dachte sie. Aber hier? In Oberammergau …? Erneut fand ihr Blick den schroffen Gipfel. Ein schlafender Wächterriese, der seinen Zinken in den Mond sticht. So hatte ihre Mutter den Kofel genannt und ihr eine Geschichte erzählt. Damals. Ihre Mutter hatte dabei gelacht. Springende Bergkristallperlen.

An jenem Tag hatte Theres die Bastelschere und den Handspiegel der Mutter entdeckt. Keiner der Buben würde sie mehr hänseln, ab sofort zählte es, wenn sie härter traf, öfter. Ihre Haare waren nicht länger die eines Mädchens, sondern wie die ihres besten Freundes. Endlich.

Die Zeit heilte aufgeschürfte Knie, die Haare wuchsen, die Jahre vergingen, die anderen Wunden nicht. Das Lachen war tot, die Mutter fort, kam nicht mehr zurück.

Schluss! Sie ballte die Hand. Ein Zurück gibt es nicht, erst recht nicht jetzt! Sie rückte den Gurt des Gewehrs zurecht, sah die Beute zu ihren Füßen und wandte sich um. Eine dunkle Ahnung biss ihr in den Nacken. Sie fröstelte. Kreizkruzefix!

Das Hier, das Jetzt, alles war falsch am Thaller-Hof. In Oberammergau war das falsch. Die Dunkelheit und ein verlassener Hof, der nicht verlassen sein dürfte. Und das Gefühl, das war auch falsch.

Sie starrte auf das Haus von Sonja und Franzl Thaller. Wie dunkelgrüner Pelz überzog der Efeu die linke Seite. Am Oberschenkel spürte sie einen vertrauten Druck, einen Stups. »Hast ja recht, Wolfin. Bringen wir’s zu Ende«, flüsterte sie und kraulte die Irische Wolfshündin zwischen den Ohren, »wo ich schon mal hier bin.«

Der Bewegungsmelder sprang an. Mit der einen Hand suchte sie den Kolben ihrer Flinte, mit der anderen erspürte sie an ihrem Gürtel das Messer. Aus dem Efeu stob eine Maus, verschwand auf der anderen Seite der Tür. »Zefix!« Theres sah hinterher, ihr Puls trommelte lauter als jedes Rascheln in ihren Ohren. Hat die Katz zu viel vom Gin erwischt, oder wo ist das Vieh, wenn man es mal braucht?

Sie wies Wolfin den Platz neben ihrer Beute, nahm dann die zwei Stufen mit einem Schritt. Auf dem Weg zur Klingel stoppte ihre Hand. Über ihr Rückgrat jagte ein Kribbeln, Kälte. Der Lichtkegel, den der Bewegungsmelder um sie warf, beschränkte ihr Sichtfeld, sperrte alles außerhalb aus. Als machte das zugeschnittene Licht auch ihre Ohren taub.

Der abgestandene Muff alten Mauerwerks belegte ihre Nase. Und: Noch ein weiterer Geruch verzerrte die Luft. Sie kannte ihn. Am Boden ahnte sie unterschiedliche Schattierungen von Dunkel. Nur seitlich, im Lichtschein … Shit. Sie trat einen Schritt zurück. Der Fleck blieb. Zäh, rötlich. Im Reflex schoss ihr Blick nach unten. Nichts hob sich im Halblicht ab von den dunklen Flechtmaschen ihres Pullis, von dem Olivgrün der Jagdjacke, von den Stiefeln. »Kein Blut.« Sie zuckte die Schultern. »Nicht von mir zumindest.«

Wieder die Krähe. Theres schrak zusammen, glitt am Messer ab. »Kreizkruzefix! Bist du still!«, knurrte sie und saugte das Blut aus dem Schnitt.

Nochmals linste sie hinüber zum ehemaligen Stall. Franzls Pick-up parkte im Verschlag daneben, die Laufleine davor hing träge zu Boden, ein dunklerer Strich in der Dunkelheit. Kein Gebell. Sie stieg die Stufen hinab zu Wolfin, schickte die Hündin nach hinten in den Hof, zu der jetzigen Brennerei, beobachtete die Schnauze im Wind, die Haltung, den Schwanz. Ganz leicht wippte er, gemächlich. Keiner da zum Spielen.

Zurück an ihrer Seite drückte Wolfin sich gegen ihr Bein, Theres ging in die Knie, lehnte sich gegen die Hündin. »Du bist dir sicher, was?« Die treue Begleiterin guckte auf. »Na dann!« Ihre Hand glitt durchs Fell. Wärme und Nähe blieben auf dem Weg zu dem beulenübersäten Familienerbstück ihres Geländewagens, das Eis in ihrem Bauch.

Sie holte die Taschenlampe aus dem Kofferraum, verstaute ihr Gewehr, zog ihr Handy aus der Jacke. »Jetzt?«, murmelte sie. »Später?« Drei Atemzüge, und sie steckte es zurück. Ihr Finger glitt über die Konturen des Smartphones. »Später.«

Falls es dein Stolz erlaubt, kratzte die Stimme ihres Vaters in ihrem Kopf. Sie schob die Ärmel hoch und war sicher, wenn Hunde Ärmel hätten, würde Wolfin dasselbe tun. »Die Tonis von der Polizei können noch früh genug gegeneinander arbeiten.«

Noch einmal schickte sie Wolfin zum Platz neben der Beute. Schwerer als zuvor stieg Theres die Stufen zum Bauernhaus wieder hinauf. Ein Schubs mit der Taschenlampe. Ächzend öffnete sich der Spalt ein Stück weiter, stoppte quietschend. »Noch ein wenig lauter vielleicht?« Ihre Augen wanderten in den dunklen Flur bis zu einem schwachen Lichtschein. Vom Türspalt in der Mitte des Gangs kroch er hinein in die Dunkelheit, über granitgraue Fliesen und … anderes.

Theres schauderte, hob den Blick an, zwang ihn höher. »Sonja?« Sie rief, sie wartete. Keine Antwort. Kein anderes Geräusch. Der Lichtkegel ihrer Taschenlampe wanderte den äußeren Türstock ab. Nichts aufgestemmt, nichts beschädigt. Dann den Boden. Der Putzengel war’s nicht. Es sei denn, er putzt mit Blut.

Mit einem Mal jagte Wolfin davon und riss Theres’ Aufmerksamkeit mit sich und weg von dem Flur. Am Hauseck grub die Schnauze den Boden um. Aufgeregt wedelte die Hündin mit dem Schwanz, bellte, schaufelte den Kies mit den Vorderpfoten fort.

»Weg!«, zischte Theres und sprang zur Hündin, stieß sie zur Seite. Vor den Läufen entdeckte sie Fleisch. Das Maul der Hündin gepackt spreizte sie es auf, schnupperte. Nichts. Atmete tief ein.

Im Lichtschein ihrer Taschenlampe hoben sich die Fleischfasern voneinander ab – und von den zwei weißlichen Tabletten. Die Fleischstruktur kannte sie. Rind, aus der Hüfte. »Dich und deine Verwandtschaft hab ich letzte Woche verkauft wie geschnitten … Grillfleisch halt. Aber wo kommen diese zwei Pillen her?« Sie runzelte die Stirn, dann wickelte sie das Stück samt Tabletten in ein Taschentuch, tätschelte Wolfins Schnauze, die Zunge hing der Hündin aus dem Maul. Bevor sie das Köderstück aufs Autodach legte, befahl sie Wolfin Platz. Die Jagdbeute, das Rehkitz, lag noch da, ihre Begleiterin würde wachen.

Wieder stand Theres vor der Tür. Die Kälte war ebenfalls zurück, schabte von den Schultern zum Steiß. Sie schauderte. Dann trat sie ein. Erwischte den Schalter, Licht.

»Jemand dah…« und würgte.

2. Andere Augen

Ein Balkon

Das mochte ich immer.

Leuchtend orange sticht die Flamme in die Dunkelheit rings um den Grill, leckt am Rost, durchzieht mit ihren flackernden Zungen das Schwarz. Um mich wird die Nacht heller, alles was mich umgibt. Den Berg, die schroffen Schatten, alles, was hinter dem Feuer liegt, überblenden die Flammen. Licht brennt in meinen Augen, blinzeln will ich nicht.

Rauch kriecht aus der Schale und befällt den Grill, ich bin nicht schnell genug. Der Spiritus ätzt in meiner Nase, meinem Rachen. Normalerweise grillt man so nicht. Spiritus. Ich kenne Menschen, die ihre Augenbrauen versengt haben. Mit Spiritus.

Zu spät weiche ich dem Qualm aus. Ich versuche, leise zu husten, und mein Blick schießt in die Dunkelheit neben mir.

Bei den Nachbarn bewegt sich nichts hinter dem Wohnzimmerfenster, nichts oben im Haus.

Alles still, alles im Schlaf, hoffe ich, atme klare Nachtluft.

Der Spieß passt genau zwischen die Lücke unter dem Rost, und mit zwei, drei Schubsen verteile ich die Kohlen gleichmäßiger. Die Flammen kämpfen mit den Kohlestücken, durchdringen, bezwingen sie, fressen sich satt am durchtränkten Stoff. Auch mit ihm kämpfen sie, aber der Spiritus macht es ihnen leichter. Der Geruch von verbranntem Gewebe überlagert die Holzkohle. Bald ist es vorbei.

Mein Magen knurrt. Die Kohlestückchen werden weiß.

Helle, feine Linien durchziehen das Fleischstück wie Marmor. Es ist perfekt, zwei Finger dick, saftig aus der Hüfte. Das letzte von drei. An meiner Hose wische ich mir die Hand noch mal ab, und noch mal. Gewaschen habe ich sie. Und frische Kleidung habe ich. Das Fleisch nehme ich mit meinen Fingern vom Teller. Fest, doch weich.

Sofort zischt es auf dem Rost, Flammen strecken sich nach dem Fleisch, schlingen das Fett auf, das heruntertropft. Die Glocke von St. Peter und Paul füllt die Nacht. Dreiviertel.

Spät.

3. Theres / Seile & Feuer

Dorfrand, Thaller-Hof

Bis ganz tief in ihre Lungen sog Theres die frische Nachtluft. Öffnete die Augen, fokussierte ihren Blick. Über den Boden verteilten sich Pfotenabdrücke, Spritzer – erst schlammig, dann braunrot, trocknend – zwischen auffallend sauberen Stellen. Einen Schritt hinter dem Eingang verlief an der Wand entlang bis zur Mitte des Flurs eine blutige Bahn auf Höhe ihres Oberschenkels. Sie endete in einer Lache aus Blut und Knochen und Fell.

Zertrümmert der Schädel, die Glieder verdreht, zerhackt. So lag er da. Ein paar Schritte nur. Sie beugte sich über den Kadaver, schluckte. »Bubi!« Dann fuhr sie durch das kratzige Fell über die starren Muskelstränge am Hals. »Wer zur Hölle macht so was?« Wie von selbst wanderte ihre Hand zum Messer an ihrem Gürtel. »Mit der Axt den Kopf aufreißen, dann den Brustkorb zerstückeln. Das ist ein Wachhund, kein Hackstock.«

Theres starrte die Türklinke an, ein verzerrtes Spiegelbild in Messing starrte zurück. Sie lauschte, rieb ihren Nacken. Dort hatte sich die dunkle Ahnung eingenistet. Ihr Kopfkino sprang an, ein Film mit verlassenem Autokino, ausgeweideten Rostlauben, aufgeribbelten Kabeln und verendeten Insekten. Sie schüttelte den Kopf gegen die Bilder.

»Hier sind nur wir. Nur wir! Ich und Wolfin – und der Tod«, murmelte sie. »Und der ist wahrscheinlich schon fertig hier.« Hoffentlich. Nach fünfzehn Sekunden Stille und einem Blick nach draußen – Wolfin wachte noch immer an ihrem Platz – packte sie den Messergriff fester. »Immerhin weiß ich, wo die Axt ist.« Theres stieg über Bubis Überreste, stieß die Küchentür auf. Das Erbstück vom Opa im Flur aufzuhängen? Keine gute Idee.

Kurz vor dem Lichtschalter stoppte ihre Hand. In der Dunkelheit außerhalb der Fenster tat sich nichts. Sie hielt einen Moment den Atem an. Immer noch nichts. Keine huschende Gestalt, keine Schritte, kein Motorjaulen. Nichts. Nur wir!, wiederholte ihr Kopf.

Sie kippte den Schalter um. Das Licht machte den Raum nicht schöner, nicht lebendiger. Auch nicht sauberer. Auf der Küchenanrichte zwölf Flaschen Gin mit Dornenkronen um den Hals und ein Karton boten am ehesten den besten Anblick.

Davor war Sonja. Vielmehr: hing Sonja. Von der Galerie oberhalb der Küche war ihr Körper einen halben Meter über den Dielen, das andere Ende des Seils berührte den Boden. Wie abgemessen.

Was hast du zuletzt gesehen, Thallerin? Oder wen? Und wie hast du geschafft, das Seil so genau auszutarieren? Fünf große Schritte in ihre Nähe machten Sonja nicht redseliger. Die Augen quollen heraus, an den Armen verdunkelten sich Hautstellen. Die Schnürung an Sonjas Hals erinnerte an die Rouladen in der Metzgerei. »Abhängen mit Gin stell ich mir anders vor.« Nicht witzig.

Schnitte, Risse waren in die Haut an ihren Händen eingegraben, das Fleisch an den Fingergliedern aufgescheuert. Theres schob einen Stuhl vor Sonja, erklomm ihn, einen mit Küchenrolle umwickelten Kochlöffel in der einen, ihre Taschenlampe in der anderen Hand. Unter dem Strick an Sonjas Hals waren dunkle Male, wie Schatten. Theres streckte sich. Schatten auch oberhalb des Stricks. Würgemale?

Sie verlagerte ihr Gewicht. Zu schnell. Das vordere Stuhlbein knarzte, gab nach, kippte, und Theres … ruderte, verlor ihren Stand. Die unrhythmische Gymnastik brachte die Schwerkraft gegen sie. Theres’ Arme schossen nach vorn, stoppten im letzten Moment – vor Sonjas totem Körper. Den Stoff ahnte sie, die kalte Haut, sie schauderte.

Theres ächzte, zog die Finger weg von der Toten, gegen die Gravitation. Fand besseren Stand und atmete tief ein, aus.

Ein Knall, das Licht war weg. Sie biss sich in die Wange. Der Schmerz fraß sich bis in ihren Arm, die Dunkelheit in alles rundum. Theres klammerte sich an ihre Taschenlampe, an den verbleibenden Lichtstrahl.

In Theres’ Brust donnernder Herzschlag, die Krähe im Garten. Kein Stapfen, keine Kettensäge, keine schwingende Axt. Immerhin. Still das Haus, still die Nacht. Wolfin war auch still. »Wär ich mein Schutzengel, ich würd umschulen.«

Erneut und diesmal besser fand ihr Fuß in der Sitzschale Halt und Theres sich jetzt auf Augenhöhe mit Sonjas Brüsten. Ihre Taschenlampe schickte Licht durch den Stoff. Kein BH, protokollierte der analytische Teil von Theres’ Gehirn, der praktische koordinierte ihren Körper, der langsam herabstieg und festen Boden fand. Iii…rrsinnig nervige schwedische Möbelhauskette, setzte der zornige Teil dazu. Fuck.

Auf Puddingbeinen wackelte sie hinter dem Taschenlampenlicht zurück in den Flur, entdeckte den Sicherungskasten. Alles am Platz, abgesehen vom FI-Schalter. Sie klappte ihn hoch und … Au! Verdammt. Dunkelheit. Sie schüttelte den leichten Schmerz aus ihrem Zeigefinger, nahm alle Sicherungen raus. Eine nach der anderen – von der Küche bis zur Kammer – schaltete sie wieder ein, zuletzt den Stall. Wieder Dunkelheit, diesmal schnalzte der FI nicht gegen ihren Finger. Kurzschluss im Stall. Den Stall nahm sie vom Netz, den FI legte sie nochmals ein.

Zurück im Wohnraum schoss sie Fotos, vom Kühlschrank, von den Bildern und Karten, die dort hingen. »Mordsguter Gin.« Mh. Sonja Thaller gäbe ein interessantes Instagram-Motiv.

Am Küchentisch fein säuberlich aufgereiht lagen eine Drahtrolle, leeres Papier und ein Stift daneben. Und Paketaufkleber. »Ein Selbstmord und kein Abschiedsbrief?« Sie klopfte Sonjas Taschen ab. »Kein Handy. Aber der Geldbeutel.«

Und Franzl? Theres fluchte, überlegte einen Moment. Wo ist der? Und … will ich das wirklich wissen? Sie stieg die Treppen in den ersten Stock hinauf und ergebnislos wieder hinab. Schilder wären gut. Der Hof ist ja nicht grad klein. Als hätt ich nix anderes zu tun, bis ich die Polizei wirklich rufen muss.

Die Tür des Büros neben der Küche lehnte nur an. Aus dem schmalen Spalt drang ein Rascheln in den Flur. Theres schluckte, fasste zum Messer und stieß die Tür auf. Unter Briefen, Schreiben, Papierkrumpeln, Stiften und Notizzetteln, Büroklammern und Chaos fanden ihre Füße den Boden. Sie sah sich um: kein Laptop, aber in der Schublade die externe Festplatte in Hosentaschengröße neben einem angetrockneten, angebissenen Schokoriegel.

In einem Stapel Papiere stöberte Theres mithilfe von Geodreieck und Brieföffner. Ganz oben das Liebesbriefchen der Stadtwerke und eine Arztrechnung. Euer Lohn wartet im Jenseits – mitsamt der Schuldnerin.

Auf dem nächsten Schreiben klebte eine Notiz: »Bild- und Veröffentlichungsrechte! Noch mal besprechen! Dringend!«, stand über der Mahnung. Der seit November ausstehende Betrag dürfte der Rechnungsstellerin schmerzhaft fehlen – einer selbstständigen Fotografin und jungen Mutter. »Aufm Land kennt man sich, da kann man sich aufeinander verlassen. So viel dazu! Kreizkruzefix.« Theres schabte die Zähne über ihre Unterlippe. »Dass ich mir mehr versprochen hab mit den Thallers … geschenkt! Aber für Nayla … schöner Mist. Und ich hab sie da auch noch mit reingezogen.«

An der Pinnwand über dem Schreibtisch entdeckte Theres Bilder. Manche Fotos hatten Klebestreifen über den Ecken, manche abgerissen, als ob sie schon woanders gehangen hätten. Post-its markierten die Aufnahmen: »Für Kampagne?« oder »X«.

Auf allen Bildern Marie. Aber warum ausgedruckt? Digital ist doch viel nützlicher. Beim nächsten Bild beugte sich Theres näher. Schau einer an: KöniGin verbindet. Jedenfalls manche. Ziemlich eng und ziemlich verschlungen. Sie schmunzelte und drückte auf den Auslöser der Handykamera.

Sie stöberte weiter durch den Schriftverkehr, einen lukrativen Gin-Deal mit den Passionsspielen und die Umsatzsteuervoranmeldung des Finanzamts. Respekt! Der Gedanke an die Bank- und Steuerunterlagen ihrer Metzgerei jagte ein Schaudern über ihren Rücken. Bei den Thallers zücken Bank und Finanzamt Champagner, bei mir: Taschentücher. Dann schluckte sie, ihr fiel Sonja in der Küche ein.

Beim nächsten Brief zuckte ihre Augenbraue: eine Vertragsvereinbarung mit einer Marketingagentur samt Rechnung. Neben dem roten Post-it das eingeprägte Logo im Kopfteil: Zhoch2. In ihrer Magengrube spürte Theres einen Stich. Wie nett! Das Teuerste ist gut genug für KöniGin. Sie schnaubte.

Weiter unten stapelten sich Ostergrüße, Postkarten, Dank für die Zusammenarbeit. Vorsichtig schob sie die Unterlagen zurück.

Vor dem Haus an der Treppe checkte Theres die Uhrzeit auf ihrem Smartphone. »Ich brauch eine verdammt gute Ausrede«, murmelte sie. »Eine verdammt gute für die Polizei.«

Den Hund an ihrer Seite und den Taschenlampenlichtkegel vor sich, steuerte sie auf Franz Thallers Pickup im Verschlag beim Stall zu. Unter der Matschschicht erholte sich das Auto vom letzten Einsatz, unverschlossen wie immer. Die Bordwand der Ladefläche war runtergeklappt. Daneben geschichtete Holzscheite bis unters Blechdach des Stadels.

Sicherheitshalber wuschelte Theres durch Wolfins Fell – die Hündin fühlte sich warm an, vertraut, nicht wie in einem düsteren Albtraum. »O Hund.« Aus wachen, dunklen Augen beobachtete Wolfin Theres, ließ sie keinen Moment außer Sicht. Zweimal wuffte sie. Was nur eines bedeuten konnte: alles Mögliche.

»Hab ich mir schon gedacht.«

Schließlich trabte Theres weiter.

Vor dem zur Brennerei umgebauten Stall hielt Wolfin inne, schnupperte. Über Theres’ Nasenwand ätzte der nächste Atemzug, kratzte sich den Rachen hinab. Durch den Türspalt entdeckte sie ein Glimmen. Kurzschluss im Stall wegen: Feuer.

Theres hustete. »Zwei an einem Tag – der Boandlkramer und der Feierdeifi.« Die Axt neben den gestapelten Holzscheiten packte sie mit der einen Hand, mit der anderen fuhr sie sich übers Gesicht. »Kaum verändert jemand was im Dorf, stoppt der Sensenmann die Uhr.« Noch einmal ging ihr Blick zum Kofel. »Und du schläfst nur.« Sie seufzte.

4. Toni / Kohle

Polizei-Bereitschaft / Thaller-Hof

»Danke, ich weiß, dass die Passionsspiele verdammt bald beginnen.« Das Handy kratzte an seinem akkuraten Vollbart. Toni schaltete die Stereoanlage auf stumm, und auf der Leinwand ermittelte Miss Marple nun ohne Ton. Auf dem Couchtisch neben ihm stapelten sich Rushdie, George Orwell, Adler-Olsen, Donna Leon und Agatha Christie. Seine vielfältigen Begleiter durch die Nächte. »Am besten wär das ganze Theater längst vorbei und Oberammergau wieder ruhig. Weshalb bin ich denn aus München hierher?«

Auf seinen Oberschenkeln der Polizeibericht von vorgestern, seine Notizen dazwischen. Vom Garten vor dem Pilatushaus hatten sie ein paar Ginflaschen samt der jugendlichen Konsumenten aufsammeln und einige von ihnen ins Krankenhaus verlegen müssen. Und als wäre das einfach nur eine Sache von Gleichgewicht im Leben: Die Mägen der Jugendlichen waren bald darauf leer gepumpt wie die Flaschen, sein Schreibtisch dafür umso voller mit dem Papierkram, den das nach sich zog.

»Okay, Theresa!« Er nickte, schaltete den Beamer aus. »Und fass bloß nichts an! Bitte!« Er trennte sich von der Couch, tauschte Jogginghose und Shirt gegen Jeans und Hoodie. »Ich muss zusehen, wen ich als Erstes erwisch, den Chef oder die Flo. Aber: Wir sind unterwegs.«

Toni fuhr seinen Haaransatz entlang über die immer länger werdende Stirn. »Bleib im Auto, Theresa. Wenn auf dem Hof schon was passiert ist, ist der Täter vielleicht noch dort. Dann bist du die Nächste. Und wenn dir was passiert …« Er hustete und griff nach den Zigaretten. »Nein, ist mir egal, ob du das denkst. Du bleibst in deinem Wagen!« Er schnaubte. »Zehn Minuten, fünfzehn höchstens!« Er steckte das Handy in die Tasche. »Sturschädel«, knurrte er.

Von seinem Haus bis zur Dienststelle war und blieb das Telefon von Anton Sollinger, dem Leiter der Oberammergauer Polizeistation, belegt. Im Gegensatz zu Kollegin Dinklmeier, wofür er sie zum Dank aus dem Feierabend riss. Als er seinen Hyundai parkte, wunderte er sich über das erleuchtete Fenster in der Polizeistation. Er ahnte den Grund.

Licht fiel auf die eine Hälfte von Sollingers Gesicht, Schatten verzerrten die andere. Der Hauptkommissar telefonierte und notierte. Immer noch. »Ja, was ein Hashtag ist, weiß ich«, hörte Toni ihn ins Telefon zischen. Immer wieder krampfte Sollinger die Finger in die vorderen Fransen seines Kurzhaarschnitts und zupfte daran. Wenn der Friseurbesuch ein paar Tage überfällig war, wirkte Sollinger mehr als nur zwei Jahre jünger als Toni, die angedeuteten Geheimratsecken fielen noch weniger auf. Es sei denn, die Anruferin hieß Christiane und war Chefredakteurin der lokalen Nachrichten.

Toni nahm sich den Dienstwagenschlüssel. Im selben Moment hörte er den alten 3er-BMW heranscheppern, Dinklmeiers BMW. Kurz warf er noch einen Gruß ins Büro seines Vorgesetzten. Bei Sollinger würde das Telefonat noch eine Weile dauern, er gestikulierte: zuckende Finger über einer imaginären Handytastatur. Er wollte per SMS auf dem Laufenden gehalten werden.

Die Spiegelreflex schnappte Toni sich noch aus der Schublade und anschließend direkt vom Parkplatz Floriane, die sich über den spontanen Einsatz freute wie auf kalten Rosenkohl. Er drückte ihr die Schlüssel in die Hand. Bis zum Dienstwagen schaffte er vier Züge am Nikotinstängel, schnippte dann seine Kippe durch die Luft und sah sie in der Pfütze verglühen. »Thaller-Hof«, brummte er. Die Beifahrertür knallte zu. »Über die Bahnhofstraße.«

Flo fuhr, Toni steuerte die Musik und schickte die ersten Infos an Sollinger. Kurz rutschte sein Blick am Passionstheater hoch zu dessen Glasdach, das ihn jedes Mal an einen dieser Kartoffelchips erinnerte. Pringles.

Als sie das Festspielhaus passierten, hatte er die Spurensicherung bestellt. Auf dem Palmesel vom Brunnen blickte ihnen die Jesusstatue traurig hinterher, bevor sich der Trichter des freien Platzes wieder verengte und die Straße zurück in die kleine Ortschaft zwängte. Den Berg im Blick, lenkte Flo den Dienstwagen vorbei an den holzverkleideten Obergeschossen, den Fassadenmalereien, den bunten Fensterläden. Mitten durchs Idyll. Oder die Illusion davon. In der Dunkelheit wirkten die Geranienkissen an den Balkonen wie fleckige Beulen, manchmal wie blutige, wenn das Licht ungünstig fiel.

Toni öffnete den Chat auf seinem Smartphone und tippte. Der Streifenwagen kreuzte die Ammer.

»Doch keine ruhige Nacht, Chef?« Floriane gähnte.

»Nacht? Setz einen Haken dran für die ganze Woche. Das war‘s mit der Ruhe.« Auf Tonis Handy leuchtete in dem Moment Theresas Antwort auf. »Als ob es nicht reichen würde mit der Aufregung um die Premiere, und überhaupt dieses ganze Touristenspektakel.«

»Nicht dein Ernst? Aus der Großstadt hier reinschmecken und dann drauf schimpfen, was Oberammergau ausmacht.« Flo schaltete hoch. »Jeder hier ist stolz darauf, Teil von der Passion zu sein.«

»Erzähl mir, was du willst!« Toni starrte in die Nacht, fixierte den Bergzinken. »Alle sind überdreht und gestresst – neben ihren Jobs müssen sie ja auch noch ständig proben, und mit dem Fell im Gesicht glauben manche vielleicht, sie sind jetzt den Bären näher oder unseren Verwandten im Neandertal.«

»Hier geht’s um die Gemeinschaft. Und: Die Passion ist Tradition! Dafür lässt man sich halt auch die Haare und den Bart wachsen.« Flo beschleunigte.

»Tradition?« Er verdrehte die Augen. »Anderen möglichst viel Geld aus der Tasche zu ziehen ist also Tradition. Erzähl mir nicht, dass das die Liebe zur Tradition ist und Ausdruck der Verbundenheit mit eurem Glauben. Es sind der Wahnsinn und die Gier, die Oberammergau mit Touristen überschwemmen. In den Lokalen klingelt die Kasse, und die Hotels vermieten die letzte Besenkammer.«

»Netter Nebeneffekt.« Floriane zuckte mit den Schultern. »Apropos Besenkammer: Der Chef bezieht sein Lager jetzt direkt in der Station, hab ich das richtig gesehen? Er ist doch schon längst ausgezogen und wohnt allein. Ist die neue Wohnung so furchtbar?«

»Ach, frag mich …« Er zuckte mit den Schultern.

»Verstehen muss man’s nicht«, seufzte Flo und gähnte. »Aber mal zum Punkt: Was ist schon wieder los auf dem Thaller-Hof?«

Toni schüttelte den Kopf. »Die Spurensicherung ist in einer guten Stunde da. Kein Einbruch. Die Thallers …« Er zögerte.

»Sonja und Franz heißen die, Chef«, sagte sie.

»Sag zu mir nicht immer Chef, Flo, sonst kriegt unser Chef irgendwann die Krise.«

»Baurieder, stell dich nicht so an.« Flo lachte. »Chef sagt man halt, Chef. Das darfst nicht so eng sehen.«

»Ach, Flo. Sag halt einfach zum Chef: Chef, und zu mir: Toni. Oder Baurieder. Münchner Gscheidhammel, meinetwegen. Dann weiß jeder, wer gemeint ist. Das ist effizienter. Und außerdem ist Anton schon länger hier als ich.« Er zog die Augenbraue hoch. »Oder: immer noch.«

»Aber er ist jünger, und er sieht das auch nicht so eng, Chef.«

»Nur, weil er vierzig ist. Zwei Jahre machen keinen großen Unterschied.«

»Stell dich halt an, Prinzessin!« Sie zuckte mit den Schultern. »Jeder weiß, wer der Chef ist. Und dem ist das grad wurscht, ob wir ihn Chef, Sollinger oder Dipferlscheißer heißen. Bloß: Anton – das mag er nicht auf der Arbeit.« Ihr Blick streifte ihn. »So hat ihn die Christiane immer genannt. Hast das in dem letzten Jahr immer noch nicht mitgekriegt?«

Toni winkte ab. »Anton und dir war ein Ausflug in die große Welt nach gut zwei Jahren vielleicht genug. Zu Sherlock und Watson macht euch die Ortskenntnis hier aber noch lange nicht.« Im Chat tippte er die nächste Nachricht. »Und jetzt Klappe, Oberwachtmeister Dinklmeier. Wir haben zwei Tote. Sonja und Franz Thaller.«

»Oberwachtmeisterin, gefälligst! Hast das noch nicht mitgekriegt, wie wichtig es ist, richtig zu gendern?« Flo schaltete runter. »Wer hat‘s gemeldet?«

»Theresa.«

»Die Theresaaa? Willst dich bei ihr einschleimen?« Flo streckte die Zunge gegen ihn. »Theres heißt die. Theres Hack. Wir sind hier nicht in München bei den Geschniegelten.«

»Depp.«

»Deppin, bittschön! So viel Zeit muss sein. Bei meinen Eltern hat‘s bei der Taufe freilich auch zur Floriane gereicht.« Sie strubbelte durch ihr Haar. »Florian wäre schon nicht so gut gewesen.«

»Klappe! Autofahren! Jetzt!«

»Theresaaa«, äffte sie ihn nach und schnalzte mit der Zunge. »Eventmanagerin, Metzgerin, Jägerin, Totenfinderin«, zählte sie auf. »Das ist eine beachtliche Menge an Titeln. Da ist schon klar, dass die Straßenschluchten in Wien zu klein geworden sind und sie wieder zurück ist zu uns nach Oberammergau.«

»In Wien hatte sie ihre eigene Agentur, mit über zwanzig Angestellten …« Toni erinnerte sich an den Umbau der Fleischerei Hack, an das Gerede der Leute. »… und dann schmeißt sie alles hin – für eine moderne Metzgerei ohne Schweinefleisch. Schon verrückt, oder? Was ist da wohl passiert?«

»Metzgerei?« Flo lachte. »Eigentlich darf man das doch gar nicht so nennen, oder? Was ist das für eine Metzgerei ganz ohne Sau und nur bio und regional und mit Wild. Ein bissl spinnert ist das schon. Aber trotzdem: mutig. Und wer Mut hat, der verdient Respekt. Auch wenn sie vielleicht nicht lange über die Runden kommt damit.«

»Aber es ist doch nicht neu, was die Theresa macht. Abgesehen von der Sache mit ohne Sau. Eigentlich eher alt.«

»Es ist halt nicht Aldi und nicht Media Markt. Kein: Geiz ist geil«, sagte Flo, setzte den Blinker und bog auf die Zufahrtsstraße zum Hof. »Und jetzt hat’s die Thallers erwischt. Schade um den guten Gin.«

»Das Kloster Ettal produziert auch Gin.« Er runzelte die Stirn. »Waren die nicht Konkurrenten?« Er musterte Flo. »Haben die Thallers selbst gebrannt auf dem Hof?«

»Mei, du Baumschüler. Was meinst du, was du in den ganzen Wirtschaften trinkst? Sicher nicht die Milch von den Thaller’schen Kuhherden.« Sie hob den Zeigefinger. »Und glaub nicht, du kriegst Beifall, wenn du jetzt sagst: Die Thallers haben ja gar keine Kuhherden. Dir ist klar, dass eine Maß Bier mehr kostet, als man für ein Kälbchen gezahlt bekommt?«

»Ach, Flo! Das ist bloß das Gejammer der Landwirte.«

»Als Bauer kannst du nur ganz groß überleben, wenn du die ganzen Vorschriften um der Vorschriften willen einhalten willst. Oder ganz dreckig. Oder beides – also groß und dreckig. Der alte Hof von Franzls Eltern war zwar runtergewirtschaftet und dreckig, aber zu klein. Also haben Sonja und Franz das bissl Vieh verkauft, die Felder verpachtet.«

Toni hakte ein. »Die Staatsregierung hat schon ihre Gründe, weshalb sie die Vorschriften erlässt.«

Die Kollegin zuckte mit den Schultern. »Erzähl, was du willst. Gründe vielleicht, aber am Ende interessiert sich keiner für die Viecher oder die Menschen. Verdienen tun die Bauunternehmen, die Industrie, die Konzerne.« Kopfschüttelnd fuhr sie fort. »Für mehr Profit fressen wir am Ende den größten Müll. Jedenfalls: Das wollten die Thallers nicht. Und eine Bio-Metzger-Theres gab’s vor drei Jahren auch nicht, um vielleicht gemeinsam ein anderes Konzept aufzuziehen – bio, nachhaltig und so. Also haben sie sich die Lizenz für die Brennerei geholt und das alte Geraffel komplett auf den Kopf gestellt.« Unter den Reifen knirschte und gnazte der Schotter, als sie in die Stichstraße einbogen.

Toni runzelte die Stirn. Flos Bremsmanöver direkt vor dem Wohnhaus presste ihn gegen den Gurt. Er knurrte. »Und was soll das?« Erst auf das Haus, dann auf die Motorhaube deutete seine Geste. »Zurück. Wir sind nicht bei der Führerscheinprüfung, sondern bei der Ermittlung. Glaubst du, ich will im Scheinwerferlicht den Rauputz vom Haus studieren?« Er deutete über die Schulter. »Ab in die Mitte vom Hof, mit Abstand zum Stall, und dann lass die Scheinwerfer brennen.«

»Und den Motor an?«

Toni musterte Flo. »Wir sind in den Bergen, mitten in der Natur! Motor aus, Herrgott! Deine Ausscheidungen gräbst ja auch nicht bei deinen Pflanzen daheim ein, oder?«

»Pups-Logik? Ernsthaft? Tsss. Und das von einem geleckten Großstädter wie dir …«

»Wenn’s hilft.« Sein Sicherheitsgurt sprang auf. »Falls es die Batterie nicht packt, überbrücken wir.« Er deutete auf Theresas Geländewagen.

»Die Metzger-Res kriegt alles hin. Na dann, Chef«, schnappte Flo.

»Klappe! Hol den großen Strahler und die Extra-Batterie aus dem Kofferraum. Beim Stall fangen wir an. Und Absperrband …«

»Und Absperrband und Absperrband und Absperrband. Und Handschuhe. Verstanden, Chef.«

»Toni«, knurrte er und warf die Beifahrertür zu. »Depp … Deppin, halt dann.«

Beinah verdeckte das alte Bauernhaus den Zinken des Kofel, aber selbst aus der Perspektive stieß er noch über das Dach hinweg in den Himmel. Toni schloss die Lider und atmete die Frühlingsluft ein. Er schmeckte die Blüten, die Birken. Pfingstrosen mussten irgendwo in der Nähe sein. Tonis Hand glitt zu der Zigarettenschachtel, stoppte, öffnete die Augen.

Er öffnete die Augen. Ein Riss in der Nacht, an den die Schatten sich nicht wagten, dunkel von Fuß bis Hals, das Haar zum losen Zopf. Sie. Er zog seine Hand zurück.

»Überraschend nah am Auto.« Toni lächelte. »Also, du.«

Sie lehnte an der Beifahrertür, die Beine locker gekreuzt, die eine Hand in der Tasche der Jeans, das Messer an ihrer Seite, die andere um den Stiel einer Axt. Die Lider halb gesenkt, den Blick klar und wach und forschend. Nur ein Mµ hob sich ihre Braue, ihr rechter Mundwinkel. Ein Lächeln.

»Theres…« Mit Blick auf seine Kollegin schluckte er den letzten Buchstaben, stoppte einen Schritt entfernt. Jasmin, Zimt, Rose, Iris, Vanille, roch er. Und Hund. Wolfin wachte zu ihren Füßen. Und wie zur Bestätigung der Anwesenheit einer weiteren Person warf Oberwachtmeisterin Dinklmeier den Kofferraumdeckel des Dienstwagens zu. Theres’ Mundwinkel schob sich höher.

»Den Scheinwerfer kannst gleich stehen lassen«, rief er über die Schulter zu Flo. »Ich bin sofort da.«

»Wir«, sagte Theres.

Er deutete auf die Axt. »Vielleicht ohne die?«

Theres’ Augen funkelten. »Eine Axt mehr oder weniger …« Sie zuckte die Schultern, ihre Stimme rieb durch die Dunkelheit. Im nächsten Moment griff sie etwas vom Autodach, trat auf ihn zu und legte es ihm in die Hand. »Vorsichtig damit.«

»Was ist das?« Nachgiebig schmatzte ein in Plastik gewickeltes Päckchen unter dem Druck seiner Finger. »Hast du noch ein, zwei Worte dazu, oder ist Schweige-Montag?«

»Fürs Labor. Giftköder, vermutlich.«

»Für den Hofhund?«

Sie nickte.

»Mit Wolfin ist alles okay?« Toni legte den Giftköder aufs Dach des Dienstwagens. »Und danke, dass du nicht einfach einen ihrer Kot-Beutelchen genommen hast.«

»War mein erster Gedanke. Aber für die Jagd hab ich ja auch andere Plastikbeutel dabei.«

Er rollte mit den Augen. Dann übertrieb er eine Verbeugung. »Danke auch.«

Sie nickte. Einmal. »Hat Anton heut keinen Dienst?«

Toni räusperte sich. »Ich bin hier und Flo. Das sollte reichen«, sagte er. »Du warst zur Jagd?«

Sie deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Rehkitz, vor der Stiege.«

»Res, servus!« Floriane kehrte zurück, ihre Hand fand die Stelle zwischen Wolfins Ohren, Wolfin hielt still und …. Hätte nicht ein kalbgroßer Hund neben ihm gestanden, Toni hätte geschworen, Wolfin schnurrte.

»Flo.« Theres hob ihr Kinn zum Gruß. Dann setzten sich die drei in Bewegung, Richtung Stall. Kiesel knirschten unter ihren Schritten. Über ihnen zogen sich nachtdunkle Schatten wie ein Band aus dunkelstem Grün am Kofel von seiner Mitte bis zur Schulter.

»Ah, mei«, sagte Flo. »Nach den Jugendtagen und den ausgepumpten Mägen vom Wochenende hab ich echt gedacht, es wird ruhiger vor der Passion. Alkoholvergiftungen und Ruhestörung waren genau das Richtige für unseren Großstadtschriftsteller hier.«

»Klappe, Dinklmeier!« Tonis Blick schweifte über den Hof vom Haus zum Stall.

Floriane ignorierte ihn. »Aber wenigstens war’s nicht ganz schlecht für deine Metzgerei, oder, Res?«

Die Jägerin nickte. »Leberkässemmeln gehen immer, selbst von der Wildsau.«

»Das glaub ich«, antwortete Flo.

Toni schnitt dazwischen. »Theres, am Telefon hieß es: zwei Tote.«

Sie deutete zum ehemaligen Stall. »Da war Feuer, das hab ich gelöscht. Und die Tür von der Brennerei aufgebrochen. Von innen.«

»Von Feuer und Türen aufbrechen war am Telefon keine Rede!« Sein Blick hinderte Dinklmeier daran näher zu treten. »Das geht so nicht! Du kannst dich nicht …«

»Brikett ist so wenig aussagekräftig, find ich.« Theres’ Finger malten Flammen in die Luft. »Aber vermutlich macht das bei einer Obduktion keinen Unterschied, oder? Brikett oder unverbrannte Überreste?« Sie drehte sich zu Flo, überlegte es sich dann anders. »Gut, nächstes Mal weiß ich Bescheid.«

»Gscheidhaferl.« Toni sah Flos Mundwinkel zucken, sie drehte sich zu spät ab und konnte ihr Grinsen nur halb verbergen. Er atmete aus. »Also gut, erzähl! Was war das mit dem Feuer? Wir können auch raten, aber …« Er sah sie an, sah auf die Uhr seines Telefons, sah zur Kollegin. »… irgendwann würd ich gern ins Bett. Und die Dinklmeierin muss auch heim zu ihrem Mann.«

»Freund«, warf Flo ein. »Und müssen tu ich gar nix. Du hast mitgekriegt, dass wir im einundzwanzigsten Jahrhundert leben, du Macho?«

Theres räusperte sich. »Die Tür war verriegelt, der Schlüssel fort, das Licht aus. Montags ist das falsch.« Im Mondlicht wirkte sie silberkalt wie die höchste Kante des Berges.

»Weil?« Tonis Hand wanderte zur Zigarettenpackung in seiner Jackentasche, die Finger berührten die Kanten.

Theres verlagerte das Gewicht auf den anderen Fuß. »Montag ist immer Gin-Tag.«

»Und?«

»Musik im ganzen Hof, offene Türen, Licht.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Egal. Ich bin hintenrum rein zu der kleinen Tür …«

»Woher …?«

»Letzten November hab ich das Catering für die Allerheili-Gin-Party der Thallers organisiert. Da hilft es, das Gelände und die Gebäude zu kennen und zu wissen, wo es Strom gibt.« Sie winkte ab. »Das Feuer hab ich gelöscht. Zur Sicherheit. Gebrannt hätte das vermutlich nie. Frag mich nicht, was der Mörder wollte. Um Beweise zu verbrennen, war er zu … sagen wir: untalentiert. Der Franzl liegt bei seiner Destille mit Kopfwunde, kein Lebenszeichen mehr. Der Hammer daneben ist nicht von mir.«

Flo kratzte sich am Kopf. »Wie hast du das überprüft?«