Korsika - Olga Gridneva - E-Book

Korsika E-Book

Olga Gridneva

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Beschreibung

Ein historischer Roman über Liebe und Leidenschaft in Zeiten der Französischen Revolution. Letizia de Mormon, Tochter aus gutem Haus, ist seit Kindertagen in Napoleon Bonaparte verliebt. Doch als sie eines Tages dessen Freund Eduard de Gamelin trifft, ist es hoffnungslos um sie geschehen. Nach der Abreise ihres Geliebten tritt Letizia in ein katholisches Pensionat ein und hält Briefkontakt zu Eduard. Als Letizia jedoch nach ihrem Abschluss nach Hause zurückkehrt, erfährt sie, dass Eduard bereits verheiratet ist, und so willigt sie selbst in eine Hochzeit mit ihrem Cousin Armand de Rambal ein. Jahre ziehen ins Land, doch als Letizia und Eduard sich unverhofft auf einem Empfang wiedersehen, ist es um beide erneut geschehen. Die Beziehung ist kompliziert. Als sie sich in einem Streit trennen und Letizia nach Paris fährt, weiß sie nicht, dass dort ein Aufstand stattfindet und die Bastille bereits von Aufständischen eingenommen wurde ...

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Korsika

Verstecktes Feuer der Leidenschaft

Olga Gridneva

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Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet - herzsprung-verlag.de

© 2021 – Herszprung-Verlag

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Cover: © germancreative

Aus dem Russischen übersetzt.

Deutsche Textbearbeitung: Martina Meier MA

Lektorat und Herstellung: CAT creativ – cat-creativ.at

ISBN: 978-3-98627-003-2 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-98627-012-4 - E-Book

*

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Die Autorin

Buchtipp

*

Kapitel 1

Der pompöse goldene Spiegel zeigte die wunderbare Schönheit eines jungen Mädchens. Dickes, blondes Haar bis zur Taille, große, mandelförmige Augen in einem weichen goldenen Farbton und umrahmt von langen Wimpern. Das Mädchen war aufgebracht. Vor ihm lag ein Dutzend Kleider, eines schöner als das andere. Dennoch wusste es nicht, welches es für diesen besonderen Anlass auswählen sollte.

„Welches soll ich nur anziehen?“, rief Letizia verzweifelt aus.

„Letizia, um Gottes willen, du hast eine kostspielige Auswahl an Garderoben. Wähle das Kleid aus, welches dir spontan am besten gefällt, dann können wir schon bald aufbrechen und zu den Bonapartes fahren“, sprach Mariam und strich ihrer Tochter das Haar glatt.

„Mutter, hast du nicht die Kleider der Damen der oberen Gesellschaft gesehen? Und schau dir meine an! Ich muss bei diesem Empfang einfach alle überstrahlen. Immerhin hat Napoleon Geburtstag. Und er soll nur Augen für mich haben!“

„Bei unserem letzten Besuch bei ihm schien es mir, als würde Napoleon dich nicht um deiner Kleider willen bewundern ...“, murmelte Mariam und runzelte die Stirn. Sie streichelte sanft das Gesicht ihres Kindes. „ ... sondern dafür.“

Letizia besah sich selbst noch einmal von oben bis unten im Spiegel. Sie war die Tochter des angesehenen Adligen Philippe de Mormon, der vor einigen Jahren auf den Weltmeeren bei einem grausamen Schiffsunglück gestorben war, und einer sehr schöne Französin aus der altehrwürdigen Familie de Rambals, die in ihrer Jugend zu den begehrtesten Frauen in Frankreich gehört hatte.

Letizia glich ihrem Vater in vielen Dingen – sie war freiheitsliebend wie er, zeigte sich oft unbezwingbar und hatte manchmal eine leicht herrische Veranlagung, die sich bereits in Kindertagen manifestiert hatte.

Seit einem Jahr war das Mädchen, dessen engelsgleiches Äußere so gar nicht ihrem wilden Wesen glich, in Napoleon Bonaparte verliebt, den Sohn von Carlo Bonaparte und Letizia Ramolino, der derzeit in Frankreich an der Militärschule Brienne-le-Château studierte und nun wieder einmal nach Korsika gekommen war, um seine Familie zu besuchen.

Letizia de Mormon war stolz darauf, den gleichen Namen wie Napoleons Mutter zu tragen, sah sie doch darin einen Wink des Schicksals und eine besondere Verbundenheit zu dem Mann, den sie so sehr bewunderte.

Obwohl Napoleon vier Jahre älter war als sie, war auch er fasziniert von dieser jungen Kreatur mit fröhlichem Charakter. Sie waren von klein auf vertraut – Napoleon spielte schon in Kindertagen immer die Rolle des Beschützers und Schutzpatrons des kleinen Mädchens. Napoleons Freunde machten sich oft über die Tatsache lustig, dass ein so junges Mädchen an ihm festhielt, aber Bonaparte konnte darin nichts Negatives sehen. Ganz im Gegenteil – er fühlte sich durch die Bewunderung des Mädchens sehr geschmeichelt. Außerdem war Letizia viel schöner als die Begleitungen seiner vielen Freunde und Bekannten.

Und gerade an diesem besonderen Tag, der Wiedersehensfeier mit seiner Familie, wollte Letizia besonders attraktiv aussehen. Napoleon sollte wissen, wie sehr sie sich danach sehnte, ihm nahe zu sein. So fiel ihre Wahl schließlich auf das feuerrote Kleid, das ein Freund ihres Vaters – Jonathan Joyce – ihr von einer seiner Reisen mitgebracht hatte. Joyce liebte dieses Mädchen wie seine eigene Tochter, war es ihm doch nie gelungen, eine eigene Familie zu gründen. Letizia wusste, dass sie in diesem Kleid, das jedem Besucher sofort ins Auge stechen würde, alle anderen Frauen auf diesem Fest ausstechen würde. Dass es vielleicht ein wenig zu freizügig für ein so junges Mädchen wie sie war, interessierte Letizia nicht. Bei einem letzten Blick in den Spiegel korrigierte sie noch hier und da eine ihrer Locken, dann hakte sie sich bei ihrer Mutter unter – sie war bereit für einen besonderen Abend.

***

Letizia atmete die warme Sommerluft ein. Korsika hatte seinen eigenen, unvergleichlichen Geruch. Eine üppige Mischung aus einer unvorstellbaren Auswahl an duftenden Kräutern, Blumen und immergrünen Sträuchern, die reich an ätherischen Ölen waren: Rosmarin, Lavendel, Wacholder, wilde Pistazien und Myrte. In der sengenden Sommersonne erfüllt diese duftende Flora die Insel mit einem würzigen Duft, den man nirgendwo anders fand. Dieser Duft sowie der salzige Geruch des Meeres und der frische Atem der Berge ließen jeden schwindelig werden, der diese Insel zum ersten Mal betrat.

Letizia liebte ihre Heimat wie ihr Leben und konnte sich nicht vorstellen, diesen Ort jemals zu verlassen. Sie war sich sicher, dass nur ein Ereignis von unglaublicher Bedeutung sie zu einem solchen Schritt veranlassen konnte. In diesem Punkt unterschied sie sich dann doch von ihrem Vater, der das Reisen durch die Welt geliebt hatte – und diese Leidenschaft schließlich mit dem Leben bezahlt hatte.

***

Mariam und ihre Tochter näherten sich den Toren eines kleinen, aber ordentlich aussehenden Hauses in der Altstadt von Ajaccio. Sie fanden nicht oft den Weg in diesen Teil der Stadt, aber zu einem solchen Anlass scheuten sie den Weg von ihrer opulenten Behausung in dieses Stadtviertel nicht. Madame de Mormon blieb stehen, um die widerspenstigen Locken ihrer Tochter noch einmal zu glätten. Die winkte ihrer Mutter jedoch ungeduldig zu, rannte ungestüm zur Tür und klopfte an. Eine junge Bedienstete der Familie Bonaparte, nicht viel älter als Letizia selbst, öffnete und Letizia flog wie ein Vogel in den Flur des Hauses.

„Letizia, Liebes!“, rief sogleich Joseph Bonaparte, Napoleons älterer Bruder, bei ihrem Anblick aus.

„Guten Abend, Joseph, ich freue mich, Sie zu sehen!“ Nachdem Letizia einen Knicks gemacht hatte, lächelte sie.

„Ich bin dir gegeben, du wirst jeden Tag schönen“, rief der junge Mann inbrünstig aus und fügte hinzu: „Napoleon wird sich freuen, dich zu sehen! Er ist im Wohnzimmer und unterhält seinen französischen Freund, der mit ihm nach Korsika kam.“

Letizia knickste erneut und machte sich auf die Suche nach dem Mann, für den ihr Herz schlug. Als sie ihn entdeckte, stand er umgeben von jungen Leuten, die sich ausgelassen mit ihm unterhielten. Als Letizia ihn sah, setzte ihr Herz zwei Schläge lang aus und ihr Atem stockte. Sie hatte ihn seit vielen Monaten nicht gesehen und Tränen der Freude füllten ihre Augen. Ohne an irgendwelche Konventionen zu denken, lief das Mädchen ihm entgegen und fiel ihm sogleich um den Hals. „Alles Gute zum Geburtstag, Napoleon! Ich bin so froh, dich zu sehen!“ Letizia lächelte und drückte den Mann noch fester an sich.

Bonaparte nahm ihre kleinen Hände in seine und sagte schließlich: „Ich danke dir, liebe Letizia.“

Dann wandte er sich an seine Freunde, die verblüfft auf dieses bildhübsche Mädchen in seinem feuerroten Kleid blickten, das den jungen Bonaparte verliebt ansah. „Liebe Freunde, ich möchte Ihnen Letizia de Mormon vorstellen, eine Freundin meiner Kindheit, die ich sehr schätze und liebe.“

Letizia, die erst jetzt gewahr wurde, dass alle sie unverblümt anstarrten, drehte sich zu Napoleons Freunden um und nickte ihnen freundlich zu.

Dann sah sie ihn! Ein Bild von einem Mann, groß, muskulös und unglaublich gut aussehend. Dickes schwarzes Haar umrahmte sein gebräuntes Gesicht, durchdringende blaue Augen waren hell wie der Himmel an einem sonnigen Tag. Letizias Inneres zog sich zusammen und in ihrem Bauch zitterte es, als wäre eine ganze Horde Schmetterlinge auf einmal zu einem Rundflug gestartet.

Das Mädchen nahm seinen ganzen Mut zusammen und hielt ihm ihre Hand entgegen. Ein Affront, der Letizia allerdings nicht weiter störte. „Es freut mich, dich kennenzulernen! Napoleons Freunde sind auch meine Freunde“, begrüßte sie den Fremden.

Der junge Mann verneigte sich galant und als er ihren Blick erwiderte, musterte sie sein Gesicht, das so schön wie das eines griechischen Gottes war. In seinen faszinierenden Augen konnte man ertrinken ...

„Letizia, Liebste!“, hörte Letizia plötzlich eine Stimme hinter sich und erkannte diese gleich als die von Eliza Bonaparte, ihrer langjährigen Freundin und jüngere Schwester Napoleons.

„Oh, ich freue mich so sehr, dich zu sehen, Eliza!“, rief sie zurück. Die beiden waren sich ebenfalls eine Weile nicht begegnet.

„Eduard de Gamelin“, flüsterte Eliza ihrer Freundin leise zu, denn sie hatte deren erstaunten Ausdruck auf deren Gesicht sogleich richtig gedeutet. „Er sorgt für Furore bei uns einheimischen Mädchen. Wirklich gut aussehend, findest du nicht auch?“ Sie nickte dem jungen Mann kurz zu.

„Oh“, erwiderte Letizia so gleichgültig wie möglich, obwohl die Schmetterlinge in ihrem Bauch freudig auf und ab hüpften. „Nicht schlecht“, urteilte sie schließlich und wechselte abrupt das Thema. „Wann ist Napoleon angekommen?“

Eliza seufzte und antwortete: „Gestern. Und wir sind ihm dankbar. Es ist für unsere Familie nach Vaters Tod nicht einfach. Joseph kam auch, um uns zu helfen.“

„Aha.“ Letizia wirkte abwesend. Immer wieder ging ihr Blick zu diesem außergewöhnlichen Mann.

„Eduard de Gamelin ist aus Ajaccio?“, fragte sie schließlich.

„Nein“, antwortete Eliza. „Er ist kein Korse. Er ist Franzose. Napoleon und er kennen sich von der Militärakademie. Sie sind gestern zusammen hier angereist. Eduard hat sich unseres kleinen Napoleon angenommen, als er nach Brienne-le-Château kam.“

Letizia sah, dass Eduard sie aus den Augenwinkeln heraus aufmerksam beobachtete. Die Wangen des Mädchens brannten sofort vor Hitze und nahmen die gleiche Farbe wie ihr Kleid an. Letizia wandte sich ab und sagte zu Eliza: „Ich werde ein wenig in den Garten gehen, um einmal durchzuatmen. Hier ist es so ... stickig.“ Das Mädchen ignorierte den schelmischen Blick ihrer Freundin und hob die Röcke ihres Kleides ein wenig an. Dann ging die zur offenen Tür, die direkt nach draußen führte.

Letizia fand eine abgelegene Bank bei den Apfelbäumen, unter denen sie in Kindertagen oft mit Eliza, Napoleon und Joseph gespielt hatte. Sie setzte sich und fuhr sich über die Schläfen. Das berauschende Bild von Eduard de Gamelin ging ihr nicht aus dem Kopf und das Mädchen wurde wütend auf sich selbst. „Was ist los mit dir, du Närrin? Unter Napoleons Augen traust du dich, einen anderen Mann anzusehen. Aber es gibt niemanden, der besser ist als Napoleon!“, schalt sie sich selbst.

Letizia holte tief Luft, dann blieb ihr Herz fast stehen. Eduard de Gamelin stand vor ihr.

*

Kapitel 2

„Habe ich dich gestört?“, fragte Eduard und kam langsam weiter auf sie zu.

Letizias Hände zitterten und ihre Augen verdunkelten sich. Was zur Hölle war mit ihr los? Sie liebte doch Napoleon ... „Ich wollte gerade gehen“, erwiderte sie lauter, als sie eigentlich beabsichtigt hatte, und stand von der Bank auf, um ihr Kleid zu glätten.

Eduard hingegen setzte sich auf die Bank, knöpfte den Kragen seiner Jacke auf und legte seinen muskulösen Hals und seine Brust frei. „Es ist höllisch heiß im Haus. Du, so glaube ich, hast es auch bemerkt, gemessen an der Art und Weise, wie deine Wangen dort brannten“, sagte er mit einem Lächeln in den Augen.

Letizia hasste sich selbst und spürte, wie sich ihre Wangen erneut rot färbten. Solch eine Reaktion kannte sie von sich nicht und war froh, dass es draußen bereits dämmerte. So sah Eduard vielleicht nicht die erneut aufsteigende Röte in ihrem Gesicht.

„Du hast mich da drinnen unverhohlen angestarrt“, erwiderte sie. „Du bist Napoleons Freund. Das ziemt sich nicht.“

„Wenn du nicht so oft in meine Richtung geschaut hättest, hättest du nicht bemerkt, wie oft ich dich angeschaut habe“, gab Eduard zurück und lachte leise.

Letizia hob ihr Kleid an und ging schweigend auf den Weg zurück, der zum Haus führte. Sie wollte so schnell wie möglich weg von diesem unmöglichen Kerl. Deshalb bemerkte sie nicht einmal, dass der junge Mann ihr folgte und sie schließlich von hinten um die Taille packte.

„Wie kannst du es wagen! Lass mich gehen!“, rief Letizia dieses Mal wirklich erbost.

Doch das störte Eduard de Gamelin kein bisschen. Er war sich seiner Wirkung auf das andere Geschlecht durchaus bewusst. Und so fasste er sie nicht nur um die Taille, sondern zog sie sogleich noch ins nahe Gebüsch und begann, ihr Gesicht mit Küssen zu bedecken. Letizia widersetzte sich heftig. Sie schlug und biss ihn. Eduard ergriff ihre Hände und küsste Letizia direkt auf die Lippen, nachdem er es geschafft hatte, ihren Widerstand ein wenig zu brechen.

Die junge Frau schien plötzlich wie versteinert zu sein. Eduards Lippen waren warm und weich und der Kuss war ungewöhnlich sanft und angenehm. Eduards Hände glitten weiter sanft über ihren Körper und weckten Gefühle, die ihr bisher vollkommen unbekannt gewesen waren. Ihr Herz schlug heftiger denn je und ohne es selbst zu merken, begann das Mädchen Eduards Küsse leidenschaftlich zu erwidern.

Aus dieser süßen Gefangenschaft wurde Letizia durch ein lautes Lachen aus dem Haus befreit. Und nun bemerkte das Mädchen auch, was es da überhaupt tat. Letizia schob den jungen Mann von sich weg, sprang zur Seite und richtete ihr Kleid.

„Wie kannst du es wagen, mich zu berühren?“ Letizia stampfte wütend mit dem Fuß auf.

„Es war dein erster Kuss, nicht wahr? Nicht schlecht für eine Anfängerin“, sagte Eduard mit einem strahlenden Lächeln.

Das Mädchen konnte nicht widerstehen und ohrfeigte ihn laut, aber das amüsierte ihn nur noch mehr. „Was sind wir übermütig! Ich wage anzunehmen, dass dies nicht unser letzter Kuss war.“

Letizia schäumte vor Wut, drehte sich um und rannte davon. Im Haus stieß sie unter Tränen mit Napoleon zusammen. „Letizia, ich habe dich vermisst. Wo bist du gewesen?“ Er schaute sie erstaunt an. „Ist bei dir alles in Ordnung?“

Letizia schwieg und wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie wollte nur noch nach Hause. „Ich fühle mich nicht gut, mein Kopf schmerzt“, antwortete sie verlegen. „Ich glaube, ich werde jetzt meine Mutter suchen und dann mit ihr nach Hause gehen.“

„Ich werde dich begleiten“, antwortete Napoleon, nahm Letizia an die Hand und führte sie zu Mariam.

Madame de Mormon stand inmitten des korsischen Adels, als der junge Bonaparte ihre Tochter zu ihr brachte. Die Frau näherte sich dem Mädchen und bemerkte alarmiert, dass sie blass und müde aussah. Sie fragte Letizia: „Was ist los mit dir, meine Schöne? Fühlst du dich nicht gut?“

Letizia zuckte mit den Schultern. „Ich bin sehr müde und möchte nach Hause. Wenn es dir nichts ausmacht, Mutter, lass uns bitte gehen.“

Mariam sah Napoleon verwirrt an, aber auch er zuckte nur die Achseln. „Ich weiß nicht, was mit ihr ist“, antwortete er sogleich.

„Du hattest dich doch so auf diesen Abend gefreut“, wunderte sich Mariam. „Ich hatte vermutet, dass ich dich heute kaum nach Hause bekommen werde. Aber nun, da es dir offensichtlich nicht gut ergeht, lass uns gehen. Verabschiede dich bitte noch von unseren Gastgebern.“

Letizia knickste vor Napoleon, murmelte ihren Dank und wünschte noch einen schönen Abend. Das Mädchen ging vor, während sich ihre Mutter von der adeligen Gesellschaft verabschiedete und allen mitteilte, wie leid es ihr täte, dass es ihrer Tochter ausgerechnet an diesem Abend nicht gut sei.

***

Es war eine wunderschöne Sommernacht. Der Vollmond stand am Firmament und Grillen zirpten im Gras. Der süße Duft der Sommerblumen hing in der Luft. Musik und lautes Lachen kamen aus den offenen Fenstern des Saals. Letizia war traurig. Dieser Abend hätte unvergesslich werden sollen, so sehr hatte sie auf eine Erklärung Bonapartes gewartet. Und nun dies! Alle ihre Pläne waren durch ihre Bekanntschaft mit diesem unverschämten französischen Jungen zunichtegemacht worden. Frech und arrogant war er ... Das Mädchen lenkte seine Gedanken erneut auf Eduard de Gamelin und ging langsam den Weg zum Tor hinunter. Ihre Mutter würde ihr sicherlich bald folgen.

Sie trat auf die inzwischen leere Straße und schaute sich um. Besonders eine schöne goldene Kutsche, die von schneeweißen Pferden gezogen wurde, fiel ihr sofort ins Auge. Diese wollte sie näher betrachten und ging die wenigen Meter auf die Kutsche zu.

„Ich wünschte, ich könnte eines Tages ein solch wundervolles Gefährt mein eigen nennen“, sprach sie zu sich selbst und berührte mit ihrer behandschuhten Hand den Hals der Pferde. „Würde diese Kutsche mir gehören, so würde ich stolz und hocherhobenen Hauptes damit durch die Straßen Korsikas fahren und jeder würde sofort wissen, dass diese Kutsche mit diesen schönen weißen Pferden Madame Letizia de Mormon gehört“, dachte das Mädchen verträumt. Letizias Finger streichelten nun die goldene Pracht, als sich plötzlich eine Hand auf ihre eigene legte. Dabei hatte sie tatsächlich in ihrer Träumerei niemanden kommen hören. „Du rennst vor mir weg?“, flüsterte eine samtige Stimme direkt in Letizias Ohr.

Das Mädchen zog seine Hand unter der Handfläche des Mannes hervor und drehte sich zu ihm um. „Verfolgst du mich?“, fragte sie herausfordernd und sah dabei direkt in Eduards blaue Augen. Der junge Mann trat noch näher an das Mädchen heran und drückte es zärtlich gegen die Wand des Wagens. Von ihm ging ein würziges, berauschendes Aroma aus, das Letizia schwindlig machte und sie alles auf der Welt vergessen ließ.

Eduard vergrub sanft seine Nase in ihrem Haar und murmelte leise: „Du bist das schönste Mädchen, das ich je kennengelernt habe. Ich bin verrückt nach dir.“

Wieder setzte Letizias Herz für einen Moment aus. Was machte dieser Mann nur mit ihr? Gefühle, die sie noch nie erlebt hatte, stiegen heiß in ihr auf. Was geschah hier mit ihr? Trotz dieser Wirrungen sprach sie nun mit fester Stimme: „Ich liebe Napoleon. Niemanden sonst. Vergiss diesen Abend und das, was vorhin im Garten geschehen ist.“ Der magische Moment verschwand sofort, als hätte es ihn nie gegeben. Mit einem distanzierten und kühlen Blick zog sich Eduard zurück, verbeugte sich leicht und ging zurück zum Haus.

Letizias Kopf war völlig leer. Die Ereignisse des Abends stellten ihr Leben auf den Kopf. Erst gestern hatte sich das Mädchen wie verrückt darauf gefreut, Napoleon zu treffen. Und jetzt? Letizia konnte nicht glauben, dass das Treffen mit einem vollkommen Fremden ihre Gefühle für Bonaparte erschüttert hatten. Sie lehnte sich gedankenverloren an die goldene Kutsche. Ein warmer Wind wehte in ihr Gesicht und ihre Locken, die sich wieder einmal aus ihrer Frisur gelöst hatten, kitzelten sanft ihre rosa Wangen.

*

Kapitel 3

Letizia saß auf dem dicken Ast eines alten Baumes und flocht einen Kranz aus leuchtend gelbem Löwenzahn. Bereits im Morgengrauen war sie zu einem weiter entfernten Feld gegangen, das mit allerlei duftenden Blumen bedeckt war, um ihren geliebten Freund zu treffen. Es war ihr Ort. Schon viele Male hatte sie sich zu Spaziergängen mit Napoleon dort getroffen. Immer wenn er auf Korsika weilte, nutzten sie die Gelegenheit dazu. Auch dieses Mal war sie sich sicher gewesen, dass er kommen würde, auch wenn sie sich nicht direkt verabredet hatten. Inzwischen hatte die Sonne schon längst ihren höchsten Punkt erreicht und es wurde Letizia klar, dass Napoleon nicht kommen würde. Sie konnte nicht nachvollziehen, warum er ihre Lieblingstradition aufgegeben hatte. Nach und nach verdrehten Aufregung und Angst ihr Inneres. Es kamen Zweifel. Vielleicht hatte Eduard ihm etwas von dem leidenschaftlichen Kuss erzählt? Natürlich würden die Ereignisse von gestern Abend Napoleon wütend gemacht haben. Deshalb war er nicht zu seinem Treffen mit seiner Freundin erschienen.

Letizia warf wütend ihren schönen Blütenkranz zu Boden und sprang von dem Ast zu Boden, zog ihre Schuhe wieder an, die sie wegen dieses wunderbaren Gefühls, mit nackten Füßen über eine Wiese zu laufen, Stunden zuvor ausgezogen hatte, und rannte über das grüne Feld nach Hause. Ihr seidiges Haar flog in alle Richtungen, funkelte in der Sonne und schimmerte und spielte mit dem seichten Wind.

Das Mädchen wollte selbst herauszufinden, warum Napoleon nicht zu dem Treffen gekommen war. So sollte ihr Weg sie nicht gleich zur Mutter, sondern zunächst in Napoleons Elternhaus führen. Den Weg hatte sie schon oft alleine unternommen, nicht zuletzt, weil dort ja auch ihre liebe Freundin Eliza wohnte.

Nicht auf den Weg achtend, stand Letizia plötzlich vor einem Pferd mit Reiter. Ein Bote ihrer Mutter. Der Junge errötete bis zu den Haarwurzeln, als er gewahr wurde, wer ihm da über den Weg gelaufen war. Mit stotternder Stimme sagte er: „Entschuldigen Sie, Mademoiselle Letizia, aber Ihre Mutter hat mich geschickt. Ich soll Sie nach Hause geleiten. Ihr Cousin und Ihre Cousine sind aus Frankreich angekommen und möchten Sie sehen.“

Letizia sah ihn entrüstet an. „Ich bin auf dem Weg zu den Bonapartes“, rief sie aufgebracht. „Ich komme später nach.“

Aber der Bote versperrte ihr den Weg und sagte klagend: „Bitte, Mademoiselle, lassen Sie uns gehen, haben Sie Mitleid mit mir. Ihre Mutter wird sehr wütend auf mich sein, wenn ich Sie nicht mitbringe. Es war ihr ausdrücklicher Wunsch, dass Sie sofort kommen.“

Mit einem Seufzer fügte sich das Mädchen schließlich, es hatte tatsächlich ein wenig Mitleid mit dem Jungen, wusste sie doch nur zu gut, wie ungemütlich ihre Mutter werden konnte, wenn man ihre Befehle missachtete. Der Bote überließ sein Pferd dem Mädchen, das eine hervorragende Reiterin war.

Als Letizia zu Hause angekommen war, fragte sie sogleich die erstbeste Zofe, die ihr begegnete, wo sich Mutter und Gäste aufhalten würden.

„Im Salon“, erhielt sie zur Antwort.

„Sagen Sie meiner Mutter, ich komme gleich“, entgegnete sie und huschte sogleich in ihr Zimmer, um sich noch ein wenig frisch zu machen. In diesem Aufzug und mit Blättern im Haar konnte sie sich auf keinen Fall der vornehmen Verwandtschaft, die eigentlich auf einem Château in Fontainebleau lebte, zeigen.

***

Schon vor der Salontür hörte Letizia wenig später das gurgelnde Lachen ihrer Mutter gemischt mit einem dicken, männlichen Bass. Charles de Rambal amüsierte seine Schwester wie üblich mit scharfen Witzen, die am Hofe des französischen Königs Ludwig XVI. aktuell sehr beliebt waren. Letizia flog mit einem Lächeln auf den Lippen in den Raum und begrüßte die Gäste herzlich.

„Mein Kleines! Wie lange habe ich dich nicht gesehen! Lass dich betrachten“, rief ihr Charles de Rambal sogleich zu und zog sie in eine seiner herzlichen Umarmungen, die Letizia so liebte. Ihr Onkel war ein stattlicher Mann mit prallem Bauch, denn er liebte gutes Essen über alles. Sein Bart und sein Anzug waren nach der neuesten Pariser Mode gestylt. Sie hatte einmal eines dieser Modejournale in Händen gehalten, die allerdings nur schwer ihren Weg nach Korsika fanden, deshalb wusste sie, was derzeit in Paris en vogue war.

Ihren Onkel hatte Letizia schon einige Jahre nicht mehr gesehen. Wenn er sich nicht in seinem Château aufhielt, lebte in Paris und hatte eine Ehrenposition am Hof inne. Seine Frau Regina de Rambal, eine bezaubernde französische Schönheit, war vor einigen Jahren an einer schweren Krankheit gestorben und Charles mit zwei damals noch unmündigen Kindern alleine gelassen. Eine mütterliche Zofe hatte sich um die Kinder gekümmert, denn Charles war beruflich stets sehr eingebunden gewesen, sodass er auch nur äußerst selten den Weg zu seiner Schwester fand, die seit ihrer Vermählung mit Philippe de Mormon auf der Mittelmeerinsel Korsika lebte. Sie hatte auch nach dem Tod ihres Mannes ihren Wohnsitz dort nicht aufgeben wollen. Zu gerne hätte es Charles gesehen, wenn sie mit ihrer Tochter in sein Haus gezogen wäre. So hätten die drei verwaisten Kinder doch Vater und Mutter in ihm und seiner Schwester gehabt. Die wilde Letizia hätte hin und wieder eine starke Männerhand gebraucht und seinen eigenen Kindern hätte mütterliche Liebe sicherlich auch gutgetan.

Seine Tochter Margarita war ein sehr kluges, frühreifes Mädchen, ruhig und vernünftig, wie Charles fand. Armand, sein Sohn, war ein stattlicher junger Mann, der vor nicht allzu langer Zeit achtzehn Jahre alt geworden war und bereits jetzt, zu Charles’ Leidwesen, am französischen Hof in dem Ruf stand, ein wahrer Frauenheld zu sein. Und dabei spielte es für den jungen Mann offensichtliche keine Rolle, wie alt seine Damen waren oder in welcher gesellschaftlichen Stellung sie lebten.

„Was für eine Schönheit du geworden bist, Letizia, du kannst wahrlich mit der Sonne konkurrieren“, sagte Charles entzückt und küsste seine Nichte auf die Wange.

Letizia lächelte ihren Onkel an und setzte sich schließlich neben ihre Mutter. Cousin und Cousine nickte sie freundlich zu, was beide lächelnd erwiderten. Ihr entging dabei allerdings nicht, dass Armand sie nicht aus den Augen ließ.

„Was ist los mit dir, Cousin, du schaust wie ein Frosch?“, lachte sie auf.

Armand sagte nichts, nahm stattdessen das Glas mit dem von der Zofe angebotenen Kirschlikör.

„Ihm ist langweilig hier in der Provinz. Armand braucht großartige Feste, schöne Frauen, nicht irgendein Stück Land mitten im Mittelmeer oder die Gesellschaft von kleinen Mädchen.“ Der Unterton in Charles’ Stimme war deutlich zu hören. Er wischte sich den Bart ab, den er versehentlich mit seinem süßen Getränk etwas befleckt hatte.

„Was ist besser an erwachsenen Frauen? Wir sind jünger und hübscher als sie! Außerdem macht alles mit uns mehr Spaß“, rief Letizia übermütig und sprang vom Stuhl. „Lass uns tanzen, Armand, lehre mich die Tänze, die jetzt am französischen Hof beliebt sind“, forderte sie ihn auf.

„Letizia, Gott sei mit dir, unsere Gäste waren lange unterwegs. Sie werden müde sein und du willst mit deinem armen Cousin tanzen. Sie werden länger als einen Tag bei uns bleiben, du wirst genug Zeit haben, von Margarita und Armand die neuesten Dinge aus Paris zu erfahren“, fuhr ihre Mutter dazwischen.

„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, antwortete Letizia frech. „Dann werden wir morgen zusammen mit Armand und Margarita angeln gehen. Und am Nachmittag tanzen wir ....“

Charles nickte zustimmend und lehnte sich bequem in seinem Stuhl zurück. „Wie geht es unserem Jonathan Joyce? Ich habe seit Ewigkeiten nichts mehr von ihm gehört. Wo ist er jetzt, der alte Wolf? In Amerika oder in England?“, wollte er von Mariam wissen. Jonathan und er waren ebenfalls gute Freunde.

„In England, soweit ich von meinen Quellen gehört habe. Ich habe ihn auch schon lange nicht mehr gesehen. Er ist ein seltener Besucher auf Korsika geworden“, sagte Mariam.

„Sein ganzes Leben lang war er ein Wanderer, ein unruhiger Geist. Er hat nie geheiratet?“

„Nein. Ein unruhiger Geist. Ich denke, dass die Ehe nicht ganz seinem Lebensstil entspricht“, erwiderte Mariam und ein Hauch von Melancholie überzog ihr Gesicht.

Dann wurde das Essen serviert und die Gäste ließen sich die aufgetischten Köstlichkeiten der mediterranen Küche vorzüglich schmecken. Bei diesem kleinen Festmahl lachten alle, erinnerten sich an die guten alten Momente mit Letizias Vater Philippe und tranken viel hausgemachten Wein. Mariam und Letizia saßen bis zum Abend mit den Gästen zusammen und erst als Charles anfing, auf dem Stuhl immer wieder einzunicken, hob Madame de Mormon die Tafel auf. Sie wies die Diener an, dem Marquis de Rambal zu helfen und ihm sein Gemach im zweiten Stock des Hauses zu zeigen. Armand und Margarita verneigten sich vor Mariam und wünschten ihr eine gute Nacht.

„Gute Nacht, Kinder“, sagte Madame de Mormon.

Armand und Margarita schliefen bei Besuchen auf Korsika immer in denselben Räumen, sodass sie ihnen nicht eigens gezeigt werden mussten.

Als sich alle für die Nacht gerichtet hatten, klopfte es an Margaritas Tür.

„Oh, wie viel muss ich dir sagen!“, rief Letizia aus, nachdem sie leise die Tür zum Zimmer ihrer Cousine geöffnet hatte.

Die lag bereits in ein Nachthemd gehüllt in ihrem Bett, setzte sich aber auf, als sie die Verwandte sah und nahm einen mitfühlenden Blick an. Letizia setzte sich ihr gegenüber, ihre Augen brannten wie ein goldenes Feuer oder wie die Augen einer Katze bei Nacht.

„Ich bin verliebt!“, stieß sie sofort hervor.

Margarita hatte viel erwartet, aber nicht das. Es kam ihr seltsam vor, dass ausgerechnet eine aufgeklärt wirkende Person wie Letizia, die ihren freien Lebensstil so sehr liebte, von Gefühlen für einen Mann übermannt wurde. „Und wer ist er?“, fragte sie dennoch neugierig.

„Napoleon Bonaparte. Vielleicht hast du schon von ihm gehört?“, brach es aus Letizia hervor.

„Dieser kleine Adlige aus Ajaccio?“, fragte Margarita mit gelangweiltem Blick. Sie hatte natürlich bereits von ihm gehört.

Letizia antwortete nicht darauf und ging schweigend zum Fenster. Sie öffnete es, um der dunklen Nacht zu begegnen und den frischen Duft einzuatmen. Eine seltsame Sehnsucht ergriff plötzlich ihr Herz. Aber es war nicht das Bild von Napoleon, das in ihrem Kopf auftauchte, sondern die Augen des Mannes, die blau wie das Meer an einem klaren, sonnigen Tag strahlten. Letizia setzte sich langsam auf die breite Fensterbank und seufzte schwer.

„Was ist los mit dir?“, fragte Margarita sogleich und legte sich einen Schal um die Schultern.

Nachdenklich biss sich Letizia auf die Unterlippe. Lohnte es sich, Margarita von ihrem seltsamen Abend im Hause Bonaparte zu erzählen oder sollte sie diese mit so einem Unsinn nicht weiter belästigen? „Ich habe jemanden beim Empfang der Bonapartes getroffen“, antwortete sie ausweichend. „Aber ich denke, du wirst nicht allzu interessiert sein, davon zu hören.“

Dieses Mal war Margarita allerdings sehr interessiert. Sie setzte sich auf und blickte ihre Cousine auffordernd an. Ein bisschen Tratsch war schließlich nicht zu verachten.

„Er ist Franzose, besucht mit Napoleon zusammen die Militärakademie. Wenn ich nur an ihn denke, werde ich wütend!“

Jetzt war Margaritas Neugier endgültig geweckt, denn sie wusste, dass Letizia üblicherweise schwer aus dem Gleichgewicht zu bringen war. Was hatte dieser mysteriöse Franzose also getan? Auf die Antwort auf diese nicht laut gestellte Frage musste sie nicht lange warten.

„Er küsste mich!“ Als Letizia sah, wie schnell Margaritas Augenbrauen in die Höhe schnellten, beeilte sie sich, hinzuzufügen: „Natürlich gegen meinen Willen.“ Und in Gedanken gab sie sich selbst Auskunft, ohne diese aber laut zu äußern: „Nein, natürlich nicht gegen meinen Willen. Ich antwortete mit einem Kuss ... und mochte es. Allein Eduards Hände ...“

Als Margarita sah, dass ihre Cousine in großer Verwirrung war, fragte sie sanft: „Magst du ihn?“

Letizias Augen blitzten auf. Wütend auf sich selbst für solch ein Gefühlschaos antwortete sie fast widerwillig: „Weiß nicht. Ich liebe doch Napoleon.“

Margarita lächelte nachsichtig. Sie glaubte nicht daran, dass man der wahren Liebe, von der so viele Erwachsene redeten, schon in Kindertagen begegnete. Eine erste Verliebtheit. Vielleicht, aber keine echte Liebe. Dazu gehörte mehr als nur eine Schwärmerei. Man konnte nur herausfinden, was wahre Liebe war, wenn man alle Hindernisse des Lebens, alle Wechselfälle des Schicksals gemeinsam überwand, aber in der Lage war, trotzdem die leidenschaftlichen Gefühle füreinander zu erhalten. Für die wahre Liebe wurde man geprüft. Die fiel einem nicht einfach so in den Schoß. Aber wie sollte sie das einem so störrischen Mädchen wie Letizia erklären? Sie tätschelte ihrer Cousine sanft die Hand und sagte: „Wenn deine Gefühle für Napoleon aufrichtig sind, kann dich niemand daran hindern, mit ihm zusammen zu sein. Dies ist das Gesetz des Lebens. Denk nicht zu viel nach. Eine Frage ist jedoch viel wichtiger: Liebt er dich so, wie du ihn liebst, Liebes?“

Letizia wurde von dieser Frage bis ins Mark getroffen. Natürlich liebte Napoleon sie, anders konnte es gar nicht sein. Sie hatten schon so viel wundervolle Zeit miteinander verbracht, so viele fabelhafte Erlebnisse tauchten dabei in ihrer Erinnerung auf. Warum also sollte Napoleon sie nicht ebenso lieben wie sie ihn? Aber dann kettete die Kälte ihr Inneres an. War es nicht erst gestern gewesen, dass sie auf dem Ast einer hohen alten Eiche auf ihn gewartet hatte und er nicht gekommen war? Sie gab Eduard die Schuld an diesem Verhalten. Sicherlich hatte er über sie schlecht bei Bonaparte geredet. Anders konnte es nicht sein.

Letizia schüttelte den Kopf. Nein, anders konnte es nicht sein. Napoleon liebte sie. Immer noch. Es musste einen anderen Grund für sein Fernbleiben gestern geben.

„Ich bin mir seiner Gefühle für mich sicher. Es kann nicht anders sein“, stellte Letizia fest und sprang vom Fensterbrett.

Margarita seufzte nur und blies die Kerze aus, als Letizia ihr Zimmer verlassen hatte.

*

Kapitel 4

Im Morgengrauen rannten Armand, Letizia und Margarita barfuß zum nächsten Bach, um zu fischen. Armand vergaß schließlich seine Pariser Attitüde, amüsierte sich und lachte mit den Mädchen. Gegen Mittag wurde es sehr heiß und die jungen Leute beschlossen, ein Bad zu nehmen und Fisch auf dem Feuer zu braten. Letizia zog ihr Oberkleid aus und zeigte sich nun in einem dünnen durchscheinenden Hemd, unter dem man bereits die kleinen Brüste und die weiblichen Rundungen erahnen konnte. Das Mädchen rannte lachend in den Fluss und spritzte Wasser um sich herum.

Armand, der alles genau beobachtete, konnte seinen Blick nicht von der schlanken Gestalt seiner Cousine abwenden. Das nasse Hemd klebte an ihrem gebräunten Körper und zeigte den ganzen Charme ihrer schönen Formen. Ihre Brustwarzen spannten sich durch das kalte Wasser und ragten verlockend unter dem dünnen Stoff hervor. Die Brust war für ein solch junges Mädchen bereits wohl geformt. Und darüber konnte er sich gewiss ein Urteil erlauben, denn er hatte bereits so manche Frauenbrust liebkosen dürfen.

Armand verspürte in diesem Moment erstmals das brennende Verlangen, seine Cousine zu besitzen. Sie in die Lust der Liebe einzuführen. Seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie zu einer wahren Schönheit herangewachsen. Damals noch ein Kind, heute eine begehrenswerte Frau. Buchstäblich von der ersten Minute an, als er sie so halb nackt gesehen hatten, war es um ihn geschehen und er konnte sich kaum noch beherrschen, sie nicht an sich zu ziehen.

Margarita, die ihren Bruder und seine Eskapaden nur zu gut kannte, hatte die Szene ebenfalls beobachtet. Wie naiv Letizia doch noch war. Sie warf ihrem Bruder einen strengen Seitenblick zu. Nachdem Margarita in seinem Gesicht wie in einem offenen Buch gelesen hatte, rief sie ihrer sorglosen Cousine zu: „Letizia, geh aus dem Wasser, sonst erkältest du dich. Der Fisch ist fertig, lass uns essen.“ Margarita griff nach dem Kleid des Mädchens und ging zum Flussufer, um sofort den fast völlig nackten Körper von Letizia zu bedecken. Das Mädchen zog das nasse Unterkleid aus und das trockene Kleid an, Margarita schützte Letizia dabei vor allzu neugierigen Blicken ihres Bruders – so gut es ging – mit einem großen Tuch. Dann setzten sich die drei an das Lagerfeuer, auf dem ein riesiger Fisch köstlich röstete und göttliches Aroma verbreitete.

„Das Wasser ist einfach wunderbar, ich rate euch, auch ein wenig zu schwimmen. Margarita, Armand, los, seid nicht feige“, zwitscherte Letizia fröhlich.

Armand schüttelte jedoch den Kopf, als würde er aus einem tiefen Schlaf erwachen, holte schweigend einen den Fisch aus den Kohlen und reicht ihn seiner Cousine. Letizia stürzte sich sogleich mit Appetit darauf. Als Armand sah, dass auch seine Schwester damit beschäftigt war, sich den Fisch schmecken zu lassen, wandte er seinen Blick wieder Letizia zu. „Gott, wie schön ihre Haut ist“, dachte er aufgewühlt. „Seidig mit bronzefarbener Bräune. Und ihre Haare ... Wie schön muss es sein, darin zu versinken.“ Armand spürte, wie heißes, aufwallendes Blut durch seine Adern floss. Er musste die Augen schließen und sich auf etwas anderes besinnen, denn sonst würden seine Hormone verrückt spielen.

Plötzlich gab es wie zu seiner Warnung in der Ferne dröhnenden Donner. Dunkle und schwere Gewitterwolken näherten sich. Letizia und Margarita warfen ihr Picknick in den Korb und die drei machten sich auf den Heimweg.

***

An diesem so abwechslungsreichen Tag hatte Letizia Napoleon aus ihren Gedanken vollends verbannt. Aber ironischerweise erschien gerade jetzt auf halbem Weg nach Hause sein Pferd mit ihm bei den drei jungen Leuten. Letizia winkte und Napoleon hielt das Tier an. In diesem Moment gab es direkt über ihnen ein schreckliches Grollen, ein Blitz zuckte auf und strömender Regen setzte ein.

„Was sollen wir tun?“ Margarita rief in Verzweiflung, schaut sich in dem doch recht verlassenen Gebiet um, wo es nichts gab, unter dem sie sich verbergen konnten.

„Ich schlage vor, dass Sie und der junge Mann mein Pferd nehmen und nach Hause reiten. Letizia und ich werden im verlassenen Haus des Försters Unterschlupf finden. Bis dahin ist es nicht weit. Wir warten dort das Gewitter und den Regen ab, dann folgen wir Ihnen nach Hause“, schlug Napoleon vor.

„Warum können wir nicht zusammen dorthin gehen? Wer sind Sie überhaupt?“, fragte Armand.