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Beschreibung

Das Montafon hält zahlreiche Geschichten über Gesundheit und Krankheit seiner Talbewohnerinnen und -bewohner bereit. Neben medizinischen Professionistinnen und Professionisten wie akademischen Ärztinnen und Ärzten, Wundärzten und Hebammen boten auch traditionelle Heilpersonen und der Volksglaube den Menschen Linderung ihrer körperlichen und psychischen Leiden. Dieser Band präsentiert nicht nur etliche charismatische Akteurinnen und Akteure, sondern beleuchtet diverse medizinische Arbeitsfelder und Institutionen der Versorgung im ländlichen Raum von der Frühen Neuzeit bis ins 21. Jahrhundert. Die gesellschaftlichen, politischen und medizinischen Reaktionen auf Krankheit, seien dies epidemische Seuchenereignisse oder chronische Erkrankungen, werden anhand unterschiedlicher thematischer Zugänge rekonstruiert.

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krank – heil – gesund

Medizingeschichte(n) aus dem Montafon

krank – heil – gesundMedizingeschichte(n)aus dem Montafon

Marina Hilber, Michael Kasper (Hg.)

Sonderband zur Montafoner Schriftenreihe 31

Inhaltsverzeichnis

Marina Hilber, Michael Kasper

Einleitung

Andreas Rudigier

Wenn der Glaube helfen soll

Medizinisch wirksame Schutzheilige in den Montafoner Kirchen und Kapellen

Manfred Tschaikner

Pfarrer Luzius Hauser, der Heiler und Hellseher vom

Bartholomäberg (1594–1668)

Florian Ambach, Manuel Schmidinger

Der Kampf um die verlorenen Seelen

Das Schrunser Taufwunder (1650–1786)

Dietmar Riedl, Sibylle Wolf

Das Tschaggunser Mirakelbuch

Medizin und Wunderglaube im Montafon des 18. Jahrhunderts

Alfons Dür

„Oh du lieber Stee, i bi scho wieder net allee.“

Gespräche mit alten Montafoner Hebammen

Lukas Draxler

Traditionelles und lokales Heilwissen in Vorarlberg

Eine medizinanthropologische Studie

Patrizia Barthold

Sterben im Montafon

Michael Kasper

Die Pest im südlichen Vorarlberg

Geschichte, Legenden und Reminiszenzen

Marcus Dietrich, Maximilian Gröber

Von der Ausnahme zur Regel

Über die Anfänge des Impfgeschehens im Montafon

Marina Hilber

Krank und ausgegrenzt

Die Situation von Syphilispatient*innen im Montafon (1830–1850)

Michael Kasper

Nachrichten über die Spanische Grippe 1918/19 im Montafon

Sophie Röder

Die Coronapandemie im Montafon und in den Montafoner Museen

Ein Esssay

Hans Netzer

Der Arzt Johann Abraham Salzgeber und seine Silbertaler Herkunftsfamilie

Marina Blum, Lisa-Marie Gabriel

Das Medicinale des Johann Friedrich Vollmar

Einblicke in ausgewählte Montafoner Arzneien des 18. Jahrhunderts

Verena Hechenblaikner, Roland Ernst Laimer

Die (fast) vergessenen medizinischen Grundversorger im 19. Jahrhundert

Wundärzte im Montafon unter besonderer Berücksichtigung der „Wundarztdynastie“ Barbisch

Brigitte Kasper

Ärzte in Schruns im 19. und 20. Jahrhundert

Andreas Brugger

Professor Arnold Durig (1872–1961)

Einer der bedeutendsten Physiologen seiner Zeit

Andreas Brugger

Dr. Hermann Sander (1920–1998)

Der steinige Weg bis zur Praxiseröffnung in Schruns Ende 1948

Sabrina Schober, Philipp Wanger

Das Hebammenwesen im Montafon

Dargestellt anhand von Klaudia Zugg (1900–1975), Gemeindehebamme in St. Gallenkirch

Anna von Bülow

Großmutter – eine Verneigung

Dr. Annie Ausserer (1919–2000) als erste Zahnärztin im Montafon

Michael Kasper, Hans Netzer

Heilbäder im Montafon

Michael Kasper

Das Armenhaus Bartholomäberg unter besonderer Berücksichtigung der NS-Euthanasie

Sophie Röder

Das Josefsheim in Schruns

Helmut Tiefenthaler

Hoffnung auf ein österreichisches Davos im Höhenluftkurort Gargellen

Lisa Hessenberger

Das Schrunser Kurprogramm

Wellness und Rehabilitation in der Kuranstalt Montafon

Daniela Reis

Die letzten „echten Schrunser“

Die Schließung der Geburtshilfestation im Josefsheim im Licht der Vorarlberger Geburtsgeschichte

Barbara Tschugmell

Der Krankenpflegeverein Außermontafon

Eine Herzensangelegenheit von vielen, vor allem von vielen Frauen

Elisabeth Walch

Objekte zur Medizingeschichte aus der Sammlung der Montafoner Museen

Autorinnen und Autoren

Einleitung

Gesundheit durchdringt alle Lebensbereiche. Die allgegenwärtige Corona-Pandemie hat unser medizinisches Bewusstsein noch zusätzlich geschärft, so unterscheiden wir mittlerweile nicht nur zwischen krank und gesund, sondern auch symptomfrei Infizierte sind für uns gesundheitspolitisch relevant geworden. Viel wird im Zuge der Pandemie auch über die psychischen Belastungen und ihre körperlichen Auswirkungen diskutiert. Doch nicht erst seit dem weltumspannenden Krankheitsausbruch definieren wir uns stark über unser körperliches und seelisches Wohlbefinden, über Fitness und Leistungsfähigkeit. Dies ist keineswegs ein Phänomen des 20. und 21. Jahrhunderts. Auch historische Gesellschaften waren ganz maßgeblich von ihrer körperlichen Konstitution abhängig: Sie entschied vielfach über berufliche Karrieren, wirtschaftlichen Erfolg und privates Glück.

Seitdem der aufgeklärt-absolutistische Staat um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Gesundheit seiner Untertanen als Grundlage des florierenden Staates entdeckt hatte, waren zahlreiche Versuche unternommen worden, die medizinische Versorgung zu verbessern. Die Medizin hielt Einzug in die unterschiedlichsten Lebensbereiche, (männliche) Ärzte wurden zu Autoritäten und standen an der Spitze der medizinischen Hierarchie. Diesen universitär ausgebildeten Fachleuten wurde fortan die Ausbildung und somit die Professionalisierung der untergeordneten Heilberufe wie etwa Wundärzten (Chirurgen) oder Hebammen anvertraut. Qualitativ hochwertige medizinische Hilfe sollte für jede und jeden zugänglich sein, deshalb lag ein besonderes Augenmerk auf der Versorgung der ländlichen Regionen. Dass der Prozess der Medikalisierung, d. h. die Durchdringung des alltäglichen Lebens mit modernen medizinischen Anschauungen, nicht immer friktionsfrei war, ist anzunehmen. Der pluralistische medizinische Markt, der zuvor auch etliche traditionelle Laienheiler umfasst hatte, wurde zusehends reglementiert und die nicht lizensierten heilkundigen Personen vielfach an den Rand gedrängt.

Auch das Montafon birgt zahlreiche Geschichten über Gesundheit und Krankheit der Talbewohnerinnen und -bewohner. Es lassen sich charismatische Akteurinnen und Akteure finden, die wesentlich zur medizinischen Versorgung der historischen Bevölkerung beitrugen. Und spätestens im 20. Jahrhundert erwarb sich das Montafon aufgrund seiner medizinischen Institutionen wie dem St. Josefsheim, Maria Rast und der Kuranstalt einen überregionalen, ja sogar internationalen Ruf.

Anknüpfend an das durch die gegenwärtigen Entwicklungen der Corona-Pandemie gesteigerte Interesse an gesundheitlichen Themen, entstand die Idee, sich aus regional-historischer Perspektive mit der Geschichte von Gesundheit und Krankheit, der (proto-) medizinischen Versorgung sowie verschiedenen angrenzenden Themenkreisen im ländlichen Raum des Montafons näher auseinanderzusetzen. Die Umsetzung des inhaltlich breit aufgestellten Projekts erfolgte im Rahmen verschiedener Kooperationen. So konnten zahlreiche lokal und regional verankerte Forscherinnen und Forscher als Autorinnen und Autoren gewonnen werden. Einen wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung leisteten aber auch Studierende der Universität Innsbruck, die sich im Rahmen eines sogenannten Forschungslabors unterschiedlichen Aspekten der Medizingeschichte des Montafons widmeten. Vor dem aktuellen Hintergrund fanden Spannungen zwischen Skepsis und Akzeptanz gegenüber neuen Methoden und Möglichkeiten der Heilkunst ausdrücklich Berücksichtigung in der historischen Betrachtung. In mehreren Längs- und Querschnitten sowie anhand von vertiefenden Fallbeispielen wurden unterschiedlichste Themenschwerpunkte aufgearbeitet und dokumentiert.

Die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum der frühen Neuzeit war stark von traditioneller Heilkunde und Volksfrömmigkeit geprägt: Mirakelbücher, Votivbilder sowie Persönlichkeiten aus dem kirchlichen Umfeld ermöglichen Einblicke in die Sorgen und Nöte der Menschen und ihre Vorstellungswelt hinsichtlich Krankheitsursache und Heilung. Insbesondere die Taufe totgeborener Kinder in Schruns verweist exemplarisch auf einen bemerkenswerten Aspekt des religiös geprägten Weltbildes.

Bevor die neue Wissenschaft der Bakteriologie im ausgehenden 19. Jahrhundert Viren und Bakterien als Krankheitserreger identifizierte, waren insbesondere Infektionskrankheiten oft als Strafe Gottes gedeutet worden. Seuchen und Epidemien als schicksalshafte Ereignisse wurden auch im Montafon dokumentiert. Beispielhaft werden etwa die Pest im frühen 17. Jahrhundert und die Pocken im 18. und 19. Jahrhundert näher beleuchtet. Den Herausforderungen rund um die Einführung der Pockenschutzimpfung um 1800 wird ausdrücklich nachgegangen, ebenso wie den sozial-restriktiven Maßnahmen im Rahmen der Syphilisbehandlung des frühen 19. Jahrhunderts. Der Hilflosigkeit und dem Leid, das sich angesichts der Spanischen Grippe nach dem Ersten Weltkrieg ausbreitete, ist ein weiteres Kapitel gewidmet. Schließlich dokumentiert ein Essay auch die jüngste Vergangenheit und den Pandemiealltag 2020/21 in den Montafoner Museen.

Den unterschiedlichen medizinischen Professionen ist ein weiterer Abschnitt dieses Buches gewidmet. Wundärzte bildeten lange Zeit die Basis der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum. Ein Arzneibuch, das im ausgehenden 18. Jahrhundert verfasst wurde, sowie der Nachlass einer Wundarztdynastie verweisen auf deren Wirken in der Region. Ab dem 18. Jahrhundert waren auch zunehmend an Universitäten ausgebildete Ärzte in der Region präsent. Als Standesärzte waren sie ab dem 18. Jahrhundert wichtige Akteure der obrigkeitlichen Sanitätsverwaltung. Im 20. Jahrhundert siedelten sich dann auch zahlreiche Fachärztinnen und Fachärzte an. Ihren mitunter wechselvollen Biografien und ihrer Arbeit im Tal und auch darüber hinaus sind weitere Beiträge gewidmet. Einen weiteren Schwerpunkt der Gesundheitsversorgung bildeten ab dem frühen 19. Jahrhundert die Hebammen, deren Tätigkeit im Kontext von Geburt und Wochenbett aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht und bearbeitet wird. Auch der Aspekt der (mobilen) Pflege wurde berücksichtigt.

Neben einem bunten Spektrum an medizinischen Professionen verfügte das Montafon auch über soziale und medizinische Institutionen, etwa das Versorgungsheim Bartholomäberg, das im Zusammenhang mit der NS-Euthanasie eine wichtige Rolle spielte, oder das als Armenhaus eingerichtete St. Josefsheim in Schruns, das sich in weiterer Folge zum Krankenhaus mit Geburtsstation entwickelte. Auch gesundheitstouristische Aspekte wie der Versuch, Luftkurorte im Tal zu etablieren, die Nutzung der Heilbäder und die Geschichte der renommierten Kuranstalt in Schruns bilden einen eigenen Themenschwerpunkt mit mehreren Beiträgen.

Der Begleitband zur medizinhistorischen Sonderausstellung 2022 rekonstruiert somit die unterschiedlichsten Facetten der Medizingeschichte einer peripheren Alpenregion. Der Band versteht sich jedoch nicht als das Ende eines Projekts, sondern vielmehr als ein Etappenziel, als Anreiz, um der Regional- und Sozialgeschichte der medizinischen Versorgung der Montafoner Bevölkerung noch weiter nachzuspüren.

Marina Hilber, Michael Kasper

Wenn der Glaube helfen soll

Medizinisch wirksame Schutzheilige in den Montafoner Kirchen und Kapellen

Andreas Rudigier

Es bleibt ein menschliches Phänomen bis in unsere Tage, dass der Glaube an die Wirksamkeit bestimmter guter Gedanken am Ende tatsächlich hilfreich ist. Die Medizin ist voll von Beispielen. Placebos auf der einen Seite, eine positive Lebenseinstellung auf der anderen Seite können durchaus hilfreich sein, wenn es um das Gesundsein und das Gesundwerden geht. Dabei gibt es noch immer Schutzheilige, die angerufen werden, wenn es um überirdische Hilfe in schwierigen Situationen geht. So wird der hl. Christophorus auch heute noch als Ansprechperson für Autosegnungen herangezogen, der hl. Florian gilt weiterhin als Brandschutzbeauftragter und der hl. Antonius wird als wirksamer Vertreter des Fundamtes geschätzt. Und wie oft muss der Schutzengel ganz allgemein herhalten, wenn es darum geht, einem Kind den unsichtbaren Begleiter zumindest für die jungen Jahre mitzugeben?

Lange bevor es die staatlichen und privaten Versicherungsvereine und -gesellschaften gab, vertrauten die Menschen in eigentlich allen Lebenslagen auf ihre Lebenserfahrung, ihren Instinkt, auf traditionelle Hausmittel und je nach religiöser Einstellung ganz besonders auf die ihnen bekannten himmlischen Instanzen. Schutzheilige erfreuten sich sowohl in mittelalterlicher Zeit als auch in der Frühen Neuzeit bis weit in das 19. Jahrhundert hinein großer Beliebtheit. Im Montafon genügt wie in allen anderen katholisch geprägten Gebieten ein Blick in die Kirchen und Kapellen sowie darüber hinaus auch in die Kulturlandschaft, um zu erkennen, welche Personen wofür verehrt und angerufen wurden. Dieses Anrufen in Form eines Gebetes oder eines Gelübdes konnte vor, während oder nach einer schwierigen Situation geschehen. Bei medizinischen Problemen dürfen wir heute sogar die Feststellung wagen, dass in historischer Zeit die Anrufung einer himmlischen Instanz vielfach bessere Hilfe erwarten ließ beziehungsweise weniger Schaden anrichtete als der Gang zum mehr oder weniger versierten Kurpfuscher.

Seuchenheilige

Wie uns die Pandemie der vergangenen Jahre gelehrt hat, haben wir es längst vergessen, was ein gesundheitliches Problem bedeutet, das zur gleichen Zeit die gesamte Gesellschaft trifft. Seuchen gab es zumindest in unseren Breitengraden schon lange nicht mehr, und die jährlich wiederkehrende Grippewelle war uns entweder egal oder wurde mit einer Impfung mehr oder weniger erfolgreich bekämpft. Die Schutzheiligen und die Häufigkeit ihres Vorkommens beziehungsweise ihre Zuständigkeiten vermitteln uns ein Bild über frühere Krankheitsbilder und vor allem auch über Seuchenzeiten, zumindest so lange, wie man ihre Vermittlungsdienste bei der göttlichen Anrufung in Anspruch nahm.1

Das interessanteste Beispiel im Montafon und weit darüber hinaus ist die Verehrung des hl. Sebastian und seiner einschlägigen Mitstreiter. Sebastian ist uns historisch als römischer Soldat überliefert, der sich dem Christentum zuwandte und dafür Martyrien unterschiedlichster Art erleiden musste.2 Die bekannteste Legende ist jene, die kunstgeschichtlich am häufigsten dargestellt wurde: Sebastian steht mit entblößtem Oberkörper an einen Baum gebunden, die Pfeile in seinem Körper verweisen auf eines seiner erlittenen Martyrien. Im Zuge der spätmittelalterlichen Pestwellen legten die Menschen die Pfeile Sebastians als die Pest aus, die nun als Strafe Gottes auch über sie alle gekommen sei. Der hl. Sebastian wurde so zum ersten Pestpatron, den die Menschen über alles verehrten und anriefen, um Schutz gegen die Seuche zu erbitten.

Der Blick in die Montafoner Kirchen und Kapellen zeigt rasch, dass in der Zeit um 1630 die Pest ein weiteres Mal gewütet haben muss. Kunsthistorisch wird jene Zeit dem Frühbarock zugeordnet und die Darstellungen der Pestaltäre und vor allem des hl. Sebastian sind kennzeichnend für jene Jahre. Die Pfarrkirche von Bartholomäberg hatte einst eine eigene Pestkapelle, deren Relikte vor allem in Form des hl. Sebastian noch im Vorzeichen zu sehen sind. Auch in der Kirche ist ein Seitenaltar den Pestheiligen gewidmet, sehen wir hier doch auch den hl. Rochus, der im Unterschied zu Sebastian historisch tatsächlich mit einer Pesterkrankung in Verbindung gebracht wurde: Der entblößte Oberschenkel zeigt die Pestwunde. Manchmal ist dem Heiligen auch ein Hund oder ein Engel beigefügt, die der Legende nach dem Heiligen das Brot brachten. Die Quarantäne war immer schon ein Thema.

Eine Versammlung aller bekannten Pestheiligen zeigt auch der linke Seitenaltar im Venser Bild, der idyllisch gelegenen Kapelle am Ortsrand von Vandans. Die Kapelle selbst ist eine Votivkapelle, die aufgrund der überlieferten Gründungsgeschichte mit der Seuche und dem Jahr 1613 in Verbindung zu bringen ist. Der hl. Sebastian ist hier als zweiter Kapellenpatron überliefert.3 Neben dem bereits erwähnten Sebastian und Rochus taucht hier auf dem 1631 gemalten Predellagemälde auch der hl. Pirmin auf, der als Bischof dargestellt wird und um dessen Bischofsstab sich eine kleine Schlange windet. Pirmin soll ein mittelalterlicher Missionar gewesen sein, bei dessen Ankunft auf der im Bodensee gelegenen Reichenau alle Schlangen und sonst als giftig überlieferten Tiere das Weite suchten. Als Pestheiliger eignete er sich bestens, und dass er bei Schlangenbissen, bei Vergiftungen aller Arten und bei Rheuma angerufen wurde, überrascht auch nicht wirklich.4

Pfarrkirche Bartholomäberg, rechter Seitenaltar (Foto: Manfred Schlatter)

Wallfahrtskapelle Vens in Vandans (Foto: Manfred Schlatter)

In etwa der gleichen Zeit entstand auch die Kapelle Maria Schnee in Gaschurn, ein weithin sichtbares Wahrzeichen der Gemeinde in der Innerfratte. Die Gründungslegende bringt sie mit dem legendären und inzwischen durch den Historiker Manfred Tschaikner auf vier Personen aufgeschlüsselten Lukas Tschofen (in diesem Fall „der Zweite“) in Verbindung. Maria Schnee ist ein Patrozinium, das im 17. Jahrhundert alpenlandweit durchaus häufig zum Zuge kam, was wohl auf eine Verbindung mit den kälter werdenden Zeiten jener Jahre schließen lässt. Interessant ist, dass die Legende einen Zusammenhang zwischen dem Namen Maria Schnee und der um 1630 auch in Gaschurn wütenden Pest hervorbringt. Lukas Tschofen wird nämlich in einer Erzählung als einst sehr krank bezeichnet und in seiner Verzweiflung habe er gelobt, eine Kapelle dorthin zu bauen, wo es im Sommer schneie – übrigens ein Aspekt, der mit der Ursprungslegende zu Maria Schnee, zugetragen im 5. Jahrhundert in Rom, in Verbindung gebracht werden kann. Ein beeindruckendes Barockgemälde in Maria Schnee gibt diese römische Geschichte wieder und mag die Erzählung vom kranken Tschofen und seinem Gelöbnis beeinflusst haben. Maria Schnee und seine Umgebung dienten dann auch als Seuchenfriedhof und bekamen zur Bekräftigung eine Sebastiansreliquie.5

Die alte Bartholomäberger Pestkapelle soll lange auch einen Altar beherbergt haben, der bis vor wenigen Jahren in der Pfarrkirche im Chor zu sehen war und der seit einiger Zeit in der neuen Kapelle im Ortsteil Bartholomäberg-Platta steht. Der Altar ist wohl zwischen 1650 und 1660 entstanden – zumindest lassen sich die Skulpturen dem Tiroler Bildhauer Michael Lechleitner zuschreiben und damit eine Entstehung in jener Zeit annehmen – und zeigt interessanterweise nicht die bekannten Pestheiligen. Vielleicht brauchte man sie in jenen Jahren auch nicht mehr. Der oder die Stifter aber hatten jedenfalls größere Probleme mit ihren Augen und ihren Zähnen, wurden doch die hll. Ottilia und Apollonia als Heilige ausgewählt, die genau für jene Leiden angerufen wurden, die mit den angesprochenen menschlichen Organen beziehungsweise Teilen davon in Verbindung standen. Die beiden Heiligen wurden erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts auch für eine Kapelle in Tschagguns-Krista ausgewählt. Eine wunderbare Darstellung einer Ottilia zeigt übrigens der Altar der Kirche in Bludenz-Rungelin, wo uns die Augen der Heiligen als Extrazugabe auch vom beigefügten Buch entgegenblicken. Die hl. Apollonia in der Kirche St. Martin von Ludesch wurde hingegen vor Jahrzehnten gestohlen und mit der Annahme, dass sich die Skulptur in irgendeiner Zahnarztpraxis befindet, dürfte man nicht fehlgehen.

Nothelfer für und gegen alles

Das Montafoner Heimatmuseum zeigt ein Gemälde der 14 Nothelfer, das eine Leihgabe der Kirche in Lorüns darstellt.6 Einem Fußballteam vergleichbar präsentieren sich die Heiligen in zwei Reihen, die vorderen sechs knien und die hinteren acht dürfen wir uns stehend vorstellen. Die ganze Szenerie ist auf eine Wolkenbank gesetzt und spielt sich somit im Himmel beziehungsweise auf dem Weg zum Himmel ab. Das Auge Gottes wacht über allem und verstärkt damit noch mehr die Mittlerrolle, welche die Schutzheiligen seit jeher zwischen dem gläubigen Volk auf der Erde und den himmlischen Instanzen eingenommen hatten. Den Hostienkelch, den die hl. Barbara als ihr Attribut bei sich trägt, hält sie demonstrativ und prominent in der Bildmitte in die Höhe. Ein weiterer Hinweis auf eine himmlische Instanz, steht doch das Motiv für die in barocker Zeit hoch verehrte hl. Eucharistie, den Leib Christi und damit Gottessohn.

Darstellung der 14 Nothelfer aus Lorüns, Leihgabe im Montafoner Heimatmuseum (Foto: Manfred Schlatter)

Das Bild zeigt eine spätbarocke Formensprache und dürfte wohl im ausgehenden 18. Jahrhundert entstanden sein. Alle 14 Nothelferinnen und Nothelfer sind so charakterisiert und mit Attributen versehen, dass eine Interpretation auch ohne Beschriftung möglich sein müsste. Auch wenn die Menschen im 18. Jahrhundert mit dieser hier gezeigten Formensprache vertrauter waren als heute, bedurfte es auch damals der Worte des Pfarrers, um zu verstehen, worum es ging. Damit es auch zu keinen Verwechslungen kommen konnte, hatte der unbekannte Maler alle Heiligen mit einem Namen versehen und jeweils die Bezeichnung „Mart“ hinzugefügt, ein untrügliches Zeichen für das Märtyrerdasein all der hier abgebildeten Heiligen.

Die Nothelferinnen und Nothelfer waren für alles und alle zuständig. Als Gruppe bildeten sie sich im Spätmittelalter vor allem in Süddeutschland. Entsprechend der Vertretung der gesamten Gesellschaft sind in dieser Gruppe auch Vertreter des weltlichen und des geistlichen Standes sowie weibliche und junge Heilige anzutreffen.

Betrachten wir jene Heiligen, die aus medizingeschichtlicher Sicht besonders interessant sind. An erster Stelle ist der hl. Pantaleon zu nennen, der im angesprochenen Bild der Zweite von links in der hinteren Reihe ist. Er ist unschwer zu erkennen, wurden ihm doch der Legende nach die beiden Hände verschränkt auf dem Kopf festgenagelt. Die Darstellung lässt die Betrachterin beziehungsweise den Betrachter zweifellos erschaudern, vor allem auch dann, wenn man erfährt, dass ihm der Legende nach genau dieses Martyrium passiert sein soll. Die historische Person des Pantaleon lässt sich nicht mehr fassen.7 Die Legende will aber wissen, dass er schon in jungen Jahren in der Heilkunde ausgebildet wurde und vor allem mit der Kraft des Glaubens die unheilbarsten Krankheiten ausmerzen konnte. Unzählige Martyrien, wie auch das hier angesprochene, konnten ihm nichts anhaben. Pantaleon wurde im Mittelalter zum Patron der Stadt Köln und später kamen Reliquien seiner Person auch nach Salem und Zwiefalten und somit in den süddeutschen Raum. Als „Arzt“ ist er Patron aller Kranken, und dass er infolge seiner Darstellung vor allem bei Kopfschmerzen angerufen wird, mag wenig überraschen. Das gilt im Übrigen auch für den hl. Dionysius, der im Bild als Zweiter von rechts und entsprechend seiner überlieferten Todesursache ohne Kopf dargestellt ist. Der hl. Pantaleon tritt im Montafon nur als Teil der 14 Nothelfer auf und ist vor allem noch sehr prominent an der Decke der Kirche in Bartholomäberg (nur mit verschränkten Händen und ohne Nagel dargestellt) sowie im Deckengemälde in der Kirche von Partenen zu sehen. Die Darstellung der 14 Nothelfer in Partenen und am rechten Seitenaltar in der Pfarrkirche von Silbertal kommen ohne die auf dem Kopf verschränkten Hände aus.

Deutlich bekannter ist der hl. Blasius, der gleich neben dem hl. Pantaleon am Bildrand zu sehen ist. Er ist als Bischof gekennzeichnet und trägt in seiner Hand eine Kerze, die in anderen Darstellungen auch in überkreuzter Form auch zweifach vorkommen kann. Blasius ist als Arzt mit besonderer Heilkraft überliefert.8 Als er seines Glaubens wegen ins Gefängnis kam, spielte sich jene Szene ab, die für seine Schirmherrschaft bei allen Halsleiden entscheidend gewesen sein soll: Er heilte hier einen Jungen, der eine Fischgräte verschluckt hatte und daran zu ersticken drohte. Der Blasiussegen soll bei Halsschmerzen oder Ersticken helfen, wobei der Pfarrer zwei Kerzen überkreuzt hält. Der hl. Blasius wurde bei vielen Krankheiten und Schmerzen angerufen, der lautmalerische Bezug seines Namens zum Organ der Blase hat vor allem auch hier seine besondere Schutzwirkung annehmen lassen. Aber auch die Blasmusikanten sollen auf seinen Schutz vertrauen. Eine wunderbare Darstellung als Einzelfigur hat sich am Altar der Kirche in Gortipohl erhalten. Stilistisch ist die Skulptur eindeutig dem aus Tirol stammenden und ab etwa 1680 im Montafon beheimateten Bildhauer Melchior Lechleitner zuzuschreiben. Nachdem 1689 eine Lawine die Kirche in Gortipohl zerstört hatte, wurde Lechleitner 1690 oder kurz danach beauftragt, die neuen Hochaltarfiguren zu schnitzen. Möglicherweise war die Wahl auf den hl. Blasius gefallen, um ihn für künftige Lawinenunglücke milde zu stimmen, hatte die Lawine doch genau an seinem Namenstag, dem 3. Februar, zugeschlagen.9

Darstellung des hl. Blasius in der Kirche in Gortipohl (Foto: Andreas Rudigier)

Kehren wir zu unserem Nothelferbild aus Lorüns zurück und suchen weitere Ärzte oder allenfalls Ärztinnen unter den Heiligen. Neben körperlichen Leiden fürchteten die Menschen seit jeher seelische Nöte, die vielfach mit dem Teufel in Verbindung gebracht wurden. Vor bösen Geistern oder bei Besessenheit wurde vor allem der Nothelfer Cyriakus angerufen, der im Bild auf der anderen Seite des hl. Pantaleon steht. Die Legende sieht ihn als Heiler kaiserlicher und königlicher Kinder, die von Teufeln besessen gewesen sein sollen.10 Viel wissen wir nicht über ihn, aber während ihn das Lorünser Bild nur als jugendlichen Diakon charakterisiert, ist im Bartholomäberger Deckenbild auch der Drache in menschenähnlicher Gestalt zu sehen, über dessen Haupt die rechte Hand des Heiligen ausgestreckt ist, während Cyriakus seine linke Hand vertrauensvoll auf das über ihnen schwebende IHS-Zeichen verweisen lässt. Der hl. Veit wiederum wurde angerufen bei Epilepsie und anderen „hysterischen“ Krankheiten und galt besonders der Jugend als wichtiger Begleiter.11

Nothelferinnen gibt es drei, die sich mit folgendem Spruch vielleicht leichter merken lassen: „Barbara mit dem Turm, die Gretl (Margareta) mit dem Wurm, die Katharina mit dem Radl, das sind die heiligen drei Madln.“12 Sie zeichnen sich alle durch „Allrounderinnen“-Fähigkeiten aus. Die hl. Barbara ist Beschützerin bei Fieber und in Seuchenzeiten und hilft für eine gute Sterbestunde. Kelch und Hostie, wie sie auf dem Lorünser Bild gezeigt werden, stehen für Letzteres. Die hl. Katharina wiederum hatte als gefeierte Rednerin die Patronanz gegen alle Zungenkrankheiten und vor allem stotternde Menschen suchten ihre Hilfe. Darüber hinaus ist sie bei Kopfschmerzen eine wirksame Hilfe, wie sie auch bei Migräne angerufen wird. Und die hl. Margareta gilt als Schutzpatronin junger Frauen, werdender Mütter und der Hebammen.

St. Elmo’s Fire war ein Kinoklassiker der 1980er Jahre mit starker Besetzung. Der Musiktitel zum Film mit gleichem Namen und gesungen von John Parr brachte es zur Nummer eins in den amerikanischen Charts und klingt Ihnen vielleicht noch in den Ohren. St. Elmo’s Fire bezieht sich auf das Elmsfeuer, ein Begriff, der für das Phänomen aufgeladener Metalle im Vorfeld und während eines Gewitters steht und das bis zu sichtbar glühenden Partien führen kann. Bekannt ist dies sowohl auf hoher See etwa bei Schiffsmasten als auch zum Beispiel bei Fixseilen aus Metall, die wir in den Bergen finden. Was haben aber nun dieses Feuer und diese Einleitung mit dem hl. Erasmus zu tun?13

Der Legende nach wurden dem hl. Erasmus seine Gedärme mithilfe einer Seilwinde herausgezogen, ein schauerlich-grausiges Martyrium, das der Heilige erleiden musste. Die Kunstgeschichte hat diesen Aspekt aufgegriffen und die Seilwinde mit den aufgespulten Gedärmen zu einem häufig verwendeten Attribut des Heiligen gemacht. Wir finden diese Beigabe letztlich auch bei allen Erasmus-Darstellungen in Vorarlberg, wie auch beim hier beschriebenen Bild aus Lorüns, zu sehen oben rechts.

Nicht zuletzt dürfte dem gläubigen Volk der legendäre Hintergrund dieser Winde mit der Zeit aus dem Sinn gekommen sein. Die Gedärme wurden nach und nach als Seile gesehen und so überrascht es auch nicht, dass seine Patronanz für die Seiler auf der einen Seite und die Schiffsleute auf der anderen Seite verstärkt wurde. Und Letzteres führte dazu, dass Erasmus, der auf Portugiesisch Elmo heißt, auch für das nach ihm benannte Elmsfeuer herangezogen und sein Schutz bei heraufziehenden Gewittern wichtig wurde.

Die veränderte Interpretation aufgrund des Nichtverstehens eines Attributs wird hier zu einer spannenden Geschichte mit großen Auswirkungen, auch wenn wir nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen können, dass es genau so abgelaufen ist. Ganz ähnlich verhält es sich ja mit der hl. Agatha, deren Martyrium (das Abschneiden ihrer Brüste) in Form zweier auf ein Buch gelegter Brüste Eingang in ihre kunsthistorische Darstellung gefunden hat, später aber auch nicht mehr verstanden wurde und dem zunächst Sicht- und vielleicht dann auch nur Denkbaren zufolge als Brot interpretiert wurde. Dass am Ende der hl. Erasmus ein wichtiger Schutzheiliger gegen Bauchschmerzen aller Art war, scheint logisch und zeigt zumindest, dass nicht alles aus der Legende des Heiligen vergessen worden war. So verhält es sich auch mit der hl. Agatha, die folgerichtig bei Brustschmerzen helfen sollte.

Die vor allem in Bartholomäberg besonders verehrte hl. Anna – Bartholomäberg hätte genauso gut Annaberg heißen können – wird vor allem im Zusammenhang mit ihrer um 1500/25 stark geförderten Zuständigkeit für Bergbauangelegenheiten gesehen. Medizinisch hatte sie ähnlich wie Erasmus Kompetenzen bei Bauch- und Magenschmerzen. Bartholomäus seinerseits war in seinem Martyrium die Haut abgezogen worden, weshalb er sich im Besonderen für die Zunft der Gerber, aber auch bei Hautleiden als Schutzherr eignete.

Die hll. Anna und Bartholomäus zählen nicht zu den Nothelferinnen und Nothelfern. Hier sind aber noch der hl. Christophorus und der hl. Georg zu erwähnen. Letzterer hat als Patron ganzer Krankenhäuser einen speziellen Bezug zur Geschichte der Medizin, wenn auch nicht im Montafon oder in Vorarlberg.

Die hll. Christophorus und Michael begegnen uns am Ende …

Es gäbe noch viel zu erzählen über die Schutzheiligen und ihre Fähigkeiten, den Menschen bei körperlichen Leiden zu helfen. Der hl. Jodok, immerhin Schrunser Kirchenpatron, sollte gegen jede Krankheit helfen, der hl. Dominikus, ganz prominent am linken Seitenaltar in der Pfarrkirche von Bartholomäberg zu sehen und ein wichtiger Teil zahlreicher Altäre der Rosenkranzbruderschaft, half gegen Fieber (wie im Übrigen ganz viele Heilige auf dieser Welt – ein Beleg für das häufigste Leiden, das den Menschen seit jeher widerfuhr). Der hl. Wolfgang – wir sehen ihn im Mittelschrein des berühmten Kristberger Flügelaltares – war Schutzpatron gegen zahlreiche körperliche Gebrechen, also auch von allen zu gebrauchen, wenn man langsam in die Jahre kam.

Betrachten wir abschließend die hll. Christophorus und Michael. Der hl. Christophorus ist ebenfalls fester Bestandteil der gerade beschriebenen himmlischen Einsatztruppe in allen Lebenslagen und er erweist sich ähnlich wie die weiblichen Heiligen als Nothelfer für fast alles. Egal ob jemanden ein Augenleiden oder Zahnschmerzen plagten, die Hilfe des hl. Christophorus war gewiss. Ein wesentlicher Aspekt seiner Anrufung bestand aber darin, gegen den plötzlichen und unerwarteten Tod eine Hilfe zu haben. Nichts schien dem Menschen früher schlimmer als ohne geistlichen oder himmlischen Beistand plötzlich sterben zu müssen. Und so zeigten die Kirchen vor allem im Mittelalter und noch lange in barocker Zeit überlebensgroße Christophorus-Bilder an ihren Außenwänden, damit die Menschen sich jederzeit gewiss sein konnten, einen Christophorus in ihrer Nähe zu haben, wenn sie von einem Moment auf den anderen auf der Straße oder sonst wo ihr Leben aushauchten.14

Hatte man dann übrigens ausgehaucht, konnte man nach altem katholischen Glauben davon ausgehen, als Nächstes dem Erzengel Michael zu begegnen, der einem auf seiner Seelenwaage die guten gegen die schlechten Taten aufrechnete und entschied, ob es nach oben in das Paradies oder nach unten in die Hölle ging. St. Michael in Gaschurn und hier vor allem das alte Altarbild erinnern besonders daran, wie überhaupt die unzähligen Friedhofskapellen, die dem hl. Michael geweiht sind, eine Konsequenz aus diesem Glauben sind. Die hll. Christophorus und Michael sind jedenfalls die letzten Heiligen, die uns historisch gesehen in und nach unserem Leben begegneten, und somit die letzten Heiligen, die entscheidend über unser Wohlbefinden und Seelenheil abstimmten.

Ehemaliges Altarbild in der Pfarrkirche St. Michael in Gaschurn (Foto: Bertram Frei)

 

__________

1 Siehe aktuell die verschiedenen Internetportale zum Thema, wie etwa [www.heiligenlexikon.de/Patronate/Patronate-Widerfahrnisse.htm] (abgerufen am 3.3.22) oder die Liste der Schutzpatrone auf [www.de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Schutzpatrone#Krankheiten_und_Leiden] (abgerufen am 3.3.22).

2 Vgl. dazu etwa Hiltgart L. Keller, Reclams Lexikon der Heiligen und der biblischen Gestalten. Legende und Darstellung in der bildenden Kunst, Stuttgart 1987, S. 507–511.

3 Siehe dazu etwa Dehio-Handbuch. Die Kunstdenkmäler Österreichs – Vorarlberg, bearb. v. Gert Ammann/Martin Bitschnau/Paul Rachbauer/Helmut Swozilek, Wien 1983, S. 400.

4 Andreas Rudigier/Elmar Schallert, 111 Heilige in Vorarlberg (Schriftenreihe der Rheticus-Gesellschaft 37), Feldkirch 1998, S. 70–71.

5 Manfred Tschaikner, Lukas Tschofen von Gaschurn – Zur Geschichte einer Montafoner Oberschichtfamilie im 16. und 17. Jahrhundert, in: Manfred Tschaikner/Andreas Rudigier, Lukas Tschofen und Gaschurn (Bludenzer Geschichtsblätter 14+15), Bludenz 1993, S. 9–86, hier S. 32–34.

6 Siehe dazu Markus Hofer/Andreas Rudigier, Die Vierzehn Nothelfer. Das himmlische Versicherungspaket (vorarlberg museum Schriften 49), Innsbruck-Wien 2020, S. 121–123.

7 Hofer/Rudigier, Die Vierzehn Nothelfer, S. 172–177.

8 Ebd., S. 94–100.

9 Vgl. dazu Andreas Rudigier, Von Heiligen und Nothelfern – eine kleine Reise ins Barock und zurück, in: Peter Melichar/Andreas Rudigier (Hrsg.), Auf eigene Gefahr. Vom riskanten Wunsch nach Sicherheit (vorarlberg museum Schriften 58), Wien-Bregenz 2021, S. 134–151, hier S. 138–139.

10 Hofer/Rudigier, Die Vierzehn Nothelfer, S. 112–116.

11 Ebd., S. 182–183.

12 Rudigier/Schallert, 111 Heilige, S. 18.

13 Hofer/Rudigier, Die Vierzehn Nothelfer, S. 125–131.

14 Siehe dazu unter anderem Andreas Rudigier, Der Tod im Barock. Regionale Beispiele aus der alpinen Lebens- und Vorstellungswelt des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Michael Kasper/Robert Rollinger/Andreas Rudigier (Hrsg.), Sterben in den Bergen. Realität – Inszenierung – Verarbeitung (Montafoner Gipfeltreffen 3), Wien-Köln-Weimar 2018, S. 59–71, hier S. 61–62.

Pfarrer Luzius Hauser, der Heiler und Hellseher vom Bartholomäberg (1594–1668)

Manfred Tschaikner

Der Bartholomäberger Pfarrer Luzius Hauser war um die Mitte des 17. Jahrhunderts der bekannteste magisch-religiöse Heiler und Hellseher in Vorarlberg. Seine „Künste“ wurden über die Landesgrenzen hinaus nachgefragt.1 Er behandelte Kranke, vertrieb Heil- und Abwehrmittel und verfügte angeblich über die Fähigkeit, böswillige Verursacher von Krankheiten zu identifizieren, weiteren Schadenzauber damit zu verhindern und bestehenden oft rückgängig zu machen. Bei dem Geistlichen handelte es sich somit um einen jener „Hexenfinder“,2 denen in Gesellschaften mit einem magischen Weltbild3 hohe Bedeutung zukam und in anderen Teilen der Welt bis heute zukommt.4

Luzius Hausers Herkunft und Familienverhältnisse

Luzi us Hauser stammte nicht, wie lange angenommen, aus dem blumeneggischen Ludesch,5 sondern aus Nüziders in der Herrschaft Sonnenberg.6 Er war ein Sohn des dortigen Landschreibers Hans Hauser7 und seiner Ehefrau Agnes Neslerin. Bei Luzius’ Großvater väterlicherseits handelte es sich um den Bludenzer Stadtschreiber Lutz Hauser. Dessen Ehefrau Dorothe Fußeneggerin war eine Schwester Josef Fußeneggers und kam wohl aus Dornbirn. Ein Bruder des Großvaters namens Hans wirkte ebenfalls als Sonnenberger Landschreiber.8 Seine weiteren Geschwister hießen Leonhard, Hieronymus, Anna und Ursula.9

Pfarrer Luzius Hauser entstammte einer der bedeutendsten Bludenzer Patrizierfamilien, deren Vertreter seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts fast durchwegs das wichtige Amt des Stadtschreibers ausübten.10 Karl Heinz Burmeister bemerkte dazu:

„In keiner anderen Stadt ist der Verbleib des Schreiberamtes in einer Familie so ausgeprägt gewesen wie in Bludenz. Die Tätigkeit des Stadtschreibers beschränkte sich nicht auf die städtischen Aufgaben. Er führte sowohl im Rat wie auch im Gericht das Protokoll, er wurde auch von der Herrschaft für verschiedene Aufgaben eingesetzt, er vertrat häufig die Stadt Bludenz auf den Landtagen. Dazu kam, daß auch alle Herrschaftsangehörigen, wenn sie etwas schreiben lassen wollten, sich an den Stadtschreiber wenden mussten.“11

Der Großvater des späteren Pfarrers schrieb seinen Familiennamen noch wie seine Vorfahren ohne Zwielaut, also „Huser“. Er amtierte von 1545 bis 1578 als Bludenzer Stadtschreiber. 1547 ist er als Verwalter des Bludenzer Untervogts12 und 1564 sogar kurzfristig als Vogteiverwalter der Herrschaften Bludenz und Sonnenberg bezeugt.13 Er erwarb sich auch große Verdienste um die Wiedererrichtung des Dominikanerinnenklosters St. Peter bei Bludenz in den Siebzigerjahren des 16. Jahrhunderts.14 Bei Lutz Huser handelte es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um den Sohn seines Amtsvorgängers Georg Huser, der von 1524 bis 1545 Stadtschreiber war.15 Die 36-jährige Tätigkeit seines Vaters Leonhard Huser als Bludenzer Stadtschreiber und die Karriere von Georgs Bruder, des profilierten protestantischen Juristen Hieronymus Huser, wurden durch Karl Heinz Burmeister in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts erforscht und dokumentiert.16

Die mütterlichen Großeltern des Pfarrers Luzius Hauser waren Christian Nesler und Margarethe Gabrielin. Als Schwestern von Luzius’ Mutter Agnes sind Anna, Dorothe und Elisabeth bezeugt. Ihr Bruder Johannes, der seinem Neffen dereinst etliche Bücher ver erben sollte, wurde Geistlicher.17 Von ihm ist bekannt, dass er aus Ludesch stammte.18

Pfarr er Luzius Hauser hatte mindestens drei Brüder, von denen 1663 aber nur mehr Georg lebte.19 Ein weiterer Bruder war Matheus Hauser. Beim dritten handelte es sich um den langjährigen Schlinser Pfarrer Hieronymus Hauser, der laut Joachim Simon Mayer „1596 in Bludenz geboren und 1621 zum Priester geweiht“ worden war. Er versah die Pfarre Schlins von 1622 bis zu seinem Tod am 15. April 1641.20

In Schlins ließen sich auch beide Schwestern Luzius Hausers nieder. Dorothea war hier mit Michael Schnop, einem Sohn des Mathias und der Anna Kuonzin, verehelicht. Er verstarb am 31. Oktober 1670,21 seine Ehefrau Dorothea Hauserin am 8. März 1676.22 Eine Tochter des Paars heiratete Johannes Mandrugg.23 Die andere Schwester namens Anna Hauserin, die vor dem Sommer 1663 verstorben sein musste,24 war mit Sebastian Mähr verheiratet. Sie hatten ebenfalls Kinder.25

Wenn sich einer von Luzius Hausers Brüdern, Georg oder Matheus, oder vielleicht sogar beide auch in Schlins ansässig gemacht haben, beziehen sich die folgenden Angaben wohl auf ihre Nachkommenschaft: Im Januar 1671 starb einem Hieronymus Hauser ein „Kindle“. Unter dem Datum des 9. Dezembers 1675 ist der Tod einer Maria Hauserin vermerkt. Bei jenem Luzius Hauser, dem am 9. Juli 1678 ein Kind und am 7. Januar 1679 die Ehefrau namens Katharina Mährin starben, dürfte es sich um einen weiteren Sohn Matheus oder Georg Hausers gehandelt haben. Er selbst verschied am 7. Dezember 1688. Vom September 1683 liegt die Todeseintragung einer Lisa „Hausere“ und vom Anfang April des folgenden Jahrs eine Georg Hausers vor. Im Dezember 1691 verstarb in Schlins der „ehrsame Mann“ Johann Baptist Hauser.26

Luzius Hausers Lebensweg

Der 1594 geborene Luzius – abgekürzt Lutz – Hauser, der zeit seines Lebens das ererbte Bludenzer Bürgerrecht beibehielt,27 wurde am 14. März 1615 in Chur zum Priester geweiht.28 Wenige Monate später, im November 1615, ist er als Taufgeistlicher in Feldkirch bezeugt.29 Von spätestens 1617 an wirkte Hauser als Priester in Brand.30Um 1628/29 kam er schließlich als Pfarrer nach Bartholomäberg,31 wo er bis zu seiner Resignation im Jahr 1666 blieb.32

Quellenauszug „Eigenhändige Unterschrift des Bartholomäberger Pfarrers und Heilers Luzius Hauser vom 19. Januar 1661“ (VLA, Pfarrarchiv Bartholomäberg, Hs. u. Cod. 16, o. fol.)

Hauser scheint einigermaßen begütert gewesen zu sein.33 Er leistete sich auch eine ansehnliche Bibliothek,34 worauf Josef Zehrer bereits 1976 hinwies.35 2008 publizierte Karl Heinz Burmeister deren Bestandsverzeichnis in den „Bludenzer Geschichtsblättern“.36 Laut einem Nachtrag Gerhard Podhradskys zählten dazu etliche Bücher, die Hauser vom bereits erwähnten Bruder seiner Mutter, dem Geistlichen Johannes Nesler, übernommen hatte.37 Dieser wirkte nach dem 1591 begonnenen Studium in Dillingen eine Weile als Pfarrer in Thüringen, dann von 1603 bis 1605 in seiner Heimatgemeinde Ludesch,38 wo er sich aber mit einem Teil des „Pfarrvolks“ überwarf, so dass er nach Oberriet in die Schweiz wechselte.39 Ab 1606 war er für einige Zeit als Pfarrer von Lustenau tätig. 1613 befand er sich schon nicht mehr auf dieser Stelle.40 1619 ist Nesler kurz als Pfarrer von Sargans bezeugt,41 davor schon um 1615 und danach wieder als Frühmesser in Bludenz. 1631 besserte er seine dortige Pfründe mit einer Stiftung merklich auf.42

Katalog der Schriften der Bibliothek Luzius Hausers (VLA, Urkunde Nr. 413 von 1657)

Bei einem „Hexenfinder“ wie Luzius Hauser verwundert es, dass in seiner Bibliothek die fünfbändige „Theologia Moralis“ des tirolisch-bayerischen Jesuiten Paul Laymann (1574–1635) stand, die als eine der Grundlagen für die kritische Haltung Friedrich Spees zu den Hexenverfolgungen gilt. Hauser verfügte allerdings über die zweite Ausgabe des Werks,43 die anders als die folgenden noch ganz im Rahmen konventioneller Vorstellungen von Magie und Hexerei verblieb und den Umgang mit Hexen kaum problematisierte.44

Luzius Hauser war Vater zumindest zweier Töchter. Das geht unzweifelhaft aus der Fassung seines Testaments vom 20. Juli 1663 hervor. Darin bedachte er seine haußerin (Haushälterin) Katharina Walserin für ihre langjährigen Dienste unter bestimmten Bedingungen mit der letztwilligen Schenkung eines Guts am Bartholomäberg namens Forneßle45sambt all zugehörigen rechten in hauß, stall, speicher, wald und all anderen gerechtigkheiten. Als andere Erbberechtigte, deren Zustimmung der Pfarrer für diesen Akt einholte, wurden damals sein Bruder Georg, seine Schwester Dorothea und wohlgemerkt seine beiden Töchter Margaretha und Maria Hauserin angeführt.46 Erstere hatte am 14. Februar 1640 in Bartholomäberg Philipp Schaffner geheiratet,47 Letztere am 22. November 1644 ebendort Hans Würbel48 sowie am 14. April 1652 Jakob Vallaster.49 Da nicht davon auszugehen ist, dass Hauser vor seiner Priesterweihe im März 1615 schon kurz verheiratet war, dürfte es sich bei den beiden Frauen um uneheliche Kinder des Pfarrers gehandelt haben.

Luzius Hausers Tätigkeit als Heiler und Hellseher

Bezichtigung der Maria Ganahlin von Tschagguns (um 1640)

Der früheste bislang bekannte Nachweis für Hausers heilerische und hellseherische Tätigkeit findet sich unter den Aufzeichnungen zu den vergeblichen Bemühungen von Vertretern der Talschaft Montafon um gerichtliche Hexenverfolgungen in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Bei den damals am stärksten verdächtigten Personen handelte es sich um die mit Peter Dagein beziehungsweise Hans Schwald verheirateten Schwestern Maria und Agatha Ganahlin aus Tschagguns. Ihre Eltern – Jöri Ganahl und seine Ehefrau – sowie Jöris Schwestern waren schon in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts als Hexenpersonen ausgegrenzt worden. Nachdem man Erstere auch bei obrigkeitlichen Erhebungen in den Jahren 1599 bis 1603 schwer belastet hatte, lagen laut einem rechtlichen Gutachten von 1604 bereits genügend Indizien für die Einleitung eines Hexenprozesses gegen Ganahls Ehefrau vor.50 Dazu kam es damals aber nicht.

Als im Frühjahr 1640 die beiden Töchter Jöri Ganahls wie ihre Eltern der Hexerei bezichtigt wurden, belastete Pfarrer Hauser auch eine davon schwer. So gaben die Tschaggunser Geschworenen im Juni 1640 vor der Bludenzer Obrigkeit unter anderem zu Protokoll: Nachdem ein Kind Jos Dageins, eines Sohns der Maria Ganahlin, einmal Lähmungen erlitten habe, sei der Vater dem herr Luzen, pfarrherrn am Berg, zuegeloffen und habe bei ihm Hilfe gesucht. Er aber habe damals erklärt, es sey niemand anders am khindt schuldig, alß die jenige, so bey dem khindt im bett lige, alß deß Dagenen muetter – also die stark verdächtigte Maria Ganahlin.

Sie und ihre Nachkommen hatten noch lange Jahre unter ihrem schlechten Ruf zu leiden. Die Vertreter der Talschaft bemühten sich selbst durch Interventionen bei den höchsten Stellen, von den vermeintlich mit dem Teufel im Bund stehenden Personen in ihrem Tal durch Hexenprozesse befreit zu werden. Zum Glück für alle Beteiligten erzielten sie damit aber keinen Erfolg.51

Identifizierung der Anna Schuechterin als Schädigerin (1655)

In der Mitte der Fünfzigerjahre führte die Tätigkeit des Bartholomäberger Pfarrers dazu, dass sich die Bludenzer Obrigkeit abermals mit einer Hexereibezichtigung befassen musste. Damals hatten andere weiber bei Martin Netzers Ehefrau den Verdacht erweckt oder bestätigt, die schwere Krankheit ihres Kindes möchte von bösen leüthen khomen. Um sie zu beenden, sollte sie aine biten, daß sy ihrem khindt helffen thette. Das bedeutete nicht, dass sie um medizinische Unterstützung nachfragen sollte. Auf diese Weise versuchte man nach traditioneller Auffassung vielmehr, vermeintliche Schadenzauberer dazu zu bewegen, die von ihnen verursachte Krankheit zu „wenden“, also wieder zurückzunehmen. Die Netzerin sprach deshalb im Beisein etlicher anderer Frauen drei Mal Maria Schuechterin an, sie solte ihrem khindt helffen. Diese nahm das Ritual, das einer Beschuldigung gleichkam, zunächst nicht ernst.

Als die Netzerin auch noch selbst erkrankte, war besserer Rat vonnöten. Deshalb wandte sich die Frau an den Bartholomäberger Pfarrer. Dieser erklärte ihr, wie sie feststellen könne, wer ihre Leiden verursacht habe: Es werde aine umb abholung schmalz khomen, die sollihe kranckheit veruhrsacht habe. Als daraufhin Anna Schuechterin, die mit Christian Vallaster verheiratete Schwester der Maria Schuechterin, auf Geheiß ihres Mannes bei der Netzerin ein Pfund Schmalz als ihren verdienten Arbeitslohn holen wollte, war die kranke Frau davon überzeugt, ihre Schädigerin ermittelt zu haben. Deshalb hielt sie Anna Schuechterin fortan für ain hexen.

Nun fühlten sich die beiden Schwestern zur Rettung ihrer Ehre gezwungen: Nachdem sie der Netzerin im Zuge einer Rauferei auf dem Heimweg von der Messe auf der kirchenstrass einige löcher in kopff geschlagen hatten, verlangten sie am 4. Jänner 1656 vor der Bludenzer Obrigkeit die Aufhebung ihrer Bezichtigung. Anderenfalls solle man sy hin thuen, wo böse leüth gehören. Wenn sie also Hexen wären, möge man mit ihnen entsprechend verfahren. Die Obrigkeit entschied sich jedoch – wie zu erwarten war – dazu, die Ehre der Schuechterinnen offiziell wieder herzustellen.52 Welche Konsequenzen dieser Fall in weiterer Folge für die Betroffenen und den Pfarrer hatte, ist nicht dokumentiert.

Die Behandlung Jakob Schellings aus Wolfurt (1656)

Die „Künste“ Pfarrer Hausers waren nicht nur im Montafon, sondern weit über das Vorarlberger Oberland hinaus gefragt. Das belegt ein Fall aus Wolfurt im Gericht Hofsteig: In einem Brief vom 14. Dezember 1656 erklärte eine dort wohnhafte Katharina Schwärzlerin der Bregenzer Obrigkeit,53 ihrem Ehemann Jakob Schelling sei etwas von einer Hexe oder einem Hexenmeister „angetan“ worden, dass er bei Tag und bei Nacht weder Rast noch Ruhe finden könne und glaube, er müsse Frau und Kinder verlassen. In ihrer Not habe sie sich zunächst an die Kapuziner in Bregenz, die erste Anlaufstelle in Fragen vermeintlichen Schadenzaubers, gewandt. Der dortige Guardian habe sie an den Dornbirner Frühmesser (und späteren Pfarrer) Jakob Greber verwiesen. Bei dem gebürtigen Mellauer handelte es sich um einen bekannten Magiespezialisten, der auch im Zusammenhang mit den Hohenemser Hexenverfolgungen in den siebziger Jahren fassbar ist.54 Greber empfahl der Schwärzlerin, die Betten nach versteckten Zaubermitteln zu durchsuchen. Nachdem sie solche gefunden zu haben meinte, sei es ihrem Mann besser gegangen.

Allerdings habe ihr der Geistliche auch aufgetragen, sie und ihre Kinder sollten den Vater möglichst nicht erzürnen. Da habe es sich aber in dieser angespannten Situation begeben, dass Michael Vonach und Hans Anwander in einen Streit gerieten, in dessen Folge Letzterer Schelling aufforderte, ihm beizustehen und auszusagen, was er bei den Inquisitionen – also bei den behördlichen Erhebungen von Hexereiverdächtigungen – unter Eid zu Protokoll gegeben habe. Bald darauf sei Schelling deshalb im Gasthaus Krone von Hans Gunthalm belästigt worden. Dieser habe ihn behandelt, als ob er nicht recht bei Verstand wäre, und ihm extreme Hartherzigkeit vorgeworfen. Aufgrund des Streits mit Gunthalm habe sich – laut der Schwärzlerin – der Zorn Schellings, der eben hätte vermieden werden sollen, in solche Dimensionen gesteigert, „dass man ihn nicht an den Himmel malen könnte“. Da habe sie ihren Mann auf den Bartholomäberg zum dortigen „geistlichen Herren“ schicken müssen. Auch nach dem Rat anderer „Dökter“ habe man ihn dann fleißig schweißgebadet und zur Ader gelassen.55

Hilfesuchende aus Wasserburg

Luzius Hausers hervorragender Ruf als Heiler blieb nicht auf das Gebiet der österreichischen Herrschaften vor dem Arlberg beschränkt. Aufzeichnungen aus der fuggerischen Herrschaft Wasserburg am Bodensee56 belegen, dass seine „Künste“ auch dort geschätzt waren.

Die im Frühjahr 1657 verstorbene Ehefrau Jakob Hornsteins aus Nonnenhorn war davon überzeugt gewesen, von Georg Hornsteins Tochter so behext worden zu sein, dass es sie das Leben kosten würde. Tatsächlich war die Frau dann in einem Kindbett elend zu Grunde gegangen. Nach der vorletzten Geburt hatte ihr Mann in einer ähnlichen Lage Rat und Hilfe beim Pfarrer von Bartholomäberg gesucht. Dieser habe Hornstein erklärt, im Kindbett hätten ein Mann und eine Frau seine Gemahlin besucht. Bei der Frau, die damals am unteren Ende des Betts gestanden sei, handle es sich um die Verursacherin des Elends. Man solle schauen, dass sie nicht mehr zur Kindbetterin komme, sonst helfe nichts mehr. Bevor Jakob Hornsteins Gemahlin verstorben war, hatte sie der Hebamme anvertraut, dass die ominösen Gäste Georg Hornstein und seine Tochter Barbara gewesen seien. Seit deren Besuch habe sie keine gesunde Stunde mehr erlebt. Georg Hornstein wurde 1659 schließlich als Hexer, Barbara 1664 als Hexe hingerichtet.57

Im Juli 1657 wurde in Wasserburg obrigkeitlich protokolliert, Georg Henner zu Hege sei es vor einiger Zeit über ein Jahr hindurch so schlecht ergangen, dass er geglaubt habe, er müsse erkhrumen. Kein Mittel habe geholfen. Bald habe man sogar befürchtet, dass der guete man sterben müsse. In dieser heiklen Lage habe sich dessen Bruder Zacharias, der einen Verdacht gegen seine Schwägerin, also Georg Henners Ehefrau, als ain ofentlich verschraite hexen gehegt habe, Rat und Hilfe beim Bartholomäberger Pfarrer erwartet. Darum sei er auch zu ihm hinein gangen. Luzius Hauser habe dem Wasserburger gleich erklärt, Georgs Zustand rühre von bösen leithen her, und ihm dagegen Kräuter zum Schweißbaden sowie verschiedene Pillen verordnet. Der Pfarrer habe auch betont, diese Mittel hälfen nichts, wenn sich die Schädigerin beim Kranken befinde oder zu ihm komme. Er müsse dann vielmehr sterben. Am besten wäre es Hausers Meinung nach gewesen, wenn man Georg Henner anderswo unterbrächte. Man solle dabei aber nichts argwohnen, also niemanden in Verruf bringen. Da habe man aber nicht gewusst, wie das anzustellen sei, ohne dass es die Ehefrau des Kranken merkte und dass es khain unglegenheit abgebe. Schließlich habe es Zacharias gewagt, seinem Bruder und dessen Frau die Lage zu erklären. Anschließend habe er ihn in sein Haus genommen und zwölf Tage lang einer Kur unterzogen. Darüber sei der Patient froh gewesen. Zacharias Henners Gemahlin habe währenddessen darauf geachtet, dass die verdächtigte Ehefrau nicht zu ihrem kranken Mann gelangen konnte. Das habe sie auch gar nie versucht. Auf diese Weise habe sich die Lage des Kranken rasch gebessert, sodass es ihm wieder möglich gewesen sei, richtig zu gehen und zu werken. Nur noch an einem Fuß schwinde er, wogegen ihm Meister Wolf, der Barbier, etwas verordnet habe.58 Auch hier hatte sich also Luzius Hausers Diagnose als vermeintlich richtig erwiesen.

Dasselbe galt für einen anderen Fall, der sich im Frühjahr 1660 ereignete. Damals litt ein Büblein, Hans Ehrles, in Mitten schwer, nachdem es Birnen verzehrt hatte, die ihm von Helena Sommerin, einer stark verdächtigten Person, gegeben worden waren. Bevor das Kind verstarb, hatte dessen Vater bei verschiedenen Heilern vergeblich Hilfe gesucht. Unter anderem hatte er jemanden zum Pfarrer auf den Bartholomäberg gesandt. Dieser habe dem Boten zwar Heilmittel mitgegeben, aber auch erklärt, dass es schon zu lang angestannden unnd dem kindt von bösen leithen etwas worden sei.59 Luzius Hauser hatte den Fall nach Meinung der Eltern also von der Ferne aus richtig eingeschätzt, was seinem Ruf zweifellos weiter zugutegekommen war.

Heilung einer besessenen Tirolerin (um 1659)

Die Kunde von Hausers Fähigkeiten war auch nach Tirol gedrungen.60 Nachdem eine junge Frau aus Imst namens Anna Maria Arnoldin61 sieben Wochen lang geistig verwirrt als ein wildes thier in den wäldern herumbgeloffen, mit großer Mühe gefunden und eine Weile lang eingesperrt gewesen sein soll, habe sie der „böse Feind“ (Teufel) übl geblagt. Man brachte sie deshalb zur Heilung auf den Bartholomäberg. Dort sei ihr tatsächlich geholfen worden, so dass sie drei Jahre lang ein ruche und frid gehabt. Als sie aber widerumb der laidige teüfl mit underschidlichen spectris oder gsichter angefochten und vor ihren augen als ein khlaines mänl und 2 rapen herumb geflogen und ihr auch in den sinn gegeben, sie solte ihn ein wasser springen und sich ertrenkhen, führte man sie am 3. März 1662 zum Schrein der hl. Anastasia in Benediktbeuern in Oberbayern.

Im dortigen Mirakelbuch, das die Heilungen von Januar 1657 bis Juni 1668 überliefert,62 sind auch die angeblichen Gründe für den Ausbruch der Krankheit vor der Behandlung durch den Bartholomäberger Pfarrer angeführt. Es heißt, als die Arnoldin noch ledig gewesen sei, habe ein Müllersknecht vergeblich um sie geworben. Dabei habe er ihr zwei Trünke gereicht, in die er davor ein zuckher gegeben habe. Den ersten habe er gemeinsam mit ihr eingenommen. Beim zweiten habe er sie aufgefordert, vor allem auch den dicken Bodensatz zu trinken, was sie freiwillig und gern gethan. In der Nacht darauf sei sie jedoch ihrer sinn beraubt worden und – wie erwähnt – sieben Wochen lang in den Wäldern herumgeirrt. Auf welche Art Luzius Hauser die Frau kuriert hat, ist nicht angeführt.63

Nachfrage aus dem Prättigau

Es kann davon ausgegangen werden, dass der Bartholomäberger Pfarrer auch im nahen Prättigau nachgefragt war, zumal die magisch-religiösen „Künste“ katholischer Montafoner Kleriker selbst bei den benachbarten protestantischen Bündnern nicht erst im ausgehenden 17. Jahrhundert geschätzt wurden.

1699 berichtete Michael Ackermann aus Langwies im Schanfigg, der lange Zeit in Klosters gelebt hatte, über einen entsprechenden Fall. Ein Vater, dessen Sohn als Hirtenknabe in den Bergen um Klosters erschossen worden war, sei „zu einem Pfaffen ins Montafun“ gezogen, damit dieser hellseherisch den Täter eruiere. Der Geistliche habe daraufhin erklärt, dass jene Person den Mord begangen habe, von der das Taufbecken aus der Klosterser Kirche entfernt worden sei. So fiel der Verdacht auf Michael Ackermann, einen passionierten und etwas unheimlichen Jäger, der sich angeblich auch aufs Bannen verstand.64 Dass es sich beim erwähnten Geistlichen im Montafon um Luzius Hauser gehandelt hat, ist zwar nicht nachgewiesen. Es erscheint jedoch als sehr wahrscheinlich.

Einsatz bei Tierkrankheiten

Vielleicht stammten auch jene magischen Mittel zum Räuchern, die man laut den Aufzeichnungen zu den Klosterser Hexenprozessen um 1702 einst aus dem Montafon geholt habe,65 von Pfarrer Hauser. Er war jedenfalls nicht nur mit der Identifizierung von Hexen und der Heilung menschlicher Krankheiten befasst, sondern stellte zudem Heilmittel gegen Tierkrankheiten her, ja war selbst in den Ställen tätig, wo er alles vich segnete und seine mitl gebraucht[e].66

Manchmal allerdings getraute man sich aus Angst vor der Verbreitung von Gerüchten nicht, ihn persönlich kommen zu lassen. Das war etwa der Fall, als gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges – vermutlich um 164767 – bei einem Teil der Tiere, die Benedikt Bertle von Tschagguns für den Metzger Klaiber aus Memmingen vor den Schweden in Sicherheit gebracht hatte, ein Seuchenverdacht auftrat. Auf die erste Nachricht von einer kranken Kuh reagierte Bertle nach eigenen Angaben noch mit der frommen Aussage, er muesse es dem lieben got befelhen. Bald verließ er sich aber nicht mehr auf Gottes Willen. Sicher wandte er damals selbst das eine oder andere traditionelle bäuerliche Heilmittel oder -verfahren an. Eines davon bestand darin, dass man der kranken Kuh den eigenen Urin einflößte. Nach etlichen Tagen erkannte Bertle aber, dass er fachmännische Unterstützung brauchte. Er gab deshalb Adam Löntsch zwei Batzen und schickte ihn zum Pfarrer von Bartholomäberg, um zeug zu kaufen, womit er die Tiere dann „räucherte“.68 Der Rauch galt ähnlich dem Feuer als ein Mittel, (Krankheits-)Dämonen zu vertreiben,69 besonders wenn seine Wirkung mit kirchlichen und/oder magischen Substanzen verstärkt worden war. Bertle führte übrigens seine Probleme mit dem Vieh auf die Schwaldin, also auf die bereits erwähnte Maria Ganahlin, zurück.70

Luzius Hausers Lebensende

Nach L uzius Hausers Resignation auf die Pfarre Bartholomäberg im Jahr 166671 trat der 1615 in Schlins geborene und seit 1646 als Pfarrer im benachbarten Silbertal tätige Bartholomäus Malang seine Nachfolge an.72 Aufgrund des Schriftwechsels in den Matrikenbüchern lässt sich der Abgang Hausers auf Juni oder Juli 1666 datieren.73

Hauser scheint sein Leben nicht am Bartholomäberg beendet zu haben, denn in den örtlichen Sterbeeintragungen, die vom Februar 1668 an vorliegen, fehlt sein Name.74 Die entsprechenden Aufzeichnungen stammen übrigens schon aus der Feder von Malangs Nachfolger als Bartholomäberger Pfarrer, Mathias Michael aus Feldkirch.75 Auch er sollte bereits nach zwei Jahren durch einen anderen Priester abgelöst werden.76 Nach Hausers Abgang war es anscheinend nicht leicht, sich dort als Ortspfarrer zu etablieren.

In den Unterlagen der Bartholomäberger Almosen-Bruderschaft lässt sich das Todesdatum Hausers nicht genau feststellen. Auf die Eintragung der verstorbenen Mitglieder des Jahres 1666 folgt dort in anderer Schrift der Vermerk: Herr Lucius Hauser gewester pfahrer alhie. Kurz darauf ist Margaretha Stüedlerin angeführt, die laut dem Bartholomäberger Sterbebuch am 6. April 1668 verschied.77 Wenig später findet sich die Todeseintragung des 1669 verstorbenen St. Gallenkircher Frühmessers Jakob Zelfe.78

Besser datieren lässt sich Hausers Ableben anhand der Aufzeichnungen der Bludenzer Dreifaltigkeitsbruderschaft, zu deren geistlichen „Assistenten“ er von der Gründung im Jahr 1658 bis 1660 und wiederum von 1663 bis 1666 zählte. Verstorbene Mitglieder wurden jeweils in einer eigenen Zeremonie auß der h. h. dreyfaltigkeit bruederschafft bestattnet, also verabschiedet. Bei Luzius Hauser als geweste[m] pfarrherr[n] an St. Bartholomesperg erfolgte sie am 27. Juni 1668.79 Demnach wird er um die Mitte des Monats verstorben sein, denn der vor ihm am 11. Juni „bestattnete“ Bludenzer Wirt Johann Peter Thüring hatte sein Leben am Ersten dieses Monats beendet.80 Auch bei anderen Bruderschaftsmitgliedern fand die Zeremonie ein bis zwei Wochen nach dem Ableben statt, so zum Beispiel bei dem am 15. März 1660 verstorbenen Benedikt Bertle aus Tschagguns am 1. April81 oder bei dem am 13. Juni 1660 verschiedenen Schrunser Pfarrer Johann Geißinger am 22. Juni.82

Als Luzius Hausers Lebenseckdaten können somit die Jahre 1594 und 1668 angeführt werden. Wo er verstarb, ließ sich bislang nicht eruieren. In den Matriken von Schlins, Bludenz, Schruns, Tschagguns und Bartholomäberg liegen keine entsprechenden Eintragungen vor. Aus Nüziders, Ludesch und Feldkirch fehlen die Sterbebücher dieser Zeit.

Den letzten Akt in Hausers Biografie bildete die Stiftung eines Kelchs für die Schlinser Pfarrkirche. Die auf dessen Fuß zu lesende Aufschrift Hieronymus et Lucius Hauser Fratres me fieri curaverunt Anno 167083 gibt vor, dass die beiden genannten Brüder für die Anfertigung des Kelchs gesorgt hätten. Vermutlich ging sie aber nur auf eine entsprechende Bestimmung in Luzius’ Testament zurück, die wiederum damit in Verbindung zu bringen sein wird, dass Bartholomäus Malang – Hausers Nachfolger am Bartholomäberg – im April 1668 das Amt eines Pfarrers in seiner Heimatgemeinde Schlins angetreten hatte.84 Dass Luzius seinen lange vor ihm verstorbenen Bruder in die Stiftung an dessen ehemaligen Wirkungsort mit einbezog, bildete eine schöne Geste der Erinnerung.

Schlussbemerkung

Die heilerische und hellseherische Tätigkeit des aus Nüziders stammenden Bartholomäberger Pfarrers Luzius Hauser, eines Nachkommen der Bludenzer Stadt- und Landschreiberdynastie der Huser, war zu seiner Zeit weitum hochgefragt. Sie umfasste verschiedene Wirkungsbereiche, die je nach ihrer Bedeutung und ihrem Konfliktpotential unterschiedlich überliefert sind. Starke Nachfrage bestand nach Hausers angeblicher Fähigkeit, Personen zu identifizieren, die andere geschädigt haben sollen. Dass diese dadurch oft in (weitere) große Schwierigkeiten gerieten, beurteilten Menschen, die von der Realität des Schadenzaubers überzeugt waren, grundsätzlich anders als Vertreter späterer Generationen mit anderen Weltbildern. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts entsprach Hausers Wirken als „Hexenfinder“ jedenfalls den Vorstellungen der führenden Männer im Montafon, die sich lange Zeit vergeblich um die Einleitung von gerichtlichen Hexenverfolgungen bemühten.85 Während mancherorts das Treiben von „Hexenfindern“ geahndet und unterbunden wurde,86 besteht kein Hinweis darauf, dass man den Geistlichen für diese Tätigkeit je gerichtlich belangt hätte.

Mit seiner Art der Diagnosen und Therapien bildete Luzius Hauser unter den geistlichen und weltlichen Heilern seiner Zeit keine Ausnahmeerscheinung. Aus der Gruppe Letzterer ragte im südlichen Vorarlberg um die Mitte des 17. Jahrhunderts Meister Peter Schoder aus Bürs heraus.87 Auch auswärtige magische Spezialisten wie der Appenzeller Wundarzt und Alchimist Ulrich Ruosch88 waren östlich des Rheins nachgefragt.89 Unter den Klerikern taten sich vor allem die Kapuziner als Spezialisten der Geister- und Teufelsbannung90 sowie der Hexenverfolgung hervor.91 Selbst der bekannte Weingartner Benediktinerpater und Universalgelehrte Gabriel Bucelin92 trieb in Vorarlberg Teufel aus.93 An die Bedeutung, die der Klostertaler Geistliche Johann Josef Gassner (1727–1779) hundert Jahre später mit seinen Wunderheilungen erlangen sollte,94 reichten die Genannten jedoch alle bei Weitem nicht heran.

 

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1 Vgl. zu seiner Person bislang Manfred Tschaikner, Luzius Hauser, Pfarrer von Bartholomäberg – ein überregional gefragter Hexenfinder und Heiler, in: Bludenzer Geschichtsblätter 88 (2008), S. 10–20; ders., Zur Biografie des Bartholomäberger Pfarrers und Heilers Luzius Hauser (1594–1668), in: Bludenzer Geschichtsblätter 108 (2014), S. 64–69; Manfred Tschaikner, Magie und Hexerei im südlichen Vorarlberg zu Beginn der Neuzeit, Konstanz 1997, S. S. 39–40, 100–101. Die Montafoner Heimatmuseen widmeten ihm 2011 eine Ausstellung im Museum Frühmesserhaus am Bartholomäberg: Michael Kasper, Montafoner Museen 2011, in: Ders. (Hrsg.), Jahresbericht 2011. Montafoner Museen, Heimatschutzverein Montafon, Montafon Archiv, Schruns 2012, S. 4–8, hier S. 5.

2 Per Sörlin, Witch finders, in: Encyclopedia of Witchcraft. The Western Tradition 4, Santa Barbara-California 2006, S. 1206–1209.

3 Johannes Dillinger, Hexen und Magie, Frankfurt-New York 22018, S. 13–18.

4 Tamara Multhaupt, Hexerei und Antihexerei in Afrika, München 1989, S. 149.

5 Vorarlberger Landesarchiv (fortan: VLA), Nachlass Ulmer, Sch. 1, Pfarrbeschreibung von Bartholomäberg, S. 11; ebd. Sch. 2, Pfarrbeschreibung von Brand, S. 15.

6 Albert Fischer, Reformatio und Restitutio. Das Bistum Chur im Zeitalter der tridentinischen Glaubenserneuerung. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Priesterausbildung und Pastoralreform (1601–1661), Zürich 2000, S. 615.

7 Jutta Maria Strolz, Beiträge zur Geschichte der Stadt Bludenz unter besonderer Berücksichtigung des 16. Jahrhunderts, Diss. Phil. Innsbruck 1967, S. 429, 438. Als Geschwister des Vaters sind Theobald, Jakob, Ursula und Sabina Hauser bezeugt: Sterbebuch der Pfarre Schlins 1641–1714, S. 134–135.

8 Beide sind in ihren Ämtern im Jahr 1545 bezeugt: Karl Heinz Burmeister (Hrsg.), Vorarlberger Weistümer. 1. Teil: Bludenz – Blumenegg – St. Gerold (Österreichische Weistümer 18), Wien 1973, S. 58.

9 Sterbebuch der Pfarre Schlins 1641–1714, S. 134–135.

10 Karl Heinz Burmeister, Dr. Hieronymus Huser ca. 1498–1540. Prokurator am Reichskammergericht. Zugleich ein Beitrag zur Sozialgeschichte, in: Montfort 26 (1974), S. 281–302, hier S. 281.

11 Karl Heinz Burmeister, Bludenz in der Zeit von 1420 bis 1550, in: Ders. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Bludenz. Von der Urzeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Sigmaringen 1996, S. 101–160, hier S. 146.

12 Ludwig Welti, Bludenz als österreichischer Vogteisitz 1418–1806. Eine regionale Verwaltungsgeschichte (Forschungen zur Geschichte Vorarlbergs 2), Zürich 1971, S. 45.

13 VLA, Vogteiamt Bludenz 160/3475; nicht angeführt bei Hermann Sander, Die österreichischen Vögte von Bludenz, in: Programm der k. k. Ober-Realschule in Innsbruck für das Studienjahr 1898–1899, Innsbruck 1899, S. 3–92, hier S. 27–52.

14 Ludwig Rapp/Andreas Ulmer/Johannes Schöch, Topographisch-historische Beschreibung des Generalvikariates Vorarlberg 8.1, Dornbirn 1971, S. 255; Manfred Tschaikner, Bludenz im Barockzeitalter (1550–1730), in: Ders. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Bludenz. Von der Urzeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Sigmaringen 1996, S. 161–280, hier S. 232.

15 Strolz, Beiträge, S. 336; Burmeister, Bludenz, S. 146.

16 Burmeister, Huser, S. 282–298; ders., Bludenz, S. 139–140, 153–154 (Abbildung des 1525 durch Kaiser Karl V. verliehenen Familienwappens auf S. 155).

17 Die Geschwister des mütterlichen Großvaters hießen Thomas, Hans, Ulrich, Andreas, Katharina, Veronika und Agnes, „die Nesler“. Vermutlich war der „Regimentsschultheiß“ Joder Engstler, Sohn eines gleichnamigen Vaters und der Anna Zechin, nicht deren Stiefvater, sondern jener von Hausers Mutter: Sterbebuch der Pfarre Schlins 1641–1714, S. 134–135.

18 Fischer, Reformatio, S. 500, 620; Ludwig Rapp/Andreas Ulmer/Johannes Schöch, Topographisch-historische Beschreibung des Generalvikariates Vorarlberg 6.2, Dornbirn 1965, S. 827; Gerhard Podhradsky, Bücher aus Bartholomäberg, in: Bludenzer Geschichtsblätter 89 (2008), S. 44–46, hier S. 44. Burtscher führt den Namen „Nesler“ in seiner Liste der „Familien in Ludesch (laut Taufbuch) von 1607 bis 1899“ jedoch nicht an: Roman Burtscher, Familiennamen durch vier Jahrhunderte 1607 bis 1950, in: Gemeinde Ludesch (Hrsg.), Ludesch, Ludesch 1996, S. 104–111, hier S. 108.

19 VLA, Stadtarchiv Bludenz 336/46.

20 Joachim Simon Mayer, Kirchengeschichte der Pfarre Schlins-Röns, in: Dieter Petras (Hrsg.), Kirchengeschichte von Schlins (Schlinsdokumentation 3), Schlins 2012, S. 10–305, hier S. 137; Sterbebuch der Pfarre Schlins 1641–1714, S. 1.

21 Sterbebuch der Pfarre Schlins 1641–1714, S. 134.

22 Ebd., o. S.

23 Ebd., S. 65.

24 VLA, Stadtarchiv Bludenz 336/46.

25 Sterbebuch der Pfarre Schlins 1641–1714, S. 25.

26 Ebd., o. S.

27 VLA, Stadtarchiv Bludenz, Hs. 10, S. 19, 23, 27.

28 Fischer, Reformatio, S. 615.

29 Andreas Ulmer/Manfred A. Getzner, Die Geschichte der Dompfarre St. Nikolaus Feldkirch 2, Feldkirch 2000, S. 176.

30 VLA, Nachlass Andreas Ulmer, Sch. 2, Pfarrbeschreibung von Brand, S. 15; Reinhard Ganahl/Erich Schallert, Heimatkundliche Beiträge über Brand zum Jubiläumsjahr „650 Jahre Brand“, Brand 1997, S. 20. In meinem Artikel aus dem Jahr 2008 ging ich noch davon aus, dass er erst in den Zwanzigerjahren dorthin gekommen sei: vgl. Tschaikner, Hauser, S. 10.

31 Josef Ruß, Die Maßnahmen der landesfürstlichen Regierung und der Kirche für die Erhaltung und Neubelebung des katholischen Glaubens in Vorarlberg im 16. und 17. Jahrhundert, Diss. phil. Innsbruck 1937, S. 70; Andreas Ulmer meinte, dass Hauser laut Visitationsprotokoll von 1660 erst seit etwa 1646 Pfarrer in Bartholomäberg gewesen war: VLA, Nachlass Andreas Ulmer, Sch. 1, Pfarrbeschreibung von Bartholomäberg, S. 11. In derselben Arbeit, S. 2, erwähnte er ihn allerdings schon für 1639 in dieser Funktion.

32 Eintragungen vom 4. Januar 1666 und 7. Dezember 1666. VLA, Pfarrarchiv Bartholomäberg, Hs. 16, o. fol.

33 Z. B. VLA, Stadtarchiv Bludenz 384/168.

34 VLA, Urk. 413 u. 7636.

35 Josef Zehrer, Ältere Bibliotheken in Vorarlberg und ihre Kataloge, in: Vorarlberger Landesmuseum (Hrsg.), Buch und Bibliothek in Vorarlberg. Katalog der Ausstellung (Ausstellungskatalog des Vorarlberger Landesmuseums 67), Bregenz 1976, S. 13–21, hier S. 17.

36 Karl Heinz Burmeister, Verzeichnis der Bücher des Pfarrers Luzius Hauser von St. Bartholomäberg aus dem Jahre 1657, in: Bludenzer Geschichtsblätter 88 (2008), S. 21–31.

37 Podhradsky, Bücher, S. 44–46.

38 Ludewig führt irrtümlich Bludesch als Herkunftsort an: Anton Ludewig, Vorarlberger an in- und ausländischen Hochschulen vom Ausgange des XIII. bis zur Mitte des XVII. Jahrhunderts (Forschungen zur Geschichte Vorarlbergs und Liechtensteins. Kulturgeschichtliche Abteilung 1), Bern-Bregenz-Stuttgart 1920, S. 141, Nr. 68. In Bludesch scheint der Familienname in den Matriken nicht auf: Guntram Jussel, Dorfbuch Bludesch. Von den Rätoromanen zur II. Republik. Geschichte und Gegenwart einer Walgaugemeinde, Bludesch 1994, S. 365.