Kräuter-Biotika - Felicia Molenkamp - E-Book

Kräuter-Biotika E-Book

Felicia Molenkamp

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Beschreibung

Antibiotisch wirksame Pflanzenstoffe statt pharmazeutischer Antibiotika. Nicht nur die Pharmaindustrie, auch die Natur selbst stellt uns antibiotisch wirksame Stoffe zur Verfügung. Ätherische Öle, Bitterstoffe, Gerbstoffe, Harze und Glykoside können es mit den pharmazeutisch hergestellten, synthetischen Stoffen durchaus aufnehmen oder sie sogar übertreffen: Sie hemmen spezifisch schädliche Bakterien, ohne die erwünschten zu schädigen, und wirken grösstenteils auch gegen Viren, Pilze und andere Krankheitserreger. Aufschlussreich und auf unterhaltsame Art stellt die Autorin die Naturstoffe den chemischen vergleichend gegenüber, beschreibt ihre Eigenschaften und ihre Wirkungsweise und verbindet medizinisches Wissen mit praktischer Anwendung. Mit vielen Tipps, wie die pflanzlichen Zutaten einfach und schmackhaft in der Küche verwendet werden können.

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Seitenzahl: 188

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Kräuter-Biotika

Felicia Molenkamp

Kräuter-Biotika

Antibiotisch wirkende Inhaltsstoffe essbarer Wildpflanzen

Für meinen Sohn

Cornells Adriaan

»Wer will was Lebendiges erkennen und beschreiben,

Sucht erst den Geist heraus zu treiben;

Dann hat er die Teile in der Hand;

Fehlt, leider, nur das geistige Band.«

Johann Wolfgang von Goethe, Faust, Teil I, Szene 4

Die in diesem Buch wiedergegebenen Informationen sind nach bestem Wissen und Gewissen dargestellt und wurden mit größtmöglicher Sorgfalt geprüft. Der Gebrauch sämtlicher Rezepte und Anwendungen liegt in der Verantwortung des Lesers oder der Leserin. Autorin und Verlag übernehmen keinerlei Haftung für etwaige Schäden oder Folgen, die sich aus dem Gebrauch oder Missbrauch der hier vorgestellten Informationen ergeben können.

© 2015

AT Verlag, Aarau und München

Lektorat: Ralf Lay, Mönchengladbach

Fotos: Felicia Molenkamp

Layout und Satz: Martin Schaad

Bildaufbereitung: Vogt-Schild Druck, Derendingen

ISBN 978-3-03800-105-8

www.at-verlag.ch

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

Inhalt

Zum Geleit – Aperitif

Bakterien: Unsere Urahnen als geniale Lebenskünstler

Woher Bakterien kommen und wie sie unser Leben ermöglichen und bereichern

Die bakterielle Vermehrungsrate

Die Landeroberung

Bakterien – Freund und Feind

Antibiotika – Manege frei für Kunst, Kultur und Kuriositäten

Evolution und Koevolution

Der Mensch und sein Daumen

Die Neuzeit

Die Vorteile der Kräuter-Biotika gegenüber Chemo-Biotika

Sekundäre Pflanzenstoffe

Primäre und sekundäre Stoffe

Mehr als Ballast

Abwehrstark dank sekundärer Stoffe

Pflanzliche Botschaften

Die ausreichende Zufuhr sekundärer Pflanzenstoffe

Aromastoffe: Dufte Düfte fürs Immunsystem

Duftstoffe als Informationsträger

Aromatische Divergenzen

Räucherstoffe

Ätherische Öle

Rezepte mit Aromapflanzen

Harze und Propolis

Pilze

Würzige Leckereien aus dem Wald – vor allem gegen Atemwegserkrankungen

Cumarine und ein aromatisches Waldmeisterrezept

Senfölglycoside – duftende Stinkstoffe oder stinkende Duftstoffe

Rezepte

Bitterstoffe – gut, besser, bitter

Bittere Medizin?

Giftalarm

Bitterstoffe im menschlichen Körper

Gegen Übersäuerung und zu großen Appetit

Bitterkräuter

Rezepte

Farbstoffe – die van Goghs unserer Abwehrkräfte

Frühes Landleben

Blütenbildung

Stellenangebote

Herbstfarben

Flavonoide gegen oxidativen Stress

Doldenblütler – Farbspektrum in Weiß

Rezepte

Gerbstoffe – die magnetische Müllabfuhr

Gerben

Gallen und die Bändigung von Großmäulern

Gerbstoffe in unserer Nahrung

Entzündungen

Rosengewächse

Liebe geht durch den Magen – Rosen- und andere Rezepte

Schleimstoffe – rutschfeste Rausschmeißer

Pflanzenschleim

Wasser und Alkohol als Lösungsmittel

Schleimdrogeneffekte

Rezepte

Seifenstoffe – Schaumschläger und Schmutzfänger

Ein Stück Seifengeschichte

Der Heileffekt der Saponine

Rezepte

Ausblick – Digestif

Anhang

163 Literatur

Dankeschön

Verzeichnis der Rezepte Stichwortverzeichnis

Kuhblume (Taraxacum officinale)

Zum Geleit – Aperitif

»Antibiotika« sind in aller Munde. Es handelt sich um antibakterielle Substanzen, die verschiedene Bakterienstämme in ihrer Ausbreitung hemmen. In Form von Arzneien werden sie gegen allerlei Wehwehchen geschluckt. Für die Mundschleimhaut werden sie ständig von uns selbst produziert. Darüber hinaus sind sie Bestandteil unserer Nahrungsmittel – sowohl für Vegetarier als auch für Omnivoren. In aller Munde sind sie aber auch im übertragenen Sinne, bieten sie doch immer wieder Anlass zu Diskussionen im privaten wie im öffentlichen Leben.

Es gibt einige bakterielle Krankheitserreger, aber auch viele für uns nützliche oder uns überhaupt nicht beeinflussende Mikroorganismen. Das Reich der Bakterien ist groß, und dazu gehören auch zahlreiche lebensnotwendige kleine Helfer. Zu der mit uns in enger Symbiose zusammenlebenden Gemeinschaft aller Mikroben, dem Mikrobiom, zählen die Darm- und die Hautflora ebenso wie die Kolonisten anderer Organe und Gewebe. Nur in Blut, Lymphe, Herz und Hirn konnten bisher noch keine dieser Miniaturaktivisten nachgewiesen werden.

Da die Mikroben weltweit nahezu überall leben, haben auch Tiere und Pflanzen ihr jeweils persönliches, einzigartiges Mikrobiom. Es besteht neben wenigen Pilzen und anderen mikroskopisch kleinen Lebewesen hauptsächlich aus vielen tausend verschiedenen Bakterienarten. Für die Bakterien ist ein mehrzelliger Organismus ein Kontinent mit unterschiedlichen Landschaften und Klimazonen, auf dem sie sich heimisch niedergelassen haben und den sie bewirtschaften.

Mit jedem Bissen und jedem Schluck Flüssigkeit, den wir uns einverleiben, ernähren wir auch unsere Mitbewohner. Für diese Unterhaltsleistungen bedanken sich die Winzlinge durch ihre Mitarbeit bei der Verdauung oder die Produktion von Vitaminen, Hormonen sowie anderen nützlichen und lebenserhaltenden Substanzen. Ähnlich wie im Märchen von den Heinzelmännchen nehmen wir ihre Wohltaten wahr, ohne auch nur jemals eine Bakterie mit bloßem Auge gesehen zu haben.

Bakterien lachen nicht, sie weinen nicht – und doch beeinflussen sie unsere Emotionen. Sie haben keinen Sex – und doch beeinflussen sie unsere Partnerwahl. Sie können per Definition nicht auf natürliche Weise sterben – und doch beeinflussen sie die Länge unseres Lebensfadens. Sie sind winzig und nahezu unsichtbar – und doch bewirken sie Großartiges wie Tragisches.

Manchmal tauchen in der eingespielten Allianz unserer körperlichen Wohngemeinschaft unerwünschte Eindringlinge auf. Störenfriede, die das Milieu verpesten, rumstänkern oder anderweitig Zwietracht säen. Es kann zu regelrechten Territorialschlachten kommen. Größere Gemetzel lösen bei uns sowie in allen tierischen Organismen Entzündungen aus. Diese sind Warnzeichen unseres Körpers, die unser Immunsystem anheizen.

Werden wir von solchen bakteriellen Krankheitserregern überfallen, so haben wir seit ungefähr achtzig Jahren die Möglichkeit, pharmazeutisch synthetisierte Antibiotika in konzentrierter Form zu uns zu nehmen. Das sind viele Millionen natürliche, künstlich oder halbsynthetisch kreierte Moleküle, die in Tablettenform gepresst und oft zuckersüß maskiert werden. Neben den Vorteilen, die mit der Gabe von Antibiotika verbunden sind, hat die Medaille aber auch eine Kehrseite. Wir sollten zum Beispiel immer bedenken, dass der geradezu inflationäre Einsatz von chemischen Antibiotika auch ein Trainingsprogramm für Bakterienresistenzen darstellt. Das heißt, die Bakterien passen sich an die neuen Herausforderungen an, und die vermeintlichen Wunderwaffen werden schnell wirkungslos.

Schon Alexander Fleming, einer der Entdecker dieser Abwehrstrategien, warnte während seiner Nobelpreis-Laudatio 1945 vor der exzessiven Verwendung dieser neuen Medizin. Zunächst euphorisch gefeiert, zählten die »Antibiotika« genannten Defensivmaßnahmen der Mikroorganismen – auch der industriell synthetisierten – bald zu den berühmtesten Neuerungen der humanen Medizingeschichte. Die menschliche Gier nach stets noch mehr Erfolg, noch mehr Gewinn und noch mehr Heilung sorgte schnell für einen regelrechten Boom auf dem Antibiotikamarkt. Jährlich werden mittlerweile allein in Deutschland mindestens 600 000 Kilogramm der Mittel in der Humanmedizin verschrieben. Etwa die doppelte Menge wird nochmals in der Tiermast verschwendet, wobei seit 2006 die vorsorgliche Gabe bei gesunden Tieren zur Ertragsoptimierung verboten ist. Doch der Boom kehrte sich zum »Boomerang«, der mit vielen Nebenwirkungen im Gepäck zurück auf uns zurast und mittlerweile bedrohliche Ausmaße angenommen hat. Seit einigen Jahren offenbaren die Chemo-Biotika bedenkliche Nebenwirkungen. Die Erforschung adäquater Alternativen setzte die Wissenschaft zunehmend unter Druck, und die Bannung der negativen Auswirkungen steht inzwischen mehr im Fokus als ihre positiven Effekte. Ihr lebensverlängernder Erfolg kehrt sich infolge des flächendeckenden Einsatzes um in eine lebensbeschränkende Bedrohung.

Eine Alternative dazu sind Kräuter-Biotika (mehr dazu auf Seite 31). Unsere wilden Pflanzen, auch die mitteleuropäischen, müssen sich ebenfalls vor feindlichen Invasionen der Mikroben und Pilze schützen. Hauptsächlich präventiv. Zu diesem Zweck bauen sie verschiedene Inhaltsstoffe auf, die den unangenehmen Quälgeistern ihren Aufenthalt vergällen. Und genau diese Elemente schenken uns die essbaren Kräuter, Gemüse, Gewürze, Baumblätter, Erdknollen, Früchte oder Schoten, wenn wir sie regelmäßig als Nahrung genießen. Wildwachsende Pflanzen sind sozusagen auf sich allein gestellt bei ihrer Verteidigung gegen die Unbilden des Lebens. Sie produzieren daher recht viele dieser Substanzen und bewahren sie vorsorglich in besonderen Abschnitten ihrer Körper auf. Dort sind sie unter anderem auch als Energiereserve für sich selbst und für uns von Nutzen. (Im Gegensatz dazu werden gezüchtete Früchte und Gemüse von uns gehegt und gepflegt. Sie brauchen wenig oder keine Energie in die Ausbildung ihrer Selbstverteidigung zu stecken.) Die natürlichen, von Pflanzen produzierten Antibiotika unserer Nahrung sind das zentrale Thema dieses Buches.

Pflanzen sind aber viel mehr als reine Wirkstoffbehälter gegen spezielle Wehwehchen – wie jeder Organismus mehr ist als die Summe seiner Inhaltsstoffe und Teile. Pflanzen sind tragende Säulen unserer unglaublich vielfältigen Lebensnetzwerke. Sie existieren bereits seit vielen Millionen Jahren und bilden die Basis für unsere Existenz. Wir atmen den von ihnen erzeugten Sauerstoff, wir kleiden uns in ihre Materialien, wir bauen unsere Behausungen mit ihren Stützelementen und vieles mehr. Vor allem sind sie uns Vorbild für die meisten unserer Erfindungen, die unser Leben seit Beginn der Menschwerdung ungemein erleichtern. Nahezu alle menschlichen Schöpfungen, zuvorderst die im naturwissenschaftlichen Bereich, fußen auf pflanzlichen Vorbildern. Diese Tatsache wird oft vernachlässigt, wenn wir florale Objekte, besser gesagt Subjekte, erforschen. Mittlerweile haben wir sogar Geräte erfunden, die uns befähigen, den pflanzlichen und mikrobiellen Nachrichtenaustausch zu erahnen – dabei können wir aber erst vage die Spitze des Eisbergs erblicken.

Dieses Buch möchte Ihnen zeigen, wie Sie sich die natürlichen biotischen Kräfte der Pflanzen zunutze machen können, um Krankheiten vorzubeugen und die ganzheitliche Heilung zu unterstützen.

Beim Sammeln müssen Sie die einzelnen Wildkräuter natürlich genau kennen, um sie nicht mit ungenießbaren oder gar giftigen Doppelgängern zu verwechseln. Ich pflücke mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen meiner Kräuterführungen immer wieder wilde Kost vom Wegesrand zum Probieren. Dabei betone ich auch stets, dass die Würze einer einzelnen Pflanze immer anders empfunden wird als im Potpourri. Das wäre so, als würden Sie während Ihres Einkaufsbummels an der Gemüsetheke erst zwei Blätter Endivie und ein Stück Gurke probieren, in eine Zwiebel beißen, dann am Lauch knabbern, sich etwas Pfeffer und Salz auf die Zunge streuen und abschließend einen Stängel Petersilie kauen …

Zum Kennenlernen der Kräuter werden in Ihrer Nähe sicher verschiedene botanische Exkursionen angeboten. Sie sind selbstverständlich herzlich eingeladen, auch an einem meiner Angebote in Nordhessen teilzunehmen.

Grundsätzlich gilt für jede Wildsammlung von Pflanzen:

Ernten Sie nie den gesamten lokalen Bestand der Kräuter.

Achten und vermeiden Sie Kot von Tieren in der Nähe der Sammelobjekte.

Meiden Sie gedüngte Felder und verkehrsreiche Gebiete.

Sammeln Sie ausschließlich Pflanzen, die Sie genau kennen.

In den ersten Kapiteln dieses Buches erfahren Sie einige Hintergründe über die gemeinsame Entwicklung, die Koevolution von Mikroorganismen, Pflanzenwelt, Tierwelt und Menschheit, um die Zusammenhänge der Heilwirkungen besser zu verstehen. Danach werden wir die spezielleren Heilkräfte einzelner Pflanzenbestandteile beziehungsweise -wirkstoffe besprechen, ohne sie jedoch dem Gesamtzusammenhang zu entreißen. Die einfachen Rezepte in diesem Buch sollen Ihnen als Anregung dienen, die gesammelten Wildkräuter individuell und einfach in Ihre Kochkunst zu integrieren. Sie können, wenn Sie möchten, so zunächst mit wenigen wilden Kräutern Ihre eigenen Rezepte aufwerten und sie allmählich um die gesunde und schmackhafte Kräuterkost bereichern. Dabei wünsche ich Ihnen viel Vergnügen, kenntnisreiche Stunden und viele neue kulinarische Genüsse!

Felicia Molenkamp

Bakterien: Unsere Urahnen als geniale Lebenskünstler

Bakterien, Bazillen, Bösewichter – diese Gedankenverbindung ist uns bestens bekannt. Doch um es gleich vorwegzusagen: Das ist eine Assoziation, die auf falschen Annahmen beruht. Bakterien gehören nämlich untrennbar zu unserem Dasein wie Wasser, Feuer, Luft und Erde. Es gibt sie seit undenklichen Zeiten, und sie sind unentbehrlich, ja, sie schaffen sogar erst die Voraussetzungen für das Leben.

Bakterien sind vielfältig und allgegenwärtig. Die einzige Gemeinsamkeit ist ihre Einzelligkeit. Es gibt für uns nützliche und schädigende – doch die allermeisten Bakterien leben völlig unbemerkt in uns, an uns und fast überall in unserem Umfeld.

Woher Bakterien kommen und wie sie unser Leben ermöglichen und bereichern

Zunächst möchte ich Sie jedoch zu einer kurzen Rückschau auf die Entwicklung unserer Natur einladen – unsere Vergangenheit, die die Voraussetzungen für uns wunderbare Wesen geschaffen und uns nachhaltig geprägt hat. Mit dem folgenden vereinfacht dargestellten »Schnelldurchlauf« zur Entwicklung der Erdgeschichte aus biologischer Sicht will ich Informationen zusammenfassen, die das Verständnis dieses Buches erleichtern sollen oder vielleicht sogar erst ermöglichen. Begleiten Sie mich deshalb jetzt auf der Reise zu den irdischen Anfängen des Lebens.

Vor mehr als vier Milliarden Jahren gab es eine Landmasse, Wasser und atmosphärische Gase, hauptsächlich Kohlendioxid (CO2), Wasserdampf (H2O) und Ammoniak (NH3). Vulkanausbrüche unter Wasser und Gestein, Blitze und UV-Strahlung – es gab noch keine schützende Ozonschicht – erzeugten eine Menge Energie und Chaos. Alle Materie wurde immer wieder durcheinandergewirbelt, und auch die Atome und Moleküle formierten sich immer wieder neu. Zusätzlich wiesen die meisten Atome in den damaligen chaotischen Verhältnissen eine minimale elektrische Ladung auf. Das führte dazu, dass sich einige der sich zusammenfindenden Bausteine aus den Elementen C, O, H und N, Bestandteile obengenannter Gase, immer wieder auf eine bestimmte Art zusammenrotteten. Es entstanden die ersten Kohlenhydrat- und Eiweißmoleküle. Aufgrund ihrer Anziehungskräfte zogen diese Moleküle auch immer wieder die gleichen kleinen Moleküle an und bildeten Pärchen.

Sei es zufällig, aufgrund »göttlichen Funkens« oder außerirdischen Inputs – einige dieser Formationen waren besonders eifrig dabei, sich zu paaren und Verbindungen auszuprobieren. Fünf dieser sogenannten Basen kennen wir heute noch als Grundbausteine des Lebens: Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G), Cytosin (C) und Uracil (U). Sie lagern sich immer zu folgenden Pärchen zusammen:

C + G sowie A + T beziehungsweise A + U.

Ihre Reihenfolge auf einem Chromosom (das ist ein Erbgutsegment oder -teilstück) sowie die Länge und die Faltung des gesamten Informationsträgers bestimmen den Vererbungscode. A, C, G, T und U sind sozusagen die Buchstaben zu den Sätzen, die das Buch des Lebens füllen. Bücher sollten aber nicht nur geschrieben, sondern auch vervielfältigt werden, um ihre Information zu verbreiten. Diese Metapher lässt sich ebenfalls auf die Pärchenmoleküle übertragen, denn auch sie stellten zuerst inverse Abzüge und mit diesen als Vorlage originalgetreue Kopien von sich her. Und sie tun dies bis heute!

Da Partys mit vielen Freunden nun mal fröhlicher sind als einsame Abende, fanden sich im Urozean immer mehr Bausteine zusammen und formten längere Ketten. Auch diese Anordnungen konnten (und können) über eben genannte zwei Schritte jeweils dupliziert werden.

Irgendwann gestalteten einige Molekülformationen auch eine Hülle – und der Prototyp einer lebendigen Zelle war entstanden. In seinem Inneren herrschten andere Bedingungen als außen. Fehlendes konnte von außerhalb eingeladen, Überschüssiges abgegeben werden.

Selbstverständlich bin auch ich nicht in der Lage, Ihnen detailliert die Entstehung oder Entwicklung des irdischen Lebens zu erklären. Doch unter den gegenwärtigen Theorien zum Thema scheint mir dieses vereinfacht dargestellte Szenario am wahrscheinlichsten. Wichtig ist, was »hinten rauskommt« – und das ist die Tatsache, dass das irdische Leben seit über drei Milliarden Jahren in allen Organismen dieselbe Sprache spricht und denselben grammatischen Regeln folgt. Aus den ersten Worten bildeten sich Sätze, und die Sätze erzählen uns mittlerweile erstaunlich detailliert-komplexe Romane, bilden Fachliteratur oder vermitteln uns Gesetzestexte und vieles mehr.

Erste Zellen

Diese frühen Urzellen waren bereits Vorfahren unserer heutigen Bakterien! Die ersten unter dem Mikroskop gesichteten Winzlinge waren stäbchenförmig, daher wurden sie nach dem griechischen Wort für »Stäbchen, Stöckchen« benannt: baktḗrion (obgleich sie auch kugelförmig, spiralig oder ganz anders aussehen können).

Genauer gesagt, sind Bakterien sogar die Urahnen allen Lebens auf unserem Planeten, die Ururur … großeltern aller Organismen, von Amöben ebenso wie von Pflanzen, Tieren und uns Menschen. Bakterien bestehen aus den gleichen Molekülteilchen wie Moose, Insekten, Fische, Blumen, Bäume, Spinnen, Tiger und der Homo sapiens – genauso wie all unsere natürlichen Lebensmittel.

Statt bei jedem Gedanken an Bakterien in Hygienehysterie zu verfallen, sollten wir sie also erst einmal begutachten und vor allem mehr achten. Es lohnt sich nämlich sehr, sie näher kennenzulernen, die »Omas und Opas unseres Daseins«.

Zucker, Eiweiße und Fette

Zurück zum Prototyp der ersten lebendigen Zelle: Ihre Inhaltsstoffe und ihre Hüllbausteine nennen wir heutzutage »Kohlenhydrate« (oder »Zucker«), »Proteine« (oder »Eiweiße«) und »Lipide« (oder »Fette«). Fette wurden erst später der Elite der Grundbausteine zugefügt, da sie doppelt so viel Energie speichern können als Zucker. Heute drücken wir das in Kilojoule oder Kalorien aus. Eiweißbausteine, sogenannte Aminosäuren, lagerten sich gern zu Ketten aneinander, »Peptide« genannt (nach dem griechischen peptós für »verdaut«). Wurden diese Peptidketten länger als etwa fünfzig Einheiten, falteten sie sich zu stabilen dreidimensionalen Gebilden, den Proteinen. Auch die Zuckermoleküle bildeten verschieden lange Ketten, oft zusätzlich mit Seitenketten versehen. Diese Kohlenhydrate oder Saccharide schmecken meist nicht mehr süß, zum Beispiel Stärke, Pektin und Zellulose.

Differenzierungen

Manchmal schnürte sich ein Teil der Außenhülle dieser Urgebilde ab und formte eine neue Zelle. Die inneren Bausteine verteilten sich zu gleichen Teilen auf beide Untereinheiten. Und auf diese Weise entstanden immer mehr dieser Zellkopien.

Von Zeit zu Zeit schlichen sich kleine Fehler in die Verteilung der Inhalte ein, und einzellige Organismen begannen sich zu differenzieren. Sie wurden immer unterschiedlicher. Aufgrund immer neuer Fehlübertragungen während der Verdopplungen entstanden zudem immer mehr und immer komplexere Teilchen.

Gleiche Einheiten bildeten Gruppen, die sich wiederum mit ähnlichen Gruppen zu größeren Verbänden sammelten. So wurden im Laufe der Zeit die Unterschiede zwischen den Einzellern stets größer, und es entstanden systematisch viele verschiedene Arten, Gattungen, Familien, Ordnungen und Klassen von Bakterien (siehe ebenso weiter unten den Abschnitt »Mutationen«).

Das ist auch der Grund, warum ich anfangs erwähnte, dass es unzählige verschiedene Sorten von Bakterien gibt. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist wie gesagt ihre Einzelligkeit. Ansonsten sind ihre Unterschiede mindestens genauso enorm wie die zwischen Menschen und Flöhen, Fliegen, Fichten oder Flachlandgorillas.

Auf jeden Fall gab es dann vor circa drei Milliarden Jahren unzählige kleine, membranbegrenzte Einheiten mit relativ simpler Innenstruktur. Die Bau- und Lebensweise der Bakterien, die den Anfang unseres Lebens bilden, ist bis heute die erfolgreichste Lebensform auf unserem Planeten.

Photosynthese und Glycolyse

Jeder Auf- und Umbau der Moleküle, gleich, ob sie zu den Hüllbausteinen oder den Innenstrukturen gehören, erfordert Energie. Entweder sie wird zugeführt, oder sie wird freigesetzt. Zum Glück scheint – nach kosmischen Dimensionen – nahe der Erde die Sonne, und einige dieser ersten einfachen Organismen waren tatsächlich in der Lage, die Sonnenlicht- in chemische Energie umzuwandeln und ihre Verdoppelungsvorgänge signifikant zu beschleunigen. Mit anderen Worten: Sie etablierten die Photosynthese.

Wurde mehr Energie benötigt, als vorhanden war, wurde die Sonne »angezapft«. Überschüssige chemische Energie konnte in Form von Zuckern und später in komplizierter gebauten Bausteinchen, den Fetten, gespeichert werden.

Photosynthese betreibende Zellen besitzen Chloroplasten. Das sind Bestandteile pflanzlicher Zellen, sogenannte Zellorganellen. Die Vermutung liegt nahe, dass sie früher eigenständige Lebewesen waren und zum gegenseitigen Nutzen mit anderen Zellen verschmolzen sind.

Die Umkehrung des Prozesses – die Rückwandlung der Speicherenergie in chemische Energie – heißt »Glycolyse«: Das ist die Aufspaltung von Zuckern, die mittels Enzymen bewerkstelligt wird. Enzyme sind Zellsubstanzen, die biochemische Reaktionen starten können. Mit enzymatischer Hilfe können Kohlenhydrate auseinandergenommen oder umgebaut werden, wobei die zuvor gespeicherte Energie wieder frei wird und für andere Lebensprozesse genutzt werden kann. Die Glycolyse ist wahrscheinlich ebenfalls eine Erfindung der ersten Bakterien.

Als unser aller Urahnen haben Bakterien also das irdische Leben entwickelt, die Übertragung der Erbinformation nebst Fehlübertragungen etabliert sowie die Energieumwandlung von Sonnenlicht in organische Materie erfunden.

Die Grundarchitektur des Lebens ist dabei unverändert geblieben. Es besteht stets noch aus denselben Bauelementen: Aminosäuren, Zuckern und Fetten auf Basis der Elemente C, O, H und N. Teilung und Informationsweitergabe, »Vererbung« genannt, laufen noch immer nach denselben ursprünglichen Prinzipien ab. Photosynthese und Glycolyse, einmal ausgereift, sind bisher ebenfalls von fast allen Pflanzen unverändert übernommen worden (Tiere können Kohlenhydrate nur umsetzen, nicht generieren).

Die bakterielle Vermehrungsrate

Bis heute übertreffen Bakterien die Menschheit nicht nur anhand ihrer Anzahl – wir beherbergen zehnmal mehr Bakterien in unserem Körper, als wir Körperzellen haben –, sondern die gesamte Biomasse aller Miniaturkreaturen wiegt auch schwerer als die aller anderen Lebewesen, Flora und Fauna, zusammen.

Unter optimalen Bedingungen verdoppeln sie sich alle 20 bis 30 Minuten. Aus einem Individuum können also nach einer Stunde acht Exemplare hervorgehen, nach sechs Stunden etwa 250 000, und nach knapp elf Stunden können bereits acht Milliarden Bakterien vorhanden sein, nach einem halben Tag 68 Milliarden. Dieser rein rechnerische Wert gilt auch im Falle einer Ansteckung – wenn krankheitserregende Bakterien auf einen Menschen treffen.

Hier können Sie bereits erahnen, welchen »Input« diese Zwerge auf unser Leben haben – er reicht weit über ihr Infektionspotenzial hinaus! Doch das bisher Gesagte war noch lange nicht alles an interessanten Nachrichten aus dem Reich der Einzeller.

Mutationen

Bakterien können sich ständig verdoppeln und sind damit quasi als unsterblich anzusehen. Sie haben kein Verfallsdatum und können nur durch Nahrungsmangel zugrundegehen oder mittels »Waffengewalt« getötet werden.

Obwohl sie bestrebt waren und sind, stets die gleiche Information aufgrund von positiver Erfahrung – in diesem Fall Wachstum und Vermehrung – an die Tochtergenerationen weiterzugeben, gab und gibt es doch öfter kleine Fehlübertragungen. Manchmal schlich sich nämlich ein Defekt in die Verdoppelungsvorgänge ein. Es fanden »Mutationen« statt (siehe auch den Abschnitt »Differenzierungen« auf Seite 16). Ursachen solcher Patzer können ganz unterschiedlicher Art sein. Mögliche Gründe sind verschiedenartige Strahlungen, Milieuänderungen oder auch sogenannte Radikale, die ich im Kapitel über pflanzliche Farbstoffe näher beschreibe.

Dann und wann wurden die Erbinformationen auch nur verdoppelt, ohne anschließend auf neu entstandene Einheiten verteilt zu werden – daraus ergab sich ein doppeltes, vier- oder mehrfaches Erbgut. Auf diese Weise entstanden immer komplexere Zellgebilde.

Sich negativ auswirkende Übertragungen, also fehlerhafte im engeren Wortsinn, ließen den neu entstandenen Organismus nicht beziehungsweise nicht lange überleben, und die weitere Übertragung war gestoppt. »Tote tragen keine Karos« und können auch aktiv keine Informationen weitergeben. Sofern diese »Irrtümer« sich allerdings als positiv herausstellten und den neuen Organismus stärkten, wurden die aktualisierten genetischen Codes weitervererbt.

Vielzeller

Manche Bakterien rotteten sich zu Gemeinschaften zusammen und »vereinbarten« eine Art Arbeitsteilung, vielleicht so ähnlich, wie wir es von Ameisen- oder Bienenvölkern kennen. Einige Zellen spezialisierten sich dann zum Beispiel auf Sporenbildung und Fortpflanzung, auf Ausscheidung von nicht mehr benötigten Stoffen, auf die Bereitstellung von Energiereserven, wieder andere auf die Kommunikation untereinander oder auf die Sauerstoffaufnahme.

Manche dieser Bakteriengemeinschaften erzeugten sogar eine Art Schutzhülle um ihre Mitglieder. So entwickelten sich nach und nach mehrzellige Gebilde wie Schwämme, die in der Biologie zu Beginn der Vielzeller-Evolution eingestuft werden. Schwämme sind relativ lockere Zellverbände ohne spezielle Organe, Muskel- oder Nervenzellen.

Vielzellige Körper sind demnach Zellstaaten, in denen Gruppen von Zellen auf bestimmte Funktionen spezialisiert sind. Ihre Abstimmung und Koordination findet auf chemischer und physikalischer Basis statt.

Eukaryonten

Vor knapp einer Milliarde Jahren leitete ein erneuter »Paradigmenwechsel« die Entstehung der vielzelligen Lebewesen ein – der Eukaryonten (gebildet aus den griechischen Wörtern eũ für »gut, schön« und káryon für »Nuss, Kern«). Ihre Zellen waren beziehungsweise sind viel komplexer, mit wesentlich mehr Organellen (kleinen Zellorganen) gebaut und mannigfaltiger Erbinformation ausgestattet. Diese war ab jetzt besser geschützt durch eine Extramembran. Der Zellkern war »erfunden«.

Anders gesagt: Aufgrund von Mutationen entstanden aus den einfach konstruierten prokaryontischen Bakterienzellen ohne echten Zellkern wesentlich komplexere eukaryontische Einheiten mit abgegrenzten speziellen Zellabschnitten, gefüllt mit unterschiedlichen Inhaltsstoffen und einem membranumhüllten Zellkern (»prokaryontisch« vom lateinischen pro, hier im Sinne von »vor, vorher, zuvor«).

Die Landeroberung

Vor knapp einer halben Milliarde Jahren begann dann die Landbesiedelung. Die Erde wurde langsam grün und stetig farbenfroher. Leben aus dem Wasser eroberte die Elemente Luft und Erde. Bisher habe ich das Teamwork einzelliger Organismen und ihre Biografie im Wasser beschrieben. Das evolutionäre Flechtwerk entwickelte sich seitdem zu einem vieldimensionalen Netz mit unendlich vielen Maschen. Alles Leben, das wir um uns herum wahrnehmen – Vogelgezwitscher, Blätterrauschen, Farben und Gerüche –, dies alles konnte sich erst ab dieser Zeit entfalten.

Bereits im Wasser hatte sich pflanzliches und tierisches Leben grundverschieden ausgebildet. Diejenigen Einzeller, die in der Lage waren, Photosynthese zu betreiben und Kohlenhydrate zu produzieren, ordnen wir heute dem Pflanzenreich zu. Tierische Zellen verfügen nicht über entsprechende Zellorganellen und müssen – wie vor vier Milliarden Jahren – pflanzliche Zellen in ihre Körper aufnehmen. Diese tierischen Zellen lagerten sich bereits im Urmeer zu vielzelligen Systemen zusammen, die die gemeinsame Weitergabe ihrer Erbinformationen organisierten. Es schwammen daher bereits Fische in der Ursuppe, als über Normalnull noch kein organisches Molekül Bestand hatte.