Krimi Trio 3339 - Arthur Gask - E-Book

Krimi Trio 3339 E-Book

Arthur Gask

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Beschreibung

Dieser Bannt enthält folgende Krimis: Killer ohne Reue (Alfred Bekker) Kubinke und die Memoiren (Alfred Bekker) Gilbert Larose oder Ein Mordssturm bricht los (Arthur Gask) Das Leben von Abertausenden ist bedroht, als eine Sekte von Wahnsinnigen beschließt, Tod und Verderben über die Metropole New York zu bringen. FBI-Agent Jesse Trevellian und seinem Team bleibt nicht viel Zeit, diesen Plan zu durchkreuzen - denn das Ende ist nah und angeblich auch gar nicht mehr aufzuhalten...

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Alfred Bekker, Arthur Gask

Krimi Trio 3339

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Inhaltsverzeichnis

Krimi Trio 3339

Copyright

Killer ohne Reue

​Kubinke und die Memoiren

Gilbert Larose oder Ein Mordssturm bricht los: Kriminalroman

Krimi Trio 3339

Alfred Bekker, Arthur Gask

Dieser Bannt enthält folgende Krimis:

Killer ohne Reue (Alfred Bekker)

Kubinke und die Memoiren (Alfred Bekker)

Gilbert Larose oder Ein Mordssturm bricht los (Arthur Gask)

Das Leben von Abertausenden ist bedroht, als eine Sekte von Wahnsinnigen beschließt, Tod und Verderben über die Metropole New York zu bringen.

FBI-Agent Jesse Trevellian und seinem Team bleibt nicht viel Zeit, diesen Plan zu durchkreuzen - denn das Ende ist nah und angeblich auch gar nicht mehr aufzuhalten...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Killer ohne Reue

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 206 Taschenbuchseiten.

Das Leben von Abertausenden ist bedroht, als eine Sekte von Wahnsinnigen beschließt, Tod und Verderben über die Metropole New York zu bringen.

FBI-Agent Jesse Trevellian und seinem Team bleibt nicht viel Zeit, diesen Plan zu durchkreuzen - denn das Ende ist nah und angeblich auch gar nicht mehr aufzuhalten...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Author

© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

1

New York 1998

Blutrot züngelte das Mündungsfeuer aus dem Schalldämpfer einer Automatik heraus. Der Schuss war kaum zu hören. Es machte einmal kurz 'Plop!', und der knurrende deutsche Schäferhund wand sich am Boden. Ein kurzes Zucken und das Tier lag reglos auf dem kalten Asphalt.

Der uniformierte Wachmann riss die Maschinenpistole hoch. Das Gesicht des Mannes war schreckgeweitet. Noch ehe der Security-Mann seine Waffe abfeuern konnte, ploppte es ein zweites Mal.

Auf der Stirn des Wachmanns bildete sich ein roter Punkt, der rasch größer wurde. Der Mann wankte. Dann schlug er der Länge nach hin. Schwer kam er auf dem Asphalt auf.

Zwei Maskierte traten aus der Dunkelheit der Nacht heraus.

Sie trugen dunkle Kleidung und Sturmhauben, die nur die Augen freiließen. Der eine war mit einer Automatik bewaffnet, auf deren Lauf sich ein langgezogener Schalldämpfer befand. Über der Schulter hing eine Sporttasche.

Der andere trug eine MPi vom Typ Uzi.

Der Mann mit der Automatik deutete auf den toten Wächter.

"Wir müssen den Toten dort wegziehen. Er liegt genau im Licht", wisperte er.

"Okay."

Sie gingen auf die Leiche zu, fassten sie an den Armen und schleiften sie aus dem Lichtschein heraus, der von den Außenleuchten des dreistöckigen Gebäudekomplexes ausging.

MADISON GEN-TECH stand in großen Neonbuchstaben auf dem Flachdach des quaderförmigen Komplexes.

Sie legten den Toten in den Schatten eines großen Blumenkübels. Mit dem Hund machten sie dasselbe.

Der Gebäudekomplex war weiträumig durch einen hohen Zaun abgeriegelt. Bis zu der Stelle, an der die beiden Maskierten auf das Gelände der Firma MADISON GEN-TECH gelangt waren, hatten sie noch eine beachtliche Distanz hinter sich zu bringen. Fast vierhundert Meter, auf denen ihr einziger Schutz die Dunkelheit war.

Sie konnten von Glück sagen, dass ihnen der Wachmann erst auf dem Rückweg über den Weg gelaufen war.

Der schwierigste Teil des Jobs war längst erledigt...

Jetzt mussten sie nur noch zusehen, dass sie das MADISON GEN-TECH-Gelände genauso unbemerkt wieder verließen, wie sie es betreten hatten.

Sonst war am Ende alles umsonst.

Wenn jemand den toten Wachmann entdeckte, dann war hier von einer Sekunde zur nächsten der Teufel los. Große Scheinwerfer würden umherschwenken und das Gelände absuchen. Das durfte nicht geschehen.

"Komm", sagte der Mann mit der Automatik.

Seine Linke presste die Sporttasche an den Oberkörper.

Er wollte bereits zu einem Spurt ansetzen.

Aber bevor es dazu kam, erstarrte er mitten in der Bewegung.

"Stehenbleiben, Waffe fallen lassen!", rief eine heisere Stimme.

Zwei Wachmänner mit gezogenen Revolvern standen kaum ein Dutzend Meter von den beiden Maskierten entfernt. Einer der Wachleute murmelte etwas in ein Walkie-Talkie hinein.

Der Maskierte mit der Uzi zögerte keine Sekunde. Er ballerte einfach drauflos. Einer der Wachmänner schrie auf und sank getroffen zu Boden. Der andere warf sich zur Seite, schoss seinen Revolver zweimal ab ohne zu treffen.

Eine Alarmsirene ertönte.

Die Scheinwerfer kreisten...

Hundegebell drang durch die Nacht.

Genau jenes Szenario war eingetreten, das die beiden Maskierten zu vermeiden gesucht hatten.

"Los, zum Tor!", schrie der Maskierte mit der Schalldämpfer-Waffe heiser.

Das Haupttor lag in genau entgegengesetzter Richtung zu der Stelle, an der die beiden Männer durch den Zaun gestiegen waren. Aber es war einfach näher. Erheblich näher.

Und das konnte unter Umständen die Rettung sein.

Sie rannten los, quer über einen vollkommen freien, asphaltierten Platz, der tagsüber als Parkplatz für die MADISON GEN-TECH-Mitarbeiter diente.

Die beiden Maskierten rannten und schossen dabei wild um sich.

Das Hundegebell wurde lauter.

Die Security-Leute schossen zurück. Von verschiedenen Seiten waren Stimmen zu hören. Dann Motorengeräusche. Ein Wagen wurde angelassen. Die Scheinwerfer hatten die Flüchtenden ständig in ihrem unbarmherzigen hellen Kegel.

Einer dieser Scheinwerfer wurde durch den Geschosshagel aus der Uzi zerfetzt.

Jede Laterne, die der Maskierte erwischen konnte, wurde zerschossen.

Es wurde etwas dunkler.

Der Kerl mit der Automatik holte ein Funkgerät aus seiner Jackentasche heraus.

"Zum Haupttor, Tom", flüsterte er. "Hast du gehört? Zum Haupttor!"

"Okay", kam es aus dem Funkgerät zurück.

Der Maskierte sagte: "Nicht dicht heranfahren, hörst du? Es wird einen ziemlichen großen Knall geben..."

Sie hatten das Tor erreicht und keuchten.

Der Mann mit der Uzi drehte sich um, riss das Magazin aus der Waffe und tauschte es gegen ein Neues aus. Von allen Seiten waren jetzt die Gestalten von Wachmännern zu sehen.

Sie führten Hunde und MPis bei sich.

Ein Jeep brauste heran.

Der Mann mit der Uzi zögerte nicht lange.

Ein Feuerstoß aus seiner Waffe ließ die Vorderreifen des Fahrzeug kurz hintereinander zerplatzen. Der Fahrer bremste, hatte Mühe die Kontrolle über das Fahrzeug zu behalten...

"Nun mach endlich!", schrie der Kerl mit der Uzi seinen Komplizen an.

Dieser holte einen quaderförmigen Gegenstand aus der Innentasche seiner Jacke. Er riss ein Stück Schutzfolie von einem Klebestreifen herunter und brachte das Ding am Schloss des Haupttores an. Dann zog er an einem Metallring einen Bolzen aus dem quaderförmigen Gegenstand heraus.

Wie auf ein geheimes Zeichen hin traten beide Maskierte einen Schritt zurück.

Eine Detonation folgte.

Grell schlugen die Flammen empor. Eine Welle aus Druck und Hitze verbreitete sich. Das Tor sprang auf. Mit einem Fußtritt öffnete es der Mann mit der Automatik, während sein Komplize wild mit der Uzi herumballerte. Er hielt die Wachleute auf Distanz.

Ein Wagen tauchte aus der Dunkelheit heraus auf.

Die beiden Maskierten rannten darauf zu.

Der Mann mit der Automatik blieb kurz stehen und schleuderte den Verfolgern einen eiförmigen Gegenstand entgegen. Die hatten überhaupt keine Chance, rechtzeitig zu erkennen, worum es sich handelte.

Um eine Handgranate.

Die Detonation war furchtbar. Ein mörderischer Flammenpilz machte für schreckliche Sekunden die Nacht zum Tag. Schreie gelten durch die kalte Nacht.

Die Maskierten hatten indessen den Wagen erreicht. Sie rissen die Türen auf, stiegen ein. Mit quietschenden Reifen brauste der Wagen davon.

2

Der Tatort lag im nördlich der Bronx gelegenen New Rochelle. Mitten in der Nacht hatte man mich und meinen Kollegen Milo Tucker aus dem Schlaf geklingelt und zusammen mit einigen weiteren Special Agents des FBI hier her geschickt.

Per Telefon hatte ich nur das Nötigste erfahren.

Unbekannte hatten einen Überfall auf das Gelände der Firma MADISON GEN-TECH verübt.

Ein Fall, der möglicherweise die nationale Sicherheit berührte.

Genaueres würden wir am Tatort erfahren.

Wir gehörten zu den Letzten, die dort eintrafen. Unsere Kollegen Agent Orry Medina und Clive Caravaggio erwarteten uns bereits, als wir das MADISON-Gelände betraten.

Das Gelände war von Uniformierten geradezu hermetisch abgeriegelt worden. Teilweise handelte sich dabei um Polizeikräfte, aber es waren auch Angehörige eines privaten Sicherheitsdienstes anwesend, der offenbar dafür zu sorgen hatte, dass sich keine Unbefugten auf dem Firmengelände von MADISON GEN-TECH aufhielten.

Einige Männer in weißen Seuchenschutzanzügen erregten meine Aufmerksamkeit. Da die Anzüge das Firmenemblem von MADISON GEN-TECH trugen, nahm ich an, dass es sich um Angestellte handelte.

"Habt ihr schon irgendeinen Schimmer, was hier los ist, Orry?", wandte ich mich an Agent Medina.

"Fest steht nur, dass mindestens zwei Täter auf das Firmengelände vorgedrungen sind und wild um sich geballert haben, als sie bemerkt wurden. Einer der Wachleute ist ermordet worden. Außerdem haben wir mehrere verletzte Wachmänner."

"Weiß man, was die Täter hier gesucht haben?", fragte Milo.

"Sie sind in die Labors eingedrungen", meinte Orry.

Mir gingen die Seuchenschutzanzüge nicht aus dem Kopf.

Wenn das die normale Dienstkleidung in den Labors von MADISON war, dann konnte das nur bedeuten, dass dort mit hochgefährlichen Substanzen umgegangen wurde...

Inzwischen trafen weitere FBI-Agenten ein. Spurensicherer vor allem. Das gesamte Gelände musste genauestens abgesucht werden, damit wir auch dem kleinsten Hinweis auf die Täter nachgehen konnten.

Als Milo und ich das MADISON-Gebäude betreten wollten, wurde uns von einem Mann im grauen Anzug und dicker Brille der Zugang verwehrt.

"Sie können hier nicht durch", sagte er und fuchtelte dabei mit den Armen herum. An seinem Revers befand ich eine ID-Card mit Lichtbild und Namen. Danach hieß er Dr. John Tremayne.

Ich hielt ihm meinen Dienstausweis entgegen.

"Special Agent Jesse Trevellian, FBI. Wir können hier sehr wohl hinein", sagte ich höflich, aber sehr bestimmt.

"Nein, das können Sie nicht", erwiderte Tremayne. "Jedenfalls nicht, wenn Ihnen Ihr Leben und das von vielen anderen etwas wert ist..."

"Wer sind Sie?"

"Dr. Tremayne. Ich bin in diesem Labor beschäftigt..."

Ich zuckte die Schultern. "Klären Sie mich darüber auf, was hier los ist!", forderte ich.

"Die Eindringlinge, so scheint es, sind in einen sehr sensiblen Bereich unserer mikrobiologischen Labors vorgedrungen. Einen Bereich, in dem höchste Sicherheit zwingend erforderlich ist. Wenn sie dort etwas zerstört haben, dann..."

"Woran wird dort gearbeitet?", fragte ich.

Tremayne sah mich an. Sein Gesicht wirkte faltig und kalt.

Er schien zu überlegen. Dann sagte er: "Ich weiß nicht, ob ich autorisiert bin, mit Ihnen darüber zu reden."

"Das sind Sie", erklärte ich. "Und falls Sie unsere Ermittlungen verzögern, wird das Konsequenzen haben."

Ein Mann mit Halbglatze tauchte hinter Tremayne auf. Er war recht füllig. Sein Gesicht war ernst.

Tremayne drehte sich zu ihm um.

"Dr. Ressing..."

"Es scheint alles unbedenklich zu sein", sagte Ressing. "Der Laborbereich kann betreten werden..." Er sah uns an.

"Wer...?"

Mein Ausweis beantwortete ihm seine Frage. Er nickte.

"Kommen Sie, Sir!"

3

Wir zogen hauchdünne, weiße Overalls über unsere Alltagskleidung.

Dr. Ressing lächelte matt, als er unsere skeptischen Blicke bemerkte. "Diese Anzüge sind nicht zu Ihrem Schutz. Sie sollen verhindern, dass Sie irgendwelche Mikroorganismen oder Staubpartikel in die Labors tragen, die unsere Arbeit von Jahren vernichten können." Er zuckte die Achseln.

"Leider waren diese ungebetenen Besucher weniger rücksichtsvoll..."

"Woran arbeiten Sie?", fragte ich.

"MADISON ist ein Unternehmen, das sich im Bereich der Gentechnik einen Namen gemacht hat", erklärte Ressing.

"Das ist mir klar", sagte ich. "Worum geht es hier genau?"

"Wir experimentieren mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen."

"Zu welchem Zweck?"

"Zum Beispiel, um neue Impfstoffe herzustellen!"

"Dann experimentieren Sie mit Krankheitserregern!", schloss ich.

Ressing lächelte. "Das ist richtig. Anders kann man auf diesem Gebiet keine Erfolge erzielen."

"Ich verstehe."

"Die Bakterienpräparate in unseren Labors würden ausreichen, um die gesamte USA zu entvölkern. Eine richtige Büchse der Pandora, wenn Sie wissen, was ich meine. Darum ist hier auch alles abgesichert wie in Fort Knox."

Während wir einen langen, kahlen Flur entlanggingen, kam uns ein junger Mann mit bleichem Gesicht entgegen. Er trug eine ID-Card am Kragen seines weißen Schutzoveralls.

"Dr. Ressing! Es fehlt einer der CX-Behälter", brachte er der junge Mann mit gedämpfter Stimme vor.

Auf Dr. Ressings Gesicht erschienen ein paar tiefe Furchen.

"Sind Sie sicher?"

"Irrtum ausgeschlossen, Sir!"

"Mein Gott..." Auch aus Dr. Ressings Gesicht floh jegliche Farbe. Er wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung über das Gesicht. Das Entsetzen war ihm anzusehen. Dann blickte er auf, mir direkt in die Augen. "Ein Behälter mit Pesterregern ist von den Einbrechern entwendet worden..."

"Ist das nicht eine Krankheit aus dem Mittelalter, die inzwischen längst ausgerottet ist?", fragte ich.

"Nein, leider nicht", sagte Ressing. "Die letzte große Pestepedemie schwappte in den zwanziger Jahren von China aus nach Kalifornien über. Die Krankheit ist bis heute unter den Nagetieren Nordamerikas und Eurasiens sehr verbreitet. Aber da es kaum noch direkte Kontakte zwischen dem Menschen und Nagetieren wie Ratten und Mäusen gibt, brechen nur noch selten kleinere, regional begrenzte Epidemien aus. Ab und zu geschieht das in Afrika oder Indien. Seit Erfindung der Antibiotika ist es allerdings kein Problem, eine solche Epidemie schnell in den Griff zu bekommen."

Milo sagte: "Sie wollen uns also damit sagen, dass man sich keine Sorgen zu machen braucht..."

"Nicht ganz", meinte Ressing. Er druckste etwas herum.

Langsam aber sicher fand ich es ziemlich ärgerlich, wie wir ihm die Informationen einzeln aus der Nase ziehen mussten. Aus irgendeinem Grund schien man uns bei MADISON GEN-TECH als lästig zu empfinden.

"Was hat es nun mit diesem verschwundenen Behälter auf sich?", hakte ich nach.

"Die Pesterreger waren gentechnisch verändert", erklärte Ressing.

"In welcher Weise?"

"Sie waren resistent gegen Antibiotika."

Ein Satz, den Ressing daher sagte wie ein kalter Fisch.

Keine Regung war in seinem Gesicht erkennbar.

"Das heißt, es gibt kein Gegenmittel", sagte ich. "Eine Epidemie würde sich ungehindert ausbreiten können..."

Dr. Ressing hob die Augenbrauen.

"Das wäre ein sehr ungünstiges Szenario."

Mir fiel unwillkürlich die Schießerei ein, die sich die Täter mit den Sicherheitskräften geliefert hatten. Bei dem Gedanken daran, dass dabei der Behälter hätte zerstört werden können, konnte einen nur das Grauen erfassen...

4

Am frühen Nachmittag saßen wir im Büro von Special Agent in Charge Jonathan D. McKee. Mr. McKee war der Chef des FBI-Districts New York und damit unser direkter Vorgesetzter.

Außer Milo und mir waren noch ein gutes Dutzend weiterer Agenten anwesend, dazu Spezialisten aus verschiedenen Bereichen. Der FBI hat in seinen Reihen Wissenschaftler aus fast allen Spezialgebieten.

In diesem Fall waren das neben den üblichen Spezialisten der Spurensicherung und der Ballistik vor allem Mediziner und Biologen.

Es ging darum, über erste Fahndungsmaßnahmen zu beraten.

FBI-Spezialisten untersuchten noch immer die MADISON-Labors und das Gelände. Jedes Projektil am Tatort wurde eingesammelt und von der Ballistik untersucht.

Wir hörten uns die Ausführungen von Dr. James Satory an, einem Epidemiologen von der nationalen Gesundheitsbehörde.

Während dessen warf ein Projektor das Abbild eines sogenannten CX-Behälters an die Wand, wie er bei MADISON entwendet worden war. Dr. Satorys Ausführungen nach handelte es sich um einen Behälter mit besonderen Sicherheitsstandards, der zum Transport oder der Lagerung von biologisch sensiblem Material verwendet wurde.

"Der Pest-Erreger nennt sich Yersinia Pestis und kommt ursprünglich bei Nagetieren vor", erläuterte Satory dann. "Die Übertragung von Nagetier zu Mensch erfolgt über Flöhe. Zwischen Menschen ist eine Tröpfcheninfektion möglich - wie bei einem grippalen Infekt. Bei den großen Epidemien im Mittelalter wurden ganze Landstriche entvölkert. Die Krankheit verläuft typischerweise so: Nach einer Inkubationszeit von 3-6 Tagen kommt es zu Schüttelfrost, Fieber und Lymphknotenschwellungen. Bei schwerem Verlauf kann innerhalb weniger Tage der Tod eintreten." Satorys Gesicht war sehr ernst, als er dann fortfuhr: "Ich habe hier einiges Datenmaterial vorliegen, das mir die Entwicklungsabteilung von MADISON GEN-TECH überlassen hat. Der Inhalt des CX-Behälters besteht aus Erregern, die gentechnisch verändert wurden. Das bedeutet, dass anhand von Tierversuchen verschiedene Auswirkungen dieser künstlichen Mutation nachweisbar sind: Erstens die Antibiotika-Resistenz, zweitens eine wesentlich erhöhte und beschleunigte Sterblichkeit bei den erkrankten Organismen und drittens scheint der Erreger jetzt einen biochemischen Mechanismus zu besitzen, der für eine Inkubationszeit von ungewöhnlicher Schwankungsbreite sorgt."

"Was hat das für Auswirkungen?", fragte Mr. McKee.

"Verheerende! Jedenfalls im Fall einer Epidemie. Natürlich kann man Tierversuche nicht eins zu eins auf Menschen übertragen, aber ich denke man kann folgendes sagen: Wir müssen damit rechnen, dass es einerseits Erkrankte geben wird, die innerhalb eines Tages nach der Ansteckung bereits tot sind, während andere die Krankheit möglicherweise bis zu einer Zeit von drei Jahren in sich tragen, ohne Symptome. Die veränderte Version des Pest-Erregers hat die teuflische Fähigkeit, jahrelang unter ungünstigsten Bedingungen zu überleben, um sich dann explosionsartig zu vermehren. Leider wissen wir zu wenig über den Mechanismus, von dem ich sprach, um genauere Voraussagen treffen zu können. Außer vielleicht dieser: Selbst das modernste Gesundheitswesen steht einer derart schwankenden Inkubationszeit fast ohnmächtig gegenüber, weil jede Quarantänemaßnahme ins Leere läuft." Satory deutete auf einen Stapel gehefteter Computerausdrucken. "Die wichtigsten Eigenschaften des Erregers - soweit ich die aus den Unterlagen von MADISON GEN-TECH herauslesen konnte, habe ich hier für jeden von Ihnen zusammengefasst! Eine Millionenmetropole wie New York City ist wie geschaffen für die Ausbreitung einer Pestepidemie... Und wenn man bedenkt, dass es sich um gentechnisch veränderte Yersinia Pestis handelt, dann Gnade uns Gott, falls dieser verschwundene Behälter in die Hände von Terroristen oder Fanatikern fällt... Es gibt kein Gegenmittel, die Ansteckungsgefahr ist immens und möglicherweise überlebt der Erreger sogar ohne Wirt, zum Beispiel im Abwasser. Ein Spielzeug für Wahnsinnige!"

"Es reicht schon ein Ahnungsloser", gab Milo zu bedenken.

"Ich halte diese Gefahr für eher gering", meinte Agent Nat Norton. Er war im Innendienst tätig und Spezialist für Betriebswirtschaft. Seine Hauptaufgabe bestand darin, Geldströme und Firmenverflechtungen aufzudecken. Bei Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen war das ein wesentlicher Teil der Ermittlungsarbeit. "Ich fürchte sogar, dass der Behälter bereits außer Landes sein könnte."

"An allen Flughäfen und Grenzübergängen sind die Kontrollen verschärft worden", gab Mr. McKee zu bedenken.

"Dennoch", meinte Norton. "Wenn man sich fragt, wer an gentechnisch veränderten Yersinia Pestis interessiert sein könnte, dann kommt man doch als erstes auf alle diejenigen, die sich ein Arsenal von biologischen Kampfstoffen anlegen wollen, aber nicht die Möglichkeit haben, es selbst zu entwickeln."

"Mindestens zwei Dutzend Staaten mit ihren Geheimdiensten kämen also als Urheber dieses Einbruchs in Frage", stellte Mr. McKee düster fest.

"Mir fiel auf, dass die Vertreter von MADISON uns gegenüber bisher ausgesprochen zugeknöpft waren", erklärte ich. "Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie wirklich daran interessiert waren, uns die Arbeit leichter zu machen. Vielleicht würde es sich lohnen, diese Firma mal etwas zu durchleuchten."

Ein mattes Lächeln glitt über das Gesicht von Nat Norton. "Nun, ich habe schon mal zusammengetragen, was es auf die Schnelle über MADISON GEN-TECH in unsere Datenspeichern zu finden gibt. Die Aktienmehrheit wird von einem Schweizer Unternehmen mit dem Namen Fürbringer Holding in Zürich gehalten. In dieser Holding sind verschiedene Unternehmen aus dem Gen- und Biotechnikbereich zusammengefasst, außerdem pharmazeutische und chemische Betriebe in aller Welt. Wirtschaftlich gesehen ist Fürbringer allerdings alles andere als ein Riese. Aber in bestimmten Marktsegmenten haben die Unternehmen dieser Holding eine beherrschende Stellung. Uns liegen Informationen vom CIA vor, danach stehen einige Fürbringer-Tochterunternehmen im Verdacht, bei der Entwicklung von Biowaffen in verschiedenen Staaten des mittleren Ostens die Finger im Spiel gehabt zu haben."

"Gibt es einen solchen Verdacht auch gegen MADISON?", fragte ich.

Norton schüttelte den Kopf.

"Ich würde vermuten, dass MADISON GEN-TECH so etwas wie die saubere Entwicklungszentrale ist, in der das Know-how vermehrt wird - während dann andere Fürbringer-Töchter die Drecksarbeit erledigen."

"Aber das ist nur eine Vermutung", stellte Mr. McKee fest. "Etwas Konkretes gibt es weder gegen MADISON noch gegen Fürbringer."

"Das ist richtig", musste Norton eingestehen.

"Dieser Dr. Ressing, mit dem ich sprach, erzählte mir etwas von Impfstoffen", warf ich ein.

Norton verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.

"Einer der besten Kunden von MADISON ist unsere Regierung, Jesse! An Impfstoffen aller Art besteht überall Bedarf! Aber dasselbe Wissen, das sich für die Entwicklung solcher Seren nutzen lässt, ist genauso gut geeignet, um B-Waffen zu entwickeln. Vergessen Sie nicht, dass man diese Waffen nur wirksam einsetzen kann, wenn man eine Möglichkeit hat, die eigenen Leute zu schützen. Schließlich richten sich Bakterien nicht nach Landesgrenzen oder politischen Gesinnungen..."

5

Der Mann trug einen kleinen Ohrring und hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht. Er starrte auf den CX-Behälter, der auf dem Tisch des spartanisch eingerichteten Motels stand. Der Behälter hatte eine zylindrische Form. Oben war ein Tragegriff aus Plastik.

"Je früher wir das Ding los sind, desto besser", meinte der andere Mann im Raum.

Er hatte sich mit einer Bierdose auf eines der Betten geflezt. Neben ihm lag griffbereit eine zierlich wirkende Maschinenpistole vom Typ Uzi.

"Mach dir nicht in die Hosen, Ray!"

Ray trank die Bierdose leer und versuchte mit ihr den Papierkorb zu treffen. Die Dose ging scheppernd daneben und knallte gegen die Wand. Er setzte sich auf. "Ich versteh das nicht, Tony! Unser Mann müsste längst hier sein!"

Der Mann mit dem Ohrring sah auf die Uhr. Er zuckte die Achseln.

"Es ist jetzt Rush Hour. Die Highways sind dicht. Kein Wunder, wenn er etwas später kommt..."

"Ich hoffe nur, dass wir nicht am Ende als die Dummen dastehen, Tony!"

"Was soll das Gerede? Mann, was ist mit deinen Nerven los! Man könnte denken, dass das dein erster Job ist!"

"Der erste dieser Art jedenfalls", gab Ray zurück und deutete dabei auf den Behälter.

Es klopfte an der Tür.

Ray griff nach der Uzi, machte einen Satz nach vorn und postierte sich links neben der Tür.

Tony lockerte den Sitz der Automatik im Gürtelholster, sorge aber dafür, dass die Waffe durch seine Jacke verdeckt wurde. Er ging zur Tür, blickte durch den Spion.

"Wer ist da?", fragte Tony dann durch die hellhörige Holztür hindurch.

"Harry Smith", kam es von draußen.

Der Name war so etwas wie ein Codewort. Ray und Tony wechselten einen schnellen Blick und nickten.

"Okay", sagte Tony und öffnete.

Draußen stand ein Mann im Regenmantel. Darunter trug er einen etwas unmodern wirkenden, schlecht sitzenden Anzug.

'Harry Smith' sah sehr bieder aus. Er war glatt rasiert, das Gesicht blass und fast konturlos. Er war noch jung. Höchstens Mitte zwanzig.

"Wo ist der Behälter?", fragte der Mann.

"Dort auf dem Tisch", erwiderte Tony.

Der Mann, der sich Smith genannt hatte, trat ein. Seine blassblauen Augen richteten sich auf den CX-Behälter auf dem Tisch, anschließend auf den Lauf der Uzi. Rays Waffe zeigte auf Smith, aber das schien diesen nicht zu beeindrucken.

"Ich hoffe, dass es der richtige Behälter ist", sagte Tony.

"Ich denke schon" meinte Smith. Er kontrollierte kurz die Kennnummer auf dem winzigen Etikett.

Dann griff er in die Innentasche seines Jacketts.

Ray hob die Uzi.

Smith lächelte kalt.

"So ängstlich? Ich dachte, Sie wären eiskalte Profis."

"Ich habe etwas gegen hektische Bewegungen", meinte Ray.

"Eine Erscheinung unserer Zeit", erwiderte Smith und zog ein Bündel mit Geldscheinen hervor. Er legte es auf den Tisch. Dann meinte er: "Zählen Sie nach, wenn Sie wollen. Es sind fünfzigtausend Dollar!"

Smith streckte die Hand in Richtung des Behälters aus.

Aber Tony war mit einem Satz bei ihm und packte ihn am Handgelenk.

Der Mann mit dem Ohrring bleckte die Zähne wie ein Raubtier.

"Mir scheint, dass Sie da etwas nicht richtig verstanden haben, Smith! Es war von einer anderen Summe die Rede!"

"Den Rest bekommen Sie, wenn wir festgestellt haben, ob das Material diesen Preis wert ist!"

"Das war nicht abgemacht!"

Smith lächelte kalt.

"Meinen Sie, wir geben ein Vermögen aus, ohne vorher zu prüfen, was wir dafür bekommen?"

"Oh nein, Smith! So haben wir nicht gewettet. Entweder Sie halten sich in jedem Detail an unsere Abmachungen, oder Sie können sich Ihren Behälter sonstwohin stecken!"

"Lassen Sie mich los", sagte Smith ruhig. Seine Stimme klirrte wie Eis.

Tony gehorchte. Er nahm mit einer schnellen Bewegung den Behälter und zog seine Automatik heraus.

"Sie wollen uns übers Ohr hauen, Smith." Er sagte das im Ton einer Feststellung. Er hob den Behälter etwas an. "Was ist hier eigentlich drin?"

"Sie könnten nichts damit anfangen", sagte Smith. "Also seien Sie vernünftig."

"Dass es irgendeine dieser Gen-Schweinereien sein muss, ist mir schon klar. Aber was?"

"Sie werden es früh genug erfahren!"

"In den Nachrichten wurde nichts über den Behälter gebracht. Wohl über den Einbruch, aber nichts über den Behälter." Tony atmete tief durch. "Das kann nur bedeuten, dass dieses Ding wirklich brandheiß ist..."

"Wir haben Ihnen ein gutes Angebot gemacht. Sie sollten es annehmen!"

"Kommen Sie mit mehr Bargeld wieder, Smith! Oder es läuft nichts."

Smith steckte seine Hände in die Manteltasche.

"Sie überschätzen sich."

"Ach, ja?

Jetzt mischte sich Ray ein. Er senkte die Uzi, trat einen Schritt näher. "Komm Tony, lass uns vernünftig mit ihm reden!"

Ein Schuss krachte los.

Der Mann, der sich Smith nannte, hatte aus der Manteltasche heraus gefeuert. Die Kugel war durch den dünnen Popeline-Stoff herausgeschossen und Tony in den Bauch gefahren.

Tony klappte zusammen wie ein Taschenmesser. Der Griff seiner Rechten klammerte sich noch um seine Automatik. Aber den CX-Behälter konnte er nicht mehr festhalten. Er fiel hart auf den Boden und rollte ein Stück in Richtung Tür.

Tony sackte in sich zusammen.

Smith wirbelte noch in derselben Sekunde herum.

Er war ein sehr guter und sehr schneller Schütze.

Noch bevor Ray seine Uzi hochreißen und damit eine Feuerstoß von 20 oder dreißig Geschossen pro Sekunde abgeben konnte, bildete sich auf seiner Stirn ein roter Punkt, der rasch größer wurde.

Die Wucht des Projektils riss Ray nach hinten. Er schien einen Schritt rückwärts zu gehen und schlug dann der Länge nach hin. Als die Uzi auf den Boden schlug löste sich ein Schuss daraus.

Dann war Stille.

Smith würdigte die beiden Toten keines Blickes.

Er stieg über Tony hinweg, nahm die fünfzigtausend Dollar wieder an sich und ging dann ein paar Schritte in Richtung Tür. Dort blieb er kurz stehen und bückte sich nach dem Behälter.

Zum Glück sind die Dinger ziemlich stabil, ging es ihm durch den Kopf, bevor er hinaus ins Freie trat.

6

Alec Mercer, seines Zeichens Geschäftsführer von MADISON GEN-TECH, empfing uns in seinem Büro in Midtown Manhattan. In den Labors in New Rochelle wurden Experimente mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen durchgeführt - aber die Geschäfte von MADISON wurden von dieser Büroetage in der Third Avenue aus gesteuert.

Natürlich hofften wir, dass man hier etwas weniger zugeknöpft sein würde, als wir das bisher von dieser Firma gewohnt waren.

Mercer thronte hinter einem gewaltigen Schreibtisch. An den Wänden hingen großformatige Gemälde, deren Malstil an Graffitis in der Bronx erinnerte. Mercer schien Wert darauf zu legen, dass man ihn und sein Unternehmen für innovativ hielt.

"Mr. Trevellian und Mr. Tucker vom FBI", säuselte die brünette Sekretärin, die uns hereingeführt hatte.

Mercer reichte uns nacheinander die Hand. Er faßte hart zu, wie ein Mann, der gleich zeigen will, wer der Boss ist.

"Bitte nehmen Sie Platz. Wollen Sie einen Kaffee?"

"Wir kommen lieber gleich zur Sache", sagte Milo.

Mercer zuckte die Achseln und kratzte sich an seinem eckigen Kinn.

"Ist mir auch recht. Allerdings ist mir ehrlich gesagt schleierhaft, wie ich Ihre Ermittlungen unterstützen könnte."

Wir setzten uns.

"Oh, da würde mir schon einiges einfallen", erwiderte ich.

Mercer hob die Augenbrauen. "Ach, ja?"

"Zum Beispiel könnten Sie Ihre wissenschaftliche Abteilung dazu bewegen, nicht Katz und Maus mit uns zu spielen", meinte ich.

Auf Mercers Gesicht erschien ein geschäftsmäßiges Lächeln.

"Vielleicht übertreiben unsere Leute es manchmal mit der Geheimhaltung. Aber Sie müssen verstehen, Mr. Trevellian. Wir sind auf einem äußerst sensiblen Gebiet tätig. Ein Gebiet, das immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es gibt viele Seiten, die an den Erkenntnissen brennend interessiert sind, die unsere Wissenschaftler in New Rochelle gewinnen. Und wir können es uns nicht leisten, Millionen zu investieren, nur um uns die Früchte unserer Arbeit kurz vor dem Ziel von der Konkurrenz stehlen zu lassen."

"Wer, glauben Sie, könnte ein Interesse an einem Behälter mit Pest-Bakterien haben?", fragte ich. "Vielleicht einer Ihrer Konkurrenten oder Geschäftspartner?"

"Das halte ich nicht für ausgeschlossen", meinte Mercer.

"Die Einbrecher wussten ausgesprochen gut Bescheid. Ihnen war bekannt, wie man die Alarmanlagen überlisten kann, in welchem Rhythmus die Wachen patrouillierten und welchen Behälter sie an sich zu bringen hatten..."

Mercer seufzte. "Die Art und Weise, in der Sie das sagen, klingt beunruhigend, Mr. Trevellian."

"Es liegt der Verdacht nahe, dass die Täter einen oder mehrere Komplizen bei der Belegschaft hatten. Anders ist dieser Coup für mich nur schwer vorstellbar..."

"Wir sind sehr sorgfältig bei der Auswahl unseres Personals, wie ich Ihnen versichern darf", erwiderte Mercer etwas ungehalten.

Milo sagte: "Die Tatsachen sprechen leider für sich, Mr. Mercer. Wir möchten gerne die Personaldaten haben, um alle in Frage kommenden Personen durch das Raster laufen lassen zu können. Diese Daten seien hier in Ihrer Zentrale..."

"Das ist richtig", gab Mercer etwas zögerlich zu.

"Dann machen Sie sie uns bitte zugänglich!"

Mercer lehnte sich etwas zurück, tickte mit dem Finger nervös auf der Schreibtischplatte. "Haben Sie dafür denn irgendeine Art Dokument, das Sie dazu berechtigt?"

Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da hatte Milo die richterliche Anordnung bereits hervorgeholt. Nach den ersten Erfahrungen mit MADISON waren wir auf Nummer sicher gegangen.

Schließlich wollten wir dieses Büro nicht mit leeren Händen verlassen.

Mercer las sich das Schriftstück eingehend durch.

Dann betätigte er die Sprechanlage. "Wenn Sie mal eben zu mir ins Büro kommen würden, Harold", knurrte er. An mich gewandt fuhr er dann fort. "Ich möchte das erst von unserem Anwalt prüfen lassen, Sir!" Er verzog den Mund. "Eine reine Formsache."

"Natürlich! Sagen Sie, wie rekrutieren Sie eigentlich Ihr Sicherheitspersonal?", fragte ich.

"Wir haben eine eigene Abteilung dafür. Unsere Wachleute sind hochqualifiziert. Alles Ex-Cops, Ex-Marines und so weiter. Natürlich mit einwandfreiem Leumund."

"Aber diese Männer hatten keine Ahnung von dem, was innerhalb der Labors gelagert wurde."

"Nur eine ungefähre Ahnung. Dass es gefährliche Substanzen sind, für die die höchste Sicherheitsstufe gilt. Warum fragen Sie?"

"Ich denke an das Feuergefecht, das sich die Wachleute mit den Einbrechern geliefert haben. Die Pesterreger hätten dabei sehr leicht entweichen können, wenn der Behälter in Mitleidenschaft gezogen worden wäre!"

Mercer lächelte wie ein Wolf. Ein Goldzahn blitzte auf.

"Haben Sie einmal einen CX-Sicherheitsbehälter gesehen?"

"Ja, man hat mir welche gezeigt."

"Ich hoffe, dass man Ihnen dann dann auch erläutert hat, welche extremen Belastungen diese Behälter aushalten können. Im übrigen waren unsere Wachleute offenbar nicht darüber im Bilde, dass ein Einbruch bereits stattgefunden hatte."

"Unsere Kollegen hatten von sämtlichen Wachleuten am Tatort Aussagen aufgenommen", stellte Milo fest. "Aber die deuten eher darauf hin, dass Ihre Leute überhaupt nicht im Bilde darüber waren, was sie da zu bewachen hatten - geschweige denn, dass irgendwie dafür ausgebildet gewesen wären!"

"Geheimhaltung ist in unserem Business alles, Sir!"

Milo wollte noch etwas erwidern.

Aber in diesem Moment betrat ein Mann im dunklen Anzug den Raum. Mercer stand auf. Er gab dem Mann die richterliche Verfügung. "Lesen Sie das, Harold!"

Der Anwalt brauchte nicht lange, um sich eine Meinung gebildet zu haben.

"Ich fürchte, Sie können nichts dagegen machen, Sir! Dies ist eine richterliche Durchsuchungserlaubnis."

"Heißt das, dass die hier alles auf den Kopf stellen könnten?", fragte Mercer ungehalten.

Harold nickte. "So ist es."

Ich sagte kühl: "Vielleicht sind Sie ja jetzt etwas kooperationsbereiter."

Mercer betätigte die Gegensprechanlage und wies seine Sekretärin an, uns ein Update der Personaldaten anzufertigen.

7

Der Mann, der sich Smith nannte, hatte eine Plastiktüte aus dem Handschuhfach genommen, den CX-Behälter dort hineingetan und ihn so auf den Beifahrersitz seines Chevys gelegt.

Der Regenmantel mit dem Schussloch lag auf dem Rücksitz.

Immer wieder blickte er in den Rückspiegel während sich sein Chevy durch den abendlichen Verkehr New Yorks quälte.

Ungefähr ein Dutzendmal bog er ab, fuhr über Einbahnstraßen im Kreis. Er musste sichergehen, dass ihm keiner folgte.

Zwei habe ich erledigt, ging es ihm durch den Kopf. Zwei!

Aber sie waren zu dritt...

Und der dritte Mann würde alles andere als erbaut darüber sein, wenn er mitbekam, dass seine beiden Komplizen von Kugeln durchlöchert in einem billigen Motelzimmer lagen.

Smith atmete tief durch.

Irgendwann, als er schließlich die Upper East Side erreicht hatte, bog er in eine kleine Seitengasse ein.

Die Häuserfronten ragten schroff empor.

An beiden Straßenseiten parkte ein Wagen hinter dem anderen. Schließlich fand Smith eine Lücke. Er brauchte einige Augenblicke, bis er den Chevy in die enge Lücke hineingefahren hatte.

Er nahm die Plastiktüte mit dem CX-Behälter und stieg aus.

Mit einer nachlässigen Bewegung schloss er den Wagen ab.

Er ging die Straße ungefähr fünfzig Meter zurück, blieb dann vor einem zehnstöckigen Gebäude stehen. Ein mattes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er die Sprechanlage am Eingang betätigte. Eine Überwachungskamera richtete ihre Linse auf ihn.

"Guten Tag, was wünschen Sie?", fragte eine weibliche Stimme.

"Hier ist Smith. Ich werde erwartet!"

8

Am nächsten Morgen, als wir in Mr. McKees Büro saßen, lag der ballistische Bericht vor. Es stellte sich heraus, dass eine der Waffen, die bei dem Überfall auf das Gelände von MADISON GEN-TECH benutzt worden war, bereits in unseren Datenbanken verzeichnet war.

Es handelte sich um eine automatische Pistole vom Kaliber .45. Vor zwei Jahren war mit dieser Waffe ein Wachmann erschossen worden, der vor einem Waffen- und Munitionsdepot der Navy seinen Dienst getan hatte.

"Es blieb damals bei einem versuchten Überfall", erläuterte uns Agent Max Carter, ein Innendienstler der Fahndungsabteilung. "Einer der Täter wurde gefasst, die anderen entkamen. Zeugenaussagen zu Folge muss es sich um zwei oder drei Männer gehandelt haben, die versuchten, in das Depot einzudringen. Allerdings wurden sie offenbar entdeckt, bevor sie irgendetwas erbeuten konnten."

"Was ist mit dem, der damals gefasst wurde?", fragte Mr. McKee.

"Es handelte sich um einen gewissen John F. Monty", erklärte Carter. "Und der sitzt heute noch auf Riker's Island ein. Leider hat er seine Komplizen nie verraten."

"Vielleicht kommen wir trotzdem über diesen Monty weiter", meinte Agent Medina. Orry war indianischer Abstammung und bekannt dafür, immer wie aus dem Ei gepellt herumzulaufen. Er galt als der bestangezogendste G-man des Districts. Während er den Kaffeebecher zum Mund führte, lockerte er etwas die Seidenkrawatte.

"Vielleicht könnten Sie und Clive sich darum kümmern", meinte Mr. McKee. "Dass Monty damals nicht ausgesagt hat, um sich damit eine gnädigere Justiz zu verschaffen, muss ja schließlich seinen Grund haben. Vielleicht wird er oder jemand aus seiner Familie finanziell unterstützt... Was weiß ich!"

Orry nickte.

"Wir nehmen uns das Umfeld dieses Mannes mal vor", versprach er.

"Weiß man irgendetwas über die Motive, die Monty und seine Komplizen damals hatten?", fragte ich an Carter gewandt.

Dieser schüttelte den Kopf.

"Leider nein, Jesse. Monty hat allerdings ein Vorstrafenregister, das eigentlich auf einen ganz gewöhnlichen Kriminellen deutet."

"Nichts, was in Richtung Geheimdienste deutete?", hakte Mr. McKee nach.

"Nein", sagte Carter. "Aber das muss natürlich nichts heißen. Selbst wenn ganz gewöhnliche Kriminelle den Überfall auf MADISON GEN-TECH ausgeführt haben, dann sagt das nichts darüber aus, wer diesen Coup in Auftrag gegeben hat. Gangster vom Format eines John F. Monty sind einfach zu kleine Fische, als daß sie die Möglichkeit hätten, einen CX-Behälter mit genveränderten Yersinia Pestis eigenständig zu vermarkten. Vielleicht wussten die Täter nicht einmal, was sie da genau erbeuteten. Sie haben einfach ihren Job gemacht. Fragt sich nur, für wen."

9

Die Fahndung lief auf Hochtouren. Vor allem suchten wir natürlich nach dem verschwundenen CX-Behälter. Jeder Polizist in New York City bekam eine Art Steckbrief mit einer genauen Beschreibung dieses Behälters und Farbfotos. Radio und Fernsehen verbreiteten Suchmeldungen, in denen allerdings der Inhalt dieses Behälters nicht erwähnt wurde. Schließlich sollte erstens keine Panik ausgelöst werden und zweitens gab es fahndungstaktische Gründe dafür, kein Detailwissen zu verbreiten. Schließlich war der Kreis derer, die über den Inhalt dieses Behälters Bescheid wissen konnten, sehr begrenzt. Vielleicht gehörten nicht einmal die Täter dazu ganz sicher aber ihre Auftraggeber.

Allerdings wurde in den Suchmeldungen eindringlich davor gewarnt, den CX-Behälter zu öffnen oder zu beschädigen.

Inzwischen lag eine erste Auswertung der Personaldaten von MADISON GEN-TECH vor.

Es gab eine Liste von insgesamt zwölf Personen, die Zugang zu dem mikrobiologischen Labor gehabt hatten, aus dem der CX-Behälter entwendet worden war. Es handelte sich ausschließlich um Wissenschaftler.

"Nur diese Zwölf konnten wissen, wo sich der Behälter mit Yersinia Pestis in der Nacht des Überfalls befinden würde", erläuterte Carter. "Und viel Zeit zum Suchen hatten die Täter bekanntlich nicht!"

"Könnte es nicht auch sein, dass jemand die Datenbanken von MADISON angezapft hat?", fragte Milo.

"Theoretisch möglich, in diesem Fall aber unwahrscheinlich. Die Laborrechner haben keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Es gibt keine Datenfernverbindungen oder dergleichen. Offenbar wollte man auf Nummer sicher gehen und mit allen Mitteln verhindern, dass das Know-how von MADISON in die Hände der Konkurrenz gerät."

"Also nehmen wir mal an, dass zumindest die Auftraggeber gewusst haben, woran bei MADISON gearbeitet wird", sagte ich.

"Diese Zwölf sind dann wirklich die einzigen, die dieses Wissen weitergeben konnten? Da müsste man doch sicher noch ein paar Leute in der Manhattaner MADISON-Zentrale hinzurechnen. Alec Mercer wusste zum Beispiel ganz gut Bescheid. Und natürlich Fürbringer in Zürich."

"Ich spreche von Detailwissen", erwiderte Carter. "Wie weit die Kenntnisse von Alec Mercer gehen, weiß ich nicht. Aber es gibt da tatsächlich noch eine dreizehnte Person, die wir uns genauer ansehen sollten. In den Personaldaten ist vermerkt, dass diese Person seit zwei Monaten ein absolutes Verbot hat, den Laborbereich zu betreten."

"Um wen handelt es sich?", fragte ich.

"Dr. George Hiram. Es steht in in den Unterlagen keine Begründung für diese Maßnahme. Aber man sollte Hiram mal befragen."

Jetzt mischte sich Mr. McKee ein und fragte: "Gibt es bei den anderen Zwölf irgendetwas, was auffällig ist?"

"Dr. Tremayne reiste im letzten Jahr viermal nach Karachi, Pakistan."

"Um Urlaub zu machen oder im Auftrag der Firma?"

"Eine interessante Frage, Sir, auf die wir leider noch keine Antwort haben!"

Mr. McKee wandte sich an Milo und mich.

"Nehmen Sie beide sich die Liste mal vor und versuchen Sie etwas damit anzufangen..."

10

George Hiram hatte eine Wohnung in Midtown Manhattan.

Sündhaft teuer und ziemlich eng, aber dort trafen wir ihn nicht an.

Von Nachbarn erfuhren wir, dass Hiram sich zur Zeit in seinem Ferienhaus in Florida erholte.

Florida, New York State, wohlgemerkt - ein kleines verschlafenes Nest an einem traumhaften See, etwa siebzig Meilen nordwestlich von New York City.

Es war eine ziemlich lange Fahrt dorthin. Unterwegs las Milo mir Teile des Dossiers vor, das Agent Carter uns über Hiram zusammengestellt hatte.

Er war ohne Zweifel ein interessanter Mann.

Er hatte zunächst eine beeindruckende Universitätskarriere hinter sich gebracht. Ein geradezu kometenhafter Aufstieg, dann der Wechsel in die freie Wirtschaft. Er wurde Leiter der Entwicklungsabteilung von Fürbringer do Brasil, der brasilianischen Tochtergesellschaft des Züricher Unternehmens. Vor zwei Jahren schließlich wechselte er zu MADISON GEN-TECH.

Wir verzichteten darauf, in der MADISON-Zentrale nachzufragen, was es damit auf sich hatte, dass Hiram der Zutritt in den Laborbereich untersagt war. Zuerst wollten wir Hirams Version der Geschichte hören - ohne dass diese irgendwie zuvor beeinflusst werden konnte.

Außerdem kannte Hiram das gesamte Forscher-Team, das derzeit in den MADISON-Labors tätig war.

Und vielleicht konnten wir über ihn einen entscheidenden Hinweis erhalten.

Denn viel Zeit hatten wir nicht.

Mr. McKee hatte es gar nicht auszusprechen brauchen. Jedem der G-man, die an dem Fall arbeiteten, war klar, dass jeder Augenblick, in dem der Behälter mit den genveränderten Yersinia Pestis-Erregern in falschen Händen war, eine Gefahr bedeutete.

Eine Gefahr für zahllose Menschenleben.

"Ich weiß nicht, was man sich in dieser Lage wünschen soll", meinte Milo irgendwann, während der Fahrt. "Angenommen, irgendein Geheimdienst hat das Teufelszeug längst außer Landes gebracht, dann kann man zumindest hoffen, dass es dann erst einmal sachgemäß in einem militärischen Depot gelagert wird..."

"In den Händen irgendeines kleinen Diktators, der damit große Weltpolitik machen will?", gab ich zu bedenken.

"Regime wechseln schnell, Jesse. Vielleicht kommt es niemals zum Einsatz! Jedenfalls ist mir bei dem Gedanken daran immer noch um einiges wohler, als wenn ich mir vorstelle, dass das Zeug hier in New York in die Hände von Dilettanten oder Wahnsinnigen gerät..."

Ich verstand, was Milo meinte.

"Die erste Variante kann genauso verhängnisvoll sein", meinte ich jedoch. "Auch wenn die Katastrophe dann vielleicht ein paar Jahre auf sich warten lässt."

Beinahe zwei Stunden brauchten wir für die gut 70 Meilen.

Florida, N.Y. war klein aber nobel.

Der Lake Florida war traumhaft in den Bergen gelegen und von mondänen Privatvillen umringt. Diese Häuser gehörten Leuten, die es weit genug gebracht hatten, um sich ein wenig aus dem Ameisenhaufen New York City zurückziehen zu können.

In Florida waren sie allerdings immer noch nahe genug an den Schaltzentralen von Wall Street, um die Kontrolle zu behalten.

Kein Wunder, dass die Grundstückspreise hier in den letzten Jahren in einem Maß gestiegen waren, das außerhalb jeder Vernunft lag.

George Hiram mochte ein bedeutender Wissenschaftler sein, aber dass er bei MADISON genug verdiente, um sich hier niederlassen zu können, überrascht mich doch ein wenig.

Milo und ich brauchten eine weitere Stunde, bis wir Hirams Bungalow gefunden hatten. Für die Verhältnisse von Florida, N.Y., war es ein bescheidenes Anwesen, auch wenn es direkt am See lag und zusätzlich über einen Swimming Pool verfügte.

Ich parkte den Sportwagen in der Einfahrt.

Wir stiegen aus, sogen die klare Luft ein. Die Sonne schien und ließ die Wasseroberfläche des Sees glitzern.

"Hier könnte ich es auch aushalten", meinte Milo.

Wir gingen zur Tür und klingelten.

Eine Frau in den Dreißigern öffnete uns.

Sie hatte brünettes Haar, ein feingeschnittenes Gesicht und trug Ohrhänger mit jeweils drei weißen Perlen.

Der schwarze Badeanzug schmiegte sich hauteng an ihren perfekten Körper.

Die Linke hatte sie in die geschwungene Hüfte gestemmt.

Und in der Rechten hielt sie einen Revolver, dessen Lauf direkt auf meinen Bauch zielte.

11

"Wer sind Sie?", fragte die Frau. Ihre stahlblauen Augen musterten mich von oben bis unten.

Ich sagte: "Jesse Trevellian, Special Agent des FBI. Der Mann neben mir ist mein Kollege Agent Tucker. Und wenn Sie mir versprechen, nicht nervös zu werden, zeige ich Ihnen sogar meinen Ausweis!"

Einen Augenblick lang schien sie unschlüssig darüber zu sein, was sie tun sollte. Sie verlagerte das Schwergewicht ihres Körpers auf das andere Bein. Ihr aufregende Figur bildete dabei eine geschwungene Linie. Geradezu schwindelerregend.

"Na schön", sagte sie. "Aber ganz langsam. Passen Sie gut auf!"

"Sie sollten aufpassen", erwiderte ich kühl.

"Ach, ja?" Sie lächelte auf eine Art und Weise, die mir nicht gefiel. "Sie verkennen die Lage, Jesse - oder wie Sie auch immer heißen mögen. Ich habe nämlich den Abzug an der Waffe - und nicht Sie! Also tun Sie, was ich sage!"

"Auf Polizistenmord steht im Staat New York die Todesstrafe!"

"Glauben Sie, man wird Ihre Knochen je finden, wenn wir Ihre Leichen hier irgendwo in den Bergen verscharren?"

Ich griff sehr vorsichtig in die Innentasche der leichten Lederjacke, die ich trug.

Als ich meinem Gegenüber dann im nächsten Moment den Dienstausweis des FBI entgegenhielt, erbleichte sie etwas.

Der Lauf ihrer Waffe senkte sich.

Ein Mann mit dunklem Vollbart tauchte aus dem Hintergrund heraus auf. Er war mindestens zehn Jahre älter als die Frau im schwarzen Badeanzug.

"Was ist los, Sally?", fragte er.

"Wir haben Besuch, George", murmelte sie vor sich hin.

"Mr. George Hiram?", fragte ich.

"Ja. Was wollen Sie?"

"Trevellian, FBI. Wir möchten Ihnen ein paar Fragen im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Labors von MADISON GEN-TECH stellen."

George Hiram und Sally sahen sich kurz an. Auf Hirams Stirn erschienen ein paar tiefe Furchen.

"Ich wüsste nicht, was ich dazu zu sagen hätte", erklärte er.

"Das wird sich herausstellen", erwiderte ich.

Hiram atmete tief durch. "Kommen Sie herein!"

Er führte uns durch den Bungalow hindurch auf die Terrasse.

Er deutete auf die Sitzecke und bot uns einen Platz an.

"Möchten Sie etwas trinken?", fragte er, nachdem wir uns gesetzt hatten.

"Höchstens einen Kaffee", sagte ich.

Und Milo schloss sich dem an.

Hiram nickte. "In Ordnung. Den etwas rauen Empfang durch meine Frau bitte ich zu entschuldigen..." Er legte einen Arm um Sallys Taille. Auf dem Weg hier her, hatte sie den Revolver irgendwohin verschwinden lassen. Jedenfalls hielt sie ihn nicht mehr in den zierlich wirkenden Fingern ihrer Rechten. Ihre Zähne blitzen, während sie lächelte.

"Ich mache Ihnen einen Kaffee", versprach sie.

Ich sah ihr nach.

Ihre Bewegungen hatte etwas Katzenhaftes. Lautlos glitten ihre schlanken Füße über den Steinboden.

Ihr Badeanzug war hinten tief ausgeschnitten und ließ so gut wie den gesamten Rücken frei. Mir fiel ein dunkler Punkt zwischen den Schulterblättern auf. Erst auf den zweiten Blick sah ich, worum es sich handelte.

Es war eine Tätowierung.

Ein eigenartiges Symbol, das ich noch nie zuvor gesehen hatte.

Drei Kreuze, angeordnet wie die Blätter eine Kleeblatts.

Hiram bemerkte meinen Blick , sagte aber nichts.

"Sie haben Fragen an mich?", stellte er fest. Er ließ sich in einen der breiten Korbsessel fallen. "Ich habe von dem Überfall auf MADISON GEN-TECH natürlich gehört. Allerdings ist mir schleierhaft, weshalb Sie mit Ihren Fragen ausgerechnet zu mir kommen..."

"Wissen Sie, was die Einbrecher dort mitgenommen haben?", fragte Milo.

Dr. Hiram wandte leicht den Kopf, dann zuckte er die breiten Schultern. "Ich kann es nur vermuten."

"Und was vermuten Sie?"

"Wenn die Diebe dumm waren, haben sie sich mit der Kantinenkasse zufrieden gegeben", versuchte er einen Witz zu machen. "Wenn sie wussten, was wertvoll ist, werden sie versucht haben, an Datenmaterial heranzukommen und Forschungsergebnisse zu stehlen."

"Sie haben einen CX-Behälter mit genetisch veränderten Yersinia Pestis-Kulturen in ihrer Gewalt", stellte Milo sachlich fest.

Hirams Gesicht blieb unbewegt.

Er bewegte kaum die Lippen, als er sagte: "Dann wünsche ich Ihnen bei Ihrer Aufgabe viel Glück - auch wenn Sie kaum darum zu beneiden sind."

Ich fragte: "Wofür genau waren diese Bakterienkulturen bestimmt?"

"Ich bin nicht autorisiert, darüber irgendetwas zu sagen, Mr. Trevellian", war Hirams spröde Erwiderung.

"Mr. Hiram, es geht vielleicht um das Leben von sehr vielen Menschen. Wenn dieser Behälter in die Hände von..."

"Mr. Trevellian, Sie versuchen jetzt, ein rabenschwarzes Szenario zu entwerfen. Aber ich bin Wissenschaftler. Das bedeutet, dass ich es gewöhnt bin, mit Risiken rational umzugehen. Glauben Sie, MADISON GEN-TECH ist die einzige Firma auf der Welt, die mit solchen Bakterienkulturen experimentiert? Überall werden Mikroorganismen gentechnisch verändert..."

"Aber Pesterreger dahingehend zu verändern, dass sie resistent gegen Antibiotika sind, deutete doch wohl auf die Entwicklung von Kampfstoffen hin..."

"Wenn Sie sich vor biologischen Kampfstoffen durch Impfstoffe oder Seren schützen wollen, müssen Sie zuvor Ihren Feind kennen! Aber niemand wird deswegen freiwillig seine Bakterienarsenale für Sie öffnen. Also müssen Sie die Pestilenz, die Sie bekämpfen wollen, erst selbst erzeugen. Wie Sie es auch drehen, Mr. Trevellian. Es sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Sie können das nicht trennen. Im übrigen wurde in New Rochelle mehr oder minder Grundlagenforschung betrieben. Die kommerzielle Umsetzung wurde von anderen Konzernteilen in die Hand genommen."

"Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Täter Zugang zu Informationen hatten, über die insgesamt nur dreizehn Personen in den Labors von New Rochelle verfügten. Sie kannten sich bestens aus und haben vielleicht sogar mit jemandem zusammengearbeitet, der Zugang zu den Labors hatte."

"Mich können Sie von Ihrer Liste gleich wieder streichen", erklärte Hiram.

"Ach, ja?"

"Ich habe keinen Zugang mehr zum Laborbereich."

"Das wissen wir."

"Sie meinen, dass ich die nötigen Informationen vorher hätte weitergeben können!"

Ich lächelte dünn. "Wäre das so abwegig, Dr. Hiram?"

"Warum sollte ich das tun?"

"Fangen wir anders an", schlug ich vor. "Weshalb haben Sie keinen Zugang mehr zum Laborbereich? Sie haben eine Bilderbuchkarriere hinter sich. Jede Firma, die sich mit Gen-Technik, Mikrobiologie oder Biochemie beschäftigt, würde Sie mit Kusshand abwerben. Von Dozentenposten an den besten Universitäten mal ganz abgesehen..."

Hiram schien etwas erstaunt zu sein.

"Sie sind gut informiert!"

"Das ist ein Teil unseres Jobs."

"Ich verstehe..."

"Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet!"

"Es gab gewisse Differenzen zwischen mir und dem Leiter der Entwicklungsabteilung..."

"Dr. Ressing."

Hiram nickte. "Ja, genau."

"Worin bestanden die Differenzen?"

"Sie waren privater Natur. Mehr werde ich dazu nicht sagen, Mr. Trevellian."

"Warum kündigen Sie nicht bei MADISON?"

"Mein Vertrag sieht vor, dass ich innerhalb einer Sperrfrist von einem halben Jahr kein Angebot aus der Industrie annehmen darf." Er grinste. "Schlecht geht es mir allerdings auch nicht, schließlich erhalte ich bis zum Ablauf dieser Frist weiterhin mein Gehalt."

Jetzt erschien Sally mit einem Tablett, auf dem eine Kanne mit Kaffee sowie passendes Geschirr standen.

"Es tut mir sehr leid, Mr. Trevellian. Aber Sie haben den weiten Weg hier heraus nach Southampton wohl völlig umsonst gemacht", meinte Hiram, während Sally den Kaffee servierte.

Ich beachtete diese Bemerkung nicht.

Aus irgendeinem Grund wollte Hiram uns lieber früher als später loswerden.

"Was wissen Sie über die Pakistan-Reisen von Dr. Tremayne?", fragte ich dann in die Stille hinein.

Hiram blickte auf. Er wechselte einen kurzen Blick mit Sally. Sie hatte sich bereits halb zum Gehen gewandt. Jetzt erstarrte sie.

"Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen."

"Hatten seine Reisen dorthin irgendetwas mit Firmenprojekten zu tun?"

"Warum fragen Sie ihn nicht selbst?"

Ein harter Brocken!, dachte ich. Er wand sich um jede klare Aussage herum. Vielleicht hatte er aus seiner Sicht gute Gründe dafür. Möglich, dass die Geschäftsführung von MADISON ihm eine Art Maulkorb-Order gegeben hatte. Und was immer es auch an Differenzen im Forscherteam der Entwicklungszentrale des Fürbringer-Konzerns gegeben hatte, so war Hiram ganz offensichtlich nicht bereit, dafür seine noch ausstehenden Gehaltszahlungen und eine eventuell fällige Abfindung aufs Spiel zu setzen.

Ich wandte mich an Sally.

"Warum setzen Sie sich nicht zu uns?", fragte ich.

Sie zögerte.

Ein kurzer Blickwechsel mit Hiram, dann setzte sie sich.

"Sally kann zu der ganzen Angelegenheit nun wirklich nichts sagen", meinte Hiram. Er tickte dabei nervös auf der Sessellehne herum.

Ich blickte direkt in Sallys blaue Augen.

Ihr Lächeln war geschäftsmäßig, wirkte etwas unterkühlt.

"Haben Sie für das Schießeisen, mit dem Sie mich gerade bedroht haben eigentlich einen Waffenschein?", erkundige ich mich.

"Natürlich", erklärte sie. "Die Waffe ist ordnungsgemäß registriert."

"Sie schienen mir ziemlich nervös zu sein?"

"Ach, ja?"

"Wovor hatten Sie Angst, Sally?"

"Angst?"

"Wie sollte man die Art und Weise, in der Sie meinen Kollegen und mich begrüßt haben, sonst erklären?"

Sie zuckte die Achseln. "Die Welt ist verseucht vom Verbrechen", sagte sie mit leiser, fast brüchiger Stimme. "Das Böse regiert alles..."

"Ist das nicht etwas übertrieben?"

Sie sah mich erstaunt an. "Das sagen Sie? Ein FBI-Agent? Sie müssten es doch besser wissen, Mr. Trevellian. Sie müssten wissen, wie schlecht die Welt ist, wie weit die Herrschaft des Bösen bereits vorangeschritten ist. Vor zwei Wochen wurde hier in Southampton in eine Villa eingebrochen. Der Besitzer wurde erschossen. Die Beute: 500 Dollar Bargeld, einige Antiquitäten, die im Grunde unverkaufbar sind, weil man sie sofort identifizieren würde..." Sie beugte sich etwas vor.

Der hautenge Badeanzug spannte sich um die beiden Wölbungen ihrer festen Brüste. "Ich denke, Sie verstehen sehr gut, was ich meine..."

Ich kam nicht mehr dazu, ihr zu antworten.

Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie ein Ruck durch George Hirams Körper ging. Ein kurzes Zucken. Das Gesicht wurde starr, die Augen blickten ins Nichts.

Auf der Stirn war ein roter Punkt zu sehen.

Blut sickerte heraus.

Und in der nächste Sekunde war die Hölle los.

12

"Vorsicht!", rief ich.

Meine Hand schob blitzschnell die Lederjacke zur Seite, so dass ich die Sig Sauer P226 erreichen konnte. Ich riss die automatische Pistole aus dem Gürtelholster heraus und warf mich seitwärts, während ein weiterer Schuss dicht über mich hinwegzischte.

Während ich zu Boden fiel, riss ich Sally mit mir. Der Korbsessel, in dem sie gerade noch gesessen hatte, stürzte um.

Milo hechtete sich zur anderen Seite, fand hinter einem Mauervorsprung Deckung und feuerte seine Pistole zweimal kurz hintereinander ab. Irgendwo in den nahen, zum Teil bewaldeten Hügeln saßen die Attentäter und lauerten auf uns.

Drei Laserpunkte, wie sie von Zielerfassungsgeräten ausgesandt wurden, wanderten suchend über die Hauswand.

"Gehen Sie ins Haus und verhalten Sie sich ruhig!", wies ich Sally an und deutete auf die Tür. "Los, jetzt! Ich gebe Ihnen Feuerschutz!"

Sie sprang hoch, während ich emportauchte und drauflosschoss. Ich hielt den Lauf der P226 ungefähr in die Richtung aus der ich den Angriff auf uns vermutete. Sally hechtete durch die Terrassentür ins Haus.

Einen Augenaufschlag später brach ein wahrer Kugelhagel los. Scheiben zersprangen. Projektile kratzten an dem makellosen Putz der Hauswand.

Ich machte einen Satz nach vorn, landete hart auf dem Boden und rollte mich herum.

Milo tauchte indessen aus seiner Deckung hervor und half mir, indem er vier, fünfmal den Abzug seiner P226 betätigte.

Dann hatte ich Deckung hinter der niedrigen Umgrenzungsmauer, die die Terrasse umgab. Der Swimmingpool Pool lag etwas tiefer. Eine Treppe mit insgesamt einem Dutzend Stufen führte hinab in den Gartenbereich, der zum Großteil aus Rasen bestand. Ab und zu ein paar karge Sträucher.

Dahinter begann die teils bewaldete Hügellandschaft.

Als ich einen Versuch machte, aus meiner Deckung hervorzukommen, pfiff sofort wieder eine Kugel über mich hinweg.

Ein Stück Stein splitterte aus der niedrigen Natursteinmauer heraus.

Ich fingerte mein Handy aus der Jackentasche und wählte die Nummer der Zentrale. In knappen Worten umriss ich die Lage, in der Milo und ich uns befanden.

Unsere Kollegen würden sofort die hiesigen Polizeibehörden alarmieren.

Der Wind trug den Klang heiserer Stimmen zu uns herüber.

Der Feuerhagel verebbte.

Ich schaltete blitzschnell.

Die Attentäter machten sich aus dem Staub.

Ich steckte das Handy weg, hob den Kopf über die niedrige Mauer. In der Rechten hielt ich die P226 fest umklammert.

Die Waffe war schussbereit.

Für den Bruchteil eines Augenblicks sah ich hinter einem der Hügelkämme einen Kopf auftauchen.

Eine Baseballmütze mit großem Schirm und eine Sonnenbrille mit überdimensionierten Spiegelgläsern sorgten dafür, dass man von dem Gesicht so gut wie gar nichts erkennen konnte.

Dann war der Mann verschwunden.

Ich schnellte hoch.

Es war riskant, was ich versuchte - aber ich setzte alles auf eine Karte. Diese Attentäter mussten handfeste Gründe dafür haben, George Hiram eine Kugel in den Kopf zu jagen.

Und vielleicht hatten diese Gründe etwas mit dem Verschwinden eines mit Yersinia Pestis gefüllten CX-Behälters zu tun...

Wenn nur eine geringe Chance bestand, in diesem Fall etwas ans Licht zu bringen, dann war es das Risiko wert, so glaubte ich.

Ich machte einen Satz nach vorn und übersprang die niedrige Natursteinmauer, die die Terrasse umgab. Dann stolperte ich die Böschung hinunter. Oben, auf einem der Hügelkämme bemerkte ich eine Bewegung.

Blitzschnell riss ich die P226 empor und feuerte zweimal kurz hintereinander.

Gleichzeitig sah ich, wie der nadelfeine Laserstrahl eines Zielerfassungsgerätes über den Rasen strich. Zwischendurch geriet für Sekundenbruchteile ein Strauch in seine schnurgerade Bahn, so dass die Richtung des Strahls gut zu sehen war.

Ich warf mich seitwärts, während dicht neben mir erst der Laserstrahl und dann ein Projektil auftraf. Ein faustgroßes Loch wurde in den Rasen gerissen und Brocken von schwarzem Mutterboden emporgeschleudert.

Ich zielte.

Es blieb keine Zeit, um lange zu überlegen.

Ich drückte ab.

"Stehenbleiben, FBI!", schrie ich.

Für einen kurzen Moment sah ich eine Gestalt, die aber sofort wieder im Gebüsch verschwand.

Es sind drei!, ging es mir durch den Kopf. Mindestens drei!

Jedenfalls hatte ich vorhin drei verschiedene Laserpointer gezählt.

Ich wirbelte herum, rappelte mich auf und stand im nächsten Moment in geduckter Haltung da. Die P226 hielt ich mit beiden Händen.

Seitlich nahm ich ein Bewegung war.

Es war Milo, der sich etwas herangepirscht hatte.

Auf den Hügelkämmen war niemand mehr zu sehen. Nur der Wind bewegte die Sträucher.

Das Geräusch eines startenden Motors drang jetzt leise zu uns herüber. Ich zögerte nicht. Sofort setzte ich zu einem Spurt an, hetzte den Hügelkamm empor.

Mit der Waffe im Anschlag kam ich oben an.

Ganz in der Nähe befand sich die Straße.

Ein Geländewagen wartete dort mit angelassenem Motor. Drei Männer liefen auf den Geländewagen zu. Die Türen wurden geöffnet, die Männer stiegen ein.

Ich spurtete los.

Die Straße hatte ich schnell erreicht.

Der Geländewagen war indessen losgefahren.

Er kam direkt auf mich zu. Ich stellte mich in die Mitte der Fahrbahn, die P 226 im Anschlag.

"Jesse!", hörte ich Milos Ruf. Er war ebenfalls auf dem Weg zur Straße.

Der Fahrer des Geländewagens trug eine Sonnenbrille. Sein Gesicht war verzerrt.

Er ließ den Motor aufheulen.

Ich feuerte einen Schuss auf den linken Vorderreifen. Der Geländewagen schlug einen Haken nach links. Es quietschte furchtbar. Das Geschoss sprengte ein knöchelgroßes Stück aus dem Asphalt heraus.

Der Fahrer des Geländewagens riss das Lenkrad herum.

Nur noch wenige Meter lagen zwischen mir und dem Kühlergrill des Wagens.

Sekunden nur, und er würde mich auf die Hörner nehmen wie ein wilder Stier einen unvorsichtigen Torero.

Aus einem der hinteren Fenster ragte der Lauf eines Sturmgewehrs. Zwei kurze, heftige Feuerstöße von jeweils mindestens zwanzig Geschossen bellten aus der Waffe heraus.

Genau in die Richtung, aus der Milo sich der Fahrbahn näherte.

Aus den Augenwinkeln heraus bekam ich mit, wie mein Kollege sich in Deckung warf. Ein, zwei Schüsse aus seiner Dienstwaffe konnten der geballten Feuerkraft unserer Gegner nicht Paroli bieten. Wenn wir Glück hatten, erwischte Milo einen Reifen und der Geländewagen jagte dann direkt in einen der Büsche hinein.

Sekundenbruchteile, bevor der heranrasende Wagen mich auf die Hörner nehmen und durch die Luft schleudern konnte, warf ich mich seitwärts. Ich kam hart auf dem Asphalt auf. Die Schulter schmerzte. Zentimeter von mir entfernt brausten die Räder des Geländewagens vorbei. Ich rollte mich auf dem Boden herum, während aus den Fenstern auf mich gefeuert wurde.

Mehr oder minder ungezielte Schüsse allerdings.

Die Projektile stanzten Löcher in den Asphalt.

Der Wagen jagte dahin. Der Motor heulte laut auf.

Ich wollte mich hochrappeln und die P226 emporreißen, um dann mit einem gezielten Schuss vielleicht doch noch einen Reifen zu erwischen.

Aber im nächsten Moment regnete ein wahrer Geschosshagel in meine Richtung nieder.

Die flüchtenden Attentäter feuerten buchstäblich aus allen Rohren. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich so dicht wie möglich an den Asphalt zu pressen. Die Geschosse zischten haarscharf über mich hinweg oder kratzten links und rechts am Asphalt.

Ich atmete tief durch, als dieses Höllengewitter aus Blei endlich vorüber war.

Den Geländewagen sah ich als schwache Silhouette hinter einer Baumgruppe. Er verschwand hinter der nächsten Hügelkette. Ich stand auf, griff zum Handy.

Wenn wir Glück hatten, dann liefen diese Mörder den Beamten des hiesigen County-Sheriffs in die Arme. Ich gab eine entsprechende Meldung durch.

13

"Alles in Ordnung, Alter?", fragte Milo, als er auf mich zukam.

Ich nickte und klappte das Handy ein.

Dann klopfte ich mir notdürftig den Dreck aus den Sachen.

Wir kehrten zu Hirams Bungalow zurück. Einen Moment lang hatten wir erwogen, die Verfolgung aufzunehmen. Aber dann erreichte uns die Meldung der Zentrale. Die Beamten des County-Sheriffs hatten alle Straßen, die aus dem Gebiet herausführten abgesperrt. Das Kennzeichen des Geländewagens hatte ich durchgegeben.

Ich setzte mich per Handy noch einmal mit dem Büro des Sheriffs in Verbindung, um auf die Gefährlichkeit der Flüchtigen hinzuweisen.

Der Sheriff versicherte mir, dass seine Leute die Lage im Griff hätten.

"Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, habe wir die Kerle in einer Viertelstunde", war er überzeugt. "Es gibt genau zwei Straßen, über die man diese Gegend verlassen kann - und die sind dicht. Machen Sie sich also keine Sorgen."

"Besser, wir überlassen die Verfolgung den hiesigen Cops", meinte Milo. "Die sind ortskundig. Wir wissen doch nach zehn Minuten gar nicht mehr, wo wir sind. Außerdem ist hier am Tatort auch eine Menge zu tun."

Milo hatte damit natürlich recht.

Vor allem würde uns Sally Hiram eine Reihe von Fragen zu beantworten haben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Schönheit im Badeanzug so ahnungslos war wie sie tat.

Es war kein Zufall gewesen, dass sie uns mit einem Revolver in der Hand begrüßt hatte...

Wir trafen Sally weder auf der Terrasse, wo die Leiche ihres Mannes noch starr im Korbsessel saß, noch im Erdgeschoss des Bungalows. Milo forderte per Handy FBI-Spezialisten aus New York City an, vor allem Erkennungsdienstler.

Ich hörte Geräusche von oben.

Der Bungalow hatte ein ausgebautes Dachgeschoss.

Vermutlich befanden sich dort die Schlafräume. Jedenfalls hatte ich im Erdgeschoss davon nichts gesehen und einen Keller gab es nicht - vermutlich aufgrund des felsigen Untergrunds.

Ich stieg die steile Wendeltreppe empor, die hinaufführte.

Dann fand ich Sally.

Sie stand vor einem geöffneten Kleiderschrank. Auf dem ausladenden Wasserbett lag eine geöffnete Sporttasche. Sie packte ihre Sachen.

Sally sah mich in einem der Spiegel in den Schranktüren und drehte sich herum.

Ihre Augen waren rotgeweint.

Sie wischte sich mit einer fahrigen Geste über das Gesicht.

"Ich kann hier nicht bleiben", sagte sie, so als müsste sie mir erklären, was sie tat.

Ich ging auf sie zu, sah sie an.

Ihre stahlblauen Augen musterten mich. Sie hat Angst, dachte ich.

"Wo wollen Sie hin?", fragte ich.

"In unsere New Yorker Wohnung. Oder zu Bekannten. Mein Gott, ich weiß es noch nicht, aber hier..." Sie schluchzte auf.

Ich legte den Arm um ihre Schulter. Sie zitterte.

"Es ist so furchtbar, was hier passiert ist", flüsterte sie dann. "So furchtbar..."

"Sie müssen uns helfen, Sally", verlangte ich.

"Helfen?"

Sie rückte von mir ab, stieß meinen Arm von sich. Sie sah mich an, als hätte ich etwas Unanständiges gesagt.

"Wovor hatten Sie Angst, als wir hier auftauchten?", wiederholte ich die Frage, die ich ihr schon einmal gestellt hatte und der sie ausgewichen war.

Sie verschränkte die Arme unter den Brüsten.

Und schwieg.

Reglos stand sie einen Augenblick da. Das einzige, was sich in diesen Sekunden an ihr bewegte, war die Ader an ihrem Hals. Eine leichte Röte hatte ihr Gesicht überzogen.

Innerlich brodelte es in ihr. Aber ich wusste nicht, weshalb.

Ich wusste nur, dass sie mir etwas verschwieg, das mit diesem Fall zu tun haben konnte. Ich hatte einen Instinkt dafür und der hatte mich selten getrogen.

"Sie können mir vertrauen", sagte ich so ruhig wie möglich.

"Ach, ja?", erwiderte sie mit einem feindseligen Unterton.

"Was waren das für Leute, die Ihren Mann auf dem Gewissen haben. Vermutlich kleine Handlanger, die die mörderische Drecksarbeit für andere verrichten. Aber wer hat sie geschickt? Sie wollen mir allen ernstes weismachen, dass Sie davon nicht die geringste Ahnung haben."

"Ich will Ihnen gar nichts weismachen. Ich will nur weg hier."

"Bei MADISON GEN-TECH wird eingebrochen und ein Behälter mit sensiblem Material gestohlen und einer der maßgeblichen Wissenschaftler wird erschossen, nachdem er bei seiner Firma offenbar in Ungnade gefallen ist. Da sieht doch ein Blinder Zusammenhänge."

Ihre Augen wurden schmal.

Sie trat einen Schritt auf mich zu.

"Wollen Sie mich festnehmen, Mr. Trevellian. Habe ich mich irgendwie strafbar gemacht? Wohl kaum, was."

Ich erwiderte ihren Blick.

"Packen Sie ein paar ihrer persönlichen Sachen, Mrs. Hiram", sagte ich dann sachlich. "Aber rühren Sie bitte ansonsten hier nichts an. Unsere Leute werden hier jeden Zentimeter genauestens unter die Lupe nehmen. Und Sie nehmen wir mit nach New York City."

Sie widersprach nicht.

Stattdessen drehte sie sich um, ging zum Fenster. Sie blickte hinaus auf den blau glitzernden See.

"Habe ich es nicht gesagt, Mr. Trevellian", murmelte sie dann, kaum hörbar.

"Wovon sprechen Sie?"

"Davon, dass das Übel die Welt beherrscht. Überall kriechen sie aus ihren Löchern... Die Boten des Unheils... Überall. Sie töten wahllos im Auftrag des Antichristen."

Wieder fiel mir die Tätowierung auf ihrem Rücken auf.

Drei Kreuze.

"Wissen Sie, wer der Antichrist ist, Mr. Trevellian?", hörte ich ihre leise, brüchige Stimme. Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern fuhr fort: " Der Gegner des Guten. Das ist er!

Der Herr des Bösen. Sie können nicht gegen ihn gewinnen, Mr. Trevellian. Nicht mit Ihren Mitteln."

"Welche Mittel müsste ich anwenden?", fragte ich.

Sie sah mich etwas erstaunt an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ich darauf einging.

"Ich glaube nicht, dass Sie das verstehen würden", murmelte sie.

"Versuchen Sie, es mir zu erklären."

Ich wollte einfach, dass sie redete. Jedes Detail, das dabei zu Tage kam konnte uns der Klärung dieses Falls vielleicht einen Millimeter näher bringen. Und wenn der Gewinn nur darin bestand, ihr Vertrauen zu gewinnen, dann war das auch schon was.

Aber sie tat mir den Gefallen zu reden nicht.

Sie schwieg.

Die Frau eines nüchternen Naturwissenschaftlers entpuppte sich als evangelikale Fundamentalistin! Vielleicht war sie im Moment einfach auch nur ein wenig durcheinander. Schließlich war ihr Mann vor ihren Augen erschossen worden. Das wegzustecken war alles andere als eine Kleinigkeit.

Plötzlich sagte sie: "Vielleicht sind auch Sie und Ihre Organisation ein Teil des Bösen und wissen es nicht einmal."

Aus den Augenwinkeln heraus sah ich Milo in der Tür stehen.

Er hatte keinen Lärm gemacht, als er die Treppe heraufgekommen war und so wusste ich nicht genau, wie viel er mitgehört hatte.

Offenbar genug, um sich ein Urteil zu bilden.

Milo brauchte nichts zu sagen. Ich sah seinem skeptischen Gesicht an, was er dachte.

"Ich würde Ihnen gerne helfen", sagte Sally Hiram dann. Ich hatte Schwierigkeiten, ihr zu glauben. Sie fuhr fort: " Ich habe ihnen die Wahrheit gesagt, Mr. Trevellian. Ich weiß kaum etwas über die Arbeit meines Mannes oder ob er mächtige Feinde hatte... und ich habe auch keine Vermutung, wer die Wahnsinnigen waren, die dieses schreckliche Verbrechen begangen haben."

"Beantworten Sie einfach unsere Fragen", sagte ich. "Dann helfen Sie uns am meisten."

Jetzt meldete sich Milo zu Wort.

"Kann ich dich einen Moment sprechen, Jesse."

"Sicher."

Ich ging zusammen mit meinem Kollegen und Partner hinaus auf den Flur. Es war klar, dass Milo mich allein sprechen wollte.

"Gerade kam die Meldung von den Beamten des County Sheriffs."

"Und?", fragte ich.

"Der Geländewagen ist bislang bei keinem der Kontrollpunkte gesichtet worden."

"Was heißt das im Klartext?"

"Keine Ahnung, Jesse. Aber Tatsache ist, dass die Attentäter dort längst hätten auftauchen müssen. Es werden jetzt zusätzliche Polizeikräfte aus den benachbarten Städten herbeigeholt, um die Gegend abzusuchen."

"Sie können sich ja nicht in Luft aufgelöst haben", meinte ich.