Super Action Krimi Viererband 1005 - Arthur Gask - E-Book

Super Action Krimi Viererband 1005 E-Book

Arthur Gask

0,0

Beschreibung

Dieser Band enthält: Pete Hackett: Der Pate ist tot – es lebe der Pate Pete Hackett: Satan war ihr Gott Alfred Bekker: Kommissar Jörgensen sucht die Wahrheit Arthur Gask: Gilbert Larose und das Haus auf der Insel: Kriminalroman »Es ist der dritte Mordfall dieser Art«, gab der Assistant Director zu verstehen. Sein Gesicht war fast maskenhaft ernst. »Der Psychiater Dr. Daniel Shahan wurde am 12. September ermordet, Rechtsanwalt David Strouth am 21. Oktober, und gestern Abend starb Mel Rankin, seines Zeichens Richter beim Criminal Court. Es ist sicher, dass bei Shahan und Strouth ein und derselbe Täter am Werk war. Das hat die ballistische Analyse der Kugeln ergeben, die sie töteten. Weiterhin ist anzunehmen, dass es sich bei dem Mörder des Richters ebenfalls um denselben Täter handelt. Auch Rankin wurde mit einem Schuss ins Herz getötet, und auch auf seinem Leichnam lag ein aus Pappe gefertigter, zerrissener Drudenfuß.« Special Agent Owen Burke runzelte die Stirn. »Ein Pentagramm«, murmelte er, um nach kurzer Überlegung fortzufahren: »Man findet diese geometrische Figur als Symbol bei verschiedenen Religionsgemeinschaften, aber auch bei den Freimaurern, in der Magie und im Wappenwesen …«

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 688

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alfred Bekker, Pete Hackett, Arthur Gask

Super Action Krimi Viererband 1005

UUID: bf6d8495-d1d4-4234-b1fa-9c7ad9ebcd11
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write ( https://writeapp.io) erstellt.
UUID: 69a1f7a5-72d3-42cf-b636-07c8f49e5ab3
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Super Action Krimi Viererband 1005

Impressum

Der Pate ist tot – es lebe der Pate

Satan war ihr Gott

Kommissar Jörgensen sucht die Wahrheit

Gilbert Larose und das Haus auf der Insel: Kriminalroman

Super Action Krimi Viererband 1005

Dieser Band enthält:

Pete Hackett: Der Pate ist tot – es lebe der Pate

Pete Hackett: Satan war ihr Gott

Alfred Bekker: Kommissar Jörgensen sucht die Wahrheit

Arthur Gask: Gilbert Larose und das Haus auf der Insel: Kriminalroman

»Es ist der dritte Mordfall dieser Art«, gab der Assistant Director zu verstehen. Sein Gesicht war fast maskenhaft ernst. »Der Psychiater Dr. Daniel Shahan wurde am 12. September ermordet, Rechtsanwalt David Strouth am 21. Oktober, und gestern Abend starb Mel Rankin, seines Zeichens Richter beim Criminal Court. Es ist sicher, dass bei Shahan und Strouth ein und derselbe Täter am Werk war. Das hat die ballistische Analyse der Kugeln ergeben, die sie töteten. Weiterhin ist anzunehmen, dass es sich bei dem Mörder des Richters ebenfalls um denselben Täter handelt. Auch Rankin wurde mit einem Schuss ins Herz getötet, und auch auf seinem Leichnam lag ein aus Pappe gefertigter, zerrissener Drudenfuß.«

Impressum

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Facebook:

https://www.facebook.com/alfred.bekker.758/

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

Erfahre Neuigkeiten hier:

https://alfred-bekker-autor.business.site/

Zum Blog des Verlags!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

Der Pate ist tot – es lebe der Pate

Der Pate ist tot – es lebe der Pate

Die Special Agents Owen Burke und Ron Harris standen vor dem Leichnam Edoardo Ferreros. Eine Kugelgarbe aus einer Maschinenpistole hatte dem Leben des Zweiundsechzigjährigen ein jähes Ende gesetzt. Nun befand er sich in der Gerichtsmedizin. Bei den Agents befand sich Detective Lieutenant James Howard von der Mordkommission des NYPD. Burke und Harris waren erst vor zwei Minuten eingetroffen. Es war kurz nach 10 Uhr vormittags. Der Detective Lieutenant hatte die Agents begrüßt. Das Notwendigste hatte er ihnen schon am Telefon berichtet.

Der Angestellte der Pathologie, der sie in den Kühlraum geführt hatte, schlug über dem Gesicht des Toten das weiße Tuch zurück, das den Körper bedeckte. Ferreros Gesicht sah im Tode ausgesprochen gelöst und friedlich aus. Der Mafioso schien gar nicht zum Denken gekommen zu sein.

»Wann geschah der Mord?«, fragte Owen Burke, nachdem er seinen Blick von dem erstarrten Gesicht losgeeist und auf Howard gerichtet hatte.

»Gestern Abend, 20 Uhr 25. Ferrero saß über einer Pizza in einem seiner Lokale in der Mott Street, Ecke Grand Street. Zwei Männer in Lederkluft und mit Sturzhelmen, deren Visiere heruntergeklappt waren, betraten das Lokal, einer von ihnen hielt eine Maschinenpistole im Anschlag und begann sofort zu feuern. Edoardo Ferrero fiel vom Stuhl, die beiden Mörder verschwanden wie der Blitz, und das Personal der Pizzeria verständigte die Polizei.«

»Und warum versuchst du uns in die Sache hineinzuziehen, alter Freund«, knurrte Ron Harris.

»Es könnte sich um einen Bandenkrieg handeln, verstehst du, organisiertes Verbrechen. Das fällt doch in die Zuständigkeit des FBI.«

»Natürlich, schon gut«, murmelte Ron Harris, schaute seinen Partner Owen Burke an und verdrehte genervt die Augen. Dann richtete er den Blick wieder auf Howard und sagte: »Soviel ich weiß, hat Edoardo Ferrero einen Sohn. Wird er jetzt seine Stelle in Little Italy einnehmen?«

»Wahrscheinlich«, versetzte Howard nickend. »Der König ist tot – es lebe der König. Das ist so. Es sei denn, der potentielle Nachfolger würde der Familie nicht passen. Dann käme er wohl nicht an die Reihe. Aber Gianluca Ferrero ist eine starke Persönlichkeit. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass Edoardo Ferrero in ihm immer seinen Nachfolger sah.«

»Drogenhandel, Prostitution, Schutzgelderpressung, Mord! All diese Verbrechen gehen auf das Konto des Kerls, der hier so friedfertig und entspannt auf der Pritsche liegt. Und sein Sohn wird dort weitermachen, wo er gezwungen worden war, aufzuhören.« Ron Harris stieß scharf die Luft durch die Nase aus. »O verdammt! Ist es denn nicht möglich, dieser verdammten Italiener-Mafia Einhalt zu gebieten?«

»Findet Edoardos Mörder«, knurrte Howard. »Vielleicht gelingt es euch dann, die Familie zu zerschlagen. Ja, es ist ein Sumpf des Verbrechens, in den ihr hineinstochern werdet.«

»Du sprichst in Rätseln, Kollege«, gab Owen Burke zu verstehen. »Aber vielleicht habe ich dich auch richtig verstanden. Du meinst, dass der Mörder eventuell auch in den eigenen Reihen des Mafioso zu suchen ist?«

»Es könnte sein. Gianluca ist einunddreißig. Vielleicht war er der Meinung, dass es an der Zeit sei, seinen Vater als Paten abzulösen.« Der Detective Lieutenant zuckte mit den Achseln. »Aber das ist nur Spekulation, eine reine Vermutung, die durch nichts untermauert wird. Offiziell gehen wir davon aus, dass eine andere Organisation den Italienern den Krieg erklärt hat. – Okay, Freunde. Ich werde euch alles, was bisher an Erkenntnissen schriftlich fixiert wurde, zukommen lassen. Außerdem wünsche ich euch viel Erfolg. Ich muss jetzt ins Department zurück. Ihr entschuldigt mich …«

Howard gab jedem die Hand, dann war er auch schon fort.

»Er rennt, als befürchtet er, dass wir doch noch etwas finden, das dazu angetan wäre, den Fall an ihn zurückzuverweisen«, knurrte Ron Harris.

Ein angedeutetes Grinsen umspielte Owen Burkes Mund, dann wandte er sich an den Angestellten der Gerichtsmedizin. »An der Tatsache, dass Ferrero von einer Salve aus einer MP getötet wurde, gibt es wohl nichts zu rütteln. Dennoch brauchen wir den pathologischen Bericht. Bis wann können wir damit rechnen?«

»Wir haben mindestens zehn Leichen, die wir obduzieren müssen«, murmelte der Mann und schaute ausgesprochen unglücklich drein. »Es kann also dauern. Aber in diesem Fall ist es wohl tatsächlich nur Formsache.«

Die Agents verabschiedeten sich und verließen die Gerichtsmedizin. Auf der Straße sagte Owen Burke: »Fahren wir ins Büro und machen wir uns kundig, was über Ferrero und die Organisation, deren Chef er war, bekannt ist. Und dann sollten wir uns vielleicht mal mit Gianluca Ferrero unterhalten. Es ist nicht von der Hand zu weisen: Der Pate ist tot – es lebe der Pate. Gianluca Ferrero könnte es leid gewesen sein, irgendeine untergeordnete Geige in der Familie zu spielen. Außerdem will ich Cody Short einsetzen. Er soll sich ein wenig umhören, ob sich irgendjemand im Gebiet von Little Italy oder drum herum stark zu machen versucht, jemand der ins Geschäft mit Drogen und so weiter drängt.«

»Bleib mir bloß mit dieser kleinen Ratte vom Hals!«, erzürnte sich Ron Harris. »Der Kerl ist nur habgierig. Du weißt, ich kann ihn nicht ausstehen.«

»Er hat uns immer wieder wertvolle Hinweise geliefert«, gab Owen Burke zu verstehen. »Dass er Geld für seine Tipps verlangt – nun, Kollege, umsonst ist nicht mal der Tod, denn der kostet das Leben. Und Cody muss schließlich auch von etwas leben.«

»Er ist ein Gauner und bescheißt Leute. Einer wie er gehört hinter Gitter, und zwar bis er schwarz wird. Er ist ein Parasit, ein Furunkel im Angesicht der Erde.«

»Aber er hat sein Ohr am Pulsschlag des Verbrechens, Partner. Wenn in Manhattans Unterwelt was läuft, dann weiß das Cody. Er ist sehr wertvoll für uns – und darum werde ich ihn anrufen, sobald wir im Büro sind.«

»Im Zeitalter des Mobiltelefons kannst du das auch gleich erledigen«, stieß Ron Harris etwas gereizt hervor.

Sie waren beim Dodge Avenger, den sie als Dienstwagen benutzten, angelangt. Die Kontrolllichter blinkten auf, als Harris die Zentralverriegelung per Fernbedienung öffnete.

»Zunächst mal werde ich den Chef in Kenntnis setzen«, versetzte Owen Burke. »Und dann will ich den Bordcomputer bemühen und sehen, was an Material über Edoardo Ferrero, seinen Sohn und den Rest der Bande zusammengetragen worden ist.«

*

Gianluca Ferrero besaß eine Wohnung in der Baxter Street. Der Einunddreißigjährige war zu Hause. Er hatte sich dunkel gekleidet, und sein Gesichtsausdruck ließ erahnen, wie sehr ihn der brutale Mord an seinem Vater getroffen hatte.

Burke sagte sich, dass die Bitterleidensmiene auch aufgesetzt sein konnte. Sogleich aber mahnte er sich zu Objektivität und verdrängte die Voreingenommenheit an den Rand seines Bewusstseins.

Ohne zu fragen, weshalb das FBI in die Angelegenheit involviert war, bat Gianluca Ferrero die Agents in sein teuer eingerichtetes Wohnzimmer. Auf einem Board stand ein postkartengroßes, gerahmtes Bild von seinem Vater. Eine Kerze, die in rotes Plastik eingeschweißt war, brannte. In einem der schweren Ledersessel saß eine schöne Frau Mitte zwanzig. Ihr Gesicht war bleich, was durch die schwarzen Haare, die es einrahmten, noch unterstrichen wurde, die Augen waren vom Weinen gerötet.

»Das ist meine Frau Alessia«, sagte Ferrero und fügte sogleich hinzu: »Bitte, nehmen Sie Platz, G-men«. Und als sie saßen, ergriff er erneut das Wort: »Mir will das alles noch gar nicht in den Sinn. Gestern Abend habe ich noch mit meinem Vater telefoniert. Er war guter Dinge, vor allem aber war er kerngesund. Und jetzt ist er tot. Irgendwie übersteigt das alles mein Begriffsvermögen.«

Die junge Frau schniefte, ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen.

»Ihr Vater war – hm, Geschäftsmann«, begann Owen Burke. »Er besaß hier in Little Italy einige Pizzerien.«

»Sie sagen das so seltsam, Agent«, murmelte Gianluca Ferrero. »Mein Vater war in der Tat Geschäftsmann. Ja, ihm gehörten insgesamt vier Pizzerien in Little Italy.«

»Jetzt gehören sie Ihnen, Mr. Ferrero«, erklärte Harris. »Soweit es uns bekannt ist, sind Sie sein einziger Erbe. Seine Frau – Ihre Mutter -, ist vor zwei Jahren gestorben.«

»Meine Mutter hat sich das Leben genommen!«, presste Gianluca Ferrero hervor. »Sie war depressiv …«

»Sie ist tot«, sagte der Agent und beendete damit das Thema. »Also werden Sie das Erbe Ihres Vaters antreten. Und wahrscheinlich treten Sie in seine Fußstapfen.«

Gianluca Ferrero nickte. »Das ist wohl so. Bis jetzt war ich Geschäftsführer in der Pizzeria Milano. Diesen Job werde ich wohl an den Nagel hängen müssen. Denn die Leitung sämtlicher Geschäfte erfordert allen Einsatz und ist ein Full Time Job.«

»Das kann ich mir denken!«, stieß Ron Harris mit einem Unterton von Ironie hervor. »Hatte Ihr Vater Feinde? Gab es im Vorfeld des Mordes irgendwelche Drohungen?«

»Ich habe keine Ahnung. Sprechen Sie mal mit Giuseppe Chessa. Er ist der Buchhalter meines Vaters und dessen engster Vertrauter. Er kann Ihnen sicherlich mehr sagen als ich.«

»Okay, Mr. Ferrero, reden wir Tacheles«, mischte sich Owen Burke in das Gespräch ein. »In Manhattan pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die Pizzerien Ihres Vaters lediglich der Geldwäsche dienen. Reich wurde Ihr Vater durch den Handel mit Drogen, durch Zuhälterei und Schutzgelderpressung. Man nannte ihn den Paten von Little Italy. Nun werden Sie diese Stellung einnehmen. Ihr Vater war ein cleverer Mann und es ist der Polizei niemals gelungen, ihm auch nur die geringste Straftat nachzuweisen. Wenn …«

Gianluca Ferrero hatte sich mit einem Ruck erhoben. Vornübergebeugt, mit geballten Händen, stand er da, seine Augen schienen Blitze zu versprühen und es sah so aus, als würde er sich im nächsten Moment auf Burke stürzen. »Sie beleidigen meinen Vater, Agent!«, presste er wütend zwischen den Zähnen hervor. »Das dulde ich nicht! Mein Vater war ein ehrenwerter, rechtschaffener Mann, der sich etwas aufgebaut hat hier in Manhattan und der …«

»Sparen Sie sich das, Ferrero!«, schnitt Burke dem Italiener schroff das Wort ab. »Jeder von uns weiß Bescheid. Sie, ich, mein Kollege und sicherlich auch Ihre Frau. Also machen Sie uns nichts vor. Ihr Vater wurde ermordet. Wir vermuten, dass eine Rivalität dahintersteckt. Die eine Möglichkeit ist also die, dass ein Konkurrent Ihres Vaters diesen aus dem Weg geräumt hat …«

»Und was ist die andere Möglichkeit?«, zischte Ferrero wie eine Natter.

»Dass jemand aus den eigenen Reihen der Familie, der Ihr Vater vorstand, hinter dem Mord steckt.«

Ferrero ließ sich wieder in den Sessel fallen, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. »Es ist Ihre Aufgabe, den Mörder meines Vaters zu überführen, G-men. Ihre Aussage von eben will ich nicht kommentieren. Es handelt sich um eine haltlose Unterstellung und Sie ziehen damit den guten Namen Ferrero in den Schmutz. Ich werde mich dagegen zu wehren wissen, sollten Sie mit diesen ungeheuerlichen Verdächtigungen an die Öffentlichkeit gehen.«

»Unser Job ist es, den Mord an Ihrem Vater zu klären, Mr. Ferrero«, gab Owen Burke zu verstehen. »Womit Ihr Vater seinen Lebensunterhalt bestritt, wissen Sie, und das wissen wir. Sie sind gewissermaßen der Thronfolger. Jemand wollte Ihren Vater aus dem Weg haben. Wer auch immer – er will möglicherweise auch Sie aus selbigem räumen. Wenn Sie also einen Verdacht haben, wenn …«

»Verlassen Sie sofort meine Wohnung, G-men!«, fauchte der Italiener. »Ich werde mich über Sie in Washington beschweren. Ich lasse das Andenken an meinen Vater von Ihnen nicht beschmutzen.«

Burke drückte sich hoch.

Auch Ron Harris erhob sich. »Auch Sie stehen auf der Liste der Verdächtigen, Mr. Ferrero«, erklärte der Agent unverblümt. »Schon in der Antike wurden Herrscher gewaltsam beseitigt, weil es der Nachfolger nicht erwarten konnte, den Thron zu besteigen.«

»Raus!« Mit ausgestrecktem Arm wies der Italiener zur Tür.

Eine theatralische Geste, wie Owen Burke fand. »Ich denke, wir kommen wieder«, versicherte er und wandte sich Ron Harris zu. »Gehen wir.«

*

Sehr schnell hatten die Agents herausgefunden, wo sie das Gebäude suchen mussten, in dem die Verwaltung des Ferrero-Imperiums untergebracht war und in dem Giuseppe Chessa als Buchhalter fungierte.

»Ich nehme an, Chessa ist mehr der Schatzmeister der Familie als ein echter Buchhalter«, konstatierte Owen Burke. »Meistens handelt es sich bei diesen Burschen um die so genannte rechte Hand des Paten. Aber sehen wir uns den Knaben ruhig mal an. Wahrscheinlich hat ihn Gianluca Ferrero schon informiert, dass er mit unserem Besuch zu rechnen hat.«

Die Büroräume lagen in der ersten Etage eines der Gebäude, in dessen Erdgeschoss eine der Pizzerien Edoardo Ferreros untergebracht war. Durch einen Seiteneingang gelangten die Agents in die erste Etage. Von einem breiten Korridor zweigten einige Türen ab. An eine dieser Türen klopfte Ron Harris, und ohne die Aufforderung zum Eintreten abzuwarten, öffnete er. An zwei Schreibtischen saßen junge Frauen und bearbeiteten die Tastatur ihres Computers. Jetzt hielten sie inne und schauten den Agent, der den Kopf zur Tür hereinstreckte, fragend an.

»Wir suchen Mr. Giuseppe Chessa«, erklärte er.

»Die letzte Tür rechts«, sagte einer der Ladies freundlich.

»Danke.« Ron Harris zog die Tür zu. »Mir nach«, murmelte er und schritt tiefer in den Flur hinein. Am Ende des Korridors klopfte er gegen die Tür, die ihm die Sekretärin bezeichnet hatte.

»Herein!«

Die Agents betraten das Büro und standen einem etwa sechzigjährigen, grauhaarigen Mann gegenüber. Giuseppe Chessa war etwa eins achtzig groß und schlank, und er verströmte ein hohes Maß an Selbstbewusstsein und Autorität. Er saß hinter einem ausladenden Schreibtisch und maß die G-men mit prüfendem und zugleich forschendem Blick. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel. Seine dunklen, durchdringenden Augen verrieten nicht die Spur von Unruhe. »Was kann ich für Sie tun?«

»Wir kommen wegen der Mordsache Ferrero«, antwortete Owen Burke. »Mit dem Sohn des Ermordeten haben wir gesprochen. Er hat uns an Sie verwiesen. Und ich kann mir vorstellen, dass er Sie bezüglich unseres Besuches bei ihm in Kenntnis gesetzt hat.«

»Dann sind Sie die beiden Special Agents vom FBI New York. Wie waren doch gleich Ihre Namen?« Chessas Stirn legte sich in Falten. »Mein Namensgedächtnis ist katastrophal«, murmelte er.

»Burke und Harris. Ich bin Special Agent Harris.« Ron Harris hatte es jetzt übernommen, zu sprechen. »Sicherlich hat Sie Ihr künftiger Boss darüber informiert, wie unser Gespräch mit ihm verlaufen ist.«

»Hat er. Sie sollen ziemlich gravierende Vorwürfe gegen Gianlucas Vater vorgebracht haben.«

»Wir haben nur gesagt, was in Manhattan ein offenes Geheimnis ist«, grollte Harris' Organ. »Und wenn jemand der Familie – so nennt man doch in Ihren Kreisen die Organisation – den Krieg erklärt hat, könnte das auch den Mord an Edoardo Ferrero erklären.«

»Edoardo war Gastronom«, knurrte Chessa. »Er hat vier Pizzerien besessen und war ein reicher Mann. Warum sollte er sich mit Drogengeschäften, Prostitution und was Sie ihm sonst noch vorwerfen, herumschlagen?«

»Die Frage ist, welche Art von Geschäften ihm seinen Reichtum beschert haben«, versetzte Owen Burke. »Was war zuerst: Das Ei oder die Henne?«

»Edoardo hat vor dreißig Jahren hier in Manhattan als Pizzabäcker begonnen«, knurrte Chessa. »Er hat klein angefangen. Das Geschäft hat sich im Laufe der Jahre entwickelt und …«

»… diente wahrscheinlich nur noch der Geldwäsche«, schnitt Ron Harris dem Italiener das Wort ab. »Wann sind Sie eingestiegen, Mr. Chessa?«

»Edoardo und ich sind zusammen aufgewachsen. Wir waren ein Leben lang Freunde. Als es nötig wurde, seine Betriebe adäquat zu verwalten, habe ich mich Edoardo angeboten. Ich bin seitdem sein Buchhalter und – wenn man so sagen will -, auch Personalchef in seinem Unternehmen.«

»Den Laden wird jetzt Gianluca Ferrero übernehmen«, gab Owen Burke zu verstehen. »Wir schließen nicht aus, dass sein Leben ebenfalls gefährdet ist.«

»Er kann das Erbe ja auch ausschlagen«, sagte Chessa.

»Er würde Millionen verschenken«, wandte Burke ein.

»Nun, er kann das Erbe antreten und das Unternehmen verkaufen«, zeigte Chessa eine weitere Alternative auf.

»Wer würde es ihm abkaufen, nachdem Edoardo Ferrero brutal ermordet wurde und jeder potentielle Käufer vielleicht auch damit rechnen muss, von einer Garbe aus einer MP in ein Sieb verwandelt zu werden?«

Giuseppe Chessa lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Voraussetzung hierfür wäre, dass Ihr unsinniger Verdacht, Edoardo war ein Mafioso, zutreffend ist und er in der Tat einem Bandenkrieg zum Opfer fiel. Es ist allerdings so, dass der Verdacht an den Haaren herbeigezogen ist. Ich weiß nicht, weshalb Edoardo sterben musste. Aber ich weiß, dass er ein biederer, rechtschaffener und etablierter Geschäftsmann war, der weder mit Drogen und Prostitution noch mit sonst irgendwelchen dubiosen Geschäften auch nur das Geringste zu tun hatte.«

»Es gab also keine Drohungen? Ihnen ist auch nicht bekannt, dass Ferrero einen Feind gehabt hätte, der ihn unbedingt tot sehen wollte.«

»Mir ist nichts bekannt.«

»Werden Sie unter Gianluca Ferrero Ihren Job beibehalten?«

»Warum nicht? Ich führe ein gutes Leben mit dem Geld, das mir Edoardo für meine Arbeit bezahlte. Und wenn Gianluca bereit ist, mir dieses Gehalt auch weiterhin zu zahlen, dann bin ich sein Mann.«

*

Am folgenden Tag, es war kurz vor 9 Uhr vormittags, klingelte Owen Burkes Telefon. Er schnappte sich den Hörer, stellte die Verbindung her und meldete sich. »Hier ist Cody«, erklang es. »Ich habe mich gestern Abend und in der Nacht ein wenig umgehört, Owen.«

»Fein, Cody …« Owen Burke entging nicht, dass Ron Harris das Gesicht verzog. »Hast du irgendetwas herausgefunden?«

»Tja, nichts Konkretes, Owen. Vielleicht sollten wir uns irgendwo treffen. Ich schlage vor …«

»Nicht nötig, Cody«, unterbrach Owen Burke den V-Mann. »Du kriegst dein Geld. Oder habe ich dich schon einmal beschissen?« Das war die Sprache, die Cody Short verstand. »Also, nimm die Zähne auseinander und spuck aus, was du in Erfahrung gebracht hast.«

»Ich bin ziemlich abgebrannt«, jammerte der Bursche. »Mein Magen knurrt, ich würde gerne ein Bier trinken und eine Zigarette rauchen. Alles, was ich noch besitze, sind einige Dime.«

»Okay, okay, Cody, komm zum Federal Building. Wir treffen uns vor dem Bundesgebäude am Haupteingang. Bis wann kannst du hier sein?«

»Ich bin bereits da.«

Burke verdrehte die Augen. »In Ordnung, warte ein paar Minuten.«

Der Agent legte auf. »Ich gehe hinunter und spreche mit ihm. Willst du mitkommen?«

»Vergiss es.«

Owen Burke verließ das Büro, und wenig später war er mit dem Aufzug auf dem Weg nach unten. Cody Short stand mit verschränkten Armen neben dem Haupteingang. Der Vierunddreißigjährige verfügte über die Physiognomie einer Ratte. Sein Kinn war spitz, die Schneidezähne standen etwas hervor. Die Augen waren klein und in ständiger Bewegung. Der V-Mann war höchstens eins siebzig groß und schlaksig. Bekleidet war er mit einer blauen Jeans und einem grauen Anorak, auf seinem Kopf saß eine schwarze Wollmütze. Als er den Agent wahrnahm, verzog sich sein schmallippiger Mund zu einem freundlichen Grinsen. »Hi, Owen!«

»Hier bin ich, Cody. Mal sehen, wie viel die Informationen wert sind, die du für mich hast.«

»Bist du alleine?«

»Siehst du noch wen außer mir?«

»Ich dachte nur an diesen komischen Vogel Ron Harris.«

»Ron sitzt dreiundzwanzig Stockwerke über uns an seinem Schreibtisch. Okay, Cody, dann schieß mal los. Was munkelt man in der Unterwelt in Sachen Ferrero.«

»Man ist sich sicher, dass der alte Bursche auf das Konto seiner eigenen Leute geht«, murmelte Cody Short. »Ich habe mich mit verschiedenen Leuten unterhalten. Mit Dealern, Zuhältern und auch einigen Huren. Es gibt keinerlei Bestrebungen, den Ferreros ihren Platz in Little Italy streitig zu machen.«

»Und wen handelt man als Mörder?«

»Es gibt verschiedene Meinungen. Die einen tippen auf Gianluca, der die dreißig überschritten hat und im Schatten seines alten Herrn lebte. Die Leute, die ihn für den Initiator des Mordes halten, sind der Meinung, dass er aus dem Schatten seines Vaters heraustreten wollte. Aber das ging nur über die Leiche Edoardos.«

»Und was denken die anderen?«

»Sie vertreten die Auffassung, dass Giuseppe Chessa die Kontrolle über den Drogenhandel und die Prostitution in Little Italy an sich reißen will. Und falls Gianluca die Nachfolge seines Vaters antritt, wird er auch früher oder später ins Gras beißen.«

»Leute wie die Ferreros beschäftigen Killer«, knurrte Owen Burke. »Bei denjenigen, die Edoardo zu seinen Ahnen versammelt haben, dürfte es sich um Profis handeln. Solche Leute sind bekannt in der Unterwelt. Sind dahingehend Namen gefallen, Cody?«

Cody Short trat von einem Bein auf das andere und vermied es, Owen Burke anzusehen. Seine Lippen zuckten, es war deutlich, dass er etwas sagen wollte, aber wahrscheinlich fielen ihm die richtigen Worte nicht ein.

»Sag mir den oder die Namen, Cody«, sagte Burke. »Entsprechend wird das Honorar ausfallen.« Ein angedeutetes Lächeln umspielte Burkes Lippen.

»Ist es dir einen Fünfziger wert?«, stieß Cody hervor, und jetzt schaute er den G-man an.

Owen Burke holte seine Brieftasche aus der Jacke, entnahm ihr einige Scheine und hielt sie Cody hin. Der riss sie ihm regelrecht aus der Hand und stopfte sie in die Brusttasche des Anoraks. »Es gibt einen Kerl, der eine 1000er Suzuki fährt und der herumerzählt, dass er mit seiner MP eine Fliege von der Wand schießt. Es ist allerdings kein Italiener.«

»Den Namen, Cody!«, forderte Owen Burke mit zwingender Stimme.

»Er ist Amerikaner und heißt Jarrod Fitzroy.«

»Weißt du, wo er wohnt?«

»Nein. Aber er soll sich viel hier im Süden herumtreiben. Du wirst doch niemandem sagen, dass du den Namen von mir hast, Owen. Du weißt schon: Mit Polizeispitzeln macht man oft kurzen Prozess. Ich will nicht als Fischfutter im Hudson landen.«

»Keine Sorge, Cody. Jarrod Fitzroy sagtest du. Gut. Halte weiterhin die Augen und Ohren offen.«

»Mach ich doch glatt. Von irgendetwas muss ich ja schließlich leben.«

»Harris meint, du würdest für Geld die Seele deiner Großmutter dem Satan verkaufen.«

»Bestell ihm, dass ich den Namen Harris soeben zum Schimpfwort degradiert habe!«, maulte der V-Mann. Dann tippte er grüßend mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und marschierte in südliche Richtung davon.

Owen Burke fuhr wieder nach oben. Im Büro angelangt sah er Ron Harris' fragenden Blick auf sich gerichtet, und er sagte: »In einschlägigen Kreisen munkelt man, dass entweder Gianluca Ferrero oder Giuseppe Chessa den Paten der italienischen Mafia hier in Manhattan aus dem Weg geräumt haben. Cody nannte mir einen Namen: Jarrod Fitzroy. Motorradfahrer und Besitzer einer MP. Ich denke, es handelt sich um einen käuflichen Killer.

Ron Harris klickte des FBI National Crime Information Center und gab den Namen Jarrod Fitzroy in den Suchlauf. Dann knurrte er: »Da haben wir ihn ja. Verurteilt wegen unerlaubten Waffenbesitzes, Körperverletzung und Beamtenbeleidigung. Insgesamt hat er vier Jahre in Rikers Island und Attica zugebracht. Fitzroy ist vierunddreißig Jahre alt, die letzte bekannte Anschrift lautet 407 East 129th Street.«

»Wenn Gianluca Ferrero oder Giuseppe Chessa den Mord initiiert haben«, murmelte Owen Burke, »dann ist es wohl so, dass sie als Mörder keinen ihrer eigenen Killer gedungen haben. Er hätte immer ein Risiko für sie dargestellt.«

»Ja, das sehe ich auch so. Also nehmen wir uns den guten Mann mal zur Brust. Vielleicht haben wir Glück …«

Ron Harris stemmte sich am Tisch in die Höhe.

»Noch etwas, Kollege«, meinte Owen Burke grinsend. »Für Cody Short ist der Name Harris nur noch ein Schimpfwort. Ich denke, du hast ein Recht darauf, es zu wissen.«

»Cody und ich werden wohl niemals Freunde werden. Und die Antipathie beruht auf Gegenseitigkeit.«

*

Die Wohnung lag ziemlich weit oben im Norden Manhattans, dort, wo die Wohngegend schon mehr an die oftmals ghettohafte Bronx erinnerte. Das Apartment Jarrod Fitzroys sollte in der fünften Etage eines Mietshauses liegen, einer Mietskaserne, die mindestens dreißig Familien Unterkunft bot. Fünf Stufen führten zur Haustür hinauf. Daneben führten acht Stufen hinunter zu einer Kellerwohnung. Die Treppengeländer waren rostig und hätten längst eines neuen Anstrichs bedurft. In der Ecke von Treppenaufgang und Hauswand standen zwei riesige Müllcontainer. Drum herum war Unrat auf dem Boden verstreut. Ein verrostetes Fahrrad mit plattem Hinterreifen lehnte an der Wand.

Die Agents betraten das Haus. Links an der Wand waren einige Dutzend Briefkästen befestigt, die zum Teil vor Prospekten und Postwurfsendungen aber auch Briefen überquollen. Manche waren wohl irgendwann einmal aufgesprengt worden und ließen sich nicht mehr schließen. Die Wände waren mit irgendwelchen sexistischen und politischen Parolen bekritzelt. Es roch muffig, um nicht zu sagen modrig.

»Hier soll einer wohnen, der das Töten zu seinem Geschäft gemacht hat und sicher nicht schlecht verdient«, knurrte Ron Harris ohne die Spur von Humor im Tonfall. »Kaum zu glauben.«

»Wir werden es sehen«, antwortete Owen Burke. »Es kann auch Tarnung sein.«

Die Treppe war aus Holz. Manchmal knarrten die Stufen unter dem Gewicht der Agents. Je höher sie kamen, umso mehr veränderte sich der Geruch im Treppenhaus. Und der Geruch bratenden Fleisches begann den von Moder und Schimmelpilz zu überlagern.

Irgendwo weiter oben war die keifende Stimme einer Frau zu vernehmen. Das Weinen eines Kindes mischte sich hinein. Dann erklang die blaffende Stimme eines Mannes, eine Tür wurde zugeschlagen, Schritte trampelten die Treppe herunter. Und dann bog ein Mann um den Treppenabsatz über den Agents und geriet ins Blickfeld der beiden. Er hielt an, kniff die Augen etwas zusammen, machte sich ein Bild und trat schließlich zur Seite, um den Männern, die er nicht kannte, Platz zu machen. Aber auch Burke und Harris blieben stehen. »Guten Tag«, grüßte Owen Burke. »Wir suchen in dem Gebäude einen Mann namens Jarrod Fitzroy. Wohnt er noch hier?«

Die Brauen des Mannes schoben sich zusammen wie dunkle Raupen, über seiner Nasenwurzel erschienen zwei senkrechte Falten. »Sie sprechen von MP-Jarrod. Der wohnte bis vor zwei Monaten hier. Er ist Knall auf Fall ausgezogen.«

»Wieso MP-Jarrod?«, hakte Ron Harris nach.

»Das war sein Spitzname. Woher er genau kam, weiß ich nicht. Irgendjemand hat mal erzählt, dass Fitzroy eine MP besitzen soll. Und manches Mal war er mit einem Aktenkoffer zu sehen. Einer, der im Keller unten wohnt, fragte ihn mal, was er in dem Koffer herumtrage. Meine Maschinenpistole, soll Fitzroy geantwortet haben. Ich nehme an, es sollte ironisch klingen, eben wegen des Namens, den man Fitzroy gegeben hatte.«

»Er fährt ein Motorrad, nicht wahr?«

»Das ist richtig. Eine 1000er Suzuki.«

»Haben Sie eine Ahnung, wohin Fitzroy gezogen ist?«, fragte Owen Burke.

Der Mann schüttelte den Kopf. »Habe ich nicht. Aber fragen Sie doch mal Craig Snyder. Er hat ein Apartment in der ersten Etage. Wenn Sie die Treppe nach unten steigen, müssen Sie in den linken Flur gehen. Die zweite oder dritte Tür auf der rechten Seite …«

»Hatte Snyder näheren Kontakt zu Fitzroy?«

»Sie waren Freunde. Das war jedenfalls mein Eindruck. Auch Snyder ist ein Motorradfan. Sprechen Sie mal mit ihm. Wenn Ihnen einer sagen kann, wo Fitzroy jetzt wohnt, dann ist es Snyder.«

»Vielen Dank!« Burke nickte seinem Kollegen zu, dann stiegen sie die Treppe wieder hinunter. Der Mann, der ihnen bereitwillig Auskunft erteilt hatte, folgte ihnen.

Es war Apartment 103. Ein Türschild verriet, dass es sich um Craig Snyders Wohnung handelte. Ron Harris läutete. Eine Gegensprechanlage gab es nicht. Nach kurzer Zeit wurde die Tür geöffnet. Ein Mann mit Drei-Tage-Bart, der mit einer blauen, verwaschenen Jeans und einem dunkelroten T-Shirt bekleidet war und dessen Alter bei Mitte dreißig liegen mochte, präsentierten sich den Agents. Er schaute von einem zum anderen und schnappte: »Wenn ihr mir irgendetwas verkaufen wollt, dann muss ich euch enttäuschen. Ich …«

»Sehen wir aus wie Hausierer?«, unterbrach ihn Owen Burke, holte das Etui mit der ID-Card und der Dienstmarke heraus, öffnete es und hielt es in die Höhe. »FBI New York. Ich bin Special Agent Burke.«

Snyder verschluckte sich fast. Er hüstelte, schluckte würgend, dann entrang es sich ihm: »FBI? Was wollt ihr von mir? Hat man wieder irgendwo eine alte Frau überfallen und ihr die Handtasche geraubt? Ich mache so etwas nicht mehr. Verdammt, wann begreift ihr das endlich?«

»Aber Sie haben es mal gemacht, wie?«, kam es wie aus der Pistole geschossen von Burke.

Snyders Gesicht verschloss sich. Aber seine Augen verrieten Unruhe. Den Agents entging es nicht. Snyder vermittelte den Eindruck eines Mannes, der sich nicht wohl fühlte in seiner Haut. »Das ist Geschichte!«, stieß er hervor.

»Ich kann Sie beruhigen«, erklärte Owen Burke. »Wir haben in diesem Block Jarrod Fitzroy gesucht, mussten aber erfahren, dass er weggezogen ist. Man sagte uns, dass Sie möglicherweise seine neue Anschrift kennen.«

»Er … Tut mir leid. Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wo Jarrod jetzt wohnt. Seit er vor zwei Monaten hier ausgezogen ist, hatte ich keinen Kontakt mehr mit ihm.«

»Sie waren befreundet, nicht wahr?«

»Nun ja …«

»Wir wissen es, Mr. Snyder. Man nannte Fitzroy auch MP-Jarrod. Besitzt er tatsächlich eine Maschinenpistole?«

»Unsinn. Er hat irgendwann einmal irgendeinem seiner Nachbarn diesen Bären mit der MP aufgebunden. Und einem anderen hat er mal weisgemacht, dass er die MP in einem Aktenkoffer spazieren trägt. Natürlich hat er keine MP. Wir sind Motorradfans. Auf dieser Basis hat sich zwischen Jarrod und mir so etwas wie eine Kameradschaft entwickelt. Das ist alles.«

»Dann wollen wir Sie nicht länger stören«, murmelte Owen Burke. »Darf ich Ihnen eine von meinen Visitenkarten hier lassen? Falls Sie von Fitzroy etwas hören, bitte ich Sie, mich zu informieren.«

Er holte eines der kleinen Kärtchen aus der Brieftasche und reichte es Snyder.

»Weshalb sucht Ihr Jarrod?«, fragte Snyder, nachdem er die Visitenkarte in die Gesäßtasche seiner Jeans geschoben hatte. Lauernd fixierte er Owen Burke.

»Nur einige Routinefragen«, antwortete der G-man ausweichend. »Auf Wiedersehen, Mr. Snyder.«

*

Als sie auf die Straße traten, grollte Burke: »Er hat uns angelogen. Snyder weiß genau, wohin Fitzroy gezogen ist. Und jetzt, denke ich, hängt er schon am Telefon um Fitzroy zu berichten, dass sich zwei FBI-Leute nach ihm erkundigt haben.«

»Was schlägst du vor?«, wollte Ron Harris wissen.

»Vielleicht führt uns Snyder zu Fitzroy«, erwiderte Burke.

»Also observieren wir den Knaben«, schlug Harris vor.

Sie erreichten den Dodge und stiegen ein, Ron Harris startete den Motor. »Ich fahre einmal um den Block«, erklärte er. »Snyder könnte uns beobachten, und wir wollen doch den Anschein erwecken, wegzufahren.«

Zehn Minuten später fuhren sie wieder in die 129th Street. Etwa hundert Yards von dem Mietshaus entfernt rangierte Harris den Dodge in eine Parklücke. Jeder der Agents wusste, dass sie auf gut Glück warteten und dass die Zeit, die sie opferten, vergeudet sein konnte. Aber jeder von ihnen war überzeugt, dass Snyder sie belogen hatte. Seine Reaktion, nachdem ihn Burke fragte, ob er die neue Anschrift Fitzroys wisse, ließ diesen Schluss zu – sie machte ihn geradezu zwingend.

Es dauerte noch einmal zehn Minuten, dann fuhr eine schwere Maschine aus der Hofeinfahrt des Mietshauses, die als Tunnel unter einer Wohnung, die in der ersten Etage lag, konstruiert worden war. Der Biker war mit einer schwarzen Lederkombi bekleidet und trug einen Sturzhelm von weißer Farbe und mit lilafarbenen sowie grauen Mustern, dessen dunkles Visier heruntergelassen war. Das Motorrad fuhr in Richtung Second Avenue.

Die Agents folgten. Auf der Second Avenue wandte sich der Biker nach Süden. Sie kamen nur langsam voran. Immer wieder standen die Ampeln auf Rot. Der Biker verließ die Second Avenue erst, als sie bei der Houston Street endete. Und dann bog er in die Suffolk Street ab, kreuzte die Delancey Street, die direkt zur Williamsburg Bridge führte, und hielt vor einem hohen, grauen Gebäude an, an dessen Front Rettungsstege und -leitern zu kleben schienen. Sie befanden sich mitten in der Lower East Side. Der Mann stellte die Maschine in einer Parklücke ab und nahm dann den Helm ab.

Es war Craig Snyder. Er achtete nicht auf den Dodge Avenger, der ein Stück entfernt ebenfalls in eine Parklücke manövriert wurde. Snyder betrat das Gebäude. Die Haustür fiel hinter ihm zu.

»Hast du den Helm gesehen?«, fragte Owen Burke seinen Kollegen.

»Was ist mit ihm?«

»Einer der Ober des Restaurants, in dem Edoardo Ferrero erschossen wurde, hat ausgesagt, dass einer der Mörder einen weißen Helm mit grauen und lilafarbenen Mustern trug. Außerdem wies er über dem Visier die Buchstaben A und D auf. Wahrscheinlich ein Hinweis auf den Hersteller.«

»Richtig.« Sogleich aber schränkte Ron Harris ein: »Diese Helme existieren wahrscheinlich zu hunderten in New York. Daraus wird sich Snyder kaum ein Strick drehen lassen.«

»Natürlich nicht. Aber irgendwie fügt sich ein Mosaiksteinchen zum anderen, findest du nicht? Der Kerl mit dem grau und lila herausgeputzten Helm soll einen schwarzen Lederanzug getragen haben. Die Kombi, die Snyder anhat, ist auch schwarz.«

Die Agents stiegen aus und gingen zur Tür des Gebäudes, in dem Snyder verschwunden war. »Bleib du hier, Ron«, sagte Owen Burke. »Du musst den Fluchtweg über die Feuerleiter sichern. Ich gehe hinein und erkundige mich, ob hier Fitzroy wohnt. Wenn ja, werde ich sicherlich an seiner Wohnungstür läuten.«

»Halt die Ohren steif, Kollege«, knurrte Ron Harris.

Owen Burke betrat das Haus. Eine Treppe führte in die oberen Etagen. Einen Aufzug gab es nicht. Burke läutete gleich an der ersten Wohnungstür. Ein alter Mann mit einem weißen Bart und Haaren von derselben Farbe öffnete. »Guten Tag«, grüßte Burke. »Ich suche einen Mann namens Jarrod Fitzroy. Möglicherweise ist er vor zwei Monaten hier eingezogen. Können Sie mir gegebenenfalls weiterhelfen?«

Der alte Mann nickte. »Ja, Fitzroy. Ein Rocker oder so etwas in der Art. Lange Haare, Lederklamotten, und im Hinterhof steht eine Maschine. Der wohnt in der zweiten Etage.«

»Danke.« Burke ging zur Treppe.

»Sind Sie ein Bulle?«, rief ihm der Oldtimer hinterher.

»FBI-Bulle!«, versetzte Owen Burke trocken. »Man sagt auch Feds zu uns.«

Schnell stieg er die Treppe empor. An einer Wohnungstür in der zweiten Etage fand er tatsächlich ein Türschild, in das der Name J. Fitzroy graviert war. Burke verspürte Genugtuung. Er vertraute, als er vermutete, dass Snyder sie vielleicht zu Fitzroy führte, seinem Instinkt, und der hatte ihn nicht im Stich gelassen. Burke läutete. Nur fünf Sekunden später wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet und eine grollende Stimme erklang: »Wer sind Sie?«

»Special Agent Burke, FBI. Sind Sie …«

Die Tür wurde ins Schloss gedrückt. Sofort glitt Owen Burke zur Seite und befand sich im Schutz der Wand. Fordernd schlug er mit den Handknöcheln gegen das Türblatt. »Öffnen Sie, Mr. Fitzroy. Sie müssen uns einige Fragen beantworten.«

Seine Worte verhallten ungehört.

Burke zog die SIG. Ihm war klar, dass Fitzroy Dreck am Stecken hatte. So reagierte nur jemand, der mit Problemen von Seiten der Polizei rechnete, jemand, der nichts mehr zu verlieren hatte.

Noch einmal versuchte es der Agent. Er schlug mit dem Knauf der SIG gegen die Tür. »Machen Sie auf, Fitzroy. Sie haben keine Chance. Auf der Straße befindet sich mein Gefährte. Ich gebe Ihnen dreißig Sekunden Zeit, zu öffnen. Dann fordere ich Verstärkung an. Ein Trupp von Spezialisten wird Sie und Ihren Freund Snyder aus der Wohnung holen.«

In dem Apartment rührte sich nichts.

Die Situation erforderte von Burke einen raschen Entschluss. Und er handelte. Er trat vor die Tür hin und warf sich mit seinem gesamten Körpergewicht dagegen. Sie hielt nicht stand. Krachend flog sie auf, Burke war mit einem schnellen Schritt wieder im Schutz der Wand. Er hatte die SIG in Gesichtshöhe erhoben, die Mündung wies zur Decke hinauf.

»Kommen Sie beide waffenlos und mit erhobenen Händen ins Treppenhaus!«, gebot Owen Burke mit lauter, messerscharfer Stimme.

Zehn – zwanzig Sekunden verstrichen. Plötzlich vernahm Burke das Rattern einer MP. Es durchfuhr ihn wie ein Stromstoß. Die Schüsse waren nicht in der Wohnung gefallen. Fitzroy und Snyder befanden sich auf der Feuerleiter. Und wahrscheinlich hatte Fitzroy mit der Maschinenpistole Ron Harris unter Feuer genommen.

Owen Burke überlegte nicht mehr lange. Er wirbelte um den Türstock, duckte sich und hielt die Pistole in Anschlag. Mit seiner linken Hand stabilisierte er das rechte Handgelenk. Die Pistolenhand beschrieb einen Halbkreis, der Blick des G-man folgte ihr. Er registrierte, dass in diesem Raum keine Gefahr drohte, glitt zu einer Tür, öffnete sie und lugte um den Türstock. Es war ein Schlafzimmer. Das Fenster war in die Höhe geschoben. Burke schob vorsichtig den Kopf um den Türrahmen und sicherte in den Raum, stellte fest, dass er ihn gefahrlos betreten konnte und lief zum Fenster. Auch als er sich hinausbeugte, ließ er die gebotene Vorsicht nicht außer Acht. Einen Yard unter dem Fenster verlief ein Rettungssteg aus verzinkten Gitterrosten. Er endete bei einer Leiter, die schräg nach unten führte und über die man den unterhalb gelegenen Rettungssteg erreichte. Zwischen der zweiten Etage, in der die Wohnung lag, und der Straße war niemand. Burke konnte auch seinen Kollegen nicht ausmachen. Er schaute nach oben. Das Gebäude verfügte über acht Stockwerke. Aber auch über sich konnte Burke niemand sehen.

Kurzerhand stieg er durch das Fenster nach draußen. Und jetzt rief jemand seinen Namen. Er beugte sich über das Geländer und schaute nach unten. Auf der anderen Straßenseite stand Ron Harris in einer Haustür und deutete nach oben, gleichzeitig rief er: »Sie haben in der fünften Etage ein Fenster eingeschlagen und sind in die Wohnung eingedrungen. Fitzroy ist mit einer MP bewaffnet. Möglicherweise hat sich in der Wohnung jemand aufgehalten. Wenn es so ist, dann verfügen die Kerle über eine oder auch mehrere Geiseln.«

Burke zerkaute eine Verwünschung. Dann rief er: »Halt du unten die Stellung. Ich gehe ins Treppenhaus zurück.«

»Wir sollten Verstärkung anfordern«, schlug Harris vor.

»Erst, wenn sich herausstellen sollte, dass sie Geiseln genommen haben. Aber ich denke, dass sie nicht warten werden, bis ein SWAT-Team eintrifft. Wir bleiben per Handy in Verbindung.«

Zum Zeichen dafür, dass er verstanden hatte, hob Ron Harris die linke Hand.

*

Owen Burke kletterte durch das Fenster wieder in die Wohnung und befand sich gleich darauf im Treppenhaus. Oben auf der Treppe erklangen Geräusche. Owen Burke verspürte Anspannung. Er aktivierte jeden seiner Sinne. Die Zähne fest zusammengebissen stand er am Beginn der Treppe.

Es waren scharrende Schritte, die er vernahm, manchmal mischte sich ein unterdrücktes Stöhnen oder Ächzen hinein, dann war eine murmelnde Stimme zu vernehmen. Was sie sagte, konnte der G-man nicht verstehen.

Er ahnte, was sich anbahnte. Dumpf pochte das Herz in seiner Brust. Seine Hand hatte sich um den Griff der Pistole verkrampft. Und dann erschien auf dem oberen Treppenabsatz eine Frau um die fünfzig. Angst, Entsetzen und sicher auch Verzweiflung verzerrten ihr Gesicht. Über ihrer rechten Schulter sah Burke das Gesicht eines Mannes – das Gesicht Craig Snyders. Der Bursche hatte von hinten seinen linken Arm um den Hals der Frau gelegt. In der rechten Hand hielt er eine Beretta, deren Mündung er unter das Kinn der Geisel drückte. Snyder hielt an und zwang die Frau, ebenfalls stehenzubleiben.

Hinter Snyder verhielt ein weiter Mann. Burke erkannte ihn auf Anhieb. Es handelte sich um Jarrod Fitzroy. Er hatte sich dem Polizeifoto gegenüber, das sich bei seiner Akte befand, nicht verändert. Er war langhaarig, ungefähr eins achtzig groß und breitschultrig. Ganz besonders ins Auge aber stach dem G-man die MP, die Fitzroy mit beiden Händen schräg vor seiner Brust hielt. Der Zeigefinger seiner Rechten krümmte sich um den Abzug.

»Verschwinde, elender Schnüffler!«, blaffte Snyder. »Oder muss ich der Lady das Hirn aus dem Schädel blasen?«

»Ihr beide wart es, die Edoardo Ferrero umgenietet haben, nicht wahr?« Burke hatte die Hand mit der SIG sinken lassen. Der Arm hing schlaff nach unten, die Mündung der Waffe deutete auf den Fußboden.

»Aus dem Weg, Bulle!«, zischte Jarrod Fitzroy und nahm die MP in Anschlag, drängte an Craig Snyder vorbei und richtete die Waffe auf Burke. »Ich kann dich damit in Stücke schießen!«, drohte er.

»Daher der Name MP-Jarrod«, sagte Burke unbeeindruckt. »Haben Sie die Waffe wirklich in einem Aktenkoffer spazieren getragen?«

»Mach den Weg frei, Dummkopf!«, fauchte Fitzroy. »Oder muss ich dich aus dem Weg schießen?«

»Denken Sie allen Ernstes, dass Sie weit kommen?«

»Du wirst es nie erfahren, Bulle. Und wenn ich dir eine Ladung verpasst habe, wird es mir nichts ausmachen, der Lady ebenfalls eine Garbe ins Fell zu pumpen. Ich zähle jetzt bis drei. Und wenn du dann nicht in meiner Wohnung und aus meinem Blickfeld verschwunden bist, knallt es. – Eins!«

»Bitte«, wimmerte die Frau, »fordern Sie es nicht heraus. Bitte …«

Rückwärts gehend bewegte sich Owen Burke auf die offen stehende Tür zu. Fitzroy bedrohte ihn mit der Waffe. Das Gesicht des Gangsters war wie aus Erz gegossen. Seine Augen blickten so kalt wie die Augen eines Reptils. »Stopp!«, zischte er plötzlich.

Burke blieb stehen.

»Leg die Pistole auf den Boden und stoße sie mit dem Fuß zur Treppe.«

Der Agent zögerte nicht. Er durfte das Leben der Geisel auf keinen Fall gefährden. Mit einem kratzenden Geräusch schlitterte die SIG über den gefliesten Boden, prallte gegen die unterste Treppe und blieb liegen.

»Sehr gut, Bulle. Du kannst jetzt weitergehen. Und lass deine Nasenspitze lieber nicht mehr sehen. Es könnte sein, dass ich sie dir wegschieße.«

Burke bewegte sich rückwärtsgehend in die Wohnung hinein. Als er gegen die Rückenlehne eines Sessels stieß, blieb er stehen. Den Geräuschen aus dem Treppenhaus nach zu urteilen bewegten sich die beiden Gangster mit ihrer Geisel schon die Treppe hinunter zum Absatz zwischen erster und zweiter Etage. Burke holte sein Handy aus der Jackentasche, klickte die Nummer seines Partners her und ging auf Verbindung. Ron Harris meldete sich. Burke sagte: »Sie sind zwischen erstem und zweitem Stockwerk. Snyder bedroht eine Geisel, Fitzroy ist mit seiner MP bewaffnet. Ich bin in Fitzroys Wohnung. Wir dürfen auf keinen Fall das Leben der Geisel gefährden, Ron.«

»Es ist wohl keine Frage mehr, wer Edoardo Ferrero über den Jordan schickte. Und die beiden Schufte habe keine Zeit verloren, als sie merkten, dass Ihre Felle davonzuschwimmen drohten.«

»Es ist ein Erfolg«, bemerkte Owen Burke, »zugleich ist es aber auch eine Niederlage für uns. Sie haben mich entwaffnet. Und auch dir sind die Hände gebunden. Jedenfalls war der Tipp, den wir von Cody erhalten haben, ein höllisch heißer. – Okay, Ron, sie dürften jetzt fast unten sein. Ich verlasse die Wohnung. Wir bleiben in Verbindung.«

Burke behielt das Handy in der linken Hand, lief zur Tür, registrierte mit einem Blick, dass seine Pistole nicht mehr am Fuß der Stiege zur dritten Etage lag und lief zur Treppe, die nach unten führte. Im Treppenhaus war es jetzt still. Burke hob das Mobiltelefon vor sein Gesicht. »Ron, melde dich!«

»Was ist?«

»Sie müssten das Haus verlassen haben.«

»Wenn es so ist, dann haben sie den Hinterausgang benutzt. Vorne sind sie jedenfalls nicht herausgekommen.«

Burke rannte nach unten. Immer drei Stufen mit einem Satz nehmend erreichte er das Erdgeschoss, wandte sich der Hintertür zu und öffnete sie. Im Hof röhrte ein schwerer Motor. Burke schob den Kopf ins Freie. Am Boden lag die Frau. Soeben fuhr die Maschine an. Es war eine Suzuki. Craig Snyder lenkte sie, Jarrod Fitzroy saß auf dem Mitfahrersitz. Er schaute in Burkes Richtung, riss die MP hoch und krümmte den Zeigefinger.

Owen Burke war zurückgezuckt und befand sich im toten Winkel zu dem Gangster. Kleine Flammenzungen tanzten vor der Mündung der Maschinenpistole, die wie rasend hämmerte. Eine Kugelgarbe pfiff in Burkes Richtung, die Geschosse meißelten den Putz von der Außenwand und Querschläger quarrten durchdringend, aber Burke befand sich im Schutz des Gebäudes und keines der Projektile konnte ihm etwas anhaben.

Plötzlich schwieg die MP. Im nächsten Moment war die Maschine mit den beiden Gangstern um die Ecke des Gebäudes verschwunden. Von der Straße war noch einmal das Aufheulen des Motors zu hören, dann entfernte sich das satte Dröhnen.

Burke lief zu der Frau hin. Aus einer Platzwunde an ihrer Schläfe sickerte Blut. Burke nahm das Handy und hob es ans Ohr. »Ron!«

»Sie sind fort«, erklang es. »Ich hörte Schüsse. Ist bei dir alles in Ordnung?«

»Die Frau ist besinnungslos. Ich bin okay. Ruf du in der Dienststelle an. Die Fahndung nach den beiden muss sofort anlaufen. Ich verständige den Rettungsdienst. Es sieht so aus, als hätte Snyder die Geisel mit der Pistole niedergeschlagen.«

*

Nachdem eine Streife der City Police eingetroffen war, instruierte Owen Burke die beiden Cops und bat sie, das weitere Geschehen hier in der Suffolk Street zu überwachen. Burke und Harris fuhren zur Wohnung Gianluca Ferreros in Little Italy. Während der Fahrt sagte Ron Harris: »Ich frage mich, weshalb Jarrod Fitzroy dermaßen ausgeflippt ist? Wir haben seinem Kumpel Craig Snyder gegenüber doch mit keinem Wort erwähnt, dass wir ihn im Zusammenhang mit dem Mord an dem italienischen Mafioso sprechen möchten.«

»Er hat die Nerven verloren, nachdem Snyder ihm berichtet hatte, dass sich zwei Agents vom FBI für ihn interessieren und als ich plötzlich vor seiner Tür stand. Er selbst wusste ja am Besten, dass er Ferrero ermordet hat. Und er unterstellte wohl, dass wir es in diesem Zusammenhang auf ihn abgesehen hatten und sagte sich, dass er nichts mehr zu verlieren habe.«

»Das könnte die Erklärung sein«, gab sich Harris zufrieden. »Sein Missverständnis hat ihn gewissermaßen verraten.«

»Ja, wir kennen den Mordschützen und seinen Komplizen. Und über die beiden werden wir auch den Auftraggeber entlarven. Ich bin voller Zuversicht.«

Von der Suffolk Street bis zur Wohnung Ferreros war es nur ein Katzensprung. Die Agents trafen Gianluca Ferrero in seiner Wohnung an. Von der Aggressivität, die er beim letzten Besuch der Agents an den Tag legte, war nichts mehr zu bemerken. Ohne zu zögern bat er sie ins Wohnzimmer, forderte sie auf, Platz zu nehmen und sagte: »Gibt es etwas Neues? Ist es Ihnen gelungen, die Spur zum Mörder meines Vaters aufzunehmen?«

»Wir wissen zumindest, wer die tödlichen Schüsse abgegeben hat«, antwortete Owen Burke und ließ dabei den Erben des Paten von Little Italy nicht aus den Augen.

Ferreros Blick wurde stechend. »Wer ist der Kerl?«, stieg es grollend aus seiner Kehle.

»Sein Name ist Jarrod Fitzroy. Man nennt ihn MP-Jarrod. Geholfen hat ihm bei dem Mord ein Mann namens Craig Snyder.«

»Jarrod Fitzroy und Craig Snyder«, wiederholte Ferrero die Namen. In seinem Gesicht arbeitete es, seine Kiefer mahlten. »Haben Sie die beiden festgenommen? Haben sie den Mord gestanden? Wissen Sie, weshalb mein Vater sterben musste?«

»Die beiden sind auf der Flucht. Weshalb sie ihren Vater töteten kann ich Ihnen sagen. Sie brachten ihn um, weil sie dafür bezahlt wurden. Fitzroy ist ein Auftragskiller. Snyder dürfte als sein Chauffeur arbeiten.«

Ferrero erhob sich mit einem Ruck und nahm eine unruhige Wanderung im Wohnzimmer auf. Dabei knetete er seine Hände. »Wieso sind Ihnen die Kerle entkommen?«, stieß er hervor, ohne seine Wanderung zu unterbrechen.

»Sie nahmen eine Geisel. Aber keine Sorge, Mr. Ferrero. Die beiden entgehen uns nicht. Die Fahndung nach ihnen läuft auf vollen Touren. Die Ausfallstraßen, Brücken und Tunnels werden kontrolliert. New York One bringt alle Stunde einen Fahndungsaufruf mit den Bildern von Fitzroy und Snyder. Sie haben keine Chance. Und wenn wir sie haben, dann werden wir auch erfahren, wer sie für den Mord bezahlte.«

»Ich muss Chessa Bescheid sagen!«, erklärte Gianluca Ferrero. »Himmel, wer hatte ein Interesse am Tod meines Vaters?«

»Jemandem muss er im Weg gestanden haben«, erklärte Ron Harris.

Ferreros Miene verdüsterte sich. »Fangen Sie nicht schon wieder an!«, knurrte er.

»Sie können sich der Wahrheit nicht verschließen, Mr. Ferrero«, verlautbarte Owen Burke. »Selbst auf die Gefahr hin, dass Sie uns wieder aus Ihrer Wohnung weisen – der Erfolg Ihres Vaters beruht nicht darauf, dass er einige Pizzerien betrieb, er beruhte auf einer Reihe von Verbrechen. Und schon bei unserem ersten Besuch bei Ihnen ließen wir keinen Zweifel darüber offen, dass Ihr Vater entweder von einem Konkurrenten im Drogengeschäft und im Geschäft mit Prostitution und Schutzgelderpressung ermordet wurde, oder dass er jemand aus den eigenen Reihe im Weg stand und deswegen sterben musste.«

Ferrero stieß scharf die Luft durch die Nase aus. Er hatte angehalten und sich Burke zugewandt. »Ich bin sein Erbe!«, sagte Gianluca Ferrero lauernd. »Und Sie verdächtigen mich …«

»Auch dahingehend ließen wir nicht den geringsten Zweifel offen«, gab Burke zu verstehen.

Einen Moment sah es so aus, als wollte Ferrero böse reagieren, aber dann sanken seine Schultern nach unten, er wandte sich ab und ging zum Telefon. Wenig später hatte er Giuseppe Chessa an der Strippe und sagte: »Bei mir sind die Agents Burke und Harris. Sie wissen, wer die tödlichen Schüsse auf meinen Vater abgegeben hat. Es sind zwei Männer namens Jarrod Fitzroy und Craig Snyder. Sie befinden sich auf der Flucht. Die Fahndung nach ihnen ist angelaufen.«

Jetzt schien Chessa zu sprechen, denn Ferrero blieb eine ganze Weile stumm. Schließlich ergriff er noch einmal das Wort, indem er sagte: »Sie verdächtigen mich, meinen Vater aus dem Weg geräumt zu haben. Aber das ist natürlich Unsinn. Jeder weiß, wie sehr ich meinen Vater geliebt und respektiert habe. – Ich wollte dir nur Bescheid gesagt haben, Giuseppe. Ci vediamo – wir sehen uns.«

Ferrero legte auf. »Giuseppe war der engste Vertraute meines Vaters«, murmelte er. »Sie kannten sich schon von Kindesbeinen an. Mir ist Giuseppe so etwas wie ein väterlicher Freund. Er muss über den Stand Ihrer Ermittlungen Bescheid wissen.«

»Natürlich«, sagte Burke und erhob sich. »Wir werden Sie informieren, Mr. Ferrero, wenn sich etwas Neues ergeben sollte.«

»Ich bitte darum. Außerdem werden Sie sich bei mir entschuldigen müssen.«

»Das werden wir gerne tun, sollte es sich ergeben«, versetzte Owen Burke mit einem freudlosen Lächeln um die Lippen.

Als sie das Gebäude verlassen hatten und zu ihrem Fahrzeug schritten, sagte Ron Harris: »Wenn Ferrero in den eigenen Reihen jemand im Weg stand, dann entweder seinem Sohn oder Giuseppe Chessa. Möglicherweise taugte es Chessa nicht mehr, immer nur den zweiten Mann zu spielen.«

»Möglich. Sollte einer von beiden Fitzroy und Snyder für den Mord bezahlt haben, dann wird er jetzt alles daran setzen, die beiden zum Schweigen zu bringen.«

»Und er wird sich dieses Mal keines Killers bedienen«, knurrte Ron Harris. »Derjenige, der den Mord an Ferrero in Auftrag gegeben hat, ist sicherlich in der Lage, per Handy Kontakt mit Fitzroy oder Snyder aufzunehmen. Vielleicht treten auch die beiden ihrerseits mit ihm in Verbindung, weil sie seiner Unterstützung bedürfen, um sich irgendwo zu verkriechen und abzuwarten, dass sich die Wogen wieder glätten.«

»Und darum werden wir sowohl Ferrero als auch Chessa überwachen. Du übernimmst Gianluca Ferrero, Partner. Ich besorge mit eine Pistole und fahren in die Grand Street, um vor der Trattoria Raffaele Stellung zu beziehen, über der Chessa residiert.«

»Wegen des Verlustes deiner Waffe wirst du einen Bericht schreiben müssen«, bemerkte Ron Harris.

»Ich bin guter Dinge, dass ich mir das Baby wieder zurückhole«, knurrte Owen Burke. »Gib mir die Autoschlüssel.«

Owen Burke fuhr alleine zur Federal Plaza. Während der Fahrt telefonierte er mit dem Assistant Director. Der veranlasste, dass unverzüglich ein Streifenwagen in die Grand Street geschickt wurde, dessen Besatzung beobachten sollte, ob Giuseppe Chessa das Gebäude verließ und die ihm gegebenenfalls folgen und eingreifen sollte, wenn es notwendig werden sollte. Außerdem versicherte der AD, dass für den Special Agent eine Pistole bereitliegen würde, und dass er sie nur noch abzuholen bräuchte.

Als Burke vor dem Federal Office den Dodge anhielt, sah er seine junge Kollegin Lucy Dexter am Haupteingang stehen. Sie entdeckte ihn, winkte und lief zu ihm hin. Burke stieg aus dem Wagen. Als Lucy bei ihm angekommen war, zog sie unter ihrem Pullover eine SIG hervor, die sich im Hosenbund stecken hatte. »Der Chef meinte, du würdest zuviel Zeit verlieren, wenn du selbst die Waffe oben abholst.«

»Sehr umsichtig«, lobte der Agent und nahm die Pistole, stieß sie ins Holster und sagte: »Danke, Lucy. Bestell dem Chef, dass ich mich bei ihm melden werde, sollte sich irgendetwas ergeben.«

*

In der Grand Street hielt Owen Burke an, als er den Streifenwagen der City Police erspähte, der am Straßenrand parkte. Einer der Cops hatte schon vor etwa zehn Minuten telefonisch mit ihm Kontakt aufgenommen. Burke öffnete die Tür des Einsatzfahrzeuges. »Ich bin Special Agent Burke«, sagte er zu dem Cop am Steuer. »Hat sich in der Zwischenzeit irgendetwas ergeben?«

»Dann hätten wir Sie informiert«, erwiderte der Uniformierte.

»Gut«, sagte Burke. »Ab jetzt übernehme ich. Vielen Dank für die Hilfe.«

»Es ist uns eine Ehre und ein Vergnügen, das FBI zu unterstützen«, erwiderte der Polizist grinsend. »Viel Glück, G-man.«

Burke hob grüßend die Hand. Das Einsatzfahrzeug mit der Aufschrift NYPD an den Türen rollte davon. Der Special Agent warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war 15 Uhr 30. Zwischen die Hochhäuser und Wolkenkratzer Manhattans senkte sich schon die Abenddämmerung. Hinter vielen Fenstern brannte schon Licht. Auch einige der Fenster der ersten Etage des Gebäudes waren erleuchtet, was Burke sagte, dass das Büro des ferreroschen Imperiums noch besetzt war.

Das Warten begann. Owen Burke hatte den Nebeneingang im Auge, durch den jeder musste, der das Haus betreten oder verlassen wollte, wenn er nicht vorhatte, die Pizzeria aufzusuchen. Die Minuten reihten sich aneinander. Die Dunkelheit nahm zu. Bald erstrahlte Manhattan in einem Lichtermeer. Es war ein Bild, das für Burke alltäglich geworden war, so dass er es zwar registrierte, jedoch nicht mehr bewusst wahrnahm.

Owen Burke nahm mit seinem Gefährten Ron Harris Verbindung auf. »Wie sieht es bei dir aus, Ron?«, fragte er.

»Ohne Änderung«, antwortete Harris. »Zwei Fenster der Wohnung sind beleuchtet. Ferrero hat seine Wohnung nicht verlassen.«

Nachdem sie noch einige belanglose Sätze ausgetauscht hatten, beendete Burke das Gespräch. In dem Moment verließ Giuseppe Chessa das Gebäude. Schnell schritt er zu einem Ford Mustang Shelby GT500, der am Straßenrand abgestellt war. Die Kontrollleuchten blinkten auf, als er die Türen per Fernbedienung öffnete. Chessa schwang sich auf den Fahrersitz. Gleich darauf manövrierte er den schweren Wagen aus der Parklücke.

Burke startete den Dodge.

Chessa fuhr zur Bowery und wandte sich auf ihr nach Norden.

Owen Burke hängte sich an. Er setzte seinen Partner Harris in Kenntnis. Beim Union Square bog Chessa in die 14th Street ab, folgte ihr bis zur First Avenue und wandte sich auf dieser wieder nach Norden. Die Fahrt endete in Peter Cooper Village, einer Siedlung, die zusammen mit Stuyvesant Town das gesamte Gebiet zwischen East River im Osten und First Avenue im Westen sowie 14th Street im Süden und 23rd Street im Norden einnahm. Es handelt sich um einheitliche braune Wohnblocks, die über fünfzigtausend New Yorkern Unterkunft bieten.

Chessa stellte den Ford ab, stieg aus, überquerte die Straße und verschwand in einem der Gebäude.

Owen Burke beeilte sich. Als er das Hochhaus betrat, bemerkte er, dass einer der Aufzüge nach oben fuhr. Laut Stockwerksanzeige hielt er in der siebten Etage an. Burke hatte schon den Knopf des anderen Lifts gedrückt. Er hatte plötzlich das Gefühl, auf glühenden Kohlen zu stehen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der Aufzug unten ankam und sich die Edelstahltür öffnete. Burke drückte den Knopf mit der Nummer sieben. Er verspürte eine Ungeduld, die ihm fast körperliches Unbehagen bereitete. Sie brachte seine Nerven zum Schwingen und erhöhte seinen Pulsschlag. Die Angst in ihm, zu spät zu kommen, ließ keinen anderen Gedanken zu.

Schließlich hielt der Lift an, die Tür öffnete sich fast lautlos, Burke glitt hinaus auf den Flur. Niemand war zu sehen. Dafür aber vernahm der G-man das trockene Krachen eines Schusses. Es kam aus einer Wohnung auf der linken Seite des Flurs. Burke zog die SIG und entsicherte sie. Dann setzte er sich in Bewegung. Wieder krachte eine Pistole. In der Wohnung schrie ein Mann wie von Sinnen, dann donnerte die Waffe erneut.

Die Tür zu dem Apartment ließ sich nicht öffnen. Burke wuchtete sie mit einem Rammstoß seines rechten Beines auf. Es splitterte und krachte. Geduckt sprang der G-man in die Wohnung. Bei einer Tür zu einem Nebenraum stand Jarrod Fitzroy. Soeben jagte er einen Schuss aus einer Pistole in Richtung eines Sessels. Hinter dem Sessel zuckte eine Gestalt in die Höhe und schoss auf Fitzroy, der aber im selben Moment, als der Schuss brach, zur Seite sprang und sich Owen Burke zuwandte. Seine Hand mit der Waffe fuhr herum, die Mündung wies auf den FBI-Mann. Burke erfasste die Situation mit einem Blick. Am Boden lagen zwei reglose Gestalten. Bei dem Mann hinter dem Sessel handelte es sich um Giuseppe Chessa. Er war nach seinem Schuss sofort wieder in Deckung gegangen.

Die Pistole in Fitzroys Faust bäumte sich auf. Eine handlange Feuerzunge leckte aus der Mündung. Burke war zu Boden gehechtet. Die Kugel verfehlte ihn knapp. Der G-man rollte herum. Dort, wo er eben noch gelegen hatte, riss ein zweites Geschoss den Fußboden auf. Fitzroys warf sich herum, riss die Tür auf und war mit dem nächsten Atemzug in dem Nebenraum verschwunden. Die Tür flog zu.

Burke kroch zurück, gelangte auf den Flur und richtete sich im Schutz der Wand neben der Tür auf. »Hat nicht ganz so funktioniert, wie Sie sich das vorgestellt haben, Chessa.«

Ein Stück weiter stand ein Mann vor der Tür zu seinem Apartment. Jetzt schien er zu begreifen, was sich abspielte, und er verschwand wie der Blitz in seiner Wohnung. Die Tür klappte hinter ihm zu. Ganz hinten im Flur streckte eine Frau den Kopf aus ihrer Wohnung. »Bleiben Sie in Ihren Apartments!«, brüllte Burke. »Ich bin FBI-Agent. Das ist ein Einsatz!«

Schnell zog die Frau den Kopf zurück.

»Zur Hölle mit dir, dreckiger Bulle!«, keifte der Mann, der als Buchhalter des Paten von Little Italy fungiert hatte, der aber in Wirklichkeit die rechte Hand des Mafiabosses gewesen war.

»Warum, Chessa? Warum musste Edoardo Ferrero sterben?«

»Er war ein verdammter Hurensohn! Er hat die Frau, die ich mehr geliebt habe als mein Leben, in den Tod getrieben. Fast dreißig Jahre lang hat sie seine Tyrannei ertragen müssen. Und dann hat sie eine Überdosis Tabletten geschluckt. Lorena war zu schwach, um sich von Edoardo zu trennen. Außerdem fürchtete sie seine Rache, wenn sie ihn verlässt. Also hat sie das körperliche und psychische Martyrium fast drei Jahrzehnte lang ertragen, bis sie nicht mehr konnte. Mein Hass auf Edoardo wuchs nach ihrem Tod, den er verschuldet hat, mit jedem Tag. Und schließlich heuerte ich einen Killer an …«

»Es ging Ihnen also gar nicht darum, auf den Thron in Little Italy zu steigen. Sie hätten ihre Rolle in der Familie unter Gianluca Ferrero weitergespielt – die Rolle des Buchhalters respektive Schatzmeisters und zweiten Mannes in der Organisation.«

»Möglicherweise ist Gianluca mein Sohn«, rief Giuseppe Chessa. »Aber ich will das, was damals geschah, nicht thematisieren. Nein, ich wollte nicht die Nachfolge von Edoardo antreten. Für die Rolle des ersten Mannes in der Familie eigne ich mich nicht. Ich war immer nur ein guter zweiter Mann. Alles, was ich wollte, war Rache für den Tod meiner geliebten Lorena. Mein Fehler war, dass ich einen Dummkopf mit dem Mord beauftragte. Wie sind Sie eigentlich auf Jarrod Fitzroy gekommen, Agent? Welchen Fehler hat er begangen, weil Sie so schnell herausgefunden haben, dass er Edoardo erschossen hat?«

»Manche Dinge sprechen sich in der Unterwelt schnell herum. Und wenn eine Größe wie Edoardo Ferrero erschossen wird, dann werden sehr schnell die Namen der Leute gemunkelt, die mit dem Mord in unmittelbaren Zusammenhang gebracht werden.«

Burke holte sein Mobiltelefon aus der Tasche, stellte eine Verbindung zu Ron Harris her und sagte: »Ich habe sie. Sie befinden sich in einer Wohnung in Peter Cooper Village.« Der Agent nannte die genaue Adresse. Dann schloss er: »Wie es aussieht, sind Snyder und der Wohnungsmieter tot. Fitzroy hat sich in einem der Zimmer verschanzt, Chessa befindet sich im Wohnzimmer. Er hat den Mord in Auftrag gegeben. Der Grund ist ein ausgesprochen profaner. Es geht um unerfüllte Liebe. Schick mir Verstärkung, Partner, und schwing dich ins nächste Taxi, das dich herbringt. Bis später.«

Burke beendete das Gespräch und rief: »Okay, Chessa. In wenigen Minuten wird es hier von Polizei nur so wimmeln. Legen Sie Ihre Waffe weg und kommen Sie mit erhobenen Händen aus der Wohnung.«

»Ihr kriegt mich nicht lebend!«, schnarrte der Mafioso.

Ein Schuss krachte. Ein dumpfes Geräusch folgte.

»Verdammt, Chessa … Antworten Sie, Chessa!«

Giuseppe Chessa blieb stumm.

Burke lugte um den Türstock und schaute in die Richtung, in der er den Italiener hinter dem Sessel wusste. Er konnte ihn nicht sehen. Der G-man verspürte eine seltsame Trockenheit im Mund. Sein Blick wanderte zu der Tür, durch die Fitzroy verschwunden war. Es hatte ganz den Anschein, als hätte sich Chessa selbst eine Kugel in den Kopf gejagt. Dennoch sträubte sich alles in dem Agent, die Wohnung zu betreten, um sich Sicherheit zu verschaffen. Es konnte auch eine Falle sein. Kerle wie Giuseppe Chessa waren mit allen schmutzigen Wassern gewaschen.

Burke zog den Kopf zurück und rief laut: »Fitzroy! Hören Sie mich?«

»Komm nur herein, Bulle, und hole mich!«, schrie der Killer. »Ich bin richtig wild darauf, dir mit deiner eigenen Pistole ein Loch ins Fell zu brennen.«

»Wo haben Sie denn Ihre geliebte MP?«

»Das geht dich einen Dreck an.«

»Gleich wird ein SWAT-Team eintreffen, Fitzroy. Und ich nagle Sie solange in der Wohnung fest. War der Mord an Edoardo Ferrero Ihr erster?«

Die Tür zu dem Nebenraum wurde aufgerissen. Schießend kam Fitzroy ins Wohnzimmer. Sein Ziel war die Tür, bei der Owen Burke Stellung bezogen hatte. Bei dem Gangster schienen sämtliche Sicherungen durchgebrannt zu sein. Seine letzte Chance sah er darin, sich den Weg aus der Wohnung freizuschießen. Er setzte alles auf eine Karte.

Sein Gesicht war in der Anspannung erstarrt, in den Augen irrlichterte der Wahnsinn. Die Kugeln pfiffen durch die Tür und hämmerten den Putz von der der Tür gegenüberliegenden Wand. »Wo bist du verdammter Fed!«, brüllte Fitzroy wie von Sinnen. »Zeig dich, dreckiger Bulle!« Er erreichte die Tür und trat hinaus auf den Korridor. In dem Moment, als er Burke wahrnahm, schlug dieser zu. Er legte alle Kraft in den Schlag. Denn die Zeit, ein weiteres mal zuzuschlagen, würde ihm Fitzroy nicht lassen. Die SIG in Burkes Hand knallte mit aller Wucht gegen Fitzroys Schläfe.

Schlagartig wurde es dem Mörder schwarz vor Augen. Sein Denken riss, wie tot stürzte er zu Boden, die Pistole fiel aus seiner Hand. Burke bückte sich danach, riss sie an sich und schob sie hinter den Hosenbund. Dann schleifte er Fitzroy zwei Yards von der Tür weg, nahm die Handschellen, die er immer am Mann hatte, und fesselte die Hände des Besinnungslosen auf den Rücken.

Fitzroy war außer Gefecht.

Was war mit Chessa? Burke konnte dem Frieden nach wie vor nicht trauen. Chessa musste klar sein, dass er den Rest seines Lebens hinter Gefängnismauern verbringen würde. Er war ein Gangster durch und durch und würde alles daransetzen, diesem Schicksal zu entgehen.

»Chessa!« Burke rief den Namen und äugte vorsichtig um den Türstock. Der Gangster rührte sich nicht. Burke fragte sich, ob der Italiener tatsächlich den Nerv besaß, abzuwarten, bis er – Burke – alle Bedenken über Bord warf und die Wohnung betrat, um ihn mit einem schnellen Schuss auszuschalten und sich dann abzusetzen.

Burke ging das Risiko ein. Er trat in die Tür. Es war ein Vabanquespiel, und es konnte einen für ihn tödlichen Ausgang nehmen. Die Pistole hielt er im Anschlag. Unumstößliche Entschlossenheit und die Bereitschaft, beim geringsten Anzeichen von Gefahr von der Waffe Gebrauch zu machen, prägten jeden Zug seines Gesichts.

Und er hatte sich nicht getäuscht. Chessas Gestalt kam hinter dem Sessel in die Höhe. Für den Bruchteil einer Sekunde schaute Burke in die Mündung der Waffe, die der Gangster auf ihn angeschlagen hatte. Chessa und der G-man feuerten. Doch Burkes Schuss fiel einen Wimpernschlag eher. Die Kugel traf Chessa in die Schulter und er verriss. Sein Geschoss bohrte sich in den Türrahmen. Die Wucht des Treffers schleuderte den Italiener halb herum. Er schrie auf. Es gelang ihm nicht, seine Lähmung abzuschütteln. Und als er in der Lage war, zu reagieren, war Burke schon bei ihm, hielt ihm die Mündung der SIG gegen die Stirn und knirschte: »Weg mit der Waffe! Das ist meine letzte Warnung.«

Einen Moment zögerte Chessa noch, doch dann öffnete sich seine Hand und die Waffe polterte auf den Fußboden. Burke packte den Gangster mit der Linken an der Jacke und versetzte ihm einen Stoß, der ihn in den Sessel warf. Chessa schrie erneut auf und presste die linke Hand gegen die blutende Schulter.

»Das hätten Sie weniger schmerzhaft haben können, Chessa!«, presste Burke hervor, trat zwei Schritte zurück und ließ die Hand mit der Pistole sinken. »Wir warten auf meine Kollegen. Dann wird man Sie auch ärztlich versorgen. Ich erkläre Ihnen hiermit, dass Sie verhaftet sind. Und nun hören Sie gut zu, wenn ich Sie über Ihre Rechte aufkläre …«

»Hoffentlich erstickst du daran, Bulle!«, zischte Chessa gehässig.

»Den Gefallen werde ich Ihnen nicht erweisen. Also hören sie zu …«

Satan war ihr Gott

»Es ist der dritte Mordfall dieser Art«, gab der Assistant Director zu verstehen. Sein Gesicht war fast maskenhaft ernst. »Der Psychiater Dr. Daniel Shahan wurde am 12. September ermordet, Rechtsanwalt David Strouth am 21. Oktober, und gestern Abend starb Mel Rankin, seines Zeichens Richter beim Criminal Court. Es ist sicher, dass bei Shahan und Strouth ein und derselbe Täter am Werk war. Das hat die ballistische Analyse der Kugeln ergeben, die sie töteten. Weiterhin ist anzunehmen, dass es sich bei dem Mörder des Richters ebenfalls um denselben Täter handelt. Auch Rankin wurde mit einem Schuss ins Herz getötet, und auch auf seinem Leichnam lag ein aus Pappe gefertigter, zerrissener Drudenfuß.«

Special Agent Owen Burke runzelte die Stirn. »Ein Pentagramm«, murmelte er, um nach kurzer Überlegung fortzufahren: »Man findet diese geometrische Figur als Symbol bei verschiedenen Religionsgemeinschaften, aber auch bei den Freimaurern, in der Magie und im Wappenwesen …«

»Und bei den Satanisten«, fügte der AD hinzu. Diese Worte standen wie ein Manifest im Raum.

»Sie denken …?«

Der Direktor des FBI New York zuckte mit den Schultern. »Wir wissen es nicht. Aber es ist davon auszugehen, dass ein Serienmörder am Werk ist. Der Grund für die Morde kann Rache sein, und mit den zerrissenen Pentagrammen, die bei den Leichen gefunden wurden, versucht der Mörder möglicherweise eine falsche Spur zu legen.«

»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Sir, dann haben Sie den Fall soeben uns übertragen«, sagte Owen Burke. »Serienmord fällt in die Zuständigkeit des FBI.«