Krisen im Schulalltag -  - E-Book

Krisen im Schulalltag E-Book

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  • Herausgeber: Kohlhammer
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Mit Beiträgen von B. Bläsi, M. Dreiner, S. Drewes, C. Druyen, N. Fiedler, D. Günnewig, B. Hagenhoff, J. Helmerichs, J. Hoffmann, R. Kahr, H. Karutz, K. Kommnick, H. Kunigkeit, F. Lasogga, V. Leuschner, J. Loh, D. Mesch, A. Niedermeier, M. Retzlaff, F. J. Robertz, L. Schauen, C. Schedlich, H. Scheithauer, A. Schultze-Krumbholz, N. Seeger, K. Seifried, F. Sommer, D. Thietz, R. Uhle, T. Weber, H. Wichterich, A. Winther, R. Zeddies. Lehrkräfte und Schulleitungen sind immer häufiger mit Krisen, etwa durch Gewalttaten, konfrontiert, die in Schulen große Unruhe auslösen und zu Belastungen führen. Hier sind Kompetenzen in Prävention, effektivem Krisenmanagement und Nachsorge notwendig. Dieses Buch beschreibt ausführlich, welche Vorbereitungen sinnvoll und welche Aufgaben im Krisenfall zu bewältigen sind. Die Angebote von unterstützenden Diensten werden umfassend dargestellt, und auch die Rolle der Schulleitung und der Schulaufsicht wird thematisiert. Schulpsychologen und Notfallseelsorger berichten zudem über ihre Erfahrungen bei den Amokläufen an Schulen in Emsdetten und Winnenden.

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Mit Beiträgen von B. Bläsi, M. Dreiner, S. Drewes, C. Druyen, N. Fiedler, D. Günnewig, B. Hagenhoff, J. Helmerichs, J. Hoffmann, R. Kahr, H. Karutz, K. Kommnick, H. Kunigkeit, F. Lasogga, V. Leuschner, J. Loh, D. Mesch, A. Niedermeier, M. Retzlaff, F. J. Robertz, L. Schauen, C. Schedlich, H. Scheithauer, A. Schultze-Krumbholz, N. Seeger, K. Seifried, F. Sommer, D. Thietz, R. Uhle, T. Weber, H. Wichterich, A. Winther, R. Zeddies. Lehrkräfte und Schulleitungen sind immer häufiger mit Krisen, etwa durch Gewalttaten, konfrontiert, die in Schulen große Unruhe auslösen und zu Belastungen führen. Hier sind Kompetenzen in Prävention, effektivem Krisenmanagement und Nachsorge notwendig. Dieses Buch beschreibt ausführlich, welche Vorbereitungen sinnvoll und welche Aufgaben im Krisenfall zu bewältigen sind. Die Angebote von unterstützenden Diensten werden umfassend dargestellt, und auch die Rolle der Schulleitung und der Schulaufsicht wird thematisiert. Schulpsychologen und Notfallseelsorger berichten zudem über ihre Erfahrungen bei den Amokläufen an Schulen in Emsdetten und Winnenden.

Dipl.-Psych. Stefan Drewes ist Leiter der Schulpsychologischen Beratungsstelle in Düsseldorf. Dipl.-Psych. Klaus Seifried leitet das Schulpsychologische Beratungszentrum Tempelhof-Schöneberg in Berlin.

Stefan Drewes Klaus Seifried (Hrsg.)

Krisen im Schulalltag

Prävention, Management und Nachsorge

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

1. Auflage 2012 Alle Rechte vorbehalten © 2012 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

Print: 978-3-17-021692-1

E-Book-Formate

pdf:

978-3-17-023196-2

epub:

978-3-17-028202-5

mobi:

978-3-17-028203-2

Inhalt

Vorbemerkungen

Einleitung – Krisen im Schulalltag

Erfurt, Emsdetten, Winnenden – Erfahrungen nach zehn Jahren schulischer Großschadensereignisse in Deutschland

Kennzeichen besonderer Krisenereignisse

Von Blau bis Rot – Notfallpläne für Schulen

Die Androhung einer Gewalttat – Die Dynamik einer schulischen Krise

Aufgaben und Vorgehensweisen eines Schulpsychologischen Krisenteams am Beispiel Winnenden

Die Aufgaben der Schulleitung bei der Bewältigung von Krisen

Die Schulaufsicht als wichtiger Akteur beim Krisenmanagement

Krisenmanagement als Herausforderung für die Schulverwaltung

Schulinterne Krisenteams – Aufgaben und schulpsychologische Fortbildungskonzepte

Krisen aus Sicht der Jugendhilfe – Aufgaben und Angebote der Jugendhilfe bei der Prävention und Nachsorge

Psychische Erste Hilfe in der Schule

Notfallseelsorge für Schulen in Krisenfällen

Psychosoziale Notfallversorgung bei komplexen Gefahren- und Schadenslagen in Schulen

Umgang mit den Medien im Krisenfall

Mittel- und langfristige Nachsorge nach einem größeren Krisen- oder Schadensereignis

Bedrohungsmanagement – Die Risikoeinschätzung von Amokdrohungen und die Prävention von schwerer zielgerichteter Gewalt an Schulen

Prävention von Amok und schwerer Gewalt an Schulen

NETWASS – Ein Präventionsprogramm für Schulen

Das Medienhelden-Programm zur Prävention von Cybermobbing

Mobbing im Netz – ein Krisenfall für die Schule Was können Schüler, Eltern und Lehrer tun?

Literatur

Die Autorinnen und Autoren

Stichwortverzeichnis

Vorbemerkungen

Jubiläen sind manchmal Anlass zum Feiern, manchmal aber auch Anlass zur Analyse und Reflexion.

Nach zehn Jahren Erfahrungen in schulpsychologischer Gewaltprävention und Krisenintervention geben wir mit diesem Buch einen Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion. Dieses Buch soll Schulen helfen, Krisen im Alltag zu bewältigen. Der Rückblick auf Erfurt, Emsdetten oder Winnenden zeigt, wie wichtig es ist, die eingeleiteten Maßnahmen und Interventionen zu reflektieren und aus Fehlern zu lernen. Inzwischen wurden in den meisten Bundesländern professionelle Krisenteams unter Federführung oder Beteiligung von Schulpsychologinnen und Schulpsychologen aufgebaut. Die Praxis zeigt, dass hier professionelle Arbeit geleistet wird.

Dieses Buch soll eine Brücke bauen zwischen Wissenschaftlern und Schulpsychologen in der Praxis, zwischen Experten der Krisenintervention und Entscheidungsträgern in Schulleitungen und Schulverwaltungen. Auch außerschulische Kooperationspartner bei der Polizei, der Jugendhilfe und der Notfallseelsorge kommen zu Wort.

Das Wort Krise hat Eingang gefunden in die Umgangssprache. Wir sprechen von kleinen und großen Krisen, die den Schulalltag zunehmend prägen und belasten. Krisen gehören zum Schulalltag. Die Bewältigung von Krisen ist eine grundsätzliche pädagogische Aufgabe geworden und Schulen müssen sich darauf vorbereiten. Viele Schulen haben sich in den letzten Jahren verändert. Sie entwickeln pädagogische Konzepte zur Konfliktlösung und Krisenbewältigung. Dieses Buch soll die Entscheidungsträger dabei unterstützen.

Wir danken unseren Autorinnen und Autoren für ihr Engagement, Frau Dorit Patitz für die kompetente und fleißige Unterstützung bei der Endredaktion, Herrn Dr. Ruprecht Poensgen für die geduldige Begleitung des Projektes als Verlagsleiter und unserer Lektorin, Frau Stefanie Reutter. Vor allem danken wir aber den vielen Schulpsychologinnen und Schulpsychologen sowie den schulischen Krisenteams in Deutschland, die durch ihre Beratung Schulen geholfen haben, viele kleine und große Krisen zu bewältigen.

Stefan Drewes

Klaus Seifried

Einleitung – Krisen im Schulalltag

Stefan Drewes und Klaus Seifried

Das Wort Krise wird gegenwärtig inflationär gebraucht. In den Nachrichten werden wir jeden Tag mit Finanzkrisen, Wirtschaftskrisen, Umweltkrisen, politischen Krisen, Persönlichkeits- oder Leistungskrisen konfrontiert. Täglich sehen und hören wir in den Medien von Naturkatastrophen und Kriegen und hoffen – selbstverständlich –, davon verschont zu bleiben.

Krisen gehören zum Leben von Menschen und zum Alltag in der Schule, so wie beispielsweise Unfälle, lebensbedrohliche Krankheiten und Todesfälle jederzeit geschehen können. Die Konfrontation mit einem Krisenereignis zieht heute jedoch immer weitere Kreise und erreicht immer mehr auch nur mittelbar betroffene Personen, da durch die schnelle Informationsverbreitung in der heutigen medialen Welt ein Ereignis regelmäßig eine besondere Dramatisierung erfährt.

Krisen können jederzeit auftreten, somit auch in der Schule. Dabei sind es nicht nur die plötzlich auftretenden krisenhaften Ereignisse durch äußere Umstände, sondern auch die Entwicklungen und die Veränderungen im Lebenslauf, die persönliche Krisen auslösen können. Der Schulalltag ist somit häufig von kleinen und – sehr selten – auch von großen Krisen betroffen (vgl. Ria Uhle in diesem Band).

Wir haben uns dazu entschlossen, an dem Begriff „Krise“ festzuhalten. Dieser Begriff wird im Kontext Schule akzeptiert. Es besteht mittlerweile eine allgemeine Sensibilität für krisenhafte Ereignisse, für mögliche psychische Auswirkungen und für die Notwendigkeit eines Krisenmanagements. Es ist unvermeidlich, dass sich Schulen und Schulverwaltungen auf die Bewältigung von Krisen vorbereiten. Krisen im Schulalltag sind alltäglich, und die Bewältigung sollte auch als eine alltägliche pädagogische Aufgabe der Schule sowie als eine Managementaufgabe der Schulleitung und Schulverwaltung verstanden werden. Die Entwicklung von Notfallordnern für Schulen sowie der Aufbau von Krisenmanagementstrukturen in den Schulverwaltungen sind Beispiele dafür.

Was ist eine Krise?

In diesem Buch wird eine Krise auf unterschiedlichen Ebenen definiert. Einfach ausgedrückt, bedeutet „Krise“ (griechisch κρíσıς krísis,) eine „schwierige Lage“, d. h., eine Person oder eine Institution ist in akuten Schwierigkeiten (Zeitlexikon, 2005).

Im psychologischen Sinne sind Krisen der Verlust des inneren Gleichgewichts und der Handlungssicherheit, die durch Notfälle (Unfall, Gewalt, Katastrophen), besondere Lebensphasen (Pubertät, Alter), durch Sucht oder durch bestimmte individuelle Ereignisse (Stress, Prüfungen, Konflikte, Trennung) ausgelöst werden können. Krisen können somit durch äußere unvorhersehbare Ereignisse, aber auch durch innerpsychische Konflikte einzelner Personen oder durch soziale Prozesse ausgelöst werden. Im zweiten Fall stellt sich oft die Frage, wie es zu einer solchen Eskalation kommen konnte und ob die Krisensituation nicht durch gezielte Prävention vermeidbar gewesen wäre.

Pädagoginnen und Pädagogen in der Schule sehen die krisenhafte Entwicklung eines Schülers oder einer Schülerin manchmal unter einem anderen Blickwinkel als ein Arzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik oder die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes, die Jugendhilfemaßnahmen einleiten und z. B. klären müssen, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Die unterschiedlichen professionellen Sichtweisen der Experten führen manchmal zu Missverständnissen, wenn es um ein gemeinsames Fallmanagement geht, wie Rainer Zeddies in diesem Buch erläutert.

Krisen können durch unbewältigte Konflikte entstehen

Werden Konflikte nicht erkannt oder ignoriert, können daraus latente und manifeste Krisen entstehen. Menschen und Institutionen geraten in manifeste Krisenzustände, wenn zu viele oder zu massive Konflikte nicht bearbeitet und gelöst werden können. In den Analysen von School Shootings (Robertz & Wickenhäuser, 2010) wird deutlich, dass Täter von schweren Gewaltvorfällen immer auch aufgrund unbewältigter Konflikte in Lebenskrisen geraten sind. Meist war dies eine Summe von Kränkungen und Misserfolgen in der Schule, der Peergroup oder der Familie, in Kombination mit sozialer Isolation und depressiven Persönlichkeitsmerkmalen. Die Schule hat hier einen hohen Symbolwert (siehe Frank J. Robertz, Jens Hoffmann, Friederike Sommer et al. in diesem Band). Es ist daher von großer Bedeutung, die zugrundeliegenden Konflikte zu erkennen und den pädagogischen Alltag in Schulen auf die Bewältigung von kleinen und großen Konflikten vorzubereiten.

Was ist ein Konflikt?

Ein Konflikt (lateinisch confligere, conflictum) bezeichnet das Aufeinandertreffen einander entgegengesetzter Interessen, Bedürfnisse, Verhaltensweisen, Intentionen und Motivationen (Zeitlexikon, 2005).

Ein Konflikt besteht, wenn einzelne Schüler oder Lehrer unterschiedliche Interessen und Ziele haben und versuchen, diese durchzusetzen. Dies kann auch Gruppen von Schülern innerhalb der Schule oder Fraktionen im Kollegium betreffen. Ein Konflikt entsteht dann, wenn die Konfliktpartner versuchen, durch Druck und Drohungen den anderen zu überzeugen oder zum Handeln zu zwingen (Höher, 2004).

Konfliktformen und Eskalationsstufen

In der Schule sind unterschiedliche Konfliktformen anzutreffen. Zunächst stehen Beziehungskonflikte zwischen verschiedenen Personengruppen im Vordergrund: Schüler-Schüler-Konflikte, Schüler-Lehrer-Konflikte, Lehrer-Lehrer-Konflikte, Lehrer-Eltern-Konflikte und natürlich auch Konflikte mit der Schulleitung. Die verschiedenen Entwicklungsphasen eines Kindes oder Jugendlichen, wie z. B. die Pubertät, sind zudem durch eine Vielzahl von Identitätskonflikten geprägt, die die Beziehungen zu Autoritäten wie Lehrern und Eltern belasten.

Aber auch Interessenkonflikte über Noten und scheinbar ungerechte Bewertungen, über den Einfluss in der Klasse oder in der Peergroup, durch Konkurrenzstreit um Mädchen oder Jungen können zu massiven Auseinandersetzungen führen. Häufig werden schulfremde Freunde und Bekannte bei Konflikten mit Mitschülern um „Hilfe“ gebeten und verursachen dramatische Eskalationen. Auch familiäre Konflikte werden in die Schule getragen. Erfahrungen von Misserfolg und Enttäuschung, Gefühle wie Wut, Ängste oder Aggressionen beeinflussen und belasten oft den schulischen Alltag.

In den letzten Jahren entwickelten sich zunehmend auch ideologische und Glaubenskonflikte zwischen ethnischen Gruppen, die sich voneinander abgrenzen oder um Einflusssphären kämpfen (Maringer & Steinweg, 1997).

Viele Schulen sind bemüht, Konflikte zu bearbeiten und Eskalationen zu vermeiden. Nach Glasl (2011) unterscheidet man neun Eskalationsstufen von Konflikten:

Phase I

1. Verhärtung

2. Debatte, Polemik, Streit

3. Taten statt Worte (Kontaktabbruch)

In Phase I können schulinterne Moderatoren, z. B. Schüler als Streitschlichter, aber auch Lehrerinnen und Schulsozialpädagogen helfen, nach Konfliktlösungen zu suchen. Es besteht noch die Möglichkeit, dass beide Konfliktpartner Erfolge in der Mediation erzielen.

Phase II (Schwelle I)

4. Suche nach Koalitionen (soziale Ausweitung)

5. Gesichtsverlust, Demaskierung

6. Bedrohung und Erpressung

In Phase II ist eine Intervention durch Autoritäten, also durch Sozialpädagogen, Lehrer und Schulleitung, notwendig, um dem Konflikt Grenzen zu setzen. Eine externe Mediation, z. B. durch einen Schulpsychologen ist möglich. In Stufe 6 sollte bei schweren Fällen die Polizei einbezogen und eine Strafanzeige gestellt werden.

Phase III (Schwelle II)

7. Begrenzte Schläge (offene Angriffe und soziale Ausfälle)

8. Gezielte Angriffe und Zerstörung des Gegners

9. Gezielte Vernichtung und Selbstvernichtung (Totschlag, Mord, Krieg)

In Phase III sind nur noch Grenzsetzungen durch schulische Sanktionen, polizeiliche Maßnahmen und Strafanzeigen sinnvoll.

Für die Konfliktschlichtung und das Konfliktmanagement ist es wichtig, die Anatomie von Konflikten zu kennen (Kellner, 1999) und Sach- von Beziehungskonflikten zu unterscheiden. Das Eisbergmodell verdeutlicht, dass die emotionale Basis von Konflikten vordergründig nicht sichtbar ist und auch den Konfliktpartnern meist erst selbst sichtbar und bewusst gemacht werden muss. Die entscheidende Konfliktdynamik entsteht nicht durch den sichtbaren Sachkonflikt, sondern durch teilbewusste oder unbewusste Gefühle, Wünsche, Ängste und Unsicherheiten. Dies ist im Verhalten der Konfliktpartner aber nicht beobachtbar, sondern es liegt im Verborgenen (Besemer, 2009).

Konflikte gehören zum Alltag in der Familie, der Peergroup und der Schule. Sie können eskalieren und zu innerpsychischen oder sozialen Spannungen führen. Konflikte werden nur dann zu einer Belastung des einzelnen Schülers oder Lehrers oder zu einer Belastung des Klassen- und Schulklimas insgesamt, wenn keine Regeln und Strukturen zur Konfliktlösung bestehen. „Denn bei Konflikten ist nicht das Bestehen von Differenzen das eigentliche Problem, sondern die Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen wird“ (Glasl, 1998, S. 181).

Im System Schule ist es besonders wichtig, Regeln und Rituale für die Bewältigung von Beziehungs- und Interessenkonflikten, d. h. eine Streit- und Konfliktkultur, zu entwickeln. Dies benötigt Raum und Zeit im Schulalltag, im Stundenplan der Schüler und Lehrer und im Schulprofil. Die beste Prävention ist ein gutes Klassen- und Schulklima und eine möglichst große Verantwortungsübernahme und Konfliktfähigkeit der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Lehrkräfte.

Konflikte lösen Ängste aus

Konflikte finden täglich statt, doch sie werden oft als bedrohlich oder schmerzvoll erlebt, als etwas Unangenehmes, als eine Störung. Konflikte lösen Ängste aus. Daher versuchen Menschen ihnen auszuweichen, sie zu ignorieren oder zu leugnen, solange das geht. Ängste vor Trauer, Depression, Aggression, Misserfolg, Krankheit oder Tod sind der Grund. Konflikte und Krisen in der Schule werden als Störung erlebt und nicht als normale, alltägliche pädagogische Aufgabe angesehen. Eine Konfliktverlagerung ist die Folge, wenn Interessengegensätze nicht verbalisiert und geklärt werden. Aber gerade latente, schwelende Konflikte summieren sich und bauen sich zu manifesten Konflikten auf, die das Lern- und Schulklima stören und die persönliche Krisen oder Krisen in einer Klasse auslösen können. Erst wenn ein massiver Konflikt zu einer Eskalation und krisenhaften Entwicklung führt, werden beispielsweise Schulpsychologen gerufen. Konflikte und Krisen brauchen Zeit und Raum zur Bewältigung. Lehrerinnen und Lehrer, Schulsozialpädagoginnen und -pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher brauchen Zeit und pädagogische Kompetenzen, um als Moderatoren oder als Mediatoren die Konflikte in ihrer Klasse zu erkennen und zu bewältigen. Positive soziale Beziehungen in der Schule und ein gutes Sozialklima sind die notwendigen Voraussetzungen, um bestmögliche Lernergebnisse zu erzielen. Denn häufig stören latente Spannungen und Konflikte die Lernmotivation, die Aufmerksamkeit und die Konzentration der Schülerinnen und Schüler im Unterricht. Doch meistens fehlt die Zeit, fehlt der Raum zur Reflexion und zur Bewältigung im Schulalltag. Erst wenn eine Schule das soziale Miteinander – ein positives Klassen- und Schulklima – als Leitziel formuliert, können Krisenteams erfolgreich arbeiten. Das beste Krisenmanagement ist die Vermeidung einer Krise durch Prävention.

Schule als Ort der Anerkennung

Viele Schülerinnen und Schüler nutzen die Schule, um durch gute Leistungen Erfolg und Anerkennung zu erwerben und um die persönlichen und beruflichen Zukunftschancen zu verbessern.

Auch kann die Schule für viele Kinder und Jugendliche aus sozialen Brennpunkten und zerrütteten Familien Anker und Stütze in einer ansonsten belastenden Umwelt sein.

Der pädagogische Anspruch einer Schule in Zeiten der Inklusion sollte es sein, auch Schülern mit Schulversagen oder mit emotionalen und sozialen Entwicklungsrückständen, Schülern mit Ängsten und sozialen Außenseitern Halt, Erfolge und Anerkennung zu verschaffen (Booth & Ainscow, 2003).

Konflikte bewältigen und Schüler in Not erkennen

Die Bewältigung von Konflikten ist für Schulen dann besonders schwierig, wenn sie sich im Verborgenen abspielen. Die Entwicklung des Cybermobbings führt bei immer mehr Schülerinnen und Schülern zu erheblichen Verunsicherungen und Belastungen (Seifried, 2011). Herbert Scheithauer und Anja Schultze-Krumbholz beschreiben das Ausmaß von Cybermobbing in diesem Buch.

Viele Schulen haben begonnen, sich mit dieser neuen Form des Mobbings intensiv auseinanderzusetzen. Michael Retzlaff gibt uns konkrete Informationen, was man gegen Cybermobbing tun kann.

42 % der 11- bis 13-jährigen Schülerinnen und Schüler fühlen sich schulisch überfordert. 30 % sind durch familiäre Konflikte und Probleme mit ihren Eltern belastet (Kaufmännische Krankenkasse Halle, 2006). Die KIGGS- und BELLA-Studien zeigen, dass 22 % aller Kinder und Jugendlichen psychische Auffälligkeiten entwickeln (Ravens-Sieberer, Wille & Erhart, 2007)). 2,6 % der Schülerinnen und Schüler (250 000) wiederholen in Deutschland ein Schuljahr. Im Laufe der Schulzeit betrifft dies 23 % aller Kinder und Jugendlichen (Klemm, 2009). Das „Sitzenbleiben“ wird meist als persönliches Scheitern erlebt und löst in vielen Familien massive Konflikte aus. 7,5 % oder 65 000 Schülerinnen und Schüler verlassen jährlich die Schule ohne einen Schulabschluss. Bei Schülern mit Migrationshintergrund sind dies bis zu 30 % (Klemm, 2010). Schule wird für diese Kinder und Jugendlichen oft über Jahre hinweg zum Ort des Misserfolgs. Dies kann zu erheblichen Belastungen und Perspektivlosigkeit führen und Aggressionen sowie krisenhafte Entwicklungen auslösen.

Somit kommt den Konzepten eine besondere Bedeutung zu, die dabei helfen, besonders emotional belastete Jugendliche frühzeitig zu erkennen und ihnen Hilfen anzubieten, bevor es zu einer Gewalttat kommt (vgl. Friederike Sommer et al. und Jens Hoffmann in diesem Band).

Aus Erfahrungen lernen

In den letzten zehn Jahren haben sich Schulen gezwungenermaßen mit Gewaltereignissen, Amokläufen und Amokdrohungen auseinandersetzen müssen. Dies beschreiben wir im folgenden Kapitel. Die Erfahrungen durch die Amoktat in Winnenden haben deutlich gezeigt, welche umfangreichen Unterstützungsmaßnahmen in einer solchen Situation erforderlich sind. Burkhard Bläsi und Anne Niedermeier beschreiben in diesem Band, wie Schulpsychologen Schulen in Krisen unterstützen können.

Bei Bedrohungen besonnen handeln

Eine besondere Herausforderung für Schulen stellen die häufigen Amokdrohungen dar. Schulleitungen und schulinterne Krisenteams müssen hier schnelle Entscheidungen treffen, mit der Polizei eng kooperieren und mit den Auswirkungen einer polizeilichen Intervention umgehen lernen. Jens Hoffmann beschreibt in diesem Band Konzepte und Ansätze für ein gezieltes Bedrohungsmanagement. Eine Amokdrohung kann eine Dynamik auslösen, die das Schulleben stark belastet. Die Schule muss handeln und mit externen Helfern kooperieren. Hansjürgen Kunigkeit, Johannes Loh, Dorle Mesch und Lambert Schauen beschreiben aus der Perspektive eines Schulpsychologen, von zwei Mitgliedern des schulinternen Krisenteams und eines Polizeibeamten, wie diese Kooperation in der Praxis gestaltet werden kann.

Professionelles Krisenmanagement

Die Bildung von schulinternen Krisenteams wird mittlerweile in allen Bundesländern empfohlen und gefordert. Hier bieten die schulpsychologischen Dienste bereits ausgearbeitete Fortbildungskonzepte an, um bei der Bildung von Krisenteams zu unterstützen (vgl. Claudia Schedlich & Birte Hagenhoff in diesem Band).

Ist eine Krise eingetreten, muss zuerst die konkrete Gefahr und Bedrohung eingeschätzt werden. Dies sollte mit Unterstützung der Polizei geschehen. Hier bieten die Texte von Jens Hoffmann sowie Frank J. Robertz einen theoretischen Hintergrund.

Konkrete Orientierung im Krisenfall geben die Notfallordner der Schulen, die von Kati Kommnick und Arno Winther vorgestellt werden. Insbesondere die Schulleitung muss sich den verschiedenen Aufgaben des Krisenmanagements stellen (vgl. Carmen Druyen & Heiner Wichterich in diesem Band). Dabei spielen die Schulaufsicht und die Schulverwaltung eine besondere Rolle. Sowohl Detlef Thietz als auch Dirk Günnewig beschreiben in ihren Texten, wie Schulleitungen im Krisenfall entlastet und unterstützt werden können.

Bei Großschadensereignissen sind das Interesse der Medien und der Druck auf die Krisenmanager besonders groß. Der Umgang mit den Medien, der Schutz der Opfer vor der Öffentlichkeit und die gezielte Information der Medien sind im Krisenfall für Schulen eine besondere Herausforderung. Robert Kahr und Frank J. Robertz geben hierzu konkrete Informationen und Hilfen.

Für die Bewältigung von kleinen und großen Krisen brauchen Pädagoginnen und Pädagogen externe Kooperationspartner und Unterstützungssysteme (Seifried, 2007). Im Rahmen eines mehrjährigen Diskussionsprozesses wurden für die Psychosoziale Notfallversorgung Leitlinien und Qualitätsstandards erarbeitet, die Jutta Helmerichs, Harald Karutz und Claudia Schedlich in diesem Buch vorstellen. Auch die Arbeit der Notfallseelsorge wird im Beitrag von Norbert Seeger beschrieben. Schließlich berichtet Rainer Zeddies als Jugendamtsleiter über die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten der Jugendhilfe bei der Bewältigung von schulischen Krisen.

Und nicht zuletzt sollten Schulen wissen, wie eine Psychische Erste Hilfe aussehen sollte. Frank Lasogga gibt hierzu wichtige Informationen.

Schlussbemerkungen

Krisen gehören zum Schulalltag, und die Anforderungen an Schulen bei ihrer Bewältigung werden wachsen. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass Schulen diese Aufgaben bewältigen können, wenn sie sich angemessen vorbereiten und ein professionelles Krisenmanagement entwickeln.

Wir hoffen, dass dieses Buch den Pädagoginnen und Pädagogen in den Schulen, den Schulleitungen, der Schulaufsicht, aber auch den professionellen Helfern in der Schulpsychologie, der Polizei u. a. bei der Bewältigung von großen und kleinen Krisen eine Unterstützung bieten kann.

Erfurt, Emsdetten, Winnenden – Erfahrungen nach zehn Jahren schulischer Großschadensereignisse in Deutschland

Stefan Drewes und Klaus Seifried

Amokläufe an deutschen Schulen

Am 26.4.2002 erschütterte der Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt den Glauben an die Sicherheit in unseren Schulen. Etwas bis dahin Unvorstellbares ereignete sich an einer deutschen Schule, das eigentlich nur im Ausland möglich erschien.

Einige „kleinere“ Gewaltereignisse an deutschen Schulen wurden in der Öffentlichkeit bis dahin nicht weiter beachtet oder als Einzelfälle eingestuft. Amokläufe in den USA wie in Littleton und Columbine 1999 führten zwar bei einigen Fachleuten zu Unruhe und Sorge, aber erst der Amoklauf in Erfurt machte deutlich, dass einzelne Jugendliche in Krisen gelangen können, in denen sie als Ausweg nur eine solche Gewalttat sehen.

Die schnelle und detaillierte Verbreitung von Informationen über Amokläufe in den Medien, vor allem aber im Internet, trug dazu bei, dass einzelne Jugendliche sich in diese Gewalttaten vertieften, Täter als Helden idealisierten und zum Vorbild nahmen. Darstellungen der eigenen Person in kraftvollen Posen konnten der Öffentlichkeit über das Internet bekannt gemacht werden, und wirre Gedanken oder martialische Bilder wurden ins Netz gestellt. Der eigene „Frust“, die erlebten Erniedrigungen, die eigenen Unzulänglichkeiten, die enttäuschten Erwartungen, erlebte Gewalt gegen sich selbst – jetzt konnte dies alles ein Ventil finden. Eine neue Lösungsstrategie war „geboren“: Kein Rückzug in die Depression, keine Aggressionsabfuhr über Prügeleien oder Sticheleien, jetzt war das ganz große Ereignis möglich. Ein Ereignis, dass der aufgestauten Wut freien Lauf lässt und die eigene Person in den absoluten Mittelpunkt stellt.

Auch nach dem Amoklauf in Erfurt wurde dies von vielen noch als ein Einzelfall eingestuft, und mögliche Konsequenzen für Schulen stießen auf breite Ablehnung. Das Festhalten an dem „heilen“ Bild unserer Schulen sollte nicht ins Wanken geraten. Schulen waren auf dem Weg, sich zu öffnen, Schüler sollten selbstverantwortlich lernen und nicht eingeschlossen werden. Neue Schulgebäude wurden offen, hell und mit großen Fenstern geplant. Schulen sollten freundlich und einladend wirken, sie sollten ein Ort des Lernens und Lebens und Sicherheitstrakte oder Festungen sein.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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