Kronenkampf. Geschmiedetes Schicksal - Valentina Fast - E-Book
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Kronenkampf. Geschmiedetes Schicksal E-Book

Valentina Fast

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Beschreibung

»Niemand bräuchte weniger einen Prinzen und niemand hätte mehr einen verdient als du, Fiana.« Zwei magische Throne braucht es, um das Königreich Alandra gegen die Schatten hinter den Mauern zu schützen. Kupfer und Eisen – einzeln stark, zusammen zerstörerisch. Sie besteigen können nur diejenigen, die im Kronenkampf als Sieger hervorgehen. Fiana lebt seit ihrer Kindheit im Palast und kennt die Regeln der Mächtigen wie kaum jemand sonst. Doch durch ihre Adern fließt ein dunkles Geheimnis, dessen Aufdeckung ihren sicheren Tod bedeuten würde. Als der attraktive Königsbruder Kayden ihm gefährlich nahekommt, bleibt Fiana nur eins – am Kronenkampf teilzunehmen. Romantisch, königlich, gefährlich.  //»Kronenkampf. Geschmiedetes Schicksal« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Valentina Fast

Kronenkampf. Geschmiedetes Schicksal

ZWEI MAGISCHE THRONE braucht es, um das Königreich Alandra gegen die Schatten hinter den Mauern zu schützen. Kupfer und Eisen – einzeln stark, zusammen zerstörerisch. Sie besteigen können nur diejenigen, die im Kronenkampf als Sieger hervorgehen. Fiana lebt seit ihrer Kindheit im Palast und kennt die Regeln der Mächtigen wie kaum jemand sonst. Doch durch ihre Adern fließt ein dunkles Geheimnis, dessen Aufdeckung ihren sicheren Tod bedeuten würde. Als der attraktive Königsbruder Kayden ihm gefährlich nahekommt, bleibt Fiana nur eins – am Kronenkampf teilzunehmen.

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Vita

Danksagung

© privat

Valentina Fast wurde 1989 geboren und lebt heute im schönen Münsterland. Beruflich dreht sich bei ihr alles um Zahlen, weshalb sie sich in ihrer Freizeit zum Ausgleich dem Schreiben widmet. Ihre Leidenschaft dafür begann mit den Gruselgeschichten in einer Teenie-Zeitschrift und verrückten Ideen, die erst Ruhe gaben, wenn sie diese aufschrieb. Ihr Debüt, die »Royal«-Reihe, wurde innerhalb weniger Wochen zum E-Book-Bestseller.

FÜR DAMIAN,WEIL DU ES MIR MÖGLICH MACHST,MEINEN TRAUM ZU LEBEN

1. KAPITEL

EIN SCHLEIER IN TIEFSTER NACHT

Vor mir ragte bedrohlich eine hohe Mauer auf, die im Mondlicht aussah wie eine düstere Welle, die auf mich zu rollte und mich jeden Moment zu verschlingen drohte. Ich meinte dahinter das Kratzen von Klauen zu vernehmen, das Schmatzen von blutbefleckten Mäulern und das schreckenerregende Geheul hungriger Monster. Ein schmerzhafter Schauder durchfuhr mich und ich rieb mir fröstelnd über meine Arme. Dunkelheit umgab mich, doch das Licht des Mondes hatte mir den Weg gewiesen, den ich schon seit vielen Jahren in jeder Vollmondnacht ging. Die Hitze des Tages war vergangen und ein milder Wind strich sanft über mein Haar.

Plötzlich hatte ich das Gefühl, von neugierigen Augen verfolgt zu werden. Ich tat es als Einbildung ab, nachdem ich einen prüfenden Blick zurück geworfen hatte, und setzte meinen Weg mit gestrafften Schultern fort. Alle anderen hielten sich in diesem Moment beim Fest auf, sagte ich mir, um mich zu beruhigen. Ich befand mich am Rand der Königsstadt, und es war niemand da, der mich beobachten könnte.

Als ich endlich den kleinen Tempel erreichte, der nicht weit entfernt von der Mauer lag, entfuhr mir vor Erleichterung ein leiser Seufzer.

Ewig brennende Kerzen waren in dem Säulenpavillon aufgestellt, ihre Flammen zuckten und tanzten im Wind und verliehen den Statuen in der Mitte des Tempels einen Hauch von Lebendigkeit.

Das Abbild unserer Göttin Aneta und ihres Gatten, Gott Damin, stand da in Stein gemeißelt. Daneben das ihrer Kinder, Karai und Mitu.

Ich senkte vor Göttin Aneta meinen Kopf und wiederholte diese demütige Geste auch vor der Statue ihres Mannes. Als Opfergabe legte ich Blumen vor ihre steinernen Füße.

Als ich mich wieder aufgerichtet hatte, hörte ich leise Schritte hinter mir.

Ich fuhr herum und stieß einen erleichterten Seufzer aus, als ich meine Freundin Tiara sah. Unter der weiten Kapuze ihres dunklen Mantels war ein zaghaftes Lächeln zu erkennen. Ihre Augen jedoch huschten wachsam hin und her. Während mein Gesicht wie ein Totenschädel bemalt worden war, trug sie eine reich verzierte Maske, hinter der ihre Züge verborgen waren. Obwohl wir uns schon seit Jahren kannten, hatte ich ihr Gesicht tatsächlich noch nie gesehen.

»Schön, dass du hier bist, Fiana«, sagte sie nun.

»Ich danke dir für dein Kommen«, erwiderte ich, trat zu ihr und drückte ihre beiden Hände, um ihr wenigstens ansatzweise zu vermitteln, was ich fühlte. Meine Dankbarkeit war kaum in Worte zu fassen.

Während sie meine Hände ebenfalls drückte, vertiefte sich ihr Lächeln. »Lass uns den Schleier erneuern. Die Nacht ist unruhig.«

Ich vermutete, dass sie das Fest meinte, auch wenn man vom Tempel aus kaum etwas davon wahrnehmen konnte.

Ich warf einen letzten Blick nach draußen. Hinter den brennenden Kerzen wurde der Rest der Welt von Dunkelheit verschluckt. Es wirkte plötzlich, als stünden wir ganz allein unter der schützenden Kraft der Sterne. Deshalb streifte ich nach kurzem Zögern meinen Mantel von den Schultern und kniete mich in die Mitte des Tempels, direkt vor die Götterstatuen.

Tiara trat hinter mich, wie schon viele Male zuvor, jeden Monat bei Vollmond.

»Mögen die Ahnen mein Bitten erhören und mir einen Teil ihrer Kraft schenken«, flüsterte sie, während sie mir die Haare aus dem Nacken strich.

Ich schloss meine Augen, als ich die Klinge an meiner Schulter spürte. Erneut überzog Gänsehaut meinen Körper und ich erzitterte unter dem kalten Metall. Ich wusste nicht, ob es Eisen oder Kupfer war, aus dem ihre Magie stammte. Früher hatte ich manchmal versucht einen Blick auf ihr Schwert zu erhaschen, doch sie schaffte es immer, dies zu verhindern.

»Sie dürfen ihr wahres Selbst nicht sehen, niemals. Nehmt dafür ihren Schmerz als Opfergabe«, flüsterte Tiara hinter mir.

Die Klinge bohrte sich in meine Haut, neben all den anderen Narben, die dieser Zauber schon an mir hinterlassen hatte. Ich biss meine Zähne zusammen. Tiara betete leise ihre Vorfahren an, damit sie ihr einen Teil ihrer alten Magie schenkten, die sie sich zunutze machen konnte.

Ich spürte diese Magie, während sie direkt aus den Sternen in mich hineinfloss. Der zarte Schleier, den ich schon mein Leben lang trug, wurde dichter, fester, undurchschaubar und umschloss mich wie ein unsichtbarer Mantel. Er würde mich unscheinbar machen, mich vor allzu neugierigen Blicken schützen und das unterdrücken, was niemals jemand sehen durfte.

Die Freude darüber war so groß, dass ich den Schmerz in meiner Schulter verdrängte.

Ich sog Tiaras Magie und ihr Flüstern in mich auf und musste lächeln. Sternenmagie durchströmte mich und schenkte mir wohlige Wärme.

»Ahnen, wir danken Euch für Eure Gaben.«

Als Tiara zurücktrat, nahm sie ihre Magie mit sich und Kälte breitete sich in mir aus. Tiara legte mir ein Stück Stoff auf die blutende Wunde, bevor sie mein Kleid darüberschob, um den Verband zu fixieren.

Ich hob meinen Mantel auf und streifte ihn vorsichtig über. Dann drehte ich mich zu meiner Freundin um.

»Ich danke dir.« Meine Stimme war ein kraftloses Flüstern, denn während Tiara Magie gewirkt hatte, waren mein Blut und ein Teil meiner Kraft als Opfer an ihre Ahnen gegangen.

»Pass auf dich auf«, sagte sie. »Wir sehen uns beim nächsten Vollmond wieder. Mögen die Götter dich auf deinem Weg begleiten.«

Ich lächelte. »Mögen Sie dir über jeden Stein auf deinem Weg helfen.«

Tiaras Mundwinkel zuckten, dann verließ sie den Tempel und verschmolz mit der Nacht.

Ich wusste nicht, wohin sie ging, wo sie lebte, nicht einmal wer sie wirklich war. Wir kannten uns zwar schon seit mehr als zehn Jahren, sahen uns aber nur in dieser einen Nacht des Monats und für die wenigen Augenblicke, in denen sie meinen Schleier erneuerte. Doch wenn ich an Tiara dachte, war sie stets eine Freundin für mich, denn sie rettete mein Leben.

Ich neigte meinen Kopf erneut vor den Göttern, bevor ich meine Kapuze überstreifte und den Tempel verließ.

Der neue Schleier lag auf meiner Haut wie ein unsichtbarer Umhang, und trotz des Schmerzes in meiner Schulter, den ich als Preis für die Ahnenmagie gern hinnahm, fühlte ich mich besser als vor meiner Ankunft.

Ich eilte durch die Finsternis, ließ den Tempel zurück und war so in Gedanken versunken, dass ich den Mann erst bemerkte, als er direkt neben mir im Licht der Straßenlaterne auftauchte.

Ich keuchte erschrocken auf, stolperte ein paar Schritte zurück und ballte die Fäuste.

»Verzeiht.« Der Fremde hob seine Hände, wie um mich zu beruhigen. »Ich wollte Euch keine Angst einjagen.«

»Ich entschuldige mich für meine Furchtsamkeit. Mögen die Götter Euch auf Eurem Weg begleiten«, sagte ich argwöhnisch und umrundete ihn.

Sein Gesicht war von einer Totenkopfmaske verdeckt, die im Mondlicht glitzerte.

»Euch ebenfalls«, erwiderte er gedehnt. Er musterte mein Gesicht gründlich und ging dann in Richtung des Tempels.

Ich schaute ihm hinterher, und das quälende Gefühl, dass diese Begegnung kein Zufall war, ließ meinen Magen brennen.

Dieser Mann kam mir nicht bekannt vor. Sein Gang war selbstbewusst, aufrecht und zielstrebig. Er wandte sich nicht mehr um, und ich beschloss, dass es besser sei, so schnell wie möglich zu verschwinden. Was auch immer er hier abseits der Gassen der Königsstadt tat, ich wollte es nicht herausfinden.

Ich schlang den Mantel noch etwas fester um mich und lief schneller, bis ich in die Gassen der Königsstadt Alandras eintauchte und schließlich den Palast erreichte, mein Zuhause.

Der Vorplatz des Palastes war mit Tausenden von Rosen geschmückt, und das Licht der Laternen, die darüber aufgehängt worden waren, verdrängte die Dunkelheit.

Als ich mich unter die tanzenden Bewohner Alandras mischte, verflog das Unwohlsein in meiner Brust und ich wischte den Gedanken an den Fremden beiseite.

Das Ahnenfest war seit Stunden in vollem Gange und der Höhepunkt der Feier, eine Kraftdarstellung der stärksten Gardekrieger unseres Reiches, hatte bereits um Mitternacht stattgefunden. Es war der perfekte Zeitpunkt für mich gewesen, um mich unbemerkt zum Tempel fortzuschleichen.

Die prachtvollen Kleider der Gäste waren jetzt, zu solch später Stunde, schon mit Spuren von teurem Wein und süßen Früchten befleckt. Diese Nacht wurde im Gedenken an unsere Vorfahren gefeiert, durch die wir uns die Magie der Sonne und der Sterne zunutze machen konnten. Hierfür mussten wir einen Tribut zahlen, der normalerweise nicht so schmerzhaft war wie in meinem Fall.

Um mich herum blitzten eiserne und kupferne Armreife auf, mit denen die Magischen sich schmückten, so breit wie die Faust eines erwachsenen Mannes. Um ihre Magie nutzen zu können, benötigten sie eiserne oder kupferne Gegenstände, die ihre Kraft leiteten, ohne dass sie Narben davontrugen. Die Armbänder waren die mindeste Absicherung, doch zusätzlich trugen die meisten noch Schmuck mit sich. Oder sie hatten ihre Kleidung mit eisernen oder kupfernen Details ausschmücken lassen, wobei Gardisten eher Waffen bevorzugten.

Diejenigen unter den Gästen, die keine Armreife trugen, waren Menschen.

Ich drängte mich durch die Menge und musste lächeln, als mir Männer von allen Seiten Rosen in die Hände drückten. Das war eine alte Tradition, und am Ende meines Weges würde ich einen ganzen Blumenstrauß in den Armen halten. Es sollte Glück bringen, einer Totenbraut Rosen zu schenken, und da ich mit meinen dunkel geschminkten Augen, der blassen Haut und der Knochenbemalung auf meinem Gesicht eine solche darstellte, wurde ich mit Blumen regelrecht überhäuft. Auf meinem Kopf trug ich eine Krone, die ich schon vor Stunden mit Rosen geschmückt hatte.

Ich blieb vor einem der unzähligen Spiegel auf dem Festplatz stehen und steckte auch die neu hinzugekommenen Blumen an meine Krone, sodass sie immer größer und ausladender wurde. Die Musik des Orchesters, das sich am Rande der Feierlichkeiten positioniert hatte, wehte über den gesamten Festplatz.

»Hier hast du dich also versteckt!«

Arianas Stimme ließ mich herumfahren, und vor Schreck hätte ich fast die Rosen fallen lassen.

»Ariana, was machst du denn hier?«

Meine beste Freundin kicherte, was mit ihrer Totenbrautschminke seltsam grotesk aussah, und strich sich über ihren weiten dunkelroten Rock, der perfekt zu den roten Rosen auf ihrem Kopf passte.

»Ich wollte mich unter das Volk mischen«, erwiderte sie und schaute sich mit glitzernden Augen um. »Ich liebe diese Nächte und die Magie, die sie noch Tage später bei den Menschen hinterlassen.«

Ich lächelte sie an, schaute mich dann aber besorgt um. Ariana war mehr als meine beste Freundin, sie war die Tochter der Eisenkönigin, die gemeinsam mit dem Kupferkönig über unser Reich Alandra herrschte. Nicht dass sie Feinde gehabt hätte, aber eine Königstochter musste immer mit Gefahr rechnen.

»Bist du ganz allein unterwegs?«

In diesem Moment tauchte Cedrik auf, Arianas Verlobter, und überreichte ihr ein Glas mit einem rosa Getränk. »Natürlich ist sie das nicht. Ich habe ihr nur rasch etwas zu trinken geholt und sie nicht aus den Augen gelassen.«

Mit einem nachsichtigen Lächeln sah er auf seine Verlobte hinab. Es lag so viel Liebe in seinem Blick, dass ich mich peinlich berührt wieder den Blumen in meiner Hand zuwandte.

»Hallo, Cedrik«, sagte ich zu ihm, als er endlich aufgehört hatte, Ariana in aller Öffentlichkeit anzuschmachten. Seine Liebe zu ihr war schon seit Jahren so offensichtlich, dass es beinahe unangenehm wirkte.

»Fiana, schön, dich zu sehen«, begrüßte er mich, wie immer freundlich.

Dennoch lag in seinen Worten eine gewisse Distanz, die wohl etwas mit meinem Stand zu tun hatte. Schließlich war ich nur eine Bedienstete. Doch das störte mich nicht, ich war eher dankbar für diese Arbeit, die mir Sicherheit und Selbstständigkeit schenkte.

»Die Freude liegt ganz auf meiner Seite«, erwiderte ich höflich und wusste nicht, was ich sonst noch sagen sollte. Cedrik hatte eine Art an sich, die mich wortkarg machte. Das lag vermutlich daran, dass ich ihn unglaublich langweilig fand und ihn ungern zu einem seiner langen Monologe ermutigen wollte.

»Hast du schon mit jemandem getanzt oder jemand Interessantes kennengelernt?«, fragte Ariana neugierig. Sie hatte wohl bemerkt, dass das Gespräch stockte, schien es aber noch nicht beenden zu wollen.

Ich schaute auf die Blumen in meiner Hand und dachte an Tiara und den Fremden, der uns möglicherweise beobachtet hatte. Sofort stieg Sorge in mir auf, doch ich unterdrückte sie.

»Noch nicht«, beantwortete ich Arianas Frage, »aber glücklicherweise bleiben mir ja noch ein paar Stunden, bis der Sonnenaufgang das Fest beendet.«

Mein Blick wanderte umher und blieb an einem großen, breitschultrigen Mann hängen, der sich gerade einen Weg durch die Menge bahnte. Flatternde Angst regte sich in mir, als ich erkannte, dass es sich um den Fremden handelte, der mich vorhin überrascht hatte.

»Nun«, setzte Cedrik an, vielleicht um mir zu erläutern, dass der Höhepunkt des Festes längst überschritten war und dass es sich für eine Dame nicht geziemte, allzu lange hier zu verweilen. Ich sah kurz zu ihm hinüber, abgelenkt durch seine Stimme, und als ich wieder nach dem Fremden Ausschau hielt, war er verschwunden.

Ariana legte ihre Hand auf Cedriks Arm und lenkte damit seine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

»Ich denke, es ist an der Zeit, zu den Königen zu gehen und unseren Platz dort einzunehmen«, sagte sie mit so großer Ernsthaftigkeit, dass ich es ihr beinahe abgenommen hätte. Dabei wusste ich genau, wie gern sie noch ein wenig zwischen all den anderen Gästen umhergegangen wäre – ohne Cedrik als ständigen Schatten.

Der jedoch nickte sofort und sah dann zu mir. »Entschuldige uns bitte.«

»Eine schöne Totennacht euch«, sagte ich und grinste in Arianas Richtung.

»Bis morgen, und versprich mir, dass du wenigstens ein einziges Mal tanzt.« Sie lächelte und ließ sich von Cedrik wegführen, während ich ihr noch ein »Versprochen!« hinterherrief.

Sie steuerte direkt auf die Empore zu, wo die Eisenkönigin Sadira und der Kupferkönig Theon saßen und das lebhafte Treiben beobachteten.

»Dann bin ich ja genau zum richtigen Zeitpunkt hier erschienen«, ertönte eine Stimme neben mir, die mir einen Schauder über den Rücken jagte.

Langsam drehte ich mich um und fand mich dem Fremden gegenüber, den ich auf dem Rückweg vom Tempel getroffen hatte. Mein Herz schlug mit einem Mal viel zu schnell, und ich versuchte, mir meine plötzliche Atemlosigkeit nicht anmerken zu lassen. Was wollte er von mir?

Ich zwang mich ruhig zu bleiben und setzte ein Lächeln auf. »Was für ein Zufall.«

»Das war es eher nicht«, erwiderte er mit einem Grinsen. Es war voller Selbstvertrauen und wirkte gleichzeitig wölfisch und bedrohlich.

»Verfolgt Ihr mich etwa?«, fragte ich und umklammerte die Blumen in meiner Hand fester.

»Möglicherweise ja.«

»Weshalb?« Ich schluckte das Zittern in meinem Hals hinunter, was meiner Stimme einen dunklen Unterton verlieh.

»Aus Neugier und weil ich tausend Fragen habe, die mich beschäftigen. Wollen wir tanzen?« Er streckte mir eine Hand entgegen.

»Leider kann ich nicht«, entgegnete ich und hob zur Erklärung die Blumen in meiner Hand in die Höhe. »Vielleicht später, wenn ich fertig bin.«

Sein Mundwinkel zuckte, als würde er mir kein Wort glauben. Kurzerhand nahm er mir die Blumen ab und trat ganz nah zu mir. Kurz darauf spürte ich, wie er die Blumen an meiner Krone befestigte, während ich nur verwirrt auf seine Brust starrte. Sein Duft nach Holz, Rauch und Erde umfing mich, und ich war so fassungslos über seine Dreistigkeit, dass ich mich nicht wehrte. Innerhalb weniger Augenblicke war er fertig und wich mit einem siegesgewissen Lächeln einen Schritt zurück.

»Das wäre erledigt«, sagte er und reichte mir seine Hand. »Ein Tanz?«

»Seid Ihr ein Eiserner oder ein Kupferner?«, fragte ich mit einem ungenierten Blick auf sein Handgelenk. Doch sein Hemdärmel lag über seinen Armreifen und auf seinen Handrücken war eine Rose gemalt, weshalb ich das Zeichen nicht erkennen konnte. Wie seltsam, dass er seine Magie versteckte. Ein Mensch war er jedenfalls nicht, das konnte ich spüren.

»In dieser Nacht bin ich keines von beiden«, erwiderte er und auf seine Lippen legte sich ein umwerfendes Lächeln. »Denn jetzt möchte ich einfach mit einer faszinierenden und wunderschönen Dame tanzen, ohne dass Stand oder Magie zwischen uns stehen.«

Seine Worte ließen etwas in meinem Magen flattern. Hoffnung auf einen kurzen Moment Normalität. Als Frau, die einfach mit einem Mann tanzte. Etwas, das ich mir normalerweise verwehrte. Zart und so zerbrechlich. Ich hätte jetzt gehen sollen, doch stattdessen ergriff ich seine Hand. Neugier war schon immer meine Schwäche gewesen. »Gut, ein Tanz.«

Der Fremde lächelte wieder, als wären meine Worte eine durchschaubare Lüge, und führte mich durch ein Meer aus Blumenkronen und Totenkopfmasken. In der Mitte des Platzes blieb er stehen, dort, wo die Menge am dichtesten war, und zog mich an sich. Das hier war alles andere als schicklich.

Dennoch legte ich meine Hand auf seine Schulter und die andere in seine, die rau und stark war. Etwas an seiner Haltung und seinem Lächeln zog mich magisch an und ich wähnte mich in Sicherheit. Ein Tanz, mehr nicht. Was sollte ein Tanz schon anrichten, außer dass ich erfuhr, was er von mir wollte?

Wir bewegten uns zu der Musik, die immer langsamer wurde, und ich sah in seine dunklen Augen, die hinter der Maske beinahe schwarz wirkten. Ich würde ihn nicht erkennen, wenn ich ihn morgen unmaskiert auf der Straße treffen würde.

»Also habt Ihr mich verfolgt? Warum?«

»Nicht viele wenden einen Schleierzauber an sich an. Und Menschen sowieso nicht«, sagte er ohne Umschweife.

Ich schätzte seine Direktheit, auch wenn mir seine Worte eine Angst bereiteten, die ich kaum begreifen konnte.

»Es könnte doch sein, dass ich unter meiner Maske unsagbar hässlich bin.«

Der Fremde lachte plötzlich laut auf, und es dauerte einen Moment, bis er mir antwortete.

»Das bezweifle ich.«

»Ihr könnt mich doch kaum sehen«, entgegnete ich und musste schmunzeln, während meine Angst allmählich verging. Dennoch ahnte ich, dass ich vorsichtig sein musste. Er hatte den Zauber erkannt, den Tiara an mir gewirkt hatte. Das konnten nicht viele.

Der Fremde beugte sich zu mir und senkte seine Stimme vertraulich. »Eine so schöne Seele kann nur ein schönes Gesicht haben.«

Ich lehnte mich zurück, weg von ihm und seiner lockenden Stimme. »Was für eine oberflächliche Aussage.«

»Vermutlich.«

Ich hob meine Augenbrauen. »Also ist es Euch nicht unangenehm, zuzugeben, dass Ihr mich beobachtet habt? Ist die Heiligkeit eines Tempels nicht von Bedeutung für Euch?«

»Der Tempel selbst ist nicht heilig«, erklärte er. »Ich bin, ob Ihr es glaubt oder nicht, aus einem anderen Grund dort gewesen. Als ich Euch sah, siegte meine Neugier.«

»Und dann seid Ihr mir auch noch gefolgt?« Mir wurde äußerst unwohl, als ich begriff, was er da zugab.

»Natürlich«, erwiderte er mit einem Schulterzucken.

Mir wurde bewusst, dass ich einen Mann vor mir hatte, der immer bekam, was er wollte. Es war ein Fehler, mit ihm zu tanzen, denn nun würde er sich an mir festbeißen wie ein Wolf an seiner Beute.

Ich löste mich von ihm und wich zurück, gerade als das Lied endete. »Habt Dank für den Tanz, aber ich muss jetzt gehen.«

Er wirkte unbedarft, und doch sah ich nun die Gefahr in seinen Augen.

»Seid Ihr sicher?«, fragte er leise.

»Gute Nacht«, sagte ich. Dann lächelte ich ihn an, als wäre das hier nur ein harmloser Tanz gewesen, und verschwand zwischen den Gästen, noch bevor er etwas erwidern konnte.

Ich eilte durch die Gänge des Palastes wie ein gejagtes Tier, und erst als ich meine Kammer betrat, beruhigte ich mich ein wenig. Während ich mich im fahlen Licht meines kleinen Zimmers umkleidete, entfuhr mir ein atemloses Lachen. Wenigstens hatte ich mein Versprechen Ariana gegenüber eingehalten und auf dem Fest getanzt.

2. KAPITEL

EINE UNERFREULICHE BEGEGNUNG

Als ich am nächsten Morgen in Arianas Gemächer kam, um sie zu unserem morgendlichen Spaziergang abzuholen, fand ich statt meiner Freundin zunächst nur ihre Vertraute Dalia vor. Sie stand im Vorraum neben dem hellblau geblümten Sofa und musterte mich überheblich. Wie immer hatte sie ein Kleid an, das so eng war, dass ihre Brüste jeden Moment herauszuquellen drohten. Dalia war groß, schlank, wunderschön und das größte Biest, das mir jemals begegnet war.

»Wie erfreulich«, begrüßte sie mich mit vor Sarkasmus triefender Stimme. »Das gemeine Volk schließt sich uns also an.«

»Guten Morgen, Dalia«, sagte ich übertrieben fröhlich. »Ich bin sehr erleichtert, dich hier zu sehen. Deine Abwesenheit in letzter Zeit hat mich glauben lassen, du wärst längst an einen alten Adligen aus den Südlanden verkauft, ähm, verheiratet worden.«

Ihre Augen wurden frostig, als ich dieses Gerücht erwähnte, das tatsächlich eine Zeit lang in aller Munde gewesen war.

»Was für ein Glück, dass es nicht so weit gekommen ist«, fügte ich scheinbar arglos hinzu.

Sie kniff ihre Augen leicht zusammen, erwiderte überraschenderweise aber nichts.

Ich schenkte ihr ein schmallippiges Lächeln und wandte mich zur Tür von Arianas Ankleidezimmer, wo ich die Königstochter vermutete. »Wenn du so freundlich wärst …?«

Dalia zögerte und wich schließlich etwas beiseite, um mir den Weg frei zu machen. »Selbstverständlich. Ich sollte dich nicht von deinen Verpflichtungen abhalten.«

Ich erwiderte trotz ihres beißenden Tonfalls gelassen: »Arianas Gesellschafterin zu sein war noch nie eine Verpflichtung für mich.«

Dalia schnaubte leise. »Natürlich.«

Ich ging zur Tür, und tatsächlich hörte ich von drinnen Arianas Stimme.

»Fiana, du bist schon hier? Dann muss ich mich wohl verspätet haben.«

»Keine Sorge. Ich bin etwas früher dran als sonst«, versicherte ich ihr, während ich mich auf das Sofa setzte.

Arianas Gemächer waren sicher zehn Mal so groß wie mein eigenes Zimmer und verfügten über ein Bad, das Ankleidezimmer, ein Schlafzimmer und ein Gesellschaftszimmer.

»Den Göttern sei Dank!« Ariana lachte voller Erleichterung und redete dann leise mit ihrer Zofe, die offenbar gerade dabei war, sie anzuziehen. Ariana hasste nichts mehr als Unpünktlichkeit.

»Hast du das Totenfest genossen?«, fragte ich Dalia, um freundliche Konversation bemüht. Da ich im Palast aufgewachsen war, kannte ich Ariana seit meiner Kindheit. Und auch Dalia, deren Vater als einer der königlichen Berater im Palast arbeitete, war mir schon von Kindesbeinen an vertraut. Doch obwohl ich mich immer bemüht hatte, wenigstens ein zartes Freundschaftsband mit ihr zu knüpfen, hatte sie mich stets gehasst. Ich wusste nicht, aus welchem Grund, doch ich hatte mit der Zeit gelernt, ihren Hass zu ignorieren und damit umzugehen.

Dalia hatte sich inzwischen neben mir auf das Sofa gesetzt und warf mir einen hochmütigen Blick zu.

»Natürlich, das Fest war fantastisch. Und ich bin sicher, jenseits der privilegierten Königsränge war es bestimmt genauso nett.« Sie taxierte mich rasch. »Wie schade, dass nicht einmal du als Gesellschafterin dort sitzen darfst.«

Ich hatte ihr nicht gesagt, dass ich das nicht wollte, da mein Verschwinden in dieser magischen Vollmondnacht sonst zu schnell bemerkt worden wäre.

»Wie du siehst, habe ich diese Schmach problemlos verwunden«, erwiderte ich trocken und schaute wieder auf die Tür zu Arianas Ankleidezimmer, in der Hoffnung, dass sie sich dadurch ein wenig beeilen würde.

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Dalia unauffällig über ihren Handrücken strich. Ihre Haut war gerötet, sie versuchte wohl immer wieder, versteckte Magie in ihr zu finden. Diese Magie tauchte spätestens mit dem sechzehnten Lebensjahr auf und man konnte sie über ein Zeichen auf dem Handrücken erkennen. Eisenmagie bildete ein dunkles Mal in Form einer Mondsichel, Kupfermagie ein helles Mal wie eine Sonne.

Doch Dalias Handrücken zeigte keines dieser Zeichen. Sie schien ein Mensch zu sein. Seit zwei Jahren rieb sie immer wieder an ihrem Handrücken, als könnte sie damit das magische Zeichen heraufbeschwören. Dabei wussten wir alle, dass man nach dem sechzehnten Geburtstag keine magischen Fähigkeiten mehr entwickeln konnte. Doch Dalia ließ nicht locker. Ihre Hartnäckigkeit war faszinierend und mitleiderregend zugleich. Sie sollte besser aufgeben und akzeptieren, dass sie ein Mensch war. Es kam selbst in den mächtigsten Familien vor, dass eine Generation übersprungen wurde.

Dalias Blick fiel auf meinen blanken Handrücken und sie presste ihre Lippen für einen kurzen Moment zusammen. Vermutlich hasste sie den Gedanken, dass wir außer unserer Freundschaft zu Ariana noch etwas anderes gemeinsam haben könnten.

Ich verkniff mir ein Lächeln. »Na, hat es nicht geklappt?«

»Offensichtlich nicht«, zischte sie und verlor für einen Moment die Selbstbeherrschung. Hinter ihrer Maske sah ich ihre Schmach darüber, dass sie – die doch aus einer berühmten Eisenfamilie stammte – offenbar ein normaler Mensch zu sein schien.

»Du kannst es auch positiv sehen«, versuchte ich sie ehrlich aufzumuntern und lächelte sie wieder einmal freundlich an. »Auf diese Weise kannst du heiraten, wen auch immer du möchtest. Ob eisern, kupfern oder magielos ist dann nicht mehr von Belang.«

Dieses Recht war nur uns Menschen vorbehalten. Denn eine Verbindung zwischen den Eisernen und Kupfernen endete für beide Seiten oft mit dem Tod oder Schlimmerem – mit der Verwandlung in ein Monster. Dieses Risiko wollte niemand freiwillig eingehen.

»Denkst du jetzt etwa, du könntest mir dumme Ratschläge erteilen, Dienstmagd?«, spie mir Dalia entgegen. Ihre Wut ließ ihre Stimme beben. »Halte deine unnötigen Worte gefälligst zurück!«

»Ich bin eine Gesellschafterin und keine Dienstmagd mehr«, erwiderte ich langsam und deutlich. »Ich wurde schon vor einigen Jahren befördert, du Mensch.« Ich sagte es, als wäre es eine Beleidigung, und lächelte dabei süffisant, während ich in meiner Brust den Schmerz über ihren Hass verdrängte. Ich konnte es einfach nicht verstehen. Sosehr sie mich auch verletzte, ein kleiner Teil von mir wünschte sich, dass diese Kämpfe aufhörten. Doch während ich den Hass in ihrer Miene sah, wurde mir klar, dass dies wohl niemals geschehen würde.

Ich schlug meine Augen nieder und gönnte ihr diesen vermeintlichen Sieg über mich, denn ich entschuldigte ihr Verhalten mit ihrer Enttäuschung über ihre Magielosigkeit. Vielleicht war sie auch der Grund dafür gewesen, dass ihre Verlobung nicht zustande gekommen war. An der Spitze unserer Welt standen nur die Mächtigsten, so lautete das Gesetz. Und Adelige wählten nur selten Menschen als Partner, denn sie wollten eine möglichst starke Nachkommenschaft garantieren. Dalias Eltern versuchten schon seit ihrem sechzehnten Geburtstag, sie zu verheiraten. Doch obwohl es zahlreiche Anwärter für sie gab, zogen sich alle Interessenten spätestens nach Bekanntwerden ihrer Magielosigkeit zurück.

»Ich spüre Feindseligkeit in der Luft«, sagte Ariana, die gerade in einem eng geschnittenen Kleid aus dunkelblauem Baumwollstoff aus ihrem Ankleidezimmer trat und strahlend lächelte. Ihr breites eisernes Armband und die eisernen Stickereien auf ihrem Kleid glitzerten im Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster des Vorzimmers hereinfiel. Sie sah zwischen mir und Dalia hin und her und hob ihre Augenbrauen. »Tatsächlich. Ich verstehe nicht, warum ihr euch einfach nicht vertragen könnt.«

Weder Dalia noch ich antworteten ihr, weshalb Ariana seufzte und in Richtung Tür ging.

»Lasst uns gehen. Vielleicht vertreibt die Morgensonne diese fürchterlichen Spannungen zwischen euch.«

Wir folgten ihr, und es störte mich ungemein, dass ich hinter Dalia gehen musste. Ich war stolz auf das, was ich erreicht hatte. Meine Mutter war ebenfalls eine Bedienstete in diesem Palast gewesen, und sie war gestorben, als ich noch ein Kind war. Ich war hiergeblieben und hatte mich von der Küchenhilfe bis zur Gesellschafterin hochgearbeitet. Sicher war ein Teil meines Erfolgs auch meiner Freundschaft mit Ariana geschuldet, doch es waren harte, arbeitsreiche Jahre gewesen. Dass ich nun an Arianas Seite sogar zu offiziellen Veranstaltungen gehen durfte, war ein Privileg, von dem eine Waise wie ich normalerweise nur träumen konnte. Für Ariana zu arbeiten war das Beste, was mir hätte passieren können.

Ich reckte stolz mein Kinn, während ich hinter den beiden Frauen durch den Palast ging und dann hinaus in die Morgensonne trat. Die Luft hatte sich in den letzten Stunden merklich abgekühlt und dennoch wärmten die Sonnenstrahlen meine Haut.

Wir schlenderten an den Palastmauern entlang über das Kopfsteinpflaster, vorbei an frisch geputzten Fenstern, bis wir den Palastgarten mit seinen unzähligen Torbögen erreichten, an denen blühende Rosen emporwuchsen.

»Ist deine Mutter zuversichtlich wegen des Kronenkampfes?«, fragte Dalia und strich geradezu liebevoll über eine der Blüten.

»Sie freut sich auf die Kämpfe, und wie schon in den letzten Jahren hat sie keine Angst zu verlieren«, erwiderte Ariana und lachte leise, während sie ihr Gesicht der Sonne entgegenstreckte. »Unsere Gesetze besagen, dass nur der Stärkste den Thron besteigen wird. Sollte ihre Amtszeit mit diesen Kämpfen enden, hat das Götterpaar es so gewollt.«

»Wie selbstlos.« Dalia schmunzelte. »Sie wird danach sicher einen Platz im Beraterstab bekommen, sodass eure Familie im Palast bleiben kann.«

Ariana presste ihre Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Wenn Cedrik und ich heiraten, werden wir sowieso wegziehen. Seine Familie hat große Ländereien in den Nordlanden, um die er sich nach der Hochzeit kümmern möchte. Offenbar traut seine Familie den dortigen Bauern nicht«, fügte sie leise hinzu und verdrehte kaum merklich die Augen.

»Oh«, machte Dalia leise und runzelte ihre Stirn. »Cedrik ist ein guter Mann. Du wirst in einer Familie mit großem Reichtum, Macht und starker Magie leben.«

In ihrer Stimme lag die Sehnsucht nach einem Schicksal, das die meisten Damen für sich erhofften.

»Allerdings«, stimmte Ariana ihr leise zu und warf mir einen kurzen Blick zu.

Ich schwieg und zuckte nur mit den Schultern. Für mich stand eine Heirat sowieso nicht zur Diskussion.

»Heute sollen schon die ersten Krieger aus den Vorentscheiden in die Hauptstadt kommen«, lenkte Ariana das Thema wieder auf den bevorstehenden Kampf um den Eisenthron, der nur alle zehn Jahre ausgetragen wurde.

Der Kronenkampf um den Kupferthron würde in fünf Jahren wieder stattfinden.

Dalia lachte und klatschte in ihre Hände. Sie schien meine Anwesenheit vergessen zu haben, denn normalerweise war sie in meiner Gegenwart nie so gelöst.

»Ich freue mich schon so!«, jubelte sie.

»Warum? Hoffst du darauf, einen stattlichen Krieger kennenzulernen?«, fragte Ariana neckend.

Ich schmunzelte, als Dalia kicherte und ihre Schultern hob. »Bei einem magischen Turnier kann alles passieren.«

Ariana lachte nun auch. »Es wäre so wundervoll, wenn du dich verlieben würdest.«

»Das kann nur von einer wahren Romantikerin kommen«, erwiderte Dalia, die mich weiterhin ignorierte.

»Liebe kann wunderschön sein«, stimmte Ariana ihr zu, nun eine Spur leiser.

»Besonders wenn man einen perfekten Verlobten hat, der einen vergöttert.« Dalia seufzte und Schweigen breitete sich aus, während wir weiter die berühmten Rosenwege des Palastes entlangschritten. Sie schlängelten sich zwischen kniehohen Rosenbüschen hindurch, deren faustgroße Blüten weiß, rosa und dunkelrot blühten. Rosenbewachsene Torbögen spendeten Schatten, in dem ich leicht fröstelte. Bienen summten eifrig um uns herum, während kleine Vögel mit hellblauen Bäuchen über uns hinwegflogen und geschäftig zwitscherten.

Ariana schien etwas entgegnen zu wollen, schloss aber den Mund, als Dalia ein erschrockenes Geräusch entfuhr.

»Herrje! Ich habe den Anprobetermin für mein Kleid für die Eröffnungsfeier ganz vergessen! Die Schneiderin hat es umgenäht und nun muss ich es erneut anprobieren, damit es morgen Abend passt.« Sie griff nach Arianas Hand und drückte sie. »Entschuldige! Ich muss unseren Spaziergang hier abbrechen.«

»Keine Sorge«, beruhigte Ariana sie sofort. »Wir holen das nach.«

Dalia nickte und sah mich nicht einmal an, ehe sie sich umdrehte und in einem gerade noch schicklichen Tempo den Rosengarten verließ.

»Ich finde es wirklich schade, dass ihr euch so schlecht versteht«, sagte Ariana zu mir und hob leicht vorwurfsvoll ihre Augenbrauen.

»Du weißt, dass ich mich bemühe«, erwiderte ich schulterzuckend. »Aber sie hat kein Interesse an einer Freundin aus der Unterschicht.«

Ariana schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Du magst aus der Unterschicht stammen, aber als Gesellschafterin bist du doch längst unsere Freundin geworden.«

Ich nickte und wir setzten unseren Weg fort. »Dalia und ich werden uns sicher arrangieren.«

Die Königstochter seufzte leise, dann sah sie mich neugierig an. »Ich habe dich gestern tanzen sehen. Wer war dieser Mann?«

Bei der Erinnerung an den Tanz überlief mich ein eisiger Schauder. »Ich kenne ihn nicht. Es war ein Fremder, und wir haben auch nur diesen einen Tanz geteilt.«

»Schade, ich dachte, du hättest deine Meinung über Männer geändert und wir könnten uns für dich auf die Suche begeben.«

Ich stöhnte gespielt, was Ariana ein glockenhelles Lachen entlockte, das über den Rosengarten wehte.

»Meine Liebe, du bist im besten Alter. Bald werde ich …« Ihr Lachen verstummte und sie schluckte, bevor sie fortfuhr. »Du wirst wahrscheinlich eine andere Aufgabe hier bekommen, wenn ich nicht mehr in diesem Palast wohne. Vielleicht würde sich ja tatsächlich eine eigene Familie für dich anbieten.«

Ich warf ihr einen überraschten Seitenblick zu. »Solange ich mich nicht verliebe, werde ich auch nicht heiraten.«

Es klang so einfach, so logisch, und doch war es alles andere als das.

»Tja, die Liebe …«, flüsterte Ariana und sah zu dem Tor hinüber, das wir nun fast erreicht hatten. Es war der einzige Ausgang aus dem Palastgelände, das von einer drei Meter hohen Mauer umgeben war, die auch den Vorplatz miteinschloss, wo gestern Nacht die Toten gefeiert worden waren. Alle paar Meter waren kleine Türme in die Mauer gebaut, in denen Gardekrieger unseres Königreiches standen und für Sicherheit sorgten.

Von hier aus konnte ich einige von ihnen erkennen, aber nicht denjenigen, den Ariana gerade mit ihren Blicken suchte. Jemand, den sie liebte, aber angeblich längst hinter sich gelassen hatte.

Ich griff nach ihrem Arm und hakte mich bei ihr unter, um sie wegzuführen. Weg von den Erinnerungen, dem Schmerz und dem Wissen, dass es noch etwas anderes gab, als die Ehe mit Cedrik einzugehen, in der keine Liebe existierte.

Ariana wehrte sich nicht und legte ihre Hand auf meine. Vielleicht zum Dank. Aber vielleicht auch, um sich festzuhalten.

Die Sonne schien durch die deckenhohen Fenster und ließ feine Staubkörnchen in der Luft glitzern, als Ariana und ich nach unserem Spaziergang den Frühstückssalon betraten.

Außer den Bediensteten, die hinter dem Buffet standen und den Anwesenden Brötchen und Kaffee brachten, befanden sich noch König Theon und ein weiterer Mann im Raum. Sie saßen an dem Esstisch, der fast die gesamte Breite des Raumes einnahm und an dem zwanzig Personen Platz fanden. Hinter ihnen bewegten sich die tannengrünen Vorhänge im sanften Wind, der durch die geöffneten Fenster wehte. Links von uns, an der grün gestrichenen Wand, blickten die ernsten Augen der früheren Könige aus ihren Porträts auf uns herunter. Sie alle hatten hier gespeist, seit dem Tag, an dem das Reich der Kupfernen und der Eisernen zusammengeführt worden war und die Könige gemeinsam in diesem Palast regierten.

Ich knickste tief, ebenso Ariana. »Guten Morgen.«

»Guten Morgen«, rief König Theon ungewohnt fröhlich. Er war gerade dreißig Jahre alt geworden und schon seit fünf Jahren kupferner König. Er schien immer etwas nachdenklich zu sein und lächelte selten, was im starken Kontrast zu seinem Ruf als Herzensbrecher stand.

Jetzt aber strahlte er. Mit seinem dunklen Haar und seinen blauen Augen wirkte er äußerst verführerisch.

»Meine Damen …« Er erhob sich und sein Gast tat es ihm nach. »Darf ich Euch meinen Bruder Kayden vorstellen? Er ist Gardekrieger an der Nordmauer und für ein paar Tage bei uns zu Besuch. – Kayden, das sind Prinzessin Ariana und ihre Gesellschafterin Miss Fiana.«

Wir neigten höflich die Köpfe und Ariana sagte: »Es ist mir eine Freude. Seid Ihr für den Kronenkampf hier in der Königsstadt?«

Ich musterte Kayden. Er war so groß wie sein Bruder und ebenfalls dunkelhaarig. Doch seine Schultern waren breiter, seine Arme muskulös, und insgesamt war seine Haltung die eines Kriegers, zu der dieser feine Anzug, den er trug, irgendwie nicht passen wollte. Er wirkte einige Jahre jünger als sein Bruder, und ich musste zugeben, dass ich ihn unverschämt attraktiv fand.

Kayden schenkte Ariana ein Lächeln, das mich an etwas erinnerte, das ich aber nicht zuordnen konnte.

»Ein Besuch bei Euch war lange überfällig, seit mein Bruder den Thron bestieg. Aber die Arbeit an der Mauer und die Ausbildung der jüngeren Gardekrieger haben mich bisher davon abgehalten.«

Seine Stimme.

Mein Herz überschlug sich, als ich sie erkannte.

Es war der Wolf von gestern Nacht.

Der Fremde, der mich beobachtet und dann zu einem Tanz eingeladen hatte.

Innerlich ergriff mich die Panik. Ich versuchte nach außen hin ruhig zu bleiben, doch meine Finger bohrten sich in den weichen Stoff meines rostroten Rocks.

»Wie erfreulich, dass es dann zu einem so spannenden Anlass wie dem Kronenkampf endlich funktioniert hat.« Ariana lächelte ihn höflich an.

Kaydens Blick wanderte zu mir.

Ich hielt die Luft an, als er mich einen Moment lang ansah, als hätte er mich enttarnt, als wüsste er, wer ich war.

»Allerdings.« Mehr sagte er nicht.

Ich lächelte knapp und hoffte, er würde meine Wortkargheit für Schüchternheit halten.

»Wundervoll«, sagte Ariana. »Bitte, setzt Euch doch wieder. Wir werden uns gleich zu Euch gesellen.«

Ich war kurz davor, einfach wegzurennen. Ariana drehte sich zum Buffet und ließ sich von einem Bediensteten einen Teller anrichten.

Kaydens Blick löste sich von mir, als er sich setzte, und er lächelte geheimnisvoll.

Ich straffte meine Schultern. Er konnte mich nicht erkannt haben. Wie sollte er auch? Meine Schminke hatte mein Gesicht gestern Abend völlig verändert und meine Stimme hatte er bisher nicht gehört.

Ich zwang mich weiterzuatmen und ließ mir ebenfalls einen Teller herrichten.

Als auch Ariana und ich uns setzten, unterbrachen König Theon und Kayden ihr leises Gespräch.

Die Königstochter nahm einen Schluck von ihrem Traubensaft und ergriff wieder das Wort. »Ihr seid also an der Nordmauer stationiert? Wie ist die Lage dort im Augenblick? Wie ich hörte, gab es kürzlich einige Beschädigungen an dem Mauerwerk.«

Kaydens Augen wurden dunkel und er nickte. »Die Dragen führen vermehrt Angriffe auf die Mauer durch, was ungewöhnlich für diese warme Jahreszeit ist. Eigentlich müssten sie genug Beute in den umliegenden Wäldern finden. Doch wir haben die Lage unter Kontrolle und konnten auch die Schäden umgehend reparieren.«

»Wundervoll«, sagte Ariana wieder, nun mit deutlich weniger Enthusiasmus. »Wie genau geht das vonstatten? Immerhin müsst Ihr für eine Reparatur auf die andere Seite der Mauer und begebt Euch damit in größte Gefahr. Wenn ich fragen darf …«, fügte sie schnell hinzu, mit einem kurzen Blick in König Theons Richtung.

Dieser nickte milde und schien ihr nicht übel zu nehmen, dass sie das Gespräch an sich riss. Glücklicherweise war der König um einiges entspannter als der vorherige Kupferkönig. Während dessen Amtszeit war jede gemeinsame Mahlzeit zu einer Strategiesitzung mit flammenden Reden über die Notwendigkeit der Auslöschung aller Dragen geworden.

Als wäre das überhaupt möglich. Es gab unzählige von diesen Monstern. Sie waren nahezu unsterblich und jedes Lebewesen hinter der großen Mauer fürchtete sich vor ihnen. Ihre menschenähnliche Haltung, Größe und Statur erinnerten daran, dass sie selbst einst Menschen gewesen waren. Frauen und Männer, die sich mit Andersmagischen eingelassen hatten, verwandelten sich nämlich in Dragen, sobald die Magie des jeweils anderen sich gegen ihre eigene wendete. Eiserne und Kupferne wurden deshalb bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr streng vom anderen Geschlecht getrennt und durften danach höchstens oberflächliche Freundschaften pflegen. Auch wenn Kinder noch keine Dragen werden konnten, wäre die Gefahr zu groß, dass sie eine tiefe Zuneigung entwickelten, die später gefährlich für sie werden konnte. Denn solche Verbindungen endeten immer mit dem Tod oder mit der Verwandlung in eines dieser fleischfressenden Monster.

Mir lief ein kalter Schauder den Rücken hinunter. Und als hätte Kayden meine Gedanken gelesen, wanderte sein Blick zu meinem leeren Handrücken, der mich als Mensch kennzeichnete.

Er selbst trug ein kreisförmiges Mal und einen kupfernen Armreif – er war wie sein Bruder eindeutig ein Kupferner.

Dann beantwortete Kayden endlich Arianas Frage.

»Wir lenken die Dragen ab«, erklärte er. »Wir locken sie weg, um die Reparaturen schnellstmöglich durchführen zu können. Dies kann einige Tage dauern, aber am Ende sind wir immer erfolgreich.«

»Ein Glück, dass wir mutige Gardekrieger haben, die sich dieser Gefahr stellen«, sagte Ariana lächelnd.

Auch ich war diesen Männern dankbar. Die Mauer war schon mehrere Hundert Jahre alt, so alt wie unser Königreich Alandra, und dementsprechend anfällig für Angriffe. Bevor sie erbaut wurde, waren Tausende Menschen in dem großen Krieg zwischen den Eisernen und Kupfernen sowie durch zahlreiche Dragenangriffe gestorben. Die Verluste waren auf allen Seiten so hoch gewesen, dass die Menschen sich aus eigener Kraft kaum noch vor den Dragen schützen konnten.

Kurz darauf wurden die damaligen Herrscher gestürzt und man beschloss die Zusammenlegung der beiden Reiche. Das große Königreich Alandra wurde geschaffen und eine riesige Mauer errichtet, die alle darin beschützen sollte.

Kurz nach dem Zusammenschluss der Reiche wurden die Kronenkämpfe eingeführt, um einen würdigen König für Alandra zu finden. Denn nur die Stärksten durften dieses Reich regieren, um den Frieden dort für immer zu erhalten. Dabei regierten die beiden Könige das Reich gemeinsam, um niemals auch nur den Anschein zu erwecken, einer der zwei Magischen könnte stärker sein als der andere.

Arianas Mutter, Königin Sadira, war eine Eiserne und seit zwei Amtszeiten Königin, da sie die stärkste aller eisernen Kriegerinnen war und schon zwei Kronenkämpfe gewonnen hatte. Ich hoffte, dies würde auch für ihre nächste Amtszeit so bleiben. Sie war eine gute Königin und das Volk respektierte sie.

König Theon klopfte seinem Bruder nun anerkennend auf die Schulter, bevor er sich wieder zu uns drehte. »Ich möchte keineswegs unhöflich sein, aber ich muss Kayden jetzt zu einem Ausritt entführen.«

»Tut das«, erwiderte Ariana sofort. »Das Wetter ist herrlich.«

»Einen schönen Vormittag wünsche ich Euch«, sagte der König zu uns und die beiden Brüder standen auf.

»Es ist mir ein Vergnügen, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben«, sagte Kayden höflich.

»Ganz meinerseits.« Ariana wartete ab, bis die beiden den Raum verlassen hatten, und wandte sich dann mit funkelnden Augen mir zu. »Er ist süß, oder?«

»Sicher«, erwiderte ich und begann endlich zu essen. »Aber leider bist du schon verlobt.«

Sie grinste breit und listig. »Ich rede hier nicht von mir.«

Ich hob fragend meine Augenbrauen.

»Komm schon! Tu doch nicht so. Du bist selten derart wortkarg, nein, geradezu stumm in der Gegenwart eines Mannes.«

»Ich hatte nichts zu sagen«, wehrte ich ab und nahm einen Bissen von meinem Gebäckstück.

»Willst du etwa behaupten, dass er dir nicht gefällt?«

Ich spürte, dass mir die Röte ins Gesicht stieg.

»Er ist sehr attraktiv«, gab ich schließlich zu. »Aber das sagt kaum etwas über seinen Charakter aus, also hör bitte auf, in Gedanken schon den Schnitt meines Brautkleids zu planen!«

Sie spitzte die Lippen. »Dabei wärst du so eine schöne Braut.«

Ihre Worte stachen mir mitten ins Herz. Ich nahm mein Messer, um etwas Marmelade auf meinem Gebäck zu verteilen, nur um meine Hände beschäftigen zu können.

»Gut, ich werde nichts weiter dazu sagen«, versprach Ariana. »Aber wenigstens habe ich jetzt den Beweis dafür, dass es doch jemanden in diesem Reich gibt, der deine Aufmerksamkeit erregen kann. Ich hätte mir ja denken können, dass es ein Gardekrieger ist. Die meisten von ihnen sind so stattlich und gut gebaut. Findest du nicht auch?«

Ich sah sie warnend an und warf dann einen kurzen prüfenden Blick zu den Bediensteten hinüber, die hinter dem Frühstücksbuffet standen. Sie starrten stur geradeaus, aber mir war bewusst, dass sie nicht taub waren. Immerhin hatte ich lange genug an ihrer Stelle gestanden und die interessanten Gespräche meiner Dienstherren belauscht.

»Ja, so einer wäre perfekt für mich«, erwiderte ich in der Hoffnung, sie würde endlich schweigen.

Doch ihr verträumter Blick wanderte zu den Fenstern, hinter denen die Morgensonne immer höher stieg. »Ich mag auch ihre Uniformen sehr.«

Bevor ich etwas erwidern konnte, wurde die Tür aufgestoßen. Einen Moment lang schienen alle Anwesenden den Atem anzuhalten, denn im Türrahmen stand Königin Sadira. Ihr blondes Haar war zu einem strengen Knoten im Nacken zusammengebunden und auf ihrem Haupt thronte die Krone der Eisernen. Ihre schlanke Figur wurde von einem hellblauen Kleid betont, das mit eisernen Ringen verziert war. Sie stießen bei jeder Bewegung aneinander und erzeugten ein leises metallisches Klirren.

Während die Königin ihren Blick durch den Raum schweifen ließ, richteten sich alle Frauen auf, um kurz darauf in einen tiefen Knicks zu sinken. Gleichzeitig neigten die Männer ihre Köpfe.

Ich atmete tief durch, um das Summen ihrer Magie zu vertreiben, die sich im Raum ausbreitete und mich zu erfassen schien.

Königin Sadira ließ sich einen Moment Zeit, bevor sie uns bedeutete, wieder aufzustehen.

Ich verharrte so lange neben meinem Stuhl, bis ein Diener den Frühstücksteller für die Königin zusammengestellt und ihr gebracht hatte. Während sie ihm genaue Anweisungen gab, strahlten ihre langsamen und zugleich präzisen Bewegungen eine ungeheure Autorität aus.

Erst als sie sich auf einem Stuhl niederließ, setzten auch wir uns wieder.

»Ariana, wie laufen die Vorbereitungen für deine Hochzeit?«, fragte Königin Sadira. Sie griff nach ihrer Teetasse und nahm einen kleinen Schluck daraus. Nicht eine Sekunde lang unterbrach sie den Augenkontakt zu ihrer Tochter. Sie war genauso gefürchtet wie beliebt, und es ging das Gerücht um, sie könne einem Menschen in die Seele sehen und seine Geheimnisse mit einem einzigen Wimpernschlag enthüllen.

Ariana versteifte sich leicht neben mir. »Gut. Es ist alles in bester Ordnung.«

»Ausgezeichnet.« Die Königin lächelte ihre Tochter voller Zuneigung an, was sie in der Öffentlichkeit niemals tat. »Dann werden wir nach dem Kronenkampf eure Vermählung feiern – egal, wie er ausgeht.«

Ariana nickte mit einem Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte, und das Thema Kayden war endgültig vom Tisch.

3. KAPITEL

DES WOLFES NEUGIER

Den restlichen Tag verbrachten Ariana und ich in der königlichen Bibliothek mit unseren Studien. Seit Beginn der Amtszeit ihrer Mutter wurde Ariana durch einen der Magister unterrichtet, und ich als ihre Gesellschafterin durfte an diesen Lehrstunden teilnehmen. Während Ariana die Geschichte der Reiche, Heilkräuter und magische Künste studierte, brachte man mir das Lesen und Schreiben bei. Meine Mutter hatte so viel arbeiten müssen, dass sie es mich in meiner Kindheit nicht lehren konnte. In Alandra wurden Kinder meist von ihren Eltern unterrichtet, denn einen Magister konnten sich nur wenige leisten. Meine Mutter war eine Küchenmagd gewesen, und ich durfte ihr hin und wieder bei der Arbeit helfen, auch wenn ich die meiste Zeit damit beschäftigt war, mit Ariana durch den Palast zu streifen.

»Miss Fiana, arbeitet sauberer!« Magister Ron, ein hagerer Mann mit schiefer Nase, riss mich aus meinen Gedanken. Er blickte ernst auf mein Übungsblatt herunter. »Man kann nicht einmal erkennen, ob Ihr die Heilige Schrift oder ein Gardeprotokoll abschreibt.«

Ich sah auf meinen Text und musste ihm leider recht geben. »Entschuldigt, Magister Ron, ich werde es noch einmal machen und mich bemühen.«

Der Magister ging zu Ariana, die in einem Buch lesen sollte.

»Prinzessin Ariana, da Euer letzter Überraschungstest erschreckend schlecht ausgefallen ist, müssen wir die Grundlagen wohl noch einmal durchgehen.«

Er wandte sich von ihr ab und sie verdrehte in meine Richtung die Augen. Ich unterdrückte ein Schmunzeln und starrte auf meine Abschriften. Ron war ein griesgrämiger alter Mann, aber ich wusste zu schätzen, dass ich an seinem Unterricht teilnehmen durfte.

»Beginnen wir mit der Geschichte der Eisernen. Wie sind sie entstanden?«

Ich raschelte mit meinen unbeschriebenen Blättern, lauschte aber neugierig, als Ariana sich räusperte, und begann unsere Geschichte zu erzählen.

»Die Welt und die Menschen wurden von dem Gott Damin und der Göttin Aneta erschaffen, denn sie waren der Himmel und die Erde. Sie liebten einander und schon bald gebar die Göttin zwei Kinder, die Mitu und Karai hießen und das Licht und die Dunkelheit waren. Auch die beiden Kinder mochten sich sehr, trotz ihrer Gegensätzlichkeiten. Sie wuchsen heran und Mitu verliebte sich in eine Menschenfrau.«

Mein Stift schwebte über dem Papier und ich war wie gebannt von ihren Worten, die von einer Liebe erzählten, die ich mir kaum vorstellen konnte. Ein Gott und ein Mensch? Das klang so verrückt und gleichzeitig romantisch. Ich kannte diese Geschichte in- und auswendig und konnte sie dennoch immer wieder hören.

»Karai war eifersüchtig auf die Liebe, die ihr Bruder für die Menschenfrau empfand, denn sie war reiner als die Liebe zu seiner Familie. Deshalb schenkte Karai der Geliebten seines Bruders vergiftete Blumen. Als die Menschenfrau daran roch, sog sie einen Teil von Karais Magie ein und erhielt dadurch die magischen Kräfte des Lichts. Als Mitu sich mit seiner Geliebten traf und sah, dass sie die Kräfte seiner Schwester in sich trug, brach es ihm das Herz. Denn dadurch wurde ihre Vereinigung unmöglich. Die Kräfte des Lichts und der Dunkelheit sind so gegensätzlich, dass etwas Schreckliches entsteht, wenn man sie mischt.«

Ariana machte eine Pause und schluckte schwer. Auch ich bekam bei dem Gedanken an die grausamen Dragen, die sich aus einer solchen Vereinigung bildeten, einen flauen Magen.

»Mitu sah, dass seine Geliebte immer mächtiger wurde, und spürte mit einem Mal das Ungleichgewicht auf der Erde. Deshalb schenkte er einen Teil seiner Kräfte einem anderen Menschen, der diese Unausgewogenheit ausgleichen sollte. Karai empfand diese Tat als Kriegserklärung und übergab ihre Magie ebenfalls einigen Menschen. Das Unglück war nicht mehr aufzuhalten: Schon bald begannen die Menschen mit ihren neuen magischen Fähigkeiten einen Krieg, der jahrzehntelang andauerte.«

Ich fragte mich noch immer, warum Aneta und Damin, die Eltern der beiden, die Machenschaften ihrer Kinder so lange tatenlos mit ansahen. Die Menschen hatten in Frieden gelebt  – bis die Magie alles verdarb.

»Die Menschen vermehrten sich und vererbten ihre Kräfte von Generation zu Generation weiter. Doch Karais und Mitus Nachkommen sind monsterartige Wesen, zornig und ohne Seele.«

Die Dragen. Ich erzitterte und umklammerte meinen Stift fester.

»Aneta und Damin liebten die Menschen und konnten ihnen dennoch nicht helfen. Aber sie ließen ihnen die Kräfte ihrer Kinder, damit sie gegen die Monster kämpfen konnten, um sich selbst zu helfen. Die Geschwister hingegen, Mitu und Karai, wurden auf ewig getrennt, sie wurden zum Tag und zur Nacht und durften sich nur wenige Minuten morgens und abends berühren. Die Nachfahren Karais tragen die Kräfte der Nacht in sich, die Magie der Sterne und des Mondes. Sie sind die Eisernen. Der Mond ist ihr Symbol, denn wenn er am höchsten steht, ist ihre Macht am stärksten. Die Nachfahren Mitus dagegen tragen die Kräfte des Tages in sich, die Magie der Sonne und ihre Wärme. Sie sind die Kupfernen. Ihr Symbol ist die Sonne, und wenn sie im Zenit steht, ist die Zeit ihrer stärksten Magie.«

Ariana sah auf die dunkle Mondsichel auf ihrem Handrücken und lächelte. »Diese Kräfte wurden von Generation zu Generation weitergeben. Damit können wir die Monster bekämpfen und uns schützen«, schloss sie ihre Zusammenfassung.

Magister Ron nickte langsam und schaute auf seinen eigenen leeren Handrücken. Nur Menschen konnten Magister werden, denn sie waren unvoreingenommener als Eiserne und Kupferne, wie sich in den letzten Jahrhunderten herausgestellt hatte.

»So ist es«, bekräftigte er Arianas Worte. »Und wie erhalten die Eisernen und Kupfernen ihre Markierungen?«

»Durch ein magisches Ritual, das an ihrem sechzehnten Geburtstag durchgeführt wird. Es offenbart, ob sie die Magie von ihrem Vorfahren geerbt haben.«

Ich hätte die Antwort auch gewusst, doch mich fragte er nicht. Das tat er nie.

»Magister Ron«, ertönte es plötzlich vom Eingang der Bibliothek her.

König Theons Stimme ließ die Haltung des Magisters sofort noch steifer werden als zuvor. Er fuhr herum. »König Theon!«

Auch ich richtete mich auf. Aber nicht wegen des Königs, sondern wegen seines Bruders Kayden, der hinter ihm in die Bibliothek kam. Alles an ihm strahlte Stärke und Selbstbewusstsein aus.

»Ich hoffe, wir stören nicht«, sagte König Theon und nickte uns höflich zu.

»Aber natürlich nicht!« Die Stimme des Magisters überschlug sich fast. »Was kann ich für Euch tun, Eure kupferne Majestät?«

»Ich wollte Euch für meinen Bruder um eine kleine Führung durch den Palast bitten. Aber wie ich sehe, seid Ihr derzeit beschäftigt. Wir können später noch einmal kommen.«

»Aber nicht doch«, beeilte sich der Magister zu erwidern und deutete auf Ariana. »Es wäre für unsere Prinzessin die perfekte Gelegenheit, das Gelernte anzuwenden. Und ihre Gesellschafterin übt sowieso nur einfache Schreibtätigkeiten, nichts, was man nicht nachholen könnte.«

Ich hob beleidigt meine Augenbrauen, und während Ariana ein zögerliches »Sehr gerne« antwortete, hörte ich Kayden leise lachen. Seine hellen Augen glitzerten, während seine Lippen zu einem halben Lächeln verzogen waren. Machte er sich etwa über mich lustig?

Ich warf ihm einen warnenden Blick zu, bevor mir klar wurde, was ich da tat, und ich wieder eine neutrale Miene aufsetzte.

»Wunderbar!« Magister Ron drehte sich zum König und klatschte begeistert in die Hände. »Dann gibt es jetzt eine Führung durch den Palast.«

Wir erhoben uns und ich schaute zu meiner Freundin hinüber, die sich nicht anmerken ließ, ob sie diesen Überfall gut oder schlecht fand. Erst als die Herren vorausgingen und wir die Bibliothek verließen, warf sie mir einen bedeutungsvollen Blick zu.

Ich unterdrückte ein Lächeln und Ariana räusperte sich, dass es an den hohen steinernen Decken des Korridors widerhallte.