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Beschreibung

Jetzt noch einmal schnell nach Kuba, bevor alles anders ist ? Was ist eigentlich dran an diesem Satz, der seit Ende 2014 häufig zu hören ist ? Wie ist der sozialistische Inselstaat zu dem geworden, was er heute ist ? Wie sehen das die Kubanerinnen und Kubaner selbst? Und wie geht es dort jetzt weiter ? In diesem Buch gehen sechzehn Autor*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz solchen Fragen nach, darunter viele junge Menschen, die längere Zeit in Kuba verbracht haben. Vorurteilen begegnen sie mit in Europa wenig bekannten Fakten und eigenen Erfahrungen. Das Ergebnis sind Beiträge zu einer Vielzahl von Themen: Wie wirken sich die aktuellen Entwicklungen auf Kuba im Alltag aus ? Gibt es dort noch Rassismus und welche Rolle spielt der Umweltschutz ? Wo kommen all die Oldtimer her und wie wird im Sozia­lismus gearbeitet? Wie steht es um die Rechte der Frauen, wie um die von Homosexuellen ? Wie »frei« ist das Internet und wie demokratisch sind die Wahlen ? Welche Rolle spielt Kuba in Südamerika und wie entwickelt sich das Verhältnis zu den USA? Warum wandern viele Kubaner*innen aus und wie steht es um Meinungsfreiheit und Menschenrechte ? Eine spannende Lektüre für alle Kuba-Interessierten und eine gute Einstimmung für Reisende.

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Seitenzahl: 131

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Kuba im Wandel

16 Erfahrungsberichte

herausgegeben vonVolker HermsdorfPaula Klattenhoff Lena KreymannTobias Salin

2017 Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund

Inhalt

Kopiererlaubnis
Vorwort
»Wer Urlaub mit Marx und Engels machen will, sollte sich sputen.«
Der hohe Wert der Unabhängigkeit
Die Beziehung zum Nachbarn im Norden
Von Demokratien und Diktaturen
Über den Missbrauch der Menschenrechte
Medienlandschaft im Umbruch
Ein Beispiel für Lateinamerika
Die Jugend als Objekt der Begierde
Schmelztiegel der Kulturen statt Rassismus
Migration – kein kubanisches Phänomen
Schicke Autos und bröckelnder Putz
Arbeiten für alle statt für die Aktionäre
Selbstbewusste Frauen in der Macho-Welt
Queer? Keine Selbstverständlichkeit
Die Mühen mit dem Internet
Weltspitze bei der Nachhaltigkeit
Nachwort
Die Autor*innen
Personen und Themen
Impressum

© Dieses elektronische Buch ist urheberrechtlich geschützt!

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Wenn Sie noch Fragen haben, was denn »faire Kopien« sind, schreiben Sie einfach eine Mail an [email protected] .

(Und nun wollen wir Sie nicht weiter beim Lesen stören…)

(Diese Seite ist absichtlich fast leer.)

Wenn Herr K. einen Menschen liebte

»Was tun Sie«, wurde Herr K. gefragt, »wenn Sie einen Menschen lieben?« – »Ich mache einen Entwurf von ihm«, sagte Herr K., »und sorge, dass er ihm ähnlich wird.« – »Wer? Der Entwurf?« – »Nein«, sagte Herr K., »der Mensch.«

Bertolt Brecht

Vorwort

Alle sprechen über Kuba, denn viele zurückkehrende Tourist*innen haben einiges zu berichten. Sie haben sich schließlich mit zwei Zimmervermieter*innen, drei Taxifahrer*innen, einem »Latin-Lover« und einer Prostituierten unterhalten und wissen jetzt, dass das beste an Kuba die Zigarren, die weißen Strände, die Musik und der Rum sind.

Bürgerliche Medien berichten regelmäßig über eine vermeintliche Diktatur auf Kuba und den – aus ihrer Sicht überfälligen – »Prozess der Öffnung«. Westliche Regierungschefs echauffieren sich über angebliche Menschenrechtsverletzungen und politische Gefangene, die sie nicht in der von den USA besetzten Bucht von Guantánamo, sondern auf dem Rest des Eilandes verorten. Gleichzeitig behaupten dogmatische Theoretiker*innen, dass die kleine Insel sich schon längst vom Sozialismus verabschiedet hätte und meinen, der Kommunistischen Partei Kubas sagen zu müssen, wie das Land richtig zu regieren sei. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie wissen es besser. Sie glauben, die Insel genauer als die elf Millionen Einwohner*innen zu kennen und sie wollen nicht von den Erfahrungen der Kubaner*innen, sondern Kuba soll von ihnen lernen.

Die sechzehn Autor*innen dieses Buches haben einen anderen Anspruch. Wir wollten ein Buch für Menschen schreiben, die Kuba wirklich kennenlernen und verstehen wollen. Uns allen gemeinsam ist eine tiefe Verbundenheit zu der kleinen sozialistischen Insel, die kontinuierlich Widerstand leistet in der riesigen kapitalistischen Welt. Die meisten von uns haben mehrere Monate bis Jahre auf Kuba gelebt, studiert oder gearbeitet, alle kennen wir Kuba von Reisen, die sich – abseits vom Tourismus – mit Themen auseinandergesetzt haben, die die Menschen im Land berühren und betreffen. Dennoch maßen wir uns nicht an zu behaupten, das Land besser zu kennen als die kubanische Bevölkerung. Es liegt uns fern zu belehren, verurteilen oder zu verklären – wir meinen, dass wir einen Einblick in das kubanische Leben und die sozialistische Gesellschaft gewähren können. So ist ein Mosaik aus Erfahrungen entstanden, die natürlich subjektiv sind, aber an vielen Stellen durch Zahlen und Fakten untermauert werden und versuchen, das Erlebte in ein gesellschaftliches Gesamtbild einzuordnen. Kuba zeigt uns tagtäglich, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte und eine andere Welt möglich ist. Für diese Erfahrung danken wir all den Menschen, die auf Kuba an dem Aufbau einer gerechteren Gesellschaft ohne Ausbeutung und Krieg arbeiten und mit ihrem Wissen weltweit – solidarisch mit den Ärmsten dieser Erde – im Einsatz sind. Wir erinnern an die kubanischen Ärzt*innen, die in den Ebola-Gebieten ihr Leben riskiert haben; an die kubanischen Lehrer*innen, die hunderttausenden Menschen in Südamerika und Afrika das Lesen und Schreiben beibringen und an die gefallenen Freiheitskämpfer*innen, die revolutionäre Bewegungen weltweit unterstützten. Am 25. November 2016 ist der wohl bedeutendste Revolutionär, Humanist und Staats-Präsident unserer Zeit von uns gegangen: Fidel Castro Ruz. Ihm, den die Kubaner*innen stolz ihren Comandante en Jefe nennen, widmen wir dieses Buch.

Paula Klattenhoff

»Wer Urlaub mit Marx und Engels machen will, sollte sich sputen.«

Man könnte meinen, das Zitat stamme aus einem beliebigen Artikel, der seit 2014 über Kuba veröffentlicht worden ist – tatsächlich schrieb das Wochenmagazin Der Spiegel diese warnenden Worte bereits 2006 [➚1]: »Jetzt nochmal schnell nach Kuba, bevor alles anders ist«. Einige Kubaner würden sagen, dass diese Stimmung schon seit den neunziger Jahren besteht. Nicht wenige machen sich darüber lustig, weil die Medien immer und immer wieder das Ende des Sozialismus prophezeien und damit ordentlich den Tourismus ankurbeln. So stark wie seit 2014, als Barack Obama und Raúl Castro die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Kuba verkündeten, ist der Boom jedoch noch nie gewesen.

Glaubt man den deutschen Massenmedien, wird Kuba bald von US-amerikanischen Touristen überschwemmt. »Hilfe sie kommen!« titelte die ZEIT im August 2015 [➚2]. Dahinter steckt die Angst, es würde auch der letzte Fleck der Erde mit McDonalds-, Subway- und Kentucky-Fried-Chicken-Filialen zugepflastert werden und es bliebe nichts mehr übrig von dem authentischen Kuba. Diese Angst ist aber nur die eine Seite.

Auf der anderen stehen selbsternannte Kuba-Experten, die belegen wollen, wie sehr sich Kuba unter dem neuen Einfluss der USA verändert hätte. Sie reden von dem Einzug der Privatwirtschaft, von Reisefreiheit für Kubanerinnen und Kubaner und der Ausbreitung der Einheitskultur des Kapitalismus. All das bedroht ihr romantisches Bild der Karibikinsel mit den verfallenden Kolonialbauten, alten Autos und guten Zigarren. Einige von ihnen sorgen sich vielleicht wirklich um das Bestehen des Sozialismus, den das Land seit so vielen Jahre verteidigt.

Die Angst vor dem Verlust der Authentizität Kubas ist ebenso berechtigt wie unberechtigt: Der Tourismus nimmt seit Jahren zu. Dem Nationalen Büro für Statistik und Information zufolge bereisten in der ersten Jahreshälfte 2016 11,7  Prozent mehr Menschen die Insel als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Dieser Trend hält seit 2007 an: Seitdem hat sich die Besucherzahl fast verdoppelt.

Wie Land und Leute sich verändern

Natürlich hinterlässt eine solche Entwicklung ihre Spuren: Die Infrastruktur ist ausgelastet, Geschäfte und Restaurants richten sich nach den Bedürfnissen der Touristen und das Ökosystem leidet. Für die Besucher ist das nur dann dramatisch, wenn sie fürchten müssen, keine Unterkunft mehr zu bekommen, ohne Monate im Voraus zu planen. Deutsche Reiseunternehmen raten ihren Kunden inzwischen davon ab, nach Kuba zu reisen, weil das Land nicht mehr in der Lage sei, die gestiegene Nachfrage zu bedienen. Der Ansturm, noch immer konzentriert auf ein paar wenige Städte, zieht durchaus die Authentizität in Mitleidenschaft.

Was es bedeutet, wenn Kubas atemberaubende Schönheit weltberühmt wird, habe ich selbst während meines Aufenthalts dort erlebt: Ich stehe in Trinidad und suche nach einer Pizzeria mit echter kubanischer Pizza. Anfangs fand ich die halbrohen Teiglappen mit verdünnter Tomatensauce und ungewöhnlich stark an Plastik erinnerndem Käse eher abstoßend. Doch inzwischen habe ich sie lieben gelernt und stapfe nun verzweifelt durch die Straßen dieser mir unbekannten Stadt. Ich finde WiFi-Cafés, einen Stand, der italienische Paninis verkauft, und dutzende Restaurants, die nur darauf warten, dass ich mein Geld in Speisen investiere, die ich auch in Deutschland bekommen könnte. Auf der Suche nach einem Ortskundigen, treffe ich nur auf Angestellte von Restaurants, Taxifahrer, Schmuckverkäufer, Betreiber von Souvenirshops und Touristenführer, aber auf niemanden, der so wirkt, als würde er hier wohnen.

Viele Kubaner*innen können sich die Preise in den touristischen Gebieten schon lange nicht mehr leisten. Sie verlassen ihre Viertel aber auch, um ihre Wohnungen als schicke AirBnB-Apartments zu vermieten. Kein Wunder, dass ich keine Stände mit kubanischem Essen finde, wenn hier kaum noch jemand wohnt, der so etwas konsumieren würde.

Entwicklung des Tourismus auf Kuba von 1990–2015Besucher pro Jahr

Diese Situation hat sich binnen kürzester Zeit noch verschärft. Doch sind es in der Vergangenheit nicht vorrangig die US-Amerikaner gewesen, sondern die Kanadier und Europäer, die sich breitmachten an Kubas Stränden und in der Altstadt von Havanna. Mehr als 777.000 Kanadier und mehr als 500.000 Europäer kamen zwischen Januar und Juni 2016 nach Kuba [➚3]. Im gleichen Zeitraum waren es weniger als 137.000 US-Amerikaner.

Will man sich darüber informieren, warum aus den Vereinigten Staaten kaum Besucher kommen, liest man immer nur, dass es nicht erlaubt sei. Nur hartnäckige Recherche offenbart, dass dieses Verbot nicht etwa von Kuba ausgeht, sondern von den USA. Es gibt eine Liste von zwölf legalen Reisemotiven – Tourismus zählt nicht dazu. Nur wer beispielsweise eine Bildungsreise oder eine Pilgerfahrt plant, darf sich in eines der Linienflugzeuge setzen, die seit kurzem wieder zwischen den beiden Staaten verkehren. Solange Washington daran nichts ändert, ist es unwahrscheinlich, dass die US-Amerikaner Kuba zu ihrem neuen Erholungsparadies machen können. Doch warum besteht diese Regelung noch immer, wenn doch Obama und Castro im Dezember 2014 angekündigt hatten, das Verhältnis ihrer beiden Staaten zueinander normalisieren zu wollen?

Um genau zu sein, war es der 17. Dezember, als beide Staatschefs zur gleichen Zeit ihre Reden vortrugen. Ich war zu diesem Zeitpunkt mit mehr als zehn Professoren meiner Fakultät in einen kleinen Raum vor einen Röhrenfernseher gequetscht und sah mir die Live-Übertragung an. Obwohl ich schon ein paar Monate in Havanna war, verstand ich nicht alles, was gesagt wurde. Aber ich spürte, dass gerade etwas Bedeutendes vor sich ging. Als die Reden ein zweites oder drittes Mal ausgestrahlt wurden, holte irgendjemand eine Flasche Wein. Inmitten einer Schar von Kubanern umklammerte ich einen Plastikbecher, nippte an dem recht bitteren Getränk und versuchte, den aufgeregten Gesprächen zu folgen. Später wurde mir klar, dass ich nicht die einzige war, die nicht so richtig verstand, was vor sich ging. Keiner war sich im ersten Moment sicher, ob das nun gute oder schlechte Nachrichten waren. Alle waren hin- und hergerissen zwischen Freudenausbruch und Angst. Erst als ich die Rede von Obama am Tag darauf nochmal in Ruhe nachlesen konnte, erkannte ich, was die Leiterin des kubanischen Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP), Gladys E. Ayllón Oliva, eingängig zusammengefasst hat: »Die USA ändern zwar ihre Methoden, aber doch nicht die Ziele ihrer Politik.« [➚4] Der Krieg gegen den Aufbau des Sozialismus auf Kuba geht weiter.

Die USA haben erkannt, dass die über 50 Jahre alte Politik der Isolation nicht wirksam war – auch, weil es zu viele andere Länder gab, die sich mit Kuba solidarisiert haben. Doch dafür gleich einen auf beste Freunde machen? Das ginge zu weit. Zugeständnisse gibt es vor allem in den für Washington relevanten ökonomischen Bereichen und dort, wo kleine Veränderungen dazu beitragen können, dass sich das Ansehen der USA verbessert und die oberflächlichen Reize eines kapitalistischen Systems in den Fokus gerückt werden können. So soll die kubanische Bevölkerung Stück für Stück die USA nicht mehr als Unterdrücker, sondern als wohlgesinnten Partner wahrnehmen. Die gemeinsame Geschichte soll vergessen werden, das wünschte sich Obama.

Deshalb wurde Kuba von der Liste der Staaten gestrichen, die den Terrorismus befördern. Erst danach konnten die beiden Länder diplomatische Beziehungen zueinander aufnehmen. In Washington und Havanna wurden Botschaften eröffnet. Die Liste an legalen Reisemotiven für US-Amerikaner wurde erweitert und Kubaner dürfen Bankkonten in den Vereinigten Staaten eröffnen. Theoretisch dürfen mittlerweile auch Transaktionen in US-Dollar gemacht werden, doch kaum eine Bank ist dazu bereit – aus Angst vor Sanktionen. Im Rahmen der Wirtschaftsblockade werden sie regelmäßig von den USA gegen Firmen verhängt, die mit der sozialistischen Insel Geschäftsbeziehungen eingehen.

Sozialismus in kapitalistischer Welt

Am härtesten trifft diese Blockade jedoch die dortige Bevölkerung: »Es gibt keinen Bereich in Kuba, der nicht unter den Folgen der Blockade leidet. Ihre Anwendung wirkt sich auf die Dienstleistungen, den Gesundheits- und Bildungsbereich, die Wirtschaft, die Preise, die Löhne, die Ernährung und die soziale Siche­rung aus« [➚5], erklärte dazu der Außenminister Kubas Bruno Rodríguez. Laut einem Bericht der kubanischen Botschaft in Deutschland vom September 2016 verursachte die Wirtschaftsblockade zwischen April 2015 und April 2016 Schäden in Höhe von 753.688.000 US-Dollar.

Die Blockade besteht bis heute. Auch wenn im Oktober 2016 in der UN-Generalversammlung erneut 191 Länder für die Aufhebung der Blockade gestimmt haben und sogar die Vereinigten Staaten selbst sich erstmals enthielten, hat dies den Kongress der USA bis heute nicht dazu bewogen, sie aufzuheben. Und trotzdem war Obama im Dezember 2014 so dreist zu erklären: »Heute wollen die Vereinigten Staaten als Partner das Leben der normalen Kubaner ein bisschen einfacher machen, freier und wohlhabender.« Da kann man sich die berechtigte Frage stellen, warum er nicht mit der Maßnahme beginnt, die das Leben der Kubaner am stärksten negativ beeinträchtigt: der Wirtschaftsblockade.

So richtig zu spüren bekommen haben die Kubaner diese Blockade erst nach dem Niedergang der europäischen sozialistischen Staaten Anfang der 90er Jahre, da ihnen dadurch nahezu alle relevanten Handelspartner weggebrochen sind. Durch die enge Zusammenarbeit mit den sozialistischen Staaten im »Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe« hatte das Land zuvor keine eigene Industrie benötigt. Die entstandene Lücke in den Handelsbeziehungen konnte der kleine Inselstaat nicht füllen. Seitdem befindet sich die kubanische Wirtschaft in einer Phase, die sie »Spezialperiode in Zeiten des Friedens« nennen und die bis heute viele schmerzhafte Entbehrungen mit sich bringt.

Die Wirtschaft des Landes musste also wieder zum Laufen gebracht werden, damit ein angemessener Lebensstandard für die gesamte Bevölkerung inklusive der großen Errungenschaften wie das kostenlose Gesundheits- oder Bildungssystem finanziert werden konnte.

Den Sozialismus aufzubauen in einer kapitalistischen Welt, deren größter Player es sich zur Aufgabe gemacht hat, ihn zu zerstören, ist mehr als schwierig. Hinzu kommen die mangelnde Ausnutzung vorhandener Ressourcen, Planungsmängel, geringe Effektivität und Korruption. So wurde 2010 ein umfassender Plan der »Aktualisierung« zur Diskussion in die Bevölkerung gegeben und nach einem beeindruckenden demokratischen Prozess im Jahr 2011 beschlossen. Dessen Ziel ist es, die Ausgaben des Staates zu reduzieren, Exporte zu erhöhen, Importe durch eigene Produkte zu ersetzen und so letztlich Kapazitäten für die Entwicklung der Produktionsmittel, zur Erhöhung der Produktivität, freizusetzen. Viele Veränderungen der letzten Jahre beruhen also auf der Entschlossenheit der kubanischen Bevölkerung, wirtschaftlich eigenständig und handlungsfähig zu werden – und nicht etwa darauf, dass Obama sich dazu entschlossen hat, ihnen die »Hand der Freundschaft« zu reichen. Die Angst vor dem Wandel, die so viele Touristen auf die kleine Insel treibt, ist also vielmehr die Angst vor Schritten, die Kuba sich selbst vorgenommen hat. Den vermeintlichen »morbiden Charme« des Landes aufrecht erhalten zu wollen, vernachlässigt das Entwicklungsbedürfnis des Landes selbst. Es ist der egoistische Wunsch von denen, die sich den Traum von der Fahrt im alten amerikanischen Straßenkreuzer an der Karibikpromenade erfüllen wollen, ohne zu berücksichtigen, dass Kuba mit modernen, sparsamen Autos besser dran wäre.

Kuba verändert sich. Aus unterschiedlichen Perspektiven kann man das kritisch betrachten, etwa, wenn durch die Zunahme der Privatwirtschaft die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird. Oder wenn die zunehmenden kapitalistischen Elemente die berechtigte Frage aufwerfen, wie es mit dem Aufbau des Sozialismus weitergehen soll. Aber die Errungenschaften der letzten Jahre – hier sei nur die Erhöhung der Löhne oder der Ausbau des Internets genannt – sind zunächst einmal Ausdruck des Rechtes auf eigenständige Entwicklung, das Kuba zusteht.

↑1 Diaz, Rigoberto (2006): Kommunismus, Last Minute, Der Spiegel, 07.08.2006. http://www.spiegel.de/reise/fernweh/tourismus-in-kuba-kommunismus-last-minute-a-430489.html

↑2 Fischermann, Thomas (2015): Hilfe, sie kommen!, Zeit Online, 09.08.2015. http://www.zeit.de/2015/30/kuba-usa-botschaft-havanna

↑3 Rechnet man aus den 18 Ländern, aus denen die meisten TouristInnen nach Kuba kamen, die der acht europäischen Länder zusammen, kommt man auf diese Zahl. Quelle: Oficina Nacional de Estatística y Información (2016): Turismo internacional. Indicadores seleccionados.

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