Kubismus - Guillaume Apollinaire - E-Book

Kubismus E-Book

Guillaume Apollinaire

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Beschreibung

Kubismus

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Seitenzahl: 166

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Text: Guillaume Apollinaire, Dorothea Eimert, Anatoli Podoksik

Redaktion der deutschen Ausgabe: Klaus H. Carl

Layout:

Baseline Co. Ltd

61A-63A Vo Van Tan Street

4. Etage

Distrikt 3, Ho Chi Minh City

Vietnam

© Parkstone Press International, New York, USA

© Confidential Concepts, Worldwide, USA

© Alexander Archipenko, Artists Rights Society, New York, USA

© Georges Braque Estate, Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris

© L&M Services B.V. Amsterdam 20051203

© Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris/ Succession Marcel Duchamp

© Albert Gleizes Estate, Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris

© Henri Laurens Estate, Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris

© Henri Le Fauconnier

© Fernand Léger Estate, Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris

© Jacques Lipschitz

© Jean Metzinger Estate, Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris

© Estate of Pablo Picasso/ Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris

© Jacques Villon Estate, Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris

Weltweit alle Rechte vorbehalten.

Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen.

Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.

ISBN: 978-1-78310-348-5

Guillaume Apollinaire, Dorothea Eimert, Anatoli Podoksik

Inhalt

I. Gründungstext:Die Maler des Kubismusvon Guillaume Apollinaire

II. Was bedeutet Kubismus?

Kubismus, Materialität und Collage

Picasso und Braque finden das‘populäre’Bild

Wertigkeit von Material

Die Collage

Auch im Umfeld des Kubismus: Simultaneität

III. Picasso und der Kubismus

Neue Bildsprache

Die Poetik der Metaphern

Subjektivität

Surrealität oder die Skulptur im Bild

Psychologische Realität

Synthetischer Kubismus

Der Mystizismus Picassos

Wichtige Künstler des Kubismus

Pablo Picasso (1881, Málaga – 1973, Mougins)

Georges Braque(Argenteuil-sur-Seine, 1882 - Paris, 1963)

Fernand Léger (Argentan, 1881 - Gif-sur-Yvette, 1955)

Juan Gris (Madrid, 1887 - Boulogne-Billancourt, 1927)

Marcel Duchamp (1887, Balinville – 1968, Neuilly-sur-Seine)

Jacques Villon (Gaston Émile Duchamp)(Damville, 1875 - Puteaux, 1963)

Jacques Lipchitz (1891, Druskieniki (Litauen) – 1973, Capri)

Raymond Duchamp-Villon (1876, Damville – 1918, Cannes)

Henri Laurens (1885-1954, Paris)

Alexander Archipenko (Kiew, 1887 - New York, 1964)

Jean Metzinger(Nantes, 1883 - Paris, 1956)

Albert Gleizes(Paris, 1881 - Saint-Rémy-de-Provence, 1953)

Robert Delaunay und Sonia Delaunay-Terk(Paris, 1885 - Montpellier, 1941 und Gradizsk (Ukraine), 1885 - Paris, 1979)

Henri Le Fauconnier(Hesdin, 1881 - Paris, 1946)

Bibliographie

Index

Anmerkungen

Pablo Picasso,Les Demoiselles d’Avignon, 1907.

Öl auf Leinwand, 243,9x233,7cm.

The Museum of Modern Art, New York.

I. Gründungstext: Die Maler des Kubismus von Guillaume Apollinaire

Pablo Picasso,Weibliche Büste (Studie für Les Demoiselles d’Avignon), 1907.

Öl auf Leinwand, 58,5x46cm.

Musée Picasso, Paris.

I.

DIE Tugenden der bildenden Form: die Reinheit, die Einheit und die Wahrheit halten die gebändigte Natur im Zaum. Vergebens spannt man den Regenbogen, die Jahreszeiten erschauern, die Menschenmassen stürzen dem Tod entgegen, die Wissenschaft löst das Existierende auf und setzt es wieder zusammen, die Welten entfernen sich auf immer von unserer Vorstellung, unsere beweglichen Bilder wiederholen sich oder erwecken ihr Unbewusstes, die Farben, die Gerüche, die Geräusche, die man heranführt, erstaunen uns, worauf sie aus der Natur entschwinden.

DIESES Ungeheuer der Schönheit ist nicht ewig. Wir wissen, dass unser Atem keinen Beginn hatte und nicht aufhören wird, aber wir gewahren vor allem die Erschaffung und das Ende der Welt.

Indessen beten noch allzuviele Maler die Pflanzen, die Steine, die Welle oder die Menschen an.

Man gewöhnt sich schnell an die Versklavung durch das Geheimnis. Und die Knechtschaft bringt schließlich süße Mußestunden hervor.

Man lässt die Arbeiter das Universum beherrschen, und die Gärtner haben weniger Ehrfurcht vor der Natur als die Maler. Es wird Zeit, Herr zu sein. Der gute Wille verbürgt keineswegs den Sieg.

Diesseits der Ewigkeit tanzen die sterblichen Formen der Liebe, und der Name der Natur fasst ihre verworfene Zucht zusammen.

DIE Flamme ist das Symbol der Malerei, und die drei Tugenden der bildenden Form flammen, indem sie erstrahlen.

Der Flamme eignet die Reinheit, die nichts Fremdes duldet und grausam in sich selber verwandelt, was sie erfasst.

Ihr eignet jene magische Einheit, die bewirkt, dass, wenn man sie teilt, jedes Flämmchen der einzigen Flamme gleicht.

Ihr eignet schließlich die erhabene Wahrheit ihres Lichts, das niemand leugnen kann.

DIE tugendhaften Maler dieser abendländischen Epoche sind allen Naturkräften zum Trotz auf ihre Reinheit bedacht.

Sie ist das Vergessen nach dem Studieren. Und damit ein reiner Maler sterben könnte, müssten alle seine Vorgänger in den verflossenen Jahrhunderten nicht existiert haben. Die Malerei reinigt sich, im Abendlande, mit jener idealen Logik, welche die alten Maler an die neuen weitergaben, als wenn sie ihnen das Leben schenkten.

Und das ist alles.

Der eine lebt in Freuden, der andere im Schmerze, die einen verzehren ihr Erbteil, andere werden reich, und wiederum andere haben nur das Leben.

Und das ist alles.

Man kann seines Vaters Leichnam nicht überall mit sich herumtragen. Man lässt ihn in Gesellschaft der anderen Toten zurück. Und man gedenkt seiner, man vermisst ihn, man spricht von ihm mit Bewunderung. Und wenn man Vater wird, darf man nicht darauf rechnen, dass eines unserer Kinder um unseres Leichnams willen als Stellvertreter auftreten möchte.

Doch unsere Füße lösen sich nur vergeblich vom Boden, welcher die Toten birgt.

DIE Reinheit betrachten, heißt den Instinkt taufen, heißt die Kunst vermenschlichen und die Persönlichkeit vergöttlichen.

Die Wurzel, der Stengel und die Lilienblüte zeigen das Fortschreiten von der Reinheit bis zu ihrem symbolischen Erblühen.

ALLE Körper sind gleich vor dem Lichte, und ihre Verschiedenheiten ergebensich aus jener lichten Macht, die nach Belieben aufbaut.

Wir kennen nicht alle Farben, und jeder Mensch erfindet deren neue.

Doch der Maler muss sich vor allem das Schauspiel seiner eigenen Göttlichkeit schenken, und die Bilder, die er der Bewunderung der Menschen darbietet, werden ihnen den Ruhm verleihen, dass auch sie, für einen Augenblick, ihre eigene Göttlichkeit ausüben können.

Hierfür gilt es die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft mit einem Blick zu umspannen. Die Leinwand muss jene wesentliche Einheit sehen lassen, die allein die Ekstase hervorruft.

Dann wird nichts Flüchtiges zum Zufall hinreißen. Dann werden wir nicht plötzlich nach rückwärts gelangen. Als freie Zuschauer werden wir nicht unser Leben preisgeben wegen unserer Neugier. Die falschen Salzhändler des äußeren Scheins werden unsere Salzstatuen nicht an der Zollschranke der Vernunft vorbeischmuggeln.

Wir werden nicht in die unbekannte Zukunft hineinirren, die von der Ewigkeit getrennt ist und nur ein Wort darstellt, das der Versuchung des Menschen dient.

Wir werden uns nicht verausgaben, um die allzu flüchtige Gegenwart zu erhaschen; sie kann für den Maler nur die Maske des Todes: die Mode sein.

DAS Bild wird unweigerlich existieren. Die Schau wird ganz, vollständig sein, und ihre Unendlichkeit wird, statt etwas Unvollkommenes zu kennzeichnen, nur die Beziehung eines neuen Geschöpfes zu einem neuen Schöpfer hervortreten lassen, und nichts sonst. Anderenfalls wird es keine Einheit geben, und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Punkten der Leinwand und verschiedenen Geistern, verschiedenen Gegenständen, verschiedenen Lichtern werden dann nur eine Vielfalt unzusammenhängender Dinge ohne Harmonie sein.

Denn wenn es auch eine unendliche Zahl von Geschöpfen geben kann, deren jede ihren Schöpfer bezeugt, ohne dass irgendeine Schöpfung die Ausdehnung all der anderen, zugleich existierenden beeinträchtigte, ist es doch unmöglich, sie zur selben Zeit wahrzunehmen, und ihre Gegenüberstellung, ihre Vermischung, ihre Liebe wirken tödlich.

Pablo Picasso,Akt (Büste), 1907.

Öl auf Leinwand, 61x46,5cm.

Eremitage, Sankt Petersburg.

Georges Braque,Der große Nackte, 1907-1908.

Öl auf Leinwand, 142x102cm. Privatsammlung.

Pablo Picasso,Stehender Akt, 1908.

Öl auf Leinwand, 27x21cm.

Musée Picasso, Paris.

DIE Reinheit und die Einheit zählen nicht ohne die Wahrheit, die man nicht mit der Wirklichkeit vergleichen kann, da sie identisch ist, – die Wahrheit außerhalb aller Naturdinge, die sich bemühen, uns in der unseligen Ordnung zurückzuhalten, in der wir nur Tiere sind.

VOR allem sind die Maler Menschen, die unmenschlich werden wollen.

Sie suchen mühselig nach Spuren der Unmenschlichkeit, wie man sie nirgends in der Natur findet. Diese Spuren sind die Wahrheit, und außerhalb ihrer kennen wir keinerlei Wirklichkeit.

DOCH wird man niemals die Wirklichkeit ein für alle Mal entdecken. Die Wahrheit wird immer neu sein.

Sonst ist sie nur ein elenderes System als die Natur. In diesem Fall würde die erbärmliche Wahrheit jeden Tag ferner, undeutlicher, unwirklicher werden und die Malerei auf die Rolle einer plastischen Handschrift beschränken, die lediglich dazu bestimmt wäre, die Beziehungen zwischen Leuten der gleichen Rasse zu erleichtern.

In unseren Tagen würde man schnell die Maschine finden, um solche Zeichen verständnislos zu reproduzieren.

II.

VIELE neue Maler malen nur Bilder, auf denen kein eigentliches Sujet zu sehen ist. Und die Benennungen, die man in den Katalogen findet, spielen dann die gleiche Rolle wie Namen, die Menschen bezeichnen, ohne sie zu charakterisieren.

Ebenso wie es Dickmanns gibt, die recht mager sind, und Leblonds, die recht dunkel sind, habe ich Bilder mit dem Namen Einsamkeit gesehen, auf denen mehrere Personen dargestellt waren.

In derartigen Fällen versteht man sich noch zuweilen dazu, Worte zu gebrauchen, die nur eine unbestimmte Erklärung geben, wie Porträt, Landschaft, Stillleben; doch viele junge Maler verwenden lediglich die allgemeine Vokabel: Malerei.

Wenn diese Maler auch noch die Natur beobachten, so ahmen sie sie doch nicht mehr nach und vermeiden sorgfältig die Darstellung beobachteter und durch Studium rekonstruierter natürlicher Szenen. Die Wahrscheinlichkeit hat keinerlei Bedeutung mehr, denn alles opfert der Maler den Wahrheiten, den Notwendigkeiten einer höheren Natur, die er voraussetzt, ohne sie zu entdecken. Das Sujet zählt nicht mehr, oder wenn es noch zählt, so doch nur wenig.

Die moderne Kunst verschmäht im allgemeinen die meisten gefälligen Mittel, wie sie die großen Künstler der vergangenen Zeiten verwendet haben.Wenn das Ziel der Malerei auch stets das gleiche ist wie ehedem die Augenweide, so verlangt man doch von nun an vom Liebhaber, dass er nicht die gleiche Freude daran findet, wie sie ihm genau so gut auch das Schauspiel der natürlichen Dinge gewähren könnte.

MAN bewegt sich derart auf eine völlig neue Kunst zu, die für die Malerei das Gleiche bedeuten wird, was man bisher schon als Funktion der Musik gegenüber der Literatur angesehen hatte.

Sie wird reine Malerei sein, ebenso wie die Musik reine Literatur ist.

Wenn der Musikfreund ein Konzert hört, so empfindet er ein Wohlgefallen, das anderer Art ist als das Wohlgefallen, wie es ihm natürliche Geräusche bereiten: etwa das Plätschern eines Bachs, das Tosen eines Wasserfalls, das Pfeifen des Windes im Walde oder die auf die Vernunft und nicht auf die Ästhetik gegründeten Harmonien der menschlichen Sprache.

Ebenso werden die neuen Maler ihren Bewunderern künstlerische Eindrücke verschaffen, die lediglich der Harmonie der ungleichen Lichter zu verdanken sind.

BEKANNT ist die Anekdote von Apelles und Protogenes, die sich bei Plinius findet.

Sie kennzeichnet deutlich das ästhetische Wohlgefallen, wie es nur aus jener ungleichen Anordnung hervorgeht, von der ich gesprochen habe.

Apelles besucht eines Tages die Insel Rhodos, um die Werke des Protogenes, der dort wohnte, anzuschauen. Protogenes war nicht in seinem Atelier, als sich Apelles dorthin begab. Eine Alte befand sich dort und hütete eine große Tafel, die schon zum Malen hergerichtet war. Statt seinen Namen zu hinterlassen, zieht Apelles auf der Tafel einen so dünnen Strich, daß man nichts Gelungeneres hätte sehen können.

Als Protogenes heimgekehrt war, bemerkte er die Skizze, erkannte, daß sie von der Hand des Apelles stammte, und zog über dem Strich einen Strich von anderer Farbe, der noch feiner war; so glaubte man drei Striche nebeneinander zu sehen.

Apelles kam am folgenden Morgen nochmals zurück, ohne den anzutreffen, den er suchte, und die Feinheit des Strichs, den er an diesem Tage zog, versetzte Protogenes in Verzweiflung. Dieses Bild erweckte lange die Bewunderung der Kenner, die es mit dem gleichen Wohlgefallen betrachteten, als hätte es, statt nahezu unsichtbare Striche darzustellen, Götter und Göttinnen wiedergegeben.

DIE jungen Maler der radikalen Schulen sind insgeheim bestrebt, reine Malerei zu treiben. Es ist das eine völlig neue bildende Kunst. Sie steht erst in ihren Anfängen, und ist noch nicht so abstrakt, wie sie sein möchte. Die meisten neuen Maler betreiben zwar Mathematik, ohne davon zu wissen und ohne sie zu kennen, aber sie haben noch nicht die Natur verlassen, die sie geduldig befragen, damit sie ihnen den Weg zum Leben weise.

Ein Picasso studiert ein Objekt wie ein Chirurg, der einen Leichnam seziert.

Wenn es dieser Kunst der reinen Malerei gelingen sollte, sich völlig von der alten Malerei freizumachen, so wird das nicht notwendig deren Verschwinden zur Folge haben, genau so wenig wie die Entwicklung der Musik zum Verschwinden der verschiedenen literarischen Gattungen führte, genau so wenig wie die Schärfe des Tabaks den Geschmack der Gewürze ersetzte.

III.

MAN hat den neuen Malern ihre Beschäftigung mit geometrischen Fragen sehr zum Vorwurf gemacht. Indessen machen die geometrischen Figuren das Wesen der Zeichnung aus. Die Geometrie, als Wissenschaft, die sich mit der Ausdehnung, ihrem Maß und ihren Beziehungen befasst, war zu allen Zeiten die eigentliche Richtschnur der Malerei. Bisher genügten die drei Dimensionen der euklidischen Geometrie den Sorgen, mit denen die Empfindung des Unendlichen die Seele der großen Maler erfüllt.

Die neuen Maler haben sich genau so wenig wie ihre Vorgänger vorgenommen, Mathematiker zu sein. Doch kann man sagen, daß die Geometrie das Gleiche für die bildenden Künste bedeutet, was die Grammatik für die Schriftstellerei ist. Heutzutage halten sich nun aber die Gelehrten nicht mehr an die drei Dimensionen der euklidischen Geometrie. Die Maler wurden auf ganz natürliche Weise und sozusagen durch Intuition veranlasst, sich um die neuen möglichen Maße der Ausdehnung zu kümmern, – Maße, die man in der Sprache der modernen Ateliers insgesamt und abgekürzt mit dem Begriff der vierten Dimension

Pablo Picasso,Brot und Obstschale auf einem Tisch, 1908-1909.

Öl auf Leinwand, 164x132,5cm.

Kunstmuseum, Basel.

Georges Braque,Die Fabriken von Rio Tinto in L’Estaque, 1910.

Öl auf Leinwand, 65x54cm.

Musée national d’Art moderne,

Centre Georges-Pompidou, Paris.

Georges Braque, Krug und Violine, 1909-1910.

Öl auf Leinwand, 117x73,5cm.

Kunstmuseum, Basel.

Pablo Picasso, Weiblicher Akt, 1910.

Öl auf Leinwand, 187,3x61cm.

National Gallery of Art, Washington, D. C.

SO wie sie sich dem Geiste darstellt, vom Gesichtspunkt der bildenden Künste aus, wäre die vierte Dimension aus den drei bekannten Maßen hervorgegangen: sie verkörpert die Unendlichkeit des Raums, die in einem bestimmten Augenblick nach allen Richtungen hin Ewigkeit erlangt. Sie ist der Raum selber, die Dimension des Unendlichen; sie verleiht den Gegenständen ihre Plastizität. Sie weist ihnen die Proportionen an, die ihnen im Werke gebühren, während beispielsweise in der griechischen Kunst ein in gewissem Sinne mechanischer Rhythmus unaufhörlich die Proportionen zerstört.

Die griechische Kunst hatte von der Schönheit eine rein menschliche Vorstellung. Sie nahm den Menschen zum Maß der Vollkommenheit. Die Kunst der neuen Maler nimmt das unendliche Weltall zum Ideal, und diesem Ideal verdankt man ein neues Maß der Vollkommenheit, das es dem Maler erlaubt, dem Gegenstand Proportionen zu verleihen, wie sie dem Grade an Plastizität, zu dem er ihn erheben möchte, gemäß sind.

Nietzsche hatte die Möglichkeit einer solchen Kunst geahnt:

„Oh Dionysos, Göttlicher, warum ziehst du mich an den Ohren?” fragte Ariadne einmal bei einem jener berühmten Zwiegespräche auf Naxos ihren philosophischen Liebhaber. „Ich finde eine Art Humor in deinen Ohren, Ariadne: warum sind sie nicht noch länger?” (Götzendämmerung)

Als Nietzsche diese Anekdote berichtet, macht er durch den Mund des Dionysos der griechischen Kunst den Prozess.

Wir wollen noch diesen Einfall hinzufügen: Die vierte Dimension war nichts anderes als eine Bekundung der Sehnsucht, der Unruhe zahlreicher junger Maler, welche die ägyptischen Skulpturen, die Plastiken aus Afrika und der Südsee betrachteten, über die Werke der Wissenschaft nachsannen und eine erhabene Kunst erhofften, während man heute dieser utopischen Äußerung, die festgehalten und erklärt zu werden verdiente, nur ein gewissermaßen historisches Interesse entgegenbringt.

IV.

DA sie die Proportionen des Ideals erreichen möchten und sich dabei nicht auf die menschliche Natur beschränken, schenken uns die jungen Maler Werke, die eher zerebral als sinnhaft sind. Sie entfernen sich mehr und mehr von der alten Kunst der optischen Illusionen und der örtlichen Proportionen, um die Größe der metaphysischen Formen auszudrücken. Deshalb eignen der Kunst der Gegenwart, wenn sie sich auch nicht unmittelbar aus bestimmten religiösen Glaubensvorstellungen herleitet, mehrere Wesenszüge der großen Kunst, das heißt der religiösen Kunst.

V.

DIE großen Dichter und die großen Maler haben die soziale Funktion, dass sie ständig das äußere Bild erneuern müssen, welches die Natur in den Augen der Menschen annimmt.

Sonia Delaunay-Terk, Die Prosa von derTranssibirischen Eisenbahn und derkleinen Jehanne aus Frankreich, 1913.

Gleichnamiges Buch von Blaise Cendrars.

Exemplar 139. Aquarell,

Text gedruckt auf künstlichem Japanpapier.

Werk in auseinandergefaltetem Zustand: 199x36cm;

Werk in geschlossenem Zustand: 18x11cm.

Musée national d’Art moderne,

Centre Georges-Pompidou, Paris.

Die Dichter und die Maler bestimmen gemeinsam das Gesicht ihrer Epoche, und willfährig fügt sich die Zukunft ihrem Urteil.

Die allgemeine Struktur einer ägyptischen Mumie entspricht den von den ägyptischen Malern gezeichneten Gesichtern, und doch waren die alten Ägypter recht verschieden voneinander. Sie haben sich der Kunst ihrer Zeit angeglichen.

Der Kunst fällt es zu, es ist ihre soziale Aufgabe, jene Illusion: den Typ hervorzubringen. Wie sehr hat man sich über die Bilder Manets und Renoirs lustig gemacht! Nun, man braucht nur einen Blick auf die Fotografien jener Epoche zu werfen, um die Übereinstimmung der Menschen und der Dinge mit den Bildern dieser großen Maler gewahr zu werden. Diese Illusion scheint mir ganz natürlich zu sein, da die Kunstwerke das Kraftvollste sind, was eine Epoche an Formelementen erzeugt. Wer sich daher über die neuen Maler lustig macht, mokiert sich über sein eigenes Gesicht, denn die Menschheit der Zukunft wird sich von der heutigen Menschheit nach den Vorstellungen, welche die Maler der lebendigsten, das heißt der neuesten Kunst über sie hinterlassen haben, ihr Bild machen. Man sage nicht, es gäbe heutzutage andere Maler, die derart malten, dass sich die Menschheit in ihrem Bilde wiedererkennen könne. Alle Kunstwerke einer Epoche ähneln letztlich den Werken der kraftvollsten, der ausdrucksvollsten, der typischsten Kunst. Die Puppen sind ein Produkt der Volkskunst; sie scheinen stets von den großen Kunstwerken der gleichen Epoche inspiriert zu sein. Es ist eine Wahrheit, die sich leicht überprüfen lässt. Wer getraute sich indessen zu behaupten, die Puppen, die man um 1880 in den Basaren verkaufte, seien aus der gleichen Empfindung heraus gefertigt worden, wie sie Renoir beim Malen seiner Porträts beseelte? Niemand bemerkte damals dergleichen. Das bedeutet jedoch, dass Renoirs Kunst kraftvoll und lebendig genug war, um sich unseren Sinnen aufzuzwingen, während seine Anschauungen, der breiten Öffentlichkeit jener Epoche, in der er debütierte, als Wahnwitz und Narrheit erschienen.

VI.

MAN hat zuweilen, und vor allem hinsichtlich der jüngsten Maler, die Möglichkeit erwogen, daß eine kollektive Mystifikation oder ein Kollektivirrtum vorliegen könnte.

Nun kennt man aber in der ganzen Kunstgeschichte keine einzige derartige Erscheinung. Es gibt isolierte Fälle, von Mystifikation und Irrtum, aber die konventionellen Elemente, aus denen sich zum großen Teil die Kunstwerke zusammensetzen, geben uns die Gewähr, dass es von solchen Fällen keine kollektiven Ausprägungen geben kann.