Kuno Friedrich Callsen - Walter Vietzen - E-Book

Kuno Friedrich Callsen E-Book

Walter Vietzen

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Beschreibung

Am Morgen des 22. Juni 1941 brach die Hölle los. 3,3 Millionen deutsche Soldaten, 600.000 motorisierte Fahrzeuge, 3.650 Panzer und 3.000 Flugzeuge überquerten die Grenze zur Sowjetunion. Von der Ostsee bis zu den Karpaten marschierte die Wehrmacht ein und überrollte die kaum vorbereitete Rote Armee. Am 22. Juni 1941 begann ein Krieg, der zunehmend geprägt war vom Wahn totaler Vernichtung und vom Hass: vom Antisemitismus und Antibolschewismus, vom Rassenwahn gegen die slawischen und asiatischen Völker der Sowjetunion. Die diesen Krieg führten, töteten auf jede erdenkliche Weise, mit einer kaum jemals dagewesenen Brutalität und Grausamkeit. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD, der Waffen-SS und ihrer Helfer bahnten sich nicht planlos ihren Weg. Sie folgten dem Vernichtungswahn und den mörderischen Plänen, die im Reichssicherheitshauptamt und in den zuständigen Reichsministerien erarbeitet worden waren. Und sie folgten der Wehrmacht, deutschen Soldaten, die zuvor schon die Bevölkerung beraubt, drangsaliert oder als vermeintliche Partisanen getötet hatte. Der verbrecherische Angriffskrieg trug auch die Uniform der Wehrmacht, denn an seinen Grausamkeiten nahmen auch Soldaten der Wehrmacht teil. Einer der SD-Mörder war Kuno Friedrich Callsen, SS-Hauptsturmführer im Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C, geboren in Wilster, ehemaliger Schüler und Abiturient der Kaiser-Karl-Schule in Itzehoe und Gründer des NS-Schülerbundes, der einer der hauptverantwortlichen SS-Offiziere für das Massaker von Babyn Jar, einer Schlucht bei Kiew, war. Als stellvertretender Führer des Sonderkommandos 4a leitete und beaufsichtigte er die Erschießungen. Am 29. und 30. September 1941 wurden 33.771 jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordet. Dies war das größte einzelne Massaker an Juden im Zweiten Weltkrieg.

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„Es fällt nicht leicht, sich die Schrecken der Vergangenheit in Erinnerung zu rufen. Aber verdrängte Erinnerung, nicht eingestandene Schuld, wird den Menschen niemals erleichtern, im Gegenteil, sie wird zu einer immer schwereren Last. Wir sollten uns erinnern, nicht, um heutige und künftige Generationen mit einer Schuld zu belasten, die nicht die ihre ist, sondern um unserer selbst willen. Wir sollten erinnern, um zu verstehen, wie diese Vergangenheit in der Gegenwart fortwirkt. Nur wer die Spuren der Vergangenheit in der Gegenwart lesen lernt, nur der wird zu einer Zukunft beitragen können, die Kriege vermeidet, Gewaltherrschaft ablehnt und ein friedliches, gleichberechtigtes und gerechtes Zusammenleben in Freiheit ermöglicht.“

(Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941)

Inhalt

Vorwort

SS-Hauptsturmführer Kuno Friedrich Callsen

Die Einsatzgruppen

Die Führer der Einsatzgruppe C und ihrer Teilkommandos

Das Einsatz- bzw. Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C – Ermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg

Der Marschweg des Sonderkommandos 4a

Die Vorkommandos

Die Exekutionen des Sonderkommandos 4a und der mit diesem Kommando eingesetzten Einheiten bis Ende September 1941

28. Juni 1941, Sokal (Ziegelei): Exekution von 17 kommunistischen Funktionären

29. Juni 1941, Sokal (Ziegelei): Exekution von 117 Kommunisten

30. Juni 1941, Sokal (Ziegelei): Exekution von 183 jüdischen Kommunisten

3. Juli 1941, Luzk: Exekution von ca. 1160 Juden

Anfang Juli 1941, Luzk: Exekution von 240 Juden

Sommer 1941, in der Nähe von Zwiahel: Exekution von ca. 50 Juden

Sommer 1941, vermutlich Juli, in der Nähe von Zwiahel: Exekution von 30 bis 50 Juden

7. August 1941, Shitomir: Exekution von 402 Juden

Im August 1941, Shitomir (Wehrmachtslager): Exekution von jeweils mindestens 30 Juden bzw. Kommunisten oder versprengten russischen Soldaten

Ende August/Anfang September 1941, Shitomir: Exekution von 266 Juden

August 1941, 2-3 km außerhalb von Shitomir: Exekution von ca. 2.000 jüdischen Männern, Frauen und Kinder

19. September 1941, Shitomir: Exekution von 3.145 jüdischen Männern, Frauen und Kindern

August oder September 1941, Korosten: Exekution von 160 Juden

22. August 1941, Belaja Zerkow: Exekution von 68 Personen, überwiegend Juden

Anfang September 1941, Radomyschl: Exekution von mindestens 700 Juden

Mitte/Ende September 1941, Bulin: Exekution von 50 jüdischen Frauen und Kindern

Die „Schoah von Babyn Jar“ – Exekution von 33.771 Juden

Der Darmstädter Einsatzgruppenprozess

Die Angeklagten: Feststellungen zur Person

Der Darmstädter Einsatzgruppenprozess

Die den Angeklagten angelasteten Einzeltaten - Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung des Gerichts

Das Urteil und die Frage der Schuld

Weitere Anklagen: Die Polizei-Bataillone 45 und 303

Konstruktivistische Didaktik

Konstruktivistische Methodik

Lernen an Stationen Kuno Friedrich Callsen und das Sonderkommando 4a - Versuch einer didaktisch-methodischen Annäherung -

Anhang

Literaturhinweise

Glossar

Archive

Vorwort

Am Morgen des 22. Juni 1941 brach die Hölle los. 3,3 Millionen deutsche Soldaten, 600.000 motorisierte Fahrzeuge, 3.650 Panzer und 3.000 Flugzeuge überquerten die Grenze zur Sowjetunion. Eine offizielle Kriegserklärung gab es nicht. Von der Ostsee bis zu den Karpaten marschierte die Wehrmacht ein und überrollte die kaum vorbereitete Rote Armee. In gewaltigen Zangenbewegungen gelang es der deutschen Wehrmacht, große sowjetische Truppenkörper einzukesseln und zu vernichten. Bei Białystok und Minsk schlossen die zur deutschen Heeresgruppe Mitte gehörenden Panzergruppen 2 und 3 gleich vier sowjetische Armeen ein. Rund 325.000 Rotarmisten gerieten in deutsche Gefangenschaft. Auch mehr als 3.300 sowjetische Panzer und über 1.800 Geschütze wurden von den deutschen Truppen in der ersten großen Kesselschlacht des Deutsch-Sowjetischen Krieges erbeutet. Der Versuch der Roten Armee, bei Smolensk in Westrussland eine neue Verteidigung aufzubauen, scheiterte. Die Masse von drei sowjetischen Armeen mit rund 300.000 Soldaten und 3.000 Panzern wurde in der dortigen Kesselschlacht aufgerieben. Es folgte ein Vernichtungskrieg bisher ungekannten Ausmaßes. Im „Kampf zweier Weltanschauungen“, so der Jargon der Nazi-Ideologie, konnte es für die deutsche Führung nur das Ziel der Ausrottung des „jüdisch-bolschewistischen“ Feindes geben. Am 10. Oktober 1941 erließ Generalfeldmarschall von Reichenau, Befehlshaber der 6. Armee, den so genannten „Reichenau-Befehl“, der bis hinunter auf die Ebene der Kompanien verteilt und vorgelesen wurde:

„[…] Das wesentlichste Ziel des Feldzuges gegen das jüdisch-bolschewistische System ist die völlige Zerschlagung der Machtmittel und die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis. Hierdurch entstehen auch für die Truppe Aufgaben, die über das hergebrachte einseitige Soldatentum hinausgehen. Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee und der Rächer für alle Bestialitäten, die deutschem und artverwandtem Volkstum zugefügt wurden. […] Deshalb muss der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben. Sie hat den weiteren Zweck, Erhebungen im Rücken der Wehrmacht, die erfahrungsgemäß stets von Juden angezettelt wurden, im Keime zu ersticken“.

Am 22. Juni 1941 begann ein Krieg, der zunehmend geprägt war vom Wahn totaler Vernichtung und vom Hass: vom Antisemitismus und Antibolschewismus, vom Rassenwahn gegen die slawischen und asiatischen Völker der Sowjetunion. Die diesen Krieg führten, töteten auf jede erdenkliche Weise, mit einer kaum jemals dagewesenen Brutalität und Grausamkeit.

Die Nationalsozialisten, die diesen Krieg zu verantworten hatten, die sich in ihrem nationalistischen Herrenmenschen-Wahn gar noch auf deutsche Kultur und Zivilisation beriefen, auf Goethe und Schiller, Wagner, Bach und Beethoven, sie schändeten alle Zivilisation, alle Grundsätze der Humanität und des Rechts. Der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion war eine mörderische Barbarei. Mit aller Härte verfolgten Wehrmacht, Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD, der SS und der Polizei ihre Ziele: Die Ermordung der jüdischen Bevölkerung, der politischen Kommissare, der Jüdinnen und Juden in der Roten Armee, der Oppositionellen, der angeblichen Partisanen, der psychisch Erkrankten, das verhungern lassen von Millionen sowjetischer Zivilist*innen und Kriegsgefangener, innerhalb weniger Monate starben zwei Millionen der bis Ende 1941 gefangengesetzten 3,35 Millionen Angehörigen der Roten Armee an Auszehrung infolge ungenügender Essensrationen, mangelnder medizinischer Betreuung und fehlenden Schutzes vor Hitze und Kälte, die später erfolgten Verschleppungen auf Reichsgebiet und der Zwang zur Sklavenarbeit für deutsche Betriebe. Kriegsverbrechen waren in diesem Kriege das Gesicht dieses Krieges selbst.

Und es geschah nichts zufällig damals weit im Osten. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, des SD, der Waffen-SS und ihrer Helfer bahnten sich nicht planlos ihren Weg. Sie folgten dem Vernichtungswahn und den mörderischen Plänen, die im Reichssicherheitshauptamt und in den zuständigen Reichsministerien erarbeitet worden waren. Und sie folgten der Wehrmacht, deutschen Soldaten, die zuvor schon die Bevölkerung beraubt, drangsaliert oder als vermeintliche Partisanen getötet hatte. Der verbrecherische Angriffskrieg trug auch die Uniform der Wehrmacht, denn an seinen Grausamkeiten nahmen auch Soldaten der Wehrmacht teil. Lange, viel zu lange, haben wir Deutsche gebraucht, uns diese Tatsache einzugestehen.

Beamte im Reichssicherheitshauptamt planten mit zynischer Sorgfalt die Vernichtung. Sie planten einen Krieg, der die gesamte sowjetische Bevölkerung zum Gegner erklärte: vom Neugeborenen bis zum Greis, vom Behinderten bis zum psychisch Erkrankten. Der gesamte europäische Teil der Sowjetunion sollte „gesäubert“ werden und vorbereitet für eine deutsche Kolonisierung. Millionenstädte wie Leningrad, das heutige Sankt Petersburg, Moskau oder Kiew sollten dem Erdboden gleichgemacht werden.

Wer Licht in die Erinnerungsschatten dieses Krieges bringen will, der muss keine weite Strecke zurücklegen – die Spuren lassen sich vor unserer Haustür finden. Es sind nicht nur die ehemaligen Kriegsgefangenenlager wie Sandbostel in Niedersachsen - den sowjetischen Soldaten, die ab Oktober 1941 nach Sandbostel kamen, verweigerte die Wehrmacht jeglichen Schutz durch das Völkerrecht und Tausende von ihnen starben an Hunger und Krankheiten - es sind auch die ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen im Kriegsgefangenen-Straflager Vaalermoor im Kreis Steinburg, die zuerst im Boden der Gemeindekoppel verscharrt wurden und erst später auf Befehl der britischen Befreier auf dem Friedhof in Wacken anonym beerdigt wurden, weil man ihre Namen nicht kannte oder es waren die sowjetischen Kriegsgefangenen, die bei ihrer Ankunft in Wilster todkrank und derart geschwächt waren, dass sie sich nicht mehr erholten. Sie wurden auf dem Friedhof in Wilster beerdigt. Nicht nur die Gräber auch einige Bewohner der Dörfer und Städte im Kreis Steinburg konnten und können heute noch Zeugnis von dieser deutschen Barbarei ablegen: Einer von ihnen war Kuno Friedrich Callsen, SS-Hauptsturmführer im Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C, geboren in Wilster, ehemaliger Schüler und Abiturient der KKS und Gründer des NS- Schülerbundes in Itzehoe, der mitverantwortlich für das Massaker von Babyn Jar, einer Schlucht bei Kiew, war. Als stellvertretender Führer des Sonderkommandos 4a leitete und beaufsichtigte er die Erschießungen. Am 29. und 30. September 1941 wurden 33.771 jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordet. Dies war das größte einzelne Massaker an Juden im Zweiten Weltkrieg. Ab 1943 stieg Callsen im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) bis zum persönlichen Referenten des SD-Inlandsamtschefs Otto Ohlendorf (1907-1951) auf.1 Callsens Werdegang im NS-Staat sowie seine Taten in der Ukraine geben Auskunft über den vom Nationalsozialismus geprägten Rassenwahn, über Antisemitismus, Menschenverachtung, Ermordung von Behinderten und psychisch Kranken,über Befehlstreue und Karrieredenken innerhalb der SS und über die Qualität der deutschen justiziellen Aufarbeitung der Naziverbrechen in der Nachkriegszeit - häufig kam es zu skandalösen Verschleppungen durch die Ermittlungsbehörden und zu Ermittlungseinstellungen oder unverständlich milden Urteilen der Gerichte.

Klaus Geßner äußerte dazu: „Die Strafverfolgung machte in der BRD nicht nur um Konzernverbrecher sondern auch um die meisten Täter des faschistischen Machtapparates einen Bogen. Das Scheitern der Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern in der BRD lag weder an der ungenügenden Beweislage noch am Alter und Gesundheitszustand der Betreffenden. Die Politik in der BRD war von Anfang an nicht an einer vollen Aufdeckung der Verbrechen des deutschen Imperialismus und an der konsequenten Verfolgung faschistischer Straftäter interessiert.“

Den verantwortlichen Tätern der vielen tausend Morde des Sonderkommandos 4a der Einsatzgruppe C wurde vom Darmstädter Schwurgericht lediglich eine Mittäterschaft, keine Täterschaft, zur Last gelegt. Kuno Friedrich Callsen und die anderen Täter wurden verurteilt wegen Beihilfe zum Mord.

1 Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2015, S. 89

SS-Hauptsturmführer Kuno Callsen

Kuno Friedrich Callsen - vermutlich mit seiner 1. Ehefrau, die er 1939 heiratete. (Foto: Bundesarchiv Ludwigsburg, B 162/409)

Kuno Friedrich Callsen wurde am 19. Oktober 1911 in Wilster, Kreis Steinburg, als Sohn von Anna Wilhelmine Callsen, geborene Dunker und ihrem Ehemann, dem Lehrer August Heinrich Callsen, beide wohnhaft in der Neuen Burger Straße 49, geboren. Er war das zweitälteste Kind. Callsen besuchte in Wilster die Volks- und Mittelschule und danach in Itzehoe die Kaiser-Karl-Schule (KKS), wo er am 06. März 1931 die Reifeprüfung mit der Note - gutablegte. In der Abiturszeitung der Kaiser-Karl-Schule Jahrgang 1931 dichtete ein unbekannter Verfasser über Kuno Friedrich Callsen:

Der Callsen hat sicher nach allem das Zeug

Zu einem Ritter im Geistesreich.

Er hat sich noch nimmer gefürchtet vorm Streiten

Mit Worten und anderen Mündlichkeiten.

„Ja, aber“ war Kunos ständige Rede

Als Antwort bei jeglicher Geistesfehde.

Natürlich ging Kuno mit vielen Zwei´n

Siegesgewiss ins Matur hinein.

Und als man ihm nach beendeter Schlacht

Herzliche Glückwünsche dargebracht.

Da sprach er „Ja, aber in Mathematik,

Da hatte ich diesmal doch wenig Glück!“

Der Kuno schwärmt heftig fürs dritte Reich

Und meint, es komme spätestens gleich.

Doch wenn man ihm sagt, die Nazis sei´n

Zum Regiment noch an Zahl zu klein,

Dann sagt er „Ja, aber wir haben noch Zeit

Bis wir zur Rettung des Reiches bereit!“

Der Kuno hat feuerfesten Verkehr

d.h. eine Braut, die liebt er sehr.

Bleibt er ihr treu bis zum Tag der Trauung

Und fragt ihn der Pastor dann voll Erbauung:

„Seid beide bereit ihr zum Ehebund?“

Kommt sicher: „Ja, aber!“ aus Kunos Mund.2

Die Itzehoer Kaiser-Karl- Schule (Postkarte 1913)

1927 hatte sich die Mutter mit einem selbstständigen Kaufmann erneut verheiratet, Callsens Vater war bereits 1918 verstorben. Callsen war schon früh ein Anhänger des Nationalsozialismus, denn 1929 war er Gründer des Nationalsozialistischen Schülerbundes in Itzehoe. Seit 1929 entstanden vor allem in Nord- und Mitteldeutschland NS-Schülergruppen, die unter Leitung von Theodor Adrian von Renteln (1897 – 1946) im NS-Schülerbund zusammengefasst wurden. Der Schülerbund war in dieser Phase ein wichtiges Instrument, um dem Nationalsozialismus, deren Hitlerjugend als proletarische Massenbewegung gering geschätzt wurde, bei Schülern von Gymnasien höhere Anerkennung zu verschaffen.3 Am 20. Mai 1933 beging die Hitlerjugend feierlich die Überführung des NS-Schülerbundes in ihre Organisation.

Nach seiner Schulzeit arbeitete Kuno Callsen als Volontär der Flensburger Nachrichten, ein Studium war ihm aus finanziellen Gründen nicht möglich. Am 01. Oktober 1931 wurde Callsen Mitglied der NSDAP (Nr.647.505) und avancierte im Januar 1932 zum „politischen Leiter“. Seit 1934 gehörte er als hauptamtlicher Mitarbeiter zum Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD). Am 15. Januar 1935 gelang ihm die Aufnahme als SS-Mann (SS-Nr. 107.362). Seine Einstellung beim hauptamtlichen SD erfolgte zum 1. April 1935 beim SD-Oberabschnitt Rhein in Frankfurt/Main, dessen Pressereferat er als Pressereferent aufbaute. Callsen wurde am 30.Januar 1938 zum SS-Untersturmführer, am 9. November 1938 zum SS-Obersturmführer und am 30. Januar 1939 zum SS-Hauptsturmführer ernannt und arbeitete in verschiedenen SDDienststellen, zuletzt war er Abteilungsleiter beim SD-Abschnitt Wiesbaden in Darmstadt in der Abteilung II (Gegnererforschung). 1940 bewarb er sich, er strebte den höheren Dienst in der Innenverwaltung an, um die Teilnahme an dem sogenannten „Lehrgang für die Anwärter des leitenden Dienstes in der Sipo (Sicherheitspolizei) und im SD des RFSS (Reichsführer SS)“. Nach seiner Teilnahme wurde Callsen zur ersten Gruppe der Anwärter des leitenden Dienstes auch zugelassen. Als es im Frühjahr 1941 um die Besetzung der Führerstellen bei der Aufstellung der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos bzw. Sonderkommandos ging, griff das Reichssicherheitshauptamt auf diese Anwärter des leitenden Dienstes zurück. Seine Teilnehmer waren in den Jahren 1910 bis 1915 geboren worden, sie hatten ihre Laufbahnen vollständig während des Nationalsozialismus absolviert und waren Anwärter auf Führungspositionen im Reichssicherheitshauptamt. Callsen wurde im Mai 1941 nach Pretzsch/Bad Schmiedeberg (Elbe) abkommandiert und dort dem Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C zugeteilt. Mit dieser Einheit rückte er bei Beginn des Russlandfeldzuges am 22. Juni 1941 bis nach Kiew vor, wo er, gleich den anderen Anwärtern des leitenden Dienstes, im Oktober 1941 abgelöst wurde.

Von Mai bis Oktober 1941 leitete Callsen ein Teilkommando des Sonderkommandos 4a in der Einsatzgruppe C und war zeitweise Stellvertreter des SSStandartenführers Paul Blobel beim Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C.4

2 Kern, Alexander: Alexander Kern. Meine Jugend. Itzehoe/Holstein, Seite 158f

3 Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, 2016, Frankfurt am Main, Seite 89

Die Einsatzgruppen

Der US-Ankläger, Thomas J. Dodd, definierte in dem Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof den Begriff „Einsatzgruppe“ wie folgt:

„Die Einsatzgruppen von Sicherheitspolizei und SD […] waren die Dienststellen der Sicherheitspolizei und des SD, die im Felde hinter der Wehrmacht operierten. Sobald die polizeiliche Kontrolle in den neu besetzten Gebieten genügend eingerichtet war, wurden die beweglichen Einsatzgruppen ausgeschaltet, und sie wurden zu regionalen Dienststellen unter den Befehlshabern der Sicherheitspolizei und des SD. Die Einsatzgruppen waren ein Teil der Sicherheitspolizei und des SD, des RSHA und als solche ein Teil der SS, eingeschränkt nur durch die Tatsache, dass einige den Einsatzgruppen zugeteilte Personen Nichtmitglieder der SS waren.“

Bereits Ende Juni 1938 war für den Fall einer Besetzung der Tschechoslowakei ein Plan für den Einsatz des SD ausgearbeitet. Der Einsatz des SD sollte von einem „Zentral-Einsatzstab“ mit dem Gruppenführer Heydrich an der Spitze geleitet werden. Die Einsatzgruppen sollten vorwiegend aus SD-Angehörigen bestehen. Nur militärisch ausgebildete Leute sollten als Angehörige der Einsatzgruppen herangezogen werden. Eine Einheit der SS-Totenkopf- Verbände stand zum militärischen Schutz der Einsatzgruppen bereit. Bei dem Einmarsch in das Sudentenland im Herbst 1938 und bei der Besetzung von Böhmen und Mähren im März 1939 kamen die Einsatzgruppen in etwa entsprechend diesem Plan zum Einsatz.

Unmittelbar vor Beginn des Polen-Feldzuges, in den letzten Augusttagen 1939, wurden fünf Einsatzgruppen für den bevorstehenden Feldzug aufgestellt. Ihr Einsatz erfolgte unter dem Decknamen „Unternehmen Tannenberg“.

Durch die Weisung Nr. 21/Fall Barbarossa vom 18. Dezember 1940 gab Hitler den Oberbefehlshabern der Wehrmachtsteile den Befehl, Vorbereitungen für einen Russland-Feldzug zu treffen. Im Rahmen dieses Feldzuges war auch der Einsatz von Einsatzgruppen vorgesehen. Am 13. März 1941 gab das Oberkommando der Wehrmacht „Richtlinien zum Fall Barbarossa“ an die Oberbefehlshaber von Heer, Marine und Luftwaffe heraus, die unter anderem die Sondervollmachten Himmlers in dem geplanten Feldzug beinhalteten:

„Im Operationsgebiet des Heeres erhält der Reichsführer-SS zur Vorbereitung der politischen Verwaltung Sonderaufgaben im Auftrage des Führers, die sich aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter politischer Systeme ergeben. Im Rahmen dieser Aufgaben handelt der Reichsführer-SS selbständig und in eigener Verantwortung. Im Übrigen wird die dem Oberbefehlshaber des Heeres und den von ihm beauftragten Dienststellen übertragende vollziehende Gewalt hierdurch nicht berührt. Der Reichsführer-SS sorgt dafür, dass bei Durchführung seiner Aufgaben die Operationen nicht gestört werden. Näheres regelt das OKH mit dem Reichsführer-SS unmittelbar.“

Der Einsatz der Sicherheitspolizei und des SD im Verband des Heeres machte Absprachen und Regelungen zwischen dem OKH und der Sicherheitspolizei und dem SD notwendig. Man einigte sich auf folgende Richtlinien:

1. Aufgabe: Sicherstellung festgelegter Objekte, Anfertigung von Karteien von reichs- und staatsfeindlichen Organisationen, Verbänden, Gruppen, besonders wichtiger Einzelpersonen (führende Emigranten, Saboteure, Terroristen usw.). Der Oberbefehlshaber der Armee kann den Einsatz der Sonderkommandos in Teilen des Operationsgebiets ausschließen.

2. Im rückwärtigen Heeresgebiet: Erforschung und Bekämpfung der staatsund reichsfeindlichen Bestrebungen. […] Allgemeine Unterrichtung der Befehlshaber der rückwärtigen Heeresgebiete über die politische Lage.

3. Die Sonderkommandos der Sicherheitspolizei und des SD führen ihre Aufgaben in eigener Verantwortung durch. Sie sind den Armeen hinsichtlich Marsch, Versorgung und Unterbringung unterstellt. Disziplinäre und gerichtliche Unterstellung unter den Chef der Sicherheitspolizei und des SD werden hierdurch nicht berührt. […] Die Sonderkommandos sind berechtigt, im Rahmen ihres Auftrages in eigener Verantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung Exekutivmaßnahmen zu treffen.

4. Die abwehrpolizeilichen Aufgaben innerhalb der Truppe und der unmittelbare Schutz der Truppe bleiben alleinige Aufgabe der Geheimen Feldpolizei.

Am 6. Juni erging der Kommissarbefehl:

„Politische Kommissare als Organe der feindlichen Truppe sind kenntlich an besonderen Abzeichen – roter Stern mit golden eingewebtem Hammer und Sichel auf den Ärmeln. […] Sie sind aus den Kriegsgefangenen sofort, d. h. noch auf dem Gefechtsfelde, abzusondern. Dies ist notwendig, um ihnen jede Einflussmöglichkeit auf die gefangenen Soldaten abzunehmen. Diese Kommissare werden nicht als Soldaten anerkannt; der für die Kriegsgefangenen völkerrechtlich geltende Schutz findet auf sie keine Anwendung. Sie sind nach durchgeführter Absonderung zu erledigen.“

Unerwähnt blieb bis zu diesem Zeitpunkt, dass eine der Aufgaben der Einsatzgruppen - neben der Vernichtung von Kommunisten und anderen potentiellen Gegnern - die Ermordung der in den Ostgebieten lebenden Juden sein sollte. Die entsprechenden Befehle wurden erst kurz vor Beginn bzw. während des Russland-Feldzuges erlassen.

Die Einsatzgruppen dienten dem Ziel der Umsetzung der nationalsozialistischen Rassenideologie, sie dienten der Vernichtung der „jüdisch-bolschewistischen Intelligenz“, der Politfunktionäre, der Beamten, der Partisanenverdächtigen und schließlich jedes einzelnen Juden, erst die Männer, dann auch die Frauen und Kinder. Ihre Aufgabe waren die Massenmorde vor allem im Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945. Die Einsatzgruppen waren ideologisch geschulte, teils mobile, teils stationäre „Sondereinheiten“. Sie waren mit anderen Tätergruppen wesentlich am Holocaust (Schoah) und am Porajmos, dem Völkermord an den europäischen Roma in der Zeit des Nationalsozialismus, beteiligt. Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begannen die Massaker an der jüdischen Bevölkerung. Die sog. „Endlösung der Judenfrage“ hatte bereits begonnen, noch ehe sie auf der berüchtigten Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 in Berlin beschlossen und organisiert wurde: Am 23. Juni 1941 brachen die 3000 Todesboten Himmlers auf, um Russlands fünf Millionen Juden zu jagen. Die Mörder der Einsatzgruppen trafen auf ein ahnungsloses russisches Judentum. Kaum jemand kannte die Gefahr des deutschen Antisemitismus. Die antijüdische, stalinistische Presse berichtete kaum darüber. Die Einsatzgruppen folgten direkt der Wehrmacht und nutzten dadurch den Überraschungseffekt. Kaum war eine Stadt erobert, mordeten schon die Vorausabteilungen der Einsatzgruppen. Eine „Erfolgsmeldung“ folgte der anderen.

Einsatzgruppe A war zuständig für das Baltikum, Einsatzgruppe B für Weißrussland, Einsatzgruppe C für die Ukraine und Einsatzgruppe D für Bessarabien, die Südukraine, die Krim und Kaukasien. Jede Einsatzgruppe hatte eine Stärke von 500 bis 990 Mann und bestand aus Männern der Geheimen Staatspolizei, der Kriminalpolizei, der Ordnungspolizei, der ausländischen Hilfspolizei und der Waffen-SS. Die vier Einsatzgruppen waren untergliedert in 16 „Einsatz- und Sonderkommandos“. Gemäß der Richtlinien vom August 1939 sollten die Einsatzgruppen bzw. Einsatzkommandos der kämpfenden Truppe dichtauf folgen und mit dem Heer eng zusammenarbeiten. 5

4 Bundesarchiv Ludwigsburg, B 162/14436

Die Führer der Einsatzgruppe C und ihrer Teilkommandos:

SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Dr. Otto Rasch (Juni bis September 1941)

SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Max Thomas (Oktober 1941 bis 28. August 1943)

SS-Oberführer Horst Böhme (6. September 1943 bis März 1944)

Teilkommandos:

Sonderkommando 4a

SS-Standartenführer Paul Blobel (Juni 1941 bis Januar 1942)

SS-Obersturmbannführer Erwin Weinmann (13. Januar bis Juli 1942)

SS-Standartenführer Eugen Steimle (August 1942 bis 15. Januar 1943)

SS-Sturmbannführer Theodor Christensen (Januar bis Ende 1943)

Sonderkommando 4b

SS-Standartenführer Günther Herrmann (Juni bis September 1941)

SS-Sturmbannführer Fritz Braune (Oktober 1941 bis 21. März 1942)

SS-Sturmbannführer Walter Haensch (März bis Juli 1942)

SS-Obersturmbannführer August Meier (Juli bis November 1942)

SS-Obersturmbannführer und Regierungsrat Friedrich Suhr (November 1942 bis August 1943)

SS-Sturmbannführer Waldemar Krause (August 1943 bis Januar 1944)

Einsatzkommando 5

SS-Oberführer Erwin Schulz (Juni bis September 1941)

SS-Sturmbannführer August Meier (September 1941 bis Januar 1942)

Einsatzkommando 6

SS-Sturmbannführer Erhard Kroeger (Juni bis November 1941)

SS-Sturmbannführer Robert Mohr (November 1941 bis September 1942)

SS-Sturmbannführer Ernst Biberstein (September 1942 bis Mai (?) 1943)

SS-Obersturmbannführer und Regierungsrat Friedrich Suhr (August bis November 1943)

5 Erhard Roy Wiehn (Hg): Die Schoah von Babij Jar, 1991, Konstanz, Seite 74

Das Einsatz- bzw. Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C – Ermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg

Das Sonderkommando 4a setzte sich zunächst aus einem Zug Vernehmungsbeamten (Gestapo-, Kriminalpolizei- und SD-Angehörigen) und aus einem Zug Kraftfahrern zusammen, insgesamt 52 Mann. In dieser Gliederung wurde es bei Beginn des Russland-Feldzuges von seinem Aufstellungsort Bad Schmiedeberg in Marsch gesetzt.

Führer des Sonderkommandos waren zu diesem Zeitpunkt:

Kommandoführer:

Standartenführer Paul Blobel, zeitweise Hauptsturmführer Kuno Callsen

Stellvertreter:

Hauptsturmführer Waldemar von Radetzki 6

Leiter der Exekutive:

Hauptsturmführer Kuno Callsen

Leiter der Verwaltung:

Obersturmführer Matisek (oder Matysek)

Verbindungsführer zum AOK 6:

Obersturmführer August Häfner

Dolmetscher:

Untersturmführer Müller

Teilkommandoführer:

Hauptsturmführer Kuno Callsen

Obersturmführer Adolf Janssen

Obersturmführer Kurt Hans

Mit der Führung von Teilkommandos zeitweise betraut:

Hauptsturmführer Waldemar von Radetzki

Obersturmführer Dr. Dr. Heinrich Funk

Maßgebende Unterführer:

Sturmscharführer (Spieß) Georg Pfarrkirchner

Mit Geschäften des Spieß beauftragt:

Sturmscharführer Heinrich Huhn

Kriegstagebuchführer und zeitweise Spieß (bei Erkrankung Pfarrkirchners): Sturmscharführer Ernst Consée

Fahrbereitschaftsleiter:

Hauptscharführer Walter Ostermann

Im Laufe des Sommers 1941 kamen noch folgende SS-Führer zum Sonderkommando 4a:

Sturmbannführer und Kriminalrat Heinz Hellenbroich

Untersturmführer Kurt Knigge

Unter- oder Obersturmführer Müller (nicht identisch mit dem Dolmetscher und Untersturmführer Müller) 7

SS-Standartenführer Paul Blobel (Quelle: Bundesarchiv Ludwigsburg, B 162/409)

SS-Hauptsturmführer Waldemar von Radetzki (Quelle: Bundesarchiv Ludwigsburg, B 162/409)

SS-Obersturmführer Dr. Funk (Quelle: Bundesarchiv Ludwigsburg, B 162/409)

SS-Obersturmführer Kurt Hans (Quelle: Bundesarchiv Ludwigsburg, B 162/409)

SS-Obersturmführer Adolf Janssen (Quelle: Bundesarchiv Ludwigsburg, B 162/409)

SS-Obersturmführer August Häfner (Quelle: Bundesarchiv Ludwigsburg, B 162/409)

Nach Aussage des ehemaligen Sturmscharführers Huhn bestand der 1. Zug des Sonderkommandos 4a beim Abmarsch von Bad Schmiedeberg aus Vernehmungsbeamten und Angehörigen der Waffen-SS. Stammeinheit der Waffen-SS war das SS-Ersatz-Bataillon A. Es wurde vermutlich im Frühjahr 1941 in Bad Schmiedeberg aufgestellt. Bei Beginn des Russland-Feldzuges wurde das Bataillon auf die Einsatzgruppen bzw. Einsatzkommandos aufgeteilt. Ein Teil der Angehörigen kam zum Sonderkommando 4a. Ungefähr Mitte/Ende Juli 1941 wurde das Sonderkommando 4a durch einen Zug von Reservisten der Schutzpolizei verstärkt, und zwar von Angehörigen des 3. Zuges der 3. Kompanie des Polizei-Reserve-Bataillons 9. 8

Im Rahmen seines Einsatzes war das Sonderkommando 4a unter anderem auf die Zusammenarbeit mit der 6. Armee angewiesen. Obwohl diese Zusammenarbeit sich nur auf militärische Angelegenheiten bezog, befasste sich der Oberbefehlshaber der 6. Armee Generalfeldmarschall Walter von Reichenau und Angehörige des Stabes der 6. Armee auch mit der sogenannten „Lösung der Judenfrage“. So plante z. B. der Generalstab der 6. Armee zusammen mit dem Sonderkommando 4a und der Feldkommandantur Charkow eine Vernichtungsaktion hinsichtlich der Juden von Charkow. In der Ereignismeldung Nr. 156 vom 16. Januar 1942 wird hierüber folgendes ausgeführt: „[…] Im Einvernehmen mit dem zuständigen Generalstab und der Feldkommandantur werden Vorbereitungsarbeiten zu einer größeren Judenaktion durch das Sonderkommando 4a eingeleitet, sobald die Einrichtungsarbeiten für die Unterkunft der Kommandos erledigt sind […].“

Hauptverantwortlicher für die Zusammenarbeit dürfte von Reichenau gewesen sein. Während andere Befehlshaber und Kommandeure versuchten, sich und die ihnen unterstellten Truppen von den Aktionen der Einsatzgruppen fernzuhalten, teilweise sich sogar hiervon distanzierten, billigte von Reichenau die Vernichtungsaktionen der Einsatzgruppen. 9

Im Oktober 1941 wurden die SS-Führer Callsen, Häfner, Janssen und Hans, die seinerzeit von einem Lehrgang für Anwärter des leitenden Dienstes „zur Frontbewährung“ zum Sonderkommando 4a abgeordnet waren, abgelöst und teilweise sofort, teilweise später durch andere Führer ersetzt. Blobel wurde im Januar 1942 abgelöst.

6 Von den ehemaligen Angehörigen des SK 4a wird teils Callsen, teils von Radetzki als Stellvertreter Blobels bezeichnet. Radetzki dürfte zunächst Stellvertreter Blobels gewesen sein; nach seiner Abkommandierung als Verbindungsführer zur 6. Armee wird vermutlich Callsen Stellvertreter geworden sein.

7 Bundesarchiv Ludwigsburg, B162/195, Abschlussbericht der zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg - Exekutionen Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C und der mit diesem Kommando eingesetzten Einheiten während des Russland-Feldzuges in der Zeit vom 22.6.1941 bis zum Sommer 1943, Seiten 44ff

8 a. a. O., Seite 54

9 a. a. O., Seite 74

Der Marschweg des Sonderkommandos 4a

Das Sonderkommando 4a zog im Allgemeinen unmittelbar hinter der 6. Armee her und führte durchweg sofort nach Eroberung der Städte und Dörfer seine Vernichtungsaktionen gegen die Juden und andere „potentielle Gegner“ aus. Sein Marschweg dürfte wie folgt gewesen sein:

Bad Schmiedeberg

Breslau

Krakau

Zamocz

Sokal

Hrakow

Luzk

Rowno

Cudnow

Zwiahel (Nowgorod-Wolynssky)

Chrostow

Baranowka

Szebetowka

Proskurow

Winnitza

Berditschew

Shitomir

Fastow

Korosten

Tschernjachow

Belaja Zerkow

Taratschtacha

Radomyschl

Iwankow

Korosten

Bulin

Kiew

Peresjaslaw

Jagotin

Borispol

Kossolez

Tschernigow

Oster

Lubny

Gornostaipol

Pymer

Lubny

Poltawa

Charkow

Bjelgorod/Melechowa

Nischnje-Tschersskaja

Kalatsch

Kursk

Konotop

Bobruisk

Minsk10

Die Vorkommandos

Dem Hauptkommando des Sonderkommandos 4a zog durchweg ein Vorkommando voraus, das jeweils aus mindestens 10 Angehörigen des Sonderkommandos bestand. Die Zusammensetzung dieser Vorkommandos wechselte von Zeit zu Zeit. Aufgabe der Vorkommandos war u.a. die Sicherstellung von Feind-Dokumenten und die Quartierbeschaffung für das Hauptkommando. Darüber hinaus haben die Vorkommandos auch Juden und andere „potentielle Gegner“ liquidiert:

Es bestanden folgende Vorkommandos:

1. Vorkommando „Luzk“:

Kommandoführer war Janssen oder von Radetzki. Zu den Angehörigen zählten Janssen oder von Radetzki, Dr. Funk, Conseé, Froböse, Deinlein, Kraege, Warnbecke

Exekution: Ungefähr 300 Juden und 20 angebliche Plünderer

2. Vorkommando „Rowno“:

Kommandoführer war Janssen oder von Radetzki. Zu den Angehörigen zählten Janssen oder Radetzki, Dr. Funk, Conseé, Froböse, Deinlein, Kraege, Warnbecke. Exekutionen vermutlich keine.

3. Vorkommando „Shitomir“:

Kommandoführer war Callsen oder von Radetzki. Zu den Angehörigen zählten Callsen oder Radetzki, Puchta, Trill.

Exekutionen: Ungefähr 400 Juden

4. Vorkommando „Kiew“:

Kommandoführer war Häfner oder Janssen. Zu den Angehörigen zählten Häfner oder Janssen und vermutlich Trill. Über Exekutionen gibt es keine Erkenntnisse.

5. Vorkommando „Poltawa/Charkow“:

Kommandoführer war vermutlich Untersturmführer Müller (Dolmetscher). Zu den Angehörigen zählten Beck, Friedrich Ebeling Johann Fischer, Deinlein und Trill.

Exekutionen: 537 Juden in Peresjaslaw, ungefähr 15 Juden am unbekannten Ort, 10 bis 20 Kriegsgefangene in Poltawa, 1.538 Juden in Poltawa und eine unbekannte Anzahl von Kommunisten in Poltawa.11

Neben den Teilkommandos wurden auch Außenkommandos eingesetzt. Diese unterschieden sich von den Teilkommandos dadurch, dass sie längere Zeit an einem Ort außerhalb des Standortes verblieben und von diesem Ort aus in der Umgebung Aktionen gegen die Juden u. a. durchführten.

10 a. a. O., Seiten 83f

11 a. a. O., Seiten 87ff

Die Exekutionen des Sonderkommandos 4a und der mit diesem Kommando eingesetzten Einheiten

An der Seite der Wehrmacht rückte von der ersten Stunde an auch die Einsatzgruppe C der Sicherheitspolizei und des SD in die Sowjetunion ein. Ihre Aufgabe war es, im von der 6. und 17. Armee besetzten Gebiet in der Ukraine die Ausrottung der jüdischen Bevölkerung in die Wege zu leiten und systematisch Funktionäre der Kommunistischen Partei umzubringen, aber auch Patienten in Heil- und Pflegeanstalten sowie Sinti und Roma. Die blutige Spur des Sonderkommandos 4a führte von Sokal nach Kiew; das Massaker von Babyn Jar war Höhe- aber nicht Endpunkt einer Exekutionswelle, der im Bereich der Einsatzgruppe C schätzungsweise 90.000 Menschen zum Opfer fielen.

Das Sondereinsatzkommando 4a entwickelte sich rasch zum zentralen Mordkommando der Einsatzgruppe, resultierend aus der besonderen Radikalität seines ersten Führers Paul Blobel. Vor den jeweiligen Exekutionen nahm Blobel im Allgemeinen mit den für das betreffende Gebiet zuständigen Feldkommandanten, der einheimischen Miliz, dem Ic-Offizier der Armee und dem Einsatzgruppenstab der Einsatzgruppe C Verbindung auf und setzte sie von den bevorstehenden Exekutionen in Kenntnis. Hierbei wurden gleichzeitig die Interessen aller Beteiligten abgestimmt und der eventuelle Einsatz von Wehrmachts- und Milizeinheiten festgelegt. Nach diesen Besprechungen wurden durch den „Führungsstab“ des Sonderkommandos 4a die Exekutionen bis ins einzelne geplant.

Unmittelbar vor einer Exekution wurden die Exekutionskommandos zusammengestellt. Während sich Blobel bei größeren Exekutionen die Einteilung der Leute zu den Exekutionskommandos selbst vorbehalten haben soll, soll er bei kleineren Exekutionen die Einteilung den Führern des Sonderkommandos überlassen haben.

Die Opfer wurden im Allgemeinen von Polizei- und Milizeinheiten „zusammengetrieben“ und zu dem Exekutionsort gebracht. Beim Eintreffen des Exekutionskommandos am Exekutionsort waren die Gruben bereits entweder durch Kriegsgefangene oder die Opfer selbst ausgehoben. Während zu Beginn des Russland-Feldzuges die Opfer noch bekleidet exekutiert wurden, mussten sie später vor den Exekutionen die Bekleidung ablegen.

In den ersten Monaten des Einsatzes des Sonderkommandos 4a wurden die Opfer noch auf militärische Weise exekutiert, das heißt, sie hatten sich vor den Gruben aufzustellen oder hinzuknien und wurden dann auf den Feuerbefehl eines SS-Führers durch ein Kommando des Sonderkommandos 4a erschossen. Im Gegensatz zu den offiziellen militärischen Hinrichtungen, bei denen jeweils fünf Mann auf einen Deliquenten zu schießen hatten, durften jedoch immer nur zwei Mann auf einen Delinquenten schießen, von denen einer auf den Kopf und der andere auf das Herz zu zielen hatte. Diese Anordnung soll der Befehlshaber der 6. Armee, von Reichenau, getroffen und Blobel am 26. Juni 1941 in Sokal befohlen haben, entsprechend zu verfahren. Als die Anzahl der zu exekutierenden Opfer immer größer wurde, kam man von dieser Art der Exekutionen ab. Die Opfer wurden nunmehr veranlasst, in die Grube zu steigen und sich nebeneinander mit dem Gesicht zur Erde bzw. wenn eine Reihe voll war, auf die bereits erschossenen Opfer zu legen. Sie wurden dann mit einer Maschinenpistole vom Grubenrand aus erschossen. Teilweise befanden sich die Schützen auch in der Grube und schossen von dort aus. Im Allgemeinen war auch ein Schütze bestimmt, der Fangschüsse abzugeben hatte. In vielen Fällen war hierzu ein SS-Führer beauftragt. Nach der Beendigung der jeweiligen Exekution wurde die Grube durch Miliz-Angehörige, manchmal auch durch Kriegsgefangene abgedeckt.

Von den Exekutionen hatte der Führer, der die Exekution geleitet hat, einen Exekutionsbericht anzufertigen und diesen dem Führer des Einsatz- bzw. Sonderkommandos vorzulegen. Dieser Bericht musste alle Einzelheiten und die „besonderen Vorkommnisse“ enthalten.

Bei dem Sonderkommando 4a wurde der Bericht vor der Absendung an den Einsatzgruppenstab noch von dem Kriegstagebuchführer in das Kriegstagebuch aufgenommen. Bei dem Einsatzgruppenstab dürften die Berichte der Kommandos gesammelt und dann dem RSHA zugeleitet worden sein, wo die Ereignismeldungen zusammengestellt wurden. (…)

Außer der beschriebenen Art von Exekutionen wurden im Bereich der Einsatzgruppe C „Exekutionen“ mit Hilfe von Gaswagen durchgeführt. […] Spätestens ab Poltawa bzw. Charkow, also ab Ende 1941, war dies der Fall. 12 Massenexekutionen des Sonderkommandos 4a und der mit diesem Kommando eingesetzten Einheiten bis Ende September 1941 fanden an den folgenden Orten statt:

In Sokal führte das Kommando drei Exekutionen in der Nähe einer außerhalb des Ortes gelegenen Ziegelei durch:

1. Am 28. Juni 1941 wurden 17 Personen erschossen.

2. Am 29. Juni 1941 wurden 117 Personen erschossen.

3. Am 30. Juni 1941 wurden 183 Personen erschossen.

In Luzk:

1. Am 30. Juni 1941 wurden 320 Personen, darunter 300 Juden, erschossen.

2. Am 3. Juli 1941 wurden 1160 Juden erschossen.

3. Am 6. Juli 1941 wurden 40 Personen erschossen.

4. Anfang Juli wurden 240 Juden erschossen.

In Rowno:

1. Anfang Juli 1941 wurden 80 Juden erschossen.

2. Anfang Juli 1941 wurden 100 Juden erschossen.

In Zwiahel:

1. Ende Juli/Anfang August wurden von einem Teilkommando unter der Leitung von Callsen 30 männliche Juden erschossen.

2. Im Juli 1941 wurden wurden 34 Zivilgefangene erschossen.

3. Im Juli wurden ca. 50 Juden erschossen.

4. Im Juli 1941 wurden 30-50 Juden erschossen

In Baranowka:

Im Juli 1941 wurden ca. 100 Juden erschossen.

In Chrostow:

Im Juli 1941 wurden 30 Juden erschossen.

In Szebetowka:

Im Juli 1941 wurden 17 Juden erschossen

In Berditschew:

Im Juli 1941 wurden 148 Juden erschossen.

In Proskurow:

Im Juli 1941 wurden 146 Juden erschossen.

In Winniza:

Im Juli 1941 wurden 146 Juden erschossen.

In Shitomir:

Im Juli und August 1941 fanden insgesamt 19 Erschießungen im Raum Shitomir statt. Dabei wurden über 8000 Personen, überwiegend Juden, erschossen.

In Fastow:

Im August 1941 wurden 312 Juden erschossen.

In Korosten:

Im August/September wurden 160 Juden erschossen.

In Tschernjachow:

Im August 1941 wurde eine unbekannte Anzahl Juden erschossen.

In Bjelaja-Zerkow:

Im August 1941 wurden 68 Juden und ca. 90 jüdische Kinder erschossen.

In Taraschtacha:

Im August/September wurden 109 Juden erschossen.

In Radomyschl:

Anfang September wurden bei vier Erschießungen insgesamt 1264 Juden erschossen.

In Iwankow:

Am 19. und 21. September 1941 wurden bei drei Erschießungen mindestens195 Juden erschossen.

In Korosten:

Mitte/Ende September wurden 177 Juden erschossen.

In Bullin:

Mitte/Ende September wurden 50 Juden erschossen.

In Novo-Ukrainka:

Im September 1941 wurden bei drei Erschießungen 138 Juden erschossen.

In Kiew:

Am 29. und 30.September 1941 wurden 33.771 Juden erschossen.13

Im Oktober 1941 wurde Callsen vereinbarungsgemäß abgelöst. Er setzte seine Ausbildung in Berlin fort.

Für das Sonderkommando 4a galt der folgende Befehlsweg:

1. Reichsführer SS

Himmler

2. HSSPF Russland-Süd

Obergruppenführer

Franz Jeckel

(am 03.02.1946 von einem sowjetischen Gericht zum Tode verurteilt und an demselben Tag hingerichtet)

3. Einsatzgruppe C

Brigadeführer

Dr. Otto Rasch

(verstorben)

4. Sonderkommando 4a

Standartenführer

Paul Blobel

(am 08.06.1951 hingerichtet)

5. Teilkommandos des Sonderkommando 4a

6. Außenkommandos des Sonderkommandos 4a

12 a. a. O., Seiten 141ff

13 Bundesarchiv Ludwigsburg, B162/195, Abschlussbericht - Exekutionen Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C und der mit diesem Kommando eingesetzten Einheiten während des Russland-Feldzuges in der Zeit vom 22.6.1941 bis zum Sommer 1943, Seite 141ff

28. Juni 1941, Sokal (Ziegelei): Exekution von 17 kommunistischen Funktionären

Die Exekution wurde von Blobel und Matysek geleitet. Schützen waren unter anderen Halle, Ostermann und Pfarrkirchner. Halle berichtete über diese Exekution folgendes:

[…] In Sokal wurde ich selbst zu einer Exekution befohlen. Nach meiner Erinnerung wurden seinerzeit […] drei Delinquenten exekutiert. Es waren mehrere, jedoch habe ich als Schütze nur bei diesen drei Delinquenten mitgewirkt. Blobel war bei dieser Exekution zugegen. Ob er mich persönlich als Schütze eingeteilt hat, ist mir heute nicht mehr gegenwärtig. Ich nehme an, dass es der seinerzeitige Spieß der Einheit war. […] Wir wurden außerhalb des Dorfes geführt, wo eine Ziegelei lag. Angeführt wurden wir von unserem Spieß, das heißt, nach meinem Dafürhalten war es unser Spieß Huhn. Dort angekommen, sah ich, wie in den Gängen der Ziegelei verschiedene Leute standen, es waren Zivilisten. Aus unserem Kommando wurden acht Mann abgeordnet. Bei diesen acht Mann war ich dabei. Wir bekamen jeder eine Patrone, wurden dann zu einem Hügel geführt, der ca. 40 m hinter der Ziegelei lag. Dort sah ich eine ausgehobene Grube. Wer diese Grube ausgehoben hat, weiß ich nicht. Wir acht Mann wurden ca. 20 m vor der Grube aufgestellt, wobei vier Mann knien und vier Mann stehen mussten. Ich befand mich unter den Knienden. Plötzlich wurden drei Mann aus der Ziegelei herausgeführt, die sich vor der Grube aufstellen mussten. Für uns erschien das Kommando: „Gewehr laden, gebt Feuer!“ Die drei Mann stürzten in die Grube hinein. Ob diese nun tot waren, kann ich nicht sagen, da wir sofort abtreten mussten und andere Kameraden von der gleichen Einheit zum Erschießungskommando eingeteilt wurden. Ich selbst ging sofort wieder zurück in das Dorf, um die Aufsicht über die Villa, in der Blobel wohnte, zu übernehmen.“ 14

29. Juni 1941, Sokal (Ziegelei): Exekution von 117 Kommunisten