Küss den Teufel, solange er heiß ist - Allyson Snow - E-Book
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Küss den Teufel, solange er heiß ist E-Book

Allyson Snow

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Beschreibung

Die neue Staffel von ›Emily in Paris‹ suchten – check

Schlafen – check

So vielen Schutzengel wie möglich nicht enden wollende Nervenzusammenbrüche bescheren – check, check, check …

 

Shytans To-do-Liste ist lang, seit seine Brüder entschieden haben, die Hölle zu verlassen. Vermisst er sie? Natürlich nicht! Endlich ist das Reich der Finsternis so effizient wie nie zuvor und löst damit bei Petrus stressbedingten Bartausfall aus. Dessen Lösung für das Problem: Shytan soll sich verlieben.

Da sollte Alana doch wie gerufen kommen, oder?

 

Sterben – check

in den Himmel einbrechen – check

den Herrn der Hölle samt seiner heruntergelassenen Hose vor Petrus retten … äh, check!

 

Eigentlich lautet der letzte Punkt auf Alanas Liste ganz anders. Aber was tut man nicht alles, wenn Petrus seinen Widersacher in den Wahnsinn betet, nur weil Shytan die Sache mit den organisierten Dates nicht ganz ernst nimmt?

Ehe sie sich versieht, steht Alana mittendrin im Wettstreit zwischen Himmel und Hölle. Nur wenn es um Alana geht, sind die beiden sich blöderweise einig. Egal, was Alana vorhat, sie wollen es verhindern!

Alana muss Shytan auf ihre Seite ziehen. Dass sie ihn immer wieder küsst, findet er noch gut. Dass sie versucht, ihn zu therapieren, versetzt ihn hingegen regelmäßig in Rage. Doch was wird er erst sagen, wenn er den Weltuntergang verhindern muss, den sie auslöst?

 

Drei höllisch heiße Brüder - drei Geschichten, entstanden aus dem Fantasy-Bestseller 'Geist - ledig, schlecht gelaunt, zu verschenken. Die Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden und sind in sich abgeschlossen.

 

ca. 366 Taschenbuchseiten

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Küss den Teufel,

solange er heiß ist

Allyson Snow

© Copyright: 2022 - Allyson Snow

Cover created by © Michaela Feitsch / Premade Cover & more Innengrafiken:Background vector created by brgfx - www.freepik.com Lektorat, Korrektorat: Juno Dean2. Lektorat, Korrektorat: Mathew Snow

Hinweis:

Die Protagonisten nehmen stellenweise nicht sonderlich einfühlsam Bezug auf das aktuelle Weltgeschehen, auch auf Russlands Krieg gegen die Ukraine.

Denn seien wir ehrlich, das kann doch nur auf dem Mist vom Teufel gewachsen sein.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Der Teufel mit der schlechten Laune

Kapitel 2 Desaster befindet sich in Zustellung

Kapitel 3 Chaos wurde geliefert

Kapitel 4 Charmant kann ja jeder

Kapitel 5 Schutzengel wider Willen

Kapitel 6 Das Allerheiligste liegt für jeden woanders

Kapitel 7 Das gibt Ärger

Kapitel 8 Bücher sind Herdentiere

Kapitel 9 Liebes Tagebuch …

Kapitel 10 Eine Seele wie ein Wirbelwind

Kapitel 11 Heller die Sünder nicht brennen

Kapitel 12 Emotionsgehemmte Seegurken und flauschige Drachen

Kapitel 13 Alles eine Frage der Perspektive

Kapitel 14 Kurz der Wahnsinn, lang die Reue

Kapitel 15 Familie ist reine Nervensache

Kapitel 16 Gewonnen hat, wer vergeben kann

Kapitel 17 Ausgegrabene leben länger

Kapitel 18 Wer einmal sündigt, dem glaubt man nicht

Kapitel 19 Schlimmstes Airbnb aller Zeiten

Kapitel 20 Wo ein Mittel ist, ist auch ein Weg

Kapitel 21 Väter kann man sich nicht aussuchen

Kapitel 22 Eis-Zeit

Kapitel 23 Das Unglück liegt auf dem Rücken der Pferde

Kapitel 24 Urzeit-Monster haben es auch nicht leicht

Kapitel 25 Augen zu, die Familie kommt

Kapitel 26 Gott ist da, irgendwie

Epilog

Nachwort

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Herzensempfehlungen #miteinanderstattgegeneinander

 

 

 

 

Kapitel 1Der Teufel mit der schlechten Laune

»Es ist elf Uhr am Vormittag in London, zwölf Uhr in Berlin, vierzehn Uhr in Moskau …«

Bobodes‘ Stimme hallte in der Höhle, die Shytans Schlafzimmer darstellte, und schreckte Shytan aus seinen Gedanken. Er löste den Blick von der Kaffeetasse, die er umklammert hielt, und lenkte ihn zu seinem Diener. Bobodes hatte sich im Türrahmen aufgebaut, ein Klemmbrett an die breite Brust gedrückt. Seine Augenbrauen waren so eng zusammengezogen, dass sie eine durchgehende buschige Linie bildeten. Die Haare standen wie immer wild von seinem Kopf ab, während er die Uhrzeiten der verschiedenen Zeitzonen mit der gleichen Inbrunst aufzählte, die andere an den Tag legten, wenn sie Shakespeare rezitierten.

»Und es ist neunzehn Uhr in Hongkong«, schloss Bobodes.

Shytan blinzelte und atmete einmal tief durch. Nicht ausrasten. Nur nicht ausrasten. Sein Koffeinpegel war noch nicht auf dem erforderlichen Niveau für eine Strafe, die Bobodes ein solches Trauma bescherte, dass es ihn bis in seine Alpträume verfolgte. Shytan brauchte mindestens fünf weitere Tassen, um annähernd wach zu werden, war aber zu faul, sich in der Küche eine Kanne mit dem schwarzen Gebräu zu holen, sich eine herzuzaubern oder einfach Bobodes loszuschicken. Und als wäre sein nervlicher Zustand nicht bereits grauenhaft genug, war Shytan sogar zu müde, Bobodes zu fragen, was zum Henker das Gefasel sollte. Die Hölle stand außerhalb jeglicher Zeitzone. Also, was zum Geier, wollte ihm Bobodes mitteilen?

Statt den Mund aufzumachen, starrte er seinen Diener lediglich durchdringend an.

Dieser stierte sekundenlang zurück, bis ihm endlich klar zu werden schien, dass Shytan nichts sagen würde. »Für heute wurde ein Teammeeting anberaumt«, näselte Bobodes. »Genau genommen findet es jetzt statt, und Ihr seid zu spät.« Diesem gönnerhaften Kommentar fügte er schnell ein ›Herr‹ an, damit Shytan keinen Grund bekam, ihm eine reinzuhauen. Als ob der sich noch über irgendwelche Frechheiten empörte. Es machte hier ohnehin jeder, was er wollte, verdammte Hölle!

»Sag nur, es hat sich jemand beschwert«, knurrte Shytan.

»Nein«, gab Bobodes zu. »Na ja, also, außer mir.«

»Tut mir wirklich leid, dass ich meinen Untertan warten ließ«, ätzte Shytan. »Es wird nicht wieder vorkommen.«

»Vielen Dank, Herr, das weiß ich zu schätzen.«

Der verarschte ihn doch. Bobodes sah so selbstgefällig drein, dass Shytan nicht übel Lust bekam, ihn in Holzkohle zu verwandeln.

»Herr, braucht Ihr Hilfe beim Aufstehen?«

»Das kann ich gerade so allein«, blaffte Shytan. Er war zwar seit Ewigkeiten der Herr der Hölle, und im Augenblick fühlte er jedes einzelne Jahr auf seiner Seele lasten, aber er war noch lange kein Invalide!

Bobodes hüstelte. »Ich meinte eigentlich, werdet Ihr aufstehen? Das Reich der Finsternis bedarf Eurer Führung.«

»Ich habe das besagte Reich heute Morgen so lange geführt, bis es vier Uhr in London war.«

Bobodes zuckte nicht mal mit einer seiner dunklen Wimpern. »Dann habe ich mich wohl geirrt, als ich Euch neun Uhr abends in Euer Schlafzimmer gehen sah.«

Elender Mist, wurde man sogar schon in den tiefsten Ebenen des Schattenreiches gestalkt? Vom eigenen Personal?

»Ich weiß ja nicht, in welcher Zeitzone du zu der Zeit warst, jedenfalls nicht in der gleichen«, erwiderte Shytan so würdevoll, wie es mit einem Kissen im Arm möglich war. Bobodes hob lediglich die Augenbrauen, und Shytan musste kein Hellseher sein, um zu wissen, dass er ihm kein Wort glaubte. Könnte auch daran liegen, dass auf dem Fernseher noch das Intro des Filmes lief, bei dem Shytan gestern gegen einundzwanzig Uhr – ja verdammt, Londoner Zeit – eingeschlafen war.

Shytan bekam Kopfschmerzen. Anscheinend konnte nicht mal der Fürst der Verdammnis tun und lassen, was ihm gefiel, ohne gleich von seinen Untertanen als faul geoutet zu werden. Dabei war Faulheit eine Todsünde und damit doch genau ihr Metier. Er sollte stolz darauf sein, als bequem zu gelten, aber die verflixte Leistungsgesellschaft ruinierte einem ja sogar das.

»Petrus sagt, solltet Ihr nicht in einer halben Stunde bei der Verteilung der Seelen vor dem himmlischen Gericht auftauchen, wird er Euch persönlich beim Aufstehen helfen.« Bobodes machte eine bedeutungsvolle Pause, und als Shytan nicht reagierte, scharrte er mit dem Fuß über den Steinboden. »Fünfzehn Minuten sind bereits um.«

Shytan verdrehte die Augen und schlug die Bettdecke beiseite. Bobodes hielt sich das Klemmbrett vor das Gesicht.

»Ich bin angezogen«, schnarrte Shytan. Er trug einen Pyjama, das musste reichen.

Im Übrigen war es keine clevere Idee, einen Spiegel im Schlafzimmer hängen zu haben. Shytan beging den Fehler, einen Blick hineinzuwerfen. Immerhin betonten die dunklen Schatten seine blauen Augen. Das war aber auch das einzig Positive, was ihm an seinem eigenen blassen Gesicht auffiel.

Schnell marschierte er an Bobodes vorbei, der ihm zwar den Weg freigab, dennoch rammte Shytan mit der Schulter den Türrahmen und taumelte zurück. »Das wird ja ein herrlicher Tag, wenn der schon so anfängt«, murrte er. In Socken trat er in den steinernen Gang, und welcher Idiot hatte eigentlich vergessen, die kleinen Kiesel wegzufegen?

Heute schien alles und jeder auf seinen Nerven herumtrampeln zu wollen. Dieses verdammte Teammeeting stand nur noch im Kalender, weil Bobodes ihm zu gern reinwürgte, dass es überhaupt kein Team mehr gab. Drei Brüder hatten über die Hölle zu herrschen und wie viele taten es tatsächlich? Einer. Er!

Seine Brüder rollten liebestrunken durch die Welt, mit wem sollte er sich also bitte absprechen? Merdian erfreute sich seines kitschig-fröhlichen und blöderweise menschlichen Lebens auf der Erde, und Talan musste ja unbedingt eine Zweigstelle der Verdammnis eröffnen. Nicht etwa am Arsch der Welt, sondern direkt am Arsch des Universums, auch bekannt als der Mars. Nur weil langsam Pläne entstanden, diesen Planeten zu bevölkern und damit ebenfalls zu ruinieren.

Das Einzige, was ihm seine Brüder hinterlassen hatten, war Bobodes. Ganz ehrlich? Hätten sie ihn bloß mitgenommen. Dann würde hier wohlige Ruhe herrschen, und es würde keinem auffallen, wenn er morgens einfach nicht aufstand. Im Himmel konnten sie seinetwegen tun und lassen, was sie wollten, und wenn sie die Erde zu einem besseren Ort voller Friede, Freude und Eierkuchen machten – es war ihm vollkommen egal. Hatte er wenigstens keine Sünder mehr, die er ins Fegefeuer stecken musste. Dieses ewige Gejammer, dass sie ja inständig ihre Sünden bereuten und ihm alles geben würden, was er wollte, war echt nervtötend.

Der Gang mündete in einer weiten Höhle, deren Wände aus massivem Lava-Gestein bestanden. Shytan stellte sich vor das Steuerpult und starrte auf den riesigen Bildschirm, der an der Felswand hing. Darüber konnten sie sehen, was die Sterblichen trieben. Er schaltete von einem Land zum anderen und sah sich an, was im Moment in der Welt geschah.

Die Menschen schlugen sich mit den üblichen Lappalien herum. Krieg, Krankheiten und Naturkatastrophen. Der Waldbrand, den er gestern ausgelöst hatte, weil in Kalifornien eindeutig zu wenig losgewesen war, fackelte immer noch munter vor sich hin. Das ohnehin schon knappe Wasser wurde vergeudet, um die Flammen halbwegs unter Kontrolle zu halten. Russland fiel seit ein paar Wochen über eines seiner Nachbarländer her. Wie eine Hyäne, die sich den Kopf an einem Panzer eingerannt hatte und unter Schock stand, doch das hielt die Soldaten nicht davon ab, sinnlos zu morden, als gäbe es dafür Prämien. Nun ja, gab es durchaus. In Form von Fegefeuerjahren, aber dieses Detail hatte er den Deppen natürlich nicht verraten.

»Vielleicht bräuchte dort jemand Eure helfende, zur Sünde verführende Hand?«, fragte Bobodes.

»Ist dir tausendfacher Mord und Totschlag nicht aufregend genug?«

»Ich meinte eigentlich, damit es zu einem Ergebnis kommt«, korrigierte sich Bobodes. »Zu Sieg oder Niederlage. Ich dachte, Ihr hättet dem russischen Präsidenten etwas versprochen.«

»Das ist wahr«, gab Shytan zu. »Ich habe dem Volltrottel im Kreml versprochen, dass sein Andenken von seinem Volk und dem Rest der Welt nicht vergessen wird. Und das Ziel ist ja wohl erreicht.«

»Dann könntet Ihr dem ukrainischen Präsidenten …«, setzte Bobodes an.

»Oh, es wäre zweifellos amüsant, ihm zu helfen, seinen Rivalen loszuwerden«, gab Shytan zu. »Wenn ich mir die Stimmung auf der Welt allerdings so ansehe, tue ich damit eher Gutes, und anschließend klatscht mir Petrus noch persönlich Beifall.« Nein, ein jahrelang anhaltender Krieg samt Hunger-, Flüchtlings- und Wirtschaftskrise war das, was die elenden Pisser im Himmel am ehesten an den Rand nicht enden wollender Wutanfälle brachte. Die Menschen würden Shytan ihre Seelen hinterherwerfen, wenn er ihnen nur ein bisschen mehr Wohlstand versprach.

Shytan drückte weiter. Lamentierende Politiker, Atomwaffentests, oh interessant, da wurde eine ›Herr der Ringe‹-Serie gedreht, die musste er unbedingt bingwatchen. Was gab es noch? Mikroplastik in der Arktis, Merdian im Schlafanzug …

Bobodes hielt Shytan eine neue Tasse Kaffee hin. Er betrachtete ihn so voller Sorge, dass Shytan spürte, wie ihm schlecht wurde. Wenn einem Teufel eines nicht bekam, dann waren es Freundlichkeit und Fürsorge. Aus diesem Grund war hier niemand freundlich, und erst recht nicht machte man sich Sorgen um ihn. Irgendetwas heckte Bobodes aus, und Shytan wollte nicht im Geringsten wissen, was es war.

»Herr, Ihr solltet vielleicht Euren Bruder besuchen. Egal welchen«, schlug Bobodes vor.

»Warum?«

»Ihr seid ausgesprochen ruhig.«

»Ich habe keinen Grund mehr, mich aufzuregen. Im Gegenteil, so muss sich Erholung anfühlen. Meine chaotischen Brüder leben ihr Leben, und zwar so, dass ich nicht ständig hinter ihnen aufräumen muss.«

»Genau das ist es. Ich fürchte, Ihr seid nicht ausgelastet.«

Shytan hatte schon viele Frechheiten gehört, aber das schlug dem Fass den Boden aus. Er starrte Bobodes sprachlos an, der mit dem Fuß über den Felsboden kratzte, als müsste er die Steine dort sortieren. »Das gerade ist ein gutes Beispiel«, setzte er an. »Es gab Zeiten, da hättet Ihr mich für diese Unverfrorenheit furchtbar angebrüllt und in Brand gesetzt. Doch jetzt kommt … nichts.«

»Du willst dich nur wegen Mobbing beschweren können und bist sauer, dass du keinen Grund mehr hast.«

»Ihr wisst, dass das nicht wahr ist.«

Dieser Giftzwerg bettelte darum, also tat Shytan ihm den Gefallen. Er packte Bobodes an der Schulter, aus dem Ärmel von Shytans Pyjama schossen Flammen und hüllten den Diener der Hölle ein. Der im Übrigen nicht mal den Anstand besaß, gepeinigt zu kreischen. Er klopfte sich über die Kleidung, erstickte die Flämmchen, und das Einzige, was zurückblieb, war eine Menge Ruß.

»Sogar Eure sonst so gefürchteten Strafen sind nur halbherzig.«

Wenn ihn Bobodes in eine Depression quasseln wollte, war der auf dem richtigen Weg! »Bezeichnest du meine Flammen als halbherzig?«, fragte Shytan, und zu seinem Leidwesen merkte er selbst, dass er früher eindrucksvoller geklungen hatte.

»Das würde mir nicht im Traum einfallen, Herr«, log Bobodes, ohne rot zu werden. »Trotzdem, Ihr schlaft sehr viel.«

»Weil ich endlich keine Kopfschmerzen habe, die von meinen Brüdern verursacht werden und mich vom Schlafen abhalten!«

»Eben sagtet Ihr, Ihr wärt erholt.«

Bei allen Mächten der Hölle, sogar lügen konnte Shytan offenbar nicht mehr. Bevor er den Mund öffnen konnte, redete Bobodes bereits weiter.

»Ihr trinkt ausgesprochen wenig Alkohol.«

»Weil ich keinen Grund mehr dafür habe, wie oft denn noch?« Sein Leben war so entspannt, dass er sich nicht mehr zulöten musste, um überhaupt zu Schlaf zu kommen. Seine Leber dankte es ihm mit Sicherheit. Oder sie heulte, weil er sie ohne Vorwarnung auf Entzug gesetzt hatte. Vielleicht schlief er deswegen so viel.

»Ihr hattet seit Wochen keinen Sex mehr«, setzte Bobodes seine Aufzählung fort.

»Jetzt schlägt’s aber dreizehn!«, donnerte Shytan. »Woher willst du das wissen?« Er hob die Hand. »Nein, sag es mir nicht. Ich will es nicht hören!«

»Das sind ja ganz neue Töne«, sagte eine andere, leicht krächzende Stimme. »Früher wolltest du alles wissen. Egal, ob es dich etwas anging oder nicht.«

Inmitten der Höhle manifestierte sich eine hagere Gestalt, die zur Hälfte nur aus Bart zu bestehen schien. Jener war völlig ausgefranst und hob sich kaum vom Weiß seiner Kutte ab. Nur die grauen Augen funkelten amüsiert.

Shytan rieb sich über die Stirn. »Petrus, was machst du hier? Du hast gefälligst beim himmlischen Gericht auf mich zu warten. In der Hölle hast du nichts verloren.«

»Seit Talan den Himmel besucht hat, sind die Grenzen zwischen den Gefilden aufgeweicht.«, erwiderte Petrus. »Und ich wollte schon lange mal hier vorbeischauen.« Petrus betrachtete das angekokelte Pult. »Du erzählst mir seit Wochen, dass du es reparieren musst. Was hält dich ab?«

»Die Tatsache, dass ich verdammt viel zu tun habe.«

»Wenn man Bobodes glauben darf, schläfst du die meiste Zeit oder schaust Serien.«

Shytan krallte die Finger in das Pult, und das Metall knirschte gefährlich. Aber ehe er diesem gepuderten Wichtigtuer sagen konnte, dass er sich den Arsch für die Hölle aufriss, öffnete der den Mund.

»Du willst etwas, das dich an deine Brüder erinnert, hm?«

Shytan stöhnte. »Hör auf, diese Psychologiebücher zu lesen und jeden analysieren zu wollen.«

»Dann trägst du Merdians Marienkäfersocken nur aus Versehen?«, erkundigte sich Petrus so zuckersüß, dass Shytan ihn am liebsten mit ebenjenen Socken, gefüllt mit Lava-Steinen, verprügelt hätte.

»Die anderen sind in der Wäsche«, knurrte er.

»Und was ist mit Melyns Lampe? Warum steht die neben deinem Bett?«

»Die steht neben meinem Fernseher«, fauchte Shytan. Verflixt. Er war drauf reingefallen. Petrus war nie in seinem Schlafzimmer gewesen, woher zum Kuckuck hätte der das wissen sollen?

»Du solltest auch mal solche Psychologiebücher lesen. Vielleicht entwickelst du ja etwas, das man Empathie nennt«, schmunzelte Petrus und ließ sich auf den Bürostuhl vor dem großen Monitor sinken.

»Wie geht es Merdian?«, wechselte Shytan lieber das Thema.

Petrus drehte auf dem Bürostuhl eine Runde, die Füße angehoben und mit einem debilen Grinsen auf dem Gesicht, bevor er die Hände ausstreckte und sich an dem Pult abbremste. »Das solltest du selbst wissen.«

»Du bist der Schutzengel seiner Freundin«, gab Shytan zurück. »Warum soll ich nachsehen, wenn ich einfach dich fragen kann?«

»Tja, das ist eine interessante Frage«, erwiderte Petrus und faltete die Hände, wobei er die Zeigefinger aneinanderlegte und die Nasenspitze dagegen drückte. »Warum tust du es denn?«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Dass Merdian über deinen Bildschirm läuft.«

Verfluchte Hölle. Shytan hatte vom Weltgeschehen direkt in die Wohnung seines Bruders geschaltet. Etwas, was er sich eigentlich verbot, wenn jemand anderes dabei war. Das wäre allein schon blamabel genug, aber letztendlich sagte ihm das auch was über seinen Zustand. Er wurde langsam unkonzentriert.

»Wirst du krank, mein Freund?«, erkundigte sich Petrus.

»Der Teufel kann nicht krank werden«, knurrte Shytan. Es wäre zu schön, wenn das die Antwort wäre.

»Weißt du, was ich denke?«

»Nein, aber du wirst es mir sowieso gleich sagen.«

»Oh, wenn du es nicht hören willst, dann sage ich es nicht.«

»Das wäre ja mal ein völlig neues Vergnügen«, schnaubte Shytan.

»Ja, nicht wahr?«, freute sich Petrus. »Es ist hin und wieder an der Zeit, neue Verhaltensmuster auszuprobieren.«

Ganz toll. Damit fing Petrus ausgerechnet heute an. Normalerweise konnte der seine Weisheiten keine dreißig Sekunden für sich behalten. Jetzt summte er irgendein Lied und sah Merdian zu, wie der sich vor den Postern von irgendwelchen Wrestlern, die Davine in der Wohnung hängen hatte, aufplusterte und seine Muskeln verglich.

»Erhelle mich«, gab Shytan irgendwann auf.

»Du bist einsam.«

»Ist das alles?«, fragte Shytan genervt. »Ich bin gern allein, schon vergessen?«

»Deswegen stalkst du deine Brüder und zündest Bobodes an.«

»Wer stalkt hier wen?«

»Ich habe dich nicht gestalkt«, grinste Petrus. »Ich zählte nur eins und eins zusammen. Um die Zeit war immer eure Besprechung, und Bobodes riecht wie ein Grill, der mit dem Feuerlöscher durchgebrannt ist, aber er sieht eher unglücklich und unzufrieden aus.«

»Ich bin nicht einsam«, beharrte Shytan.

»Trotzdem hättest du gerne deine Brüder bei dir.«

»Ja, verflucht«, brummte Shytan. »Damit ich den ganzen Scheiß nicht alleine machen muss.«

»Du siehst wirklich überarbeitet aus. Du hattest nicht mal Zeit, dir was anzuziehen.«

Shytan sah an sich herunter. Ach ja. Er trug noch den Pyjama. Beim höllischen Element, er wurde langsam wie Merdian.

»Du brauchst unbedingt eine Frau«, behauptete Petrus.

»Einen Teufel brauche ich«, fauchte Shytan. »Eine Frau ist das Letzte, was mir fehlt.«

»Gibt es hier niemanden, der infrage kommt?«

»Oh, sie würden mir alle nur zu gern zu Diensten sein«, lachte Shytan. Kandidatinnen und Kandidaten, die alles tun würden, um dem Fegefeuer zu entgehen, gab es mehr als genug. Doch daran hatte Shytan momentan die Lust verloren. Es gab einfach keine Frau mehr, die ihn reizte. Im Übrigen auch keinen Mann. Oder jemanden, der sich zwischen oder außerhalb dieser Geschlechter definierte. Sie langweilten ihn allesamt innerhalb kürzester Zeit zu Tode.

Petrus legte die Fingerkuppen zusammen und sah ihn ernst an. »So geht es nicht weiter.«

»Dann verschwinde.«

»Du warst schon immer ein Griesgram, inzwischen nimmt deine schlechte Laune apokalyptische Züge an. Auf wessen Kappe geht dieser Krieg?«

»Ach komm, der ist seit Jahren in Vorbereitung.«

»Und plötzlich sind alle völlig unkoordiniert losmarschiert, obwohl das hinten und vorne weder aus menschlicher noch aus politischer Sicht Sinn ergibt?«

»Es ergibt Sinn«, beharrte Shytan. Er hatte ihn zwar im Augenblick vergessen, aber irgendwas hatte er sich mit Sicherheit dabei gedacht. Gut möglich, dass es was mit dem winzigen Pimmel und zum Ausgleich umso größeren Ego eines gewissen Staatschefs zu tun hatte. Auf dieser Schwäche fußten ja die meisten Kriege.

Petrus verengte die Augen und wechselte abrupt das Thema. »Und was war mit dem letzten Hurrikan?«

»Es ist gerade Saison.«

»Die atlantische Hurrikansaison dauert von Juni bis November. Es ist März.«

»Nebensaison.«

»Auch für Taifune, die den kompletten Luftverkehr lahmlegen? Und für Tsunamis und Überschwemmungen und Buschbrände, und was war mit dem plötzlichen Wintereinbruch und den dreißig Zentimetern Neuschnee innerhalb einer Stunde?«

»Klimawandel.«

»Nein, Shytan, das warst du!« Petrus zeigte theatralisch mit dem Finger auf ihn, doch als Shytan spöttisch die Augenbrauen hob, ließ er ihn wieder sinken und presste die Lippen aufeinander. »Gott hat mich beauftragt, eine Lösung zu finden.«

Für einen Moment rauschte es dermaßen in Shytans Ohren, dass er glaubte, sich verhört zu haben. »Der hat sich seit Jahrhunderten nicht mehr zu einer Anweisung herabgelassen.«

»Freu dich doch, dass du seine Aufmerksamkeit weckst.«

»Wenn dieser Korinthenkacker ein Problem mit mir hat, soll er verflucht noch eins herkommen, dann reiße ich ihm den Kopf ab und nehme ihn als neuen Kaffeefilter.«

Petrus Mundwinkel zuckten, aber er wirkte besorgt. »Ich meine es ernst.«

»Ich auch.«

»Du wirst dir also keinen Gefährten oder eine Gefährtin suchen?«

Shytan beugte sich vor, bis seine Nasenspitze beinahe die von Petrus berührte. »Nein. Wenn ich mich verliebe, dreh ich hier die Klimaanlagen so weit auf, dass es keine Fegefeuer mehr geben wird. Und dann öffne ich die Zugänge der Geisterwelt zum Himmel, und ihr könnt euch mit dem ganzen Scheiß rumschlagen, mit dem ich mich den ganzen Tag beschäftige. Geht das in deinen Kopf, alter Mann?«

»Das würdest du nicht tun.« So überzeugt Petrus klang, so nervös zupfte er sich an seinem Bart. »Es würde kein Chaos bringen, sondern Krieg. Nicht nur in den irdischen Gefilden. In unseren Sphären.«

»Dann sieh zu, dass du mir nicht den Krieg erklärst«, fauchte Shytan.

Petrus stand auf und rückte seine Kutte zurecht. »Als du noch erfolglos verhindert hast, dass sich deine Brüder verlieben, warst du mir sympathischer.«

»Als du Merdian noch nicht beim Sex beobachtet hast, hatte ich auch mehr Respekt vor dir.«

»Das ist notwendig«, protestierte Petrus.

»Ha«, entfuhr es Shytan. »Und jetzt verschwinde. Ich werde später zur Seelenverteilung kommen. Wenn es mir passt!« Er lächelte herablassend. »Ich schick dir ein Memo, wenn es so weit ist.«

Petrus presste die Lippen aufeinander und raffte seine weißen Gewänder. »Und ich komm dir doch bei!«

»Vergiss nicht, deinem obersten Brötchengeber meine respektlosesten Grüße zu bestellen.«

»Ich werd’s ausrichten«, brummte Petrus und löste sich buchstäblich in Luft auf.

Shytan drehte sich um und sah in Bobodes‘ Gesicht. Der Diener der Hölle hatte die ganze Zeit keinen Mucks gesagt und sah im Moment so angestrengt aus, als verkneife er sich nur mit Mühe jeglichen Kommentar. Aus Shytans Pyjamaärmeln zuckten warnend die Flammen, und Bobodes biss sich auf die Unterlippe.

»Du wolltest doch ein Teammeeting«, schnurrte Shytan. »Wir fangen mit dem Brainstorming an und werden uns jetzt ausdenken, wie wir ein paar Schutzengel zum Heulen bringen können.«

Die Mimik seines Dieners hellte sich auf, er lächelte fast schon fröhlich. »Immer zu Diensten, Herr.«

Kapitel 2Desaster befindet sich in Zustellung

›Hungersnot auslösen,

neue Pandemie erfinden,

Heizung im Petersdom ausfallen lassen,

Himmel zum Einstürzen bringen.‹

Was könnte Shytan abgesehen davon noch anstellen?

»Wie wäre es mit einem Vulkanausbruch?«, schlug Bobodes vor.

»Hervorragende Idee«, lobte Shytan und kritzelte ›geeigneten Vulkan zum Ausbrechen suchen‹ auf das Papier vor sich. Es handelte sich um einen etwas abgegriffenen Band aus dunkelbraunem Leder. Die ersten Seiten lösten sich bereits, und Shytan musste sie an die richtige Stelle schieben, damit sie nicht herausfielen. Nicht unbedingt das idealste Notizbuch, aber er wollte seine Einfälle mit jemandem teilen, der nicht Bobodes hieß.

Dieser war kaum losgezogen, um mehr Kaffee zu holen, als auf dem Papier unter Shytans Stichpunkten Worte auftauchten.

›Dir ist schon klar, dass mein Buch des Lebens kein Notizzettel für deine geplanten Schandtaten ist?‹

›Kann man ja mal verwechseln‹, schrieb Shytan zurück.

›Von wegen. Du brauchst jemanden zum Reden, und weil ich nicht wegkann, belästigst du mich.‹

›Das ist zutreffend.‹

Welchen Sinn hatte es, das zu leugnen? Steve war ein Schutzengel gewesen, und seit er unseligerweise mit der Heiligen Lanze aufgespießt worden war, mit dem einst ein Soldat Jesus am Kreuz diese Wunde zufügte, hatte seine Seele eine andere Form angenommen. Ihres körperlichen Aussehens beraubt, hatte sie sich in Steves Lebensbuch zurückgezogen, und wäre Shytan ein guter Kamerad, würde er einen Weg suchen, wie er Steve da rausbekam. Allerdings verlöre er dann einen unfreiwilligen Brieffreund, also war das keine Option.

›Geh Petrus auf die Nerven‹, forderte Steves Schrift.

›Der will mich verkuppeln.‹

Eine Zeit lang wartete Shytan auf eine Antwort, doch unter seinen Zeilen blieb das Papier unberührt. Gerade überlegte er, wie erbärmlich es wäre, eine Erwiderung anzumahnen, da besaß Steve endlich die Güte, zu antworten.

›Ich habe so sehr gelacht wie in meinem ganzen Leben nicht und das eingesperrt in einem Buch.‹

›Sieh an, du genießt langsam deinen kleinen Urlaub‹, spottete Shytan.

›Wenn das Urlaub ist, will ich mein Geld zurück. Keine Aussicht, ich kann mich nicht mal am Hintern kratzen, und meine einzige Gesellschaft ist ein nörgeliger, unausgeglichener Höllenfürst.‹

›Ich weiß nicht, was du meinst.‹

›Du willst die Heizung im Petersdom ausfallen lassen – du weißt schon, dass das lächerlich ist? Vor allem auch gemein. Der Papst ist ein alter Mann, und wenn er friert, rennt er noch öfter aufs Klo. Oder er legt sich endlich eine Bettpfanne unter die Decke.‹

›Soll sich euer trotteliger Chef um die Blase des alten Zausels kümmern‹, schrieb Shytan. ›Sein letzter Wutanfall liegt ein paar Jahrhunderte zurück, dabei waren die immer amüsant anzusehen.‹

›Du musst ein Kind gewesen sein, als Gott die Welt das letzte Mal mit seinem Zorn überzog.‹

›Ich war fünfzehn, um genau zu sein.‹

In Wahrheit konnte sich Shytan nicht besonders gut an die Sintflut erinnern, er hatte auch den obersten Zuständigen der gefiederten Quacksalber nie zu Gesicht bekommen, aber das war wahrlich kein Verlust.

Glücklicherweise trödelte Bobodes beim Kaffeeholen. Wenn er seinem Diener erklären musste, warum er sich angeregt mit einem Notizbuch unterhielt, verpetzte der ihn nur wieder bei Petrus.

›Wenn du einen richtig netten Wutanfall sehen willst, lass den Lieblingssender vom russischen Präsidenten hacken, damit sie die Serie laufen lassen, in der sein erklärter Feind die Hauptrolle hat.‹

Hey, das war mal eine gute Idee. ›Solltest du dich je entscheiden, in die Hölle zu wollen, wärst du die erste Seele seit Jahrhunderten, die mir tatsächlich willkommen wäre.‹

›Dazu müsste ich aus diesem verfluchten Buch rauskommen.‹

Shytans Kugelschreiber glitt über das Papier. ›Im Buch musst du dich nicht um nervige Schützlinge kümmern.‹

›Selbst die fehlen mir langsam.‹

Vielleicht hätte sich Shytan breitschlagen lassen, doch nach einer Lösung für Steves Problem zu suchen, allerdings kam Bobodes just in diesem Moment zurückgerannt. Ohne Kaffee, dafür außer Atem.

»Petrus braucht Eure Hilfe, Herr«, keuchte er heraus.

»Du warst in der Küche, woher willst du das wissen?«, fragte Shytan misstrauisch.

Bobodes lief puterrot an und fuhr sich durch das strubbelige Haar. »Petrus sagte, seit Viktor an der Kommunikationsanlage herumgefummelt hat, kommt er damit nicht mehr klar, außerdem hat er keine Lust, Euer miesepetriges Gesicht zu sehen, jedenfalls nicht früher als nötig. Also ist er mir im Display der Kaffeemaschine erschienen.«

»Wie reizend«, brummte Shytan. »Und wo ist mein Kaffee?«

»Äh«, machte Bobodes, und Shytan verdrehte die Augen.

Bobodes‘ Blick fiel auf das Buch unter Shytans Fingern. »Schreibt Ihr schon wieder mit Steve?« Er klang so empört, als hätte Shytan ihn betrogen.

»Nein …« Shytan schlug den Band zu und steckte ihn in die Innenseite seines Sakkos. Nachdem sich Bobodes mehrfach laut sinnierend darüber ausgelassen hatte, ob Shytan den Pyjama zur neuen Dienstkleidung der Hölle erklären wollte, hatte er sich schlussendlich umgezogen. Es war unfassbar, wie ausdauernd Untergebene nörgeln konnten.

Seufzend erhob er sich und streckte sich. Er gestand es nicht gern, doch er war wirklich neugierig, was Petrus angestellt hatte. Wenn er schmollte und trotzdem nach Hilfe kreischte, musste einiges im Busch sein.

Shytan konzentrierte sich auf das himmlische Gericht, und das Lava-Gestein der Hölle verschwand. Es löste sich auf, stattdessen bildeten nun flauschige Wolken die Begrenzungen des Raums, der nicht mehr Mobiliar zu bieten hatte außer ein paar Bürostühlen und einer Seele, die ein Buch in den grauen Händen hielt und ins Leere stierte. Solange kein Urteil über sie gesprochen wurde, besaßen die Seelen schlichtweg keinen Willen und konnten daher nicht weglaufen oder sich beschweren, warum das alles so lange dauerte.

Eigentlich war es im Himmel und in der Hölle verpönt, Seelen zu lange auf ihren Urteilsspruch warten zu lassen. Allerdings war nichts mehr wie zuvor, seit Talan mit Melyn die Hölle verlassen hatte. Früher hatte Talan wenigstens hin und wieder Seelen eingeteilt, jetzt tat er so, als müsse er in den Sphären des Mars‘ eine Hölle für die ersten Siedler dort oben einrichten.

Shytan würde darauf wetten, dass vor der Wolkenwand tausende weitere Seelen warteten, aufgereiht in einer ordentlichen Schlange, die sich bis zum Horizont der Zwischenwelt zog. Alle wollten wissen, wie ihr Leben nach dem Tod aussah. Himmel, Hölle oder Geisterreich. Aber da sie alle die Ewigkeit zur Verfügung hatten, kam es auf die halbe Stunde nicht an. Kurzum: Die Seelen wären nachher noch da, Shytan konnte sich schließlich nicht teilen.

Shytan marschierte durch eine der Wolkenformationen und landete vor der goldenen Tür des Himmels. Es hatte bisher nur drei Gelegenheiten gegeben, zu der er diese durchschritten hatte.

Als Kind hatte er sich in den Himmel geschlichen, um mit Jesus zu spielen. Sein Vater hatte sich fast einen Bandscheibenvorfall gelacht, die Engel waren durch die Bank weg empört, und hätten sie Fackeln und Mistgabeln gehabt, sie hätten ihn damit hinausgejagt.

Das zweite Mal war viele Jahrhunderte später auf Petrus‘ Einladung hin gewesen, der geglaubt hatte, sich als Familientherapeut verdingen zu müssen und Shytan mit seinem Vater zusammenzuführen. Dass sich Luzifer für das Rentnerdasein im Himmel entschieden hatte, verzieh ihm Shytan bis heute nicht.

Beim dritten Mal hatte er sich von Talan wie eine besonders dumme Maus in die Falle locken lassen und die himmlischen Heerscharen aufgeschreckt, weil er meinte, Melyn retten zu müssen. Petrus hatte allerdings recht. Seither waren die Grenzen zwischen Himmel und Hölle wirklich aufgeweicht. Shytan hatte erwartet, dass man ihm mit Feindseligkeit begegnete, sobald er nur in die Nähe der goldenen Pforte kam. Aber nichts. Der Engel, der vor der Tür Dienst schob, stierte ihn nur pikiert an, doch er protestierte nicht, als Shytan die Klinke herunterdrückte und das Reich der ewig selbstgefälligen, überdimensionalen Möchtegern-Tauben, auch bekannt als Schutzengel, betrat. Das Einzige, was sie von den geflügelten Ratten unterschied, war die Tatsache, dass sie nicht auf Autos kackten.

Die Wahrscheinlichkeit, einmal im Leben vom Blitz getroffen zu werden, liegt geschätzt bei 1 zu 20 Millionen. Wenn man tot war und sich in die Wolkenwand des himmlischen Gerichts stellte, lag sie nach Alanas Erfahrung allerdings bei ziemlich genau hundert Prozent. Tot zu sein hieß offenkundig nicht, keine Schmerzen mehr zu fühlen. Das ergab, wenn sich Alana das mit ihren durchgegrillten Hirnwindungen überlegte, durchaus Sinn. Das Fegefeuer zum Beispiel wäre komplette Verschwendung, wenn eine Seele in den Flammen ungefähr so viel empfand wie ein Querschnittsgelähmter, dem man seinen kleinen Zeh abfackelte. Alana konnte nur hoffen, dass der schwarzhaarige, hochgewachsene Schönling, der vorhin das Wolkenzimmer betreten hatte, um in der flauschigen Wand gegenüber zu verschwinden, nicht zurückkam und sie sich erneut verstecken musste.

Denn im Gegensatz zu der Seele im Wolkenzimmer stierte sie nicht ins Leere. Alana besaß einen Willen, sie konnte sich frei bewegen, sie durfte sich bloß nicht erwischen lassen. Das war es, was ihr der Anführer ihres Hexenzirkels, Carter, eindringlich mit auf den Weg gegeben hatte. Seelen bekamen erst ihren Willen (und ihre natürlichen Farben) zurück, wenn sie im Himmel ein Engel wurden oder in der Hölle im Fegefeuer landeten oder als Geister auf die Erde zurückgeschickt wurden, um dort in ausgewählten Bruchbuden mit einem gepflegten Buh dafür zu sorgen, dass vor Schreck alle inkontinent wurden. Nur auf Alana und ihre beiden Schwestern traf das nicht zu – weil sie Hexen mit einer besonderen Begabung waren. Eine besondere Begabung, auf die Alana liebend gern verzichtet hätte.

Es gab zwar Schlimmeres als tot zu sein, aber sie konnte nicht behaupten, dass sie vom Jenseits sonderlich beeindruckt war. Geschweige denn von dem so gefürchteten himmlischen Gericht.

Wenn man sie fragte, waren die Verantwortlichen bei der Einrichtung des himmlischen Gerichts ziemlich knausrig gewesen. Es gab nicht mal eine Richterbank, nur zwei momentan verlassene Drehstühle. Selbstverständlich in Weiß. Der einzige ›Farb‹-Tupfer waren Alana und die Seele, die immer noch ins Leere stierte. Sie beide waren von einem heiteren Grau.

Kurzum: Es gab schlichtweg keine anderen Verstecke als die Wände, und in denen rumorte gerade ein Unwetter. Alana zuckte zusammen, als es abermals blitzte und donnerte und sich mittlerweile der Großteil der Schwaden schwarz gefärbt hatte. Nur die Seite, durch die der Fremde verschwunden war, blieb weiß.

Oh man, Alana wollte nicht erneut in die Wolkenwand treten, doch hierbleiben konnte sie auch nicht. Sie musste in den Himmel, und vielleicht führte diese Wand ja ins paradiesische Reich.

Alana ging an der Seele vorbei und steckte vorsichtig das Gesicht in die Wolken. Sie beugte sich vor und sah durch den Schleier die Umrisse eines korpulenten Engels, der sich vor einer doppelflügeligen Tür aufgebaut hatte. Sie funkelte golden, und hätte Alana noch ein funktionierendes Herz, hätte es gehüpft vor Aufregung. Das war das Tor zum Himmel, und es wurde bewacht, leider.

Alana zog sich zurück und rieb sich über die ätherische Stirn. Der normale Weg in das Reich Gottes bedeutete, vor dem himmlischen Gericht, das momentan unbesetzt schien, das Urteil über die Schand- und Heldentaten ihres Lebens zu empfangen und Engel zu werden. Da sie ihr gesamtes Leben allerdings damit zugebracht hatte, alles zu tun, um genau dort nicht hinzukommen, konnte sie sich diese Möglichkeit schon mal abschminken.

Sie brauchte eine Ablenkung. Sonderlich viel Material gab es hier jedoch nicht. Sie könnte höchstens die Stühle durch die Wolkenwand werfen und hoffen, den hünenhaften elysischen Türsteher damit niederzuschlagen. Oder sie lockte ihn in die Wolkenschleier, und er wurde dort vom Blitz getroffen. Hey, das war doch eine gute Idee.

Alana trat durch die Wolken hindurch, und der Engel legte bereits die Hand auf die Klinke. War er etwa so abgestumpft, dass er sie einfach hineinließ? Sie starrte auf seine Finger, die die Türklinke nach unten drückten, dann hielt er inne.

»Warte, du bist kein Engel«, rief er aus und deutete auf sie. »Du bist grau!«

»Ich wollte mal ein neues Farbschema ausprobieren. Das ewige Weiß ist aus der letzten Saison.«

»Du musst erst das Urteil des Gerichts empfangen!«

»Die Post hat es verschludert.«

Der Engel blinzelte irritiert. »Wieso kannst du dich überhaupt mit mir unterhalten?«

»Eine Unterhaltung würde ich das nicht nennen. Selbst mit einem Affen kann man anspruchsvollere Konversationen pflegen.«

Der Kerl mochte nicht sonderlich helle sein, aber er besaß eindeutig ein Temperament, das hier oben noch nicht tiefgekühlt worden war und sich leicht provozieren ließ. Mit einem Aufschrei sprang er ihr entgegen, und Alana wich zurück. Dichter Nebel umfing sie, nahm ihr einen Augenblick lang die Sicht, bis sie abermals im Raum des himmlischen Gerichts landete.

Mittlerweile erstreckte sich die Gewitterfront auf alle vier Wände, Wind zerrte an ihr, und sie hielt den Atem an, als sie weiße Flügel herausragen sah. Gleißendes Licht blendete sie, der Donnerknall ließ ihre Ohren klingeln, und über den einsetzenden Tinnitus hörte sie das Schreien eines Mannes. Ha, der Blitz war diesmal an der richtigen Stelle, äh in der richtigen Seele eingeschlagen. Das war ihre Chance.

Alana hechtete an dem geflügelten Türsteher vorbei, der im Schleier der Gewitterwolken fast schon ekstatisch zuckte. Sie hatte einen Fuß auf die andere Seite gesetzt, ohne von einem Blitz erschlagen zu werden, da packte sie jemand an den Haaren, riss sie zurück und schleuderte sie wieder in den Gerichtsraum. Sie krachte gegen einen der Drehstühle, ihr Gesicht drückte sich gegen das Polster, und sie kippte mit dem Ding um. Au, verflucht. Warum hatte sie nie auf ihre Schwester gehört und sich die Haare kurzschneiden lassen?

Stöhnend wälzte sie sich von dem Drehsessel. Der Türsteher der himmlischen Pforte baute sich über ihr auf, sein Haar stand wild ab und glomm an den Spitzen. Seine Federn waren völlig zerrupft, und er beugte sich zu ihr, um nach ihr zu greifen. Sie wollte nicht herausfinden, was er mit ihr vorhatte. Sie trat ihm mit aller Kraft erst gegen das Knie und dann in den Bauch. Aber bedauerlicherweise bekam er ihren Fuß zu fassen und ließ ihn auch nicht los, als sie daran zerrte. Okay, okay, sie brauchte einen neuen Plan.

Alana spürte, wie sich die Magie in ihr nach draußen drängte. Mit einem tiefen Atemzug konzentrierte sie sich, und mit dem Ausatmen ließ sie die Macht in sich frei. Es fühlte sich jedes Mal an, als würde sie alles loslassen. Früher war es gewesen, als verließe ihre Seele für einen winzigen Moment den Körper, doch ihr weltliches Fleisch lag jetzt verkohlt auf einem Friedhof südlich von Edinburgh. Und sie vermisste nicht eine Faser davon. Ihr Leib war ihr seit jeher wie ein Gefängnis erschienen, nun erhielt sie einen Vorgeschmack auf die Freiheit, die Jesus den Magiern der Erde schenken konnte, wenn er nur zu ihnen zurückkehrte.

Scharlachroter Nebel hüllte die Seele ein, die noch immer mitten in dem Raum stand und sich nicht darum scherte, dass sich neben ihr ein Engel und eine Frau prügelten. Die Leere wich aus dem Blick des Mannes, und er schüttelte den Kopf.

»Hilf mir«, rief Alana und verstärkte ihre Magie in dem roten Schimmer.

Die schillernde Seele zögerte nicht, sondern sprang dem Engel auf den Rücken und zerrte an seinen Federn, bis er schmerzerfüllt aufbrüllte und Alana losließ.

»Gib ihm Saures«, feuerte Alana ihren Helfer an. »Reiß ihm jede Feder einzeln raus.«

Egal, wie sehr sich der Engel aufbäumte, es gelang ihm nicht, seinen Angreifer abzuschütteln. Aber elender Mist, die blockierten die Wand, die zum Himmel führte!

Alana versuchte mehrfach, sich an den beiden Kampfhähnen vorbeizumogeln, doch der Türsteher bemerkte es jedes Mal und stellte sich ihr in den Weg. Jetzt warf er die mittlerweile rot glühende Seele auf den Boden und schüttelte den Mann durch. Alana beobachtete, wie ihre Zauberkraft regelrecht aus ihm herausgerüttelt wurde. Oh, das war nicht gut!

Alana wirbelte herum und erwischte einen Moment, als ein Blitz erlosch, und hechtete kurzentschlossen hindurch. Ha! Sie wurde nicht vom Schlag getroffen, dafür war es wie durch eiskaltes Wasser zu springen.

Alana rannte die Reihe der starr stehenden Seelen entlang und quetschte sich zwischen die Seele eines älteren Herrn und einer Frau mit Dauerwelle. Keinen Muskel rührte sie und stand einfach nur still. Sie beobachtete, wie der Portier des Himmels durch die Wolkenwand wankte, ebenfalls durchnässt, wild fluchend (Wenn das sein Chef mitbekam, war der Teufel los.) und sich um die eigene Achse drehend, dass ihm schwindelig werden musste. Er suchte nach ihr, aber sie verschmolz praktisch in der Masse der anderen Seelen, und er gab sich nicht sonderlich viel Mühe, sie sich alle genau anzusehen. Nicht mal eine Minute später verschwand er wieder inmitten der Wolken. Bestimmt schlug er nun im Himmel Alarm. Alana musste sich also beeilen, wenn sie die Zeit nutzen wollte, bis die einen Suchtrupp nach einer zu agilen Seele auf die Beine gestellt hatten.

Alana strich sich eine Strähne ihres dunklen Haares vor den Augen weg. Es lag schwer und nass auf ihrer Schulter. Ob man als Geist noch eine Erkältung bekommen konnte? Wobei … Ein Geist war sie ja nicht. Sie war eine Seele, die sich eigentlich wie die anderen zighundert Lemminge vor dem himmlischen Gericht in der Zwischenwelt anstellen sollte. Wer die entworfen hatte, brauchte auch mal einen guten Psychiater. Wie die Seelen war hier alles grau, kaputt und tot. Verdorrte Rasenflächen, vermoderte Häuser, zerstörte Wolkenkratzer, demolierte Autos. Das ganze Gerümpel, das auf der Erde niemand mehr hatte haben wollen, stapelte sich hier, und dazwischen bildeten die Seelen eine lange Reihe. Einige trugen Uniformen oder Brautkleider, andere wiederum nicht mal eine Unterhose. Das waren dann wohl die berühmten Dusch- und Sexunfälle. Ein Mann hatte eine klaffende Wunde im Gesicht. Bah, an ihr sah man hoffentlich keine Brandspuren. Zu verbrennen war schließlich nicht förderlich für die Schönheit.

Alana konnte nur mühsam dem Drang widerstehen, nach einem Spiegel zu suchen. Sie hatte jetzt keine Zeit für Eitelkeiten. Alana legte sich die Hände an die Wangen und grub ihre Fingernägel hinein. Sie musste sich konzentrieren! Carter hatte behauptet, dass ihre Fähigkeiten als Hexe, die die Toten beherrschen konnte, nach ihrem Tod bei ihr blieben. Nur so konnte sie sich erklären, dass sie sich im Gegensatz zu den anderen bewegen konnte. Aber er hatte ebenfalls gesagt, dass diese Kräfte zunehmend schwächer werden würden, bis sie ganz verschwanden. Wer dachte sich solchen Mist aus? Warum?

Ach ja, weil sie eine der drei Schwestern war, die eine Prophezeiung zu erfüllen hatten. Eine Prophezeiung, die besagte, dass sie Jesus auf die Erde bringen sollten. Wenn Alana das Schicksal zu fassen bekam, haute sie ihm dermaßen eine rein, dass es anschließend seine Zähne mit einer Pinzette zusammenpuzzeln musste, um sie wieder einsetzen zu können. Es war absolut keine Ehre, mit einer solchen Prophezeiung geboren zu werden. Es war einfach nur zum aus der Haut fahren. Wenn sie es sich recht überlegte, konnte sie ihre Wut auch gleich nutzen. Mit Wut war sie stärker. Sie fühlte sich freier, die Hemmungen, anderen ihren Willen aufzuzwingen – und sei es den Toten –, wurden geringer.

Erneut verließ rubinroter Nebel ihre Hände und hüllte den vorderen Teil der Reihe der Seelen ein. Ihr Blick wurde wacher, sie richteten sich auf und streckten sich wie nach einem langen Schlaf. Alle hielten die Bücher ihres Lebens in der Hand, in denen auf unzähligen Seiten festgehalten war, wie sie die Zeit ihres Lebens verbracht hatten. Die meisten sahen sich zuerst an, was sie umklammerten, und dann den Rest der Umgebung.

Alana ging die Reihe entlang. »Ihr seid frei«, sprach sie zu ihnen. »Der Himmel steht euch offen, wenn ihr mir folgt.«

Schön, es war eine Lüge, sollte sie doch jemand dafür verklagen! Alana konnte den Seelen den Weg in den Himmel zeigen, sie würde jedoch nicht darauf wetten, dass die Mächte des Himmels kein Mittel fanden, die natürliche Ordnung wiederherzustellen. Aber auf eines konnte sie sich definitiv verlassen: Die meisten Menschen wollten in den Himmel. Sie wollten nicht herausfinden, ob die Hölle wirklich voller Qualen war oder doch ein dufter Ort, an dem es Tequila und Sexorgien ohne Ende gab.

Der Himmel bestand im Übrigen wahnsinnig einfallsreich im Wesentlichen aus einer Schönwetterwolkendecke. Die Sonne brannte und reflektierte sich in dem gleißenden Weiß, sodass Shytan die Augen zusammenkneifen musste, um überhaupt etwas erkennen zu können. Petrus hätte er beinahe über den Haufen gerannt, weil sich dieser wunderbar mit seinen Gewändern und seinem Bart in das blütenweiße Desaster eines talentlosen Inneneinrichters einfügte.

»Au«, jammerte Petrus.

»Ich habe dich nicht gesehen.«

»Ha«, machte Petrus ungläubig. »Ich habe vor deinem Gesicht gewunken, bevor du in mich reingelaufen bist. Du warst gedanklich komplett abwesend.«

»Ich war inmitten der Planung der Apokalypse.«

Petrus zuckte zurück. Er zupfte sich an seinem Bart herum, wie immer, wenn er nervös war. Allerdings hatte Shytan bisher nie bemerkt, dass er schon eine kahle Stelle an der Wange aufwies. Die war eindeutig neu.

»Was soll das bitte für ein Notfall sein, dass ihr den Teufel in den Himmel holt, damit der das Problem löst?«, fragte Shytan und runzelte die Stirn. »Wenn ihr wieder versucht, mich mit meinem Vater auszusöhnen, gibts ein Himmelsglühen, dass sogar der Mars dagegen blass aussieht!«

»Keine Sorge.« Petrus hob die Mundwinkel, doch selbst ein unempathischer Charakter wie Shytan sah, dass das Lächeln gezwungen war. »In deine Familienverhältnisse mische ich mich nicht mehr ein. Euer Gebrüll hat sämtliche Schäfchenwolken so verschreckt, dass sie Blähungen bekamen und einen Sturm vom Feinsten losließen.«

Oh, er erinnerte sich. Der Sturm hatte die Ostküste der USA erreicht und hunderte Häuser zerstört. Daraufhin waren die Anfragen auf einen Pakt mit dem Teufel, um der Not zu entgehen, exorbitant gestiegen. Es gab nur wenig bessere Argumente als Schicksalsschläge, um zu erkennen, dass einem ein Schutzengel nichts nützte, wenn man ein Dach über dem Kopf brauchte. Das reine Leben reichte eben den Wenigsten. Sie wollten ihr Haus, ihre Couch und ihren Fernseher zurück. Und den vollen Kühlschrank natürlich. Oder wenigstens den Pizzadienst um die Ecke, der die Ränder immer so knusprig machte und mit Käse füllte. Kaum jemand sah in dem Ende all dessen den Sinn des Neuanfangs. Für die Hölle das gefundene Fressen. Gäbe es all die Gier und die unerfüllten Wünsche nicht, wären sie nur damit beschäftigt, Sünder zu bestrafen, und das wäre auf Dauer ziemlich langweilig.

»Ich dachte, wir könnten uns einen schönen Tag machen«, sagte Petrus gerade.

Shytan starrte ihn ohne zu zwinkern an. Wie bitte? Er lockte ihn mit einem angeblichen Hilfeschrei hierher, um dann mit ihm den Tag zu verbringen? »Das können wir durchaus, eigentlich machen wir das jeden Tag. Ich in der Hölle, du im Himmel oder bei meinem Bruder.«

»Oh, die Tage bei Merdian sind wirklich der Knaller«, erwiderte Petrus. »Aber ich rede von einem gemeinsamen schönen Abend hier oben.«

Jetzt grinste Shytan höhnisch. »Seit wann hast du Interesse an einem Stelldichein mit einem Höllenfürsten?«

Petrus verdrehte die Augen. »Deswegen kam euch die ganze Zeit keiner besuchen, bei euch geht es immer nur um Sex.«

»Wir sind die Hölle, schon vergessen?«, gab Shytan zurück. »Im Übrigen haben eure braven Kirchenvertreter auf der Erde mehr intime Begegnungen als mancher Familienvater.«

Mittlerweile fusselte Petrus regelrecht, weil er so an seiner Gesichtsbehaarung zupfte. »Dann wirst du dir diese Gelegenheit kaum entgehen lassen.« Er deutete auf eine aufgetürmte Wolke, die wie eine seltsame Säule inmitten des flauschigen Nichts herumstand. Die Wolkenfetzen stoben auseinander, und heraus trat eine Frau mit weit ausgebreiteten Flügeln. Petrus lächelte sie an, fasste sie unter dem Arm, und obwohl sie sich sträubte, schob er sie Shytan hin wie ein Jungfrauenopfer.

»Wer ist das?«, fragte Shytan schroff.

»Patricia«, erwiderte Petrus.

»Und warum drückst du sie mir fast ins Gesicht?«

Kapitel 3Chaos wurde geliefert

 

Wenn Shytan nicht von dem Wolkenweiß blind geworden war, wurde er es spätestens bei Petrus‘ strahlendem Lächeln. »Gefällt sie dir?«, fragte dieser enthusiastisch.

»Soll ich die Jury für einen Wet-Angel-Contest komplettieren?«, erkundigte sich Shytan.

Patricia riss sich los, stieg erst Shytan auf den Fuß und schließlich Petrus, der das mit einem lauten ›Aua!‹ quittierte, bevor es ihr gelang, sich zwischen ihnen durchzuquetschen. Schwer atmend ging sie auf Abstand, zumindest sah es Shytan im Augenwinkel, weil er Petrus ungerührt anstarrte und verflucht noch eins auf eine Antwort wartete, was das hier werden sollte.

»Du könntest wenigstens mal blinzeln, das ist wirklich gruselig«, beschwerte sich Petrus.

»Ich finde hier ganz andere Sachen gruselig«, murmelte Patricia, schüttelte ihre Flügel aus und warf ihre langen roten Haare über die Schulter. Sie trug ein elegantes Abendkleid (natürlich in weiß – hier oben schien niemand was vom Rest der Farbpalette gehört zu haben) und war stärker geschminkt als die Nutten in Amsterdam.

Petrus sollte ja nicht glauben, er wüsste nicht, was der Kerl bezweckte. »Hör auf, mein Zuhälter zu sein«, fauchte Shytan. »Ich werde nicht mit ihr schlafen.«

»Na das beruhigt mich ungemein«, spottete Patricia. Sie spreizte die Fittiche und hob störrisch das Kinn. Eine Frau, die sich nichts sagen lassen wollte. Das allerdings war durchaus Shytans Beuteschema. Wenn er es sich recht überlegte, war es eigentlich verstörend, dass Petrus darüber so gut Bescheid wusste. Obwohl … So wie der gerade die Hände rang, war er sich offenbar doch nicht mehr so sicher.

»Soll ich lieber unter den männlichen Engeln Ausschau halten?«, fragte Petrus zweifelnd.

»Du sollst überhaupt nicht Ausschau halten. Es sei denn, du willst deinen Hintern zur Verfügung stellen«, blaffte Shytan.

Petrus lief knallrot an. »Ähm …«

Shytan musterte Petrus von oben bis unten. »Du solltest dich zwar mal wieder rasieren, aber mich hat seit jeher interessiert, was du unter deiner Kutte hast.«

Petrus‘ Finger zuckten zu seinem Gewand, als würde er sichergehen wollen, dass alles an Ort und Stelle war.

»Du solltest im Namen aller Heiligen ein Date haben«, rief er empört. »Nimm es als göttliche Anordnung.«

»Hast du dem Obermacker der verkommenen Christenheit gesagt, dass er sich die Kniescheiben herausoperieren und dort hinein ficken soll?«, fragte Shytan.

Petrus verfügte noch nie über einen sonderlich gesunden Teint, doch jetzt wurde er blasser als jede Wolke. Dennoch würde Shytan nicht darauf wetten, dass er auch gleich die Fassung verlor. Petrus war schon immer ein Meister der Selbstbeherrschung gewesen. Statt ihn anzubrüllen, wie es jeder vernünftige Mensch täte, machte Petrus Entspannungsübungen und atmete wie ein Blasebalg. »Über deinen Humor müssen wir uns noch mal unterhalten«, keuchte er. »Was ist an Patricia auszusetzen? Sie ist eine kluge Frau. Sie war mal Neurowissenschaftlerin.«

»Dann frage ich mich, was sie überhaupt hier will.«

»Sie hat eine Wette verloren«, behauptete Petrus. »Und fand dich anziehend.«

»Genau genommen habe ich einen Auftrag auf der Erde vergeigt und wurde vor die Wahl gestellt, als nächsten Schützling entweder einen Kuhbesamer zu bekommen, weil dessen Schutzengel wegen Boreouts beim Schutzheiligen Dr. Lukas in Behandlung muss, oder dich zu daten«, erwiderte Patricia. »Außerdem wollte ich sehen, ob man wirklich dermaßen miesepetrig sein kann.«

»Kann man, und jetzt geh Kühe besamen«, knurrte Shytan.

Patricia verdrehte die Augen und kehrte ihnen den Rücken zu, in der eindeutigen Absicht, zu verschwinden. Petrus hängte sich regelrecht an ihren Arm, und es war ein Wunder, dass er nicht auch noch auf seine knochigen Knie sank.

»So wird das nie was«, jammerte Petrus.

»Dann habe ich ja Glück, denn es soll auch nichts werden«, fauchte Shytan. »Willst du mir ernsthaft weismachen, ihr würdet mir einen eurer Engel überlassen?«

Das war doch eine Verlade des Himmels. Nur weil sich seine Brüder verliebt hatten, hieß das nicht, dass er in die gleiche Falle stiefelte. Und erst recht nicht verliebte er sich in einen Schutzengel und bettelte bei dem Häuptling dieser christlichen Fusselfänger darum, dass er in den Himmel durfte und die Hölle damit endgültig nicht mehr besetzt war.

»Nun, beschreiben wir es so«, setzte Petrus an. »Hätte Patricia weiterreichendes Interesse an dir und du an ihr …« Als Patricia nur abfällig zu lachen begann, redete er einfach lauter weiter: »… hätte ich den Segen so mancher himmlischen Macht, um euch zu vereinen. Seit deine Brüder weg sind, ist deine Laune wirklich übel. Lieber senden wir einen Engel in die Hölle, als dass du in deinem Zorn schon wieder versuchst, die Erde zugrunde zu richten. Bisher war jede Vorhersage der Apokalypse völliger Humbug, aber mit jedem deiner Wutanfälle kommen wir der Erfüllung näher. Und was soll ich sagen? Dann hört nicht nur die Hölle auf zu existieren, wir wären innerhalb kürzester Zeit arbeitslos. Allesamt.«