Küss mich, Cowgirl (Teil 3) - Claudia Westphal - E-Book

Küss mich, Cowgirl (Teil 3) E-Book

Claudia Westphal

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Beschreibung

Mirandas verrückte und bösartige Schwester Callie leidet unter der Missachtung ihres Vaters James Miles und plant seinen Tod, um sich selbst als Herrscherin über Miles' Creek aufzuschwingen. Miranda ahnt, dass ihre Schwester etwas im Schilde führt, kann den Mord an ihrem Vater jedoch nicht verhindern. Callie nimmt wie selbstverständlich die Stellung ihres Vaters ein und versetzt mit einer Horde Mexikaner die Stadt in Angst und Schrecken. Miranda und BJ, deren Liebe auf eine harte Probe gestellt wird, planen mit kräftiger Unterstützung ihrer Freunde einen Aufstand, um die Stadt endgültig von der Tyrannei zu befreien und gehen dabei große Risiken ein ...

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Claudia Westphal

KÜSS MICH, COWGIRL

Teil 3

Originalausgabe: © 2006 ePUB-Edition: © 2013édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Lisa Marie war indessen auf dem Weg zur Poststation, die in Miles’ Creek auch das Telegrafenamt beherbergte. Sie war sich bewußt, daß BJ nicht zimperlich mit dem Mann des Gesetzes umspringen würde, doch er hatte es sich selbst zuzuschreiben. Wenn man für einen Mann wie James Miles die Drecksarbeit erledigte, mußte man darauf gefaßt sein, daß irgendwann einmal jemand auftauchte, der stärker war – und vielleicht war gerade dieser Jemand sogar stärker als Miles selbst.

Die Anwältin fand es aufregend und beängstigend zugleich, daß sie nun tatsächlich zu der Gruppe dieser Aufständischen gehörte. Obwohl sie als weiblicher Anwalt bereits zu einer Pionierin geworden war, sah sie sich doch nie als Rebellin. Das Gesetz duldete keine Rebellion, doch in diesem Fall war die Gegenseite ein Mann, der sich selbst über das Gesetz stellte. Das konnte sie doch nicht zulassen!

Der süße Duft von Verwegenheit umwehte Lisa Marie Tragger, als sie die Poststation betrat und zum Schalter ging. »Ich möchte bitte ein Telegramm aufgeben«, sagte sie entschlossen, und der Beamte schaute auf.

»Füllen Sie das bitte aus. Sie können doch schreiben?« fragte er nach, und sie nickte. Er schob ihr einen Zettel hinüber und einen Bleistift.

»Danke.« Lisa Marie schrieb in Windeseile ein paar Zeilen und die Adresse auf das Stück Papier und schob es dann wieder dem Beamten hinüber.

»New York . . .«, murmelte er. Dann machte er sich ans Telegrafieren. Während Lisa Marie wartete, bemerkte sie den Sheriff, der ungewöhnlich eilig die Stufen zur Poststation heraufkam. Überraschenderweise hielt er genau auf sie zu und lächelte dabei. Die Anwältin erwiderte das Lächeln.

»Guten Morgen«, grüßte der Mann des Gesetzes gutgelaunt.

»Guten Morgen, She. . . Carlos.«

Er grinste, als sie die vertrauliche Anrede benutzte. »Ich hatte gehofft, daß du noch vorbeikommen würdest, bevor du fährst«, bemerkte er dann, und sein Lächeln verschwand.

»Das hatte ich auch vor, aber . . . meine Pläne haben sich geändert«, erwiderte Lisa Marie. Sie glaubte, daß dies genug Erklärung wäre, doch Ryan sah sie fragend an.

»Ich werde Miles’ Creek noch nicht verlassen«, erklärte sie nach kurzem Zögern.

»Hat Miles das . . .«

»Genehmigt? Nein. Aber ich brauche seine Erlaubnis auch nicht.«

Ryan kratzte sich am Hinterkopf; er wußte, das würde Ärger geben. Und dieses Mal stand er zwischen den Fronten: Er mochte Lisa Marie zu gern, um sich nicht auf ihre Seite schlagen zu wollen. Andererseits hatte er gesehen, was passierte, wenn man sich mächtigen Männern in den Weg stellte.

»Was ist los, Carlos? Sag nicht, daß du dich noch nie gegen Miles wenden wolltest. Das nehme ich dir nicht ab.«

Der Sheriff sah in die dunklen Tiefen weiblichen Eigensinns.

»Jeden Tag«, erwiderte er. »Aber niemand kann das allein tun. Er ist zu stark.«

»Wer sagt denn, daß wir allein sind?«

BJ überließ Thomson den ersten Schlag, der hart gegen ihren Kiefer ging. Sie spürte den Schmerz jedoch kaum, sondern leckte sich nur das Blut aus dem Mundwinkel. Sie grinste genüßlich.

Schon sein nächster Angriff verlief ins Leere, als sie sich unter seiner Rechten wegduckte, um die eigene Achse drehte und ihrerseits einen Schlag landete. Ihr Gegenüber fing sich weniger schnell als BJ zuvor. Sie vermutete, daß er von ihrer Schlagkraft einigermaßen überrascht war, doch das hielt sie nicht davon ab, mit ihrer Linken nachzusetzen.

»Was ist los, Thomson? Schon müde?« spottete die große Frau, während sie dem Hilfssheriff einen Moment Atempause gewährte. Sie tänzelte grinsend um ihn herum, produzierte sich dabei gleichzeitig vor ihrem »Publikum«.

Miranda genoß die Show, die BJ ihr bot. Sie wurde in die fließende Bewegung gezogen, von ihr herumgewirbelt, bis ihr schwindelig wurde, doch sie konnte ihre Augen nicht von der großen Frau abwenden. Sie war ganz katzenhafte Grazie und kontrollierte Energie.

Zack hingegen hatte ganz andere Sorgen: Seine Wut gewann die Oberhand, und seine Schläge, die allesamt ins Leere gingen, brachten ihn ins Trudeln. BJ schien das alles auch noch zu genießen, sie spielte mit ihm, machte ihn vor Miranda lächerlich. Er versuchte einen erneuten Angriff, sie duckte sich und trat ihm in die Beine, was ihn von den Füßen holte.

»Du fängst an, mich zu langweilen. Kriegst du ohne Callie denn gar nichts auf die Reihe?« kam es von BJ, bevor sie sich zügeln konnte. Dann fiel ihr ein, daß Miranda ihres Wissens ja gar keine Ahnung hatte, daß Callie damals im Gefängnis dabeigewesen war. Sie schaute zu der jüngeren Frau hinüber, doch die nickte nur wissend und senkte beschämt den Kopf. BJ wollte etwas tun, sie trösten, einen Moment war sie unachtsam, und Zack nutzte das aus. Wieder schlug er BJ hart ins Gesicht. Dieses Mal strauchelte die große Frau und stieß gegen Mirandas Schreibtisch. Zack setzte nach und rammte ihr eine Faust in den Magen.

»Nein!« kam es von der Treppe, und Thomson wandte sich Miranda zu, die in ihrer Sorge um BJ aufgesprungen war. Diese kleine Ablenkung reichte BJ, um Zack ihren Kopf in den Magen zu stoßen. Sie gingen zusammen zu Boden, BJ kam auf Zack zum Sitzen und hieb ihm ihre Faust ins Gesicht. Einmal, zweimal, dreimal. Die Schläge kamen in so schneller Folge, daß der Hilfssheriff nur noch die Arme hochreißen konnte, um sein Gesicht zu schützen.

Weitere Schläge prasselten auf ihn nieder, und Zack wedelte zur Abwehr nur noch wild mit den Armen, bis BJ schließlich von ihm abließ und aufstand.

»Kommen Sie, Thomson. Stehen Sie auf! Seien Sie ein Mann!« BJ stand über ihm, ihre Gesicht von Wut verzerrt, weil er sie wieder hatte schlagen können. Sie hatte nicht aufgepaßt. BJ holte zu einem Tritt aus, doch wieder kam ein »Nein!« von der Frau auf der Treppe, und in diesem Moment ging die Vordertür auf. Lisa Marie und der Sheriff standen dort.

»Was geht hier vor?« verlangte Ryan zu wissen.

James Miles hatte diesen Morgen in dem sicheren Gefühl begonnen, daß in seiner Stadt alles seinen geordneten Gang ging. Er sonnte sich in dem Wissen, daß alle taten, was er sagte, auch wenn die Sonne Miles’ Creek vorerst verlassen hatte.

Am Morgen nahm er sein Frühstück ein und trank seinen Kaffee, während er las, was Miranda am Vortag in ihrer Zeitung fabriziert hatte. Über das Tanzfest stand selbstverständlich noch nichts darin. Er war sich jedoch sicher, daß seine Jüngste den Abend als angenehm empfunden hatte, so wie alle anderen auch, und daß sie ein paar nette Dinge schreiben würde. Er ließ sich sogar soweit herab zu glauben, daß Miranda auf dem Weg war, Lewis zu vergessen, um sich würdigeren Männern zuzuwenden, wie dem Staatsanwalt zum Beispiel.

Miles hatte die beiden miteinander tanzen sehen, und obwohl ihm die Aussicht auf einen weiteren Winkeladvokaten in der Familie nicht behagte, würde er diese Beziehung doch gutheißen. Wie Nadine ihn unterrichtete, schien der junge Mann auch gar nicht abgeneigt. James Miles nickte entschlossen; er würde noch heute mit Mr. Ryker sprechen und ihn dazu bewegen, seine Abreise noch hinauszuzögern.

Zufrieden lehnte der Rancher sich in seinem Sessel zurück und faltete die Hände über seinem Bauchansatz. Diese stille Harmonie wurde jedoch gleich darauf durch jemanden unterbrochen, der ohne anzuklopfen durch die Tür gestolpert kam.

Zack Thomson polterte in Miles’ private Räume, Blut tropfte aus seiner gebrochenen Nase auf den teuren Teppich.

»Verdammt noch mal, Thomson, sind Sie wahnsinnig geworden?«

»Mr. Miles . . .« Der Hilfssheriff war außer Atem und bekam noch nicht mehr heraus.

»Was wollen Sie? Wer hat Sie so zugerichtet?«

»Jackson«, war alles, was Thomson herausbrachte, doch es reichte dem Rancher.

»Was?!« Miles war sofort über ihm und packte ihn am Kragen. »Was reden Sie da?«

»BJ Jackson ist wieder in der Stadt, Sir.«

Der große Mann ließ Thomson so plötzlich wieder los, als hätte der eine ansteckende Krankheit. Er wandte sich dem Fenster zu, während Wut in ihm aufstieg. »Dieses verdammte Miststück!« zischte er zwischen den Zähnen hervor. »Timmons, Jenson!« rief er dann in Richtung Tür, und in Sekundenschnelle erschienen zwei Cowboys.

»Bringt Jackson her! Sie scheint noch nicht verstanden zu haben, wer hier der Boß ist.«

»Sie ist wieder in der Stadt?« fragte Jenson mit zu viel Neugier.

»Würde ich euch andernfalls losschicken, sie zu holen?« fuhr Miles den jungen Mann an.

Timmons, etwas älter und wesentlich überlegter als sein Kollege, fragte: »Wo finden wir sie?«

Miles wandte sich Zack wieder zu, der sich inzwischen ein Taschentuch vor die Nase hielt. »Wo ist sie?«

»In der Zeitung«, schniefte der Hilfssheriff und zog nicht rechtzeitig genug den Kopf ein, als eine Salve Vorwürfe auf ihn niederging:

»Sie lassen diese Bestie allein mit meiner Tochter?! Sind Sie denn völlig irre, Mann?!« Miles wollte diesen unfähigen Idioten über den Haufen schießen, doch seine Waffen hingen in seinem Büro.

»Miss Tragger ist auch dort . . . und der Sheriff.«

»Ryan?«

Thomson nickte, obwohl der Rancher eigentlich mit sich selbst gesprochen hatte.

»Bringt alle her, auch Miranda. Diese verdammte . . . Jackson . . . wie ihr Vater . . .«, brummte Miles in seinen imaginären Bart.

Die Cowboys verschwanden, während der Hilfssheriff noch blieb.

»Thomson«, bemerkte Miles, als der sich gerade wieder abwenden wollte.

»Ja, Sir.«

»Sie sind entlassen.«

Das war ein Schlag, den Thomson nicht erwartet hatte und der schmerzhafter war als jede Attacke BJs.

»Aber . . . das können Sie doch nicht . . .«

»Ich kann und ich habe«, unterbrach Miles den jungen Mann.

»Warum . . . was soll ich denn jetzt tun?« Zack wußte, daß er sich in dieser Stadt keinen neuen Job mehr erhoffen konnte. Alle arbeiteten für Miles, und wenn der einen entließ, war es für immer.

»Das interessiert mich nicht mehr, Thomson. Ich habe keine Verwendung für einen Hilfssheriff, der sich von einer Frau verprügeln läßt.« Miles konnte in der Spiegelung des Fensters, dem er sich zugewandt hatte, sehen, wie der junge Mann sich leicht krümmte ob dieser Demütigung. Es war wie ein Schüreisen, das er in den Hilfssheriff bohrte, und es gefiel ihm. Es bestätigte seine Macht.

»Ich . . .«

»Gehen Sie mir aus den Augen!«

»Aber . . .«

»Sofort!« Damit wandte sich Miles wieder um, und Zack konnte ihm ins Gesicht sehen und in die grünen Augen, die vor Wut loderten.

Der Hilfssheriff verließ kurz darauf das Hotel; er wankte leicht, jedoch nicht so sehr wie Stunden später, als er den Saloon verließ.

Dem Sheriff war es zu verdanken gewesen, daß Zack Thomson seinem Boß erzählen konnte, daß BJ Jackson wieder in der Stadt war. Er hatte den jungen Mann aus der Zeitung geschickt, um sich mit den drei Frauen zu unterhalten.

Natürlich hatte er gewusst, was Thomson tun würde; das hatten sie alle. So hatten sie nur wenig Zeit, bis Miles’ Leute auftauchen würden.

»Also, was ist hier los?« fragte der Sheriff erneut, als sein Kollege die Zeitung verlassen hatte.

»Ich bin zurück«, bemerkte BJ gelassen.

»Das sehe ich. Und was wollen Sie hier?«

»Eine alte Freundin besuchen«, entgegnete BJ und grinste, doch das Grinsen verging ihr, als der Mann des Gesetzes sie anfuhr:

»Erzählen Sie mir keinen Sch. . .« Er wurde sich der Anwesenheit der Damen bewußt, errötete und sagte: »Blödsinn. Was gibt es? Vielleicht einen neuen Auftrag?«

In der nun eintretenden Stille hätte man eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. Alle sahen BJ an, die nur Ryan anstarrte und kein Wort sagte.

»Sie ist hier, um mir . . . um uns allen zu helfen«, sprang Miranda nach einer unsicheren Sekunde ein.

»Oh, wie großzügig von ihr. Und was bekommt sie dafür?« Nun sah der Sheriff Miranda an. »Wieviel hat sie bereits bekommen?«

Der jungen blonden Frau wurde bewußt, daß Ryan nicht auf eine Geldsumme aus war. Sie errötete zutiefst, obgleich sie sich nichts vorzuwerfen hatte.

BJ verstand nach einer weiteren Sekunde ebenfalls und hielt nur schwerlich an sich, nicht noch einen Blechstern zu verprügeln.

Lisa Marie bemerkte die Wut unter der Oberfläche. »Carlos, das ist genug. Ich glaube, daß wir alle aus einem guten Grund hier sind: Miles. Er muß endlich aufgehalten werden, und Miss Jackson kann uns helfen«, wandte sie sich mit der ihr üblichen Vernunft an den neben ihr stehenden Mann.

Ryan sah die Anwältin an: »Ich weiß, daß du denkst, daß das meine Aufgabe wäre«, bemerkte er, und sie streckte ihr Kinn leicht vor, als sie einatmete. »Miles aufhalten . . . Mein Vorgänger hat es versucht und stürzte mit heruntergelassenen Hosen vom Huren. . . Bordell.«

»Ein Grund mehr, ihn aufzuhalten«, sagte Miranda mit neuer Energie.

Nun sahen alle den Sheriff an, warteten auf seine Entscheidung. In diese Pause trampelten Miles’ Cowboys.

Zack saß im Saloon über seinem dritten Bier und Whiskey und dachte an seine Zukunft. Oder an das, was einmal seine Zukunft gewesen war, bevor sich alle gegen ihn gewandt hatten. Und er konnte den Zeitpunkt dessen genau festmachen: Alles lief schief, seit BJ Jackson in die Stadt gekommen war.

Wie sehnlichst wünschte er sich jetzt, daß er und Callie ihre Arbeit zu Ende geführt hätten. Alles wäre besser gelaufen: Miles hätte ihn beglückwünscht und ihm väterlich eine Hand auf die Schulter gelegt. Miranda wäre natürlich traurig gewesen und hätte sich ihm in ihrer Trauer zugewandt. Alles wäre so gekommen, wie er es immer haben wollte . . .

Zack spülte den bitteren Beigeschmack dieser Vision, die Realität, mit dem Whiskey hinunter, ehe er sich wieder dem Bier zuwandte.

Vielleicht konnte er seinen Fehler ja wieder gutmachen; schließlich war BJ Jackson noch immer am Leben und bot ein ziemlich gutes Ziel. Sicher, sie war geschickt, aber nicht so geschickt, einem gezielten Schuß zwischen die Schulterblätter ausweichen zu können. Zack grinste und hob seine Hand für eine weitere Bestellung. Lou kam zu ihm herüber:

»Hast du nicht schon ein bißchen viel gehabt, Zack?«

»Noch nicht annährend genug. Und jetzt gib mir meinen Whiskey und mein Bier.« Der ehemalige Hilfssheriff lallte stark, und Lou schüttelte den Kopf:

»Es ist dein Job, den du riskierst«, bemerkte er.

Zack wurde sich in diesem Moment bewußt, daß er noch immer den Blechstern trug, der ihn als Mann des Gesetzes auswies. Er riß daran, und die Tasche seines beigefarbenen Hemdes hing zerschlissen herab, als er den Stern in den Händen hielt.

Thomson drehte den Sheriffstern in der Hand und wurde geblendet, als Sonnenlicht darauf fiel.

»Hey, Lou!« rief er dem Mann am anderen Ende der Theke zu. Gleich darauf folgte seinen Worten in diese Richtung etwas Silberschimmerndes, das an Lous Schulter abprallte, weil der nicht schnell genug reagieren konnte. Der Stern fiel scheppernd zu Boden.

»Gib den Ryan, wenn er auf seiner Stippvisite mal wieder hier reinschaut.«

»Der Sheriff war schon seit einer Weile nicht mehr hier«, entgegnete Lou, während er sich bückte und das Emblem aufhob. Er legte es auf die Theke, um sich selbst daran zu erinnern, es Zack in die Tasche zu stecken, bevor der später davonschwankte.

»Was, kommt er etwa nicht her, um diese Hure in feinen Kleidern zu vögeln, die Jackson vom Galgen geholt hat?«

Lou sah Zack verächtlich an. Er selbst war zwar kein großer Bewunderer der Anwältin, doch sie bezahlte ihr Zimmer rechtzeitig, und das war mehr, als er über die meisten seiner anderen Gäste sagen konnte.

»Nein«, antwortete er deshalb kurz angebunden.

Zack war enttäuscht, daß der Barmann seine Ansichten nicht teilte und auch seinen Verdacht nicht bestätigte, also schnauzte er: »Jetzt gib mir endlich was zu trinken!«

BJ hatte bereits beide Waffen gezogen, bevor die drei Cowboys ihren Überraschungsangriff beendet hatten. Die eigentliche Überraschung waren allerdings zwei weitere Cowboys, die zur Hintertür hereinplatzten. Zum Glück hatte auch Ryan schnell reagiert, so daß auf diese zwei ebenfalls Waffen gerichtet waren. So standen sie sich gegenüber, und Miranda wünschte sich in diesem Moment ihr Gewehr, um das Waffenverhältnis auszugleichen.

Für Augenblicke waren alle regungslos, dann sagte einer der Eindringlinge: »Mr. Miles möchte Sie sprechen. Sie alle.«

Das war keine Neuigkeit, alle hatten damit gerechnet.

»Wenn Mr. Miles etwas von uns will, soll er selbst herkommen«, entgegnete BJ gereizt. Sie konnte sich noch gut an ihre letzte Unterhaltung mit dem Mann erinnern. Damals hatte er sie überzeugt, weil sie nicht vorbereitet gewesen war. Das würde ihr nicht noch einmal passieren.

»Sie sollten besser mitkommen«, warnte der Cowboy, doch diese Warnung entlockte BJ lediglich das Hochziehen eines Mundwinkels.

Miranda sah den Übereifer in Grant Timmons’ Augen und wußte, wie unvorsichtig BJ war, wenn es um ihr eigenes Leben ging. Noch ehe sie den Wortwechsel fortführen konnten, der vielleicht in einen Schußwechsel übergegangen wäre, trat Miranda vor BJ und sah Timmons fest in die Augen.

»Wir werden hierbleiben«, sagte sie.

Die Cowboys stockten; keiner von ihnen würde es wagen, Miranda auch nur ein Haar zu krümmen, und sie wußte es.

In die folgende Stille sagte der Sheriff: »Ich komme mit.«

Die drei Frauen sahen den untersetzten Mann entgeistert an.

»Aber erst steckt ihr mal eure Waffen wieder ein. Ich will nicht, daß einer von euch die Nerven verliert und eine der Ladys erschießt.«

Vier Cowboys sahen den fünften an, der nach einer kurzen Bedenkzeit nickte. Nachdem Miles’ Männer ihre Waffen eingesteckt hatten, tat Ryan es ihnen nach, und nach einem etwas längeren Zögern folgten BJs Colts seinem Beispiel.

»Dann wollen wir mal«, sagte Ryan und ging an einer enttäuscht dreinblickenden Anwältin vorbei. Er versuchte, ihren Blick zu treffen, doch sie wandte sich ab.

»Sagen Sie Miles, daß ich mich entschieden habe, vorerst hierzubleiben«, sagte Lisa Marie, und ihre Stimme war ein schneidend kalter Westwind.

Miranda schaute überrascht. Ihr war vorher nicht aufgefallen, daß Lisa Marie und der Sheriff einander zugeneigt waren, doch jetzt schien es ihr offensichtlich. Sie schaute von einem zur anderen und dann zu BJ, die jedoch auf die fünf Cowboys konzentriert war, die sich allesamt zur Vordertür begaben. Ryan folgte, und schließlich hatten die sechs Männer die Zeitung verlassen.

Die Cowboys sagten zwar nichts, doch der Sheriff spürte ihre Unruhe aufgrund der Tatsache, daß sie ihren Auftrag nicht gänzlich erfüllt hatten. Als sie vor der Tür von Miles’ Büro ankamen, sahen sie einander wie verschreckte Schafe an. Ryan sah sich bestimmt nicht als einen besonders mutigen Mann, dieses Verhalten jedoch empfand er als albern. Er drängelte sich an den Männern vorbei und ergriff den Türknauf.

»Ich mach das schon«, bemerkte er und öffnete die Tür.

Miles saß wie immer hinter seinem Schreibtisch und sah beschäftigt aus. Er hatte bestimmt einen Tumult erwartet, den er mit gestrengem Blick und eisernen Worten zu schlichten bereit gewesen war, doch als lediglich der Sheriff sein Büro betrat, sah er überrascht auf.

»Guten Tag, Mr. Miles«, grüßte Ryan höflich und nahm seinen Hut ab. Er senkte den Blick ob Miles’ irritiertem Gesichtsausdruck und strich sich über seinen Schnauzbart.

»Warten die anderen draußen?« fragte Miles etwas verunsichert.

»Nur Ihre Cowboys. Die Damen lassen sich entschuldigen.« Der kleinere Mann wußte nicht, wie er sonst ausdrücken sollte, daß die Waffengewalt von fünf Männern nicht ausgereicht hatte, Miranda Lewis dazu zu bewegen, vor ihrem Vater zu erscheinen.

»Was soll das heißen?! Bin ich denn von Schwachköpfen umgeben?! Timmons!!!« schrie Miles, und vor der Tür rührte sich etwas. Langsam öffnete sich selbige, und der große Cowboy trat ein. Er hatte seinen Hut abgenommen und sah verschämt auf seine Stiefelspitzen.

»Wo ist meine Tochter?« zeterte Miles weiter.

»In ihrer Zeitung, Sir.«

»Und warum ist sie nicht hier, Mann?«

An dieser Stelle sprang Ryan ein: »Entschuldigen Sie, Mr. Miles. Ihre Männer haben ihr Bestes getan, aber Mrs. Lewis wollte nicht herkommen. Hätten sie sie zwingen sollen?« gab er zu bedenken, und der Mann hinter seinem Schreibtisch schaute vom Sheriff zu Grant Timmons, der seinerseits den Sheriff überrascht ansah.

»Verschwinden Sie, Timmons. Ich muß mit Sheriff Ryan reden.« Das ließ der Cowboy sich nicht zweimal sagen.

»Nun zu Ihnen, Sheriff. Mir ist zu Ohren gekommen, daß Sie sich mit meiner Tochter gegen mich verbünden wollen. Ist das richtig?« Miles hatte damit gerechnet, daß Ryan es abstreiten würde, doch seine tatsächliche Reaktion war eine unerwartete: Er lachte.

»Haben Sie das von Thomson?«

Miles nickte auf diese Frage.

»Ich muß gestehen, daß ich darüber nachgedacht habe. Ich fühle mich – sozusagen – hingezogen zu Miss Tragger, und sie ist . . . auf Mirandas Seite. Das bedeutet allerdings nicht, daß ich es auch bin.«

Miles zog eine Augenbraue hoch; es brauchte mehr, um ihn zu überzeugen, und Ryan wurde ernst. »Sie wissen, woher ich komme?« fragte er.

»Corpus Christie, nicht wahr?«

»Ein kleiner Ort etwas südlich: Santa Lucia.«

Der Name ließ Miles aufhorchen, schließlich hatte jeder Mann und jede Frau in Texas von dem Massaker gehört, das sich dort vor etwas mehr als fünf Jahren zugetragen hatte.

»Meine Frau und mein Sohn sind damals . . . gestorben, weil ich mich gegen Enrique Martinez behaupten wollte. Ich werde diesen Fehler nicht ein zweites Mal machen. Mir gefällt mein Job, ich mag die Menschen, auch Ihre Tochter, aber ich werde für sie nicht mein Leben riskieren.« Seine dunklen Augen blickten fest in die grünen von Miles.

Der nickte nach einer Weile. »Und was ist mit Miss Tragger?« fragte er.

»Sie will noch eine Weile bleiben, und Miranda will das anscheinend auch«, unterrichtete Ryan Miles von Lisa Maries Entschluß.

»Ich meinte, was mit Ihnen und Miss Tragger ist?«

Der Sheriff grinste. »Glauben Sie wirklich, daß ich bei dieser Frau eine Chance hätte? Selbst wenn wir einer Meinung wären?«

Der verletzte Stolz in der Stimme des untersetzten Mannes überzeugte den Rancher, und er nickte. »Sie sollten sich einen neuen Hilfssheriff suchen. Ich habe Thomson gefeuert«, beendete er das Gespräch, und Ryan verließ nach kurzem Zögern Miles’ Büro.

Die Frauen standen stumm und sahen zu, wie die Männer an dem großen Fenster vorbeigingen. Lisa Marie atmete scharf ein; ihre Enttäuschung verwandelte sich in Wut, als Miranda fragte:

»Was hat er vor?«

»Was denkst du? Er wird wieder klein beigeben und vor Miles buckeln«, entgegnete Lisa Marie gereizt.

BJ zog ihre Augenbraue in die Höhe. Sie bemerkte die unterschwelligen Gefühlsaufwallungen und wußte, daß ein unsensibler Kommentar ihrerseits Mirandas Pläne stören könnte, also trat sie den Rückzug an: »Ich werde mal sehen, ob Lucy versorgt ist.« Und ehe eine der anderen Frauen etwas entgegnen konnte, verließ auch sie die Zeitung.

Miranda wurde sich im selben Moment der Tatsache bewußt, daß sie einer Aussprache mit der Anwältin nun nicht mehr entkommen konnte. Sie tat ein paar Schritte auf die Tür zu, mehr im Reflex, als um tatsächlich die Flucht anzutreten.

»Der Sheriff ist ein kluger Kopf. Er wird es vor meinem Vater so hinbiegen, daß der keinen Verdacht schöpft«, bemerkte sie, um das Thema selbst lenken zu können.

»Er wird seinen eigenen klugen Kopf aus der Schlinge ziehen«, entgegnete Lisa Marie, und es klang, als wollte sie das Thema damit beenden.

»Du magst den Sheriff, ihr wart zusammen auf dem Fest«, stellte die Blondine fest und erntete einen eiskalten Blick aus dunklen Augen.

»Es ist nicht wichtig, ob ich ihn mag. Er arbeitet gegen uns.«

»Das glaube ich nicht.«

Darauf erwiderte Lisa Marie nichts, sie wollte ihre Beziehung oder Nichtbeziehung zu Carlos Ryan nicht diskutieren, schon gar nicht mit der Frau, die ihr ihre große Liebe genommen hatte. Und genau das sollte das Thema sein, meinte zumindest die Anwältin. Doch natürlich war es genau das, was Miranda nicht diskutieren wollte, und sie suchte schon nach einem neuen Gesprächsthema, als Lisa Marie sie mit der Frage überraschte:

»Wo ist Joshua begraben?«

Mirandas Kopf fuhr herum. Sie starrte die Anwältin an, die einmal mehr indigniert das Kinn vorschob.

»Er . . . Josh liegt auf der Canahami begraben«, erwiderte Miranda und senkte verschämt den Kopf. Sie konnte nur ahnen, was Lisa Marie jetzt von ihr dachte.

»Auf der Ranch deines Vaters?«

Miranda nickte. »Ich war nach seinem Tod völlig verzweifelt, nicht fähig, Entscheidungen zu treffen. Da hat mein Vater es für mich übernommen. Das Resultat ist . . .«, verteidigte sich Miranda, doch die dunkelhaarige Frau unterbrach sie:

»Ich verstehe.«

Das konnte sich Miranda zwar kaum vorstellen, aber sie ließ es dabei bewenden.

»Ich würde es gern sehen, ist das möglich?« fragte die Anwältin nach einer kurzen Pause. Sie wollte dieser Unterhaltung nicht den Charakter einer Zeugenbefragung aufdrücken.

»Natürlich . . . aber nicht mehr heute. Das Grab liegt ganz im Norden, und ich . . .«

»An heute hatte ich nicht gedacht«, erwiderte Lisa Marie. Sie sah ein, daß dieses Gespräch sie nicht weiterbrachte, ihr Gegenüber war in der Defensive. Die Anwältin gab sich selbst die Schuld dafür, es hätte bestimmt einen angenehmeren Ansatzpunkt für ein Gespräch über Joshua gegeben, doch sie war selbst recht aufgewühlt durch die Ereignisse dieses Vormittags. Sie fühlte sich leer und verbraucht wie sonst nur nach den härtesten Wortgefechten vor Gericht, und sie wußte, daß Carlos’ Verrat – denn als solchen sah sie es an – der Grund dafür war.

Carlos Ryan saß in seinem Büro und grübelte. Er war sich darüber bewußt, daß er am Abgrund hing und daß Miles noch immer einen Stiefel auf seine Hand stellen konnte. Viel schlimmer allerdings war das Bewußtsein, daß Lisa Marie ihn für einen Verräter, einen Mitläufer hielt. Ryan hatte nicht viel Erfahrung mit Frauen; er hatte die erste Frau geheiratet, in die er sich verliebte, und seit Isabelle tot war, hatte er nie wieder etwas für eine Frau empfunden. Er hielt sich nicht für fähig, je wieder zu lieben. Die Schwermut, die er jetzt empfand, die Leere und die Vorwürfe, die er sich selbst machte, bewiesen ihm jedoch das Gegenteil: Ja, er war verliebt.

Und ja, er war ein Feigling, weil er nicht zu Lisa Marie stand und Miles endlich die Meinung sagte.

Andererseits: War es denn klug, sich mit dem Mann anzulegen? War es nicht viel cleverer, so zu tun, als sei man auf seiner Seite, während man in Wahrheit gegen ihn arbeitete?

Aber tat er das denn?

Ryan wußte nicht, was er tun sollte. Zu viele unüberlegte Entscheidungen hatten ihn zu viel gekostet, und er wagte nicht mehr, sich selbst treu zu sein. Vielleicht hatte Martinez trotz allem noch gewonnen, wenn er nicht wagte aufzustehen und etwas gegen die erneute Unterdrückung zu tun.

Statt eine Entscheidung zu treffen fand sich Ryan im Saloon wieder, wo er sich am frühen Abend an die Bar setzte und ein Bier bestellte. Als Lou das Getränk vor ihn hinstellte, legte er Thomsons Stern daneben.

»Den hat er hier vergessen«, bemerkte er und arbeitete weiter. Ryan betrachtete den Sheriffstern, das Symbol, das auch ihn ausmachte.

Wofür stand es in dieser Stadt?

Nachdem Lisa Marie sie verlassen hatte, stand Miranda noch einige Minuten reglos in ihrer Zeitung und starrte nach draußen. Der Nebel hatte sich gelichtet, doch der Himmel blieb bewölkt. Sie wußte, daß er sich für sie erst erhellen würde, wenn sie mit Lisa Marie alles geklärt hatte, doch diese Aussicht war nicht sehr verlockend.

Diese ganze Situation machte die junge Frau unruhig. Sie wollte nicht mehr über diese alte Geschichte sprechen, es sei denn mit BJ. Da sie nicht ewig warten wollte, bis die zurückkam, folgte Miranda ihr zu Geralds Mietstall.

»Hallo, Gerald«, hörte die große dunkle Frau die klare Stimme ihrer Freundin von draußen und lächelte unbewußt, während sie Lucy striegelte. Gerald selbst hatte diesen Job abgelehnt, weil Lucy angeblich nach ihm geschnappt hatte. Dieser Feigling!

Miranda trat durch die offene Stalltür und sah sich um. »BJ!« rief sie, weil sie sie in der hintersten Box nicht sehen konnte.

»Ganz hinten«, antwortete BJ, und Miranda kam zu ihr. Ihre Schritte waren erst schnell, dann zögerlich, etwas schien die Blondine zu beunruhigen, und BJ konnte sich vorstellen, daß es mit Lisa Marie zu tun hatte. Sie hatte schon vorher beobachtet, daß zwischen den beiden Frauen »dicke Luft« herrschte – wie ihr Vater es ausgedrückt hätte. Natürlich hatte BJ auch eine Ahnung, worum es ging, allerdings hatte sie selbst auch Angst davor, das Thema »Josh« anzuschneiden.

Miranda stand jetzt an der Box und betrachtete BJ, die sich völlig im Striegeln ihrer Stute verloren zu haben schien.

»Na, meine Süße«, bemerkte Miranda, und die dunkelhaarige Frau sah überrascht auf. Sie konnte ein kurzes Auflachen nicht verhindern, als ihr klarwurde, daß Miranda Lucy gemeint hatte.

»Was ist?« fragte die kleinere Frau, als sie BJs Blick bemerkte. Sie lächelte, fühlte sich ruhiger jetzt, da sie in BJs Nähe war.

»Sie mag dich«, erwiderte BJ und deutete auf Lucy, die sich von Miranda den Hals kraulen ließ.

»Ist das so ungewöhnlich?«

»Nun, bei dir vielleicht nicht, aber für mein altes Mädchen hier schon.« BJ lachte, als ihre Stute darauf mit einem Kopfschütteln reagierte.

»Altes Mädchen!« empörte sich die Zeitungsfrau. »Sie ist jung und stark, wie kannst du sie nur so beleidigen?« Miranda grinste dabei.

Lucy trat ein paar Schritte auf Miranda zu und schmiegte sich an sie.

»Na toll, jetzt mag sie dich sogar lieber als mich«, meinte BJ fröhlich und kam schließlich aus der Box hervor. Sie stellte sich zu Miranda, ihre goldbraune Stute hinterm Ohr kraulend.

Beide bemerkten die Wärme, die von Lucy und der jeweils anderen Frau ausging, und sonnten sich einen Moment darin.

»Hast du Lust auszureiten?« fragte BJ, einem inneren Instinkt folgend.

»Ja, sicher«, antwortete Miranda und machte auf dem Absatz kehrt, um Gerald um ein Pferd zu bitten.

Jason Ryker hatte geplant, seinen letzten Tag in Miles’ Creek so angenehm wie möglich zu verbringen. Er hatte länger geschlafen, als er es normalerweise für angebracht hielt. Dann hatte er gemütlich gefrühstückt und war schließlich zu O’Connors Bad hinübergegangen, wo er sich mal wieder richtig entspannt hatte. Seine gute Laune kam an diesem Tag allerdings nicht von diesen oberflächlichen Vergnügungen, vielmehr lief vor seinem geistigen Auge immer wieder der vergangene Abend ab. Er hatte dreimal mit Miranda Lewis getanzt, sie hatten sich nett unterhalten, alles war überwältigend gewesen, bunt, strahlend. Er hatte sich selten so gut amüsiert, das einzige, was er vermißt hatte, war ein nächtlicher Spaziergang mit der Dame des Abends. Doch Miranda war irgendwann verschwunden. Diese Möglichkeit wollte er ihr an diesem Abend jedoch nicht geben.

Er trug seinen besten Anzug, hatte im Hotelrestaurant einen Tisch für zwei reserviert und wollte Nägel mit Köpfen machen. Leider mußte er feststellen, daß er dafür wieder einmal zu spät dran war, denn als er gerade die Tür zur Zeitung öffnen wollte, fielen ihm die beiden Frauen auf, die langsam die Straße heraufritten: Die eine war Miranda Lewis, und er wollte schon die Hand zum Gruß erheben, als er die Frau auf der goldbraunen Stute erkannte, die sich locker über ihren Sattelknauf lehnte, während sie über eine Bemerkung Mirandas lachte.

»Blue Eye Jackson! Was zum Teufel geht hier vor?«

Der Staatsanwalt war nicht der einzige, der die beiden Frauen in entspannter Unterhaltung vorüberreiten sah. Neben vielen anderen, die nicht glauben wollten, daß BJ Jackson wieder in der Stadt war, ging Lisa Marie gerade die Straße hinunter. Sie lächelte beim Anblick der beiden Frauen, deren Vertrautheit die bösen Blicke der Anwohner einfach abzublocken schien. Dennoch spürte die Anwältin auch die alte Eifersucht: Miranda bekam einmal mehr, was sie wollte, sie selbst . . . blieb allein.

Da Lisa Marie nicht dazu neigte, in Selbstmitleid zu vergehen, richtete sie ihre Aufmerksamkeit gleich darauf auf ein neues Ziel. Und das war der Staatsanwalt, der wie ein geprügelter Hund dastand und den beiden Frauen auf den Pferden nachsah. Lisa Marie ging langsam auf ihn zu, betrachtete ihn eingehend. Sie hatte seinen Gesichtsausdruck schon gesehen: Josh hatte so ausgesehen, nachdem Miranda New York verlassen hatte.

Die Anwältin seufzte und gesellte sich dann zu dem Mann in dem teuren Anzug.

»Seit wann ist sie wieder hier?« fragte er wohl mehr sich selbst als die dunkelhaarige Frau, die er noch nicht wirklich wahrgenommen hatte.

»Sie ist letzte Nacht zurückgekommen«, erwiderte Lisa Marie, und nun sah der Staatsanwalt sie an.

»Miss Tragger.«

»Mr. Ryker.«

Sie nickten einander zu, kollegial, nicht zu freundlich.

»Sieht so aus, als wären wir mal wieder zu spät«, bemerkte er.

»Ich muß Sie enttäuschen. Ich habe heute schon mit Miranda gesprochen.«

»Oh.« Ryker nickte, dann fiel ihm etwas auf: »Sie sind noch hier? Ich dachte, Sie würden heute abfahren.«

»Das dachte Mr. Miles auch, doch Miss Jacksons Anwesenheit hier scheint mein Gastspiel noch um eine Weile zu verlängern.« Er nickte erneut. Ihm kam der Gedanke, daß er nun vielleicht auch noch länger würde bleiben können. Doch wozu? Blue Eye Jackson war zurück, und aus irgendeinem Grund sah er das als Ende all seiner Bemühungen um Miranda an. Lisa Marie konnte förmlich sehen, wie Ryker das Herz brach, als er erkannte, daß Miranda ihren Helden gewählt hatte, und daß er es nicht war.

»Mr. Ryker, würden Sie mir die Ehre erweisen, mich auf meinem Spaziergang zu begleiten?«

Er schaute auf, sein Blick verloren, seine Schultern schlaff, doch er nickte. »Es wird mir ein Vergnügen sein.«

Mit diesen Worten reichte er ihr seinen Arm, dann gingen sie die Hauptstraße entlang – in entgegengesetzter Richtung der beiden Reiterinnen.

BJ und Miranda waren inzwischen nicht mehr in der Stadt. Sie bewegten sich nach Süden, weg von der Canahami und den Beschränkungen, die sie für Miranda bedeuteten. Sie ließen die Pferde eine Weile laufen, Lucy immer fast eine Länge vor Ulysses. Miranda genoß die Frische, den Frieden und BJs Gegenwart, und sie zügelte ihr Pferd etwas, um das alles noch ein bißchen länger genießen zu können. BJ merkte nicht gleich, daß Miranda zurückfiel, und mußte schließlich ein ganzes Stück zurückreiten, um wieder gleichauf zu sein.

»Schon müde?« fragte sie lachend.

»Ich glaube, wenn wir so weitermachen, muß ich Ulysses zurücktragen«, erwiderte Miranda und grinste. Doch dann wurden beide mit einem Mal ernst, beide beschäftigten Fragen. BJ wurde ihre als erste los: »Was ist mit dir und Lisa Marie? Was steht da zwischen euch?«

Miranda konzentrierte sich einen Moment auf den Horizont, bevor sie antwortete: »Josh.«

BJ ließ ihr Zeit, ihre Worte zu ordnen, und die kleinere Frau fuhr nach einer weiteren Pause fort: »Er und Lisa Marie haben in Princeton Jura studiert. Sie waren befreundet, obwohl das wohl nicht immer ganz einfach war. Lisa Marie wurde von ihren Studienkollegen gemieden, weil sie fanden, daß Anwalt Männersache sei.«

BJ lachte mißbilligend auf. Das hatten auch einige über ihre Profession gedacht, aber die dachten inzwischen gar nicht mehr. BJ schüttelte die Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf Miranda.

»Als ich Josh kennenlernte, war er im letzten und sie im vorletzten Jahr. Wir waren uns von Anfang an sympathisch, aber ich hatte, ehrlich gesagt, den Eindruck . . . er war damals verliebt in sie, BJ.« Traurig sahen die grünen Augen auf, ihr Blick verschwommen.

Die größere Frau nickte nur, um Miranda dazu zu bringen fortzufahren. Die konzentrierte sich wieder auf den Horizont und ließ ihr Pferd das Tempo bestimmen. »Er hat es nie gesagt oder auch nur angedeutet. Es war mehr die Art, wie er über sie sprach. Ich habe darüber nachgedacht, seit sie hier ist. Er hat nie erwähnt, wie attraktiv sie ist . . . sie. . . ist wunderschön, doch er ließ mich in dem Glauben, daß sie eine graue Maus sei.« Nun wurde Mirandas Stimme energischer, fast wütend. »Er hat sich beklagt, wie kompliziert sie sei, wie anstrengend . . . dennoch, sie hatten eine gemeinsame Zukunft vor sich, bevor ich auftauchte. Ich habe ihrer beider Leben zerstört.«

»Das ist Unsinn!« erwiderte BJ, ohne zu zögern. »Du hast es nicht gewusst. Du . . .«

»Vielleicht nicht bewußt, aber unbewußt schon. Aber mein Freiheitsdrang war so groß. Ich wollte gegen meinen Vater rebellieren, und ein Mann aus dem Norden schien mir hierfür eine gute Wahl. Das alles war so aufregend, ihn in mich verliebt zu machen, die andere Frau auszustechen . . . ich war nie wirklich verliebt in ihn.«

Diese Wahrheit traf BJ wie ein Hammerschlag vor die Brust. Einen Moment war jeder Atemzug aus ihr gewichen, und sie fühlte sich leer. Dann atmete sie wieder ruhig. Fast fühlte sie sich befreit von einer Last, doch eine andere wog um so schwerer: Miranda hatte ihren Mann nicht geliebt, und sie würde auch BJ nie lieben.

»Warum hast du ihn geheiratet?« fragte die große Frau; sie fühlte sich dumpf.

Die beiden Anwälte begannen ihr Gespräch mit Rechtsgrundlagen und Unterschieden in der Rechtsprechung ihrer beiden Heimatstaaten. Ein trockenes Thema, doch beide waren fasziniert, es war ihr Job, ihre Leidenschaft, auch wenn sie nicht in allem übereinstimmten. Lisa Marie ertappte sich während dieser Unterhaltung des öfteren dabei, daß ihr die Worte »Sheriff Ryan sagt« oder »Carlos meint« auf der Zunge lagen und wie schwer es ihr fiel, diese Worte herunterzuschlucken, um den Satz neu zu beginnen. So wurde sie nach einer Weile still, während Ryker sich über eine zukünftige maschinelle Revolution ausließ, die er geradezu herbeisehnte. Er war allerdings zu sehr Gentleman, um nicht zu merken, daß seine Begleiterin etwas ganz anderes beschäftigte.

»Ist alles in Ordnung?« fragte er auf eine sensible, wenn auch vertraute Weise, die Anwälte häufig gegenüber ihren Mandanten anstimmten.

»Ich habe mich gerade gefragt, warum manche Menschen alles bekommen, was sie wollen«, antwortete Lisa Marie ehrlich.

Ryker lächelte gutmütig, ihr kam es ein wenig herablassend vor.

»Ist das eine rhetorische Frage, oder erhoffen Sie sich eine Antwort?«

»Wenn Sie eine Antwort darauf haben, würde ich sie gerne hören«, erwiderte die Anwältin und brachte ihren Kollegen für eine Sekunde aus dem Konzept. Doch dann begann er darüber nachzudenken und sagte schließlich: »Ich vermute, daß Sie auf einen konkreten Fall hinauswollen. James Miles vielleicht?«

»An ihn hatte ich nicht gedacht, aber er ist ein gutes Beispiel.« Lisa Marie vermutete, daß es ihm unangenehm wäre, wenn sie Miranda ins Spiel brachte, und ließ es deshalb vorerst.

»Hm. Miles ist ein skrupelloser Mensch. Er nimmt sich, was er haben will.«

»Er war dreimal verheiratet. Frauen lassen sich nicht einfach nehmen«, warf Lisa Marie ein.

»Frauen lassen sich aber oft – nicht immer – von Reichtum und Macht beeindrucken. Wahrscheinlich war das der Grund, sonderlich attraktiv ist er ja nicht  . . . ähm . . . würde ich sagen. Oder ist er es?«

»Nein, das sicher nicht. Was ist mit Miranda?« Lisa Marie merkte, daß sie nicht weiterkam, wenn sie nicht konkret wurde, also wurde sie es. Sie bemerkte jedoch, wie Ryker sich anspannte.

»Ob sie attraktiv ist, meinen Sie?«

»Nein, warum sie alles bekommt. Wo liegt ihre Anziehungskraft?«

Der Staatsanwalt errötete und verkrampfte noch ein wenig mehr. Die direkte Art der Nordstaatler verletzte nicht zum ersten Mal sein Ehrgefühl. »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, brachte er mühsam hervor.

»Ich meine, warum zieht ein vielversprechender junger Anwalt in ein Dorf im Nirgendwo? Warum kommt BJ Jackson, eine gesuchte Killerin, an einen Ort zurück, an dem sie alle hassen und töten wollen? Warum wird ein Zyniker wie Sheriff Ryan zum Schoßhund, wenn sie ihn ansieht? Und warum sind Sie noch hier?« ereiferte sich die junge Frau. Es war normalerweise nicht ihre Art, so in Rage zu geraten, doch zumindest eine dieser Fragen beschäftigte sie schon mehrere Jahre. Sie brauchte Antworten, doch Ryker stellte nur eine Gegenfrage:

»Warum sind Sie noch hier?«

»Ich dachte, daß ich ihn liebe«, antwortete Miranda auf BJs Frage. »Aber er war hier nicht glücklich. Er hat New York vermißt, und Lisa Marie. Er hat sich allerdings nie beklagt.«

Die Pferde waren stehengeblieben und grasten. BJ glitt aus dem Sattel und baute sich neben Mirandas Wallach auf. Wie selbstverständlich hob sie die Hände, und Miranda nahm ihr Angebot an und ließ sich aus dem Sattel und in BJs Arme fallen, wo sie einen langen Augenblick verweilte.

»Weiß Lisa Marie das alles?« fragte die große Frau, um nicht in Mirandas Augen zu versinken. Sie hatte sich geschworen, daß sie die Kontrolle behalten würde, wenn sie zurückkehrte; es würde keine kompromittierenden Momente mehr geben.

Miranda schüttelte den Kopf und löste sich von BJ. Sie ging um Ulysses herum und nahm nun endlich auch wieder ihre Umgebung wahr: Die war an diesem Ende der Stadt grün und weit, ein perfekter Kontrast zu dem Staub des Ortes. Miles führte seine Herden hierher, bevor er sie verkaufte, doch jetzt war hier alles leer. Nur der Himmel, grüne Hügel und BJ und sie.

»Ich glaube nicht, daß Josh ihr gesagt hat, was er empfindet. Ich bezweifle, daß er es selbst wußte. Aber sie wußte, daß sie ihn liebt, da bin ich mir sicher, und sie weiß, daß ich ihn ihr weggenommen habe«, fuhr Miranda fort.

»Josh war ein erwachsener Mann. Er wäre bei Lisa Marie geblieben, wenn er es gewollt hätte. So gut hätte er sich kennen müssen.«

»Er war Anwalt«, schien für Miranda eine ausreichende Erklärung dafür zu sein, daß er es nicht tat.

»Du solltest es ihr erzählen. Sie sollte die Möglichkeit haben, über ihn hinwegzukommen«, bemerkte BJ vernünftig, und Miranda wich ihrem Blick aus. Offensichtlich machte die Frau in Schwarz sich keine Vorstellung davon, wie schwer so etwas war.

»Bist du über ihn . . . hinweg?« hörte sie nach einigen wenigen Augenblicken BJ fragen, leise, irgendwie gezwungen.

Miranda sah sie überrascht an. »Ich . . . ja, ich denke schon.« Sie versuchte, in BJs Miene zu lesen, ob es sie glücklich machte, ob sie erleichtert war, doch BJs Gesicht blieb unbewegt, als sie erwiderte:

»Lisa Marie sollte dieselbe Chance bekommen.« Sie ging zu Lucy zurück und stieg wieder in den Sattel.

Lisa Marie wußte, daß in dieser Frage schon die Antwort lag:

Sie selbst hatte sich ebenfalls einfangen lassen. Von Mirandas Hilflosigkeit, von der Aussichtslosigkeit ihrer Suche. Es war verrückt, aber Ryker hatte recht. Leider brachte ihr das ihren besten Freund nicht zurück, den sie noch immer schmerzlich vermißte, mehr noch als den Mann, in den sie sich verliebt hatte.

»Mich würde vielmehr interessieren, warum sich so viele Menschen zum Bösen hingezogen fühlen«, sinnierte Ryker, nachdem Lisa Marie ihm nicht antwortete. Für die Anwältin war es nicht schwer zu erraten, auf wen ihr Begleiter anspielte.

»Sie meinen BJ?«

Wieder überraschte sie ihn durch ihre schnelle Auffassungsgabe. Er stockte erst, doch dann nickte er. »Warum ist sie so wichtig für Miranda?«

Lisa Marie hätte ihm diese Frage kurz und knapp beantworten können, doch sie behielt ihre Ansicht dazu für sich. »Ich glaube nicht, daß BJ böse ist. Fehlgeleitet ja, aber böse, nein. Schließlich hilft sie Miranda gegen ihren Vater. Ich denke, Miranda hat BJs guten Kern entdeckt und ist dabei, ihn freizulegen.« Lisa Marie lächelte leicht, doch Ryker zog die Stirn kraus.

»Ich kann das weder so positiv noch so poetisch sehen wie Sie. Blue Eye Jackson ist ein Killer und . . .«

»Ein Mensch ist so lange unschuldig bis zum Beweis seiner Schuld. Und das ist Ihnen nicht gelungen«, erinnerte Lisa Marie ihren Kollegen an die Unschuldsvermutung.

»Nehmen Sie sie doch nicht in Schutz! Wir wissen beide, daß sie Coleton und wahrscheinlich noch viele andere Menschen getötet hat.«

»Sie irren sich. Ich weiß mit Sicherheit, daß BJ Jackson Sheriff Ryan nicht getötet hat, und was die . . .«

»Sheriff Ryan?« fragte Ryker nach.

»Was?!« fuhr Lisa Marie ihn an.

»Sie sagten, sie habe Sheriff Ryan nicht ermordet.«

»Ich meinte Coleton. Sie hat Coleton nicht erschossen, und was die anderen Toten angeht, die angeblich auf ihr Konto gehen . . . Beweisen Sie es! Guten Tag, Mr. Ryker.« Damit machte Lisa Marie auf dem Absatz kehrt und eilte davon.

Der Staatsanwalt stand da, wie vom Donner gerührt. Er wußte nicht, womit er seine Kollegin verärgert hatte, daß sie ihn so anfuhr. Er fühlte sich keiner Schuld bewußt.

Lisa Marie Tragger eilte den Gehsteig entlang, wurde schneller, bis sie schließlich lief. Einige Bürger drehten sich nach ihr um, dachten wohl, daß die Nordstaatler alle verrückt waren, und kümmerten sich wieder um ihre eigenen Angelegenheiten.

Bis auf einen: Sheriff Ryan stand auf der anderen Straßenseite und schaute verärgert zu dem Staatsanwalt hinüber. Einen Moment wollte er seinem inneren Instinkt folgen und Ryker zur Rede stellen, doch dann schüttelte er resigniert den Kopf. Eigentlich ging ihn das doch gar nichts an.

Als Luke Meyers gegen Abend auf einen kurzen Besuch im Saloon hereinschaute, hatte er einen kurzen, doch intensiven Arbeitstag hinter sich. Er konnte noch immer nicht ganz nachvollziehen, was passiert war oder warum. BJ Jackson war wieder in der Stadt, und offensichtlich wohnte sie bei Miranda. Die Anwältin war noch da, und . . . was hatte diese Hure bei Miranda zu tun gehabt? Luke war sich im klaren darüber, daß sie nicht dagewesen war, um eine Anzeige in die Zeitung zu setzen.

Diese vier Frauen steckten offensichtlich in einem Komplott gegen Mr. Miles, und Luke war gar nicht wohl bei dem Gedanken, daß Miranda mitmischte. Sicher, sie versuchte schon seit einiger Zeit, ihren Vater von seinem hohen Roß zu stoßen, und mit der Hilfe von BJ Jackson könnte es ihr tatsächlich gelingen. Doch konnte das ohne Blutvergießen ablaufen? Meyers bezweifelte es.

Er setzte sich an die Theke und bestellte bei Lou ein Bier.

»Hab gehört, daß Miss Miles Besuch hat«, grinste der, als er das Getränk vor Luke hinstellte. Der Barmann erhoffte sich offenbar fundierte Informationen.

»Für dich ist sie immer noch Mrs. Lewis«, entgegnete Luke, nicht bereit, ihm etwas zu erzählen.

»Ich habe gehört, daß sie bald Mrs. Jackson ist.« Lou lachte, doch nicht lange, denn schon hatte Meyers ihn am Kragen gepackt.

»Du verdammter . . .« Doch bevor er zuschlagen konnte, wurde Luke von zwei Cowboys gepackt und vom Stuhl gezogen. Er wehrte sich, wollte auf Lou losgehen, doch einer der Cowboys sagte: »Miles will dich sprechen, Meyers. Komm lieber freiwillig mit.« Und an den Barmann gewandt: »Und du hältst besser deine vorlaute Klappe, sonst erzähl ich dem Boß davon, klar?« Lou nickte beschämt.

Luke rückte entrüstet seine Kleider zurecht, die durcheinandergeraten waren, als die Cowboys ihn zum Hotel zerrten. Er bedachte beide Männer mit einem bösen Blick, bevor er die Tür zu Miles’ Büro öffnete und eintrat.

Es brannte kein Licht in dem Raum, obgleich es schon langsam dunkel wurde, und Luke dachte zuerst, daß er allein war, doch dann entdeckte er Miles am Fenster. Der große Mann kehrte ihm den Rücken zu und sah auf »seine« Stadt hinunter, eine Stadt, die sich seit dem Morgen verändert hatte.

»Setzen Sie sich, Mr. Meyers«, sagte Miles mit fester Stimme, was auch Lukes innere Frage beantwortete, ob der Rancher wußte, daß er im Raum war.

»Ich würde lieber stehen«, versuchte der jüngere Mann sich zu behaupten, doch als Miles sich ihm zuwandte und seine »Bitte« wiederholte, kam er ihr nach.

Miles blieb am Fenster stehen und betrachtete den Farmer interessiert. Die beiden Männer hatten sich schon zu verschiedenen Zeiten gegenübergestanden, dabei war es immer um Meyers’ Land gegangen, das Miles haben, Luke aber nicht verkaufen wollte. Dieses Mal hatte Miles einen anderen Grund, den Farmer zu sich zu zitieren.

»Wie geht es Ihnen, Meyers?«

Diese Frage hatte den gewünschten Effekt, sie brachte Luke aus der Fassung, denn er hatte nicht mit ihr gerechnet. »Es . . . ich . . . gut, Sir.« Der dunkelhaarige Mann merkte selbst, wie schwach das klang, also setzte er gleich darauf energischer hinzu: »Wenn Sie schon wieder über mein Land spre. . .«

»Nein, ich möchte mit Ihnen über meine Tochter sprechen!«

Luke erstarrte. Miranda hatte versucht, ihn darauf vorzubereiten, daß Miles irgendwann auf ihn zukommen würde, doch er hatte nicht gedacht, daß er wichtig genug war.

»Über Miranda?« fragte Luke, mehr um Zeit zu gewinnen. Ihm war klar, daß es nur um sie gehen konnte.

»Haben Sie irgendeinen Kontakt zu einer meiner anderen Töchter, von dem ich wissen sollte?« fragte Miles.

»Nein, natürlich nicht, Sir. Nun, ich kenne Mrs. Raines aus der Kir. . .« Luke bemerkte das überhebliche Grinsen seines Gegenübers und verstummte. »Was ist mit Miranda?« fragte er dann kurz angebunden.

Miles wurde wieder ernst. »Sie sind befreundet, richtig?«

»Ich arbeite für Ihre Tochter, Mr. Miles. Wir verstehen uns«, erwiderte Luke. Miranda hatte ihm diese Antwort geradezu eingetrichtert, sie wußte genau, was Miles fragen würde.

»Sie waren zusammen auf dem Tanzfest. Sie sind mehr als Arbeitgeber und Arbeitnehmer«, stellte der Rancher fest, bekam allerdings keine Antwort.

»Als ihr Freund . . .«, und er betonte das letzte Wort, ». . . muß Ihnen doch aufgefallen sein, daß sie sich verändert hat.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Sir«, entgegnete Meyers, obwohl er dazu mehr hätte sagen können als irgend jemand sonst. Die Veränderungen gerade in der letzten Woche waren gravierend gewesen, und Luke hatte an vorderster Front gestanden.

»Ich meine, daß meine Tochter Hosen trägt, mit Auftragskillern verkehrt und offensichtlich etwas gegen mich im Schilde führt«, kam der große Mann zum Punkt.

»Ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen. Sie bespricht diese Dinge nicht mit mir.« Dabei mußte Luke noch nicht einmal lügen.

»Vielleicht nicht, doch Sie bekommen so einiges mit. Sie arbeiten in der Zeitung und wissen, wer dort ein- und ausgeht.«

»Sie wollen, daß ich ihr nachspioniere und Ihnen sage, was sie tut, mit wem sie spricht?« fragte Luke und klang verärgert.

»Ich möchte, daß Sie sich als guter Freund für Miranda erweisen und mir helfen, die Dinge, die nicht gut für sie sind, aus ihrem Leben zu entfernen«, erwiderte Miles.

Luke dachte darüber nach, über seine Möglichkeiten, seine Loyalität.

»Oder meinen Sie, daß BJ Jackson gut ist für Miranda?« drängte Miles auf eine Entscheidung.

Luke dachte an die Miranda von heute morgen: Sie hatte ihn angelächelt, obwohl die Situation schwierig gewesen war. Sie hatte sich bemüht, ihn herauszuhalten, sie war voller Energie gewesen. Die Miranda von vor zwei Tagen war auch energisch gewesen, aber auf eine verbissene Art. Sie hatte es nicht gekümmert, was er dachte. Er hatte diese Miranda nicht gemocht, er mochte die Frau von heute morgen, und der Unterschied zwischen diesen beiden Frauen war BJ Jackson.

»Ich kann nicht sagen, daß ich Miss Jackson mag«, begann Luke vorsichtig. »Und ich weiß auch nicht, was Miranda in ihr sieht, aber sie scheint glücklicher zu sein, wenn sie in ihrer Nähe ist«, endete er schließlich. Er bemerkte den bohrenden Blick seines Gegenübers und starrte auf seine Stiefelspitzen.

»Das kann nicht Ihr Ernst sein!« polterte Miles. »BJ Jackson ist eine Mörderin!«

Luke hätte fast gefragt, wofür Miles sich denn selbst hielt, doch er biß die Zähne zusammen. »Ihre Freunde sind Mirandas Sache«, bemerkte er dann kleinlaut.

Miles blieb stumm, er konnte nicht fassen, daß dieser kleine Farmer ihm derart entgegentrat. Er konnte nicht glaube, daß er schon der Dritte an diesem Tag war, der sich ihm widersetzte. Diese Stadt geriet langsam aus den Fugen, und Miles mußte sich eingestehen, daß seine jüngste Tochter daran einen nicht unerheblichen Anteil hatte. Sie hatte seinen schwachen Punkt entdeckt, seine Unfähigkeit, sie zu verletzen. Doch natürlich galt dasselbe nicht für ihre Freunde.

»Wenn das Ihre Meinung ist, gibt es wohl nichts weiter zu besprechen«, sagte der Rancher, und Meyers sah ihn skeptisch an. Bedeutete das, daß er jetzt gehen durfte?

»Nun gehen Sie endlich!« blaffte der große Mann hinter seinem Schreibtisch, und Meyers sprang auf und verschwand schnellen Schrittes durch die Tür.

Kaum war Luke verschwunden, rief Miles nach seinen Cowboys: »Wilson, Jenson!«

Die beiden Männer traten nach Sekunden durch die Tür. »Sir?« Wilson sah seinen Boß fest an. Der etwa 45jährige Mann war schon seit mehr als 20 Jahren auf der Ranch tätig. Miles erinnerte sich, daß er ihn nur Tage nach der Geburt der Zwillinge eingestellt hatte. Vielleicht war das der Grund, warum er ihm mehr vertraute als sonst jemandem unter seinen Männern und ihn nach Buzz’ Tod zum Vorarbeiter gemacht hatte.

»Brennt Meyers Farm nieder, heute nacht«, befahl Miles. Jenson, noch jung und etwas unerfahren, fragte: »Und Meyers? Er wird sich bestimmt wehren.«

»Sollte er das tun, tötet ihn, aber nicht seine Familie.«

Die beiden Cowboys nickten und verließen dann das Büro. Draußen sagte Wilson: »Dieser Schweinehund . . . verdammt! Du trommelst fünf Leute zusammen, sie sollen dunkle Kleider tragen und Halstücher fürs Gesicht. Ich habe noch etwas zu erledigen.« Damit trennten sich die beiden Männer. Jenson ritt zur Ranch, während Wilson sich auf den Weg ins Bordell machte.

Die Dunkelheit war schon hereingebrochen, als Miranda und BJ auf ihren Pferden wieder in die Stadt einritten und damit die Blicke der wenigen auf sich zogen, die noch unterwegs waren. Sie unterhielten sich in vertrautem Ton über alles mögliche. Natürlich bestritt Miranda den größten Teil der Unterhaltung, doch sie stellte auch immer wieder Fragen, die BJ überraschend bereitwillig beantwortete.

»Ich finde es eigenartig«, bemerkte Miranda gerade.

»Was findest du eigenartig?« fragte BJ mit einem Grinsen im Gesicht. Sie amüsierte sich über sich selbst, wie sie auf Miranda einging, ihre Bereitschaft, ein Gespräch über so banale Dinge zu führen wie die Zubereitung eines scharfen Chilis.

»Unsere Väter waren . . . verfeindet, könnte man sagen. Sie haßten einander, tun es vermutlich noch immer. Und wir, ihre Kinder, wir sind . . . befreundet.« Das letzte Wort ging der blonden Frau schwer über die Lippen, weil ihre Gefühle viel tiefer gingen. Sie war sich auch bewußt, daß sie ein sensibles Thema ansprach, doch es würde ohnehin aufkommen, irgendwann.

BJ hätte es lieber bei diesem Irgendwann belassen. »Das kommt in den besten Familien vor«, entgegnete sie oberflächlich.

»Ich kann mich nicht mehr an damals erinnern, aber Millie spricht nur gut über deinen Vater. Es muß wohl an meinem . . . ich weiß nicht, manchmal habe ich Angst, so zu werden wie er.« Dieser Gedankensprung brachte BJ einen Moment aus dem Konzept, und es dauerte einen kurzen Augenblick, bevor sie mit voller Überzeugung erwiderte: »Niemals. Das ist nicht möglich. Ich bin auch nicht wie mein Vater. Und du . . . niemals.«