Kuss und Kuss gesellt sich gern - Susan Mallery - E-Book
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Kuss und Kuss gesellt sich gern E-Book

Susan Mallery

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Beschreibung

Felicia will einfach nur normal sein - und Gideon ist genau der Mann, der ihr dabei helfen kann!

Ein Prickeln erfasst Felicia, als sie die tiefe Stimme hört. Beim letzten Mal hat ihr diese Stimme zärtlich ins Ohr geflüstert … am anderen Ende der Welt, nach der heißesten Nacht ihres Lebens. Nie hätte Felicia gedacht, dass es den coolen Draufgänger Gideon Boylan ausgerechnet in eine Kleinstadt wie Fool’s Gold verschlagen würde! Aber da er schon mal hier ist, kann er ihr auch nützlich sein. Denn eigentlich ist Felicia auf der Suche nach Normalität - und einem Mann, der sich von ihrem überdurchschnittlich cleveren Köpfchen nicht abschrecken lässt. Leider hat die Intelligenzbestie keine Ahnung, wie sie sich so einen Normalo-Mann angeln soll. Die geniale Idee: Gideon stellt sich als Coach zur Verfügung und bringt ihr bei, was Männer an Frauen attraktiv finden! Er selbst ist natürlich zu atemberaubend sexy, um sich ihr wieder zu nähern und als Kandidat infrage zu kommen … oder?

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Seitenzahl: 469

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Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit

lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Susan Mallery

Kuss und Kuss gesellt sich gern

Roman

Aus dem Amerikanischen von Ivonne Senn

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Two Of A Kind

Copyright © 2013 by Susan Macias Redmond

Erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

Illustration: Matthias Kinner, Köln

ISBN eBook 978-3-95649-438-3

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Logisches Denken und ausgezeichnete Nahkampfkenntnisse halfen leider wenig angesichts der gemeinen Hausspinne.

Felicia Swift stand wie erstarrt in der Ecke der Lagerhalle und blickte panisch auf das Netz, in dem der niederträchtige Achtbeiner ohne Zweifel gerade überlegte, wie er sie überwältigen konnte. Schlimmer noch: Wo eine Spinne war, gab es auch weitere, und die hatten es garantiert alle auf sie abgesehen.

Der rational arbeitende Teil ihres Gehirns lachte sie laut aus. Und rein vernunftmäßig war Felicia ja auch völlig klar, dass Spinnen nicht in riesigen Horden durchs Land zogen und wahllos Menschen überfielen. Doch eine echte Arachnophobikerin gab nichts auf Intelligenz und Logik. Da konnte sie noch so lange irgendwelche Flowcharts erstellen und wissenschaftliche Abhandlungen lesen – das alles würde nichts an der Tatsache ändern, dass sie Angst vor Spinnen hatte und diese Mistviecher das genau wussten.

„Ich ziehe mich jetzt langsam zurück“, sagte sie mit sanfter, beruhigender Stimme.

Genau genommen hatten Spinnen keine Ohren. Sie spürten Vibrationen, doch so leise, wie sie gerade sprach, vibrierte da wohl kaum etwas. Trotzdem fühlte Felicia sich besser, wenn sie mit ihnen redete. Also sprach sie weiter, während sie sich Zentimeter für Zentimeter zum Ausgang schlich. Dabei behielt sie ihren Blick die ganze Zeit fest auf den Feind gerichtet.

Licht fiel durch die offene Tür. Licht bedeutete Freiheit und spinnenfreies Atmen. Licht bedeutete …

Unvermittelt wurde es dunkel. Felicia zuckte zusammen und drehte sich um, bereit, sich dem Kampf mit der riesigen Mutter aller Spinnen zu stellen. Stattdessen sah sie sich einem großen Mann mit zerzausten Haaren und einer Narbe an der Augenbraue gegenüber.

„Ich, ähm, habe Schreie gehört und wollte nachschauen, was da los ist.“ Er musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. „Felicia?“

Weil Spinnen ja auch noch nicht schlimm genug sind, dachte sie panisch.

Fortes fortuna adiuvat.

Sie versuchte, ihre durchgehenden Gedanken zu zügeln. Das Glück ist mit den Mutigen. Wie sollte ihr das jetzt helfen? Hinter ihr lauerte ein Monster, vor ihr der Mann, der ihr die Jungfräulichkeit genommen hatte. Und ihr fiel nichts Besseres ein als irgendwelche lateinischen Sprichwörter?

Sie atmete tief durch und sammelte sich. Immerhin war sie Logistikexpertin. Es hatte noch keine Krise gegeben, die sie nicht in den Griff bekommen hatte, und das würde heute auch so sein. Sie stemmte alles, von großen bis zu kleinen Projekten, und belohnte sich dann damit, das Kreuzworträtsel in der Sonntagsausgabe der New York Times in weniger als vier Minuten zu lösen.

„Hallo Gideon“, sagte sie und wappnete sich für die hormonelle Reaktion auf diesen Mann.

Er kam näher. In seinen dunklen Augen schimmerten Emotionen. Felicia war nie sonderlich gut darin gewesen, die Gefühle anderer zu lesen. Doch selbst sie erkannte Verwirrung, wenn sie sie direkt vor sich sah.

Als Gideon näher kam, wurde ihr seine Größe bewusst – die unglaublich breiten Schultern. Das T-Shirt, das sich zum Zerreißen straff über seine Brust und seinen Bizeps spannte. Er sah tödlich, aber trotzdem anmutig aus. Ein Mann, der in den gefährlichsten Zonen der Welt zu Hause war.

„Was tust du hier?“, fragte er.

Mit hier meinte er vermutlich Fool’s Gold im Allgemeinen und nicht das Lagerhaus im Besonderen.

Sie straffte die Schultern – ein lächerlicher Versuch, größer zu wirken und so, als hätte sie alles unter Kontrolle. Wie eine Katze, die einen Buckel machte und ihr Fell sträubte. Doch jede fauchende Katze würde Gideon vermutlich mehr beeindrucken, als sie es vermochte.

„Ich lebe inzwischen hier“, murmelte Felicia.

„Das weiß ich. Ich meinte, was tust du hier in diesem Lagerhaus?“

Oh. Mit dieser Antwort hatte sie jetzt nicht gerechnet. Mit einem Mal fühlte sie sich noch unsicherer – woran natürlich nur die verflixte Spinne schuld war. Die Macht dieser Viecher reichte unglaublich weit. Sie hatte eigentlich vorgehabt, Gideon noch mindestens ein paar Monate aus dem Weg zu gehen. Dieser Plan war keine fünf Wochen alt und schon vereitelt worden.

„Ich arbeite“, beantwortete sie endlich seine Frage. „Woher wusstest du, dass ich in der Stadt bin?“

„Justice hat es mir erzählt.“

„Ach, hat er?“ Interessant, dass ihr Geschäftspartner das ihr gegenüber unerwähnt gelassen hatte. „Wann?“

„Vor ein paar Wochen.“ Gideons Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Er hat mir geraten, mich von dir fernzuhalten.“

Diese Stimme, dachte sie und versuchte, die Erinnerungen zu verdrängen, die sie sofort wieder einholten. Obwohl olfaktorische Wahrnehmungen am stärksten auf das Gedächtnis wirkten, konnten auch Geräusche oder Klänge einen Menschen in eine andere Zeit versetzen. Felicia hatte keinen Zweifel, dass Gideons Duft sie sofort in die Vergangenheit reisen lassen konnte. Doch im Moment machte ihr seine Stimme mehr Sorgen.

Es war eine tiefe, sinnliche Stimme. Aus irgendeinem merkwürdigen Grund ließ die Kombination von Tonfall und Rhythmus sie immer an Schokolade denken. Tja, dachte Felicia. Wenn Gideon etwas sagte, nahmen die Spinnen dahinten garantiert die Vibrationen wahr. Ihn würden sie nicht so einfach ignorieren. Vielleicht war es daher gar keine schlechte Idee …

Ruckartig hob sie den Kopf, als seine Worte zu ihr durchdrangen.

„Justice hat dir gesagt, du sollst dich von mir fernhalten?“

Gideon hob eine mächtige Schulter. „Er hielt es zumindest für ratsam. Nach allem, was passiert ist.“

Empört stemmte sie die Hände in die Hüften. Dann fiel ihr ein, dass Justice zu schlagen die weitaus bessere Idee wäre. Leider war er gerade nicht hier.

„Was zwischen dir und mir passiert ist, geht ihn nichts an“, sagte sie.

„Du bist seine Familie.“

„Das gibt ihm nicht das Recht, sich in mein Privatleben einzumischen.“

„Du hast nie versucht, mich zu finden“, erwiderte Gideon. „Also bin ich davon ausgegangen, dass du mit seiner … Intervention einverstanden warst.“

„Natürlich nicht“, setzte Felicia empört an. Nur um im selben Moment zu erkennen, dass sie Gideon tatsächlich aus dem Weg gegangen war. Allerdings nicht aus den Gründen, die er annahm. „Das ist kompliziert.“

„Das merke ich.“ Er schaute sie an. „Geht es dir gut?“

„Natürlich. Unsere sexuelle Begegnung ist mehr als vier Jahre her.“ Sie hatte keine Ahnung, ob er wusste, dass sie damals noch Jungfrau gewesen war. Doch jetzt war wohl kaum der geeignete Moment, das Thema aufs Tapet zu bringen. „Unsere gemeinsame Nacht war … befriedigend.“ Die reinste Untertreibung, dachte Felicia und erinnerte sich daran, welche Gefühle Gideon in ihr geweckt hatte. „Es tut mir leid, dass Justice und Ford am nächsten Morgen die Hotelzimmertür aufgebrochen haben.“

Gideons Miene nahm einen amüsierten Zug an. Es war ein Anblick, den Felicia nur zu gut kannte. Für gewöhnlich bedeutete das, dass sie irgendein Stichwort übersehen oder einen Witz zu wörtlich genommen hatte.

Sie unterdrückte ein Seufzen. Sie war klug. Beängstigend klug, wie man ihr oft genug versichert hatte. Während ihrer Kindheit war sie von Wissenschaftlern und Studenten umgeben gewesen. Wenn es darauf ankam, konnte sie aus dem Stegreif eine wissenschaftliche Vorlesung über den Ursprung des Universums halten. Doch alles Zwischenmenschliche war schwer für sie.

Ich bin so verdammt ungeschickt, dachte sie düster. Aus irgendeinem Grund schien sie ständig das Falsche zu sagen oder klang wie ein schlecht programmierter Roboter. Und das, obwohl sie doch einfach nur sein wollte wie alle anderen.

„Ich meinte, geht es dir jetzt gut?“, riss Gideon sie aus ihren Gedanken. „Du hast geschrien. Deshalb bin ich ja überhaupt nur reingekommen.“

Sie presste die Lippen aufeinander. Zum ungefähr tausendsten Mal in ihrem Leben dachte sie, dass sie nur zu gerne dreißig IQ-Punkte oder mehr gegen eine etwas erhöhte soziale Wahrnehmung eintauschen würde.

„Mir geht es gut.“ Sie schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. „Könnte nicht besser sein. Danke, dass du zu meiner Rettung herbeigeeilt bist – auch wenn das völlig unnötig war.“

Er trat einen Schritt vor. „Ich freue mich immer, wenn ich einer schönen Frau helfen kann.“

Er flirtet, dachte sie und beobachtete sofort die Aktivität seiner Pupille, um zu sehen, ob es echt war oder aus reiner Höflichkeit geschah. Wenn ein Mann sexuell interessiert war, weiteten sich seine Pupillen. Doch hier drinnen war es zu dunkel, um das mit Sicherheit sagen zu können.

„Wieso hast du geschrien?“, wollte er wissen.

Sie atmete tief ein. „Da war eine Spinne.“

Er hob eine Augenbraue.

„Sie war groß und aggressiv“, fügte sie hinzu.

„Eine Spinne?“

„Ja. Ich habe ein Problem mit Spinnen.“

„Sieht wohl so aus.“

„Ich bin nicht dumm. Ich weiß, dass das nicht rational ist.“

Gideon lachte leise. „Du bist ja so einiges, Felicia. Aber wir wissen alle, dass dumm nicht dazugehört.“

Bevor sie eine Antwort darauf finden konnte, hatte er sich schon umgedreht und ging zur Tür. Sie war so sehr in den Anblick der Jeans vertieft, die sich an seinen knackigen Hintern schmiegte, dass ihr Kopf total leer war. Dann war Gideon fort und sie blieb alleine mit offenem Mund zurück – und mit einer Horde amerikanischer Hausspinnen, die finstere Pläne gegen sie schmiedeten.

Gideon Boylan kannte die Gefahren von Flashbacks. Sie überfielen ihn ohne Vorwarnung und ließen ihn orientierungslos zurück. Diese kurzen Aussetzer waren lebhaft, betrafen alle seine Sinne, und wenn sie vorbei waren, wusste er nicht mehr, was echt war und was nur eingebildet. Während seiner zweijährigen Gefangenschaft hatte er kurz davorgestanden, sich dem Wahnsinn zu ergeben.

Doch dann war er in letzter Sekunde gerettet worden. Als Einziger aus seiner Truppe. Für seine Mitgefangenen kam jede Hilfe zu spät. Doch selbst nach seiner Befreiung hatte er keinen wahren Frieden empfunden. Die Erinnerungen waren genauso schmerzhaft, wie es die Gefangenschaft gewesen war.

Konzentrier dich, ermahnte er sich, als er die CD lud und seine Playlist für die nächsten drei Stunden überprüfte. Er hatte die Vergangenheit hinter sich gelassen. Zumindest glaubte er das an einigen Tagen. Felicia vorhin zu sehen war wie ein Tritt in den Magen gewesen, doch einen Flashback zu einer schönen Frau in seinem Bett würde er jederzeit mit Kusshand begrüßen. Trotzdem hatte er erst einmal fünf Meilen laufen und danach für beinahe eine Stunde meditieren müssen, bevor er sich ruhig genug gefühlt hatte, um sich auf den Weg zum Radiosender zu machen.

„Heute Abend machen wir es auf die altmodische Art“, sagte er ins Mikrofon. „Genau wie immer.“

Abgesehen von dem kleinen Studio, in dem er saß, lag der Radiosender im Dunkeln. So mochte er es am liebsten. Ihm machte die Dunkelheit nichts aus. Ganz im Gegenteil: Dadurch fühlte er sich sicher. Sie waren nie im Dunkeln zu ihm gekommen. Vorher hatten sie immer das Licht angeschaltet.

„Es ist dreiundzwanzig Uhr in Fool’s Gold, und hier ist Gideon. Den ersten Song des heutigen Abends widme ich einer zauberhaften Frau, der ich heute zufällig über den Weg gelaufen bin. Du weißt, dass ich dich meine.“

Er drückte einen Knopf, und die ersten Töne von „Wild Thing“ erklangen.

Gideon lächelte vor sich hin. Er wusste nicht, ob Felicia zuhörte, aber ihm gefiel die Idee, ein Lied nur für sie zu spielen.

An der Wand leuchtete ein rotes Licht auf. Er schaute hoch. Irgendjemand klingelte an der Tür. Außerhalb der Bürozeiten wurde das Signal ins Studio weitergeleitet. Eine interessante Zeit für Besuch. Er ging zur Eingangstür und schloss sie auf. Vor ihm stand Ford Hendrix, in jeder Hand ein Bier.

Gideon grinste und winkte seinen Freund herein. „Ich habe schon gehört, dass du in der Stadt bist.“

„Ja. Ich bin seit zwei Tagen zurück und bereue die Entscheidung bereits.“

Gideon nahm das angebotene Bier. „Es gab wohl ein großes Hallo für den siegreichen Helden?“

„So in der Art.“

Gideon kannte Ford seit Jahren. Obwohl sein Freund ein SEAL war, hatten sie gemeinsam in einer Spezialtruppe gedient, und später, als Gideon in dem Gefängnis der Taliban zu verrotten drohte, war Ford einer derjenigen gewesen, die sein Leben riskiert hatten, um ihn dort herauszuholen.

„Komm mit rein. Ich muss den nächsten Song anspielen.“

Gemeinsam gingen sie den langen Flur hinunter. „Ich kann nicht glauben, dass dir das hier gehört.“ Ford folgte ihm ins Studio. „Ein Radiosender.“

„Tja, das erklärt die viele Musik.“

Ford setzte sich gegenüber von Gideon hin, der seine Kopfhörer aufsetzte und einen Schalter umlegte.

„Und weiter geht es mit den Widmungen“, sagte er. „Sorry, dass ich schon wieder unterbreche, aber gerade ist jemand hereinspaziert, für den ich das nächste Lied spiele. Willkommen daheim, Ford.“

Der Anfangsakkord von „Born to be Wild“ erklang.

„Du bist echt ein Mistkerl“, sagte Ford leichthin.

„Ich finde, ich bin eigentlich ein recht amüsanter Geselle.“

Ford war ungefähr genauso groß wie Gideon. Er war stark und wirkte nach außen hin locker. Doch Gideon wusste, dass jeder, der dort gewesen war und getan hatte, was sie getan hatten, mit einer ganzen Armee an Geistern durchs Leben reiste.

„Was bringt dich so spät am Abend her?“, fragte er.

Ford verzog das Gesicht. „Ich bin aufgewacht und fand meine Mom an meinem Bett stehend vor. Glücklicherweise habe ich sie erkannt, bevor ich reagiert habe. Ich muss da raus.“

„Dann such dir eine Wohnung.“

„Glaub mir, das ist das Erste, was ich morgen früh machen werde. Sie hat mich angefleht, zu warten, und ich dachte, nach Hause zurückzuziehen dürfte nicht allzu schwer sein. Du weißt schon, wieder Kontakt mit der Familie aufnehmen und so.“

Den Versuch hatte Gideon auch schon hinter sich. Er war nicht allzu gut verlaufen.

„Mit meinen Brüdern ist es okay“, fuhr Ford fort. „Aber meine Mom und meine Schwestern engen mich viel zu sehr ein.“

„Sie freuen sich, dass du wieder zu Hause bist. Du warst sehr lange weg.“

Die genauen Einzelheiten kannte Gideon nicht. Er hatte allerdings gehört, dass Ford kurz nach seinem zwanzigsten Geburtstag Fool’s Gold verlassen hatte und in den letzten vierzehn Jahren auch kaum zu Besuch gekommen war.

Ford nahm einen großen Schluck von seinem Bier. „Meine Mom fragte ständig, ob ich mich jetzt endlich häuslich niederlasse.“ Er schüttelte sich.

„Hast du noch keine Sehnsucht nach einer Frau und dem Tapsen kleiner Füße?“

„Nein. Obwohl ich nichts dagegen hätte, mal wieder flachgelegt zu werden.“ Er schaute ihn an. „Du steckst übrigens mächtig in Schwierigkeiten, mein Freund.“

„Das tue ich doch immer.“

Ford lachte. „Felicia hat heute Nachmittag Justice zur Schnecke gemacht. Sie meinte, er hätte kein Recht, dir zu raten, sich von ihr fernzuhalten. Es ist immer eine ziemliche Show, wenn sie wütend wird. Definitiv eine Frau, die mit Worten umzugehen weiß.“

„Du kennst sie?“

„Nicht gut. Aber ich habe sie ja damals in Thailand kurz getroffen.“

Getroffen. Tja. So konnte man das natürlich auch beschreiben, dachte Gideon. Jene verhängnisvolle Nacht in Thailand. Oder besser gesagt den darauf folgenden Morgen, als Justice und Ford sein Zusammensein mit Felicia abrupt beendet hatten. Was nur die höfliche Umschreibung dafür war, dass die beiden die Tür aufgebrochen hatten und Justice sofort mit Felicia verschwunden war. Gideon hatte versucht, ihnen nachzulaufen, aber Ford hatte das verhindert.

Danach hatten Felicia und er sich nie wieder gesehen. Bis zu jenem ungeplanten Zusammenstoß heute, als er sie vor den marodierenden Spinnen retten wollte.

„Felicia war wütend auf Justice?“, fragte er.

Ford schüttelte den Kopf. „Halt mich da raus. Damit will ich nichts zu tun haben. Wir sind nicht mehr auf der Highschool. Ich werde keine Zettelchen in der Pause verteilen oder sie fragen, ob sie dich mag. Das musst du schon selber tun.“

Gideon war durchaus versucht. Die Nacht mit ihr war unvergesslich gewesen. Felicia verfügte über eine faszinierende Mischung aus Entschlossenheit, Sex-Appeal und Intelligenz. Aber er wusste, dass er nicht ihr Typ war. Er war für keine Frau der richtige Typ. Einem untrainierten Beobachter mochte es vielleicht so vorkommen, als wäre er geheilt. Doch er selbst wusste nur zu gut, was unter der Oberfläche lauerte. Nein, er war kein Mann für eine feste Beziehung. Andererseits … Sollte Felicia nach etwas weniger Festem und mehr Nacktem suchen, war sie bei ihm genau richtig.

Ford trank sein Bier aus. „Hast du was dagegen, wenn ich in einem der Büros übernachte?“

„Im Pausenraum liegt ein Futon.“

„Danke.“

Gideon machte sich nicht die Mühe, ihn darauf hinzuweisen, dass das wohl kaum besonders bequem war. Für einen Mann wie Ford war ein durchgelegener Futon genauso gut wie ein Bett in einem Nobelhotel. In ihrem Beruf lernte man, sich mit dem zufriedenzugeben, was gerade verfügbar war.

Ford ließ die Flasche in den blauen Recyclingeimer fallen und ging dann den Flur hinunter. Gideon legte eine neue CD ein und suchte, bis er das entsprechende Lied gefunden hatte.

Kurz darauf lief „You Keep Me Hanging On“ durch den Äther.

Felicia eilte zum Brew-haha. Sie war zu spät, was normalerweise nie vorkam. Sie liebte ihr Leben geordnet und ruhig. Strukturiert. In anderen Worten: Sie wusste immer, wann sie wo sein würde und was sie dort tun wollte. Zu spät zu kommen gehörte nicht zu ihrem Plan.

Doch seitdem sie Gideon am Tag zuvor gesehen hatte, war sie irgendwie durcheinander. Der Mann verwirrte sie. Nein, korrigierte sich Felicia, als sie am Park vorbeiging. Es war ihre Reaktion auf ihn, die sie verwirrte.

Sie war es gewohnt, von durchtrainierten Männern umgeben zu sein, schließlich hatte sie jahrelang mit Soldaten gearbeitet. Doch Gideons Anblick hatte sie sofort aus der Ruhe gebracht. Was vermutlich an ihrer Vergangenheit lag, an dieser gemeinsam verbrachten Nacht. Schon merkwürdig: Eine Nacht war im Grunde doch nur ein winziger Teil des gesamten Lebens. Andererseits konnte ein einziger traumatischer Moment ausreichen, um einen Menschen dauerhaft aus der Bahn zu werfen – das war wissenschaftlich erwiesen. Aber die Zeit mit Gideon war ja nicht traumatisch gewesen, sondern wunderschön. Warum also wirbelten die Gedanken plötzlich so wild in ihrem Kopf umher? Warum war sie so durcheinander? Sie wusste es nicht. Und als ein Mensch, der ein geordnetes Leben und geordnete Gedanken schätzte, passte ihr dieses ganze Chaos gar nicht.

Sie blieb an der roten Ampel stehen. Während sie wartete, entdeckte sie eine Mutter mit zwei kleinen Jungen. Die beiden waren vielleicht zwei und vier Jahre alt. Der Jüngere lief noch ein wenig unsicher über den Rasen des Parks. Dann blieb er stehen, drehte sich um und lächelte strahlend beim Anblick seines Bruders und seiner Mutter.

Felicia starrte ihn beinahe gierig an, sog die pure Freude des Augenblicks in sich auf, das unbefangene Glück des kleinen Jungen. Das ist einer der Gründe, warum ich nach Fool’s Gold gekommen bin, erinnerte sie sich. Um irgendwo zu sein, wo es normal war. Wo sie versuchen konnte, so zu sein wie alle anderen. Wo sie sich vielleicht verlieben und eine Familie gründen könnte. Wo sie dazugehörte.

Für jemanden, der als Überflieger auf einem Collegecampus aufgewachsen war, klang ‚normal‘ wie der Himmel auf Erden. Sie wollte das, was andere Menschen als selbstverständlich betrachteten.

Die Ampel sprang um, und sie beeilte sich, die Straße zu überqueren, um nicht noch später zu kommen als ohnehin schon. Bürgermeisterin Marsha hatte nicht gesagt, wozu dieses Treffen anberaumt worden war, und Felicia hatte nicht gefragt. Vermutlich wurden ihre organisatorischen Fähigkeiten für irgendein Projekt benötigt. Vielleicht um ein Bestandsverzeichnis für die Stadt zu installieren.

Sie ging durch die offen stehende Tür des Kaffeehauses. Brew-haha hatte erst vor einigen Monaten eröffnet. Der Holzfußboden glänzte in der Sonne, die durch die großen Fenster fiel. Es gab ausreichend Tische, eine verlockende Auswahl an Gebäck und köstlichen Kaffee in allen Varianten.

Patience, die Besitzerin, die eine enge Freundin von Felicia war, lächelte. „Du bist zu spät“, sagte sie fröhlich. „Freut mich zu sehen, dass du auch Fehler hast. Das lässt uns Normalsterbliche hoffen.“

Felicia stöhnte, als ihre Freundin auf einen Tisch im hinteren Bereich des Cafés zeigte, an dem bereits Bürgermeisterin Marsha und Pia Moreno auf sie warteten.

„Ich bringe dir einen Latte“, fügte Patience hinzu und griff bereits nach einem großen Becher.

„Danke.“

Felicia bahnte sich einen Weg durch die Tische zu den anderen Frauen. Marsha, Kaliforniens dienstälteste Bürgermeisterin, war eine gut angezogene Frau Anfang siebzig. Sie trug meistens Kostüme und hatte ihr weißes Haar während der Arbeit immer zu einem ordentlichen Knoten hochgesteckt. Sie war, wie Felicia sehnsüchtig bemerkte, die perfekte Kombination aus kompetent und mütterlich.

Pia, eine schlanke Brünette mit lockigen Haaren und einem breiten Lächeln, sprang auf die Füße, als Felicia sich dem Tisch näherte. „Du hast es geschafft. Danke, dass du gekommen bist. Im Sommer fühlt es sich immer an, als gäbe es alle fünfzehn Minuten ein neues Stadtfest. Ich freue mich, endlich mal aus dem Büro rauszukommen, auch wenn es nur für ein Geschäftsmeeting ist.“

Felicia überraschte sich selbst damit, die Umarmung von Pia zu erwidern. Sie hatten sich erst ein paarmal getroffen, und Felicia fand nicht, dass sie einander schon so nahestanden. Dennoch empfand sie den körperlichen Kontakt als durchaus angenehm.

Patience brachte den Latte macchiato und einen Teller mit Keksen. „Kostproben von der Bäckerei nebenan“, sagte sie grinsend. „Sie sind einfach zu köstlich.“ Mit der linken Hand schob sie den Teller in die Mitte. Ihr Brillantring blitzte.

Bürgermeisterin Marsha berührte Patience’ Ringfinger. „Was für eine wunderschöne Fassung“, sagte sie. „Da hat sich aber jemand viel Mühe gegeben, den richtigen Ring auszusuchen.“

Patience seufzte und betrachtete ihren Verlobungsring. „Ich weiß. Ich schaue ihn ständig an, obwohl ich arbeiten sollte. Ich kann einfach nicht anders.“

Sie kehrte hinter den Tresen zurück. Pia sah ihr hinterher.

„Junge Liebe“, sagte sie grinsend.

„Du bist auch noch jung und sehr verliebt“, erinnerte die Bürgermeisterin sie.

„Ja, ich bin noch verliebt.“ Pia lachte. „Allerdings fühle ich mich an den meisten Tagen nicht mehr sonderlich jung. Doch was den Ring angeht, gebe ich dir recht. Er ist wirklich beeindruckend.“

Bürgermeisterin Marsha wandte sich an Felicia und schaute sie fragend an. „Kein Fan von Diamanten?“

„Ehrlich gesagt verstehe ich die ganze Aufregung nicht“, entgegnete Felicia. „Sie glitzern, ja, aber trotzdem handelt es sich einfach nur um gepresste Kohle.“

„Sehr teure Kohle“, zog Pia sie auf.

„Aber nur, weil wir ihr eine Bedeutung zuschreiben. Von sich aus besteht der Wert dieser Steine nur in ihrer Härte. In einigen Industriezweigen …“ Sie hielt inne, als ihr bewusst wurde, dass sie nicht nur zu viel sprach, sondern auch auf ein Thema zusteuerte, das alle anderen vermutlich langweilig fanden. „Fossilien sind wesentlich interessanter“, murmelte sie. „Ihre Formation wirkt zufälliger.“

Die beiden anderen Frauen schauten erst einander, dann wieder sie an. Ihre Mienen waren höflich, doch Felicia erkannte die Zeichen. Beide hielten sie für einen Freak. Traurigerweise hatten sie damit recht.

Augenblicke wie dieser waren der Hauptgrund, warum sie sich Sorgen machte bezüglich der Familie, die sie so gerne haben wollte. Was, wenn sie keine Kinder bekommen konnte? Nicht in biologischer Hinsicht. Es gab keinen Grund, anzunehmen, dass sie sich nicht wie jede andere Frau auch fortpflanzen konnte. Doch war sie emotional gesund genug dafür? Könnte sie lernen, was sie nicht wusste? Sie vertraute ihrem Gehirn blind, ihren Instinkten hingegen weniger, und von ihrem Herzen wollte sie gar nicht erst reden.

In ihrer Kindheit und Jugend hatte sie nie dazugehört – eine Erfahrung, die sie einem möglichen Kind auf keinen Fall zumuten wollte.

„Bernstein ist Baumharz, oder?“, fragte Pia. „War das nicht die Grundlage dieses Films mit den Dinosauriern?“

„Jurassic Park“, sagte die Bürgermeisterin.

„Stimmt. Raoul liebt diesen Film. Er und Peter schauen ihn sich gerne gemeinsam an. Ich passe allerdings immer auf, dass die Zwillinge nicht in der Nähe sind. Sie würden wochenlang nicht schlafen können, nachdem sie gesehen haben, wie der T-Rex den Mann frisst.“

Felicia wollte schon anfangen, die vielen logischen Ungereimtheiten des Films aufzuzählen, doch dann presste sie ihre Lippen zusammen. Sie glaubte, dass in Sprichwörtern viele Lektionen zu finden waren, und in diesem Moment kam ihr der Satz „Weniger ist mehr“ in den Kopf.

Bürgermeisterin Marsha trank einen Schluck Kaffee. „Felicia, Sie fragen sich sicher, warum wir uns heute mit Ihnen treffen wollten.“

Pia schüttelte den Kopf. „Stimmt, unser Treffen hat ja einen Grund.“ Sie lächelte. „Ich bin schwanger.“

„Herzlichen Glückwunsch.“

Das ist die richtige Reaktion, dachte Felicia, auch wenn sie nicht sicher war, warum die andere Frau diese Information mit ihr teilte. Andererseits hatten sie einander zur Begrüßung umarmt. Vielleicht glaubte Pia, dass sie sich näherstanden, als Felicia dachte. Sie war nicht sonderlich gut darin, solche Dinge zu beurteilen.

Pia lachte. „Danke. Ich habe wochenlang nicht gewusst, was mit mir nicht stimmt. Du kannst die arme Patience fragen. Es ist noch gar nicht lange her, dass ich vor ihr einen wahren Nervenzusammenbruch hatte. Ich war total vergesslich und desorganisiert. Dann fand ich heraus, dass ich schwanger bin. Es ist schön, einen körperlichen Grund für meine Zerstreutheit zu haben und mir nicht Sorgen darüber machen zu müssen, ob ich langsam verrückt werde.“

Sie legte ihre Hände um ihre Teetasse. „Ich habe bereits drei Kinder. Peter und die Zwillinge. Ich liebe meine Arbeit, aber mit einem vierten Kind im Anmarsch schaffe ich das nicht mehr. Es hat eine Weile gedauert, aber jetzt habe ich mich damit abgefunden, dass ich mich nicht mehr um die Organisation der Festivals kümmern kann.“

Felicia nickte höflich. Sie bezweifelte, dass die beiden Frauen sie um Rat fragen wollten, wer Pias Platz einnehmen könnte. Das wussten sie sicher selbst am besten. Außer die beiden wollten, dass sie bei der Suche half. Es wäre ihr ein Leichtes, eine Liste mit Kriterien aufzustellen und …

Bürgermeisterin Marsha lächelte ihr über den Rand ihres Bechers zu. „Wir hatten an Sie gedacht.“

Felicia öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. Sie war tatsächlich sprachlos – eine vollkommen neue Erfahrung für sie. „Für den Job?“

„Ja. Sie verfügen über ungewöhnliche Fähigkeiten. Ihre Zeit beim Militär hat Sie gelehrt, mit Bürokratie umzugehen. Und obwohl ich gerne denke, dass wir weniger erstarrt sind als die meisten Stadtverwaltungen, laufen unsere Mühlen doch sehr langsam und für alles gibt es irgendein Formular. Und genau da kommen Sie ins Spiel. Logistik ist Ihr Thema, und bei den Festen geht es eigentlich ausschließlich um Logistik. Sie würden einen frischen Blick auf das, was wir tun, mitbringen.“

Bürgermeisterin Marsha hielt kurz inne und lächelte Pia an. „Nicht, dass du nicht brillant gewesen bist.“

Pia lachte. „Keine Angst, mein Stolz ist nicht verletzt. Felicia darf ruhig besser sein als ich. Dann muss ich mich wenigstens nicht schuldig fühlen.“

„Ich verstehe nicht“, flüsterte Felicia. „Sie wollen, dass ich die Organisation der Stadtfeste übernehme?“

„Ja“, bestätigte die Bürgermeisterin entschlossen.

„Aber die sind so wichtig für Fool’s Gold. Ich weiß, wir haben auch andere Industriezweige, aber ich denke, Tourismus ist unsere Haupteinnahmequelle. Die Universität und das Krankenhaus sind vermutlich die größten Arbeitgeber, aber die Besucher bedeuten bares Geld.“

„Ganz genau“, sagte Pia. „Lass uns das Thema bloß nicht vertiefen, denn ich kann dir haargenau vorrechnen, wie viel jeder einzelne Tourist uns im Jahr einbringt.“

Felicia dachte daran, darauf hinzuweisen, dass sie Mathe sehr gerne mochte. Doch dann überlegte sie, dass das im Moment nicht wichtig war.

„Warum sollten Sie mir diese Verantwortung anvertrauen?“, fragte sie die Bürgermeisterin, denn das war die einzige Frage, die zählte.

„Weil Sie dafür sorgen werden, dass alles richtig abläuft“, erwiderte Marsha. „Sie stehen für das ein, woran Sie glauben. Aber vor allem liegen Ihnen die Festivals genauso am Herzen wie uns.“

„Das können Sie doch gar nicht wissen“, wunderte Felicia sich.

Die Bürgermeisterin lächelte. „Oh doch, das kann ich, meine Liebe.“

2. KAPITEL

Felicia fuhr den Berg hinauf. Die Stadt hatte sie schon vor ein paar Meilen hinter sich gelassen, und nun befand sie sich auf einer zweispurigen Straße mit einer sanften Steigung und einem breiten Seitenstreifen. Sie nahm die Kurven langsam, denn sie hatte keine Lust, sich plötzlich Kühlergrill an Nase einem Wildtier gegenüberzusehen, das in der warmen Sommernacht auf Nahrungssuche war. Über ihr am Himmel glitzerten die Sterne, und der Mond schien durch das dichte Blattwerk der Bäume.

Es war zwei Uhr morgens. Sie war zur üblichen Zeit ins Bett gegangen, hatte aber nicht schlafen können. Den ganzen Tag über war sie schon rastlos gewesen. Ehrlich gesagt seit dem Treffen im Café. Irgendwie kam sie mit diesem Vorschlag von Pia und der Bürgermeisterin nicht klar. Ausgerechnet sie sollte die Stadtfeste leiten?

Ihre übliche Reaktion auf schwierige Probleme war, nach so vielen Lösungen wie möglich zu suchen. Nur war das hier nicht so eine Art von Problem. Hier ging es um Menschen und Traditionen und immaterielle Werte, die sie nicht näher identifizieren konnte. Die ganze Sache war zu gleichen Teilen aufregend und Furcht einflößend. Bislang hatte sie sich nie vor Verantwortung gedrückt, doch das hier war anders, und sie wusste nicht, was sie tun sollte.

Weshalb sie jetzt diesen Berg hinauffuhr.

Sie bog auf eine kleine Straße ab, die als Privatweg gekennzeichnet war. Eine Viertelmeile später tauchte das Haus zwischen den Bäumen auf. Gideons Haus.

Sie hatte nicht gewusst, mit wem sie sonst reden sollte. Inzwischen hatte sie angefangen, ein paar Freundschaften in der Stadt zu knüpfen. Sie hatte sogar ein paar Frauen kennengelernt, die sie verstanden und ihre Anstrengungen, sich mit ihnen anzufreunden, zu schätzen wussten. Lustige, charmante Frauen, die alle tief mit Fool’s Gold verwurzelt waren. Was ein Teil des Problems war. Diese Frauen konnten ihr jetzt nicht weiterhelfen. Sie musste mit jemandem reden, der einen Blick von außen auf die ganze Sache werfen konnte.

Normalerweise hätte sie sich an Justice gewandt, doch der war seit Kurzem mit Patience verlobt. Felicia war nicht sicher, was alles dazugehört, wenn man sich verliebte. Höchstwahrscheinlich sollte man aber keine Geheimnisse voreinander haben. Was bedeutete, Justice würde Patience alles berichten, was Felicia ihm erzählte, womit sie wieder am Ausgangspunkt war. Nämlich dass sie mit einem Außenstehenden reden musste.

Sie parkte auf der breiten Auffahrt und stieg aus. An der Vorderseite des Hauses zog sich eine Veranda entlang, und große Fenster ließen viel Licht herein. Sie konnte sich vorstellen, dass einem Mann wie Gideon Licht und die Möglichkeit, den Himmel zu sehen, wichtig waren.

Sie ging zur Veranda und setzte sich auf die Stufen, um zu warten. Seine Schicht endete um zwei, also sollte er jede Minute eintreffen. Er wirkte auf sie nicht wie ein Mann, der auf dem Weg nach Hause noch in einer Bar einkehrte. Wobei sie nicht sagen konnte, woher dieser Eindruck stammte.

Die wenigen Informationen, die sie über Gideon hatte, waren höchst oberflächlich. In ihrer gemeinsamen Zeit vor vier Jahren hatten sie sich eher auf das Körperliche als auf Unterhaltungen konzentriert. Sie wusste, dass er mal beim Militär gewesen war, dort für Undercovereinsätze eingesetzt wurde und Dinge gesehen hatte, die kein Mensch jemals sehen sollte. Sie wusste auch, dass er und sein Team beinahe zwei Jahre in Gefangenschaft verbracht hatten. Das war passiert, bevor sie sich zum ersten Mal trafen.

Sie kannte keine Einzelheiten über seine Gefangenschaft, was hauptsächlich daran lag, dass die Informationen für jemanden von ihrem Dienstgrad gesperrt waren. Technisch gesehen hätte sie sich in die Ordner hacken können, doch Felicia machte sich meist weniger Gedanken darüber, ob sie etwas tun konnte, als vielmehr, ob sie es tun sollte. Was sie allerdings wusste, war, dass Gideon in eine dieser Missionen verwickelt gewesen war, die im Kino immer so aufregend aussahen, im wirklichen Leben aber oft tödlich endeten. Eine Mission, bei der ein Agent auf keinerlei Hilfe hoffen konnte, wenn er vom Feind gefasst wurde. Gideon hatte zweiundzwanzig Monate in den Händen der Taliban verbracht. Höchstwahrscheinlich war er so lange gefoltert und misshandelt worden, dass der Tod ihm am Ende fast als Erlösung erschienen war. Doch dann hatte er Glück gehabt und war gerettet worden. Seine Kameraden hatten es nicht geschafft.

Zwischen den Büschen blitzten Scheinwerferlichter auf. Felicia schaute zu, wie Gideon mit seinem Truck hinter ihrem Wagen stehen blieb. Er schaltete den Motor ab, stieg aus und kam auf sie zu.

Er war groß mit breiten Schultern. Im Sternenlicht konnte sie keine Einzelheiten erkennen – nur die Silhouette eines kräftig gebauten Mannes. Ein Schauer überlief sie. Ein erwartungsvoller Schauer, wie sie erstaunt feststellte. Ihr Körper erinnerte sich daran, was Gideon mit ihr gemacht hatte. An diese Mischung aus Zärtlichkeit und Traurigkeit, mit der er sie berührte. Und an diesen Hunger, der all ihre Nervosität blitzartig vertrieb.

Sie hatte sich intensiv mit den Studien zur sexuellen Intimität beschäftigt. Aber diesen Vorgang zu begreifen war eine Sache. Ihn zu erleben eine ganz andere. Zum Beispiel die verschiedenen Erregungsstadien: Was dazu in den Büchern stand, war lächerlich im Vergleich mit der Wirklichkeit. Oder diese Sache mit den Brustwarzen: Trotz all ihrer Studien war sie nicht im Geringsten auf die feuchte Hitze und dieses köstliche Gefühl vorbereitet gewesen, als sein Mund ihre Brust fand. Auch über den Orgasmus hatte sie sich natürlich im Vorfeld informiert. Doch die zitternde Erlösung, die sie dann erfasste, hatte sämtliche Beschreibungen bei Weitem übertroffen.

„Was machst du denn hier?“, fragte er und blieb am Fuß der Treppe stehen.

In der Dunkelheit konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, konnte nicht sehen, ob er sich auch erinnerte. „Ich muss mit jemandem reden“, gab sie zu. „Da habe ich an dich gedacht.“

Er stieg die ersten beiden Stufen hinauf. „Okay. Das ist neu. Wir haben uns seit vier Jahren nicht gesehen, und ich bin der Erste, der dir einfällt?“

„Technisch betrachtet haben wir uns im Lagerhaus gesehen.“

Es zuckte um seinen Mundwinkel. „Ja. Und das war eine sehr eindrucksvolle Erfahrung.“ Das leichte Lächeln verschwand. „Worüber möchtest du reden?“

„Es geht um einen Job“, erklärte sie und beobachtete, wie er noch ein Stück näher kam. „Aber wenn du nicht reden willst, kann ich auch wieder fahren.“

Er betrachtete sie einen Moment. „Komm rein. Ich bin nach der Arbeit sowieso noch zu aufgekratzt, um ins Bett zu gehen. Normalerweise mache ich dann Tai-Chi, um mich zu entspannen, aber eine Unterhaltung tut’s auch.“

Er ging an ihr vorbei, und sie stand auf und folgte ihm.

Das Haus war groß und offen, mit viel Holz und hohen Decken. Gideon schaltete die Lichter an, während er durch den sparsam eingerichteten Raum mit dem Kamin am einen Ende ging. Hinter den Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten, war nur Dunkelheit zu erkennen. Obwohl Felicia nichts sehen konnte, hatte sie das Gefühl von großer Weite.

„Liegt das Haus am Rande eines Canyons?“, fragte sie.

„An der Seite eines Berghangs.“

Er ging in die Küche, die mit allerlei Schränken, Arbeitsplatten aus Granit und Edelstahlarmaturen ausgestattet war. Aus dem Kühlschrank holte er zwei Bier und reichte ihr eines.

„Ich dachte, du würdest mir aus dem Weg gehen“, sagte er.

„Das bin ich auch, aber jetzt, wo wir miteinander gesprochen haben, finde ich es wenig sinnvoll, damit weiterzumachen.“

„Hm.“

Sein dunkler Blick war ruhig, aber unlesbar. Sie hatte keine Ahnung, was er dachte. Seine Stimme klang warm und freundlich, aber das tat sie immer. Nicht umsonst arbeitete Gideon als Radio-Moderator. Dieser Mann konnte Putzmittel lecker klingen lassen, wenn er es wollte.

Er schaltete das Küchenlicht aus, und Felicia blinzelte in der plötzlichen Dunkelheit. Sie hörte ihn durch das Zimmer gehen und eine Glasschiebetür öffnen. Dann erkannte sie im Mondlicht eine Silhouette, die jetzt um die Ecke verschwand. Vermutlich in Richtung der rückwärtigen Veranda. Sie folgte ihm.

Auf der Terrasse standen ein paar bequeme Stühle und einige kleine Tischchen. Unterhalb der Balustrade erstreckte sich ein Wald.

Sie setzte sich auf den Stuhl auf der anderen Seite des Beistelltischchens. Dann lehnte sie den Kopf zurück und schaute in den mit Sternen übersäten Himmel. Der Halbmond war beinahe um den Berg herumgekommen und beleuchtete den stillen Wald und den majestätisch aufragenden Berghang.

Die Luft war kühl, aber nicht kalt. In der Ferne hörte Felicia den leisen Ruf einer Eule. Ab und zu raschelte es im Laub.

„Ich kann verstehen, warum es dir hier gefällt.“ Sie griff nach ihrem Bier. „Es ist so friedlich. Nah genug an der Stadt, um bequem zum Sender fahren zu können, aber weit genug weg, um nicht allzu viele unangekündigte Besucher auf der Matte zu haben.“ Sie lächelte. „Abgesehen von mir natürlich.“

„Mir gefällt es.“

„Schneist du hier im Winter ein?“

„Letztes Jahr nicht. Da hatten wir allerdings auch kaum Schnee. Aber irgendwann wird es passieren.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin vorbereitet.“

Das glaube ich gerne, dachte sie. Allzeit bereit. Gideon war ein Mann, der keine Sekunde verschwendete. Genau das hatte Justice ihm damals vorgeworfen. Und wo sie gerade an ihren besten Freund dachte …

„Ich kann darüber nicht mit Justice reden“, sagte sie.

Gideon hob nur eine Augenbraue. „Okay.“

„Ich dachte, du wüsstest gerne, wieso ich dich so unvermittelt überfalle. Aber Justice und ich sind quasi wie Geschwister.“ Sie drehte den Stuhl ein wenig, sodass sie Gideon besser ansehen konnte.

Sie konnte nur seinen Umriss erkennen. Ein mächtiger Mann, der momentan gezähmt war. Ihr Blick glitt seinen Körper entlang. Er war so groß, dass sie sich neben ihm fast zierlich vorkam. Damals, im Bett mit ihm, hatte sie sich für ein paar Stunden nicht wie ein Freak gefühlt. Sie war einfach eine Frau gewesen wie alle anderen auch.

„Also, was hast du für ein Problem?“

Eine Sekunde lang glaubte sie, die Frage bezöge sich auf ihr Studium seiner Hände und die daraus resultierenden Erinnerungen. Doch dann fiel ihr wieder ein, wieso sie hier war. „Die Stadt.“

„Gefällt sie dir nicht?“

„Doch, sogar sehr.“ Sie holte tief Luft. „Die Bürgermeisterin hat mich gefragt, ob ich die Organisation der Festivals übernehmen will. Pia Moreno hat das die letzten Jahre gemacht, aber sie hat schon drei Kinder und erwartet ihr viertes. Das wird ihr einfach zu viel.“

Gideon zuckte mit den Schultern. „Du wärst perfekt für den Job.“

„Oberflächlich betrachtet vielleicht schon. Die Organisation wäre für mich ein Leichtes, aber darum geht es nicht. Das Problem ist viel mehr die Bedeutung.“

„Der Stadtfeste?“

Sie nickte. „Sie sind der Herzschlag von Fool’s Gold. Hier wird die Zeit anhand der Festivals gemessen. Wenn ich mit meinen Freundinnen ausgehe, sprechen sie die ganze Zeit darüber. Wieso ist Bürgermeisterin Marsha gewillt, mir so eine wichtige Aufgabe anzuvertrauen?“

„Weil sie glaubt, dass du die Arbeit gut machen wirst.“

„Natürlich würde ich das. Aber das ist doch nicht alles.“

„Du hast Angst.“

Felicia atmete zitternd ein. „Angst ist ein bisschen zu viel gesagt.“

Er trank einen Schluck Bier. „Du kannst es nennen, wie du willst, aber du fürchtest dich zu Tode. Du willst sie nicht enttäuschen, hast aber Angst, dass es dazu kommen könnte.“

„Ich dachte immer, ich wäre gnadenlos ehrlich“, murmelte sie.

Gideon lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen. Das war sicherer, als Felicia anzuschauen. Vor allem im Mondschein. Mit ihren großen grünen Augen und den flammend roten Haaren war sie eine klassische Schönheit. Wie würde sie sich wohl selber beschreiben? Ätherisch vielleicht. Er schmunzelte.

„Das ist nicht lustig“, beschied sie ihm.

„Irgendwie schon.“ Doch nicht aus dem Grund, den sie annahm. Ihre Situation war wirklich zu ironisch.

Er hatte sein Haus und sein Leben so gebaut, dass er entscheiden konnte, ob und wann er mit anderen Leuten in Kontakt trat. Gestern Abend war Ford als Überraschungsgast aufgetaucht. Heute war es Felicia. Der Unterschied bestand darin, dass er sich in Gegenwart seines Freundes wohlgefühlt hatte. Was bei Felicia ein wenig anders war.

Er fühlte sich in ihrer Nähe nicht gerade unbehaglich. Nein, das nicht. Es war eher so, dass er sich ihrer sehr bewusst war. Sie überdeutlich wahrnahm. Den Klang ihres Atems. Die Art, wie ihre Haare ihr über die Schultern fielen. Wie sie ihn ab und zu anschaute, als erinnere sie sich daran, nackt in seinen Armen zu liegen.

Urplötzlich regte sich Lust in ihm – stark, fast schmerzhaft, als das Blut mit aller Macht in seine Körpermitte schoss. Verdammt! Was jetzt? An etwas Unverfängliches zu denken half auch nicht. Was hauptsächlich daran lag, dass ihm in Felicias Gegenwart sowieso nichts Unverfängliches einfallen wollte. Jetzt saß er hier also mit einem Steifen und wusste nicht, wohin damit.

Er schaute Felicia an und fragte sich, was passieren würde, wenn er ihr sagte, dass er sie wollte. Jede andere Frau würde erröten oder nervös werden. Einige würden vielleicht sogar anfangen, sich zu entkleiden. Aber was würde Felicia tun?

Die Chancen standen 50 : 50. Entweder würde sie sofort damit beginnen, den biologischen Prozess der Erregung ausführlich zu beschreiben. Spätestens bei der Detailanalyse einer Erektion würde sich sein Blut dann ganz von selbst zurückziehen. Oder Felicia würde tun, was sie in Thailand getan hatte: ihm direkt in die Augen schauen und ihn fragen, ob er mit ihr Sex haben wollte.

„Du warst damals die schönste Frau in der Bar“, sagte er. „Ich war überrascht, als du zu mir kamst, um mit mir zu reden.“

„Du hast nett gewirkt“, erklärte sie.

„Das hat schon lange niemand mehr über mich gesagt.“

Sie lächelte. Der abrupte Themenwechsel hatte sie offenbar nicht weiter aus dem Konzept gebracht. „Ich war damals immer noch beim Militär und habe mit den Jungs der Sondereinsatzkräfte gearbeitet. Wieso ich dich ausgewählt habe, kann ich nicht genau erklären. Ich fand dich einfach ansprechend. Außerdem hatte ich vermutlich irgendeine chemische Reaktion, wahrscheinlich auf deine Pheromone. Anziehung ist keine besonders exakte Wissenschaft.“

Sie senkte kurz den Kopf und schaute dann wieder auf. „Es war mein erstes Mal.“

„Das erste Mal, dass du einen fremden Mann angesprochen hast? Dafür hast du das ziemlich gut gemacht. Ich war sofort fasziniert von dir.“

„Ich habe ja auch ein tief ausgeschnittenes Sommerkleid getragen. Die meisten Männer fühlen sich von Brüsten angezogen. Außerdem bin ich ein paar Minuten auf der Stelle gelaufen, bevor ich die Bar betreten habe. Der Geruch von weiblichem Schweiß ist für Männer auch sehr attraktiv.“

„Jetzt fühle ich mich aber benutzt.“

Sie lachte. „Nein, tust du nicht.“

„Stimmt.“ Und wie es stimmte. Sie hatten eine großartige Nacht zusammen verbracht. „Ich wollte dich wiedersehen, aber ich habe dich nirgendwo gefunden.“

Sie zog die Nase kraus. „Ich wurde in die Staaten zurückgeschickt. Ich bin sicher, da hatte Justice seine Finger im Spiel.“ Sie schwieg einen Moment. „Ich meinte nicht, dass du der erste Mann warst, den ich angesprochen habe. Ich meinte, dass du mein erstes Mal warst, Gideon. Ich war noch Jungfrau.“

Er hatte gerade die Bierflasche an den Mund führen wollen, hielt nun aber mitten in der Bewegung inne. Immer schneller schossen die Erinnerungen an jene Nacht durch seinen Kopf. Von Felicia, wie sie seinen Körper erkundete, als könnte sie nicht genug von ihm kriegen. Ihre begierigen Schreie nach „mehr“ und „härter“. Sie war so klar gewesen in dem, was sie wollte, dass er angenommen hatte … Kein Mann hätte ahnen können …

„Mist.“

„Mach dir keine Sorgen“, sagte sie. „Bitte. Ich habe damals nichts gesagt, weil ich Angst hatte, dass du mich dann zurückweist. Oder dass es die Sache kompliziert macht und du zu zart oder zu zögerlich bist.“

„Wie alt warst du?“, fragte er.

„Vierundzwanzig.“ Sie seufzte. „Was Teil des Problems war. Niemand wollte mit mir schlafen. Ich war es leid, nicht zu wissen, wie es ist. Ich war es leid, anders zu sein als alle anderen. Natürlich ist es völlig in Ordnung, Jungfrau zu sein. Und in einer perfekten Welt hätte ich auch darauf gewartet, dass ich mich zuerst verliebe. Aber so, wie mein Leben war, wäre das niemals passiert.“

Sie setzte sich auf und schaute ihn an. „Ich bin auf dem Campus einer Universität aufgewachsen. Im Grunde genommen war ich eine Art Experiment. Danach bin ich zur Armee gegangen und schnell zur Logistik einer Sondereinsatztruppe versetzt worden. Nur Männer um mich herum, richtig? Leider war ich sozial so ungeschickt, dass ich ihnen Angst gemacht habe. Oder sie in mir eine Schwester gesehen haben, so wie Justice. Ich habe immer darauf gewartet, jemanden kennenzulernen. Habe auf den ersten Kuss, das erste Mal gewartet. Aber es passierte nicht.“

Sie verschränkte ihre Finger. „Ich bin schon drei Abende in der Bar gewesen, bevor ich dich getroffen habe. Aber dann wusste ich sofort, dass du derjenige bist.“

Er wusste nicht, was er mit diesen Informationen anfangen sollte.

„Bist du böse?“, fragte sie leise.

„Nein. Nur verwirrt. Ich habe es nicht gemerkt. Du wirktest so, als würdest du genau wissen, was du tust.“

Sie lächelte. „Ich bin eben gut im Recherchieren.“

„Trotzdem hätte es mir auffallen müssen.“

„Du hattest eine unglaublich gut aussehende Frau im Bett – du warst abgelenkt.“

Sie lachte, als wäre es ein Witz. Dabei war das die reine Wahrheit.

„Es war für mich schon eine Weile her“, gab er zu. „Nach der Gefangenschaft warst du die erste Frau, die ich so nahe an mich heranlassen konnte.“

Ihr Lachen verschwand. „Das wusste ich nicht.“

„Wir haben uns ja auch nicht sonderlich viel unterhalten. Sobald mir klar wurde, was du vorhattest, war ich dabei. Ich habe zwei Jahre in einem Loch im Boden verbracht und dann noch einmal anderthalb Jahre auf Bali.“

„Auf Bali gibt es viele bezaubernde Frauen.“

„Das mag stimmen. Aber mein Lehrer beharrte darauf, dass nur Enthaltsamkeit zur Heilung führt.“

„Deshalb der Trip nach Thailand.“

„Vielleicht.“ Er trank einen Schluck von seinem Bier. „Es gab da verschiedene Gründe. Vor allem habe ich eine Pause gebraucht. Und dich zu finden, damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.“

„Du hast mich nicht gefunden – ich habe dich gefunden.“

Ein Punkt für sie. „Es hat leider nicht so geendet, wie ich es gerne gehabt hätte.“

„Geht mir genauso.“

Er und Felicia hatten gemeinsam im Bett gelegen, als zwei Männer die Tür aufgebrochen hatten. Zu dem Zeitpunkt hatte er Justice noch nicht gekannt, aber natürlich wusste er, wer Ford war. Sein Kumpel hatte nur entschuldigend mit den Schultern gezuckt und war dann ohne ein Wort wieder verschwunden.

„Ich hätte schneller reagieren müssen“, sagte er.

„Es ist gut, dass du das nicht getan hast. Sonst hättest du dir nur einen Kampf mit Justice geliefert, und einer von euch wäre verletzt worden.“

Tja. Die Frage war nur, wer. Er war damals wütend genug gewesen, um Justice ungespitzt in den Boden zu rammen. Allerdings hatte sein letzter Kampf da schon einige Zeit hinter ihm gelegen. Ob Ford sich in die ganze Sache eingemischt hätte, war stark zu bezweifeln. Obwohl sein Freund vermutlich schon versucht hätte, das Schlimmste zu verhindern. Ein schwacher Trost. Vielleicht war es tatsächlich gut, dass dieser Kampf nicht stattgefunden hatte.

„Und jetzt sitzen wir beide hier“, sagte er nach einer kurzen Pause.

„Was kein Zufall ist. Du und Justice seid beide Freunde von Ford. Justice hat ihn kennengelernt, als er als Teenager eine Zeit lang hier gewohnt hat.“

Von dieser Geschichte hatte er schon gehört. Justice war damals im Zuge eines Zeugenschutzprogramms nach Fool’s Gold geschickt worden. Ein perfekter Ort, um sich zu verstecken, dachte Gideon. Niemand würde auf die Idee kommen, in so einem idyllischen Städtchen nach jemandem zu suchen.

Jahre später war Justice hierher zurückgekommen und hatte sich in Patience verliebt – ein Mädchen, an dem ihm schon auf der Highschool sehr viel gelegen hatte. Wenn das nicht eine kitschige Geschichte war. Und doch musste Gideon zugeben, dass er eine Art Neid verspürte. Justice hatte Frieden gefunden – etwas, das ihm selbst nie gelingen würde, dessen war er sich sicher. Von außen betrachtet mochte er zwar wie jeder andere Mann wirken. Aber er wusste, was sich in seinem Inneren abspielte. Er konnte es nicht zulassen, dass jemand ihm zu nahe kam. Liebe machte einen Mann schwach. Und dieses Risiko konnte er nicht eingehen.

Felicia schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ford hat dir von Fool’s Gold erzählt, und du bist hergekommen, um es dir anzusehen.“

Das stimmte. Und was er sah, hatte ihm gefallen. Der Ort war groß genug, um alles zu bieten, was er brauchte. Und klein genug, um einen Platz am Rand zu finden. Hier konnte er ein Teil des Ganzen sein und trotzdem allein.

„Wirst du den Job annehmen?“, fragte er.

„Ich würde gerne.“ In ihrer Stimme lag ein Hauch Sehnsucht.

„Dann solltest du es tun. Du wirst das großartig machen. Hauptsächlich geht es um logistische Fragen, und darin bist du unschlagbar.“

„Das weißt du doch gar nicht.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe Ford nach dir gefragt. Und das ist so ziemlich das Einzige, was er mir erzählt hat.“

„Oh.“ Sie wickelte sich eine Haarsträhne um den Zeigefinger. „Der operative Teil der Arbeit macht mir keine Sorgen. Aber alles andere. Ich bin nicht gut, was Gefühle angeht. Ich bin zu rational.“ Sie senkte den Kopf. „Ich wünschte, ich wäre mehr wie du. Jemand, der ganz im Hier und Jetzt leben kann. Du wirkst nicht so, als wenn du immer alles genau durchdenken müsstest. Das ist schön.“

Ganz im Hier und Jetzt? Das war das Letzte, was er sich momentan erlauben konnte, dachte Gideon grimmig. Denn wenn er das täte, läge Felicia längst stöhnend in seinen Armen. Er hätte bereits jeden Zentimeter ihres Körpers erkundet und würde sich gerade mit heißer Zunge zwischen ihren Beinen beschäftigen.

Bei der Vorstellung kochte sein Blut. Er wollte ihren abgehackten Atem hören, wenn sie dem Höhepunkt immer näher kam. Er wollte spüren, wie sich ihr Körper anspannte, bevor sie sich fallen ließ, und alle Gedanken in einem Nebel aus Lust und Vergnügen untergingen.

„Gideon?“

Er zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren. „Ich könnte dir ein paar Atemtechniken beibringen, die helfen.“

Sie lachte.

Das süße, fröhliche Geräusch erfüllte die Stille der Nacht. Es war ein Klang, der einen Mann retten konnte – oder in die Knie zwingen.

Sein Verlangen wuchs und mit ihm die Erkenntnis, dass er dieses Risiko nicht eingehen konnte.

„Es ist schon spät“, sagte er.

„Ich bin mir der Zeit wohl bewusst. Die Bewegungen der Sterne und des Mondes sind deutliche Anzeichen …“ Sie verstummte. „Oh. Du bittest mich, zu gehen.“

„Du hast noch eine lange Heimfahrt vor dir.“

Sie stand auf. „Es sind gerade mal drei Komma sieben Meilen, aber das ist nicht der Punkt. Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht so lange aufhalten. Danke, dass du mit mir gesprochen hast. Das hat mir sehr geholfen.“

Er fühlte sich, als hätte er ein Kätzchen getreten. „Felicia, interpretiere hier nicht zu viel hinein.“ Er erhob sich. „Sieh mal, du hast es selber gesagt, es ist kompliziert.“

Sie schaute ihm in die Augen. „Das sagen die Menschen immer, wenn sie nicht die Wahrheit sagen wollen.“

Die Wahrheit? Augenblicklich kehrte seine Anspannung zurück. Plötzlich verspürte er das dringende Bedürfnis, sich zu bewegen. Er wollte laufen, rennen, nur weg von hier. Doch irgendetwas schien ihn festzuhalten. Als wären seine Füße mit dem Boden verwurzelt.

Felicia legte eine Hand auf seine Schulter und strich dann mit den Fingern über seinen Bizeps. „Du bist sehr stark. Du hast mehr Muskeln als Justice. Sein Körper ist schlanker, und er muss hart daran arbeiten, Muskeln aufzubauen. Deine Physiologie erlaubt dir, schneller Muskelmasse zuzulegen. Das ist … interessant.“

So wie die Wärme deiner Haut, dachte er und sah, dass ihre grünen Augen sich ein wenig verdunkelt hatten und ihr Blick eindringlicher wurde. Die Luft zwischen ihnen schien elektrisch geladen zu sein. Er wusste nicht genau, was Felicia in diesem Moment dachte. Aber er glaubte, eine ziemlich gute Ahnung zu haben.

„Sieh mich nicht so an“, befahl er.

Ihre Mundwinkel glitten nach oben. „Ich versuche, mit dir zu flirten. Sorry. Es ist schwerer, als es aussieht. Ich schätze, das liegt an den ganzen Zwischentönen, die mir entgehen.“

Sie lehnte sich ein wenig gegen ihn. „Unsere letzte Begegnung war wirklich sehr befriedigend. Seitdem hat es für mich zwei andere Männer gegeben, doch das war nicht das Gleiche. Ich schätze, das liegt an irgendetwas, das man nicht messen kann. Mit dir habe ich mich wohler gefühlt. Wir haben uns nicht nur geliebt, sondern auch gelacht und uns unterhalten. Ich erinnere mich, dass wir Champagner bestellt haben. Und dann hast du …“

Er wusste genau, was er mit dem Mundvoll Champagner gemacht hatte. Er erinnerte sich an jedes einzelne Detail jener Nacht – ob er es wollte oder nicht.

Und natürlich wollte er es nicht. Das wäre völlig falsch. Er durfte jetzt nicht … Im nächsten Moment hatte er die Hände ausgestreckt und Felicia an der Hüfte gepackt, um sie an sich zu ziehen. Sie folgte ihm nur zu willig, den Kopf bereits ein wenig nach hinten geneigt, sodass er sich kaum vorbeugen musste, um sie zu küssen.

Ja, dachte Felicia, als Gideons Mund sich auf ihren senkte. Sie schloss die Augen und verlor sich in dem Gefühl seiner Lippen.

Der Kuss war zärtlicher als in ihrer Erinnerung. Ein behutsamer erster Schritt auf dem Weg zurück in die Vergangenheit. Sie spürte die Hitze, die von irgendwo tief in ihr ausstrahlte, und stellte sich vor, wie Feuer über ihre Haut tanzte.

Mit beiden Händen hielt sie sich an seinen Schultern fest und vertiefte den Kuss. Seine Hände glitten von ihrer Hüfte auf ihren Rücken, wo sie sanft auf und ab strichen. Sie wollte sich recken und schnurren. Gleichzeitig katalogisierte ihr Gehirn die verschiedenen Gefühle: das Prickeln seines Kusses, die Hitze, die dort entstand, wo ihre Brust und seine sich berührten. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und öffnete den Mund. Er verspannte sich und zog sich ein wenig zurück.

Obwohl sie normalerweise nicht sonderlich gut im Interpretieren von Gesten war, spürte sie, dass er gerade eine Entscheidung treffen musste. Der Kuss war weniger geplant als vielmehr eine Reaktion gewesen, und Gideon befand sich immer noch in einem Zustand, in dem er Nein sagen konnte. Sie wusste nicht, warum er das tun sollte, doch sie verstand, dass es im Bereich des Möglichen war.

Sie öffnete die Augen und schaute ihn an. Sein Unterkiefer war vorgestreckt, die Muskeln angespannt, sein Blick unentschieden.

„Du weißt nicht, was du da tust“, stieß er beinahe knurrend aus.

Sie lächelte. „Oh doch, das weiß ich genau.“

Vor vier Jahren hatte sie sich Gideon ausgesucht. Von all den Männern in der Bar hatte er es sein sollen. Denn er hatte irgendetwas an sich. Zum einen natürlich seine Kraft. Beinahe jede Frau würde auf einen so starken Mann reagieren, das war rein biologisch bedingt. Doch da war noch etwas anderes gewesen. Ein kaum fassbares Gefühl – als wäre es einfach richtig so. Wenn sie ein wenig recherchieren würde, könnte sie vermutlich herausfinden, was genau es war.

Der Drang, mit ihm zusammen zu sein, war heute genauso stark wie damals. Und die Gründe dafür waren ebenfalls die gleichen. Sie war unruhig. Verwirrt. Es hatte in ihrem Leben so viele Veränderungen gegeben. Das Jobangebot war der Tropfen, der das Fass schließlich zum Überlaufen brachte. Sie musste sich verankert, sich sicher fühlen. Wie seltsam, dass sie dieses Gefühl in Gideons Armen suchte.

Sie war kein Mensch, der oft auf sein Bauchgefühl hörte. Dazu lebte sie zu sehr in ihrem Kopf. Doch sie hatte gelernt, ihrem Bauch zu vertrauen, wenn er sich einmal meldete. Und im Moment sagte er ihr, dass sie mit diesem Mann Sex haben wollte. Heißen, wilden Sex.

„Ich will das“, murmelte sie, während sie immer noch die verschiedenen Fragen durchging.

Sie musterte ihn, die breiten Schultern, das leichte Zittern seiner Hand. Ihr Blick glitt nach unten, und sie sah die Erektion, die gegen den Stoff der Jeans drückte.

Vorfreude mischte sich mit Befriedigung. Es hatte keinen Zweck, um den heißen Brei herumzureden. Sie würde direkter werden müssen.

Also zog sie sich schnell das T-Shirt aus und ließ es auf den Sessel neben sich fallen. Dann öffnete sie ihren BH und warf ihn auf das T-Shirt.

Gideons Kiefermuskel zuckte, aber ansonsten rührte er sich nicht. Sie griff nach seinen Händen und legte sie auf ihre bloßen Brüste.

Vielleicht war es bloßer Instinkt, vielleicht konnte er ihr einfach nicht widerstehen – auf jeden Fall schloss er seine Finger um ihre Brüste und rieb mit seinen Daumen über ihre Brustwarzen. Als Felicia nach unten schaute, stellte sie überrascht fest, dass diese hart geworden waren.

Der sanfte Druck seines Daumens sandte Schauer der Erregung durch ihren gesamten Körper. Seine Haut wirkte braun gegen ihre Blässe. Seine Hände riesig. Er streichelte sie immer weiter, bis ihre Lider sich schließlich wie von allein senkten, sodass sie die Gefühle, die er in ihr weckte, noch intensiver genießen konnte.

Sie atmete zitternd ein. „Ich genieße alles, was du tust, und ich …“

„Halt den Mund.“

Sie riss die Augen auf und sah ihn lächeln.

„Zu viel Gerede?“

„Ja. Das hier ist ein Moment, in dem man am besten schweigt.“