Landkinder II - Dieter Preuße - E-Book

Landkinder II E-Book

Dieter Preuße

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Beschreibung

Sommer vierundsechzig. Zwei Jahre sind ins Land gegangen. Heute ist der letzte Schultag vor den Sommerferien. Unsere Klassenlehrerin ist eine andere als damals. Aber sie ist eine gute Lehrerin. Auch meine Noten sind nicht mehr die Gleichen wie zweiundsechzig, leider. Der Grund dafür liegt einfach in meiner Faulheit und dazu stehe ich auch. Ich habe die Gabe, dass mir mein Wissen über den Lehrstoff leichter zufällt als anderen Kindern. Daher liegen meine Noten immer noch bei "Gut" und meine Eltern sind zufrieden damit. Solange das so ist, sehe ich keinen Anlass daran, was zu ändern. Frau Hanisch, so heißt unsere neue Klassenlehrerin, kenne ich schon von Kindheit an. Sie ist in der Villa der Familie Kühne zu Hause und bewohnt dort eine Wohnung im oberen Stockwerk. Ihr Mann ist auch Lehrer an der Schule. Er unterrichtet in Russisch und Erdkunde. Hier an der Grundschule bin ich heute den letzten Tag.

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Seitenzahl: 258

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Sommer vierundsechzig. Zwei Jahre sind ins Land gegangen. Heute ist der letzte Schultag vor den Sommerferien. Unsere Klassenlehrerin ist eine andere als damals. Aber sie ist eine gute Lehrerin. Auch meine Noten sind nicht mehr die Gleichen wie zweiundsechzig, leider. Der Grund dafür liegt einfach in meiner Faulheit und dazu stehe ich auch. Ich habe die Gabe, dass mir mein Wissen über den Lehrstoff leichter zufällt als anderen Kindern. Daher liegen meine Noten immer noch bei „Gut“ und meine Eltern sind zufrieden damit. Solange das so ist, sehe ich keinen Anlass daran, was zu ändern. Frau Hanisch, so heißt unsere neue Klassenlehrerin, kenne ich schon von Kindheit an. Sie ist in der Villa der Familie Kühne zu Hause und bewohnt dort eine Wohnung im oberen Stockwerk. Ihr Mann ist auch Lehrer an der Schule. Er unterrichtet in Russisch und Erdkunde. Hier an der Grundschule bin ich heute den letzten Tag.

Hof Grundschule Siederstrasse Eigentlich sollten wir schon letztes Jahr in die Hauptschule umziehen. Doch aufgrund von Umbauarbeiten mussten wir ein Jahr länger aushalten. Ab nächster Klasse gehe ich dann oben an der Kirche in die Schule. Zu Hause gibt es auch ein paar Neuigkeiten, aber dazu später. Im letzten Jahr haben Ralf und ich viele Abenteuer erlebt. Dabei waren auch kritische Situationen zu meistern. Ralf musste im Herbst letzten Jahres doch die Schule in Ermsleben verlassen. Seine Leistungen waren einfach zu schlecht. Auch meine Unterstützung hat ihm nicht wirklich geholfen. Seitdem fährt er morgens dreiviertel sieben mit dem Zug nach Ballenstedt und kommt erst dreiviertel zwei wieder zurück. An der Sonderschule hat er sich gut eingelebt. Wenn es auch neue Umstände sind, ist unsere Freundschaft ungebrochen. Die Wendt Brüder haben sich uns angeschlossen, soweit es ihre Freizeit zulässt. Sind sie doch eng in den Familienbetrieb eingebunden. Ihr Vater hat eine zweite Arbeit angenommen und unterrichtet in der Landwirtschaftsschule. Sie befindet sich übrigens in demselben Gebäude, in dem ich heute mein fünftes Zeugnis erhalte. Gespannt bin ich auf meine Noten in Erdkunde, Russisch und Geschichte. Diese Fächer haben wir letztes Jahr dazu bekommen. Sport hasse ich nach wie vor. Einzig die Kraftsportarten Schlagball, Werfen und Kugelstoßen liegen mir einigermaßen. Und dadurch werde ich meine Drei wohl halten können.

Die Klasse ist vollzählig, auch der Heiko ist anwesend. Er kommt meistens zu spät und sein Hausaufgabenheft zählt viele Einträge an seine Eltern. Auch mussten sie schon öfter bei Frau Hanisch vorsprechen. Unsere Klassenlehrerin begrüßt uns freundlich und wir erwidern ihren Gruß. Dann geht es geschlossen auf den Schulhof und wir stellen uns in einem offenen Karree auf. Vor uns steht der Fahnenmast und zwei Jungpioniere hissen die Flagge der DDR. Wir singen ein Pionierlied und der Direktor beglückwünscht uns zum erfolgreichen Schulabschluss. Es ist fast wie in der Kirche, denke ich, der Direktor könnte auch Pfarrer sein. Ich kann meine jüngeren Geschwister sehen. Peter hat seine erste Klasse beendet und Lies die Dritte. Die meisten Kinder tragen ihre Pionieruniformen. Ich habe mich nie für derlei Sachen interessiert und besaß auch selbst keine Uniform. Hanne und meine Schwester Ingi waren die einzigen von unserer Familie, die eine FDJ-Bluse besaßen. Vater meinte, man muss mit der Zeit gehen, wenn man im Leben was erreichen möchte. Auch wenn man nicht von allen Dingen überzeugt ist. Nach einer halben Stunde war alles vorbei und wir gingen wieder in die Klassenräume. Zwei Mädchen aus der Klasse werden das fünfte Schuljahr wiederholen. Dafür bekommen wir aus der siebenten Klasse ebenfalls zwei Neue dazu. Damit bleibt die Klassenstärke dieselbe. Nur das Verhältnis Mädchen zu Jungen verbesserte sich leicht zu unseren Gunsten. Achim Buchmann und Bernd Moshage kamen aus der siebenten Klasse zu uns. Beide kannte ich nur vom Sehen. Mein Zeugnis hatte einen Durchschnitt von zwei Komma eins. Neben der Drei in Sport war da noch eine in Russisch. Eigentlich eine fürchterliche Sprache, aber sie war Pflichtfach und das konnte ich nicht ändern. Wie wird es Birgit gehen? Ich dachte oft an sie. Auf dem Heimweg traf ich an der Kirche meinen großen Bruder. Er hatte nur noch ein

Schuljahr und würde dann in die Lehre gehen. Einen Berufswunsch hatte er schon. Zwei seiner Mitschüler, Freunde von ihm, wollten sich bei einem Kraftverkehrsbetrieb bewerben. Der Beruf des Kfz. Schlosser würde ihm sehr gefallen, hatte er zu Vater gesagt. Und da war auch noch die Aussicht auf ein Lehrlingswohnheim in Halle (an der Saale). Also, weit weg von zu Hause. Außer Reichweite der Kontrolle durch seinen Vater. Ja, mein Bruder war schon berechnend in diesen Dingen. Mutti und Vater fanden seinen Wunsch wohl akzeptabel und so war es beschlossene Sache. Sein Zeugnis war durchschnittlich, was immer ich mir darunter vorstellen konnte. Trotz allem gingen wir zusammen nach Hause.

Bahnhofstraße Anfang der Fünfziger In den letzten zwei Jahren hatte Vater auch die häuslichen Aufgaben, etwas umverteilt. Hanne und ich sollten über die Sommerferien den ganzen Wintervorrat an Briketts von der Kohlenhandlung holen. Jeden Tag, an dem Kohle ausgegeben wurde, eine Ladung mit dem großen Handwagen. Das hieß mindestens vier Zentner auf einmal. Hinten am Güterbahnhof, einen Kilometer von zu Hause, befand sich die Ausgabestelle. Für Selbstabholer war der Mittwoch Verkaufstag. Warum Vater uns das aufgetragen hat, blieb sein Geheimnis. Selbstverständlich war auch, dass ich alle Arbeiten ausführen musste, auch den Garten graben. Bloß mit dem Harken hatte ich so meine Probleme. Ich war nicht allzu sehr gewachsen, aber körperlich kräftiger geworden. Scherzhaft nannten mich meine Freunde manchmal Dicker. Dieser Name begleitete mich bis zu zum Schulschluss. Vater hatte die Arbeitsstelle gewechselt und arbeitete jetzt in der Weberstraße in seinem erlernten Beruf als Tischler. Er kam nach wie vor mit seinem alten Fahrrad zum Mittagessen. Sein Weg zur Arbeit war jetzt kürzer als rauf zum Kalkwerk. Meine Schwester Ingi stand in der Lehre als

Fleischfachverkäuferin. Sie lernte bei einem privaten Fleischer in Aschersleben. Und Soni hatte ihre Lehre beendet und im Krankenhaus eine Stelle bekommen. Beide pendelten jeden Tag mit dem Bus. Ach ja, da gibt es ja noch eine Neuigkeit. Vonderbergs, die Familie unten im Haus, waren über Nacht aus ihrer Wohnung ausgezogen. Keiner wusste so richtig wohin und so wurde im Dorf allerlei geredet, ohne Genaueres zu wissen. Dafür zog Monate später die Familie Kastern in die Wohnung. Sie hatten fünf Kinder davon zwei Mädchen. Die älteste hieß Karin und ging zwei Klassen über mir zur Schule. Ihr Bruder hieß wie meiner auch, Peter. Er war ein Jahr älter als ich. Einer ging noch in den Kindergarten und der andere bei meinem kleinen Bruder in die Klasse. Das zweite Mädchen, Angelika ging bei Uwe Ebeling in die Klasse. Der Garten oben am Hohlgraben fiel nicht automatisch an die Familie Kastern. Er hatte einen neuen Besitzer gefunden und der Zaun war frisch repariert. Keine lockeren Zaunlatten mehr, was uns natürlich nicht daran hinderte ihn weiter zu besuchen. Leider waren unsere Streiche schlimmer geworden und manche Verbote wurden nicht mehr beachtet. Ohne Kontrolle lebt es sich besser. Von den Eltern der neuen Familie ging nur der Mann einem Beruf nach. Er war Berufsschullehrer, mehr wusste ich damals nicht über ihn. Freitags war immer Skatabend bei Kastern. Dann kamen noch drei Ehepaare und es wurde abends immer ein wenig lauter. Das störte aber nicht weiter, weil sie jeden Freitag wechselten, sodass nur einmal im Monat unten geskatet wurde. Mit den Kindern spielte wir nur abends an der Selke. Zu unserem geheimen Lager nahmen wir sie nicht mit. Auch das Verhältnis meiner Eltern zu unseren neuen Nachbarn war eher distanziert. Mutti erwartete uns zum Mittagessen und freute sich über mein Zeugnis. Auch bei den anderen gab es keinen Anlass zum Tadeln. Mein kleiner Bruder hatte erwartungsgemäß natürlich das Beste. Eine glatte Eins und eine optimale Beurteilung. Seine Lehrerin war neu an die Schule gekommen. Ich glaube, sie hieß Frau Meissig und wohnte unten am Wassertor. Nur meine jüngste Schwester Martina durfte noch den ganzen Tag zu Hause bleiben. Sie hatte noch

ein ganzes Jahr Zeit bis zum Schulbesuch. Oft hätte ich gern mit ihr getauscht. Vater war pünktlich und Mutti hatte das Essen rechtzeitig auf dem Tisch. Platzmangel hatten wir nicht mehr, da die großen Mädchen ja arbeiten mussten. Keine Chance mehr für mich auf der Veranda zu essen. Vater sein Appetit auf Suppe war nach wie vor ungebrochen. Für den Rest der Familie gab es Bratkartoffeln mit Ei. Natürlich nicht ohne Muttis leckeren Gewürzgurken. Schließlich war ja Freitag und für uns Fastentag. Die Stille am Tisch ist geblieben, auch meine täglichen Gänge zum Futterholen. Nur musste ich Peter mitnehmen, um ihn auf seine zukünftigen Aufgaben vorzubereiten. Manchmal nahm ich ihn ganz gerne mit. Nur wenn es schnell gehen musste, ging ich lieber allein. Er konnte stundenlang zuhören, ohne ein Wort zu verlieren. Und ich liebte die Stille, vor allem in der Natur. Hier waren es die vielen anderen Töne und Geräusche, die mich interessierten. An anderen Tagen wiederum ging er mir einfach nur auf die Nerven. Eigentlich konnte man ihm nicht böse sein. Ein artigeres Kind habe ich in meinem Leben nie wieder erlebt. Ja, auch die Kirchengänge waren nicht wegzudenken. Seit dem letzten Jahr musste ich auch am sonntäglichen Kirchgang ministrieren.

Heute ging ich allein zum Futterholen. Mein Weg führte mich hoch zum Skiberg. Mutti hatte mit Peter am Nachmittag noch einen Arzttermin bei Doktor Möhring. Gleich hinter der Aschenkuhle hatten die Bauern ein großes Feld mit Luzerne angelegt. Seit dem letzten Jahr durfte ich die Sichel benutzen, womit es einfach schneller ging, den Futtersack zu füllen. Vater hatte mit mir öfter abends hinten auf dem Trockenplatz geübt und meine Fortschritte für ausreichend befunden. Um nicht aufzufallen, mähte ich jedes Mal an einer anderen Stelle. Mein Freund war bis jetzt nicht zu Hause, sonst hätte ich ihn mitgenommen. Ich setzte mich mit meinem Futtersack oben an die Kante am Skiberg. Mein Blick schweifte rüber zum Kalkbruch. Dort, wo noch immer unser Tipi stand.

Als wir damals unser neues Lager entdeckten, hätte keiner von uns sagen können, welche Abenteuer wir erleben werden. Und es waren einige. Gute, aber auch welche, die aus dem Ruder gelaufen sind. Mit Beginn der Sommerferien dreiundsechzig hatten wir längst unser Tipi fertiggestellt. Der Bau begann schon kurz nach Ostern. Das Wetter war damals erstaunlich mild und trocken. Die sechs schlanken Eschen zogen wir mit einem alten Strick in gut zwei Meter Höhe eng zusammen. Da ich der Stämmigere von uns Zweien war, machte ich Verbrecherleiter und mein Freund zog den Strick fest um die Stämmchen. Die alte Wehrmachtsplane von Onkel Walter leistete uns gute Dienste. Absolut wasserdicht und auch den Wind konnte man im Tipi nicht spüren. Unser Sicherheitssystem, mit den Stöckchen, funktionierte hervorragend. Es gab nie irgendwelche Spuren eines Eindringlings. Einzig die Stolperschnüre lagen jedes Mal zerrissen im Gestrüpp. Wir besorgten uns Tonerde und strichen sie feucht, großflächig auf die Zugangswege. Ein paar Tage später fanden wir immer frische Spuren von Reh und Fuchs. So wussten wir, wer die Schnüre zerrissen hatte. Wir gewöhnten uns auch daran, fast lautlos zu arbeiten. Vor dem Tipi befand sich unsere Feuerstelle, und trockenes Holz lag immer vorrätig in einem alten Blechfass. Das Fass hatten wir in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit dem kleinen Handwagen heraufgeschafft. Natürlich fanden wir es in der Aschenkuhle, wie vieles, was wir brauchen konnten. Durch die Wärme des Lagerfeuers war es auch im Tipi gut auszuhalten und selbst mit dem wenigen Rauch, der bei Regen entstand, hatten wir damit im Zelt keine Probleme. Aus Kalkstein haben wir uns ein Kriegsbeil hergestellt und es oberhalb unseres Tipis in die Bäume gehängt. Die Arbeiten zogen sich über mehrere Tage hin. Aber das Ergebnis konnte sich trotzt einiger Blasen an den Händen sehen lassen. Wir lebten unseren Traum, einmal richtige Indianer zu sein. Auch Volker stieß in den Sommerferien wieder zu uns. Diesmal war seine eingebildete Schwester zu Hause geblieben. Er baute für uns aus Wellpappe die schönsten Indianerhauben. Dazu sammelten wir viele unterschiedliche Federn. Die meisten waren von Hühnern, einige auch vom Bussard oder Milan.

Überfälle auf die kleine Dampflok, die unzählige Male an unserem Versteck vorbeifuhr, gehörten genauso zu unseren Erlebnissen, wie etwas Essbares von der Hundert Morgen Mühle zu besorgen. Nicht, dass wir den Lokfahrer Onkel Kinne entführt oder ihn gar verletzt hätten. Nein, unsere Angriffe galten meistens den Schienen. Wir verbarrikadierten sie mit allerlei Hölzern. Aber nie in der Nähe unseres Versteckes. Onkel Kinne musste dann immer die Schienen beräumen und wir hatten unseren Spaß daran, wenn er vor sich hin fluchte. Abseits des Gestrüpps beobachteten wir seine Reaktionen. Bis eines Tages, es war, glaube ich an einem Freitag, plötzlich die Polizei auftauchte und den Ort des Überfalls untersuchte. Es waren unsere Polizisten aus dem Ort. Zwei Männer von der Wache im Rathaus. Wir kannten beide und machten uns schleunigst aus dem Staub. Ein paar Tage lang trauten wir uns nicht mehr in unser Versteck. Ich versuchte, über Onkel Hans Stegmann näheres zu erfahren. Was er mir erzählte, hörte sich nicht so gut an. Auch er ging davon aus, dass man diese dummen Jungenstreiche unterbinden sollte. Natürlich wusste er nicht, dass ich dahintersteckte und ich tat auch nichts dazu, die Sache aufzuklären. Unter einem scheinbar wichtigen Vorwand machte ich mich auf den Heimweg, um meinen Freunden Bericht zu erstatten. Erst einmal Füße stillhalten, war unsere Devise.

Ich weiß nicht, wie lange ich am Hang gesessen habe. Aber es musste ziemlich viel Zeit vergangen sein. Eine Uhr hatte ich noch immer nicht. Im Gegensatz zu Ralf, der neulich mit einer schönen Taschenuhr prahlte. Ein Mitschüler aus seiner Klasse hatte sie ihm für zehn Mark überlassen. Ihrem Aussehen nach, bestimmt eine alte Uhr, vielleicht von seinem Großvater. Auf jeden Fall wertvoller als das, was Ralf dafür gegeben hat. Sie ging ganz genau und hatte ein römisches Zifferblatt. Dazu gehörte eine dicke, silberne Kette. Er trug sie jeden Tag und abends lag sie auf seinem Nachtschrank. Langsam trottete ich die Meisdorfer Straße runter, vorbei am Wendt Hof. Die Klaräpfel Bäume unten neben dem Garten von Frau Weber trugen diese Jahr-Unmengen an Früchte. Dadurch waren sie etwas kleiner, hatten aber noch Zeit bis zur Reife. Ich ging trotzdem rüber zur Klara-Zetkin-Straße, um zu schauen, ob Volker vielleicht schon bei seinem Opa angekommen war. In den letzten Herbstferien und auch in den Winterferien war er nicht in Ermsleben erschienen. Wir hatten uns Sorgen gemacht, aber Opa Cottini hat uns beruhigt. Es sei alles in Ordnung. Wir erfuhren, dass sein Vater die Familie verlassen hat, und er nun den Mann im Haus ersetzen muss, wie der Opa das nannte. Ich klingelte an der Tür und Oma Cottini öffnete das Fenster. Sie lächelte mich wie immer freundlich an. Nein, er ist bisher nicht angekommen, sagte sie, als ob sie gewusst hat, was ich fragen wollte. Es tut mir leid, aber er kommt erst in drei Wochen und diesmal nur für vierzehn Tage. Danach geht er noch ins Ferienlager. Seine Mutter will es wohl so haben. Wir können daran auch nichts ändern. Es hörte sich für mich mehr wie eine Entschuldigung an. „Danke Oma Cottini und schöne Grüße an den Opa“, erwiderte ich und schlich mich davon.

Die Kaninchen müssen wohl das frische Futter gerochen haben. Als ich auf den Hof trat, versammelten sich alle vorn an den Stalltüren. Seitdem wir den neuen Stall hatten, waren alle Boxen voll besetzt. Am alten Stall hatte Vater einige Bretter ausgewechselt und die Boxen mit Löschkalk gestrichen. Vater erklärte mir, dass man mit dem Kalkanstrich alle Schädlinge abtötet. Ich warf in jede Box eine Handvoll der Luzerne. Schon ging das Festmahl los. Bei Kaninchen gibt es keinen Futterneid. Da fressen zwei an einem Stängel, bis sie sich in der Mitte treffen. Bei vielen anderen Haustieren ist das nicht so. Mutti rief aus dem Fenster nach mir. Wahrscheinlich hatte sie mich gesehen, als ich vom Futterholen zurückgekommen war. „Was ist denn“, wollte ich wissen. „Ach, da bist du ja endlich. Vater ist im Garten und du sollst zu ihm kommen“. In Gedanken hinterfragte ich mich, was es wohl für einen Grund dafür gab. In Windeseile überlegte ich, was in den letzten Tagen vorgefallen sein könnte. Nein, ich konnte mich an keine Streiche erinnern. Also Entwarnung, die zählte aber nur für den Moment. Man konnte ja nie wissen, ob ein Nachbar oder Arbeitskollege ihm irgendwas geflüstert hat. Einmal erzählte ein Gartennachbar meinem Vater, dass er mich beim Rauchen gesehen hat. Zufällig hatte ich an diesem Tag genau an der Stelle mit Ralf gespielt, aber nicht geraucht. Wahrheitsgemäß antwortete ich meinem Vater auf seine Frage, wo ich gespielt hatte. Das war wohl die Bestätigung dafür, dass ich mich am „Tatort“ aufgehalten habe und so bekam ich eine Backpfeife, die ich heute noch spüre. Einige Tage später erklärte derselbe Nachbar, dass ich es doch nicht gewesen war und er sich getäuscht hat. Zufällig hielt ich mich in der Nähe auf und bekam das Gespräch mit. Vater muss meine aufgerissenen Augen bemerkt haben. Sein Kommentar: „Dafür bekommst du das nächste Mal eine weniger“. Als ich über die Friedensbrücke lief, schaute ich eine Weile den spielenden Kindern auf der Selke Wiese zu. Wie sich die Bilder doch ähnelten. Genauso spielten auch wir vor zwei Jahren. Nun, so viel älter bist du doch gar nicht, dachte ich bei mir. Übrigens fiel mir auf, dass immer wieder die gleichen Spiele gespielt wurden und das über viele Generationen. Vater hatte den kleinen Handwagen mit dem Jauchenfass mit in den Garten genommen und ich sollte ihn wieder nach Hause bringen. Mir fiel ein Stein vom Herz. Er wollte noch hoch zu Onkel Hirsemann. Lob für mein Zeugnis gab es nicht, aber auch keine Kritik und das war mir Anerkennung genug. Als ich mit meinem kleinen stinkenden Gefährt über die Brücke rumpelte, sah ich

Ralf drüben an der Straße stehen. „Hast du es auch geschafft“, rief ich ihm entgegen. Er strahlte übers ganze Gesicht und erzählte mir, dass er Klassenbester ist. „Streber“, sagte ich scherzhaft zu ihm. Er knuffte mir auf den Arm. „Wann legen wir los?“, wollte er wissen und ich wusste sofort, worum es ging. „Würde sagen, am Montag. Wenn du kannst, schon frühmorgens, oder?“ „Ich bin dabei“, erwiderte er voller Elan. „Was brauchen wir denn alles?“ „Auf jeden Fall das Seil und die langen Nägel und einen guten Hammer“, erklärte ich ihm. „Wollen wir nicht den kleinen Handwagen nehmen“? „Gute Idee, Klassenbester“, pikste ich ihn weiter. „Ich nehme noch meinen Bogen und die dünne Schnur mit“, erwähnte ich nebenbei. „Vergiss das scharfe Beil nicht. Wir können damit ein paar Stufen in die Baumrinde schlagen“. „Ich muss noch Futterholen, da schaue ich gleich mal nach dem Werkzeug“, sagte er und trottete nach Hause. „Wir sehen uns nachher an der Selke“, rief ich ihm nach und er nickte nur. Zum Ferienbeginn gönnte ich mir zwei Kugeln Eis. Herr Bethge aus Reinstedt wollte am Ende der Ferien sein Geschäft aufgeben. Er würde uns fehlen, gingen wir doch schon ein paar Jahre abends zu ihm. Ich setzte mich an meinen Lieblingsbaum am Fluss und genoss mein Eis. Wieder verlor ich mich in Gedanken in den letzten Sommerferien.

Nach einer Woche ohne unser Lager, trauten wir uns mal wieder nach dem Rechten zu schauen. Wir fanden alles so vor, wie wir es verlassen hatten. Die Dampflok schnaufte, wie immer, mit leeren Loren hoch zum Kalkbruch und mit vollen wieder zurück. Eine Sprengung haben wir bis jetzt nicht wieder gesehen. Nur die Detonationen waren auch hier im Lager deutlich zu spüren. Während unserer Streifzüge rund um unser Lager entdeckten wir neue Wege, um ungesehen zur Hundert Morgen Mühle zu gelangen. Einer führte drüben über die große Halde, die Onkel Hans mir damals gezeigt hatte. Sie bestand aus dem Abraum vom alten Kalkbruch und endete unten am Mühlgraben. Unterhalb der Abraumhalde standen große Walnussbäume. Hier muss früher ein Garten gewesen sein. Onkel Hans erzählte mir mal, dass die Familie Skreba früher den Garten genutzt hatte. Die alten Obstbäume standen noch im hohen Gras. Und auch mehrere Beerensträucher trugen reichlich Früchte. Hier versorgten wir uns mit allem, was essbar war. Im Herbst schüttelten wir alle Walnüsse von den Bäumen und jeder nahm einen kleinen Sack voll mit nach Hause. Der Mühlgraben begann oben am Wehr. Es war der Zulauf für die Mühle von Harich und vom Müller Kipping. Unterhalb des Auslaufs befand sich auch unsere Badestelle. Durch das Dickicht am Graben entlang waren wir für niemanden zu sehen. Einer hinter dem anderen und niemals nebeneinander bewegten wir uns im Gelände. Den Pfad so schmal wie möglich zu halten, war eins unserer Gesetze. Fast lautlos erreichten wir den Hof von Opa Schulze. Die Stallungen standen, wie immer, offen und es war kein Mensch zu sehen. Der kleine Pferdewagen fehlte. Also mussten sie in Ermsleben sein. Ralf besorgte ein paar Eier und Volker und ich schauten uns im Garten um. Hier war nichts Interessantes zu holen. Wir zogen die Selke rauf Richtung Meisdorf. Am Wehr, kurz vor Meisdorf, suchten wir Holz zusammen und sammelten am Fluss ein paar

Steinplatten. Nachdem das Feuer durchgebrannt war, legten wir die Steine in die Glut. Einige Minuten später nahmen wir die heißen Steine mit zwei Ästen wieder heraus. Darauf wurden die Eier gebraten. Das Salz, das ich jetzt immer bei mir trug, krönte unsere Mahlzeit. Es waren diese Momente, die ich mein ganzes Leben lang nie vergessen würde.

Ein bekannter Pfiff riss mich aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart. Also war Vater schon zurück von Hirsemanns. Am Tisch in der Küche hatten meine Geschwister schon Platz genommen. Mutti hatte ihren berühmten Eiersalat gezaubert und Vater frischen Schnittlauch aus dem Garten mitgebracht. Für mich ein Festessen. Vater erinnerte mich noch an mein Stück Gartenfläche, die noch auf mich wartete. Es war die Fläche, die er immer mit Klee oder Luzerne bestellte, um dem Boden Stickstoff zuzuführen. An der Wurzel dieser Pflanzen bildeten sich kleine Knollen, in denen die Pflanze den natürlichen Dünger sammelte. Das Umgraben war eine Knochenarbeit. Der einzige Vorteil bestand darin, dass ich nicht harken musste. Ich nahm mir vor, morgen am Vormittag die Sache anzugehen. Nach dem Essen verkündete Hanne, dass er vier Wochen bei der LPG arbeiten möchte. Vater und auch Mutti taten sehr überrascht und wollten wissen, um was für eine Arbeit es sich handelt. Ich verließ die Küche und bekam nur noch mit, dass es um die Strohernte ging. Mein Freund saß an seinem Platz auf der Brücke und ließ die Beine baumeln. Ich setzte mich zu ihm und wir schauten wortlos in den Fluss. Kannst du dich noch an die Geschichte mit dem Huhn erinnern, fragte er in die Stille hinein. Natürlich konnte ich mich daran erinnern. Sommerferien Dreiundsechzig. Wir schlichen mal wieder um die Hundert Morgen Mühle auf der Suche nach etwas Essbarem. Alle hatten Ihre Schleudern dabei. Volker trug wie immer seinen Stoffbeutel auf dem Rücken, um Beute abzutransportieren. Da Ralf rauchte, war auch immer ein Feuerzeug dabei. Ich hatte meist die besten Ideen. Volker und ich pflückten gerade ein Glas voll Beeren von den Sträuchern, als Ralf mit einem toten Huhn in den Garten kam. „Bist du verrückt?“, fauchte ich ihn an. „Was soll das? Es wird auffallen, dass ein Huhn fehlt und wir können uns hier eine Weile nicht mehr sehen lassen“. Die Erklärung, die folgte, war so dumm, wie sie lustig war. „Ich dachte, es ist ein Fasan“, sprudelte es aus ihm heraus. „Ich habe es nicht richtig gesehen, nur die bunten Federn im hohen Gras. Da habe ich mit meiner Schleuder einfach ins Gras geschossen. Es ist noch kurz hochgesprungen und dann lag es einfach da“. Beim genauen Hinsehen erkannte ich, dass es ein Italiener Huhn war. Ja, nach den Farben des Federkleides könnte man es für einen Fasanen halten. Als Erstes entfernte ich den Kopf und warf in weit aus dem Garten. Vater hat mir erklärt, dass man ein Tier ausbluten muss, um es zu verarbeiten. Was nun? Ich habe oft zugesehen, wie Mutti Geflügel verarbeitete. Das hier war aber mein erstes Huhn. Zuerst mussten die Federn ab. Was sich allerdings im trockenen Zustand als sehr schwierig erwies. Die kleinen Federn am Körper bekamen wir noch ab, aber die an den Flügel? Unmöglich. Nach einem größeren Arbeitsaufwand sah es einigermaßen nach einem Brathähnchen aus. In der Selke wurde es noch kurz ausgewaschen und wartete nun auf die weitere

Verarbeitung. Dies alles passierte weit weg von Opa Schulzes Hof. Die Jungen hatten Feuerholz gesammelt und die Flammen loderten, als ich mit meiner Arbeit fertig war. Auf einen Stock gespießt, ließen wir es langsam garen. Auch eine gewisse Bräune bekamen wir hin. Leider fehlte uns ein wenig Gewürz, aber das Salz tat es auch. Wir würgten uns das doch zu trockene Fleisch herunter. Die Federn verbrannten wir, um keine Spuren zu hinterlassen.

"Was werden wir diese Ferien alles erleben?", fragte mich mein Freund plötzlich und holte mich aus meinen Gedanken. Der dreiviertel achter Zug war längst durchgefahren. Vater erlaubte mir, eine halbe Stunde länger aufzubleiben. Das hatte ich Onkel Webersinski zu verdanken. Irgendwann im letzten Jahr hatte er mit meinem Vater gesprochen. Der Kontakt zu ihm war nie abgebrochen. Die großen Forellen unter dem Mühlrad oben bei Opa Schulze hatte er auch geangelt. Dafür hatte er sich bedankt und mir eine alte Angelrute geschenkt. Dieses Jahr im Frühjahr war eine Angelrolle dazu gekommen. Ich habe ihm auch meine Beute aus der Aschenkuhle gezeigt. Er hat gesagt, dass die Angelhaken aus England stammen und wertvoll waren.

„Unsere neue Bude auf der alten Pappel wird uns viel Zeit kosten. Aber ich glaube, es wird sich lohnen. Überleg mal, redete ich weiter, dort oben kann uns keiner was. Mit genug Munition können wir es da oben Tag lang aushalten“. „Ja, da hast du recht“ meinte er. Die Selke Wiese hatte sich unbemerkt gefüllt. Seit einiger Zeit trafen sich immer mehr Jungens zum Fußballspielen. Sie kamen sogar oben aus dem Dorf. Es hatte sich herumgesprochen, dass hier ein kleiner schöner Bolzplatz war. Außerdem waren die meisten Zuschauer ja die hübschen Mädchen. Da wir beide den Rummel nicht mochten und Sport immer noch ein Gräuel für mich war, trieb es uns hoch zur Eisenbahnbrücke. Unterwegs kam mir eine Idee, wie auch ich an große Fische kommen könnte. Was, wenn ich einfach Schnüre mit Köder im Fluss ausbringe? Natürlich müsste ich sie durchgehend kontrollieren, ob ein Fisch angebissen hat. Sehr zeitaufwendig, überlegte ich, aber machbar. Oder doch erst mal im Mühlgraben versuchen. Die Gefahr hier erwischt zu werden war deutlich geringer. Kaum einer der Angler fischte im kleinen Mühlgraben, standen doch viele Bäume und Sträucher links und rechts am Ufer. Ralf hielt mich plötzlich am Arm fest. Sein Zeigefinger lag auf seinen Lippen. Ich schaute in mit großen Augen an. Er zeigte vor uns in den Fluss. Keine zehn Meter entfernt im flachen Wasser schaute ein großer Fischrücken heraus. Ich konnte nicht erkennen, um was für einen Fisch es sich handelte. Langsam bewegten wir uns ans linke Ufer. Hier standen ein paar kleine Büsche, die uns Deckung gaben. Auf allen Vieren krabbelten wir bis auf die Höhe des Fisches. Spätestens jetzt war klar, dass es sich um einen großen Hecht handelte.

Hecht

Ich schätzte ihn auf etwa einen Meter. Offensichtlich versuchte er, die Stromschnelle zu überwinden. Hatte aber nicht damit gerechnet, dass der Fluss hier recht flach war. Es ging nicht richtig vorwärts, aber auch nicht richtig abwärts. Irgendwie saß er fest. Wir schauten uns kurz an und verstanden uns wortlos. Ich ging unterhalb und Ralf oberhalb von ihm ins Wasser, um ihm den Weg abzuschneiden. Siegessicher bewegten wir uns auf ihn zu. Mich muss er zuerst entdeckt haben. Urplötzlich und mit einer explodierenden Energie schoss er durch Ralf seine Beine hindurch. Wir rannten beide hinterher, um ihn zu stoppen. Leider erreichte er das tiefe Wasser an der Eisenbahnbrücke, ehe wir bei ihm waren. Hier, wo er sich frei bewegen konnte, war er uns klar überlegen. Siehst du, sagte ich zu meinem Freund, ein guter Einstand in unseren Ferien. Obwohl wir beide pudelnass waren, mussten wir herzhaft lachen. Noch lange, nachdem ich im Bett gelegen war, dachte ich an unser erstes Erlebnis.

Nach einem guten Frühstück machte ich mich auf, meine Gartenarbeit zu erledigen. Es hatte einige Tage nicht geregnet und der Boden war fast zu trocken. Ich brauchte gut zwei Stunden, das kleine Stück umzugraben. Meine Unterwäsche war klatschnass. Zufrieden mit dem Ergebnis wechselte ich zu Hause meine Sachen und machte mich auf den Weg Futter zu holen. Luzerne wollte ich nicht schon wieder mähen und ging deshalb zu meiner Löwenzahnstelle am Hohlgraben. Die Gerste, die dieses Jahr auf die Kartoffeln vom letzten Jahr folgte, färbte sich schon goldgelb. Die Ährenköpfe knickten schon ab, ein sicheres Zeichen, dass die Ernte bald beginnen würde. Meine Gedanken flogen zurück ins letzte Jahr. Sage und schreibe rund sechs Zentner Getreide hatten wir auf den Feldern gefunden und nach Hause geschafft. Dabei fanden wir mehr Weizen als Gerste. Vater hatte sich erkenntlich gezeigt und uns mehrmals Geld für ein Eis gegeben. Ralf sein Vater, hatte seine Lizenz zum Hamsterfangen abgegeben. Ralf war ihm nicht böse, konnte er doch dadurch länger schlafen. Im Herbst hatten wir einen finanziellen Engpass und versuchten durch Hamstergraben ein wenig Entlastung zu schaffen. Stundenlang gruben wir ihre Baue aus. Oft ohne einen von ihnen zu finden. Trösten konnte uns dann nur der Fund ihrer Vorratskammern. Bis zu zehn Kilo Getreide sammelten die kleinen Nager für den Winter. Es war immer ein Spaß, wenn einer von ihnen zum Angriff überging. Oft kam es zu bösen, blutigen Bisswunden. Der Löwenzahn hatte seine Blüte bereits beendet, und im ganzen Graben sah man unzählige Pusteblumen. In wenigen Minuten hatte ich meinen Sack voll. Es war nicht mehr der Kleine, den ich vor zwei Jahren füllen musste. Immerhin hatte sich die Zahl unserer Kaninchen fast verdoppelt. Im Winter fütterten wir das Heu, das Onkel Hans und Vater im Frühsommer geschnitten hatten. Außerdem standen im Garten zahlreiche dicke Futterrüben. Ich trottete mit meinem Sack geradewegs nach Hause. Vater kam kurz nach mir und winkte mich zu sich. „Und, fragte er, alles geschafft?“ Ich zeigte ihm meine kleinen Handflächen, auf denen deutlich zwei weiße Blasen zu sehen waren. „Bist du heiratest, sind die wieder weg“, scherzte er und rubbelte mir über den Kopf. „Was wolltest du schon wieder bei Onkel Hirsemanns?“, fragte ich ihn. „Du weißt doch, dass ich jetzt in einer PGH arbeite“, begann er mir zu erklären. „Wir bekommen am Jahresende eine Prämie ausgezahlt. Das Geld würde reichen, um für uns jedes Jahr ein Schwein zu schlachten. Mutti ist damit einverstanden und ich habe bei Onkel Hirsemann eines für uns bestellt“. Die Aussicht auf leckere Bratwurst und andere gute Dinge ließ mich lächeln. „Ach so, ich dachte, du brauchst noch ein paar Fässer“, erwiderte ich ihm. „Find du erst einmal Getreide und dann sehen wir weiter. „Jetzt wollen wir aber essen“, beendete er das Gespräch.