Landkinder wie wir - Dieter Preuße - E-Book

Landkinder wie wir E-Book

Dieter Preuße

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Beschreibung

In einem kleinem Dorf in Sachsen - Anhalt erleben Kinder ihre Sommerferien. Anfang der sechziger Jahre wächst eine Freundschaft zwischen zwei Jungen. Auch der nicht immer einfache Alltag schmiedet sie zusammen. Gemeinsam erleben sie tolle Abenteuer und lernen Dinge für ihren weiteren Lebensweg. Der Alltag stellt sie vor manch schwierige Situation. Gemeinsam finden sie aber immer eine Lösung.

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Seitenzahl: 316

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Es war warm im Klassenraum und in Gedanken war ich schon dabei, wie ich meine großen Ferien verbringen wollte. Ich hatte mein drittes Schuljahr fast hinter mir und war auf mein Zeugnis gespannt. Unsere Lehrerin erzählte von ihren Ferienerlebnissen als sie in unserem Alter war. Sie wuchs in einem Dorf im Mecklenburger Land auf, in der Nähe von Neustrelitz. Interessant waren ihre Geschichten vor allem weil auch sie, genau wie ich, viel in der Natur unterwegs war. Sie war das Kind eines Dorfschullehrers und ihre Mutter war Hausfrau, wie auch meine Mutti. Sicher hatte sie es um vieles leichter als ich denn sie war Einzelkind. Ich hatte noch acht Geschwister. So ganz ohne Geschwister, konnte ich mir das gar nicht vorstellen. Mit niemanden streiten, spielen oder teilen. Aber nach ihren Erzählungen, musste es auch für sie eine schöne Kindheit gewesen sein. Eine Region mit vielen Seen und großen geheimnisvollen Wäldern. Ein Platz, an dem man Kind sein durfte. Buden bauen, Fische angeln oder einfach nur so durch die Wälder räubern. Kann es Schöneres für ein Kind geben? Ich war ganz vertieft in meinen Gedanken das ich fast das Läuten der Schulglocke nicht hörte. Auf wiedersehen, sagte Frau Wisler, bis morgen und seit alle pünktlich. Morgen bekommt ihr eure Zeugnisse. Sie packte ihre Tasche und auch ich verstaute meine Hefte in meine alte Schulmappe. Mein großer Bruder Heinz- Georg hatte sie mir abgeben müssen, nachdem er in die fünfte Klasse gekommen war und er eine neue bekommen hatte. Heinz –Georg, wir nannten ihn nur ,,Hanne “war vier Jahre älter als ich. Er besuchte schon die Schule für die oberen Klassen, in der Sieder Straße. Gleich neben der großen Kirche im Dorf.

Als ich mich von meinen Klassenkameraden verabschiedet hatte, nahm ich den kürzesten Weg die Straße rauf über den Kirchplatz in Richtung Bahnhofstraße. Plötzlich war meine Klassenkameradin neben mir. Wir tauschten unsere Gedanken über die bevorstehenden Ferien aus. Birgit, so hieß meine Begleiterin, wohnte außerhalb des Dorfes oben am Kalkwerk. Es war ein Ortsteil von Ermsleben in dem sich auch die Badeanstalt und das Schleifmittelwerk sowie ein kleines Betonwerk befanden. Sie fuhr jeden Tag mit ihrem Fahrrad die Strecke von zwei Kilometer zweimal und war dadurch gut trainiert, was sich bestimmt auch in ihrer Sportnote niederschlagen würde. Auch sonst war sie eine der Besten in der Klasse. Ihr Fahrrad stellte sie immer bei Tante Maler auf dem Hof ab. Dort auf dem Hof stellten auch andere Kinder ihre Fahrräder ab. Im Gespräch vertieft erreichten wir bald das Haus der Familie Maler. Mein Zuhause lag keine hundert Meter nebenan, in einer Seitengasse. Wir verabredeten uns für den nächsten Morgen, um gemeinsam zur Schule zu gehen. Sie fuhr mit ein paar älteren Kindern, die auch bereits Schulschluss hatten, in Richtung Bahnübergang. Dort bog sie ab in die Bahnallee.

Es war elf Uhr und noch Zeit bis zum Mittagessen. Vater, der im Schleifmittelwerk arbeitete, kam immer halb eins mit seinem Fahrrad zum Essen. Man sollte pünktlich sein, denn er legte sehr viel Wert auf festgelegte Regeln. Gemeinsam mit meinen Eltern und meinen jüngeren Geschwistern zu Tisch gehen gab mir immer das Familiengefühl, welches ich sehr mochte. Ich machte noch einen kurzen Ausflug zur Selke. Ein schöner kleiner Fluss, der sich sein Bett durch unser ganzes Dorf gegraben hatte. Nach jedem Frühjahrshochwasser formte es sich neu. Meine Freunde und ich hatten dort unter der Friedensbrücke im flachen Flussbett, eine Hafenanlage in einer Schwemmsandbank gebaut. Nun wollte ich sehen ob noch alles in Ordnung war. Ab und zu kamen die Jungens aus Sinsleben, einem Ortsteil im Dorf, um uns zu ärgern. Aber es war alles noch an seinem Platz und ich konnte beruhigt nach Hause gehen. Als ich die Straße überquerte sah ich schon den Berg schwarzer Briketts vor unserem Kohlenschuppen liegen. Das wird wohl heute nichts mehr mit spielen in der Selke, dachte ich. Zu allem Ärger sah der Himmel aus als wollte es gleich regnen. Aber morgen, dachte ich und zog auf der Treppe im Hausflur meine Straßenschuhe aus, um in meine Hausschuhe zu schlüpfen.

Unsere Wohnung in der ersten Etage war eine von fünf Wohnungen im Haus. Sie hatte insgesamt fünf Zimmer und eine große Veranda. Dazu gab es eine Gemeinschaftstoilette mit Wanne und Badeofen. Im Sommer badeten wir aber jeden Samstag in der Waschküche, in einer großen Holzwanne. Das Leben spielte sich hauptsächlich in unserer gemütlichen Küche ab. Auf derselben Etage wohnte in zwei Zimmern Tante Große, eine rundliche, gutmütige Witwe. Oben auf dem ausgebauten Dachboden war Familie Gerhardt zuhause, ein schon betagtes Ehepaar. Onkel Gerhardt, wir nannten alle bekannten Erwachsenen Onkel oder Tante, war ein ganz lieber Zeitgenosse, er war immer so lustig und machte manch einen Spaß mit uns Kindern. Hinter unserem großen Hühnerstall, direkt an der Rückseite, hatte er seine Bienenstöcke. Zwölf Stück an der Zahl. Oft stand ich abseits und schaute ihm bei seiner Arbeit zu. Hatte aber großen Respekt vor den kleinen fleißigen Tieren. Sie flogen ohne Pause stundenlang in Nachbars Garten zu den zwei großen Kirschbäumen und anderen Obstgehölzen. Drüben im Schlammgraben, der sich zweieinhalb Meter tiefer an der Mauer von unserem Hühnerhof entlang zur Selke schlängelte, standen reichlich Holunderbüsche. In der Blütezeit bedienten sich seine Bienen am Nektar der Büsche und man konnte deutlich ihr Summen im Hof hören. Der Graben gehörte zur Brennerei von Herrn Meng. Hier wurde aus Zuckerrüben, Kartoffeln oder Getreide hochprozentiger Spiritus hergestellt. Das verschmutzte Waschwasser floss durch eben diesen Graben in die Selke. In der Zwischenzeit hatte ich unsere Küche erreicht und Mutti fragte, wo ich wohl so lange gewesen bin. Ich habe nur nach unserem Spielplatz an der Selke geschaut ob alles in Ordnung ist, antwortete ich ihr. Und ist alles in Ordnung fragte sie zurück und lächelte dabei. Hast du den Kohlenberg gesehen? Du kannst mit Hanne nach dem Essen gleich anfangen und Sie reinbringen. Ich glaube es gibt heute kein Regen. Später wen die Kleine schläft, komme ich dazu und helfe euch. Was gibt es den zu Essen Mutti? Du weißt es nicht mehr? Ich habe es euch doch gestern schon gesagt und alle waren einverstanden. Peter, mein jüngerer Bruder, meldete sich lautstark aus der hinteren Küchenecke. Es gibt doch heute Kirschklump mit ganz viel leckeren Kirschen. Ach ja, heute ist ja Freitag und am Freitag gab es ja immer ohne Fleisch. Meine Mutti eine gebürtige Oberfränkin, sie wurde in Kemmern in der Nähe von Bamberg geboren, war sehr gläubig. In der katholischen Kirche war dieser Wochentag ein Fastentag. Sie versuchte uns im Sinne der Kirche zu erziehen, was ihr nur teilweise gelang. Die großen Schwestern hielten sich nicht immer an Muttis Vorgaben. Mein Vater kam aus Braunschweig und hatte den evangelischen Glauben. Aber er lebte ihn nicht. Und so überließ er meiner Mutti den größten Teil der Erziehung. Nur wenn es um Bestrafung ging, pochte er auf seine väterlichen Pflichten. Kirschklump passte mir ganz gut. Lieber hätte ich Hefeklöße gehabt oder einen braunen Eierkuchen mit Pflaumenmus. Ich bemerkte gar nicht, dass Vater die Küche betrat. Nach einer kurzen Begrüßung drehte sich alles nur noch um den Berg Briketts, der vor dem Kohleschuppen lag. Laut dem Lieferschein waren es zwanzig Zentner, ungefähr ein Drittel des Jahresbedarf unserer Öfen. Die sollten wir in den Schuppen bringen. Ich zerbrach mir den Kopf, wie lange es wohl dauern würde die Arbeit zu erledigen. Und dann waren ja da auch noch die Kaninchen, die ihr Futter haben wollten. Aber das, konnte ich auch an der Selke finden und nach dem Spielen mit nach Hause bringen. Vater unterbrach meine Gedanken und versprach, sich heute selbst um die Kaninchen zu kümmern. Er hatte im Garten noch Luzerne stehen, welche er mitbringen würde. In meinen innersten frohlockte ich und schaute ihn dankbar an. Ich glaube er wusste, was ich dachte. Und zur Mutti gewandt, meinte er, die Jungens haben heute genug zu tun. Dann wurde gegessen und es trat merkliche Stille ein. Mutti hatte Martina an den Kindertisch gesetzt und beobachtete sie beim Essen. So klein sie noch war, hielt auch sie sich daran nicht zu sprechen. Vater konnte es absolut nicht haben, wen beim Essen gesprochen wurde. Neben meiner jüngsten Schwester waren da noch Peter und Lies, die mit uns aßen. Ingi und Hanne hatten zu dieser Zeit noch Schulunterricht und würden später nach Hause kommen. Vater löffelte seine drei Tage alte Bohnensuppe. Ich glaube sie schmeckte ihm hervorragend denn sein Teller war als ersten leer. Er liebte Suppen und Mutti kochte immer reichlich davon. Kirschklump war kein Essen für ihn. Vergesst nicht den Fußweg zu fegen. Den Kohlenstaub bringt ihr hinten in den Hühnerhof, sagte er zu mir. Du weißt ja, wie gerne sich die Hühner darin baden, um ihre Parasiten loszuwerden.

Vater war lange wieder mit seinem Fahrrad unterwegs zur Arbeit und ich hatte meine alte Lederhose angezogen. Unten schlüpfte ich in meine alten Turnschuhe. Meine Hose trug ich den ganzen Sommer über und am liebsten lief ich barfuß. Aber Vater bestand darauf das beim Arbeiten feste Schuhe getragen werden. Ich wollte unbedingt schon arbeiten, wenn Hanne von der Schule kam. Ich hörte meine kleine Schwester durchs offene Fenster laut weinen. Mutti versuchte sie zu beruhigen was ihr aber nicht gelang. Du gehst jetzt schlafen, denn du bist müde, hörte ich sie sagen. Das veranlasste die Kleine dazu ihre Lautstärke zu erhöhen. Ich vertiefte mich in meine Aufgabe, um mein selbst gestecktes Ziel so schnell wie möglich zu erreichen. Vater hatte extra für uns eine kleine Kohlengabel zusammengebaut. Die große Gabel war noch zu schwer für mich. Es ging nicht gut voran, weil die Briketts länglich waren und nur zwei Stück auf die Gabel passten. Im letzten Jahr waren es noch die kleineren halb so großen Briketts, da hatte es besser geklappt.

Ich weiß nicht, wie lange ich schon arbeitete als unser Nachbarsjunge, der Reiner Mahler, plötzlich neben mir stand. Wortlos nahm er mir die Kohlengabel aus der Hand. Wo ist denn die Große fragte er und stellte meine Kleine in die Stallecke. Ach, hier steht sie ja, sagte er und fing an die Kohlen in den Schuppen zu gabeln. Reiner war sechzehn Jahre und ein Riese gegen mich. Er hatte vor einem Jahr die Lehre als Landmaschinenschlosser oben in der MTS begonnen. Heute hatte ich Berufsschule und darum bin ich schon zu Hause, sagte er. Dabei beförderte er die vollen Gabeln mühelos in den Schuppen. Zusehens nahm der Berg ab man konnte gar nicht so schnell schauen. Es sah alles so leicht bei ihm aus. Als Hanne nach dem Essen zu uns stieß hatte Reiner fast den halben Berg im Schuppen untergebracht. Ich hatte mir einen Eimer besorgt und schaufelte den Kohlenstaub hinein, um ihn in den Hühnerhof zu bringen. Mein Bruder knurrte mich an ihn nicht vor den Füßen rumzulaufen. Ich ignorierte seine schlechte Laune. Wusste ich doch, dass er es mit der Arbeit nicht so hatte. Viel lieber lag er mit seinen Freunden in die Badeanstalt faul auf der Decke. Oft versuchte er sich vor Aufgaben zu drücken. Aber gegen seinen Vater kam er noch nicht an und das wusste er genau. Vater hatte ihn schon einmal so verdroschen, das rote Striemen auf seinem Rücken zurückgeblieben waren. Mutti hatte Vater damals laut angeschrien und sie haben danach lange nicht miteinander gesprochen.

Mutti hatte Martina versorgt und sie schlafen gelegt. Ihr Kinderwagen stand hinten auf dem Trockenplatz und wegen der Fliegen hatte sie eine Windel vor ihr Verdeck gehängt. Inzwischen hatte sie sich beruhigt und war eingeschlafen. Um den großen Jungens nicht vor den Füßen zu stehen, ging ich zu ihr, um zu kontrollieren, ob sie schlief. Mit meinen Fingern hob ich die Windel an und schaute in den Wagen. Ihre Augen waren geschlossen und der Nuckel in ihrer kleinen Schnute rollte hin und her. Ich musste lächeln. Mein erster Gedanke war, sie mit einem Grashalm zu ärgern. Aber wen sie dann anfängt zu weinen, dann bekommst du die Schimpfe, dachte ich. Also ließ ich davon ab und ging nach einer Weile wieder zu meinem Kohlenstaub. Potzblitz, der Kohlenberg war verschwunden und Reiner hatte schon den ganzen Staub zusammengefegt und in den Eimer geschaufelt. Lass mal sagte er zu mir ich mache das hier fertig. Er trug den Eimer in den Hühnerhof. Mutter kam mit einem großen Korb und einer Decke die Treppe runter. Geht euch im Waschhaus die Hände waschen und dann essen wir ein Stück Kuchen. Ihr wart so fleißig heute sagte sie. Wir gingen alle auf den Trockenplatz. Während wir Jungens uns frisch machten, breitete sie die Decke aus. Es gibt heute Kuchen? Es gab nur an Geburtstagen, Sonntagen und an Feiertagen Kuchen. Nie außer der Reihe. Dieter du warst am Kinderwagen rief sie mir zu. Ich, woher weißt du das? Deine Fingerabdrücke sind an der Windel, sagte sie. Erwischt, ich habe nur geschaut ob sie noch schläft, versuchte ich mich rauszureden. Es gab lecker Kirschkuchen vom Blech und dazu Apfelsaft. Den bekam Vater jedes Jahr aus Stecklenberg. Die Kirschen waren aus unserem Garten. Sie schmeckten süß-sauer und Vater nannte sie Schattenmorellen. Mutti bedankte sich herzlich bei Reiner für seine Hilfe und wollte ihm ein Geldstück zustecken. Er weigerte sich es anzunehmen. Dafür fasste er beim Kuchen kräftig zu. Die Zeit verging, wie im Flug es war, schon vier Uhr nachmittags. Vater musste gleich von Arbeit kommen. Elisabeth, ich nannte sie nur Lies, kam auf den Trockenplatz gelaufen und gab der Mutti einen kleinen Strauß Wiesenblumen. Meine größere Schwester Ingrid (Ingi) war mit Peter und Lies im Stadtpark spielen gewesen und jetzt machten sie sich über die Resten vom Kuchen her. Es war was richtig Leben auf dem Trockenplatz.

Reiner und Hanne hatten sich von Mutti verabschiedet und fuhren zu Badeanstalt. Hanne hatte noch kein eigenes Fahrrad. Reiner nahm ihn immer vorn auf der Stange seines Rades mit. Ich schaute Mutti fragend an und sie verstand sofort. Ja geh du spielen sagte sie und lächelte verschmitzt. Ich fegte los und an der Stallecke hätte ich bald meinen Vater umgerannt. Pass vorn an der Straße auf rief er mir hinterher. Was ich schon gar nicht mehr richtig hörte. Was soll ich an der Straße aufpassen? Hier fährt ab und zu mal ein Pferdewagen durch und ganz selten ein Auto. Die Straße war am Abend unser Spielplatz. Ralf und Uwe, Freunde aus der Nachbarschaft, beide ein Jahr jünger als ich, saßen mitten in der Selke. Sie waren nur mit ihren Unterhosen bekleidet und plantschten wild umher. Die Wolken hatten sich verzogen und die Sonne meinte es gut mit uns. Noch im Laufen zog ich meine Lederhose und meine Turnschuhe aus und sprang ins Wasser. Nur bekleidet mit einem Schlüpfer. Ich bemerkte meine schwarzen Füße und auch am Körper waren einige Kohlenreste zu finden. Ich wusch mich kurz ab und wir versuchten uns gegenseitig mit so viel Wasser zu bespritzen, wie jeder schaffen konnte. Die Friedensbrücke, die sich über das kleine Flüsschen spannte, war ungefähr vierzig Meter lang und vollkommen aus Holz gebaut. Männer aus dem Dorf hatten sich zusammengetan und sie mit ihren Händen selber aufgebaut. Grund war der weite Weg aus Sinsleben bis zum Bahnhof. Außerdem nutzten alle Leute, die einen Garten auf der anderen Seite der Selke hatten, diese Brücke. Sie bestand aus langen geschälten Fichtenstämmen und Bohlen. Zusammengehalten wurde alles mit geschmiedeten Eisenklammern und riesigen Nägeln. Ein Geländer an beiden Seiten sorgte für Sicherheit beim Überqueren. Ein Kletterparadies für uns Jungen. Wen man oben stand, schaute man drei Meter nach unten in den Fluss. Aber bei Hochwasser konnte man von oben fast ins Wasser fassen. Die Selke verlies dann ihr Bett und staute sich hoch bis zur Straße. Manche Jahre stieg sie gar über die Bahnhofstrasse. Dann floss sie unten an der Post wieder in ihr Bett. Das war die Zeit, in der unsere Keller ohne Stiefeln nicht zu betreten war. Flussaufwärts oberhalb der Brücke in Richtung der Eisenbahnbrücke, floss das Wasser ruhig und hier badeten wir im Sommer. Unter der Brücke floss das Wasser schneller. Hier war es flach und beruhigte sich, ein paar Meter weiter wieder in einer tieferen Stelle. Die Selke hatte einen reichen Fischbestand. Onkel Webersinski meinte immer, dass sei ein Zeichen für sauberes Wasser. Neben Schmerlen und Stichlingen gab es große Schwärme von Elritzen aber auch Gründlinge, Neunaugen, Döbel und Forellen. Manchmal sogar ein Hecht in den tieferen Kolken.

Wir lagen auf der Wiese und die Sonne trocknete unseren Körper. Ich hatte auch meine Turnschuhe gewaschen, um meine sauberen Füße nicht wieder einzufärben. Uwe wollte unsere Hafenanlage umbauen in einen großen Fischteich. Er hatte extra eine kleine Kohlenschaufel mitgebracht. Wir können morgen wettfischen machen und mal schauen wer die meisten Fische fängt. Der Gedanke gefiel mir. Ich habe immer die meisten gefangen. Was bekommt der Sieger wollte ich sofort wissen und war aufgesprungen. Jeder von uns machte seine Hosentaschen leer. Wir wollten zeigen was als Preis in Frage kam. Ich hatte nur meine alte Schleuder und ein Taschentuch dabei. Oben im Hosenlatz, einen Groschen. Wen Ralf seine Taschen leerte, gab es immer eine Überraschung. Heute waren ein paar Stücken Kleingeld, Bindfaden, Glasmurmeln und sein Taschenmesser darin. Aber auch lebende Frösche hatte er schon aus seiner Hose gezaubert. Sein Taschenmesser wollte er als Preis geben und Uwe legte wie immer eine Packung Westgaugummi dazu. Sein Vater war vor Jahren in den Westen verschwunden und hatte seine Frau und ihn hier allein gelassen. Uwe war ein Einzelkind und wohnte in einem schönen Haus, welches seinem Großvater gehörte. Letztendlich packte ich meine alte Schleuder mit zu den Preisen. Das brachte Ralfs Augen zum Leuchten. Ich war sofort bereit die Hafenanlage zu opfern. Wir begannen sie mit große Flusssteinen zu bombardieren. Bei der Aussicht, das Taschenmesser von Ralf zu gewinnen, war mir das Opfer nicht zu groß. Ein schriller Pfiff, den ich sehr gut kannte, ließ mich herumfahren. Jetzt schon Abendessen, das kann nicht sein, dachte ich. So spät ist es doch noch gar nicht. Ich schaute in die Richtung, aus welcher der Pfiff ertönte. Ja es war mein Vater. Er stand an der Straße und winkte mich zu sich. Ich lief über die Wiese hinauf zur Brücke. Essen wir schon, wollte ich wissen. Nein sagte er und gab mir zehn Pfennig in die Hand. Der Eiswagen kommt gleich und fürs Kohlen schaufeln kannst du dir heute ein Eis holen. Ich gehe noch in den Garten und hole das Kaninchenfutter. Vielleicht reicht es auch noch für morgen, sagte er und setze sich in Bewegung. Schon hörte ich die Glocke vom Eiswagen und rief meine Freunde. Sie flitzen beide den Hang hinauf und hinter den langsam fahrenden Eiswagen hinterher. Er hielt immer an der Ecke vor Tante Schillers Haus. Meist hatte er Vanille und Schokoeis, seltener Mal Erdbeere. Für eine große Kugel bezahlten wir zehn Pfennig und für eine Kleine nur fünf Pfennig. Am liebsten mochte ich das Schokoeis. Ralf und Uwe lieber das Vanilleeis. Manchmal nahm Uwe auch beide Sorten, dann aber die kleinen Kugeln. Mit unseren Eiswaffeln setzten wir uns auf die Bank an der Gartenseite zu unserer Einfahrt. Onkel Gerhardt hatte sie für sich und seine Frau hier aufgestellt und wir durften sie natürlich auch benutzen. Uwe mit ein paar Pfund zu viel auf seinen Rippen war wie immer als erster fertig. Wollen wir noch ein bisschen spielen fragte er. Ich schüttelte mit dem Kopf, denn ich war plötzlich müde. Die Arbeit hatte mich doch ganz schön geschafft und ich wollte nur noch schlafen. Morgen gewinne ich Ralf sein Taschenmesser oder den Kaugummi von Uwe dachte ich und verabschiedete mich von Beiden.

Mutti hatte die Kleinen schon im Waschhaus gebadet und sie saßen oben in der Küche. Ich habe warmes Wasser im Kessel unten im Waschhaus, du musst erst in die Wanne, bevor wir essen, sagte sie. Aber ich war doch in der Selke, versuchte ich die Wanne zu umgehen. Der Protest half nichts, erst die Wanne. Mutter hatte den Kessel angeheizt, weil sie große Wäsche machen wollte. Eine große Holzwanne stand vorm Waschkessel und Mutti entnahm das warme Wasser mit einem Eimer und goss es in die Wanne. Ich prüfte mit meiner Hand die Temperatur und empfand es zu heiß, was ich auch lautstark kundtat. Für dich ist es immer zu heiß, wenn du baden sollst. Sie goss noch ein Eimer kaltes Wasser dazu, während ich mich auszog. Ich schruppte mich von oben bis unten und wusch mir die Haare. Dabei spielte ich mit der Seife und schwupps flog sie im hohen Bogen durch die Waschküche. Ich bekam einen Klapps hinter die Ohren. Mutti konnte nicht so hart bestrafen das es mir wehgetan hätte. Vater dagegen schon eher. Nach einer Stulle mit Schmalz und Harzer Käse nahm ich noch eine zweite mit Butter und frisch geschnittenen Schnittlauch, obendrauf ein wenig Salz. Der Tisch in der Küche war voll besetzt und es herrschte Stille wie immer, wenn wir aßen. Mit am Tisch saß Mutti, Vater, Moni, Ingi und mein großer Bruder Hanne. Meine beiden anderen großen Schwestern Eri (Erika) und Soni (Sonja) waren schon außer Haus. Eri war verheiratet und hatte schon eine kleine Tochter sie hieß Marina. Und Soni war in einem Schwesternheim in Heiligenstadt. Dort lernte sie Krankenschwester und kam nur alle paar Wochen nach Hause. Moni arbeitete in Aschersleben wohnte aber noch zu Hause, sie fuhr jeden Tag mit dem Bus zur Arbeit. Eri und ihr Mann, er hieß Johann, hatten auf dem Marktplatz eine kleine Wohnung ganz oben in einem Mehrfamilienhaus. Mein Schwager arbeitete als Fernsehmechaniker bei Herrn Walter.

Als alle fertig waren durften wir den Tisch verlassen. Die Mädchen räumten den Tisch ab und machten sich daran das Geschirr abzuwaschen. Dürfen wir Musik hören Papa, fragte Ingi und er nickte nur. Vater verließ die Küche und ging runter auf den Hühnerhof um dort nach dem rechten zusehen. Ich dagegen putzte mir die Zähne und ging in mein Bett. Hier kreisten meine Gedanken um das Zeugnis und um die kommenden acht Ferienwochen. Als Hanne ins Bett kam schlief ich bereits fest. Er durfte abends ein bisschen länger aufbleiben, weil er schon älter war.

Der Frühstückstisch war gedeckt und die Pausenbrote lagen für jeden bereit. Irgendwie verbreitete sich ein wenig Spannung den auch die anderen Geschwister bekamen heute Zeugnisse. Außer Moni, die hatte den Bus um sechs Uhr fünfzehn nach Aschersleben genommen. Mutti erinnerte die Großen daran uns Kleinen mitzunehmen und wohlbehalten abzuliefern, wogegen ich protestierte. Ich gehe mit Birgit zur Schule wir haben es uns versprochen. Nun gut, sagte Mutti dann bis später.

Auf der Bahnhofstraße waren überall Kinderstimmen zu hören es klang fast wie auf unserem Hof wo die Hühner und Enten aber auch die Tauben versuchten sich gegenseitig zu überstimmen. Birgit stand mit ihrer schönen Schulmappe schon bei Tante Maler vor der Tür und wartete auf mich. Guten Morgen, bist du schon gespannt auf dein Zeugnis. Aber ja doch, sagte sie, wir müssen uns beeilen, wir wollen doch am letzten Tag nicht zu spät kommen. Wir stürmten los. Links und rechts der Bahnhofstrasse standen große Lindenbäume, in denen der leichte Wind mit den Blättern spielte. Auf der Selke Seite befand sich ein gepflasterter Fußweg. Hier auf der Gegenseite ein geschotterter Radweg. Wir schnatterten vor uns hin und ich hatte Mühe mit ihr Schritt zu halten. Sie war gestern auch in der Badeanstalt und hatte Reiner und Hanne gesehen, wie sie genüsslich eine von diesen großen Waldmeisterbrausen getrunken haben. Onkel Tyborski, ein Riese von einem Mann hatte dort einen Kiosk. Hier gab es ganz leckere Waldmeister und Himbeerbrause. Auch Halberstädter Würstchen mit Brötchen vom Bäcker Rensch.

Als wir den Klassenraum betraten waren wir fast die Ersten. Die Margit aus der Siederstraße und der Heiko Wirth aus der Aschersleber Straße hatten schon Platz genommen und ihre Stifte und Hefte auf ihr Pult gelegt. Wir zählten insgesamt dreiundzwanzig Schüler elf Jungen und zwölf Mädchen. Einige waren mit sechs Jahren eingeschult und wenige mit sieben Jahren. Da ich mit sieben Jahre eingeschult wurde und Anfang Juni Geburtstag hatte war ich einer der Ältesten in der Klasse. Unser Klassenraum lag gleich links neben dem Haupteingang. Ausgestattet mit alten Sitzbänken zum Klappen, ohne Tische. Wir hatten noch Pulte. Sie waren schräg gestellt und hatten oben eine eigekerbte Ablage für die Stifte. Inzwischen waren alle Kinder anwesend und die Glocke läutete. Kurz darauf öffnete sich die Klassentür und wir standen alle auf. Frau Wissler unsere Klassenlehrerin betrat den Raum. Unter ihrem Arm trug sie die Zeugnisse. Sie ging zum Lehrerpult und begrüßte uns mit lauter fester Stimme. Guten Morgen Kinder, ich hoffe ihr seid alle gesund und freut euch auf die Ferien. Guten Morgen Frau Wissler, antworteten wir im Chor.

Was folgte hatte ich nicht erwartet. Wir verließen die Schule mit ein paar Decken und spazierten in den Stadtpark. Alle Kinder hatten ihre Pausenbrote mitgenommen und wir durften es uns im satten Grün der Wiese auf den Decken gemütlich machen. Unsere Lehrerin öffnete ihre große Tasche und holte ein Märchenbuch heraus. Ich kannte es nicht, aber Mutti hatte auch ganz viele Bücher zuhause. Auch ein ganz dickes von den Gebrüdern Grimm aus dem sie uns in der Adventszeit abends bei Kerzenlicht immer vorlas. Wir saßen dann zu ihren Füßen und lauschten ihrer weichen Stimme.

Die heutige Geschichte handelte von vierzig Räubern und einem Berg, der sich öffnete. Im Innersten gab es riesige Schätze aus Edelsteinen und Gold. Ich begann mir vorzustellen, dass es so etwas ja auch bei uns am Kalkbruch geben könnte. Ralf, Uwe und ich müssten den Schatz nur finden. Meine Fantasie ging mal wieder mit mir durch und leider bekam ich von diesem Märchen nicht allzu viel mit. Die Zeit verging wie im Flug und die Pausenbrote schmeckten heute besonders gut. Auf dem Rückweg zur Schule waren alle lustiger als sonst. Wir fieberten der Zeugnisausgabe entgegen. Zehn Uhr war Schulschluss für alle Klassen und ein großer Pulk von Kindern verließ die Grundschule. Das Zeugnis, das ich mir erwartet hatte, war es leider nicht geworden. Es hatte eine Schwachstelle und das war die Note in Sport. Was wird Vater sagen. Angst kroch in mir empor. Sport war mir von Anfang an ein Kraul besonders das Laufen und Turnen. Aber der Rest der Noten waren Einser und zwei Zweier. Birgit machte sich mit mir zusammen auf den Heimweg. Ihr Zeugnis war eine glatte Eins auch im Sport. Sie war eine von drei Schülern mit einem Sehr gut.

Mutti saß im Hühnerhof auf der kleinen Bank, welche Vater extra für sie gezimmert hatte. Na, mein Junge wie ist es ausgefallen fragte sie. Ich begann zu weinen. Komm mal her und lasse mal sehen sagte sie und drückte mich ganz fest an sich. Das sieht doch großartig aus. Du hast überhaupt keinen Grund traurig zu sein, versuchte sie mich zu tröstete. Und die Sportnote, na ja die braucht man nicht, wen man mal Doktor werden möchte, scherzte sie. Ich musste lachen. Das sagte sie nur weil ich unseren Hausarzt Dr. Möhring so gern hatte. Nun zieh dich um und dann gehst du rüber in den Garten. Dort holst du uns drei Köpfe frischen Salat zum Mittagessen. Es gibt heute Bratkartoffeln mit Ei und dazu einen Salat. Papa, sie nannte in immer so, ist schon seit heut Morgen im Garten. Vater im Garten und ich sollte zu ihm? Wen er mich nach meinem Zeugnis fragt was dann? Es half nichts, Aufgabe war Aufgabe und musste erledigt werden. Vorn an der Straße traf ich meine größeren Geschwister und meine erste Fragenach ihren Zeugnissen wurden mit einem Lächeln abgetan. Ingi war neugierig auf meines. Bis auf Sport nur Einser und Zweier, antwortete ich Ihr. Sehr schön erwiderte sie. Hanne brummelte irgendwas von Streber.

Ich stand auf der Brücke und schaute in den Fluss, wo sich große Schwärme von Elritzen in der Sonne tummelten. Ab und zu kam aus den tieferen Stellen eine Forelle herangeschossen, um sich eine von ihnen zu holen. Doch auch sie waren schnell und wichen den Angriffen geschickt aus. Ich freute mich auf unseren Wettkampf und suchte mir schon mal den besten Platz für meine Fangstelle aus. Am Ende der Brücke auf der anderen Seite der Selke stand rechts eine riesige alte Pappel mit weit ausladender Krone. Ich glaube sie war um die dreißig Meter hoch und so dick, dass ich und meine Freunde sie zusammen nicht umfassen konnten. Oben in ihrem Stamm war eine große Höhle. Ein Ast war vor langer Zeit herausgebrochen und hatte diese Höhle geschaffen. Man sah deutlich die zwei jungen Eulen am Höhlenrand sitzen. Ich wusste aber dass es vier waren. Ihre Eltern saßen auf einem Ast ganz in der Nähe. Jetzt wo sie Junge hatten, mussten sie auch am Tage für Futter sorgen. Die große Gartenanlage, in der sich auch unser Garten befand, kam ihnen dabei gerade recht. Ach ja, ich sollte doch den Salat holen. Ich hatte mich wie immer ein wenig ablenken lassen.

Hallo Papa, ich soll Salat holen fürs Mittagessen; Mutti sagt du wüsstest Bescheid. Wie war die Schule, fragte er und mir lief es kalt über den Rücken. Alles gut sagte ich und schaute, ob der Salat schon bereit lag, um schnell wieder zu verschwinden. Der Salat lag in einem Weidenkorb und daneben ein Sack mit Hühnerfutter. Du kannst das Futter auch mitnehmen und den Hühnern geben rief er mir zu. Wenn du Lust hast, gehen wir nach dem Essen zu Onkel Erich Scheffler ich will mir Bauholz ansehen, das er noch auf dem Trockenboden liegen hat vielleicht brauchen wir einen neuen Kaninchenstall. Nein ich hatte keine Lust mitzugehen, aber das sagte ich ihm nicht. Ich nahm die Sachen und verschwand aus dem Garten, kein Wort zum Zeugnis, ich war erleichtert.

Die Euleneltern, Onkel Webersinski sagt es währen Käuze, hatten gerade eine tote Maus gebracht und das größte der vier Kinder versuchte die Maus in einem Stück zu verschlingen, was ihm nach mehreren Versuchen auch gelang. Träumerchen sagte ich zu mir, geht nach Hause Mutti wartet auf den Salat und viel Zeit ist nicht mehr bis Mittag. Hanne war auf dem Hof und machte den Hühnerstall sauber. Ich warf das Hühnerfutter, es war Ehrenpreis, neben den Hackklotz und die Hennen stürzten sich darauf, als ob es nie zuvor Grünes gegeben hatte. Es war auch eine Glucke dabei mit ihren neun Küken sie versuchte die anderen Hühner vom Fressen fernzuhalten. Jedes Mal ging der Hahn dazwischen, um für Ruhe auf dem Hof zu sorgen, dabei rupfte er der Glucke ab und zu auch mal eine Feder raus.

Papa geht Nachmittag zu Onkel Erich und ich soll mit, habe aber keine Lust, willst du nicht mitgehen fragte ich meinen Bruder. Ich sah das er mitgehen wollte den er ging gerne zu Schefflers. Onkel Erich hatte einen kleinen Bauernhof mit allerlei Tieren und da war ja noch Karl – Heinz der Sohn der Schefflers mit dem sich mein Bruder sehr gut verstand. Frag, doch Vater sagte ich zu ihm fast bettelnd, dann brauch ich nicht mit. Wir haben doch heute unseren Wettkampf im Fische fangen bemerkte ich nebenbei und er nickte nur. Flugs brachte ich Mutti den Salat. Auf dem Gasherd in der Küche standen schon die zwei großen Pfannen bereit und auf dem kalten Küchenherd, welchen die Mutti im Sommer als Arbeitsplatte nutzte, stand eine große Schüssel mi gepellten Kartoffeln. Ingi machte sich daran den Salat zu zerpflücken und zu waschen. Ich geh runter zu Hanne und frage, ob ich helfen kann, rief ich Mutti zu. Meinem Bruder helfen, war eigentlich nicht meine Absicht. Doch was tut man nicht alles um nicht mit Vater zu Onkel Erich zu müssen. Es geht doch heute um Ralf sein Taschenmesser, welches ich gerne gewonnen hätte. Stimmen auf dem Trockenplatz hinterm Kohleschuppen lenkten mich von der Hilfe für meinen Bruder ab und ich ging nachsehen wer da so einen Tumult veranstaltete. Helga Vonderberg, sie war zwei Jahre älter als ich, Lies, Peter und Martina spielen am kleinen Sandberg den Vater und Hanne extra für die Kleinen hingeschüttet hatten. Karl- Heinz, Vater und Hanne waren mit dem Pferdewagen zur Sinsleber Sandgrube gefahren und hatten eine Ladung feinen weißen Sand geholt. Nun waren die Kleinen dabei mit ihren Glasmurmeln ein Loch in der Mitte der Fläche zu treffen. Martina war noch viel zu klein, um die Kugeln mit ihren winzigen Fingern zu treffen, aber sie quiekte jedes Mal, wenn jemand das Loch traf, so laut, dass man Ohrenschmerzen bekommen konnte. Also doch meinen Bruder helfen? Gedacht- getan. Die Hilfe kam zu spät den er war bereits fertig. Ob mein Wissen, das Vater zu Schefflers wollte, seinen Ehrgeiz angespornt hatte blieb sein Geheimnis. Der Hühnerhof hatte eine Länge von etwa dreißig Metern. Und in der Breite waren es noch mal zehn Meter. Rund herum an der Hofgrenze standen einundzwanzig hohe Birken so das immer irgendwo Schatten auf dem Hof lag. Zum Schlammgraben ging eine Bruchsteinmauer zweieinhalb Meter nach unten. Auf ihrer Krone stand ein Holzlattenzaun kaum ein Meter fünfzig hoch. Links im Hof war ein großer Schuppen mit einer kleinen Werkstatt in dem Vater seine Werkzeuge lagen. Es war sein Heiligtum und wir hatten keinen Zugriff darauf. Rechts ein großer Hühnerstall, darüber ein Taubenschlag, unten, abgeteilt ein kleiner Raum für Futter.

Die Kaninchen hatten einen alten Stall mit sechs Boxen, welche alle belegt waren. In einer Box war eine Häsin mit acht Jungen und die anderen waren meist mit zwei bis drei großen Kaninchen besetzt. Einen Kaninchenbock hatte Vater nicht, er ging immer zu Onkel Hans Stegmann am Kalkwerk, um die Häsinnen decken zu lassen. Onkel Hans schlachtete auch unsere Kaninchen und mein großer Bruder durfte dann mit Vater seinem alten Fahrrad und einem Sack, in dem das Kaninchen war, zu ihm fahren. Im Winter nahm er meist den Schlitten und ich durfte ihn oft begleiten. Entlang der Selke schlängelte sich ein alter Feldweg, auf dem im Sommer alle Kinder und Erwachsenen zum Baden fuhren. Kurz vor der Badeanstalt staute ein Wehr den Fluss. Ein Wehr ist eine künstlich angelegte Staustufe. Das Wasser stürzt über eine Kaskade herunter. Im ganzen Bereich der Selke kannte ich fünf Stück davon. Man hatte sie zum Zweck der Wasserregulierung für die Zuläufe der Mühlen gebaut. Je nach Wasserstand der Selke konnte der Müller, die Fließgeschwindigkeit selber regeln. Wen es im Winter richtig eisig kalt war, hingen überall große Eiszapfen herunter und man konnte mit viel Geschick versuchen, sie mit Steinen abzuwerfen.

Mutter rief zum Essen und ich sollte die Kleinen vom Trockenplatz mitbringen, was ich auch tat. Vater war gerade aus dem Garten gekommen und Hanne stand schon bei Ihm. Vater nickte und schaute dann zu mir herüber. Ich glaube ich komme heut noch zu meinem Taschenmesser dachte ich und zog meine alten Turnschuhe aus. In der Küche gab es ein Gedränge am Waschbecken aber wie immer war erst die Kleinste dran den danach war für sie Mittagsruhe angesagt. Hanne und ich duften in der Veranda essen, denn es war nicht genug Platz in der Küche. Mutter brachte uns reichlich gefüllte Teller mit Bratkartoffel und Rührei. Auch eine kleine Schüssel mit gezuckertem Blattsalat stand auf dem Tisch. Ich stocherte auf meinem Teller rum und war in Gedanken ganz wo anders. Hanne war inzwischen fertig mit einem Essen und machte sich über den Salat her, er aß am liebsten die inneren kleinen Blätter. Mir blieben nur noch die großen Blätter ohne Zucker welch ich lieblos in meinen Mund beförderte. Unser Vater stand plötzlich in der Veranda und sagte das er mit Hanne zu Onkel Erich gehen würde, möchtest du auch mit, fragte er und schaute mich verschmitzt an. Ich schüttelte nur den Kopf und er wendete sich zum Gehen. Ach ja, sagte er, Mutter hat mir von euren Zeugnissen erzählt und ich habe sie mir angeschaut und bin ganz zufrieden damit. Mir viel ein Stein vom Herzen, hoffentlich hat er es nicht gehört, dachte ich. An mich gewandt sagte er, du darfst in den Ferien bis einundzwanzig Uhr aufbleiben. Ich bedankte mich fast überschwänglich.