Lapin Flambé - Alexander Gerhard - E-Book

Lapin Flambé E-Book

Alexander Gerhard

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Beschreibung

Im Rahmen der Darstellung einer ungewöhnlichen Situation und der Hintergründe, die zu dieser geführt haben, werden ansatzweise aber mit ausreichendem Raum für die Entfaltung der Fantasie des Lesers, die Vielfältigkeit der unterschiedlichen Wahrnehmungen und die voneinander abweichenden Einschätzungen der Realität dargestellt. Es werden etwa 15 sehr ungewöhnliche Minuten in einem französischen Restaurant aus den sehr persönlichen Blickwinkeln einiger anwesender Gäste und Angestellter beschrieben. In diesen 15 Minuten geschieht Unfassbares. Im Verlauf werden die Hintergründe zu diesem scheinbar zufälligen aber tatsächlich wohlgeplanten Geschehen aufgedeckt und die unterschiedlichen Sichtweisen der notgedrungen Beteiligten auf die Situation selbst verdeutlicht. Durch die Vertiefung der skizzierten Charaktere und die Beschreibung einzelner, wichtiger Aspekte aus der Vergangenheit der Protagonisten, fügt sich nach und nach das Geschehen zu einem Bild zusammen.

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Seitenzahl: 306

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Alexander

Gerhard

Lapin Flambé

(Flambiertes Kaninchen)

Erst das Erleben aller Beteiligten lässt die Wahrheit entstehen, die den Einzelnen und das Geschehene ausmachen

Kein Mensch kann sich verschließen vor dem Unausweichlichen. Niemand kann seine inneren Werte verleugnen oder der Erfüllung des größten Glücks widerstehen, ohne Schaden zu nehmen an seiner Seele.

Das Unausweichliche zuzulassen, seinen Werten bedingungslos treu zu bleiben und die Erfüllung des größten Glücks mit aller Hingabe zu fordern, kann, abhängig von den Sichtweisen der direkt oder indirekt Betroffenen, Seelen unheilbaren Schaden zufügen und sie sogar zerstören, für immer.

Nicht vielen ist es möglich, ihre eigenen Sichtweisen in Einklang zu bringen mit der bunten Welt der Wahrheiten anderer.

Und im Grunde allen Seins ist jeder einzelne Mensch niemals der, für den er sich hält, sondern das Resultat des Erlebens aller Menschen.

Alexander Gerhard, geboren 1957 in Fulda, Deutschland, lebt in einer Kleinstadt zwischen Frankfurt und Wiesbaden.

© 2021 Alexander Gerhard

Verlag & Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

978-3-347-27512-6 (Paperback)

978-3-347-27513-3 (Hardcover)

978-3-347-27514-0 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für Yasaré

Inhalt

Der Auserwählte

Der Lehrer

Sebastian

Die Frau des Auserwählten

Alex

Dreieinigkeit

Dr. Erasmus K.

Mi

Vom Lamm zur Wölfin

Brad Fat

Brian

Serafina

Pierre

Johannes B.

Der Polizeibericht (Auszug)

Anmerkung

Danksagung

Der Auserwählte

Die Begegnung

Ein ganz normaler Abend im Dezember, kaum gleich einem vorhergegangenen, wie sich später auf verwirrende Art und Weise herausstellen wird; und es geschieht das Unvermeidliche, das nie für möglich gehaltene, aber doch immer vorherbestimmte, erwartete, verfluchte Glück des Augenblicks in der Gestalt des tiefsten Unglücks. Und wie es geschieht, ist es wie die Erfüllung allen Sehnens, ist es der einzige Augenblick allen Wollens, der gemeinsame Sinn aller bisher gedachten Gedanken und das einzig gültige Argument für das Sein an sich und aller Werte des Lebens.

Aber, so wie die Geschicke des Lebens geregelt sind, zerstört so vortreffliches Glück jeden unglücklichen Menschen, der ohne sein wirkliches Zutun in den Bann der Gegebenheit an sich, in das Inferno der ihm fremden Gefühle und in den nicht enden wollenden Strudel der unverständlichen Wahrheit eines anderen bereits geraten ist. Und letztlich hat doch jede dieser armen Seelen die Möglichkeit der Anpassung und eigener Sichtweisen, die Chance des Reflektierens noch weit vor der endgültigen Verdammnis, deren schwarzes Schild die brutale Ignoranz allen Seins gegenüber allem Sein, in gleichgültiger Demut und für alle Ewigkeit ist.

Als ich aus dem Albtraum der Realität erwachte, war es vielleicht zu spät, um den betroffenen Menschen, es waren nicht viele, aber doch einige, das unvorstellbare Glück meines Erfahrens zu erläutern. Und so finde ich mich also, an diesem ganz normalen Abend im Dezember, ohne jeden Erklärungsversuch, in meinen Gedanken gefangen, nicht ahnend und nicht wissend, wer ich vor dieser Zeit war, was ich begehrte, kaum mich erinnernd an meine Rolle im Leben, doch immer träumend von ihr und haltlos treibend in einem Universum, das mir real bislang verborgen war und gleichgültig.

Scheinbar erwacht, gelöst und gerissen aus der bekannten Welt, beginne ich nach nicht bestimmbarer Zeit und langer Ohnmacht, endlich zu fühlen und zu denken. Und so ist es immer wieder betörend, wie sie meinen harten Stoß, begleitet von rhythmischem Wimmern, in eine weiche, weibliche Körperwelle der Leidenschaft überführt, um ihn dann endlich in ihren wohlgeformten Brüsten, als Beben der Liebe ausklingen zu lassen.

Ohne ihre Gelenkigkeit wäre dieses Erlebnis der Sinne kaum möglich, steht sie doch mit ihren fest geschlossenen Beinen fast senkrecht vor dem Tisch, mit ihrem knackigen Po an die Tischkante gelehnt und ihrem Oberkörper auf der Tischplatte liegend. So dringe ich in sie ein, von vorn, geführt von den Innenseiten der Schenkel, vorbei an ihren rosigen Lippen, hinein in ihre feuchte Spalte der völligen Hingabe, bald tief genug, um sicher die Bewegung zu spüren und bald vorsichtig zögernd, zur Liebkosung ihres Zentrums der Lust.

Verloren schweben wir dahin, um uns herum verschwimmen die blassen Gesichter und wir ergeben uns in unseren Taumel der Ekstase, wiegen uns im Glück der Vereinigung unserer Körper und Seelen, umhüllt von einer Mischung aus dem Duft unserer Liebe und dem Geruch französischer Küche. Losgelöst von allem Irdischen, nicht fähig, das Reale zu erleben, allein inmitten der vielen Menschen, die um uns herum sich geschart haben und teilweise zeternd, teilweise verstummt, stierend oder sich abgewandt lauschend, unserem Schauspiel hingeben müssen, sind wir eins mit den Tieren, sind wir eins mit den Engeln, eines klaren Gedankens nicht fähig, im Rausch der Sinne vergehend.

Es war nur ein Blick, ein einziger, kurzer Blick, über die Schulter meiner Frau und über das Feuer eines flambierten Kaninchens am Nachbartisch hinweg, hinüber zu diesem Wesen, nicht von dieser Welt, geboren aus der Tiefe der Sehnsucht und die Erfüllung aller Träume verheißend, in die sinnlichen Augen dieser elfengleichen Gestalt, die das Leben Vieler verändern sollte. Ich war in Gedanken schon längst auf sie zugegangen, nachdem sie meinen Blick erwidert hatte und nach ihrem Lächeln der Verheißung, das mich sofort nicht nur profund in meinem Herzen, sondern auch direkt im Zentrum meiner Lust getroffen hatte.

Eben noch in stumpfsinnige Gespräche verwoben, war ein neues, völlig unbekanntes „wir“ geboren, von einer Sekunde zur anderen gab es keine Menschen, keine bekannten Werte, keine Scham und keine Zurückhaltung mehr, sondern nur noch nacktes Verlangen und Gier nach Körper und Haut; den Wunsch zu sein, in ihr und nur noch in ihr, sofort.

Es vergingen nur wenige Minuten, die mir wie Stunden erschienen und in denen wir unsere Augen nicht mehr voneinander lösen konnten, gefangen waren in unseren Gedanken an ersten, zärtlichen Sex, als ich fast schmerzhaft das tierische Verlangen in mir wachsen spürte und fühlte, wie Unmengen von Blut in meinen Penis schossen. Dann stand sie auf, unerwartet, aber doch so sehr ersehnt, kam mit langem, wiegendem Schritt zu uns herüber, nicht eine Sekunde den Blick von meinen Augen weichend, wischte mit einer schwungvollen Bewegung das Geschirr von unserem Tisch und stellte sich, ich war inzwischen aufgesprungen und fühlte mein Herz hämmernd in den Schläfen, mit dem Rücken zum Tisch vor mich hin, die Lippen zum Kusse bereit.

Behutsam begann sie ihren kurzen, schwarzen Rock nach oben zu schieben, immer höher und höher, bis ich sehen konnte, dass sie, da sie nicht nur keine Strumpfhose, sondern auch keine Unterwäsche trug, rasiert war.

Ohne ein Wort öffnete ich meine Hose, ließ sie fallen und drang ein in die Verkörperung der Unendlichkeit des weiblichen Seins, behutsam, aber bestimmt, als sie mich zunächst küsste und dann ihren Oberkörper langsam nach hinten bog, bis er vollständig auf der Tischplatte lag.

Ich öffne ihre Bluse, sehe und berühre ihren traumhaft schönen Busen, während ich immer und immer wieder, begleitet vom leisen Beifallsklatschen unserer Körper, in sie eindringe.

Der Drink

Ich erinnere mich an meinen letzten Drink, es war ein „Mexicana Quemada“. Wie gern wäre ich dabei gewesen, als der spargeldünne Franzose ihn, meinen absoluten Favoriten, zubereitete. Ich lasse das Rezept noch einmal vor meinem inneren Auge erscheinen:

Zutaten:

2 cl

Tequila Gold

2 cl

Tequila Silver

3 cl

Orangensaft

3 cl

Granatapfelsaft

2 cl

Limonensaft

½ cl

Rum (72%)

1BL

Brauner Zucker

½ BL

Chilipulver

4 Blatt

Minze gehackt

1 Prise

Muskat

Minze im Shaker zerdrücken. Beide Sorten Tequila, O-Saft und Granatapfelsaft hinzugeben. Shake it. Glas (ca. 0,2 l) zu einem Drittel mit Crushed Ice, Chili- und Muskatpulver füllen. Die Mischung aus dem Shaker (ohne Minze) in das Glas geben. Halbe Limettenschale umstülpen und als Schiffchen aufsetzen. Zucker und Rum in das Schiffchen füllen. Anzünden. Servieren. (Der Drink schmeckt erst, wenn man das Schiffchen versenkt und den Drink gerührt hat.)

Und ich muss feststellen, kurz bevor ich aus der Erinnerung in das Leben zurückkehre, meine Augen wieder zu sehen beginnen und ich meiner Situation, in der ich zweifellos bin, wieder bewusstwerde, dass Franzosen keine Drinks zubereiten sollten, keine Drinks, niemals, und mit jeder Sicherheit nicht diesen.

Flambiertes Kaninchen

Wie unfassbar leidenschaftlich sie meine Bewegung aufnimmt und eins ist mit mir und meinem Gefühl, wird mir erst bewusst, als ich den Geruch gebratenen Kaninchenfleischs wahrnehme und fühle, wie unsere Körper auch diesen Geruch in gleichmäßige Schwingungen versetzt und wellenförmig durch den Raum treibt.

Diese Frau ist reines Glück. Aus ihr strömt die alles ergreifende Energie der Liebe und ihre Fähigkeit, den Körper wohl nach Belieben formen zu können, macht mich staunen. So dringe ich in sie ein, von vorn, geführt von den Innenseiten der Schenkel, erlebe intensivste Berührung nicht allein für mich, sondern mit ihr, durch sie und gleichsam gemeinsam.

Wie unwirklich selbst die Lampe über uns zu schimmern beginnt, fast mag ich denken, sie stellt sich ein auf unser Tun; will leuchten, wenn der Körper meiner Göttin zu beben beginnt und will ermatten, wenn sanfte Ruhe unsere Körper umspült.

Träumend schweben wir dahin, vergessen ist der Ort, an dem wir uns befinden, verloren ist die Zeit, die wir uns nicht hatten und nichts ist wirklich wahr, außer der Vereinigung unserer Körper und Seelen. Schemenhaft die Menschen, gefangen in ihren Welten, erfüllt von allen Zwängen, die sie nicht anders sein lassen können als sie wirklich sind. Um uns gibt es nur Dunkelheit und Wahn. Umso heller leuchtet das Licht des Glücks um unsere Körper und lässt uns erstrahlen wie Engel am Firmament.

Den Worten meiner Frau lauschend, geriet ich schon lange in die Notwendigkeit der Flucht. So gelang es mir, inmitten ihres Wortschwalls, an das vollkommene Glück einer Pokerrunde mit meinen Freunden zu denken, vermochte den letzten gemeinsamen Abend mit ihnen bildlich zu erleben und strahlte sicherlich auch deshalb, weil ich doch damals so souverän gewonnen hatte. Aber…

Dann war da wieder die Erinnerung an diesen ersten Blick, warm und fordernd, hindurch durch die Flammen des Kaninchens am Nachbartisch, der mir jede Angst nahm und mich erfüllte mit der Gewissheit, das Schicksal nicht mehr abwenden zu können, nicht abwenden zu wollen. Es verloren sich die Gedanken an andere im Nichts der Belanglosigkeit und beflügelten mich, es noch mehr und noch dringlicher zu wollen.

Warum flambieren Menschen Kaninchen? Gäbe es darauf eine Antwort, könnte ich vielleicht auch mein eigenes, allgemeines Verlangen ein wenig besser verstehen oder auch nicht.

Die Zeit schien nicht mehr vergehen zu wollen und meine Anspannung war unermesslich, war doch sicher, dass es, nach diesem Blick, passieren würde. War doch unabwendbar, dass wir unserer Bestimmung gehorchen mussten.

Die fahrigen Gedanken an den Busen meiner Frau wollte ich zu verdrängen suchen. Dieses Denken an ihre Brüste und an ihre Stimme, die einen so lappig wie die andere so schrill, mich ernüchternd und fordernd wie gewohnt, konnte nicht erreichen, dass ich die Augen ließ - von ihr.

Sie konnte es nicht sein, die es verhinderte, dass meine Seele schon lange geflohen war vor gefühlskalter Tyrannei hin zu der Hitze reinen Gefühls und die sich in der Phantasie schon tausendfach hingegeben hatte dem Wesen der wahren Liebe.

Ach, hätte mich doch in diesem Moment nur irgendjemand, ein Mensch dieser Welt oder einer beliebig anderen, gefragt, ob ich das Weib mit diesen Augen nehmen möchte zu meiner ewig Angetrauten, ich hätte ihn erschlagen, aus Angst, er könnte sie vor mir besitzen wollen.

Mit welch unfassbarer Geste sie die heile Welt aller zerstört hatte, sich entblößte, ohne einen Gedanken an wirkliches Sein und dann vor mir stand ohne ein Wort und doch so laut schreiend, dass mir der Kopf dröhnte.

Der Mann in ihrer Begleitung, er war inzwischen auch aufgestanden und stand, eine Serviette knetend am Tisch, schrie auch etwas, wollte etwas schreien, schien außer sich aus verständlichem, aber doch nicht erkennbarem Grund, als sie auf mich zugegangen war. Wunderlich schien mir nur, dass er irgendwie kaum zu hören war, trotz all seiner Raserei.

Sie legte im Gehen nur einmal den Kopf etwas zur Seite, blickte in die Richtung des Rasenden und zischte seinen Namen auf eine Art, die von einer Sekunde auf die andere, das Blut eines jeden hätte gefrieren lassen können.

„Sebastian!“

Hätte ich atmen können, wie gern, wie gern!

Als sie ihren Rock nach oben geschoben hatte und ich ihre Weiblichkeit sehen konnte, wäre ich beinahe in Ohnmacht gefallen, aber es war der Anblick selbst, der mich nicht gehen ließ und mir die Kraft gab, nur noch sehen, sein und fühlen zu wollen.

Gäbe es eine Blume dieser Schönheit, sie müsste alle Namen der Götter tragen.

Mögen Stunden verrinnen, mag der Mond die Sonne verfinstern und mögen alle Menschen, einst geboren, irgendwie langsam sterben. Nur die Sicht auf die Dinge selbst lässt Dinge wert sein, lässt sie wiederkehren, wehren oder vergehen, oder nichts von alledem.

Sebastian schien verstummt, zumindest konnte ich seine Stimme nicht mehr ausmachen, auch wenn die Richtung noch klar schien, aus der sein Zetern hätte dringen müssen. Der Gastraum füllte sich nun mehr und mehr mit den eigenartigsten Geräuschen, mit leisem Tuscheln und merkwürdigem Scharren, auch Seufzen war zu hören, wohl eher von weiblicher Stimme, männliches Grummeln direkt hinter mir, ein Glas fiel um, aber zerbrach nicht, das war in der Küche oder war es eher an der Tür kurz davor? Doch alle Geräusche um uns herum sind etwas leiser, ein klein wenig leiser als wir.

Der Schicksalslenker

Es erfasst mich immer wieder mit Staunen, wie wir den Akt der Liebe erleben, wie wenig es zwei Körper sind, die sich in der Unwirklichkeit behaupten und zum größten Glücke treiben, sondern ein einziger Leib mit zwei Seelen, die sich im Zufall gefunden haben, um sich niemals mehr zu lassen.

Ein Zufall des Schicksals, mit der Endgültigkeit einer Ewigkeit, schweißt unsere Wesen zusammen. Wir sind das Zentrum von allem und nehmen die Macht der Mächte für uns, nur für uns, in Anspruch. Kein Gedanke an zerschmetterte Leichen der möglichen Toten durch unser Tun.

Wie seidenweich, warm und zitternd Haut doch sein kann, nicht in meinen Träumen war ich beschenkt, dies zu erfahren und nun, an meinen Leib geschmiegt, diese Vertrautheit und Berührung, diese unsägliche Sanftheit - kaum kann ich wagen es zu spüren, so sehr reißt es mich.

So dringe ich immer wieder in sie ein, ergebe mich dem Wahnsinn meiner Regung, die niemals stärker und einnehmender sein konnte als jetzt und hier.

Nur erahnen kann ich in ihren Augen, dass es vielleicht auch der turnerische Winkel ist, der sie so sehr verzückt, dass es die Reibung, die Bewegung und das fordernde Drängen meines harten Gliedes selbst sind, die unerhört eigennützig ihre zarte Klitoris stimulieren und das schönste Lächeln in ihr so sehr geliebtes Gesicht zaubern.

Nicht vorstellbar, ein anderer Ort, nicht denkbar, eine andere Zeit - nur hier und jetzt kann und darf es uns geben. Ohne den Geruch von Knoblauch und Estragon hätte der Schicksalslenker vermutlich kein Glück, für keinen von uns, jemals erlaubt.

Weit weg von allem Irdischen, nicht fähig, das Reale zu erleben, allein inmitten der vielen Menschen, die um uns herum sich geschart haben und teilweise zeternd, teilweise verstummt, stierend oder sich abgewandt lauschend, unserem Schauspiel hingeben müssen, sind wir eins mit den Tieren, sind wir eins mit den Engeln, eines klaren Gedankens nicht fähig, im Rausch der Sinne vergehend.

In mich gekehrt, die Dinge geschehen lassend und fast teilnahmslos gewährend, versuchte ich mich zu erinnern, wann, ob und unter welchen Umständen vielleicht ich ein solches Gefühl, ein dermaßen brennendes Verlangen, so dramatischen Schmerz und diesen unbändigen Wunsch, sofort explodieren zu wollen, schon jemals zuvor hatte. In meinen Gedanken verharrend, konnte ich dem blendenden Schein ihrer Augen und dem Liebreiz ihres charismatischen Gesichts nicht mehr widerstehen und küsste sie in Gedanken leidenschaftlich.

Verloren, ohne Schuld! Nicht ich war es, der hier bestimmte.

Im Augenwinkel meines rechten Auges glaubte ich meine Frau wahrnehmen zu können; völlig absurd in ihren Bewegungen, aber nur schemenhaft unscharf zu erkennen, schien sie sich, nachdem sie panisch aufgesprungen war, an Tisch und Stuhl klammernd aufrecht halten zu wollen, was ihr, wahrscheinlich wegen ihrer körperlichen Schräglage an sich und der Instabilität der hässlichen Designer-Pumps, nicht endgültig zu gelingen schien.

Irrelevant, denn vor mir standen die Erfüllung all meiner Träume, meiner Sehnsüchte und der Inbegriff all meines Verlangens.

Sollte ich an die hungrigen, die gesättigten, die angetrunkenen oder die verstörten Gäste denken oder vielleicht an die Arbeitenden, die sich in diesem Raum befanden? Das fragte ich mich einige Male, musste aufschauen, den Blick von dieser sich so herrlich darbietenden Schönheit nehmen, um verstehen zu können, was wir taten.

Fremde Gesichter drängten sich mir auf. Die Empfindungen, die viel mehr meinen Kopf als meinen Körper erfüllten, wenn ich in ihre Gedanken, die sie so freigiebig lesbar in ihren Masken trugen, eintauchte, mussten sich vermischen mit der einen Empfindung des Glücks, das so waghalsig wir forderten gegen jede Vernunft. Mir war es nicht möglich, hörte ich mich denken, die Wahrheit der Menschen hier und jetzt zu erfahren, denn meine Sinne waren getrübt und mein Blick fast blind für das so wenig Wichtige. Und es war mir klar, dass ich doch nur nach Entschuldigung, Verzeihung oder wenigstens Toleranz suchte, ohne Hoffnung, sie zu bekommen, war doch niemand außer uns Liebenden in der Lage, den Grund für unser Tun zu verstehen.

Hätten all diese liebenswerten Menschen doch nur verstehen können, dass keinerlei Schuld uns traf für diesen Moment, sie wären mit offenem Herzen an unseren Tisch getreten und hätten den Rhythmus unserer Leidenschaft aufgenommen in tosendem Beifall und freudiger Melodie. Es gab keine andere Möglichkeit als sich dem Lenker allen Seins zu ergeben, denn nicht aus freien Stücken lagen wir hier fast gänzlich entblößt und mussten uns verschenken mit Haut und Haar. Doch wie nur hätten wir das Sehen der Betroffenen schärfen können, damit sie erkannten und die feinen Drähte sahen, an denen er unsere Körper bewegte und zwang, die unendliche Lust zu erleben? Wir waren doch nur seine Puppen, längst schon des Willens beraubt und hörig seinen Weg zu gehen, der so klar bestimmt vor uns lag, so einfach zu gehen war und so sicher das Glück verhieß.

Die Leute wussten nichts von ihm, also vergebens jede Mühe, in das rechte Licht zu bringen, unser Treiben.

Genuss, aber nicht für Jeden

So scheint mir vollkommene Lust nur dann zu entstehen, wenn alle Bewegung, jede Energie, freier Gedanke und lustvoll reizendes Wollen, ihren psychischen und physischen Fortklang im Körper und auch im Geist des Geliebten finden.

Schon minimale Veränderungen in der Zweisamkeit der Liebe, mutiges Verkanten, starkes Spannen bestimmter Muskeln oder angestrengtes Kreuzen der Beine zum Beispiel, können mit ungekannten Anstrengungen, aber auch ungeahnten Gefühlsregungen verbunden sein. Füreinander bestimmte Menschen, wie wir es offenkundig zu sein scheinen, müssen solchen Unsinn aber nicht wissen, denke ich mir, während ich ihre Brustwarzen liebkose und die Enge ihrer Schenkel genieße.

War ich noch anwesend? Hätte ich nicht im Grunde meines Herzens erschrocken sein müssen, ängstlich die Folgen kalkulierend und das Schlimmste in Erwägung ziehend? Oder traf dieses viel mehr auf meine Frau zu, die fast am Boden liegend, sich an den Tisch klammernd und knapp über die Tischplatte glotzend, den prallen Busen meiner Göttin fixierte, ihren Mund weit geöffnet zu einem ihrer gewohnten Schreckensschreie bereit hielt, der ihrer Panik den gebührenden Ausdruck verleihen sollte, sie aber zu keiner Intonation fähig war?

An ihrer statt waren es andere Wesen, die wie Sirenen heulten und alsbald verstummten, waren es spitze Schreie von überforderten Frauen, die nicht anders konnten, als meinen straffen, zuckenden Po zu bewundern und sich bei unzüchtigen Gedanken ertappten. Oder ihre Männer, die mit bissigem Gegrunze sich selbst projizierten an meine Stelle und die eigene Erregung zu verbergen suchten.

Die Wortlose war gegangen, aber ich empfand keinerlei Erleichterung, denn eigentlich war sie schon lange nicht mehr präsent gewesen. So geschah es, dass aus einer nur noch nebulös wahrgenommenen Frau eine Leidende wurde, die sich, in meinen Gedanken, der gesamten Tragik ihres Erlebens hingeben musste, um die vollkommene Zerstörung ihres Selbst zu zelebrieren. Meiner eigenen Erwartung, Mitgefühl für sie zu empfinden, wurde ich nicht gerecht. Zu sehr erfüllte mich meine unfassbare Tat mit Stolz und nie gekanntem Gefühl, zu mächtig war die Gewalt der tausend Gedanken, die mich mästeten.

Zerreißen wollten mich der Taumel der Freiheit und alle Ängste des Lebens, die gemeinsam sich in mir bekriegten, doch dann wieder ein Lächeln von ihr, der liebevollsten Blume, der mächtigsten Elfe und in mir war nur noch geborgene Sanftheit.

Mi

Als ich mich ein Mal mehr in diesem betörenden Anblick verloren hatte und den traumhaften Venushügel meiner nackten Fee zu riechen glaubte, fasste ich mir ein Herz, beugte mich, tief in ihr verbleibend, vornüber und war meiner neuen Liebe so nah, dass ich die wohlige Wärme ihres Körpers durch mein Hemd spüren konnte. Ich bat sie, mir noch einmal ihren Namen zu sagen.

„Mi!“

Die Zerstörung des Glücks

Da, plötzlich, dringt ein langes, kaltes Küchenmesser, geführt von der zornig verwirrten Hand meiner Frau, krachend und kurz unter dem letzten Rippenbogen in meinen Rücken ein und lässt mich innehalten.

Irgendjemand scheint behutsam das Licht zu dimmen und ich schaue in die wunderschönen Augen dieser vor mir liegenden Traumgestalt, den warmen Hauch ihres lieblich duftenden Atems in meinem Gesicht spürend, als ich mich unter rasendem Schmerz im Rücken, auf sie, der auf dem Tisch Liegenden, kraftlos danieder lege, zum Kusse bereit, kaum noch etwas bewusst erlebend und im Rausche meines ersten Glücks versunken darauf wartend zu erkalten.

Ihr Atem, so nah, liebkost meine Wange, ihr Kuss, so warm in der Beuge meines Halses, lässt mich ein letztes Mal erschaudern vor Glückseligkeit, als ich unter ihr das Tischtuch sich färben sehe in tiefstem, blutigem Rot.

Das muss ja ein unerhört langes Messer gewesen sein, gute Frau, das du dir da in Windeseile zur Ermordung deines Mannes aus der Küche geholt hast. Wäre es am Ende nur um mich gegangen, ich hätte dir verziehen. So kann ich voller Hass nur noch fühlen, in Trauer und mit schwindenden Sinnen, die Liebste, langsam verblutend so nah.

Und es ist ein letztes Mal so betörend, wie sie meinen zaghaften Stoß, begleitet von leisem Wimmern, in eine weiche Körperwelle der Leidenschaft überführt, um ihn dann letztlich in ihren schon fast leblosen Brüsten als Verwehung der Liebe ausklingen zu lassen.

Die Kraft auch mir schwindet, schon bin ich nicht mehr in der Lage, mich vom sterbenden Körper dieses liebsten Wesens zu lösen, wenn ich in die verachtenswerte Fresse meiner Angetrauten blicke. Keinen Moment habe ich mit ihrem frevelhaften Mord gerechnet und so ist es, dass ich nicht auch nur einen Gedanken daran verschwendet hätte. War ich zu dumm, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen oder war ich nur zu sehr geblendet von der Aussicht eines nie erfahrenen Glücks? Zu spät, möchte ich meinen, hier und jetzt noch nach Erklärungen zu suchen. Viel mehr soll ich mich so schnell als möglich stellen der Frage nach dem wahren Schuldigen, bevor ich demjenigen gegenübertrete, der alle Wahrheit meiner Gedanken prüfen will.

Kann ich berechtigt Groll hegen gegen meine Ehefrau? Dies ist die Frage, die ich so gern noch beantworten möchte, bevor mein durchstoßenes Herz endgültig schweigt. Sehe ich in ihr Gesicht, jetzt, wo zur Mörderin sie geworden ist, so kenne ich sie nicht. Und doch ist sie noch immer die Frau, die vor wenigen Minuten mit mir plauderte in einer Vertrautheit, die, jahrelang gepflegt, normaler nicht sein konnte. Also muss ich die Möglichkeit einräumen, dass nicht nur sie mich nicht wirklich erfahren hat, bisher und wohl auch nicht mehr in Zukunft, sondern auch ich ihre tiefen Geheimnisse niemals mehr ergründen werde.

So gern zöge ich jetzt mein Glied aus der Frau, die unter mir bereits gestorben ist, aber ich schaffe es nicht. Ich möchte um Hilfe bitten, flehen, dass irgendjemand das Messer aus uns entferne, aber es gelingt mir nicht. Ich vermisse das Geräusch, das mein Herzschlag noch vor wenigen Sekunden in meinen Ohren machte.

Welche Gefühle dieser mir plötzlich Unbekannten habe ich nur so bedingungslos unterschätzt und mich somit durch diesen Fehler zu zweifelsfrei Schuldigem gemacht? Ich benötige die Antwort schnell, denn nicht nur mein Gehör wird immer schwächer, schon vernehme ich nichts mehr außer einem leisen Krachen, sondern auch meine Augen sehen die Umwelt dunkel werden. Sie ist viel zu oberflächlich, um sich tiefgreifende zu einer solchen Entscheidung führende Gedanken zu machen, selbst in dieser Situation. Ihr Ehrgefühl reicht nicht aus, um es wirklich so sehr gekränkt zu sehen, dass sie tötet. Ihre Gier nach Geld kann der Grund nicht sein, denn sie hat es schwarz auf weiß, dass, auch bei unserer Trennung, nur sie gewinnen kann.

Warum also diese Tat? Was kann sie nur so dramatisch verändert haben, dass ich mich so unsagbar täuschen konnte?

„Etwas zu spät, um sich Fragen zu stellen“, drängt sich mir der Gedanke auf und lässt mich lächeln. Meine Dummheit tötete die erste und einzige Frau, die ich jemals geliebt habe und bringt die Frau an meiner Seite in das Verderben. Wie gut, dass ich mit dieser Schuld nicht leben muss.

Der Lehrer

Zwangsjacke

Nun sind es schon fast drei Stunden, drei nicht enden wollende Stunden, in denen das Thema der Rektorennachfolge mehr oder weniger ausgeschwiegen wird. Gäbe es doch nur endlich einen Ansatzpunkt, das Gespräch in diese Richtung zu leiten, das Augenmerk des alten Herren auf meine Verdienste der letzten Jahre um die Institution zu lenken oder seine eigenen Gedanken in Richtung auf seine Pensionierung. Wie leicht könnte es sein, dann die Frage in den Raum zu stellen, geschickt, ohne sie wirklich auszusprechen natürlich, wer denn nach ihm die Leitung der Schule übernehmen solle.

Stattdessen nicht enden wollende Tiraden über sein Segelboot, das er sich gemeinsam mit seiner Frau kürzlich angeschafft hat und welches seit dem Ende der vergangenen Woche im Yachthafen auf seine Jungfernfahrt wartet. Zum wiederholten Mal muss ich mir nun die ausschweifenden Beschreibungen der Kajüte anhören, holzvertäfelt und teilweise mit Messing abgesetzt, starrend auf seine Lippen, die sich bewegen wie im Zeitraffer, stierend in seine leuchtenden, weit aufgerissenen Augen und sehr wohl die Melodie seiner Worte vernehmend, ohne jedoch noch wirklich folgen zu wollen oder zu können.

Das zweite, nicht enden wollende Thema ist seine bevorstehende Reise nach China. Wenn er von diesem Land und seinen Leuten spricht, wirkt er zehn Jahre jünger. Seine Liebe scheint besonders dem chinesischen Theater und den Volksdarbietungen zu gehören – und es interessiert mich einen Scheiß.

Wie gern risse ich mir mein viel zu enges Sakko vom Körper und flegelte mich auf meinen Stuhl, wie ich es nun einmal gewohnt bin, aber daran ist nicht zu denken, nicht heute Abend.

Schon lange habe ich Sodbrennen vom viel zu sauren Wein und ärgere mich maßlos, den Rat, zum Dessert eine Mousse au Chocolat zu nehmen, nicht ausgeschlagen zu haben.

Und ist dies hier dann endlich vorbei, werde ich als Initiator dieses gemeinsamen Abschiedsessens wohl auch noch die Rechnung begleichen müssen, ohne auch nur den kleinsten Vorteil erwirtschaftet zu haben.

Dieser Gedanke beflügelt mich, den Abend nun wenigstens umgehend zu beenden. Ich habe gerade vorgeschlagen, um die Rechnung zu bitten, vernehme ein scheinbar beleidigtes „Na, gut!“ und schaue mich nach dem für uns zuständigen Kellner um, da höre ich Geschirr fallen.

Im Umdrehen, das sich aufgrund der engen Jacke mühsam gestaltet, sehe ich einige Tische weiter eine junge Asiatin, die rücklings am Tisch stehend langsam ihren kurzen, schwarzen Rock hebt. Sie will nicht enden, ihren Rock zu heben. Sie will nicht aufhören, sich zu entblößen, seitlich vor ihr stehend ein Mann, der gefasst zu sein scheint, im Gegensatz zu mir. Ich kann den Blick nicht abwenden und gaffe wie hypnotisiert auf den nun gänzlich nackten Unterleib dieser Frau. Sie ist nackt und der Mann beginnt, sich die Hose zu öffnen.

Um dieses Bild vollständig aufnehmen zu können, muss ich mich noch weiterdrehen und überwinde den Widerstand des Sakkos. Der oberste Knopf der Jacke platzt ab und landet in einer Minestrone am Nachbartisch. Das ist nichts, worum ich mich jetzt auch noch kümmern könnte. Die Geräuschkulisse ändert sich vollkommen und ich ertappe mich dabei, wie ich nach wie vor gebannt glotzend, stierend einen tiefen Seufzer tue.

Davon erschrocken wende ich mich ab und frage kopflos meinen Gesprächspartner, den Herrn Direktor, wer denn gemäß seiner Meinung würdiger Nachfolger für ihn und Anwärter auf die Rektorenstelle sei.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich erröte in diesem Moment, als mir klar wird, was ich gerade getan habe und was hinter meinem Rücken unmittelbar passiert oder ob vielleicht nur mein Herz für einen Moment aufgehört hat zu schlagen. Ich entnehme seinem Gesicht und seiner Reaktion, dass er noch keine blasse Ahnung von den Vorgängen hat, vielleicht verbirgt die blumenumrankte Ziersäule in der Mitte des Gastraumes seine Sicht auf den besagten Tisch, auf dem, deute ich die jetzt vernommenen Geräusche richtig, zwei Menschen begonnen haben miteinander zu kopulieren.

Flucht in die Zukunft

Selbst, wenn ich nichts anderes auf dieser Welt wollte, als mich umzudrehen und dem wahrhaft wahnsinnigen Schauspiel zu folgen, so ist doch nicht der Zeitpunkt für freie Entscheidung, denn das Gesagte ist noch nicht richtig verhallt und entlockt meinem Gegenüber spontan so salbungsvolle Worte wie „Nun, ja!“, „Ich will mal so sagen!“ und „Gewiss, eine berechtigte Frage, oder?“.

Wie kann es sein, dass er das rhythmische Geräusch der beiden Körper oder wenigstens den entsetzten Schrei der Dame vom linken Tisch oder das völlig veränderte Klangbild im Restaurant nicht wahrnimmt?

Unwichtig!

Ich erneuere meine Frage, wer denn aus seiner Sicht der geeignete Nachfolger für ihn sei und versuche mein Verlangen, das unglaubliche Treiben in meinem Rücken erleben zu wollen, zu unterdrücken.

Rechts von mir, in einiger Entfernung, entdecke ich einen Wandspiegel, der mir Sicht auf den nackten, sich wiegenden Hintern des fickenden Mannes gewährt. Es ist also wahr, es passiert wirklich, jetzt und hier, inmitten eines Restaurants, vor allen Gästen, direkt hinter mir.

Den Spiegelblick auf das zuckende Hinterteil riskiere ich nur kurz und fixiere schnell wieder, den Kopf voller tosender Gedanken, die Augen meines Gegenübers, wartend.

Seine Lippen bewegen sich und es scheint mir, als sei er gerade dabei, die richtigen Worte im Inneren seines Mundes formen zu wollen, bevor er sie ausspricht. Auch sein Gesicht zeigt sich mir noch bewegter als zuvor. Er räuspert sich wieder einige Male, korrigiert noch einmal seine Sitzhaltung, etwas aufrechter und gerader im Rücken, um dann endlich zu sprechen:

„Guter Mann“, hebt er an, „der gesamtschulische Bereich hat sich während der letzten Jahrzehnte sehr zum Negativen entwickelt. Da sind auf der einen Seite die Vorgaben aus dem Ministerium, auf der anderen Seite die Schüler, auf der dritten Seite die fehlenden Gelder und zu guter Letzt sind da auch noch die Eltern, die keine Ahnung haben von alledem.“

„Wie, oh Herr, wie soll es mir möglich sein, diesem alten Mann zu folgen, während hinterrücks das Unglaublichste aller Zeiten geschieht?“, bohrt sich mir als ernst gemeinte, aber nicht zu beantwortende Frage in mein Hirn, während ich erwartungsvoll nicke.

Hierdurch augenscheinlich meine Zustimmung für das von ihm gesagte ableitend, fährt er in seinen Ausführungen fort:

„Wie Sie wissen, werde ich sehr wohl gefragt werden, wenn auch nicht vom Minister selbst, so doch zumindest von einem seiner Dezernenten, wen aus meinem Lehrerkollegium ich mir als Nachfolger vorstellen könnte und ich muss Ihnen sagen, nein, ich will Ihnen sagen, die Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht, gerade vor dem Hintergrund der sich ständig verschlechternden Bedingungen insgesamt für ein gesundes Bildungswesen. So habe ich also versucht, die Anforderungen an einen Schulleiter unseres Instituts, das ja auf eine sehr lange und bewegte Tradition zurückblicken kann, für die nächsten Jahre einmal auf Papier zu bringen und als Grundlage für meine Entscheidung zu nutzen.“

Es verzaubert mich wie eine fantastische Musik aus dem Reich der Lust und Sinnlichkeit, während ich der sonoren Stimme des Rektors nur mit erheblichen Schwierigkeiten folgen kann, wie tief einfühlsam diese märchenhafte Asiatin ihr Lied der Erregung in die Menschen singt.

„Da wäre zum Beispiel Frau Meisenhart-Ungersbach“, fährt er fort, unterbrochen von erneutem, leisem Räuspern, „die mit starker Hand durchaus in der Lage wäre, das Kollegium hinter sich zu bringen und langfristig den Respekt der Schüler zurück zu gewinnen.“

Die Frau heißt „Meinhart-Unterbach“, ist eine vertrocknete alte Jungfer und hat nicht den blassesten Schimmer von Pädagogik, der heutigen Jugend, geschweige denn von den Nöten und Ängsten der Eltern.

Allein die Tatsache, dass er sie als mögliche Kandidatin sieht, bestätigt die Vermutung, dass zwischen den beiden etwas läuft oder zumindest einmal gelaufen ist. War es jahrelang verdecktes Thema innerhalb des Kollegiums, wurde es zwar in der letzten Zeit etwas ruhiger um die beiden Turteltauben, aber spätestens jetzt ist doch wieder alles klar.

Allein, dass er, wohl als verschmitztes Täuschungsmanöver, noch immer vorgibt, ihren Namen nicht wirklich zu kennen, muss doch Beweis genug sein.

Er nimmt einen Schluck Wein, wischt sich seinen Mund mit der inzwischen unappetitlich anzusehenden Serviette ab und beginnt, seine Ausführungen fortzuführen, diesmal ohne krächzende Einleitung:

„Allein glaube ich, die Frau ist zu alt und nicht genug flexibel. Kaum kann ich mir vorstellen, wie sie mit dem Dezernenten zu einer Einigung im Rahmen der alljährlichen Budgetgespräche kommen will.“

Während seine Gesichtszüge eingefroren wohl eine Minute schweigend verweilen, muss ich anhören, wie hinter mir die Erregung stärker wird, die Bewegung heftiger und die Geräuschkulisse im Restaurant sich deutlich und kontinuierlich anhebt.

Ich vermute fortgeschrittene Taubheit beim Direktor, kann mich selbst aber einer Gänsehaut nicht erwehren, lasse es geschehen und finde behaglichen Gefallen am Gefühl, das mich durchzieht.

„Dann wäre da noch der Grabner, ein sehr gescheiter Mann, dynamisch, mit guten Ideen“, fährt er fort, „vielleicht bisweilen etwas zu revolutionär, aber durchaus in der Lage, denke ich, die Zukunft unserer Einrichtung zu gestalten.“

Der Name „Grabner“ passt exakt zu diesem Gockel, nicht nur, weil er jedes Oberstufenmädchen schon mindestens einmal an gegraben hat, sondern weil er gleichzeitig eine schwule Zicke ist, die auch vor den schönen Knaben nicht Halt macht. Ich fasse spontan den Entschluss, dass, wenn der sexsüchtige Grabner das Rennen machte, ich den Beruf, aber zumindest die Schule, wechseln würde.

„Leider ist der Grabner einer von denen Männern, die ihr Gehirn zu einem großen Prozentsatz zwischen den Beinen tragen“, ergänzt der Rektor.

Ich fühle das hörend meinen Mund offenstehen und entscheide mich spontan zu einem erneuten Blick in den Wandspiegel. Der Bildausschnitt ermöglicht mir, bei leichter Beugung nach links, einen schnellen Blick auf den wohlgeformten Busen der Frau. Allein der zweite Knopf der verdammten Jacke stellt sich mir in den Weg, das volle Bild genießen zu können. Trotz bereits gewagter Schräglage bin ich entschlossen, den Widerstand auch des zweiten Knopfes zu brechen und höre, mich weiter beugend, den festen Faden, mit dem er am Sakko befestigt ist, reißen. Kurz darauf und zweifellos bedingt durch den fehlenden Halt, den mir der Knopf bis vor Kurzem noch gegeben hat, verliere ich das Gleichgewicht, falle, quasi in Zeitlupe, seitlich vom Stuhl und kann noch während des Fallens erleben, wie sich die hinreißenden Brüste im Rhythmus des knarrenden Tischbeins hin und her wiegen.

Ich erhebe mich wortlos vom Boden und setze mich wieder auf meinen Stuhl.

Ein Schluck vom viel zu sauren Wein muss jetzt sein. Kaum getrunken, sind die Worte des Rektors in Gänze bei mir angekommen und mir drängt sich das Gefühl des Respekts auf. Eine so realistische Einschätzung der Person „Grabner“ habe ich nicht erwartet.

Noch immer versuche ich, den fragenden Blicken des Rektors bezüglich meines Sturzes auszuweichen und versuche zudem krampfhaft, ein lautes Lachen zu vermeiden. Hätte ich ihm etwa erklären sollen, dass da zwei Menschen miteinander Sex haben auf einem der Restauranttische und alle Gäste, außer ihm, gebannt auf das Paar glotzen.

Zurück zum Thema!

Des Rätsels Lösung

Die Jungfer und Grabner sind raus und ich bin so unglaublich gespannt, wie der Rektor fortfahren würde mit seinen Gedanken zum möglichen Nachfolger.

Ich fühle eine Schweißperle an der rechten Schläfe nach unten laufen, drehe den Kopf etwas zur vom Rektor abgewendeten Seite und trockne sie mit meinem Zeigefinger, unbemerkt.

„Und dann!“, ruft er aus, „Guter Mann, sind da ja auch noch Sie!“

Er hat also beschlossen, es mit dem kleinen Missgeschick auf sich beruhen zu lassen. Das ist gut so. Ich versuche in aller Eile sein Gesicht zu deuten. Da muss doch irgendeine erkennbare Regung sein. Sind das etwa leicht nach oben gezogene Mundwinkel oder ist es gar ein Lächeln?

So sitzt er da und genießt seine Position, demonstriert über mindestens eine gefühlte Minute, regungslos, wortlos und wie versteinert, seine Macht, sein Wissen um diesen Abend und sein Wissen um meine Gedanken.

„Wie ist es nur möglich“, höre ich mich in Gedanken fragen, „dass ein Mensch nicht den Anflug eines Gefühls im Gesicht trägt, keine auch nur ansatzweise interpretierbare Regung zeigt, in einem solchen Moment?“

Seine Versteinerung löst er dann endlich mit den Worten auf: “Sie sind nun schon so viele Jahre bei uns und gehören zweifelsohne zu den besten Lehrkräften der Institution …“