Lassiter 2310 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2310 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

In David Osbornes Erinnerung herrschte düsteres Zwielicht zu der Stunde, in der er seine Familie verlor und seine Berufung fand; ein Zwielicht, wie er es später manchmal vor einem Gewitter erlebte. In Wirklichkeit schien damals die Mittagssonne aus einem wolkenlosen Himmel. Ein Lieutenant mit seiner Familie war eine Stunde zuvor in Fort Atkinson ausgestiegen, und sie saßen nur noch zu fünft in der gelben Concord nach Santa Fé: Dave neben seinem kleinen Bruder Ben, und seine große Schwester Lea auf der Bank gegenüber zwischen den Eltern. Der Vater schlief, die Mutter strickte, Lea und Dave starrten einander mit todernsten Mienen an, und Ben redete lauter lustiges Zeug, um sie zum Lachen zu bringen. Wer als Erster lachte, hatte verloren. Dave war am Tag davor sieben Jahre alt geworden - das letzte Geburtstagsfest im Kreis seiner Familie.

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Kutscher

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Txus/Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-3859-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Kutscher

In David Osbornes Erinnerung herrschte düsteres Zwielicht zu der Stunde, in der er seine Familie verlor und seine Berufung fand; ein Zwielicht, wie er es später manchmal vor einem Gewitter erlebte. In Wirklichkeit schien damals die Mittagssonne aus einem wolkenlosen Himmel. Ein Lieutenant mit seiner Familie war eine Stunde zuvor in Fort Atkinson ausgestiegen, und sie saßen nur noch zu fünft in der gelben Concord nach Santa Fé: Dave neben seinem kleinen Bruder Ben, und seine große Schwester Lea auf der Bank gegenüber zwischen den Eltern. Der Vater schlief, die Mutter strickte, Lea und Dave starrten einander mit todernsten Mienen an, und Ben redete lauter lustiges Zeug, um sie zum Lachen zu bringen. Wer als Erster lachte, hatte verloren. Dave war am Tag davor sieben Jahre alt geworden – das letzte Geburtstagsfest im Kreis seiner Familie.

Doch wer hätte das ahnen können?

»Ich bin der stärkste Kerl zwischen dem Mississippi und den Rocky Mountains«, sagte Ben. Weder Lea noch Dave lachten, nur die Mutter sah von ihrem Strickzeug auf und schmunzelte.

»Der liebe Gott hat gefurzt«, sagte Ben. Der Vater riss die Augen auf und verpasste ihm eine Ohrfeige. »So etwas sagt man nicht!« Lea kämpfte mit ihrer Mimik, doch sie siegte. Und wieder lachte niemand.

Ben rieb sich ein paar Mal die Backe und schnitt Grimassen. Weder Lea noch Dave lachten. Die Concord fuhr durch Spurrillen, Pfützen und Steine; sie schaukelte mächtig in den Riemen.

»Dave ist ein Riesenfettarsch«, sagte Ben – und Lea brach in schallendes Gelächter aus.

Daves Vater holte schon wieder aus, doch Dave war schneller und haute seinem Bruder eine runter. Es stimmte zwar, dass er riesengroß und viel zu dick war, doch er hörte es nicht gern. Schon gar nicht von seinem kleinen Bruder.

Ben fing an zu heulen und schlug zurück. In diesem Moment fiel der erste Schuss.

Lea schrie, statt zu lachen, die Mutter warf sich schützend auf den heulenden Ben und der Vater griff nach dem Revolver unter seinem Frack. Glas splitterte zu beiden Seiten der Kutsche, als die Schüsse im Sekundentakt krachten.

Dave hockte starr und wie festgewachsen auf der Kante der Sitzbank. Draußen hörte er den Kutscher die Pferde anbrüllen und den Conductor fluchen. Hinter ihm schlugen Kugeln in den Gepäckschrank ein, und Hufschlag rückte näher und näher.

Seine Schwester packte Dave und riss ihn mit sich in den Fußraum der Kutsche, während ihr Vater aus dem Fenster in die Richtung schoss, aus der sie gekommen waren. Ben umklammerte die Mutter und brüllte immer nur: »Mom! Mom!«

Die Mutter reagierte nicht. Wie erschlafft hing sie über Daves kleinem Bruder, und obwohl ihr Blut auf Bens Gesicht tropfte, begriff Dave nicht, dass seine Mutter tot war.

»Suzanne!«, schrie sein Vater plötzlich und hörte auf zu schießen. »Gütiger Gott, Suzanne!« Er beugte sich über sie. Die Kutsche schaukelte bedrohlich und für einen Moment verdeckten Frackschöße Daves Gesicht.

Dann splitterte wieder Glas. Daves Vater schrie noch lauter, die Peitsche knallte, Geäst scheuerte gegen die Kutschentüre und der Hufschlag klang nun, als würden die Verfolger schon links und rechts neben der Concord reiten.

Der Vater hörte auf zu brüllen – von einem Augenblick auf den anderen. Er kippte in den Fußraum, stürzte auf Dave und seine Schwester.

Dave wühlte sich unter dem Körper seines Vaters heraus. Als er wieder etwas sehen konnte, blickte er in Leas Gesicht – wie aus Weizenteig geknetet sah es aus, schneeweiß. Die Faust um den Anhänger von Mutters Goldkette geschlossen – ein goldenes, mit Diamanten besetztes Kreuz –, starrte seine Schwester ihn an.

Niemals würde er diesen Ausdruck unendlicher Trauer in Leas grünen Augen vergessen.

Draußen peitschten Schüsse, brüllte der Kutscher, galoppierten Reiter neben der Concord her, und auf einmal sah Dave das schwarzbärtige Gesicht des Conductors am rechten Kutschenfenster vorbeifliegen. Einen Wimpernschlag später hörte er den Körper des Mannes an der Außenseite entlang scheuern und auf den Weg prallen.

Lea fing an zu weinen. Erst leise und schluchzend, dann immer lauter, bis sie ihre Panik und ihr Entsetzen schließlich hinausbrüllte. Das war der Augenblick, in dem Dave jede Hoffnung verlor.

Im Fußraum der Kutsche, neben dem Kopf seines toten Vaters, drängte er sich an sie, schloss sie in seine Arme, hielt sie fest, ganz fest.

All die Jahre, wenn er sich zurückerinnerte, oder auch in seinen Albträumen, glaubte er ihr pochendes Herz an seinem zu fühlen. All die Jahre war es in solchen Augenblicken, als würde er den Duft ihres blonden Haars riechen und ihr gellendes Geschrei schmerzlich dicht an seinem Ohr hören.

Plötzlich verstummte der Schusslärm. Kein Geschrei und keine Flüche mischten sich mehr in Hufschlag und Räderlärm. Doch immer noch schrammten Äste an den Kutschenfenstern vorbei. Die Concord schaukelte und schwankte, als wollte sie jeden Moment umstürzen.

Dave begriff: Sie hatten den Kutscher vom Bock geschossen; die Pferde gingen durch und rissen das Gefährt weiß Gott wohin.

Lea schrie und presste sich die Fäuste gegen die Schläfen. Mutters goldenes Diamantenkreuz rutschte über ihre Stirn. Von Ben und den Eltern war nichts zu hören. Auch aus Daves Kehle löste sich kein einziger Ton.

Die Kutsche prallte gegen einen Baum, machte einen Satz, rauschte durch Geäst und Gestrüpp und schrammte mit der linken Seite am nächsten Baum vorbei.

Das Gespann wieherte in Panik, die Concord neigte sich nach rechts, stürzte schließlich um und scheuerte noch zwei Atemzüge lang durch Unterholz und über Geröll.

Dann war es Dave, als würden sie fallen. Die Wucht des Aufpralls riss ihm seine Schwester aus den Armen und drückte den schweren Körper seines Vaters auf ihn. Dann war da nichts mehr, nur noch finsterste Nacht.

Es war dann tatsächlich dunkel, als er wieder zu sich kam. Wind rauschte in den Bäumen, ein Käuzchen schrie, ein Kojote heulte; sonst herrschte vollkommene Stille. Ein schwerer Körper lag auf ihm und wärmte ihn. Und drückte ihm schier die Luft ab.

Dave fragte sich damals, ob er tot war, daran erinnerte er sich später genau. Dass er noch lebte, vermutete er, weil ihm sein Kopf so furchtbar weh tat.

Stundenlang wagte er nicht, sich zu rühren. Die Körper seines kleinen Bruders und seiner Mutter über ihm wurden kalt und er begann zu frieren. Im ersten Morgengrauen tastete er sich durch das zerbrochene Fenster unter sich, berührte Geröll und rissige Erde.

Als es heller wurde, arbeitete er sich zwischen seiner toten Mutter und seinem toten Bruder nach oben und durch die offene rechte Kutschentür nach draußen. Seine Mutter war nackt.

Dave schluckte, stemmte sich aus der Fahrgastzelle, blinzelte nach allen Seiten. Die ersten Strahlen der Morgensonne fielen auf die Leiche seines Vaters. Sie hatten ihn bis auf die Unterhosen ausgezogen.

Dave weinte. Er kletterte aus der umgestürzten Kutsche in das ausgetrocknete Bachbett hinunter und suchte nach seiner Schwester, fand sie aber nirgends.

Weinend kletterte Dave aus dem Bachbett und stolperte durchs Unterholz zum Fahrweg. Dort lag der tote Kutscher. Ein paar hundert Schritte weiter auch der tote Conductor. Beide trugen nur noch ihre Unterwäsche.

Dave machte sich auf den Weg. Damals fragte er sich noch nicht, warum er überlebt hatte. Er marschierte bis zum Einbruch der Dunkelheit in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Bis die Palisaden und Dächer von Fort Atkinson vor ihm auftauchten.

***

Der Mann hieß Jefferson Bentley – General Jefferson Bentley. Er hatte langes weißes Haar, und sein sonnenverbranntes Gesicht sah aus, als hätten sich hundert Jahre im Sattel unter der Sonne von Texas darin eingegraben. Er empfing Lassiter in seinem Hotelzimmer.

Er und seine Krankenschwester. Jedenfalls hielt Lassiter die junge, aschblonde Frau für die Privatschwester des Veteranen.

»Wir haben es nicht nur mit hochgefährlichen Männern zu tun, Mr. Lassiter«, sagte Bentley, »sondern auch mit teuflisch schlauen Männern, wenn Sie wissen, was ich meine …«

»Lassiter, Sir. Einfach nur Lassiter.«

»… die Gunmen dieser Kerle jedenfalls sind teilweise namentlich bekannt. Bitte, Kathy.«

Er gab der aschblonden Frau im Sessel neben seinem Rollstuhl einen Wink. Sie zog ein pralles und großes Kuvert aus ihrer Handtasche und reichte es Lassiter.

Der General fuchtelte mit seinem Armstumpf. »Da steht alles drin, was wir bisher rausgefunden haben.« Er redete, als wäre er seit Jahren persönlich hinter den Banditen hier. Dabei war er sicher über 80 Jahre alt und hockte seit Ende des Bürgerkriegs einbeinig im Rollstuhl. »Auch Spesen und Honorar finden Sie selbstverständlich in diesem Kuvert, Mr. Lassiter.«

»Lassiter, Sir, einfach nur Lassiter.« Der Mann von der Brigade Sieben nahm das Kuvert entgegen, und die Aschblonde schenkte ihm ein Lächeln. »Danke, Ma’am.« Er setzte sein charmantestes Lächeln auf und hielt den Blick ihrer grauen Augen fest. Schöne Frau.

»Zwei ihrer Gunmen kennen wir namentlich, wie gesagt«, erklärte der alte General Bentley, Mittelsmann der Brigade Sieben hier unten in Houston. »Wir könnten sie beim nächsten Überfall schnappen, wenn wir wollten, doch wir wollen nicht. Die Köpfe der beiden Banden sind uns wichtiger als diese verfluchten kleinen Killer.«

»Zwei Banden, Sir?« Lassiter hakte lieber noch einmal nach.

»Von den beiden Bandenbossen wissen wir so gut wie nichts.« Bentley zog eine Zigarre aus der Brustasche und biss die Spitze ab. »Wir haben einen Verdacht, einen vagen.« Er wandte sich der Aschblonden zu. »Das ist auch schon alles.«

Kathy beugte sich über den Tisch und griff nach den Schwefelhölzern. Wie zufällig berührte ihr Fuß unter dem Tisch Lassiters Wade. Sie riss ein Zündholz an und gab dem Einarmigen Feuer.

»Verzeihen Sie, Sir.« Lassiter nahm den nächsten Anlauf. »Wir haben es mit zwei Banden von Zugräubern zu tun?«

»Ganz genau, Mr. Lassiter.« Kathy und Lassiter lächelten einander an. Bentley beobachtete seinen aufsteigenden Rauchring und merkte es nicht. »Zwei Banden von Zugräubern und Postkutschenräubern. Seit wir die bewaffneten Eskorten von Waffen und Goldtransporte auf den Gleisen verdoppelt haben, spezialisieren sie sich mehr und mehr auf Fuhrwerke der Army und auf Postkutschen.«

Ständig sagte er »wir«. Als würde er immer noch in der Kommandantur des Hauptquartiers der US-Kavallerie sitzen.

»Sie sprachen von einem Verdacht, Sir.«

»Richtig, Mr. Lassiter. Von einem vagen Verdacht. Der richtet sich gegen einen gewissen Amoz Vanhouten aus Pueblo. Wir glauben, dass er amerikanische Waffen schmuggelt und an die Indianer verkauft. Außerdem ist er scharf auf Land.«

»Und das heißt, Sir?«

»Wir glauben, dass er Rancher, Farmer und Mienenbesitzer zum Verkauf zwingt, um an Land zu kommen. Und zwar bevorzugt an Land, von dem er glaubt, dass es die Union Pacific Railroad irgendwann kaufen wird, um ihre Gleistrassen darauf zu bauen. Und das bringt dann richtig Geld, wie Sie vielleicht wissen, Mr. Lassiter.«

»Lassiter, einfach nur Lassiter.«

»Hole uns doch mal bitte Gläser und meinen Lieblingstropfen, Kathy.« Bentley wandte sich an die hübsche Krankenschwester. »Sei so gut. Wir haben Mr. Lassiter schon viel zu lange auf dem Trockenen sitzen lassen.«

Sie stand auf und ging zur Tür. Herrlich, wie sie ihren süßen Popo wiegte. An der offenen Tür blieb sie stehen, drehte sich um und blickte lächelnd zu Lassiter zurück.

»Wo war ich stehen geblieben?« Bentley schnippte die Asche in einen Zinnaschenbecher.

»Sie wollten mir gerade erklären, warum dieser Vanhouten noch frei herumläuft, obwohl ein konkreter Verdacht gegen ihn besteht, Sir.«

»Ein vager Verdacht, Mr. Lassiter, ein vager.« Kathy kam mit drei Gläsern und einer Flasche Whisky zurück. »Ein US-Marshal war ihm auf der Spur. Der wurde in Pueblo erschossen. Sein Mörder starb in der anschließenden Schießerei mit dem Townmarshal und seinen Assistenten.«

»Und eine Verbindung zwischen Vanhouten und dem Killer war nicht nachzuweisen?«, fragte Lassiter. Bentley schüttelte den Kopf und bedeutete seiner Krankenschwester einzuschenken. »Und der zweite Bandenboss?«

»Wissen wir nicht, sage ich doch.« Der General nahm ein Glas und hob es hoch. »Diesen Tropfen werden Sie so schnell nicht vergessen, Mr. Lassiter.«

Kathy reichte Lassiter sein Glas; ihre Hände berührten sich, und im gleichen Moment trat ein Glanz in ihre Augen, der Lassiter verriet, dass er diese Nacht nicht allein verbringen würde.

Der Whisky stand ungewohnt dunkel und ölig im Glas. Sie stießen an und tranken. Er schmeckte nach einer Mischung aus Torf, Rauch und einer Frucht, für die Lassiter kein Name einfallen wollte.

»Na, Mr. Lassiter? Was sagen Sie?«

»Ein herber Tropfen«, sagte Lassiter, »selten gut.«

»Und selten teuer. Lagavulin. Vierzehn Jahre alt. Wird auf einer Insel im Norden Schottlands destilliert. Meine Vorfahren stammen von dort.« Er griff nach seiner Zigarre. »Wir vermuten den zweiten Mann in Kreisen von Landspekulanten, doch davon gibt’s viele, wie Sie wissen, Mr. Lassiter.«

»Also noch einer, der sich billiges Land unter den Nagel reißt, um es teuer an die Union Pacific Railroad zu verkaufen.«

»Richtig, Mr. Lassiter.« Die Zigarre war ausgegangen, und Kathy riss das nächste Zündholz an. »Sehr wahrscheinlich noch einer von dieser üblen Sorte.«

»Mein Auftrag lautet also: Beweise gegen Vanhouten sammeln und die Identität des großen Unbekannten klären.«

»Richtig, Mr. Lassiter, oder: fast richtig. Ich möchte Ihren Auftrag noch ein wenig weiter fassen.«

»Ich bin gespannt, Sir.«

»Machen Sie sich ein genaues Bild von der Postkutschenstrecke zwischen Fort Atkinson und San Francisco. Fahren sie die Strecke ab, reiten Sie die Strecke ab, suchen Sie Stellen, die einen Überfall begünstigen könnten.«

»Warum das, Sir?« Lassiter runzelte die Stirn.

»Weil sich auf dieser Strecke in ziemlich genau drei Monaten ein Überfall ereignen wird.«

Der alte Haudegen schien es zu genießen, Lassiter auf die Folter zu spannen. Das nervte den Mann von der Brigade Sieben allmählich. Doch er sagte nichts, lehnte sich nur ebenfalls zurück und nippte an seinem Edeltropfen.

»Sie fragen gar nicht, woher wir das wissen, Mr. Lassiter?« Der Alte belauerte ihn.

»Lassiter genießt Ihren Whisky, General.« Kathy ergriff plötzlich das Wort. »Und vertraut darauf, dass Sie ihm gleich alles sagen werden, was er wissen muss.« Lassiter schaute dankbar zu ihr hinüber.

»Wassis?« Bentley runzelte die weißen Brauen, schien nicht wirklich zu verstehen. »Egal. Jedenfalls werden wir eine Schwäche der Bandenbosse ausnutzen – beide scheinen nämlich einen heißen Draht zur Führungsspitze der Wells, Fargo & Company zu unterhalten.«

Lassiter fragte sich, ob das nicht eher eine Stärke der Banditen war. Er fragte aber nicht nach, sah den Alten nur abwartend an und nippte an seinem Whisky. Hin und wieder, wenn Bentley mit seinen Rauchringen beschäftigt war, tauschte er Blicke mit der Aschblonden aus.

»›Eigentlich eine Stärke‹, werden Sie jetzt denken, nicht wahr, Mr. Lassiter?« Der alte Haudegen lachte laut. »Doch nun kommen wir und werden in etwa drei Monaten ein wichtiges Dokument mit der Kutsche von Kansas City über Santa Fé und El Paso nach San Francisco transportieren. Einen Satz Karten nämlich, auf dem die Vermessungsingenieure der Union Pacific sorgfältig verzeichnet haben, durch welche Gebiete die geplante Eisenbahntrasse von Texas nach Kalifornien führen wird.«

Mit »wir« schien der General die Brigade Sieben zu meinen. Lassiter ahnte schon, was »sie« als Nächstes geplant hatten.

»Und selbstverständlich werden wir dafür sorgen, dass der Transport dieser Dokumente sich bei der Wells, Fargo & Company herumspricht – und schon wird die Stärke der Bandenbosse zu einer entscheidenden Schwäche …«

»Über ihren heißen Draht werden sie von dem Transport erfahren.« Lassiter riss der Geduldsfaden. »Sie werden beide versuchen, an das Dokument zu kommen, um sich das entsprechende Land möglichst frühzeitig und möglichst billig unter den Nagel reißen zu können.«

»Richtig«, sagte Bentley ein wenig kleinlaut. Er wirkte enttäuscht. »Also, Mr. Lassiter – studieren Sie die Strecke und schauen Sie, dass Sie auf dem Plan sind, wenn es in drei Monaten soweit sein wird.« Mit strengem Blick beäugte er ihn. »Und vergessen Sie nicht: Wir brauchen Beweise.«

»Selbstverständlich, Sir.«

»Und du, Kathy, zeige Mr. Lassiter bitte das Zimmer, das wir für ihn gebucht haben. »Ich ruhe mich derweil ein wenig aus, bin müde.« Er verabschiedete den Mann von der Brigade Sieben.

Seine Krankenschwester führte ihn ein paar Zimmer weiter. »Wissen Sie schon, wie Sie den Abend verbringen werden?«, fragte Lassiter, während sie die Tür zu seinem Hotelzimmer aufschloss.

»Ja«, sagte Kathy und zog ihn herein. »Seitdem ich dir in die Augen geschaut habe.« Mit dem Rücken drückte sie die Zimmertür zu. »Allein«, sagte sie. »Mit dir allein. Komm schon.«

Lassiter zog sie an sich und küsste sie.

***

Die Natchez ging mit neun Stunden Verspätung in Saint-Louis vor Anker. Es war heiß und Josephines Magen knurrte. Und ihr Herz klopfte. Würde er warten? Würde er überhaupt zum Kai gekommen sein? Sie hoffte es inbrünstig.

Ja, Josephine Pershing hoffte es inbrünstig – sie hatte ja keine Ahnung, wie glücklich sie hätte werden können, wenn er nicht gewartet hätte.

Unter vielen winkenden und irgendwelche Namen brüllenden Menschen stand sie an der Reling des großen Schaufelraddampfers. Hunderte Gesichter winkender, wartender und Namen rufender Menschen am Mississippi-Ufer glitten an ihr vorüber.

Josephine Pershing aus Philadelphia war schwarzhaarig, schlank und 23 Jahre alt. Die letzten fünf Jahre hatte sie als Goldschmiedin gearbeitet. Es war ihre erste Fahrt auf einem Mississippi-Dampfer gewesen.

Endlich flogen Taue von Bord. Männer am Kai fingen sie, befestigten sie an eisernen Pfosten. Matrosen schoben die Landungsbrücke auf den Anlegesteg. Die ganze Zeit suchten Josephines Blicke nach einem einzigen Gesicht in der Menge der dort Wartenden – nach seinem Gesicht.

Wie im Traum fühlte es sich an, den Landungssteg zu betreten. Hatte sie es wirklich gewagt? War sie vier Tage zuvor wirklich an Bord der Natchez