Lassiter Sammelband 1788 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1788 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2245, 2246 und 2247.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

2245: Chacos Vermächtnis

Es war heller Tag, als Lisa Taylor das Fuhrwerk vor dem Leichenhaus in Walton Bluff zum Stehen brachte. Während sie noch einen Moment auf dem Kutschbock sitzen blieb, klopfte ihr das Herz wild in der Brust. Nach einer Weile gab Lisa sich einen Ruck und sprang vom Wagen. Das Zugpferd warf den Kopf hoch und schnaubte. Lisa kraulte dem Wallach die Ohren. "Keine Angst, Kit, ich komme gleich wieder."

Steifbeinig überquerte sie die Straße. An der Tür des Leichenhauses prangte ein blinkendes Messingschild: Stiller & McRudge, Bestatter. Lisa hob schnuppernd den Kopf. Der penetrante Geruch nach Karbol stieg ihr in die Nase. Sie schloss die Augen und murmelte ein kurzes Gebet. Dann drückte sie die Tür auf. Ein Mann kam in Sicht.

"Ich will meinen Bruder sehen", sagte Lisa.

2246: Feuriges Finale in Five Points

Lassiter wusste, dass er zu spät kam, als er das geborstene Holz rund um den Knauf sah.

Irgendjemand hatte die Tür eingetreten. Ein leichter Stoß mit der flachen Hand genügte - schon schwang sie auf.

Das vor ihm liegende Zimmer versank fast vollständig in Dunkelheit, nur unterhalb des Fensters zeichnete sich ein scharf umrissener Lichthof ab. Genau dort, wo Trevor Sullivan gegen das Unvermeidliche ankämpfte. Ein feuchtes, halb ersticktes Röcheln drang über die Lippen des Sterbenden, dessen Hände sich in eine Bauchwunde krallten, um deren Blutung zu stoppen. Einfallendes Mondlicht ließ das schweißüberströmte Gesicht wächsern schimmern.

"Vorsicht, Lassiter!" Trotz des hohen Blutverlustes formten Sullivans Lippen einige mühsame Worte.

"Er ist noch hier!"

2247: Die Töchter der Hölle

Tom Shepard war hingerissen von den Hell's Daughters. Die Mädchenkapelle bestand aus vier Mitgliedern: der beiden rotblonden Stanford-Schwestern Elsa und Sandy, der strohblonden Maureen Bradshaw und der glutäugigen Schönheit Camille Roberts, Shepards heimlicher Favoritin. Zu dem Hausmusikabend auf der Festwiese von Wells Breck traten die vier Musikantinnen in Unterwäsche auf.

Beim Anblick der vier leichtbekleideten Girls erwärmte sich Shepards Herz. Es war ein milder Abend Ende Mai. Das Konzert hatte noch nicht angefangen. Vor dem Wagen, der als Bühne diente, hatten sich gut hundert Menschen eingefunden. Der Platz war mit bunten Laternen und Girlanden geschmückt. Geschäftstüchtige Händler verkauften Bier aus dem Fass und Whiskey in Emaillebechern.

Alle freuten sich auf einen schönen Abend. Doch es kam anders.

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Seitenzahl: 382

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotive: Boada/Norma ISBN 978-3-7325-6224-4

Jack Slade

Lassiter Sammelband 1788 - Western

Inhalt

Jack SladeLassiter - Folge 2245Es war heller Tag, als Lisa Taylor das Fuhrwerk vor dem Leichenhaus in Walton Bluff zum Stehen brachte. Während sie noch einen Moment auf dem Kutschbock sitzen blieb, klopfte ihr das Herz wild in der Brust. Nach einer Weile gab Lisa sich einen Ruck und sprang vom Wagen. Das Zugpferd warf den Kopf hoch und schnaubte. Lisa kraulte dem Wallach die Ohren. "Keine Angst, Kit, ich komme gleich wieder." Steifbeinig überquerte sie die Straße. An der Tür des Leichenhauses prangte ein blinkendes Messingschild: Stiller & McRudge, Bestatter. Lisa hob schnuppernd den Kopf. Der penetrante Geruch nach Karbol stieg ihr in die Nase. Sie schloss die Augen und murmelte ein kurzes Gebet. Dann drückte sie die Tür auf. Ein Mann kam in Sicht. "Ich will meinen Bruder sehen", sagte Lisa.Jetzt lesen
Lassiter - Folge 2246Lassiter wusste, dass er zu spät kam, als er das geborstene Holz rund um den Knauf sah. Irgendjemand hatte die Tür eingetreten. Ein leichter Stoß mit der flachen Hand genügte - schon schwang sie auf. Das vor ihm liegende Zimmer versank fast vollständig in Dunkelheit, nur unterhalb des Fensters zeichnete sich ein scharf umrissener Lichthof ab. Genau dort, wo Trevor Sullivan gegen das Unvermeidliche ankämpfte. Ein feuchtes, halb ersticktes Röcheln drang über die Lippen des Sterbenden, dessen Hände sich in eine Bauchwunde krallten, um deren Blutung zu stoppen. Einfallendes Mondlicht ließ das schweißüberströmte Gesicht wächsern schimmern. "Vorsicht, Lassiter!" Trotz des hohen Blutverlustes formten Sullivans Lippen einige mühsame Worte. "Er ist noch hier!"Jetzt lesen
Lassiter - Folge 2247Tom Shepard war hingerissen von den Hell's Daughters. Die Mädchenkapelle bestand aus vier Mitgliedern: der beiden rotblonden Stanford-Schwestern Elsa und Sandy, der strohblonden Maureen Bradshaw und der glutäugigen Schönheit Camille Roberts, Shepards heimlicher Favoritin. Zu dem Hausmusikabend auf der Festwiese von Wells Breck traten die vier Musikantinnen in Unterwäsche auf. Beim Anblick der vier leichtbekleideten Girls erwärmte sich Shepards Herz. Es war ein milder Abend Ende Mai. Das Konzert hatte noch nicht angefangen. Vor dem Wagen, der als Bühne diente, hatten sich gut hundert Menschen eingefunden. Der Platz war mit bunten Laternen und Girlanden geschmückt. Geschäftstüchtige Händler verkauften Bier aus dem Fass und Whiskey in Emaillebechern. Alle freuten sich auf einen schönen Abend. Doch es kam anders.Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Chacos Vermächtnis

Vorschau

Chacos Vermächtnis

Es war heller Tag, als Lisa Taylor das Fuhrwerk vor dem Leichenhaus in Walton Bluff zum Stehen brachte. Während sie noch einen Moment auf dem Kutschbock sitzen blieb, klopfte ihr das Herz wild in der Brust. Nach einer Weile gab Lisa sich einen Ruck und sprang vom Wagen. Das Zugpferd warf den Kopf hoch und schnaubte. Lisa kraulte dem Wallach die Ohren. »Keine Angst, Kit, ich komme gleich wieder.«

Steifbeinig überquerte sie die Straße. An der Tür des Leichenhauses prangte ein blinkendes Messingschild: Stiller & McRudge, Bestatter. Lisa hob schnuppernd den Kopf. Der penetrante Geruch nach Karbol stieg ihr in die Nase. Sie schloss die Augen und murmelte ein kurzes Gebet. Dann drückte sie die Tür auf. Ein Mann kam in Sicht.

»Ich will meinen Bruder sehen«, sagte Lisa.

Der Mann sah sie an. »Ihr Bruder? Wie ist sein Name, Miss?«

»Charles Taylor, aber alle sagten Chaco zu ihm.« Lisa merkte, dass ihr die Knie zitterten. Es war das erste Mal, dass sie ein Beerdigungsinstitut betrat. »Ich bin seine Schwester Lisa«, fügte sie hinzu.

»Ich heiße John Stiller«, versetzte der Bestatter. Er musterte die junge Frau. Lisa trug grobe Cottonhosen, eine gestreifte Hemdbluse und eine Weste aus Rohleder. Blonde Locken lugten unter der Krempe ihres Stetson-Huts hervor. Stiller schätzte das Mädchen auf knapp zwanzig Jahre. Obwohl es Männerkleidung trug, gehörte es genau zu dem Typ Frauen, nach denen er sich in seinen einsamen Männerträumen sehnte. Nachdem er sich erkundigt hatte, ob Lisa eine gute Reise gehabt hatte, führte er sie durch die Verbindungstür ins Leichenabteil.

Der Raum befand sich im rückwärtigen Teil der Baracke. Er war rechteckig und besaß keine Fenster. Für Licht sorgten zwei Öllampen, die an den Querbalken unter der niedrigen Decke hingen. Rechter Hand standen ein halbes Dutzend Pritschen, auf denen flache Strohsäcke lagen. Auf der hintersten Liege erkannte Lisa einen länglichen Körper. Das Laken, das ihn bedeckte, war mit dunklen Flecken gesprenkelt.

»Chaco?«, flüsterte sie.

Stiller stellte sich an das Kopfende der Liege. Er zog ein kummervolles Gesicht. »Sie müssen jetzt sehr stark sein, Miss.«

Lisa nahm den Hut ab. Ohne ein Wort starrte sie auf das fleckige Tuch. Hundert Meilen war sie gefahren, um dem toten Bruder die letzte Ehre zu erweisen. Chaco war Cowboy und Wrangler auf einer Ranch unweit von Walton Bluff gewesen. Es hieß, bei einem Umtrunk hätte er mit einem Revolver gespielt und sich dabei versehentlich eine tödliche Verletzung beigebracht.

Lisa seufzte schwer. Schon als kleiner Junge war Chaco ein Wildfang gewesen. Dauernd passierte ihm irgendein Missgeschick. Er war mehrmals von Bäumen gefallen, wäre einmal fast im Fluss ertrunken, war zweimal unter die Räder der Postkutsche gekommen und hatte sogar einmal eine verirrte Kugel in den Allerwertesten bekommen, als fliehende Bankräuber wild um sich ballerten.

Nun hatte ihn eine Ungeschicklichkeit das Leben gekostet. Der vom Pech verfolgte Bruder war nur sechsundzwanzig Jahre alt geworden.

Lisa war den Tränen nahe. Am liebsten hätte sie laut losgeheult. Doch sie riss sich zusammen. »Das Tuch, Mr. Stiller«, flüsterte sie, »nehmen Sie es hoch. Ich möchte sein Gesicht sehen.«

Der Mann im dunklen Anzug zögerte.

»Bitte, Mr. Stiller«, drängte sie.

»Okay, wie Sie wünschen.«

Lisa krallte die Zehen in ihre Schuhe und hielt die Luft an.

Der Bestatter beugte sich vor. Er ergriff das Laken an den oberen zwei Zipfeln. Dabei sah er Lisa noch einmal an, als wolle er sich vergewissern, dass sie dem Toten wirklich ins Gesicht sehen wollte.

Lisa nickte mehrmals.

Ohne ein Wort schlug Stiller das Tuch um.

Lisa bekam einen höllischen Schreck. Chaco glotzte sie starräugig an. Sein Kiefer klaffte weit auf, sein Mund formte einen ovalen Kreis. Der Geruch, der von seiner Leiche ausging, nahm Lisa fast den Atem.

Rasch hob sie ihr Halstuch an die Lippen.

Stiller deckte das Gesicht wieder ab. »Ich denke, das reicht«, sagte er. »Der Anblick toter Angehöriger ist nicht jedermanns Sache. Kommen Sie, Miss Lisa. Die Formalitäten klären wir besser draußen. Auf dem Hinterhof gibt es eine Terrasse mit Sitzecke. Dort können wir ungestört reden. Kann ich Ihnen eine Erfrischung reichen?«

Das Angebot des Bestatters verwirrte Lisa. Eine Erfrischung? »Ähm … nun ja. Vielleicht später.«

»Später?«

»Ich würde gern noch etwas hier bleiben.«

Stiller trat von einem Bein aufs andere. »Tatsächlich? Trotz der schlechten Luft?«

»Ja. Könnte ich bitte einen Stuhl haben?«

»Sind Sie sicher, dass …?«

»Bitte, Sir.« Lisa sah ihn groß an. »Ich bestehe darauf.«

»Ja, schon gut. Natürlich.« Es war Stiller anzusehen, dass ihm die Sache nicht recht war. Er brachte Lisa einen niedrigen Hocker, den er neben das Totenbett stellte.

»Danke.« Lisa setzte sich, legte ihren Hut auf den Schoß und strich mit gespreizten Fingern ihr Blondhaar zurück.

Stiller stand da und gab keinen Mucks von sich.

»Bitte, Sir, ich möchte allein sein.«

»Wenn ich Ihnen einen Rat geben dürfte …«

Lisa schnitt ihm das Wort ab. »Später, Mr. Stiller. Jetzt möchte ich mich von Chaco verabschieden. Ganz persönlich, Sie verstehen?«

Der Mann lächelte dünn. »Natürlich. Wenn Sie mich suchen: Ich bin draußen bei der Scheune. Gleich hinter dem Vorderhaus. Also, bis dann.«

»Ja, bis gleich.«

Auf leisen Sohlen entfernte sich der Bestatter.

Lisa blieb mit den sterblichen Überresten ihres Bruders allein. Nachdem Stillers Schritte verhallt waren, umgab sie Totenstille. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen gehört. Feierlich faltete Lisa die Hände und sprach ein leises Vaterunser.

In ihrer Erinnerung zog ein Reigen lebhafter Bilder entlang: Chaco, der sie als kleines Mädchen auf ein Pony hob. Chaco, der ihr im Silver Lake geduldig das Schwimmen beibrachte. Chaco auf der Jagd nach Eselhasen, nach Indianerart mit einem selbst gefertigten Bogen bewaffnet. Chaco als junger Mann, als er hinter einem Mesquitestrauch die rothaarige Mabel Travers küsste. Chaco als junger Cowboy, im Sattel auf einem staubbedeckten Quarterhorse. Chaco, wie er mit seinem nagelneuen Navy Colt auf Flaschen schoss.

Lisa stutzte. Auf einmal kamen ihr Zweifel. Eigentlich war ihr Bruder ein sehr guter Shooter gewesen. Mit Colt oder Winchester machte ihm so schnell keiner etwas vor. Schon seit Kindesbeinen war er mit der Handhabung von Waffen vertraut. Sogar mit einer alten Hawken-Rifle konnte er umgehen.

Seltsam. Eine dunkle Ahnung überkam Lisa. Man hatte ihr geschrieben, Chaco sei durch eigene Unvorsichtigkeit ums Leben gekommen. Dabei war er ein Experte im Umgang mit Waffen.

Lange blickte Lisa auf das befleckte Leinentuch. Trotz des unsteten Lichts zeichneten sich die Umrisse des Leichnams gut sichtbar darauf ab.

Lisa stand auf. Sie wollte einen Blick auf Chacos tödliche Verletzung werfen. Von draußen drang die Stimme von Mr. Stiller an ihr Ohr. Der Bestatter gab jemand den Befehl zum Anspannen. Hufschläge klapperten. Ein Pferd wieherte. Lisa drückte sich den Hut auf den Kopf. Dabei rutschte ihr das Halstuch vom Mund. Sie achtete nicht darauf. Sie hatte sich an den Verwesungsgeruch gewöhnt. Stück für Stück zog sie das Laken vom Gesicht des Leichnams.

Chacos verzerrte Miene ließ ihr Herz schneller schlagen. Wie er sie anstarrte! Als wolle er ihr etwas mitteilen. Lisa zauderte, aber nur ganz kurz, dann zog sie das Laken bis zum Bauch des Toten hinab.

Verblüfft betrachtete sie den unversehrten Körper. So sehr sie auch suchte, im Brust- und Bauchbereich war keine Schusswunde zu entdecken. Chacos Hemd wies nicht das winzigste Loch auf.

Lisa runzelte die Stirn. Merkwürdig. Hatte sich Chaco in den Unterleib geschossen?

Langsam zog sie das Laken tiefer. Doch auch die untere Körperregion wies keine Verletzung auf. Die grobe Cottonhose war zwar geflickt, ansonsten aber unversehrt.

Lisas Puls hämmerte. Mit einem Ruck riss sie das Tuch von der Leiche. Auf der Kleidung des Toten waren nur einige Flecke zu erkennen. Eingetrocknete Blutspritzer. Von der Schusswunde keine Spur.

Was zum Henker hat das zu bedeuten?

Die Gedanken kugelten wie Felsbrocken bei einer Steinlawine durch Lisas Schädel. Sie spürte, dass etwas in der Luft lag. Etwas furchtbar Schlimmes. Vor Anspannung spreizte sie die Finger. Es raschelte, als ihr das Leichentuch aus der Hand fiel.

Ich brauche Gewissheit.

Wild entschlossen drehte Lisa den Leichnam auf die Seite. Das Knarren des Bettgestells klang wie ein Kanonenschuss in ihren Ohren.

Jetzt, endlich, sah sie das Einschussloch – es klaffte fast mittig zwischen Chacos Schulterblättern!

»Mein Gott!«

Die Erkenntnis traf Lisa wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Jemand hatte ihrem Bruder in den Rücken geschossen. Das tödliche Projektil war in seinem Leib steckengeblieben. Eine Unvorsichtigkeit, weil er mit der Waffe gespielt hatte? Lächerlich! Nie im Leben war das ein Unfall gewesen.

Es gab nur eine einzige Erklärung: Mord!

Lisa ließ sich fassungslos auf den Hocker fallen. Sie war wie vom Donner gerührt. Wie gebannt starrte sie auf das rußgeschwärzte Einschussloch. Kein Zweifel, ihr Bruder Chaco war hinterhältig ermordet worden!

»Was in Gottes Namen geht hier vor?«, murmelte sie.

Draußen auf dem Hof klapperten Hufschläge. Jemand knallte mit der Peitsche. Eine rauhalsige Stimme brüllte einen Fluch. Im nächsten Augenblick schepperten Wagenräder über den harten Boden.

Lisa presste sich die Hände auf die Ohren. Im Nu füllten sich ihre Augen mit Tränen. Um ein Haar hätte sie laut aufgeschrien, doch im letzten Moment riss sie sich zusammen.

Was nun?

***

Lassiter hatte schlechte Laune. Die kesse Margie Mondale hatte ihm die kalte Schulter gezeigt.

Das bildhübsche Ladenmädchen mit der traumhaften Figur tat so, als wenn sie nicht das geringste Gefühl für ihn empfand. Jedes Mal, wenn er sich mit ihr verabreden wollte, gab sie ihm einen Korb.

Die Gründe für die Abweisungen waren aus der Luft gegriffen. Lassiter glaubte Margie kein Wort. Einmal musste sie ihre an Gicht erkrankte Tante Victoria pflegen, ein andermal musste sie nach Dienstschluss in Pollmer’s Drugstore Ware auspacken, dann wiederum musste sie einer Freundin Beistand leisten, die sich unglücklich in den Kommandanten des nahe gelegenen Fort Rigg verliebt hatte. Vorgestern schützte Margie starke Kopfschmerzen vor, und gestern musste sie wieder zu dieser liebeskranken Freundin, die als Wirtschafterin auf einer Ranch arbeitete. Unentwegt erfand Margie neue Vorwände, um sich Lassiter vom Leibe zu halten.

Die ständige Erfolglosigkeit nagte an Lassiters Ehre als Frauenfreund und Verführer. Margie führte ihn an der Nase herum. Offensichtlich bereitete ihr das Spielchen großes Vergnügen.

Dass sie ihn mochte, daran bestand für Lassiter kein Zweifel. Schon bei der ersten Begegnung hatte er bemerkt, wie ihre Augen gefunkelt hatten, als er an den Ladentisch trat.

Jetzt marschierte Lassiter über den Sidewalk die Mainstreet entlang. Er war auf dem Weg zu Pollmer’s Drugstore. In seinem Kopf geisterte der Plan herum, den er am Vorabend ausgeheckt hatte. Um die Festung Margie Mondale zu erobern, musste er seine Taktik ändern.

Genau damit würde er heute anfangen.

Schon kam der Drugstore in Sicht. Das Gebäude befand sich in einem langen Häuserblock, zu dem auch eine Apotheke, ein Schmuckgeschäft und ein Metzgerladen gehörten. An dem Haltegeländer vor dem Block standen zwei gesattelte Pferde: ein Grauschimmel und ein Falbe. Beide dösten mit hängenden Köpfen vor sich hin.

Das Türglöckchen klingelte, als Lassiter in den Laden trat. Margie trug eine rot geblümte Schürze und ein maisgelbes Häubchen im Haar. Sie war gerade dabei, einen Kunden zu bedienen. Die Registrierkasse rasselte, als sie einige Tasten drückte. Mit einem Klingelton sprang die Geldschublade hervor. Margie zählte einige, kleine Münzen auf den Zahlteller. Der Kunde, ein Frisör namens Pepperson, fegte das Wechselgeld in seine hohle Hand und stopfte es sich achtlos in die Hosentasche.

Lassiter stellte sich hinter ihn.

Plötzlich hob Pepperson seinen Zeigefinger. »Ehe ich’s vergesse, Miss Margie. Zufällig ist mir ein neuer Doc-Weston-Witz zu Ohren gekommen. Ein Handelsvertreter aus St. Louis hat ihn mir erzählt. Wahnsinnig lustig, der Joke. Möchten Sie ihn hören?«

Margie bekam rote Wangen. Doc-Weston-Witze galten als ziemlich frivol. Verlegen blickte sie von einem Mann zum anderen. »Na ja,«, druckste sie, »wenn er nicht allzu lang ist.«

»Nein.« Pepperson rieb sich die Wange. »Lang ist er nicht«, sagte er und grinste anzüglich.

Maggie errötete leicht. »Na meinetwegen, erzählen Sie ihn ruhig«, sagte sie matt.

Der Frisör war ein Schwarzschopf mit einem braun gebrannten Gesicht und dunklen Haselnussaugen. Sein dünner Schnurrbart sah aus wie angeklebt. »Passen Sie auf«, sagte Pepperson und strich sich genüsslich über das pomadige Haar. »Doc Weston untersucht eine Patientin, eine lange Latte, die sechs Fuß groß ist. Er erkundigt sich, wie sie verhütet. ›Mit einer leeren Kiste‹, sagt sie. Doc Weston ist baff. ›Wie soll denn das funktionieren?‹, fragt er. ›Ganz einfach‹, versetzt die Frau. ›Mein Mann ist einen Kopf kleiner als ich. Wenn wir es tun, stellt er sich auf eine leere Munitionskiste und genau in dem Moment, in dem er glasige Augen bekommt, gebe ich der Kiste einen Tritt.‹« Pepperson lachte, dass ihm die Tränen über die Wangen kullerten.

Lassiter schüttelte den Kopf. Das war nun wirklich kein Witz für ein junges Mädchen. Solche Zoten gehörten in einen Saloon, der mit Männern gefüllt war.

Margie schlug beschämt die Augen nieder.

Der Frisör schnappte seinen Einkaufssack und warf ihn über die Schulter. »So long, Leute!« Er tippte sich an den Hutrand und ging.

Margie fummelte an ihrer Haube, als sie den Blick hob. »Was kann ich für Sie tun, Sir?«

Allein der Klang ihrer Stimme sorgte für ein Prickeln auf Lassiters Haut. Er war drauf und dran, die hübsche Verkäuferin an sich zu reißen, um sie nach Herzenslust zu küssen. Doch er rang seine Gelüste nieder und gab sich wehmütig. »Eigentlich bin ich nicht gekommen, um etwas zu kaufen, Miss Margie.« Er machte eine Kunstpause. »Ich bin hier, um mich bei Ihnen zu verabschieden.«

Sie machte große Augen. »Verabschieden? Heißt das, Sie verlassen Walton Bluff?«

»Schon morgen früh«, schwindelte er.

»Oh.« Sie ringelte eine herabfallende Locke um ihren Finger. »Ich dachte, Sie sind noch den ganzen Monat in der Stadt.«

»Dachte ich auch.« Er zog eine Leidensmiene. »Aber die Firma, für die ich arbeitete, braucht mich woanders.«

Margie griff nach einem Lappen und wischte über die Theke, obwohl diese völlig sauber war.

Lassiter wies auf das Regal, in dem Spirituosen und Weine einsortiert waren. »Ich sehe gerade, Sie haben den Whiskey da, den ich so gern trinke. Bitte geben Sie mir eine Flasche. Für unterwegs. Wenn ich mir dann einen Drink genehmige, denke ich an Sie.«

Einige Sekunden fiel kein Wort.

Margie nahm den Schnaps aus dem Regal und stellte ihn neben die Kasse. Mit flinken Fingern tippte sie den Preis ein und nannte den Preis.

Lassiter schob eine Münze auf den Zahlteller.

Margie griff danach, dabei berührten sich ihre Finger. Lassiter ließ seine Hand liegen. Er bedachte die junge Frau hinter der Barriere mit einem Blick, mit dem man Steine erweichen konnte.

Sein Plan trug erste Früchte. Margie zog die Hand nicht fort. Sekundenlang blickten sich Mann und Frau fest in die Augen.

Yeah! Lassiter fühlte, wie ihn schauderte. »Margie«, murmelte er.

Die Wangen des Ladenmädchens röteten sich.

Auf den Planken vor dem Geschäft polterten Schritte. Durch das Schaufenster erkannte Lassiter eine matronenhafte Frau mit Witwenhaube. Sie trug einen großen Einkaufskorb unter dem Arm.

Margie beugte sich über die Theke. »Heute Abend, acht Uhr«, sagte sie hastig.

»Wo?«

»Kennen Sie den Blue Point?«

»Na klar. Die Badestelle am Calm River.«

Die Tür ging auf, und die Frau mit dem Korb walzte herein. Misstrauisch beäugte sie die Anwesenden.

»Soll ich Ihnen den Whiskey in eine Tüte stecken?«, fragte Margie mit geschäftsmäßiger Stimme.

Lassiter nickte. »Ja, das wäre furchtbar nett von Ihnen, Miss.«

Unter den strengen Blicken der neuen Kundin verpackte Margie die Flasche.

Lassiter schob den Whiskey in seine geräumige Jackentasche. Leichten Herzens verließ er das Geschäft. Die Attacke auf die Festung Margie Mondale war erfolgreich verlaufen. Jetzt brauchte er nur noch ein wenig Geduld. Bis acht war es nicht mehr lange.

Durch das Schaufenster warf Lassiter noch einen raschen Blick in das Geschäft. Margie, hinter dem Ladentisch, zwinkerte ihm spitzbübisch zu.

Er zwinkerte zurück.

***

Auf dem Hof hinter dem Leichenhaus erblickte Lisa Taylor einen hageren, säbelbeinigen Mann, der zwei unlackierte Sargdeckel auf einer Schulter trug. Er hatte eine schmutzige, blaue Latzhose an, doch auf seinem Kopf saß ein nagelneuer Bowlerhut. Von der tief stehenden Sonne geblendet, kniff der Mann mit den Augen.

Lisa stellte sich ihm in den Weg. »Ich suche Mr. Stiller. Er sagte, er erwarte mich auf dem Hof.«

»Der Chef ist nicht da«, erklärte der Mann.

»Das kann nicht sein«, widersprach Lisa. »Vor fünf Minuten habe ich noch mit ihm gesprochen. Drüben, im Leichenhaus.«

»Davon weiß ich nichts.« Der Hagere packte die Deckel fester. »Ich muss weitermachen.«

»So warten Sie doch.« Lisa zog ihn am Ärmel. »Sie müssen mir helfen. Wo finde ich Mr. Stiller?«

»Er ist weggefahren.«

»Wohin?«

»Einen Toten abholen.«

Lisa war verzweifelt. Hatten sich denn alle gegen sie verschworen? »Kommt er gleich wieder?«, erkundigte sie sich.

Der Mann betrachtete sie mitleidig. »Sehe ich aus wie ein Hellseher?«

»Eigentlich nicht.«

»Na, sehen Sie.« Er ging weiter und verschwand in einer Bretterhütte, vor der sich mehrere billige Fichtenholzsärge stapelten.

Lisa war verzweifelt. Sie fühlte sich wie der letzte Mensch auf der Welt. Vor ein paar Minuten war ihr klar geworden, dass ihr Bruder hinterrücks ermordet worden war. Das Wundmal im Rücken ließ keinen anderen Schluss zu. Dennoch hatte es keine Leichenschau gegeben. Kein Mensch wollte etwas bemerkt haben. Unmöglich. Das konnte man jemandem erzählen, der sich die Hosen mit der Kneifzange anzog.

Nicht mit mir, Freunde!

Der Wind blies Lisa eine Strähne ihres Blondhaars ins Gesicht. Lisa strich sie zurück und spähte zur Bretterbude hinüber. Aus dem Innern ertönten regelmäßige Hammerschläge. Lisa gab sich einen Ruck, überquerte den Hof und trat an die Budentür.

Der hagere Mann stand an einer grob gehobelten Werkbank und schlug Nägel in ein Brett.

»Ich muss mit Ihnen reden«, sagte Lisa.

Der Mann hämmerte einfach weiter, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

Lisa beschloss, so zu tun, als wäre sein Verhalten völlig in Ordnung. »Mein Name ist Lisa Taylor«, sagte sie freundlich. »Ich bin die Schwester von Charles Taylor. Das ist der Mann, der tot im Leichenhaus liegt.«

Den Blick starr auf das Brett gerichtet, schlug der Mann Nägel in das Holz.

»Ich bin von weither gekommen, um mich um die Beerdigung zu kümmern«, fuhr Lisa fort. »Immerhin ist Chaco, so wurde Charles genannt, mein einziger Bruder gewesen.«

Der Hagere hielt inne. Er schob seinen Bowler höher und sah sie aus schmalen Augen an. »Möchten Sie einen Rat von mir?«, fragte er dumpf.

Lisa lächelte schwach. »Ja, warum nicht? Wenn es ein guter Rat ist.«

»Es ist ein guter Rat.« Der Mann an der Werkbank spie nachlässig zur Seite. »Genau gesagt sind es sogar drei Ratschläge. Ich gebe Sie Ihnen gratis. Alle drei.«

»Schießen Sie los!«

Der Mann betrachtete seinen Hammer. »Rat Nummer eins: Unterlassen Sie es, Fragen zu stellen. Verstanden?«

»Nein, warum …?«

Mit einer ungeduldigen Geste brachte der Hagere sie zum Schweigen. »Zweitens: Bringen Sie Ihren Bruder unter die Erde, beten Sie für sein Seelenheil und reisen Sie nach der Beisetzung so schnell wie möglich wieder ab. Drittens: Lassen Sie sich nie wieder in Walton Bluff sehen.«

Da Lisa zögerte, sprach der Mann weiter: »Es kann Sie teuer zu stehen kommen, wenn Sie nur einen der Ratschläge missachten.«

»Ich verstehe kein Wort«, sagte Lisa.

Der Mann zog die Brauen zusammen. »Sie werden verstehen, wenn Sie nicht tun, was ich Ihnen empfohlen habe. Dann wird’s aber zu spät sein.«

Von der Straße drang Pferdegetrappel an ihre Ohren. Lisa musste an Mr. Stiller denken. Wahrscheinlich hatte er sich aus dem Staub gemacht, weil er befürchtete, sie könne die Wahrheit entdecken und ihn mit unangenehmen Fragen in die Enge treiben. War es denkbar, dass er wusste, wer der Mörder war? Die Vorstellung daran jagte ihr einen kalten Schauder über den Rücken.

»Gehen Sie, kleine Miss«, sagte der Hagere, und seine Stimme klang jetzt nahezu warmherzig. »Befolgen Sie meinen Rat, sonst werden Sie es bitter bereuen.«

Lisa öffnete den Mund, um zu protestieren. Doch als sie das mitfühlende Gesicht des Mannes sah, verkniff sie sich die Bemerkung.

»Wie ist Ihr Name, Mister?«, fragte sie leise.

»Dempster. Cliff Dempster.«

»Danke, Mr. Dempster«, sagte sie und hielt ihm ihre Hand hin.

Er drückte sie leicht. »Nichts für ungut, Miss.« Mit zwei Fingern tippte er an seinen Hutrand. »Viel Glück.«

Lisa verließ sie die Hütte. Es wurde Zeit, dass sie sich eine Unterkunft suchte. Kit, der Wallach, begrüßte sie mit einem freudigen Wiehern. Lisa kletterte auf den Kutschbock und lenkte den kleinen Kutschwagen zu Howard’s Boardinghouse.

Als sie vor der Herberge hielt, trat ein alter, zerlumpter Mann auf sie zu. Sein Gesicht war zerknittert wie eine alte Zeitung. Unter seinem Schlapphut hing langes, strähniges Haar hervor. Der Mann hielt ihr seine nach oben gekehrte Hand entgegen. »Bitte um eine milde Gabe, kleine Miss.«

Lisa betrachtete den Bettler interessiert. »Kennen Sie sich in der Stadt etwas aus?«, fragte sie.

»Das will ich meinen.« Der Alte raffte seinen Hut vom Kopf und nickte fleißig. »Lebe seit vielen Jahren hier, kenne jede Zaunlatte im Umkreis von zehn Meilen.«

»Was ist mit den Leuten?«

»Die Leute? Die kenne ich auch.«

Lisa zog die Bremse und kletterte vom Kutschsitz. Der Bettler kam ihr wie gerufen. Sie brauchte jetzt einen Ortskundigen, der sie mit Informationen versorgte. »Wollen Sie sich ein paar Bucks extra verdienen?«, lockte sie ihn.

»O ja, das will ich«, erwiderte er.

»Das ist gut«, sagte Lisa, »sehr gut sogar.«

***

Lassiter verließ den Hauptweg und ritt den abschüssigen Trampelpfad zum Calm River hinunter.

Als er an der Furt, die auch als Anlegestelle für kleine Boote fungierte, ankam, war Margie Mondale schon da. Sie hockte am Ufer und fuhr mit einer Hand durch das plätschernde Wasser, das im Schein der Abendsonne wie flüssiges Silber glänzte. Ein Stück weiter stand ihr Pferd, an eine krumm gewachsene Kiefer gebunden.

Lassiter sprang aus dem Sattel. »Ich bin so froh, dass Sie gekommen sind«, sagte er.

»Ich freue mich auch.« Margie stemmte sich in die Höhe und trocknete sich die nassen Hände am Rock. »Das Wasser ist herrlich. Ich habe Lust, Baden zu gehen.«

»Prima Idee.« Lassiter band sein Pferd neben das andere.

Margie blinzelte gegen die Sonne. »Wann hast du erfahren, dass du abreisen musst?«

Er schluckte. Das mit seiner plötzlichen Abreise war geflunkert und gehörte zu seinem Verführungsplan. Am liebsten hätte er den Schwindel zugegeben, aber damit hätte er sich wohl ins Abseits manövriert. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als Margie weiter zu täuschen. »Heute«, sagte er und schnaufte. »Die Nachricht kam per Telegramm.«

Margie nickte. »Weißt du schon, wo es hingeht?« Er hatte ihr erzählt, dass er im Auftrag einer Baufirma nach geeigneten Grundstücken Ausschau hielt.

»Kansas«, sagte er.

»Und wo genau?«

»Great Bend, am Arkansas River.«

»Ein schönes Stück Weg von Walton Bluff.«

»Über achthundert Meilen.«

Lisa zerquetschte einen Seufzer. »Wirst du nochmal nach Walton Bluff zurückkehren?«

»Schwer zu sagen«, druckste er. »Wahrscheinlich nicht. Amerika ist groß. Zwischen Boston und San Francisco gibt es eine Menge Städte, für die sich meine Firma interessieren könnte.«

»Verstehe.«

Eine Zeitlang fiel kein Wort. Beide blickten über das Wasser auf den gegenüberliegenden Uferstreifen. Von Süden wehte ein warmer, leichter Wind, der Margies Röcke bauschte. Ein Habicht segelte hoch am Himmel entlang. Hinter den Hügeln auf der anderen Seite des Flusses erklang das klagende Geheul von Coyoten.

»Lass uns baden gehen«, sagte Lassiter.

Margie nestelte an ihrem obersten Blusenknopf.

Lassiter sah sie an. »Darf ich dir beim Ausziehen zusehen?«, fragte er.

Sie gab keine Antwort.

»Ich weiß, ein Gentleman sollte so etwas nicht tun. Aber warum eigentlich nicht? Warum soll man Dinge, die einem gefallen, nicht anschauen dürfen?«

»Okay«, entschied sie, »du kannst zusehen, aber nur, wenn du zehn Yards Abstand hältst.«

»Das ist unannehmbar.« Mit gespielter Wut warf er seinen Hut in den Sand.

»Gut, ich komme dir entgegen – fünf Yards.« Sie kniff ein Auge zu.

»Einverstanden.« Er warf seine Stiefel ab.

Unterdessen schlüpfte Margie aus ihrer Bluse. Das Mieder, in dem sie ihre Wonneproppen verbarg, war bis zum Bersten gefüllt. Lassiter konnte kein Auge von dem Mädchen lassen. Was für ein göttlicher Anblick! Als sie ihren geschlitzten Reitrock abstreifte, kam ein rot-schwarzer Strumpfhaltergürtel zum Vorschein.

»Trägst du das Teil jeden Tag?«, fragte er.

»Nein.« Sie lachte. »Nicht jeden Tag. Nur dann, wenn ich zum Blue Point hinausreite.«

»Habe ich ein Glück.« Er hakte fröhlich seinen Gürtel auf.

»Ja, das hast du.« Margie schmunzelte.

Während er zusah, wie die schlanke Brünette ihr Mieder abstreifte, spürte er heftige Erregung. Seit er in Walton Bluff weilte – seit exakt zehn Tagen – hatte er nur sittsam bekleidete Damen zu Gesicht bekommen. Sicher, er hätte ins Bordell gehen können, um sich zu holen, was er brauchte, aber am Ende hatte er darauf verzichtet. Er wollte das Mädchen aus Pollmer’s Drugstore, kein Girl, das es für Geld mit ihm tat.

Und jetzt, dachte er stillvergnügt, bin ich fast am Ziel meiner Sehnsüchte.

Als Maggie ihren Schlüpfer auszog, beschleunigte sich Lassiters Atem. Ehe er sich versah, beulte sich seine Unterhose. Er wollte sie gerade abstreifen, doch nun zögerte er.

Maggie bemerkte sein Zaudern. Mit unnachahmlicher Bewegung strich sie sich über die entblößten Hüften und trat einen Schritt auf Lassiter zu. Als sie ungefähr fünf Yards vor ihm stehen blieb, stieg er aus seinem letzten Kleidungsstück.

Sein Pint sprang hervor wie ein bockiges Lamm.

Es passierte ganz plötzlich. Ohne dass Lassiter sagen konnte, wer den Anfang gemacht hatte, lagen sie sich in den Armen.

Lassiter küsste das Mädchen auf den Mund.

Sogleich erwiderte Maggie die Liebkosung. Seine Lippen öffneten sich, und prompt spürte er Margies Zungenspitze. Ihre nackten Körper schienen eins werden zu wollen. Lassiter griff um Maggie herum, bis er ihre Pobacken zu fassen bekam. Das zarte Fleisch fühlte sich göttlich an. Lassiter vergaß alles um sich herum und genoss den Zauber des Augenblicks in vollen Zügen.

Maggie entzog sich ihm. Sie legte sich rücklings in den Sand. Ihre verführerische Pose raubte ihm fast den Verstand. Er legte sich über sie, biss abwechselnd in ihre aufgerichteten Brustwarzen und brachte nebenbei sein erstarrtes Glied in Position.

»Lassiter«, wisperte sie und schloss die Augen.

Er spürte, wie sie ihre Beine öffnete. Das war das Zeichen. Wie ein gieriges Raubtier, das auf Beute gelauert hatte, bohrte sich sein Rammsporn in die schlüpfrige Spalte.

Margie stöhnte laut. Rhythmisch drückte sie ihr Becken hoch. Zuerst langsam und zaghaft, dann immer fester und schneller. Rote Flecken prangten auf ihren Wangen.

Lassiter, auf beide Hände gestützt, bewegte sich auf und nieder. Jedes Mal, wenn ihre Leiber aufeinanderprallten, klatschte es laut.

Margie schrie vor Lust.

Die lauten Rufe klangen wie süße Musik in Lassiters Ohren. Margie bäumte sich auf. Ihre Schenkel umschlossen ihn wie die Tentakel eines Kraken. Er kam sich vor, als schwebte er auf einer Wolke.

Dann merkte er, wie scharfe Fingernägel über seinen Rücken kratzten. Margie kam. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an. Ihre Nasenflügel blähten sich. Laut rief sie seinen Namen.

Da stöhnte auch er und spürte gleichzeitig, wie er sich stoßweise in Maggies Schoß entlud. Er kam sich vor, als würde eine Welle ihn überspülen und fortreißen. Krämpfe der Lust durchzuckten ihn.

Viel zu schnell war das Wohlgefühl vorbei.

Erschöpft sank Lassiter in den Sand. Auf einen Schlag überkam ihn bleierne Schwere. Er starrte in den blauen Himmel und sah einen Schwarm Vögel über den Blue Point hinwegfliegen. Es dauerte nicht lange, und ihm fielen die Augen zu.

Lassiter wäre wohl eingeschlummert, doch da rappelte sich Margie auf die Beine. »Ich brauche eine Erfrischung. Kommst du mit?«

Er hob müde ein Lid. »Gleich oder sofort?«

»Auf der Stelle!«

Lassiter verscheuchte die Trägheit aus Hirn und Körper. Mit einem Satz war er auf den Beinen.

Margie band sich ihr Haar zum Pferdeschwanz.

Hand in Hand rannten sie in den Fluss und warfen sich wie übermütige Kinder in das aufspritzende Wasser.

***

»Wie, sagten Sie, war der Name?« Der Alte legte eine Hand hinters Ohr.

»Charles Taylor«, wiederholte Lisa. »Die Leute, die ihn kannten, sagten Chaco zu ihm.«

Sie saßen auf der Veranda, auf dem Innenhof des kleinen Hotels. Es dunkelte bereits, und der aufmerksame Wirt hatte eine Kerzenlaterne gebracht. Lisa hatte den Verwahrlosten, einem ehemaligen Handelsreisenden namens Banneman, zu einem Drink eingeladen.

Der Bettler hatte sich einen Krug Bier bestellt. »Chaco«, grunzte er. »Ja, den Burschen kannte ich. Ein netter Junge. Hat mir hin und wieder ein paar Cents zugesteckt, wenn er für die Ranch auf Einkaufstour war. Ein Jammer, dass er so früh ins Gras beißen musste.«

Lisa schluckte, holte Atem und sagte: »Alle meinen, es wäre ein Unfall gewesen, aber ich weiß, dass das eine Lüge ist.«

Banneman setzte das Bier an und trank.

»Ich bin im Leichenhaus gewesen«, fuhr sie fort. »Ich wollte, dass der Undertaker mich mit Chaco allein lässt. Zuerst wollte er nicht. Aber dann ging er doch. Als er weg war, nahm ich das Tuch hoch. Da habe ich gesehen, was wirklich los ist.«

Banneman verschluckte sich und hustete. Mit der Manschette wischte er sich den Schaum von den Lippen. »Das hätten Sie nicht tun sollen, Miss«, keuchte er und stellte den Becher ab.

»Aber ich habe es getan. Jetzt weiß ich Bescheid.«

Er seufzte. »Chaco ist tot. Wem nützt es, wenn Sie sich jetzt in Gefahr bringen?«

»Der Gerechtigkeit«, sagte Lisa spontan.

»Große Worte.« Banneman sah sich um. Offenbar wollte er sich vergewissern, dass kein Fremder in Hörweite war. Langsam reckte er seinen mageren Hals. »Haben Sie schon mit jemand über Ihre Entdeckung gesprochen?«, raunte er.

»Ja.«

Der Alte erschrak. »Gott im Himmel! Mit wem?«

»Einem Angestellten von Stiller & McRudge. Ich traf ihn auf dem Hof, bei der Tischlerei. So ein Hagerer mit gebeugtem Rücken.«

»Cliff Dempster?«

»Ja, das ist sein Name. Er hat mir geraten, schleunigst zu verschwinden.«

»Ein weiser Rat.«

Lisa schüttelte den Kopf. »Mein Bruder wurde von hinten erschossen. In den Rücken. Und die Leute behaupten, es wäre eine Tollpatschigkeit seinerseits. Ein Unfall. Da soll ich als Schwester den Kopf in den Sand stecken? Nie und nimmer. Ich werde der Sache auf den Grund gehen. Beim Sheriff werde ich eine Untersuchung fordern.«

»Das ist Ihr gutes Recht«, erklärte Banneman, »aber die Sache wird anders ausgehen, als sie denken.«

»Aber warum?«

Der Mann wiegte seinen Graukopf. Er zog ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

»Warum, Mr. Banneman?«

Er starrte in seinen leeren Becher. »Das hängt mit dem Typen zusammen, der Chaco auf dem Gewissen hat.«

Lisa fiel aus allen Wolken. »Sagen Sie bloß, Sie wissen, wer es war?«

»Ja.«

»Ja?« Lisa schwirrte der Kopf. Wenn Banneman den Täter kannte, erübrigte sich die Sucherei. Sie ging zum Sheriff und erstattete Anzeige wegen Mordes. Den Rest würde der Sternträger erledigen. »Wer ist es gewesen, Mr. Banneman?«

Der Alte knabberte an seiner welken Unterlippe.

»Bitte, sagen Sie’s mir!«

Er schnaufte. »Sie sind ein nettes Mädel. Mit Ihrer Art erinnern Sie mich an Chaco. Sie und Ihr Bruder sind aus dem gleichen Holz geschnitzt.«

»Dann klären Sie mich auf.«

»Ich möchte nicht, dass Sie auch in die Schusslinie dieses Halunken geraten.«

Lisa fühlte sich stark genug, mit der Wahrheit fertig zu werden. Der Mörder musste zur Verantwortung gezogen werden. Als der Wirt nach ihnen schaute, bestellte sie für den Alten noch ein Bier.

Banneman wirkte traurig. »Sie sind so hübsch und so lieb«, meinte er. »So einen Menschen kann ich doch nicht ins Verderben rennen lassen.«

»Keine Bange. Ich bin allerhand gewohnt. Reden Sie nur. Am Ende erfahre ich’s ja doch.«

»Da mögen Sie Recht haben«, gab er zu. »Aber ich möchte nicht derjenige sein, der Ihnen Unglück bringt. Dazu mag ich Sie viel zu sehr.«

Lisa war gerührt. Eine ehrliche Haut, dieser Banneman. Er wollte ihr keinen Schaden zufügen. Vertraulich legte sie eine Hand auf seinen ausgefransten Ärmel. »Wer ist es gewesen?«, fragte sie leise.

Die Zeit tröpfelte zäh dahin.

»Jake«, sagte Banneman dann, »Jake Hunter.«

***

Jake Hunter saß in der Klemme.

Er war in das Haus von Sam Fremont eingestiegen. Dort gab es eine Menge zu holen. Jetzt klappte unten die Haustür. Jemand kam.

Der Einbrecher sah sich gehetzt um. Wo kann ich mich verstecken?

Im Erdgeschoss lachte jemand. Eine Frauenstimme. »Mein Gott, hast du scharfe Glocken«, sagte ein Mann.

Fremont.

Hunter bekam es mit der Angst zu tun. Wenn Fremont ihn in seinem Haus überraschte, würde es Stress geben. Der Immobilienhai trug Tag und Nacht einen scharfen Revolver bei sich. Für seine Schießwut war er stadtbekannt. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er einen Mann, der in sein Haus eingestiegen war, auf frischer Tat ertappt und ohne Anruf eine Kugel in den Kopf gejagt.

Hunter knirschte mit den Zähnen. Nichts wie weg hier!

Auf Zehenspitzen huschte er zu dem Fenster, durch das er eingestiegen war. Der Mond schien hell. Auf der Auffahrt stand ein zweirädriger Buggywagen mit zwei Pferden im Gespann. Ein breiter Balken Licht fiel auf den Vorplatz. Fremont hatte die Außenlaterne angezündet.

Die Frau juchte laut. Sie beschwerte sich über Fremonts kalte Finger.

Hunter wollte das Fenster hochschieben. Aber es ging nicht, irgendwas klemmte. Er versuchte es wieder und wieder. Zwecklos. Wie festgewachsen klebte das Fenster im Rahmen. Hunter stand wie auf glühenden Kohlen.

Schon wurden auf der Treppe Schritte laut.

Und er befand sich im Schlafzimmer des Hausherrn. Fremonts Frau war zu ihrer kranken Mutter nach Phoenix gefahren. Dass der alte Lüstling gleich die erste Nacht benutzte, um sich ein Flittchen ins Haus zu holen, konnte keiner ahnen.

Hunter trat von einem Bein aufs andere. Er ruckte noch einmal am Fenster. Es rührte sich nicht. Jeden Augenblick konnte die Tür aufgehen. Hunters Herz hämmerte wild.

Da fiel sein Blick auf das breite Doppelbett.

Jenseits der Tür scharrten Füße. Kussgeräusche. Schmatzen. Stöhnen. Im Moment waren die Turteltäubchen noch beschäftigt. Hunter riss sich den Hut vom Kopf und ließ sich leise auf die Knie fallen. Auf allen Vieren robbte er unter das Bett.

Kaum hatte er seinen letzten Fuß eingezogen, sprang die Tür auf.

»Hinlegen!«, bellte Fremont.

Die Frau juchte. »Du reißt mir noch den Busen ab!«

»Ich denke, du magst es derb.«

»Wer sagt das?«

»Die Spatzen. Sie pfeifen es von den Dächern.« Fremont lachte dröhnend.

Im nächsten Augenblick quietschten die Bettfedern. Es klang, als wäre ein Mühlstein auf die Matratze gefallen.

Hunter zog vor Schreck den Bauch ein. Das Gesicht zur Seite gedreht, wagte er kaum zu atmen.

»Nimm ihn in den Mund«, befahl Fremont.

»Gleich, gleich. Du siehst doch, dass ich mir den Slip ausziehe.«

Hunter schloss die Augen und fluchte stumm. Schon nach wenigen Sekunden empfand er seine Lage als schmerzhaft und unbequem. Indes ging es oben auf der Matratze heiß her. Ein rhythmisches Schmatzen erklang. Wie es sich anhörte, machte sich die übereifrige Prostituierte an Fremonts bestem Stück zu schaffen. Der Stimme nach handelte es sich Chili-Rosy, eine heiße Rotblonde aus dem Amüsierbezirk.

»Jetzt zwischen deine Mammas«, keuchte Fremont.

Rosy hustete. »Meine Güte!«, rief sie aus. »Warte wenigstens, bis ich mir ein paar Tropfen Öl genehmigt habe.«

»Okay, wo hast du das Zeug?«

»In meiner Handtasche.«

Vor Hunters Blickfeld tauchten zwei bestrumpfte Waden auf, zum Anfassen nahe. Er atmete flach. Rosys Umhängetasche lag vor dem Bett.

Ein Klatschen ertönte. »Ich wusste gar nicht, dass du einen so hübschen Hintern hast«, sagte Fremont.

»Den hab ich von meiner Mom geerbt.« Rosys manikürte Finger pflückten die Tasche vom Boden.

Fremont lachte. »Du weißt, wie der Hintern deiner Mutter aussieht?«

»Na klar. Du etwa nicht?«

»Nein«, sagte Fremont.

Hunter kniff die Lippen zusammen. Mit jeder Minute, die verging, wuchsen seine Schmerzen. Er kam sich vor wie auf einer Folterbank. Wie die Dinge standen, konnte es noch eine Weile dauern, bis Fremont seine Lust an der Evastochter gestillt hatte.

Bei dieser Vorstellung hätte er fast laut geflucht.

Mit zusammengebissenen Zähnen lag er da und hörte zu, wie Rosy dem Hausherrn Entspannung verschaffte. Sie sprang auf dem Bett umher, als hätte sie Hummeln im Hintern. Fremont stöhnte wollüstig.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis endlich Ruhe eintrat. Stumm lagen Hure und Freier nebeneinander.

Hunter kam sich vor wie gelähmt. Wie lange sollte er noch unterm Bett liegen? Was, wenn die zwei da oben jetzt einschliefen?

»Das war nicht übel, mein Schatz«, sagte Fremont. »Hast du noch ein Extra parat?«

»Bei jedem Wetter. Extras sind meine Spezialität.«

»Dann leg los!«

»Umsonst?«

Hunter rollte mit den Augen. Jetzt fingen die auch noch an zu quasseln!

»Wieso umsonst?«, stutzte Fremont. »Du hast dein Geld doch längst bekommen.«

»Das stimmt«, erwiderte Rosy. »Für ein Standard-Date. Extras sind extra. Verstehst du? Sie heißen Extras, weil sie extra bezahlt werden müssen. Also zusätzlich zum normalen Preis.«

»Du redest einen ja schwindlig.« Das Bett knarrte, und Hunter erblickte zwei behaarte Männerwaden. »Ich hole uns erst mal einen Schluck zu trinken.« Fremont erhob sich und ging zur offen stehenden Tür.

»Hast du Bollinger?«, rief ihm Rosy nach.

»Was’n das? Whiskey?«

Rosy kicherte. »Nein, ein französischer Schaumwein aus der Champagne. Den trinke ich am liebsten. Der kribbelt so schön auf der Zunge.«

»Champagner ist nicht im Haus«, knurrte Fremont.

»Schade. Dann trinke ich, was du trinkst.«

»Bourbon.«

»Für mich zwei Fingerbreit«, sagte Rosy.

Für mich auch, dachte Hunter. Er leckte sich mit der Zunge über die Lippen. Ein mörderischer Durst hatte ihn gepackt. Seine Kehle brannte, als hätte er mit Petroleum gegurgelt. Als er seine Augen schloss, erschien der Tresen eines Saloons in seinem Geist. Eine Batterie Flaschen mit bunten Etiketten stand darauf.

Auf der Treppe ertönten Fußtapsen. Fremont war wieder da. »Hoch mit dir, mein Schatz«, sagte er zu Rosy. »Wir gehen nach unten in den Salon.«

»Warum?«

»Da sitzt es sich besser.«

Sie blieben unten! Hunter konnte sein Glück kaum fassen.

Rosy stand auf, raffte ihre Sachen auf und lief die Treppe hinunter.

Mit letzter Kraft schob sich Hunter unter dem Bett hervor. Ihm taten alle Knochen weh. Er kam sich vor wie gerädert. Sein Genick war so steif, dass er den Kopf kaum bewegen konnte.

Von unten erklangen Stimmen. Fremont und das Flittchen sprachen über die Honorare im Hurengeschäft. Hunter drückte sein Rückgrat durch, dass es knackte. Ihm fiel ein, weshalb er gekommen war.

Seitlich des zerwühlten Bettes stand das verschnörkelte Vertiko, in dem Mrs. Fremont in einer Schatulle ihren Schmuck aufbewahrte. Die Information hatte Hunter für einen halben Dollar von einem ehemaligen Hausmädchen bekommen.

Er bedachte das Möbelstück mit einem begehrlichen Blick. Dann wandte er sich dem Fenster zu. Zuallererst musste er seinen Fluchtweg sichern.

Rasch fand er den Grund für das störrische Verhalten des Schiebefensters: ein abgesplittertes Stück Holz. Hunter polkte es aus der Fuge und schob das Fenster zur Probe ein Stück höher.

Es funktionierte, sogar ohne Knarren.

Großartig. Er pirschte um das Bett herum und blieb vor dem Vertiko stehen. Ein Stockwerk tiefer klirrten Gläser. Rosy kicherte albern. Hunter lauschte angespannt, aber nichts rührte sich.

Jetzt aber hurtig!

Das Vertiko verfügte über etliche Schubladen. Von dem Hausmädchen wusste Hunter, in welcher die Kostbarkeiten aufbewahrt wurden. Die Dritte von oben, links.

Die Lade erwies sich als unverschlossen. Vorsichtig zog Hunter sie auf. Das leise Schaben klang wie ein Gewitter in seinen Ohren. Er hielt inne und horchte. Fremont und Rosy plauderten ungezwungen.

Hunter holte tief Atem. Er warf einen Blick in die Schublade. Darin befand sich nur ein einziger Gegenstand: eine etwa bibelgroße Schatulle mit goldglänzenden Schließen. Darin musste Dora Fremonts Schmuck lagern. Hunter merkte, wie sein Herz schneller schlug.

»Volltreffer«, flüsterte er.

Behutsam hob er das Behältnis aus der Lade und stellte es auf das Fensterbrett. Der Reihe nach öffnete er die Schließen. Jedes Mal, wenn eine aufsprang, gab es einen leisen Klick, bei dem er kurz zusammenzuckte.

Hunters Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Er stand ganz dicht vor seinem Ziel. Mit dem Geld, das er beim Verkauf des Schmucks bekommen würde, konnte er ein neues Leben beginnen. Der Hehler, der ihm die Kostbarkeiten abkaufen wollte, wartete bereits.

Alle Schließen waren geöffnet. Hunter zögerte noch einen Augenblick. Gleich würde sich ihm ein prachtvoller Ausblick bieten. Gespannt kniff er die Augen zusammen.

Dann hob er den Deckel – die mit rotem Samt ausgeschlagene Schatulle war leer.

Hunter war wie vor den Kopf geschlagen. Sekundenlang konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Er hatte nie daran gezweifelt, dass sich Dora Fremonts Schmuck in der Schatulle befand. Hatte das Hausmädchen ihn hinters Licht geführt?

Wie ging es jetzt weiter?

Hunter blickte zum Fenster. Von draußen zog würzige Nachtluft in Zimmer. Der Schrei einer Eule ertönte. Hunter war hin und her gerissen. Sollte er den Einsatz abblasen und unverrichteter Dinge verschwinden? Oder sollte er weitersuchen?

Im Erdgeschoss erscholl Gelächter.

Hunter stellte die Schatulle wieder in das Vertiko. War es möglich, dass Fremont die Schmuckstücke verkauft hatte? Oder bewahrte er sie woanders auf? Wenn ja, wo? Hunter konnte sich keinen Reim darauf machen.

Er entschied, die Aktion zu beenden.

Das Risiko, vom Hausherrn entdeckt zu werden, war einfach zu hoch.

Eine tiefe Traurigkeit erfüllte ihn, während er aus dem Fenster auf das Sims stieg. Er hatte all seine Hoffnungen auf den nächtlichen Fischzug gesetzt.

Jetzt stand er mit leeren Händen da.

Über ein Vordach gelangte er auf ebene Erde. Um die Ecke wieherte ein Pferd. Er horchte angestrengt. Aus dem Haus tönte dumpfes Gemurmel. Die Fenstervorhänge im Salon waren zugezogen. Durch den schmalen Schlitz in der Mitte sickerte ein Streifen Licht.

Hunter zog den Kopf ein und eilte die Straße entlang. An der nächsten Straßengabelung blieb er stehen. Im Dunkeln erkannte er zwei Reiter. Sie kamen vom Überlandtrail und hielten direkt auf ihn zu. Er verbarg sich im Schatten eines Hauseingangs.

Die Reiter trabten an ihm vorüber.

Hunter erkannte das hübsche Ladenmädchen aus Pollmer’sDrugstore. Den Mann an ihrer Seite konnte er hingegen nicht so genau erkennen. Der breitkrempige Hut beschattete dessen Gesicht.

Doch beim Anblick dieses Mannes befiel Hunter ein ungutes Gefühl.

Sieh dich vor, Jake, dachte er.

***

Kurz vor Howard’s Boardinghouse bog Margie Mondale in eine Seitenstraße ein. Lassiter ritt die letzten Yards zu seiner Unterkunft allein. Er hatte Margie in dem Glauben gelassen, dass er morgen abreiste. Bei dem Gedanken war ihm nicht wohl.

Er brachte sein Pferd in den Stall hinter dem Gästehaus und versorgte es mit Kraftfutter und Wasser. Danach wollte er sich aufs Ohr legen.

Da bemerkte er neben einem abgestellten Fuhrwerk eine zusammengekauerte Gestalt.

Beim näheren Hinsehen erwies sich die Gestalt als eine junge, blonde Frau. Sie lehnte an der Stallwand, das Kinn auf der Brust, und schien zu schlafen.

Plötzlich schrak sie auf. Aus verängstigten Augen musterte sie Lassiter.

»Keine Sorge, ich bin ganz harmlos«, sagte er. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«

Die Augen der Blonden füllten sich mit Tränen. Sie schluchzte, dann wischte sie sich mit der Manschette über das Gesicht.

Lassiter zögerte. Es war ein verflucht harter Tag gewesen. Er war müde und abgekämpft, nicht zuletzt von dem kräfteraubenden Schäferstündchen mit der temperamentvollen Margie Mondale. Er brauchte jetzt einen Absacker und ein warmes Bett. Andererseits war da dieses blonde Mädchen. Vielleicht war sie in Not und brauchte einen Menschen. Er sah sie an. »Kann ich Ihnen helfen, Miss?«

Zu seiner Überraschung sagte sie: »Ich habe auf Sie gewartet, Mr. Lassiter.«

»Woher kennen Sie mich?«, erkundigte er sich.

»Ein Gentleman namens Banneman hat mir empfohlen, Sie aufzusuchen.«

»Banneman? Nie gehört.« Lassiter nahm den Hut ab. »Wer ist dieser Mann?«

»Ein Landstreicher, der viel herumkommt.«

»Ach so?« Lassiter hob eine Achsel. »Wie auch immer – was wollen Sie von mir?«

Lisa rappelte sich auf die Beine. »Mr. Banneman ist der Ansicht, dass ich Ihnen mein Problem erklären soll. Er meint, Sie wüssten bestimmt, was zu tun sei. Mein Name ist Lisa Taylor.«

Lisa Taylor. Im Schnelldurchgang durchforstete Lassiter sein Gedächtnis. Von einer Blondine namens Lisa Taylor fehlte jede Erinnerung. Ebenso wenig sagte ihm der Name Banneman etwas. Er fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte.

Im Hintergrund hörte er sein Pferd wiehern.