Lassiter Sammelband 1792 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1792 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2257, 2258 und 2259.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!


2257: Lady Longhorns wilde Horde

Der Mann schrie sich die Seele aus dem Leib. Seine Stimme schrillte weit über das Hügelland von Montana. "Nein - ich will nicht sterben - neiiin!" Er saß auf dem Rücken seines Maultiers, das in der Deichsel eines kleinen Einachsers mit Ladefläche stand. Über ihm ragten die knorrigen Äste eines Hickorybaums auf. Und er konnte nicht aufhören zu schreien.

Um den Hals des Mannes lag eine einfache Hanfschlinge. Das Seil, an dem er sein Leben qualvoll aushauchen sollte, hatten sie über einen besonders dicken Ast geworfen und unten am Stamm festgezurrt.

"Viehdiebe haben ihr Leben verwirkt, Paddy", sagte der Rancher verächtlich. "Also sei still und stirb wie ein Mann. Was soll denn deine Frau von dir denken?" Er deutete auf die verhärmte Dunkelhaarige, die sie auf dem Bock des Einachsers festgebunden und geknebelt hatten.


2258: Bis zum letzten Atemzug

Die Zeit rann dahin wie trockener Sand durch seine Finger. Nur noch wenige Stunden blieben Max Claybourne, bis seine Frist mit Einbruch der Morgendämmerung endete. Bis dahin musste er seine Gegner unschädlich gemacht haben, um aus seinem Vorschuss von zweihundert Dollar ganze dreitausend Dollar zu machen.

Die Prämie war verlockend, aber nicht leicht zu verdienen. Claybourne war gleichzeitig Jäger und Gejagter, denn auch seine Feinde hatten es nicht nur auf ihn, sondern auch auf das Geld abgesehen! Jetzt zählte nur noch eins: die eigene Haut so teuer wie möglich zu verkaufen...


2259: Nachtzug nach Wichita

Was Pancock durchlebte, war die Hölle. Er lag gefesselt im Saloon und musste zusehen, wie die Mistkerle Jeannie an die Wäsche wollten. Sie waren zu dritt und hatten ihr den Fluchtweg verbaut. Die zierliche Rotblonde stand rücklings am Barspiegel, eine Flasche über den Kopf erhoben. "Keinen Schritt näher! Ich schlag euch den Schädel ein!"
Der Anführer der Ganoven lachte höhnisch. "Hab dich nicht so! Wir wollen doch bloß 'n bisschen Luft an deinen Hintern lassen!"
Pancock zerrte an den Fesseln. Ein Stuhl kippte um, und ein Deck Karten flatterte über die Dielen. Die Kerle achteten nicht darauf. Sie glotzten Jeannie auf den Busen.
"Nick!", schrie sie. "Nick! Warum hilfst du mir nicht?"

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: Boada/Norma ISBN 978-3-7325-6228-2

Jack Slade

Lassiter Sammelband 1792 - Western

Inhalt

Jack SladeLassiter - Folge 2257Der Mann schrie sich die Seele aus dem Leib. Seine Stimme schrillte weit über das Hügelland von Montana. "Nein - ich will nicht sterben - neiiin!" Er saß auf dem Rücken seines Maultiers, das in der Deichsel eines kleinen Einachsers mit Ladefläche stand. Über ihm ragten die knorrigen Äste eines Hickorybaums auf. Und er konnte nicht aufhören zu schreien. Um den Hals des Mannes lag eine einfache Hanfschlinge. Das Seil, an dem er sein Leben qualvoll aushauchen sollte, hatten sie über einen besonders dicken Ast geworfen und unten am Stamm festgezurrt. "Viehdiebe haben ihr Leben verwirkt, Paddy", sagte der Rancher verächtlich. "Also sei still und stirb wie ein Mann. Was soll denn deine Frau von dir denken?" Er deutete auf die verhärmte Dunkelhaarige, die sie auf dem Bock des Einachsers festgebunden und geknebelt hatten.Jetzt lesen
Lassiter - Folge 2258Die Zeit rann dahin wie trockener Sand durch seine Finger. Nur noch wenige Stunden blieben Max Claybourne, bis seine Frist mit Einbruch der Morgendämmerung endete. Bis dahin musste er seine Gegner unschädlich gemacht haben, um aus seinem Vorschuss von zweihundert Dollar ganze dreitausend Dollar zu machen. Die Prämie war verlockend, aber nicht leicht zu verdienen. Claybourne war gleichzeitig Jäger und Gejagter, denn auch seine Feinde hatten es nicht nur auf ihn, sondern auch auf das Geld abgesehen! Jetzt zählte nur noch eins: die eigene Haut so teuer wie möglich zu verkaufen...Jetzt lesen
Lassiter - Folge 2259Was Pancock durchlebte, war die Hölle. Er lag gefesselt im Saloon und musste zusehen, wie die Mistkerle Jeannie an die Wäsche wollten. Sie waren zu dritt und hatten ihr den Fluchtweg verbaut. Die zierliche Rotblonde stand rücklings am Barspiegel, eine Flasche über den Kopf erhoben. "Keinen Schritt näher! Ich schlag euch den Schädel ein!" Der Anführer der Ganoven lachte höhnisch. "Hab dich nicht so! Wir wollen doch bloß 'n bisschen Luft an deinen Hintern lassen!" Pancock zerrte an den Fesseln. Ein Stuhl kippte um, und ein Deck Karten flatterte über die Dielen. Die Kerle achteten nicht darauf. Sie glotzten Jeannie auf den Busen. "Nick!", schrie sie. "Nick! Warum hilfst du mir nicht?"Jetzt lesen

Inhalt

Cover

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Lady Longhorns wilde Horde

Vorschau

Lady Longhorns wilde Horde

Der Mann schrie sich die Seele aus dem Leib. Seine Stimme schrillte weit über das Hügelland von Montana. »Nein – ich will nicht sterben – neiiin!« Er saß auf dem Rücken seines Maultiers, das in der Deichsel eines kleinen Einachsers mit Ladefläche stand. Über ihm ragten die knorrigen Äste eines Hickorybaums auf. Und er konnte nicht aufhören zu schreien.

Um den Hals des Mannes lag eine einfache Hanfschlinge. Das Seil, an dem er sein Leben qualvoll aushauchen sollte, hatten sie über einen besonders dicken Ast geworfen und unten am Stamm festgezurrt.

»Viehdiebe haben ihr Leben verwirkt, Paddy«, sagte der Rancher verächtlich. »Also sei still und stirb wie ein Mann. Was soll denn deine Frau von dir denken?« Er deutete auf die verhärmte Dunkelhaarige, die sie auf dem Bock des Einachsers festgebunden und geknebelt hatten.

Die Männer lachten.

Die Frau hatte längst aufgehört, sich gegen die Fesseln und den zusammengeknüllten Lappen im Mund zu sträuben. Sie hatte keine Kraft mehr. Auch ihr innerer Widerstand war vollständig erloschen. Sie hielt den Kopf gesenkt, wodurch die Nachmittagssonne ihr Gesicht nicht erreichte. So entstanden tiefe Schatten in ihren eingefallenen Wangen, und die Geschichte eines Lebens voller Arbeit und Entbehrungen war darin zu lesen wie in einem offenen Buch.

Hinter ihr, auf der Ladefläche, summte ein Schwarm blau und grün schillernder Schmeißfliegen über der blutroten Fracht. Die großen Fleischstücke, ursprünglich mit Sackleinen zugedeckt, waren teilweise freigelegt. Die Männer der Triple W Ranch hatten die Tücher weggefetzt, als sie den Viehdieb auf frischer Tat ertappten.

Der Fliegenschwarm vergrößerte sich rasend schnell, und bald war das blutige Rot vollständig unter der schwirrenden Masse der dickleibigen Insekten verschwunden.

Die Ranchhands waren zu dritt gewesen, und sie hatten Patrick O’Sheehan bei seiner Tat eine ganze Weile beobachtet – praktisch von Anfang an. Von einer Hügelkuppe aus, geschützt durch Buschwerk, hatten sie zugesehen, wie er sich an eine versprengte Hereford-Färse angeschlichen hatte.

Er hatte das Rind mit einem Lasso eingefangen, zu Fuß, gar nicht mal so ungeschickt für einen irischen Farmer. Dann war er mit einem großen Messer, einer Axt und einem Beil zu Werke gegangen und hatte das Tier fachgerecht geschlachtet und zerlegt.

Dazu war seine Frau mit dem Einachser aus ihrem Waldversteck hervorgekommen, und sie hatte ihm geholfen, die Fleischbrocken aufzuladen und mit dem Sackleinen zu bedecken.

In fliegender Hast hatten sie ihr Werkzeug zu der gestohlenen Fracht auf den Wagen geworfen. Den Kadaver des Rinds hatten sie liegen gelassen, im Vertrauen darauf, dass die Aasfresser schon in der kommenden Nacht ganze Arbeit leisten würden.

Dann aber, als Paddy O’Sheehan und seine Frau Mary schon auf dem Kutschbock gesessen hatten, waren Hufgeräusche wie Donner über sie hereingebrochen. Paddy hatte das Maultier nicht einmal mehr antreiben können.

Angesichts der drohend auf sie gerichteten Winchesterläufe hatten sie nur noch die Hände hochnehmen können. Paddy hatte nicht einmal daran gedacht, seinen alten Conversion Colt unter dem Bock hervorzuholen.

Gegen die drei raubeinigen Kerle hätte er nicht die geringste Chance gehabt; das hatte er sofort eingesehen. Einer von ihnen war losgeritten, um den Rancher, Grover William Woodward, und seinen Vormann, Selwyn Kinsella, zu verständigen.

Passenderweise hielten sich beide nur zwei Meilen entfernt auf einer Außenweide auf, um die Vorbereitungen für das Roundup zu inspizieren. Während der Melder unterwegs war, hatten die beiden anderen die Gefangenen gefesselt und sie mitsamt ihrem armseligen Gespann unter den Hickorybaum geführt.

Dort angekommen, hatten beide angefangen, um ihr Leben zu flehen. Schließlich, angesichts der unerbittlichen, eisenharten Gesichter der Woodward-Männer, hatten Paddy und Mary nur noch geschrien.

Der Frau hatten sie den Knebel in den Mund gestopft; ihn aber ließen sie schreien. Der Rancher, der Vormann und der Meldereiter würden es schon von weitem hören. So brauchten sie sich nicht lange mit der Orientierung aufzuhalten.

Unterdessen hatte sich keiner der beiden Männer die Mühe gemacht, einen fachgerechten Henkersknoten für den Todgeweihten zu knüpfen. Er war rotblond und mittelgroß und ausgesprochen stämmig gebaut. Die harte Farmarbeit hatte ihn gezeichnet.

Doch die Furcht vor dem Tod hatte ihm die Arbeit nicht nehmen können – zumal es ein erbärmlicher und jämmerlicher Tod werden würde. Die Gnade des sofortigen Genickbruchs, wie sie die Henkersschlinge gewährt hätte, sollte ihm nicht zuteilwerden.

Die einfache Schlinge würde ihn strangulieren. Ihm stand ein Todeskampf bevor, der sich endlos lange hinziehen konnte – je nachdem, wie heftig er sich gegen sein grausiges Schicksal wehrte.

Er hatte es selbst heraufbeschworen; darüber waren Mary und er sich im Klaren gewesen, als sie die Tat begangen hatten. Doch in ihrer Verzweiflung hatten sie keinen anderen Ausweg mehr gesehen.

Um die Farm stand es schlecht. Trockenheit und eine miserable Ernte hatten ihre Einnahmen geschmälert. Die Vorräte des vergangenen Jahres waren längst aufgebraucht. Ihre Kuh gab keine Milch mehr, und die vier Schweine waren bis auf die Knochen abgemagert.

Die Bank in Rosebud gab den O’Sheehans kein Geld mehr.

Paddy und Mary hatten die Verzweiflungstat für ihre sechs Kinder begangen. Es war so sicher wie das Amen in der Kirche gewesen, dass die vier Jungen und die beiden Mädchen verhungern würden, wenn nicht bald etwas geschah.

Das Summen der Fliegen war mittlerweile zu einem tiefen, bedrohlich klingenden Brummen angeschwollen, als der Rancher und sein Vormann gemeinsam mit dem Melder unter dem Hickory eintrafen.

Das Brummen des Insektenschwarms und das Erscheinen der drei Männer führten dem Todgeweihten gleichermaßen vor Augen, dass alles umsonst gewesen war. Das Fleisch war längst verdorben, und der Rancher würde das Todesurteil nun aussprechen und vollstrecken – weil er sich selbst das Recht dazu gab.

***

Grover William Woodward machte einen majestätischen Eindruck, wie er dort in erhöhter Position im Sattel saß. Er hatte seinen hochbeinigen, edlen Rappen auf einen Erdbuckel gelenkt, von dem er das Geschehen gut überblicken konnte.

Der Eigentümer der »Triple W« hatte seine Ranch nach den drei Ws in seinem Namen benannt. Er war ein Mann wie ein Schrank, groß und breitschultrig, mit einem kantig ausgeprägten und vorstehenden Kinn. Sein Ehrfurcht gebietendes Erscheinungsbild unterstrich er durch einen schwarzen Reiteranzug, schwarze Stiefel und einen schwarzen Stetson.

Die Spitze seiner Hakennase schien eigens so bemessen zu sein, dass sie auf seinen Schnauzbart hindeutete. Sein dunkelblondes Haar war kurzgeschnitten, wie es neuerdings durch das Militär in Mode kam. Er hatte hellblaue Augen, denen man die Schärfe seines Blicks ansah.

Woodward galt als größenwahnsinnig, das wussten Patrick und Mary O’Sheehan nur zu gut. Sein erklärtes Ziel war es, das gesamte Rosebud County zu beherrschen. Dass er Paddy O’Sheehans erbärmliche kleine Farm an der südlichen Weidegrenze der Triple W Ranch überhaupt noch duldete, wurde von den Bürgern der Stadt und des Countys allgemein als einer der unerklärlichen Launen des Großranchers betrachtet.

Möglich aber, dass Woodward sich bislang einfach nicht getraut hatte, den O’Sheehans etwas anzutun. Denn Familien wie sie genossen das Mitleid einer großen Öffentlichkeit – gab es doch Millionen von Iren in Amerika, die das Schicksal der O’Sheehans teilten.

Paddy war mit seinen Eltern und seinen Großeltern aus dem County Kerry im westlichen Irland in die Vereinigten Staaten eingewandert. Sie waren vor der großen Hungersnot geflohen, ausgelöst durch die Kartoffelfäule in einem Gebiet, das ohnehin als Armenhaus der grünen Insel galt.

Indessen gehörten die O’Sheehans zu den Pechvögeln, die es auch in der Neuen Welt trotz harter Arbeit zu nichts gebracht hatten. Immobilienhaie hatten ihnen ihr vom Mund abgespartes Geld aus der Tasche gezogen, und noch heute litt die Familie unter den viel zu hohen Zinsen, die sie zusammen mit der Darlehenstilgung für das Farmland zu leisten hatten.

Der Todgeweihte konnte inzwischen nicht mehr schreien. Seine Stimme war zu einem heiseren Wimmern abgesunken.

»Selwyn«, sagte Woodward, an seinen Vormann gewandt. »Ich kann das nicht mehr anhören. Sorge dafür, dass er endlich still ist.«

»Für immer?« Selwyn Kinsella sah den Rancher fragend an und machte eine Geste zum Hals hin.

Woodward schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Ich will dem Kerl ins Gewissen reden. Deshalb soll er still sein. Klar? Er soll zuhören, der Mistkerl.«

Kinsella nickte und lenkte seinen Grauschimmel auf den Wimmernden zu.

Der Vormann war zugleich engster Vertrauter des Großranchers. Als ehemaliger Revolvermann hatte er bei Woodward einen dauerhaften Job und ein Zuhause gefunden. Was die Kleidung betraf, nahm Kinsella seinen Arbeitgeber als Vorbild und kleidete sich ebenfalls ganz in Schwarz.

Der Vormann war von schlanker Statur. Zusammen mit der Kleidung machten ihn das kurzgeschorene schwarze Haar, die buschigen Augenbrauen, die dunkelbraunen Augen und der Spitzbart zu einer finsteren Erscheinung. In Rosebud hatte er keine Freunde. Man ging ihm aus dem Weg.

Die drei Ranchhands hielten ihre Winchesterkarabiner weiter auf den Viehdieb gerichtet. Kinsella näherte sich dem Gespann von der Seite her, sodass er notfalls schnell aus der Schusslinie gelangen konnte.

»Mary, Mary«, sagte er und schüttelte tadelnd den Kopf. »Wie konntest du das bloß zulassen! Hättest du deinem Kerl diesen Irrsinn ausgeredet, müssten wir ihn jetzt nicht hängen.«

Die Frau des Farmers beachtete den Vormann nicht – was ihr nicht schwer fiel, da sie ohnehin nicht antworten konnte. Überdies hegte sie in der ausweglosen Situation keinerlei Hoffnung mehr, und Kinsella wäre der Letzte gewesen, von dem sie Unterstützung erwartet hätte.

Er beugte sich aus dem Sattel zur Seite, langte unter den Bock und förderte Paddy O’Sheehans Conversion Colt zutage. Die Waffe war ein für Patronen umgebauter Vorderlader-Revolver aus der Zeit nach dem Bürgerkrieg.

Kinsella ritt nach vorn und zügelte den Grauen neben dem Farmer auf seinem Muli. O’Sheehan wimmerte nach wie vor. Der Vormann schob sich den altertümlichen Colt unter den Hosenbund und sagte vorwurfsvoll: »Auch damit kannst du jemanden totschießen, Paddy. Also erzähle uns jetzt nicht, dass du ein Unschuldsengel bist. Du kannst froh sein, dass meine Männer dich nicht gleich abgeknallt haben. Aber du wirst ja auch wissen, dass unser Rancher ein fairer Mann ist, der selbst einen Viehdieb zu Wort kommen lässt, bevor er sein Urteil spricht.« Nach einer kurzen Pause fragte er: »Hast du verstanden, was ich gesagt habe?«

Unter Schluchzen brachte Paddy O’Sheehan ein mühsames »Ja« hervor.

»Dann sei jetzt still«, befahl Kinsella schroff. »Mister Woodward will mit dir reden. Sei dir bewusst, dass das eine große Gnade für dich ist.«

Der ertappte Viehdieb schniefte und hustete und schaffte es schließlich, die Anweisung des Vormanns zu befolgen. Kinsella wendete sein Pferd auf der Hinterhand, damit er den Rancher ansehen und ihm ein Handzeichen geben konnte.

Woodward verließ den Erdbuckel, ritt ein Stück auf den Einspänner zu und zügelte den Rappen zwei Pferdelängen von dem todgeweihten Mann entfernt. O’Sheehan hockte zusammengesunken auf dem Maultier, hielt den Kopf gesenkt und wagte es nicht, zu dem Rancher aufzublicken.

Woodward hielt die Zügel locker und legte beide Hände auf den Sattelknauf. Er beugte sich leicht vor und musterte den Farmer aus schmalen Augen.

»Paddy und Mary O’Sheehan«, sagte Woodward gedehnt, als würde er das Ehepaar erst jetzt identifizieren. »Was ihr getan habt, habt ihr gemeinschaftlich getan. Das muss ich daraus schließen, dass ihr eure Beute gemeinsam abtransportieren wolltet. Keiner von euch beiden hat also versucht, den anderen zur Vernunft zu bringen. Habe ich Recht?«

»Ja – ja, Sir«, antwortete Paddy mit zitternder Stimme.

»Ich stehe nun vor einem Problem«, fuhr Woodward in gelassen-sachlichem Tonfall fort. »Ich kann euch nicht beide bestrafen. Ihr habt sechs Kinder, soweit ich weiß. Oder ist schon wieder das nächste im Anmarsch?«

Paddy presste die Lippen zusammen, schüttelte den Kopf und senkte abermals den Blick. Selwyn Kinsella grinste breit. Die drei Männer lachten in sich hinein und hielten an sich, um nicht laut loszuprusten.

Mit einem Handzeichen wies Woodward seinen Vormann an, der Frau den Knebel abnehmen zu lassen. Kinsella gab den Befehl weiter, indem er sagte: »Hank, erledige das. Aber sie bleibt gefesselt, klar? Sonst geht sie noch wie eine Furie auf uns los.«

Wieder lachten die Männer ihr vorsichtiges Lachen, das sie sofort einstellen würden, wenn der Rancher sich verärgert zeigte. Aber Woodwards Haltung und seine Miene blieben unbewegt. Der Mann, der auf den Namen Hank hörte, war ein vierschrötiger, untersetzter Kerl mit breitem, knochigem Gesicht.

Er trieb sein Pferd auf den Einspänner zu. Unter seinen großen und derben Händen wirkte Marys Gesicht kindlich klein, als er ihren Unterkiefer packte, ihren Mund aufzwang und das Lappenknäuel mit Daumen und Zeigefinger der freien Hand rasch herausriss. Er tat es äußerst schnell, um Marys Biss zu entgehen.

Dennoch schnappte sie zu. Scharf schlugen ihre Zähne aufeinander, weil sie es nicht geschafft hatte, seine Finger zu erwischen. Stolz warf sie den Kopf in den Nacken und räusperte sich angestrengt, um wieder sprechen zu können. Hank wollte ihr seine Wasserflasche reichen, doch er zuckte zurück, konnte gerade noch ausweichen, als sie versuchte, ihn anzuspucken.

»Verdammtes Miststück«, knurrte Hank und holte aus, um zuzuschlagen.

»Halt!«, stoppte der Rancher ihn schneidend. »Zurück, Mann. Wir schlagen keine Frauen. Wir haben andere Mittel, um sie und ihren krausen Verstand zur Vernunft zu bringen.«

Der Vierschrötige zog den Kopf ein, murmelte ein »Ja, Sir« und dirigierte sein Pferd zu den beiden anderen Männern zurück.

Unterdessen näherte sich Woodward der Farmersfrau ein Stück weiter. Sie maß ihn mit einem trotzigen Blick und presste die Lippen zusammen.

Er nickte und lächelte gespielt verständnisvoll, als er sagte: »Da das Kinderkriegen deine ureigene Sache ist, Mary, hast du auch das Vorrecht, meine Frage zu beantworten.«

Mary O’Sheehan stieß einen verbitterten Laut aus und zischte: »Fahr zur Hölle, Grover Woodward. Du hast kein Recht, mir solche Fragen überhaupt zu stellen.«

»Wie du meinst, Mary. In der Hölle wirst du allein schmoren, wenn das viele Kinderkriegen erst einmal seinen Tribut fordert. Für deine Schandtat …«, er deutete auf die Ladefläche, wo der Fliegenschwarm als brummende dunkle Wolke auf und ab schwebte, »wirst du im Fegefeuer zur Rechenschaft gezogen werden. Verlass dich drauf.«

»Dass ich nicht lache«, fauchte Mary. »Tu, was du tun musst, und dann lass mich in Frieden.«

Woodward ging nicht darauf ein. »Ich bin ein guter Mensch, auch wenn du es nicht glaubst«, erklärte er großspurig. »Ich komme garantiert in den Himmel. Darauf kannst du Gift nehmen.« Als Mary nicht antwortete, fuhr er fort: »Was ihr getan habt, war besonders niederträchtig. Ihr habt das Rind geschlachtet, hier auf meinem Grund und Boden, statt es mitzunehmen.«

Mary starrte ihn misstrauisch an. »Was soll das Gerede? Du bist vom gleichen Schlag wie die Lords, die unseren Vorfahren in Irland das Leben zur Hölle gemacht haben. Also – weshalb palaverst du hier mit uns einfachen Leuten, statt kurzen Prozess zu machen?«

»Möchtest du das?« Woodward lachte rau. »Willst du deinen Mann unbedingt loswerden, Mary? Glaubst du, du hast mit deinen sechs Kindern noch eine Chance, einen anderen zu finden?«

Mary runzelte die Stirn und schwieg.

Der Rancher wandte sich an Paddy und sprach weiter: »Du warst ein Idiot, mein Junge. Du hättest das Rind mitnehmen und in deinem Stall verstecken können.«

Paddy wagte es zum ersten Mal wieder, den Kopf zu heben. Erstaunt sah er Woodward an. Eine nie gekannte Milde zeichnete sich in den harten Zügen des Großranchers ab.

Paddy antwortete zögernd: »Sir, ich hätte es doch niemals unbemerkt dort hinbringen können.«

Woodward wirkte geistesabwesend. »Warum hast du es nur getan?«, fragte er kopfschüttelnd.

Paddy schloss die Augen und öffnete sie wieder. Er konnte selbst kaum begreifen, dass er den Mut fand, zu reden

»Unsere Kinder verhungern, Sir. Alles hat sich gegen uns gewendet. Mary und ich arbeiten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und doch gehen wir zugrunde.« Er merkte, dass der Rancher ihm aufmerksam zuhörte; deshalb fügte er sich ermutigt, rasch noch hinzuzufügen:

»Wir wollten das Fleisch pökeln, aber nun ist es ja verdorben.« Mit einer zaghaften Kopfbewegung deutete er in die Richtung des brummenden Fliegenschwarms.

Grover Woodward ging nicht darauf ein.

Vielmehr erntete er grenzenloses Erstaunen – nicht nur bei dem Todgeweihten und seiner Frau, sondern auch bei seinen eigenen Männern, als er den Vormann anwies, die Schlinge von Paddys Kopf zu ziehen.

Bevor er die Anweisung ausführte, vergewisserte sich Selwyn Kinsella mit einem rätselnden Blick, ob sein Boss es ernst meinte. Im nächsten Augenblick aber erfuhren er und die anderen, worauf sich der Sinneswandel des Ranchers gründete.

»Paddy«, sagte Woodward beinahe feierlich. »Du wirst etwas für mich tun. Dafür schenke ich dir dein Leben. Und ich unterstütze dich und deine Familie, damit ihr wieder was zu beißen kriegt. Aber ich verlange von dir hundertprozentige Zuverlässigkeit und absolutes Stillschweigen. Das gilt im Übrigen auch für alle anderen Anwesenden.«

Dann erläuterte er seinen Plan in allen Einzelheiten.

Und seine Zuhörer bekamen den Mund nicht wieder zu.

***

Prudence Forshew fragte sich, was in sie gefahren war. War sie wirklich noch bei Sinnen? Sie ging im Salon im ersten Stock ihrer Villa auf und ab und übte sich darin, mit dem Schwingen des Kleids zurechtzukommen. Sie musste ihre Schritte genau bemessen, um nicht über die eigenen Füße zu stolpern. Denn in dem Reifrock fühlte sie sich, als würde sie in einem Vogelkäfig spazieren gehen.

Umziehen war nicht mehr möglich. Sie konnte ihre Entscheidung über ihre Garderobe nicht mehr rückgängig machen. Im Moment kam es ihr als eine schlimme Fehlentscheidung vor, und je mehr sie es sich einredete, desto mehr zerrte die Situation an ihren Nerven.

Alle paar Augenblicke blieb sie am vorderen Fenster stehen und blickte hinaus auf den Vorplatz, das Rondell und den Zufahrtsweg des Villengartens. Der Zug musste bereits auf dem Bahnhof angekommen sein. Sie hatten ihren Kutscher hingeschickt, um den Gast abzuholen. Jeden Moment konnte er also eintreffen.

Und hier trippelte sie nun herum, um sich an diese Wahnsinnskreation von einem Kleid zu gewöhnen. Für besondere Anlässe war es gedacht. Klar, das war die Vorgabe für ihre Schneiderin gewesen.

Was sie daraus gemacht hatte, war ein Kunstwerk aus leuchtend blauer Seide, Chiffon und Taft, verziert mit Spitzen und Paspelierungen in unterschiedlichen, perfekt passenden Farbtönen. Wohl in einem Anflug von totaler Selbstüberschätzung, so sah es Prudence jetzt, hatte sie zugestimmt, das Kleid für einen untergebauten Reifrock zuschneiden zu lassen.

Ohne die aufbauschende Gitterkonstruktion funktionierte der ganze Schnitt nicht. Der Teufel musste sie geritten haben, als sie sich dafür entschieden hatte. So ein Kleid gehörte in einen festlichen Ballsaal, war bestenfalls noch für eine Wohltätigkeitsveranstaltung in der Bürgermeister-Villa geeignet.

Heute aber war sie damit total overdressed. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr war sie davon überzeugt. Ja, für einen völlig Fremden tat sie sich diese verdammte Krinoline an. Sie war dem Mann noch nie begegnet, und da staffierte sie sich mit einem Reifrock aus wie für einen Staatsempfang.

Die Zweifel nagten an ihren Nerven und brachten sie zum Vibrieren.

Andererseits kam der Fremde aus Washington, arbeitete dort wohl für die Regierung, und er hatte den Auftrag, ihre, Prudences, beste Freundin hier in ihrer Villa zu treffen, um sie auf ihrem weiteren Weg in den Westen zu begleiten.

Abgesehen davon gehörte es in der besseren Gesellschaft von Minneapolis zum guten Ton, dass man sich angemessen kleidete, wenn man zur Teestunde am Nachmittag Besuch erwartete. Letzten Endes war es auch eine gewisse Pflicht für sie als Bürgerin von Minneapolis, ihre Stadt von deren bester Seite zu präsentieren – insbesondere gegenüber einem Gast aus der Hauptstadt.

Vielleicht, so überlegte Prudence, wollte sie mit ihrem glanzvollen Erscheinungsbild aber auch ihre Unsicherheit überspielen. Gewiss, mit ihren siebenundzwanzig Jahren gehörte sie als Eigentümerin einer Villa im besten Stadtviertel schon zu jener oberen Schicht von Bürgern, die in Minneapolis den Ton angaben.

Immerhin hatte sie als Leiterin einer Privatschule für die Kinder reicher Eltern einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Ihre eigenen Eltern hatten ihr die Schule und die Villa vermacht und sich auf einen Alterssitz in Florida zurückgezogen. Ja, sie war jemand in Minneapolis.

Aber das änderte nichts daran, dass es ihr als alleinstehender Frau gelegentlich an Selbstbewusstsein mangelte.

Wohl auch deshalb fühlte sie sich an diesem sonnigen Nachmittag wie ein echauffiertes kleines Mädchen. Wie eine alte Jungfer, würden böse Zungen behaupten. Verehrer hatte sie genug gehabt, aber keiner war ihr gut genug gewesen. So redeten die Leute über sie, und wenn sie aufgeregt war wie jetzt, glaubte sie selbst an dieses Gerede.

Argumente und Gegenargumente jagten sich in ihrem Kopf, während sie die Wartezeit herumzubekommen versuchte. Dabei wusste sie, dass sie sich selbst verrückt machte. Aber so oder so – es änderte alles nichts daran, dass sie in Erklärungsnot war.

Was, in aller Welt, sollte sie diesem Mann aus Washington sagen? Auf ihrer unsteten Wanderung durch den Salon blieb sie zum wiederholten Mal vor dem Sekretär stehen und nahm das Telegramm zur Hand, mit dem ihr die Uhrzeit seiner Ankunft mitgeteilt worden war. Und sein Name.

Lassiter.

Sehr unpersönlich, fand sie. Kein Vorname. Aber das war wohl typisch für Behörden. Alles tun, um auf Distanz zu dem einfachen Bürger zu bleiben. So dachten sie in ihren staubtrockenen Büros.

Sie legte das Telegramm wieder weg. Das eigene, das sie erst am Vormittag abgeschickt hatte, spielte momentan keine Rolle. Denn es brachte anscheinend keine Lösung.

Der Adressat hatte bislang nicht darauf geantwortet, obwohl die Situation mehr als besorgniserregend war.

Amabel war verschwunden.

Schon vor einer Woche hätte sie hier in Minneapolis eintreffen sollten. Aber Pünktlichkeit war nie Amabels Zier gewesen. Prudence hatte sich deshalb nicht gleich Sorgen gemacht, als die Gute ausgeblieben war.

Amabel Bradway, ihre beste Freundin. Sie kannten sich aus der Zeit, die sie gemeinsam mit ihren Eltern in Washington verbracht hatten. Amabel war in der Hauptstadt geblieben, Prudence war mit ihren Eltern zurück nach Minneapolis gegangen. Doch in den darauffolgenden Jahren hatten sich die beiden Freundinnen regelmäßig getroffen, meist im beschaulicheren Minneapolis.

Vor einem Jahr hatte sich Amabel von ihrem Ehemann getrennt. Prudence hatte seitdem mit ihr in ständigem Kontakt gestanden – meist brieflich, in dringenderen Fällen aber auch telegrafisch. Zwei Mal war Prudence nach Washington gereist, um Amabel bei Formalitäten und Umzugsvorbereitungen zu unterstützen.

Vor einem halben Jahr war dann das Scheidungsurteil ergangen, und nun, vor wenigen Wochen, waren Amabel und ihr Ex-Mann sich auch endgültig über die vermögensrechtliche Seite der Trennung einig geworden.

Hauptpunkt dieser Einigung war eine Rinderranch in Montana.

Herbert Jonathan Bradway, Amabels ehemaliger Mann, hatte ihrem Wunsch entsprochen und ihr – zusätzlich zu regelmäßigen Alimentezahlungen – die Ranch überschrieben. Er hatte sie vor Jahren als Anlage-Objekt erworben. Nun wollte Amabel ihre neue Selbstständigkeit unter Beweis stellen und die Ranch allein und in eigener Verantwortung weiterführen.

Herbert unterstützte sie dabei. Unter dem Strich hatten sie sich gütlich geeinigt, und sie waren fest entschlossen, gute Freunde zu bleiben. Amabel hatte sich sogar ein letztes Mal von ihm herumkommandieren lassen, als er darauf bestand, dass ein zuverlässiger und mit den Verhältnissen im Westen vertrauter Mann sie nach Montana begleiten würde.

Herbert Jonathan Bradway hatte die erforderlichen Verbindungen in der Hauptstadt, um solche Arrangements zustande zu bringen. Er war Ministerialbeamter, leitete die Abteilung Mid West im Kriegsministerium. Die Abteilung war zwar ein Relikt aus der Zeit der Indianerkriege, wurde aber wegen der immer wieder aufflackernden Rebellionen noch aufrechterhalten.

Prudence hatte Herbert zugesichert, dass sie Amabel ein paar Tage oder auch Wochen bei sich aufnehmen würde, bis der besagte zuverlässige Mann sie dann abholen und mit ihr nach Montana weiterreisen würde. Dort sollte er ihr dann so lange zur Seite stehen, bis auf der Ranch alles in geordneten Bahnen lief.

Unvermittelt hörte Prudence das wohlbekannte Knirschen, das Pferdehufe und eisenbereifte Räder auf der mit Kies befestigten Zufahrt ihres Anwesens verursachten. Sie eilte zum Fenster und blickte durch den Spalt hinaus, den die portierenartig aufgehängten Gardinen freiließen.

***

Angesichts des Sommerwetters hatte der Kutscher die vierrädrige Landau Carriage mit heruntergeklapptem Verdeck angespannt. Die beiden Falben als Zugpferde bildeten einen für das Auge angenehmen Kontrast zum schwarzen Lackglanz der Kutsche. Prudence hatte die Pferde mit Bedacht ausgewählt und für die Farbzusammenstellung von Beigebraun und Schwarz bereits viel Anerkennung geerntet

Auf den ersten Yards der Zufahrt versperrte der Kutscher in seiner schmucken dunkelgrünen Livree noch den Blick; dann aber, als der Landauer in die Kurve zum Rondell einbog, wurde der Fahrgast auf der hinteren Sitzbank uneingeschränkt sichtbar.

Prudence hielt unwillkürlich den Atem an.

Was für ein Mann!

Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte und ein jähes Verlangen in ihr aufstieg. Das alles bewirkte der bloße Anblick des Besuchers, wie er dort gelassen, mit übereinandergeschlagenen Beinen, auf den braunen Lederpolstern des Landauers saß.

Mit mäßigem Interesse ließ er seinen Blick über den Villengarten gleiten. Er wirkte wie einer, der schon alles gesehen hatte und den nichts mehr aus der Ruhe bringen konnte. Sein hellgrauer Anzug unterstrich seine schlanke und zugleich athletische Statur.

Das markante Gesicht unter der Krempe des schwarzen Stetsons strahlte Härte und Entschlossenheit aus. Die zur Seite geschlagenen Jackettschöße offenbarten einen Revolvergurt. In den Schlaufen des Gurts schimmerten die Messingböden von sauber aneinandergereihten Patronen, und aus dem Holster ragte das Griffstück eines Revolvers.

Prudence verspürte ein inneres Vibrieren, gegen das ihre Aufregung von vorhin rein gar nichts gewesen war. Es musste der Himmel sein, der ihr dieses Bild von einem Mann bescherte. Einen wie ihn hatte sie in ganz Minneapolis noch nicht gesehen.

Fieberhafte Hektik erfasste sie. Sie eilte zurück ins Ankleidezimmer und überprüfte ihr Äußeres ein letztes Mal. Ihre Wangen waren leicht gerötet, und ihre dunkelbraunen Augen leuchteten – wie es einem Besucher gegenüber angemessen war.

Die Frisur war in Ordnung, hielt ihrem kritischen Blick stand. Sie trug das lange brünette Haar kunstvoll hochgesteckt. Auch das Kleid erschien ihr jetzt als angemessen. Würde ihr Erscheinungsbild ihn beeindrucken? War sie schön genug, um einem völlig fremden Mann auf Anhieb zu gefallen?

Ein frivoler, fast schon unverfrorener Gedanke keimte in ihr auf, als die Kutsche vor dem Portal anhalten hörte. Der Gentleman aus Washington stieg aus, und sie konnte ihn wegen des Vordachs nun nicht mehr sehen. Gleich darauf waren Schritte aus der Eingangshalle zu hören.

Der Gedanke bohrte in ihr, ließ sich einfach nicht unterdrücken.

Sie war allein mit dem Besucher, und ebendies verdankte sie Amabels spurlosem Verschwinden oder, besser, Nichterscheinen. Sie brauchte nicht in Konkurrenz zu ihrer Freundin zu treten. Sie brauchte nicht zu befürchten, dass Amabel ihm besser gefiel. Ihre Chancen, ihn zu verführen, waren folglich exzellent. Seine ganze Aufmerksamkeit würde sich auf sie, Prudence, konzentrieren.

Auf einmal war sie froh, sich für die Krinoline entschieden zu haben. In ein besseres Licht konnte sie sich gar nicht rücken. Sie musste ihm einfach gefallen.

Als sich die Schritte im Korridor näherten, nahm Prudence rasch neben dem Flügel Aufstellung. Das kostbare schwarzglänzende Instrument stand etwa in der Mitte des Salons und war ein guter Ausgangspunkt, um einem Besucher mit der gebotenen Würde entgegenzugehen.

Josefina, das Hausmädchen, führte ihn herein. Neben seinem imposanten Erscheinungsbild wirkte Josefina bedauernswert reizlos. Daran vermochten auch ihr schwarzes Arbeitskleid und die adrette weiße Schürze nichts zu ändern. Sie war eine Tochter irischer Eltern, hatte die blasse Hautfarbe der Menschen auf der grünen Insel, ihr eigentlich hübsches Gesicht war von Sommersprossen übersät, und ihr blondes Haar hatte einen Stich ins Rötliche.

»Mister Lassiter, Madam«, sagte sie und vollführte einen Knicks.

Prudence nickte und entließ das Mädchen mit einer dankenden Handbewegung. Während die Hausherrin auf Lassiter zuging, näherte sich leises Geschirrklirren aus dem Korridor.

Elspeth, ein zweites Hausmädchen, das ebenfalls aus Irland stammte, schob einen Servierwagen herein, auf dem zwei Porzellankannen dampften und das Aroma frisch aufgebrühten Kaffees und Tees ausströmten. Dazu gesellte sich der Duft von frischgebackenem Marmorkuchen.

Elspeth deckte einen Stehtisch mit dem filigranen weißen Geschirr. Nachdem Prudence ihren Gast begrüßt hatte, geleitete sie ihn herüber und erkundigte sich, ob er Kaffee oder Tee bevorzuge. Lassiter entschied sich für Kaffee, während Prudence sich Tee einschenken ließ.

Sie erkundigte sich nach Lassiters Reiseverlauf und überbrückte die Zeit, bis das Hausmädchen den Salon verließ, mit Smalltalk. Prudence fiel es zunehmend schwer, sich unaufgeregt zu geben. Noch hatte dieser hinreißende Mann mit keinem Wort zu erkennen gegeben, dass er sich über Amabels Abwesenheit wunderte.

Sie umschloss ihre Teetasse mit beiden Händen, damit sie nicht zitterten. Sie konnte es nicht länger aufschieben. Es musste sein. Jetzt.

»Ich muss ein Geständnis ablegen«, sagte sie und beobachtete furchtsam seine Gesichtszüge, vor allem seine Augenpartie.

Doch mehr als ein Anflug von spöttischem Interesse war da nicht zu erkennen.

»Haben Sie etwas Schlimmes getan?«, erkundigte er sich. »Ich stehe gern als Beichtvater zur Verfügung.«

Prudence ignorierte seinen Spott. »Es geht nicht um etwas, das ich getan habe. Es geht um Amabel. Sie ist verschwunden – das heißt, sie ist überhaupt nicht angekommen. Und sie hat auch nichts von sich hören lassen.«

»Typisch«, antwortete Lassiter und schmunzelte.

»Ach, Sie kennen sie persönlich?«

Der große Mann nickte bedächtig. »Ich war einer der Scheidungsgründe.«

***

»A–ma–bel«, sagte der Kreole und sprach jede Silbe betont und bedeutungsvoll aus. »Was für ein wunderschöner Name! Und dann hör dir meinen Namen an. A–ma–dou …« Er sah sie begeistert an, wartete auf ihre Reaktion.

Doch kein Laut kam über Amabels Lippen. Sie kauerte in der äußersten Ecke des Zimmers auf dem Diwan, wo die rotseidenen Polster bis an die Wand reichten. Sie hatte die Beine angezogen, sodass ihre Waden die Oberschenkel berührten, und sie hatte die Arme über den Knien verschränkt.

Eine bessere Möglichkeit, ihre Blöße zu verbergen, hatte sie im Augenblick nicht.

Den Kopf hielt sie gesenkt, sah den Kerl aber am oberen Rand ihres Blickfelds.

Sie war splitternackt. Die Entführer hatten ihr alle Kleidungsstücke und das gesamte Gepäck abgenommen, als sie sie vom Bahnhof weg verschleppt hatten. Sie hatte Prudences Landauer schon vorfahren sehen, aber da war es bereits zu spät gewesen.

Die verdammten Kerle hatten sie in eine geschlossene Kutsche gestoßen, bevor sie auch nur um Hilfe schreien konnte. Die Kutschentüren waren kaum geschlossen gewesen, da hatten die Entführer sie auch schon gefesselt und geknebelt.

Amabel fühlte sich erniedrigt und aufs Schlimmste gedemütigt. Sie wusste nicht, wie viele Tage sie schon in diesem Etablissement zugebracht hatte. Gleich nach der Ankunft hatten sie ihr etwas eingeflößt. Laudanum zumindest, wahrscheinlich Opium dazu. Daran erinnerte sie sich noch.

Aber dann war sie abgedriftet, vielleicht sogar in die Bewusstlosigkeit. Anschließend musste sie elend lange geschlafen haben. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Irgendwann an diesem Tag war sie aufgewacht; es konnte morgens gewesen sein, mittags oder auch erst nachmittags. Sie hatte einen Bärenhunger gehabt und alles gegessen, was man ihr vorgesetzt hatte.

Ein Frühstück wie für eine Schwadron Kavallerie, die nach einem Monat Außeneinsatz in den Stützpunkt zurückkehrte. Der Kaffee war schwarz und stark gewesen und hatte sie halbwegs wieder auf die Beine gebracht.

Und jetzt hockte sie in diesem plüschigen, nach billigem Parfüm riechenden Zimmer, in dem normalerweise Huren die Beine breitmachten. Des Letzteren war sie sicher. Alle Anzeichen deuteten zumindest darauf hin, dass sich in diesem Raum überwiegend Frauen aufhielten.

Und nun dieser arrogante dunkelhäutige Kerl, der sich anscheinend wie der Kaiser von China vorkam. Mindestens aber musste er der Chef dieses Bordells sein. Oder der oberste Zuhälter. Oder wer weiß was.

Er hockte rittlings auf einem Polsterstuhl vor dem Fußende des Diwans. Er hatte die Unterarme auf die Oberkante der Lehne gelegt und sah sie verträumt an. Das Jackett seines bonbonfarbenen dunkelroten Anzugs hatte er über die Lehne eines anderen Stuhls gehängt.

Er hatte eine längliche Kopfform und ein entsprechend schmales Gesicht, in dem die lange Nase dominierte. Das jettschwarze Haar war in der Mitte gescheitelt und fiel ihm bis in die Stirn. An den Seiten endete es präzise über den Ohren, und im Nacken reichte es bis auf den Kragen seines blütenweißen Hemds.

An den Ärmeln und am Kragen war es mit Rüschen besetzt. Das verlieh ihm etwas Seeräuberhaftes.

Er war schlank, fast drahtig. Die dunkelrote Hose war röhrenhaft eng. Dazu trug er hellbraune Maßstiefeletten mit weißen Ledereinsätzen auf der Oberseite. Insgesamt besaß er die aufdringliche Eleganz jener Männer, die das Nachtleben zu ihrem zweifelhaften Beruf gemacht hatten.

Noch auffälliger aber waren Amadous große dunkelbraune Augen mit ihrer kindlichen Unschuld und dieser geradezu schwärmerischen Verträumtheit.

In einer anderen Umgebung und unter normalen Umständen hätte Amabel solche Augen faszinierend gefunden. Doch sie hütete sich, auf ihre eigenen Empfindungen hereinzufallen – zumal diese immer noch unter dem Einfluss von Beruhigungs- und Rauschmitteln standen.

Ihr Kopf war noch nicht klar genug, um nüchtern denkend zu reagieren. Deshalb ließ sie von ihrer inneren Stimme beständig Warnungen aussenden.

Sei Vorsicht, Amabel. Lass dich nicht von ihm einlullen. Er wird versuchen, dein Vertrauen zu gewinnen. Er ist einer von diesen Zuhältertypen, die ihr neues Pferd im Stall erst einmal selber ausprobieren wollen.

»Es muss ein Wink des Schicksals sein«, sagte er und stützte sein Kinn auf den Unterarm. Scheinbar sinnierend fuhr er fort: »Unsere Vornamen beginnen mit den gleichen Silben, und die bedeuten wohl auf jeden Fall, dass wir liebenswerte Menschen sind – in meinem Fall auch liebebedürftig, das steht fest.«

Er machte eine Pause und wartete auf eine Reaktion. Doch er sah ihr Gesicht nicht, nur ihr blondes Haar. Ursprünglich war es kunstvoll hochgesteckt gewesen; nach den Tagen in Gefangenschaft hatte sie es nur noch notdürftig im Nacken zusammenknoten können.

Sie hoffte inständig, dass sie das meiste von ihrer Blöße mit ihrer kauernden Haltung gut genug versteckt hatte. Allerdings änderte das nichts daran, dass er immerhin ihre nackte Haut sah. Manche Kerle, das wusste sie, konnte eine Frau aber allein damit schon um den Verstand bringen.

»Ich weiß«, fuhr er fort und zog die Worte lang, »dass du mir sehr viel Liebe geben kannst, Amabel – wenn du nur willst. Aber …«, er lachte leise, »selbst wenn du zunächst nicht willst, werde ich dich dazu bringen, dass du ganz verrückt nach mir bist.«

Unvermittelt, fast ruckartig, stand er auf, stieß den Stuhl von sich weg, dass er polterte.

Amabel zuckte zusammen, stieß einen erschrockenen kleinen Schrei aus.

Amadou lachte und klatschte in die Hände. »Ach, du Ärmste!«, rief er. »Wirke ich so furchterregend auf dich?« Er lachte noch einmal. »Nun, beeindruckt solltest du schon von mir sein. Sieh mich an.« Er vollführte eine halbe Drehung nach links und eine halbe Drehung nach rechts – als würde er vor einem Spiegel stehen und mit seinem Abbild kokettieren.

Amabel erschauerte. Nur aus Angst hob sie den Kopf ein wenig.

»Na also«, sagte er zufrieden. »Habe ich es nicht prophezeit? Du fängst bereits an, dich für mich zu interessieren. Sehe ich nicht haargenau so aus, wie eine Frau sich den Mann ihrer Träume vorstellt? Nun, ich kann dir sagen, woran das liegt. Ich bin ein Kreole, und wir Kreolen sind die einzigen Aristokraten Amerikas.«

Stolz warf er sich in die Brust und reckte das Kinn vor.

Amabel konnte nicht umhin, den Kopf noch ein Stück anzuheben und genauer hinzusehen. Der Mann war einfach unglaublich – die Mensch gewordene Arroganz.

»Mein voller Name ist Amadou Cantador«, sagte er prahlerisch. »Meine Familie ist in New Orleans ansässig. Wir Cantadors sind überwiegend französisch-spanischer Herkunft, aber als unsere Vorfahren an den Küsten der neuen Welt landeten, haben sie sich mit Einheimischen vermischt – mit dunkelhäutigen Menschen aus Haiti beispielsweise, aber auch mit nordamerikanischen Indianern. Ja, niemand repräsentiert Amerika und seine europäischen Wurzeln besser als wir Kreolen.«

Urplötzlich machte er einen Schritt um die Ecke am Fußende und stand im nächsten Augenblick neben dem Diwan.

Amabel zuckte abermals zusammen. Diesmal blieb sie stumm, zwängte sich aber in den Wandwinkel wie ein schutzsuchendes Reh.

»Jetzt hör mir mal zu«, sagte er, und seine Stimme veränderte sich plötzlich zu schneidender Kälte. »Wenn du glaubst, mir nicht antworten zu müssen, hast du dich getäuscht. Heute lasse ich es dir noch durchgehen, weil du vielleicht noch nicht ganz klar im Kopf bist. Aber ab morgen ist Schluss damit. Verstanden?«

Amabel nickte und schluchzte. Mühevoll murmelte sie etwas wie ein »Ja« und blickte voller Angst zu ihrem Peiniger auf. Dabei wusste sie, dass er sich noch nicht einmal von seiner schlimmsten Seite gezeigt hatte. Aber ebenso gewiss war, dass er seine Drohung wahrmachen würde.

Einen Moment lang sah es aus, als wollte er sich auf sie stürzen.

Amabel hob bereits schützend die Arme vor das Gesicht.

Doch auf einmal wandte er sich ab und schnappte sich sein Jackett. Bei der Tür blieb er noch einmal stehen.

»Ich lasse dich erst einmal allein – weil ich dir die Vorfreude auf mich nicht nehmen will, kleine Amabel. Aber du darfst dich darauf verlassen – ich komme wieder.«

Der dumpfe Laut der zufallenden Tür traf Amabel wie ein Hieb.

***

Prudence rückte sich ins beste Licht. Der Gartenpavillon mit seinen speziell angefertigten Sesseln und Sofas bot ihr dazu erstklassige Möglichkeiten. Acht Ecken, acht filigran umrandete Fenster. Hoch und rechteckig in das weiß lackierte Redpine-Holz eingefügt, ließen die Glasflächen ein Höchstmaß an Sonnenlicht hereinfallen.

So gewährte der Pavillon seinen Benutzern nicht nur eine fast unbeeinträchtigte Rundumsicht auf den Villenpark, sondern er ließ andererseits für Spaziergänger im Park keinerlei Fragen darüber offen, wer sich gerade in dem zierlichen achteckigen Bauwerk aufhielt.

Hingegossen auf einem der beiden kleinen Sofas, ließ Prudence sich von der Sonne bescheinen wie von Bühnenscheinwerfern. Sie wartete nur darauf, dass Lassiter endlich auftauchen würde, damit er sich an ihrem Anblick erfreute und in Stimmung bringen ließ.

Manche Gäste des Hauses fühlten sich in dem Gartenhäuschen wie auf dem Präsentierteller. Die meisten aber, vor allem die weiblichen, schlossen sich Prudences Meinung an und genossen es, sich etwaigen Bewunderern zu zeigen – und seien es nur die jungen, kraftvollen Gärtner, die in unregelmäßigen Abständen stunden- oder tageweise auf dem Anwesen arbeiteten und es in Schuss hielten.

In den meisten Fällen aber waren es die Gentlemen aus der gehobenen Gesellschaftsschicht von Minneapolis, die bei festlichen Anlässen in Prudence Forshews Villenpark flanierten. Sicher, es gab einige Unverheiratete unter ihnen, aber Prudence war bislang keinem begegnet, den sie als Liebhaber oder sogar als Ehepartner in Betracht ziehen konnte.

Umso aufregender war dieser Nachmittag für sie. Lassiter, das hatte sie während der kurzen Begegnung auf Anhieb festgestellt, besaß alle Qualitäten, die ein Mann brauchte – und wahrscheinlich noch viel mehr. Sie war geradezu versessen darauf, all das herauszufinden, was den Liebhaber in ihm ausmachte.

Natürlich hatte sie sich zu diesem Zweck umgezogen. Vorher hatte sie sich nach Lassiters Wünschen erkundigt. Zwinkernd hatte er geantwortet, dass des Gentlemans Höflichkeit es verbiete, all seine Wünsche gegenüber einer Lady unverblümt auszusprechen. Voller heimlicher Freude hatte sie daraus geschlossen, dass er sie offenbar attraktiv fand.

Ernst geworden, hatte er nach seiner langen Bahnreise erfreut zugestimmt, ein Bad zu nehmen. Seinen Koffer hatte das Personal bereits auf sein Zimmer gebracht. Josefina hatte ihn auf Prudences Anweisung dorthin geführt, während das Bad für ihn vorbereitet wurde.

Mit Elspeths Hilfe hatte Prudence sich in ihrem Umkleidezimmer der nun störenden Krinoline entledigt und eine leichte Korsage und ein Sommerkleid angezogen. Es bestand aus dünnem Baumwollstoff, der weiß grundiert und mit einem Meer von stilisierten lilafarbenen Blüten übersät war.

Ohne die Blüten wäre der Stoff durchscheinend gewesen. So aber gab er nur eine Ahnung von ihren Körperformen preis. Indessen erfüllte die Korsage ihren Zweck, indem sie Prudences beachtliche Brüste emporwölbte und das Dekolletee des Kleids damit augenfällig ausfüllte.

Auf einer kleinen Kommode zwischen den beiden Sofas stand ein großer Teller mit Pralinen und den teuersten Kuchenkreationen bereit, die es beim sizilianischen Zuckerbäcker Luciano im Zentrum von Minneapolis zu kaufen gab. Elspeth war erneut für Kaffee und Tee verantwortlich. Sie würde beides rechtzeitig in den Gartenpavillon bringen.

Prudence richtete den Oberkörper auf dem Sofa auf. Sie griff nach einer Praline mit Sahnelikörfüllung und schob sie sich genießerisch in den Mund. Langsam ließ sie die kostbare Schokoladenkreation zwischen Gaumen und Zunge zerbrechen und erfreute sich am Herausfließen der cremigen Füllung.

Sie blickte an sich hinab und überlegte, wie sie sich am besten darbieten sollte. Sie hatte die Beine bereits seitlich liegend angewinkelt. Wenn sie sie noch ein wenig aufrichtete, konnte sie so tun, als ob sie unbeabsichtigt mehr von sich zeigte.

Sie hatte das im Salon einmal vor einem Spiegel geübt, nachdem eine Freundin aus der High Society von Minneapolis ihr den Tipp gegeben hatte. Entscheidend war, wie man sich setzte. Ein Sofa war da durchaus der geeignetste Platz, obwohl auch ein Sessel funktionierte, wenn auch mit Einschränkungen wegen der begrenzten Sitzfläche.

Zweiter Punkt neben der Sitzposition war die Art des Stoffs. Da es sich meist um ein knöchellanges Kleid handelte, das man trug, kam es darauf an, wie man es drapierte. Als raffinierte Zurschaustellerin der eigenen weiblichen Reize musste man wissen, wie die unterschiedlichen Materialien – Seide, Taft, Baumwolle oder anderes – von den Knien abwärts fielen und Falten warfen.

Dann konnte man in etwa einschätzen, wie viel und vor allem, was man von sich zeigte. Weil man in dem Moment, auf den es ankam, meist keinen Spiegel zur Verfügung hatte, mussten Übung und Erfahrung zum Tragen kommen.

Im Grunde brauchte man nur wenig nackte Haut zu zeigen, zum Beispiel ein wenig von der Unterseite der Oberschenkel. Das musste natürlich unbeabsichtigt aussehen, damit der betrachtende Gentleman es für einen Zufall und ein kleines Missgeschick der betreffenden Lady hielt.

Dementsprechend brachte es seine Gefühle in Wallung. Denn Gentlemen, die normalerweise schon beim Anblick eines entblößten Fußknöchels in Verzückung gerieten, konnten beim Anblick von nackter Haut höher gelegener Körperteile ihr sexuelles Verlangen nur noch mit größter Mühe zügeln.

Da kostete es die Kerle dann allergrößte Mühe, ihre gute Erziehung nicht über Bord zu werfen und sich nicht wie ein wildes Tier auf die Lady zu stürzen, die sie solchermaßen herausforderte.

Denn das Geheimnis und die wirkliche Meisterleistung dieser Provokation lagen ja darin, dem Betrachter das Gefühl zu geben, dass man alles zeigte, obwohl es in Wirklichkeit nur eine Andeutung der größten Offenbarung war.

Im Übrigen gab es einen zuverlässigen Gradmesser für den Erfolg einer solchen Rock-Raff-Aktion. Die frivole Lady brauchte nur den Bereich unmittelbar unterhalb der Gürtelschließe ihres Gegenübers zu beobachten, und schon wusste sie haargenau, welche Wirkung sie bei ihm erzielte. Seine Erektion war letzten Endes die direkte Auswirkung dessen, was sie ihn von sich sehen ließ.

Dieser Macht über den Mann musste sich eine Frau nur bewusst sein. Und sie musste damit umgehen können, dann gelang es ihr mir nichts, dir nichts, ihr Leben in die richtigen Bahnen zu lenken.

Jäh waren Prudences Gedanken wie weggewischt.

Ein Impuls wie von neu explodierendem Sonnenlicht traf ihr Auge. In der Tat war es, als würde an diesem Tag ein zweites Mal die Sonne aufgehen.

Lassiter trat aus dem Haus.

Josefina führte ihn über die hintere Veranda und den Hauptweg des Villenparks – auf den Gartenpavillon zu.

Prudence überlegte fieberhaft. Sollte sie in ihrer lasziven Pose verharren? Vielleicht war es ein wenig plump, und Lassiter fühlte sich davon abgestoßen. Schließlich gehörte sie nicht dem horizontalen Gewerbe an, sondern sie war eine Lady der oberen Gesellschaftsschicht.

Sie setzte sich auf, züchtig, wie es sich gehörte, und sie strich ihr Kleid über den Knien glatt – bis hinunter zum Fußboden. Aus dem Haus kam nun auch Elspeth mit dem Servierwagen.

Prudence beschloss, sich ein wenig aktiv zu zeigen. Sie stand auf, rückte die Deckchen auf Tisch und Kommode zurecht und stellte die Blumenvase einen Fingerbreit nach links und dann wieder einen Fingerbreit nach rechts.

***

Josefina öffnete die Pavillontür für den großen Mann und trat knicksend zur Seite. Lassiter folgte ihrem Beispiel und machte Elspeth Platz, die nun zur Stelle war und den Servierwagen in den Pavillon schob. Prudence bedankte sich, entließ die Girls und empfing ihren Gast mit strahlendem Lächeln.

»Es freut mich, dass Sie Zeit für mich haben«, sagte sie und ersetzte ihr Lächeln im nächsten Moment durch angedeutete Sorgenfalten, in die sie ihre Stirn legte. »Was ich meine ist, dass ich eigentlich ein schlechtes Gewissen haben muss.«

»Wirklich?«, entgegnete Lassiter, bevor sie weitersprechen konnte. »Haben Sie vor, einen Liebhaber zu betrügen, der gerade auf Geschäftsreise ist?«

Prudence lachte und hob tadelnd den Zeigefinger. »Das ist eine böswillige Unterstellung, mein Lieber. Erstens bin ich in keiner Weise an einen Mann gebunden, und zweitens bezieht sich mein schlechtes Gewissen einzig und allein auf Amabel.«

»Bitte nehmen Sie es mir nicht übel«, erwiderte Lassiter, nachdem er eingetreten war. »Wissen Sie, ich lese einer Lady gern ihre Wünsche von den Lippen ab. Nur muss ich vorher wissen, mit welchen möglichen Konsequenzen ich zu rechnen habe.« Er wandte sich halb um, fand einen Eisenriegel an der Innenseite der Tür und legte ihn vor.

»O!«, rief Prudence und spielte Erstaunen. »Sperren Sie die betreffende Lady immer vorher ein?«

Lassiter schmunzelte. »Das kommt auf die Situation an. Und darauf, ob es angebracht ist.«

»Ach, dann glauben Sie, dass ich Ihnen weglaufen würde, wenn ich könnte?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich bin sicher, wir werden uns jetzt gut kennenlernen.«

»Indem Sie mir meine Wünsche von den Lippen ablesen?«, entgegnete sie kokett und schlug die langen Wimpern auf und nieder. Unmerklich straffte sie dabei ihr Rückgrat, um das Dekolletee zur Geltung zu bringen.

Zufrieden registrierte sie, dass der große Mann nicht umhin konnte, ihre prallen Wölbungen mindestens eine Sekunde lang ausgiebig zu betrachten. Dann zog sie seine Aufmerksamkeit wieder an sich, senkte ihren Blick tief in den seinen und fügte hinzu: »Darf man erfahren, auf welche Art und Weise Sie dieses Ablesen gestalten wollen?«

»Dafür gibt es nur eine einzige Möglichkeit«, antwortete der große Mann.

»Ach, wirklich? Um was handelt es sich?«

Lassiter nickte. »Dazu müsste ich Ihnen – und Sie mir – etwas näher kommen.«

»Vielleicht …«, sagte sie mit ausgedehntem Augenaufschlag, »sehr nahe?«

Lassiter verzichtete auf weitere Erklärungen, trat kurzerhand auf sie zu und schloss sie in die Arme. Er küsste sie, und sie erwiderte seinen Kuss heiß und innig, indem sie die Arme um seinen Nacken schlang und ihre Lippen fest und voller Verlangen auf die seinen presste.

Sie schloss die Augen, öffnete die Lippen, und ihre Zungenspitzen fanden zueinander, erforschten sich gegenseitig. Sie waren sich darüber im Klaren, dass es nun kein Zurück mehr gab. Ihre Gefühle hatten einen Weg eingeschlagen auf ein Umkehren ausgeschlossen war.

Nur widerstrebend löste sich Prudence noch einmal von dem großen Mann. Es musste sein. Rasch zog sie die Fenstervorhänge zu und vergewisserte sich, dass die Türverriegelung sicher verschlossen war.

»Natürlich habe ich dafür gesorgt, dass wir hier unbeobachtet sind«, sagte sie leise und verführerisch, während sie sich ihm wieder zuwandte.

»Wie soll denn das funktionieren?«, entgegneter Lassiter heiser. »Mir kommt es eher vor, als ob wir uns hier auf dem Präsentierteller befinden.«

»Trotz der geschlossenen Vorhänge?« Prudence schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe alle Gärtner nach Hause geschickt. Und das Personal hat Anweisung, sich nur dann blicken zu lassen, wenn ich rufe.« Sie wies auf einen Klingelzug, der neben dem Türrahmen befestigt war.

Lassiter schmunzelte. Er trat erneut auf sie zu und zog sie an sich. »Bessere Vorbereitungen hättest du nicht treffen können.«

»Denke bloß nicht, ich würde so etwas häufig tun«, entgegnete sie wie ein ertapptes kleines Mädchen, das sich an den Kirschen in Nachbars Garten gütlich tat.

»Wie könnte ich«, erwiderte er. Er blickte ihr in die Augen. »Ab sofort herrscht Redeverbot.«

»Nichts ist mir lieber«, kicherte sie.