Lassiter Sammelband 1793 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1793 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2260, 2261 und 2262.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!


2260: Ein Bankier auf der Flucht

Die Dunkelheit umschloss Norman Cecil Coates in seinem Bett wie schwarze Watte. Es war eine seltsam schwere Watte; sie drückte ihn nieder, ließ ihm kaum noch Luft zum Atmen. Unvermittelt konzentrierte sich der Druck auf einen Punkt von der Größe einer Dollarmünze in seiner Brustmitte.

Der Bankier hörte sich schreien. Schweißgebadet wachte er auf - und wusste nicht, ob er nur im Traum geschrien hatte. Denn es war totenstill, kein Nachhall war zu hören.
Er wollte sich ans Herz fassen, um das Druckgefühl zu lindern. Doch da war etwas Hartes, glatt und kalt, das von seinem Brustbein aufragte. Der Lauf einer Schrotflinte! Entsetzen durchfuhr ihn. Jemand war in sein Schlafzimmer eingedrungen! Eine eisige Stimme erklang: "Du gibst uns unser Geld zurück. Sofort! Wenn nicht, stirbst du!"

2261: Keine Gnade für Bobby-Lu

Die rohlederne Bullenpeitsche hing an der Wand hinter der Chaiselongue und hatte seinem Großvater gehört. Sie war ein sauber gearbeitetes Stück Sattlerhandwerk, das so manchem Sklaven zum Verhängnis geworden war. Die Schreie der Schwarzen hatte man bis herauf in den Salon gehört.

Ross Pounds hätte die Peitsche gern an der Wand belassen, als jene finstere Erinnerung im Gedächtnis behalten, als die er das Züchtigungsinstrument seit Jahr und Tag kannte. Doch der Ungehorsam seiner Töchter ließ ihm keine Wahl.

Der Plantagenbesitzer seufzte und nahm die Peitsche vom Haken. Er schwenkte sie durch die Luft und hieb mit ihr auf die Chaiselongue ein.
Sie leistete noch immer ausgezeichnete Dienste.


2262: Der Reverend des Teufels

Im Westen leuchtete die Silhouette der Berge unter der Abendsonne. Nach Osten hin dehnte sich die Prärie bis zum Horizont. Das hohe Gras bog sich unter dem warmen Südwind und Roger Baker hatte das Gefühl, über die Wellen eines grünen Meeres zu blicken. Auf seinen Spaten gestützt, gab er sich dem beruhigenden Anblick hin. Nicht, dass Baker nervös gewesen wäre, doch selbst einem Routinier wie ihm tat ein wenig Entspannung gut, bevor es zur Sache ging.

Hufschlag wurde laut. Ein Reiter preschte von Norden her den Hügel herunter. Sammy Axen. Er hielt sein Pferd neben Baker an. "In einer Stunde sind sie hier!", verkündete der Neuankömmling und trabte ein Stück abseits ins Gras. Baker aber entzündete den vorbereiteten Holzhaufen. Danach überprüfte er die Kugeln in seinem Revolver. Alles Routine.

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Seitenzahl: 387

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotive: Boada/Norma ISBN 978-3-7325-6229-9

Jack Slade

Lassiter Sammelband 1793 - Western

Inhalt

Jack SladeLassiter - Folge 2260Die Dunkelheit umschloss Norman Cecil Coates in seinem Bett wie schwarze Watte. Es war eine seltsam schwere Watte; sie drückte ihn nieder, ließ ihm kaum noch Luft zum Atmen. Unvermittelt konzentrierte sich der Druck auf einen Punkt von der Größe einer Dollarmünze in seiner Brustmitte. Der Bankier hörte sich schreien. Schweißgebadet wachte er auf - und wusste nicht, ob er nur im Traum geschrien hatte. Denn es war totenstill, kein Nachhall war zu hören. Er wollte sich ans Herz fassen, um das Druckgefühl zu lindern. Doch da war etwas Hartes, glatt und kalt, das von seinem Brustbein aufragte. Der Lauf einer Schrotflinte! Entsetzen durchfuhr ihn. Jemand war in sein Schlafzimmer eingedrungen! Eine eisige Stimme erklang: "Du gibst uns unser Geld zurück. Sofort! Wenn nicht, stirbst du!"Jetzt lesen
Lassiter - Folge 2261Die rohlederne Bullenpeitsche hing an der Wand hinter der Chaiselongue und hatte seinem Großvater gehört. Sie war ein sauber gearbeitetes Stück Sattlerhandwerk, das so manchem Sklaven zum Verhängnis geworden war. Die Schreie der Schwarzen hatte man bis herauf in den Salon gehört. Ross Pounds hätte die Peitsche gern an der Wand belassen, als jene finstere Erinnerung im Gedächtnis behalten, als die er das Züchtigungsinstrument seit Jahr und Tag kannte. Doch der Ungehorsam seiner Töchter ließ ihm keine Wahl. Der Plantagenbesitzer seufzte und nahm die Peitsche vom Haken. Er schwenkte sie durch die Luft und hieb mit ihr auf die Chaiselongue ein. Sie leistete noch immer ausgezeichnete Dienste.Jetzt lesen
Lassiter - Folge 2262Im Westen leuchtete die Silhouette der Berge unter der Abendsonne. Nach Osten hin dehnte sich die Prärie bis zum Horizont. Das hohe Gras bog sich unter dem warmen Südwind und Roger Baker hatte das Gefühl, über die Wellen eines grünen Meeres zu blicken. Auf seinen Spaten gestützt, gab er sich dem beruhigenden Anblick hin. Nicht, dass Baker nervös gewesen wäre, doch selbst einem Routinier wie ihm tat ein wenig Entspannung gut, bevor es zur Sache ging. Hufschlag wurde laut. Ein Reiter preschte von Norden her den Hügel herunter. Sammy Axen. Er hielt sein Pferd neben Baker an. "In einer Stunde sind sie hier!", verkündete der Neuankömmling und trabte ein Stück abseits ins Gras. Baker aber entzündete den vorbereiteten Holzhaufen. Danach überprüfte er die Kugeln in seinem Revolver. Alles Routine.Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Ein Bankier auf der Flucht

Vorschau

Ein Bankier auf der Flucht

Die Dunkelheit umschloss Norman Cecil Coates in seinem Bett wie schwarze Watte. Es war eine seltsam schwere Watte; sie drückte ihn nieder, ließ ihm kaum noch Luft zum Atmen. Unvermittelt konzentrierte sich der Druck auf einen Punkt von der Größe einer Dollarmünze in seiner Brustmitte.

Der Bankier hörte sich schreien. Schweißgebadet wachte er auf – und wusste nicht, ob er nur im Traum geschrien hatte. Denn es war totenstill; kein Nachhall war zu hören.

Er wollte sich ans Herz fassen, doch da war etwas Hartes, glatt und kalt, das von seinem Brustbein aufragte. Der Lauf einer Schrotflinte! Entsetzen durchfuhr ihn. Jemand war in sein Schlafzimmer eingedrungen! Eine eisige Stimme erklang: »Du gibst uns unser Geld zurück. Sofort! Wenn nicht, stirbst du!«

Coates verspürte die Angst als glühende Hitze, die sich von innen her in ihm ausbreitete und jeden Winkel seines Körpers erfasste. Der Schweiß rann ihm jäh wie ihn Sturzbächen vom Kopf herab. Gleichzeitig fühlte sich die Hitze der Angst an wie Tausende von Stecknadeln, die die Poren seiner Haut von innen nach außen durchstachen.

Er blinzelte verzweifelt, doch seine Augen vermochten sich nicht an die Dunkelheit zu gewöhnen. Er sah nicht einmal den Schatten des Mannes, der gesprochen hatte.

Oder waren es mehrere?

Der Bankier glaubte, unterschiedliche Atemzüge zu hören. Ja, es mussten mehrere Männer sein. Das war nur logisch. Denn er schuldete etlichen Leuten in der Stadt Geld. Aber wie, in aller Welt, war es ihnen gelungen, so völlig lautlos in sein Haus und in sein Schlafzimmer einzudringen?

Und sie waren völlig unsichtbar, mussten also ganz in Schwarz gekleidet sein. Aber er konnte weder ihre Gesichter noch das Weiße ihrer Augen sehen. Der Schweiß auf Coates’ Haut war erkaltet. Er erschauerte, begann zu frieren, trotz der fast noch sommerlichen Temperaturen dieses beginnenden Septembermonats.

»Wer – wer seid ihr?«, hörte er sich krächzen. »Was wollt ihr von mir?«

»Hast du nicht zugehört?«, grollte der Mann, der zuvor schon gesprochen hatte. »Muss man dir alles zweimal sagen? Oder dreimal, oder viermal? Oder noch öfter, bis du es endlich kapierst?«

Gelächter erscholl. Rau und gehässig klang es, und es kam aus mehreren Kehlen. Eine ganze verdammte Horde von Kerlen musste sich vor seinem Bett versammelt haben. Und verdammt, er hatte nichts davon gemerkt. Dabei hatte er doch so einen leichten Schlaf, besonders in diesen Tagen, Wochen und Monaten, da ihm das Wasser finanziell bis zum Hals stand.

»Nein, nein!«, erwiderte er gehetzt. »Ich habe alles verstanden. Ihr bekommt euer Geld zurück – mit Zins und Zinseszins. Ich schwöre es, so wahr mir …«

»Versündige dich nicht«, unterbrach ihn der Wortführer der Unsichtbaren barsch. »Du würdest einen Meineid leisten, ohne rot zu werden. Nicht wahr?«

»Himmel, nein!« Coates schrie es fast. »Ihr kriegt euer Geld. Gebt mir nur noch ein paar Tage. Dann kriegt ihr es zurück. Auf den Penny genau.«

»Verdammt, ich kann dieses Geseiere nicht mehr hören«, knurrte einer der anderen Männer. »Und dann ein paar Tage! Mit so einer schwammigen Angabe hätten wir damals als Schuldner mal kommen sollen.«

»Dann hätten Mister Coates und Konsorten nur mitleidig gegrinst«, sagte ein weiterer Unsichtbarer.

»Ich erinnere mich sehr gut an die Zahlungsfristen der Coates & Maynard Bank«, erklärte der, der zuvor gesprochen hatte. »Auf den Tag genau musste ich meine Kreditraten damals zahlen, obwohl ich fast pleite war. Und hätten Freunde mir nicht aus der Klemme geholfen, hätte die Bank sich meine Ranch gnadenlos einverleibt.«

»Ja, die Bank«, ächzte Coates. »Doch nicht ich! Ich persönlich bin doch kein Unmensch. Aber mir waren nun mal die Hände gebunden. Ich musste mich an die Geschäftsbedingungen der Bank halten. Ich war und bin nur der geschäftsführende Gesellschafter. Emery Maynard ist schließlich auch noch da.«

»Als stiller Teilhaber«, ließ sich der Wortführer vernehmen. »Die Entscheidungen hast immer nur du getroffen, Norman.«

»Nach Rücksprache mit Emery«, heulte Coates. »Immer!«

»Unsinn«, fuhr ihn der andere an. » Emery hat sich nie wirklich ins Bankgeschäft eingemischt. Aber lassen wir die Vergangenheit auf sich beruhen. Es gilt das Hier und Heute. Und deshalb sind wir hier – du zahlst uns unser Geld zurück.«

»Aber ja! In drei, vier Tagen …«

»Nein, sofort«, schnitt ihm der Anführer erneut das Wort ab. Er zog die Schrotflinte von Coates’ Brust weg und trat offenbar einen oder zwei Schritte zurück. »Du gibst uns unser Geld jetzt sofort. Auf der Stelle.«

Dem Bankier verschlug es vor Entsetzen die Sprache.

»Aber das – das kann ich nicht«, stammelte er schließlich. »Mein Gott, das sind mehr als zweihunderttausend Dollar.«

»Na und?«

»Die kann ich nicht so schnell zusammenkriegen. O Gott, wie soll ich denn das schaffen?«

»Natürlich schaffst du es«, widersprach der Unsichtbare in ruhigem Ton. »Du hast genug Reserven.«

»Nein, habe ich nicht!«, wimmerte Coates. »Ich schwöre …«

Weiter kam er nicht. Unvermittelt waren zwei der schattenhaften Gestalten neben seinem Bett. Einer packte ihn, der andere stopfte ihm einen Lappen in den Mund. Sofort darauf packten ihn beide Männer und wuchteten ihn mit dem Kopf voraus zum Fußende hin. Bevor er auf dem Bettzeug landete, drehten sie ihn auf den Bauch.

Im nächsten Moment kreuzten sie seine Handgelenke auf dem Rücken und schnürten sie ihm zusammen. Der Strick, den sie verwendeten, war rau und hart, drückte sich schmerzhaft in seine Haut.

Coates sah noch, wie einer eine Handlaterne anzündete. Der sich blakend ausbreitende Lichtschein erhellte schwarze, bodenlange Umhänge mit spitzen Kopfhauben, die lediglich Löcher für die Augen und für die Nase aufwiesen.

Vier Männer waren es, deren Kutten aussahen, als hätten sie ihre Ku-Klux-Klan-Kluft schwarz gefärbt. Einer von ihnen hielt die Laterne. Ein anderer verließ das Schlafzimmer durch die offenstehende Tür und kehrte gleich darauf mit einem Küchenstuhl zurück. Er verharrte abwartend draußen im Korridor.

Der Wortführer gab dem, der neben dem Bett stehen geblieben war, einen Wink mit dem Flintenlauf. Der Mann packte den Gefesselten und zerrte ihn aus dem Bett. Coates gab verzweifelte Würgelaute von sich, doch der Knebel dämpfte sie so wirksam, dass sie nur aus unmittelbarer Nähe zu hören waren.

Er gab es auf. Er versuchte nicht länger, mit diesem unartikulierten Würgen um Hilfe zu rufen. Ohnehin war Honora, seine Tochter, die Einzige, die ihm hätte helfen können. Ja, sie wäre dazu fähig gewesen, denn sie konnte kämpfen wie ein Mann.

Aber allem Anschein nach hatte sie nichts gehört. Die Kuttenkerle mussten völlig lautlos eingedrungen sein. Deshalb schlief Honora wahrscheinlich ahnungslos in ihrem Zimmer, nur ein paar Schritte entfernt, am Ende des Korridors.

Sie brachten ihn hinaus. Im Winkel zwischen dem eingeschossigen Anbau, in dem sich Coates’ Privatwohnung befand, und dem zweigeschossigen Bankhaus erstreckte sich der Hinterhof. Die Stallungen vervollständigten die Gebäudeformation zu einem großen »U«.

Ein Obstgarten und eine mehr als mannshohe Einfriedigungsmauer schlossen das »U« zur Liberty Street hin, einer Seitenstraße, die vorn, an der Ecke des Bankgebäudes, in die Main Street mündete. Durch den Obstgarten führte ein Fahr- und Reitweg, der vor einem Tor in der Mauer endete.

Wie in jeder Nacht war das Tor auch jetzt verschlossen. Unter den Kronen der Obstbäume herrschte völlige Dunkelheit. Das Laternenlicht erreichte nur einen Teil der Bäume, wodurch der unbeleuchtete Teil des Obstgartens und die Einfriedigungsmauer zu einer düsteren Wand verschmolzen.

Auch von draußen fiel kein Lichtschein mehr herüber. Demzufolge musste es bereits nach Mitternacht sein, denn die Straßenlaternen in Bismarck wurden jede Nacht um null Uhr gelöscht.

Die Männer in den schwarzen Kutten stellten den Küchenstuhl unter einen der Obstbäume und hängten die Laterne an einen Ast über dem Stuhl. Dann zwangen sie Coates, sich zu setzen. Seine gefesselten Arme banden sie hinter der Rückenlehne des Stuhls fest. Das Licht der Laterne umgab ihn wie eine mattgelbe Glocke.

Coates fühlte sich entblößt und lächerlich – zugleich gedemütigt, weil er nur sein Nachthemd trug. Trotz seiner Situation sehnte er sich nach der korrekten Kleidung, in der er anderen Menschen gewöhnlich gegenübertrat.

Im dunkelgrauen Business-Anzug, mit Chemisette und Krawatte, hätte er auch sein Übergewicht besser kaschieren können. Er gehörte zu den Männern, denen man ihre überschüssigen Pfunde nicht ansah, weil sie sich auf den ganzen Körper verteilten und von einem perfekt geschneiderten Anzug im Zaum gehalten wurden.

Er wusste, dass er über einen durchaus ansehnlichen Körperbau verfügte, von dem er schon des Öfteren vernommen hatte, dass man ihn mit einem Kleiderschrank verglich. Nun aber, im Nachthemd, hatte er das Gefühl, auseinanderzugehen wie ein Hefekloß.

Natürlich wusste er, dass es so schlimm nicht sein konnte. Doch verschlafen und mit zerwühltem Haar aus seinen privaten vier Wänden gezerrt worden zu sein, raubte ihm jegliches Selbstwertgefühl.

Wenn er sich in der Öffentlichkeit blicken ließ – sei es in der Bank, im Theater oder bei Versammlungen –, war sein dunkles Haar stets ordentlich frisiert und pomadisiert. Das Gleiche galt für seinen Henriquatre-Bart, den er vom Barbier ebenso regelmäßig trimmen und pflegen ließ wie sein Haupthaar.

Der Wortführer lehnte seine Schrotflinte an den Stamm des Obstbaums, an dem die Laterne hing. Coates sah erst jetzt, dass die Baumkrone voller reifer Äpfel war. Warum war ihm das bislang noch nicht aufgefallen?

Seine gehetzten Gedanken erzeugten eine rasche Antwort. Er hatte einfach keine Zeit, sich um Nebensächlichkeiten zu kümmern. Das Bankgeschäft beanspruchte sein Leben zu hundert Prozent.

Und jetzt, in diesen grauenvollen Minuten, waren es seine Bezwinger, die seine volle Aufmerksamkeit beanspruchten.

Sie entfernten sich von ihm, nur etwa zehn Schritte rückwärts gehend. Am Rand des Lichtkreises blieben sie stehen und bildeten eine Linie.

Er riskierte einen Blick nach rechts. Warum, um Himmels Willen, brannte in Honoras Zimmer kein Licht? Nun gut, durch Licht hätte sie sich natürlich verraten. Bestimmt war sie schlau genug, aus dem dunklen Zimmer heraus zu beobachten, was vor sich ging. Aber wenn es so war, hätte sie doch längst etwas unternehmen müssen.

Honora, dachte er flehentlich, o Honora, warum hilfst du mir nicht? Du mischst dich doch sonst in alles ein. Warum tust du es jetzt nicht? Der Gedanke an ihre Mutter, seine Ex-Frau, ließ ihn resignieren. Natürlich – Harriet hatte ihre Hartherzigkeit an Honora vererbt.

Wenn es darauf ankam, hatte er folglich von seiner Tochter genauso wenig zu erwarten wie von seiner einstigen besseren Hälfte, die nicht unwesentlich zu seiner desolaten Finanzlage beigetragen hatte.

Die Vermummten standen da wie beinlose Wesen in ihren Kutten. Sie griffen unter den schwarzen Stoff und brachten Winchestergewehre zum Vorschein.

Norman Coates konnte nicht anders, er würgte wieder seine schrill gegurgelten Laute hervor. Natürlich konnte er sich damit bei niemandem Gehör verschaffen. Aber Honora, so schien es, wollte ihn nicht hören.

***

Die Frau wusste nicht, dass er sie kannte. Ebenso wenig wusste sie, dass Lassiter ein postkartengroßes, handkoloriertes Foto von ihr in der Innentasche seines Jacketts hatte. Sie zumindest hatte keine Ahnung, wer er war.

Ihre persönlichen Daten standen auf der Rückseite des Bilds.

Alanna Donnelly. Rechtsanwältin in Washington DC.

Sie hatte das gleiche Reiseziel wie Lassiter, Bismarck in North Dakota. Sein Auftrag lautete, sie zu beobachten und zu beschützen. Allerdings durfte sie nichts davon erfahren, denn sie war eine resolute und äußerst selbstbewusste Lady. Im Laufe ihrer Karriere hatte sie sich ein unerschütterliches Selbstbewusstsein erarbeitet und verstand es, sich gegen jegliche Art von Bevormundung zu verwahren.

In einem Pullman-Salonwagen der Northern Pacific Rail Road, kurz NPRR, bewältigten sie den letzten Abschnitt dieser Reise, von der Alanna mittlerweile ahnen mochte, dass es eine gemeinsame war. Denn der Schienenstrang der NPRR endete in Bismarck.

Das Foto aus der Kartei der Brigade Sieben war nur ein halbes Jahr alt, und es entsprach exakt Alannas heutigem Aussehen. Sie hatte ihr blondes Haar hochgesteckt. In der Kartei des Geheimdienstes befand sich eine Notiz, dass ihr Haar in offenem Zustand bis weit über die Schultern auf den Rücken reichte.

Der Hinweis galt dem sehr unterschiedlichen Aussehen, das durch die jeweilige Frisur entstand. Während Alanna mit offenem Haar überaus weiblich und anschmiegsam aussah, wirkte sie mit dem Knoten im Nacken streng und altjüngferlich.

Das war auch jetzt der Fall. Möglich, dass sie sich vorgenommen hatte, auf der Reise nach North Dakota niemanden an sich herankommen zu lassen.

Es hinderte sie indessen nicht daran, ziemlich ungeniert Blickkontakt mit dem Mann der Brigade Sieben aufzunehmen. Vielleicht lag es an der Eintönigkeit dieser Bahnfahrt, dass sie Abwechslung suchte oder ihn ganz einfach herausfordern wollte.

Möglich aber auch, dass er ihr schlicht und einfach aufgefallen war. Immerhin fuhr er die gleiche Route wie sie, und er war auf denselben Bahnhöfen umgestiegen – zuletzt in Duluth, Minnesota, vor gerade einmal einer Viertelstunde. Bei Fargo würden sie die Grenze nach North Dakota überqueren.

Ihre Blicke widersprachen der Unnahbarkeit, die sie ausstrahlte.

Lassiter hatte sich anfangs gefragt, ob ihm sein Wahrnehmungsvermögen einen Streich spielte. Aber es ging nun schon fast eine Stunde so. Diese elegante und hochvornehme Lady strahlte unverhohlene Lüsternheit aus, sobald sie ihn mit ihren himmelblauen Augen ins Visier nahm.

Kein anderer Passagier bekam das mit, obwohl alle Plätze des Zuges besetzt waren. Ohnehin wagte es niemand, die Unnahbare auch nur anzusehen, musste er doch mindestens mit einem vernichtenden Blicke, wenn nicht mit einer scharfen Zurechtweisung rechnen.

So konnte Alanna ihr frivoles Spiel mit dem großen Mann treiben, ohne auch nur im Mindesten dabei gestört zu werden.

Alannas Platz befand sich drei Sitzbuchten von Lassiter entfernt, rechts vom Mittelgang, entgegen der Fahrtrichtung. Da er selbst in Fahrtrichtung saß, hatten sie über die Rückenlehnen und zwischen den Schultern der Mitreisenden hindurch gegenseitig freies Blickfeld.

Ihren Hut, eine hochmoderne topfförmige Kreation aus roséfarbenem Filz, dunkelroten Stoff-Applikationen und einer künstlichen Rose aus schwarzer Seide, hatte sie auf das Gepäcknetz über ihrem Kopf gelegt.

Der Zug fuhr geradewegs nach Westen, auf die untergehende Sonne zu. Das Tageslicht beiderseits des Schienenwegs hatte einen rötlichen Schimmer angenommen. Lassiter schätzte, dass es spätestens in einer halben Stunde dunkel werden würde. Er hatte vor, die Nachtstunden auf seinem gut gepolsterten Sitzplatz zu verbringen.

Alanna war eine schöne Frau. Wahrscheinlich würde er mit ihrem Anblick vor Augen eindösen und dann von ihr träumen.

Es geschah, kaum dass er daran gedacht hatte. Die monotonen Rollgeräusche der Räder und das rhythmischen Klicken der Räder auf den Stoßfugen geleiteten ihn in den Schlaf. Er ließ den Hinterkopf an das weiche Polster der Rückenlehne sinken, ohne dass es ihm noch bewusst wurde.

Augenblicklich glitt er hinüber in eine Welt aus Milch und Honig. Vor einem sonnendurchfluteten Hintergrund erschienen braun-beigefarbene Wogen, die sich ins Bild wiegten. Aus den Wogen formten sich die Rundungen einer Frau, die sich zu einer stolzen Person aufrichtete.

Wie auf Wolken schwebend kam sie auf ihn zu. Er sah ihr Gesicht vor sich, ihre ebenmäßigen und wunderschönen Züge, die strahlenden Augen, die ihm den Himmel auf Erden verhießen. Gleich darauf sah er nur noch ihre Augen, denn sie küsste ihn und war ihm so nahe, wie eine Frau ihm nur nahe sein konnte.

Und sie wisperte: »Du bist der Mann, auf den ich gewartet habe. Für dich werde ich alles tun, einfach alles …«

Er wollte sie an sich ziehen, wollte sie festhalten. Doch sie lachte und entglitt ihm wie ein Kind, das mit ihm spielen wollte. Ihr Lachen schwand, und ihre Miene wurde ernst und beinahe besorgt, als sie sich ihm erneut näherte. Ihre Stimme hörte sich an wie ein Säuseln, als sie flüsterte:

»… kann mich jetzt einfach nicht mehr zurückhalten. Ich bitte …«

Als sie ihren Satz beendete, begriff Lassiter, dass er erwachte.

»… um Verständnis, Sir. Ich muss es einfach tun.«

Er blinzelte und riss die Augen weit auf.

Ihr Gesicht, eben noch im wolkenweichen Traum, war immer noch da. Überdies sah er sie nun in voller Schönheit, wie sie vor ihm stand. Sie trug dieses braun-beigefarbene Kostüm, das er schon vorher an ihr gesehen hatte, als sie sich in den Speisewagen begeben hatte.

Es war ein maßgeschneidertes, engsitzendes Kostüm, das ihre weiblichen Rundungen perfekt zur Geltung brachte. Zudem, weil sie sich zu ihm herabbeugte, gewährte ihr Dekolletee einen tiefen Einblick und ließ ihn ahnen, wie groß und straff ihre Brüste waren.

Er räusperte sich, hörte sich krächzen: »Sorry, Madam, was müssen Sie tun?«

»Ich muss mich bedanken, Sir.«

»Bei mir? Wofür?« Lassiter blinzelte verdutzt.

Sie lächelte mild. »Dafür, dass Sie so großes Interesse an mir zeigten.«

Lassiter erwiderte ihr Lächeln und entgegnete höflich: »Tut mir leid, aber ich weiß nicht …«

»Das kann ich mir denken«, unterbrach sie ihn mit einem Lachen. Gleich darauf seufzte sie. »Aber so sind sie, die Männer. Erst ziehen sie einen mit Blicken aus, und dann wollen sie es nicht gewesen sein.«

Dem großen Mann blieb die Spucke weg. Ohne mit der Wimper zu zucken, behauptete diese Lady das Gegenteil von dem, was sich tatsächlich abgespielt hatte. Sie hatte ihn mit Blicken verschlungen. Aber okay, das Spiel, das sie im Sinn hatte, fing anscheinend erst richtig an.

Und hatten die übrigen Fahrgäste bis jetzt nichts mitbekommen, so legte es Alanna jetzt offenbar darauf an, dass alle die Ohren spitzten. Lassiter bemerkte jedenfalls, dass die Ladys und Gentlemen um ihn herum begannen, neugierig herüberzustarren.

Eine Frau, die einen Mann in aller Öffentlichkeit so unverhohlen einer zweideutigen Belästigung bezichtigte, war schon eine kleine Sensation. Lassiter konnte es den Leuten nicht verdenken, dass sie die weitere Entwicklung des Wortwechsels unbedingt verfolgen wollten.

Doch sie wurden enttäuscht.

Alanna ließ den großen Mann nicht zu Wort kommen. Vielmehr beugte sie sich zu ihm hinab. Es sah aus, als wollte sie ihn küssen. Die Zuschauer hielten bereits den Atem an. Aber der Eindruck trog. Sie flüsterte in Lassiters Ohr:

»Blicke genügen mir nicht. Ich möchte, dass Sie mich richtig ausziehen – mit Ihren hoffentlich sehr gefühlvollen Händen.«

***

Lassiter war nicht sicher, ob er wirklich erlebte, was in diesen Minuten geschah. Alanna hatte ein geschlossenes Abteil in dem Salonwagen gemietet, der in der Zugfolge vor dem mit Polstersitzbänken ausgestatteten Wagen lief.

Das Abteil, so verriet sie Lassiter auf dem Weg nach vorn, brauchte sie lediglich für die Nacht. Bei Tageslicht hatte sie sich unter das Volk gemischt, wie sie es nannte.

»Allein in meinem Abteil gelingt es mir ja nicht, Kontakte zu knüpfen«, sagte sie, als sie den Seitengang des Salonwagens erreichten. Sie drehte sich zu ihm um und lachte. »Heute ist es mir geglückt, oder?« Noch während sie sprach, wandte sie sich wieder nach vorn.

»Perfekt«, erwiderte Lassiter einsilbig. Er fragte sich, ob sie mehr wusste, als er ahnte. Solange er die Antwort darauf nicht kannte, musste er mit seinen Äußerungen zurückhaltend sein.

Sie war eine äußerst selbstständige und selbstbewusste Frau. So viel stand fest. Sie nahm sich das Recht heraus, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen – in jeder Beziehung.

Als Rechtsanwältin war sie ohnehin eine Ausnahmeerscheinung – zumindest in den Kleinstädten des Westens, wo Männerberufe noch Männerberufe waren. Das änderte indessen nichts daran, dass ein Mann sie – indirekt – zur Unterstützung angefordert hatte.

Rechtsanwalt Bertrand E. Finch war dieser Mann. Er war der Verbindungsmann der Brigade Sieben in Bismarck und brauchte dringend juristische und praktische Hilfe. Allerdings hatte er dafür nicht ausdrücklich um Alanna Donnelly gebeten; sie war ihm von der Brigade Sieben zugewiesen worden.

Der Hintergrund waren politische Weichenstellungen, die auf die Zeit in vier Jahren abzielten. Dann – 1889 – sollten aus dem Dakota Territory zwei Bundesstaaten gebildet werden, South Dakota und North Dakota.

Heute – 1885 – stand bereits so gut wie fest, dass Bismarck Hauptstadt bleiben würde, allerdings die des neuen nördlichen Bundesstaats. Im südlichen Zwillingsstaat wetteiferten mehrere Städte um die Hauptstadtwürde. Erst vor zwei Jahren hatte Bismarck als Hauptstadt des Territoriums seine im südlichen Teil gelegene Vorgängerin Yankton abgelöst.

So oder so verdoppelte sich die Zahl der erforderlichen Männer, die bereit waren, Verantwortung zu tragen.

Für die beiden, künftig getrennten und selbstständigen Staaten, hatten sich erfolgversprechende Kandidaten längst auf die politische Bühne begeben. Einer von ihnen war ein Mann namens Norman Cecil Coates, seines Zeichens Hauptanteilseigner der Coates & Maynard Bank in Bismarck.

Coates war bereits Mitglied des Stadtrats von Bismarck. Seine Partei, die American Party, hatte ihn wegen seines ausgeprägten politischen Talents als Kandidaten für das Amt des Gouverneurs von North Dakota auserkoren. Coates war bei der Bevölkerung beliebt, und es galt als sicher, dass er die Gouverneurswahl gewinnen würde.

Nun aber war es Coates selbst, der die Pläne gefährdete, die seine Förderer mit ihm hatten. Denn er hatte nicht nur die Bank durch hochriskante Wertpapiergeschäfte in den drohenden Ruin getrieben. Überdies hatte er auch noch Gelder seiner Kunden veruntreut, indem er sie ohne deren Wissen für nicht minder riskante Börsenspekulationen eingesetzt hatte.

Coates’ Kompagnon Emery Maynard hatte seinen Freund Finch auch im Namen der American Party gebeten, für Schadensbegrenzung zu sorgen. Finch wiederum fühlte sich mit der Aufgabe überfordert. Jemand wie Coates, der an seiner eigenen Misere so schuldig war, wie ein Mann nur schuldig sein konnte, ließ sich nun einmal schwer zum Sympathieträger umformen, wenn es erst einmal herausgekommen war, was er sich geleistet hatte.

Sicherlich hatte Coates sich eine Menge Feinde gemacht. Vor ihnen musste er zumindest dann geschützt werden, wenn sie gewalttätig wurden. Der schlimmste vorstellbare Fall war, dass sie ihn in ihrer Wut lynchten.

Für seinen Einsatz in Bismarck hatte die Brigade Sieben Lassiter mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Über seinen normalen Status als Geheimagent der US-Regierung hinaus verfügte er während seines Aufenthalts in Bismarck über alle Kompetenzen eines Bundespolizisten.

Bislang gab es diesen Status nur auf dem Papier, in verschiedenen Gesetzentwürfen für die Zukunft. Danach sollte eine Polizeibehörde geschaffen werden, deren Zuständigkeitsbereich das gesamte Gebiet der Vereinigten Staaten umfassen würde.

Die Beamten einer solchen US-Polizeibehörde brauchten sich dann nicht mehr um Grenzen von Bundesstaaten zu kümmern. Sie konnten überall tätig werden, ohne dafür jedes Mal einen speziellen Einsatzauftrag zu benötigen. Für seinen Job in Bismarck war Lassiter demzufolge schon heute so gut gerüstet wie die US-Agenten von morgen.

Unterdessen wollten Emery Maynard und seine Parteifreunde alles daran setzen, den guten Ruf ihres Kandidaten Coates wiederherzustellen – sobald er erst einmal vor Angriffen sicher war. Das schloss den guten Ruf der Stadt Bismarck mit ein, denn letztlich war sie ihrem Namen etwas schuldig.

Immerhin kam dieser Name nicht von ungefähr, vielmehr versinnbildlichte er weitreichende Beziehungen. Transatlantische Beziehungen waren es, genau gesagt. Ihr Namensgeber war eine Zeitlang die große Hoffnung für die Stadt am Missouri gewesen – Deutschlands Reichskanzler Otto von Bismarck.

Zahlreiche deutsche Einwanderer hatten sich am Ostufer des Missouri niedergelassen, als die Northern Pacific Rail Road mit ihrem Schienenstrang bis dorthin vorgedrungen war. Zu dem Zeitpunkt, 1872, hatte die entstehende Stadt den Namen Edwinton erhalten, nach einem leitenden Ingenieur der NPRR.

Finanzielle Schwierigkeiten der Eisenbahngesellschaft hatten die deutschen Bürger in Edwinton dazu gebracht, starke Hoffnungen auf ihr Herkunftsland zu setzen. So war der Entschluss geboren, die aufstrebende Stadt mitten im Indianerland umzubenennen. Alle Bürger Edwintons, das daraufhin Bismarck hieß, waren mit der neuen Namensgebung einverstanden gewesen.

Voller Enthusiasmus hatten sie sich ihrer selbstgestellten Aufgabe gewidmet, deutsche Investoren dafür zu gewinnen, ihr Kapital in der Eisenbahnerstadt in Dakota anzulegen. Reichskanzler von Bismarck hatte das Zugpferd sein und die Finanziers entsprechend anspornen sollen.

Doch den reichen Deutschen war der amerikanische Westen offenbar zu wild gewesen, und so war der erhoffte Geldsegen von jenseits des Atlantik ausgeblieben. Der Kanzler hatte sich lediglich zu einem herzlichen Dankesbrief dafür durchringen können, dass die Stadt nach ihm benannt worden war.

Ganz hatten die Stadtväter die Hoffnung auf deutsche Investitionen aber nie aufgegeben. Daher war es bei dem Namen geblieben, und inzwischen hatte wohl niemand mehr die Absicht, ihn jemals wieder zu ändern.

Lassiters Gedanken wanderten ab und konzentrierten sich auf das Wesentliche – Alannas Hüftschwung, den er in aller Deutlichkeit vor Augen hatte. Ihr maßgeschneidertes Kostüm wies gerade jene angedeutete Enge auf, die nicht aufdringlich oder übertrieben erschien, es dem geübten Auge aber ermöglichte, sich die sanften und zugleich straffen weiblichen Rundungen vorzustellen, deren aufreizende Bewegungen es umhüllte.

Unvermittelt wurde der große Mann aus seinen Betrachtungen gerissen, als Alanna stehenblieb.

»Da wären wir«, verkündete sie gutgelaunt. Sie blieb vor einer halbverglasten Tür stehen, die den Schriftzug »Kansas« aus erhabenen, massiven Messingbuchstaben trug.

Lassiter sah erst jetzt, dass alle Abteile mit den Namen unterschiedlicher Bundesstaaten gekennzeichnet waren. Er musste sich eingestehen, dass Alanna seine ganze Aufmerksamkeit beansprucht hatte.

Seine Begleiterin zog einen Schlüssel aus ihrer Handtasche, gab der Tür einen schwungvollen Stoß und forderte den großen Mann mit einer Handbewegung auf, einzutreten.

Er zögerte und sagte: »Ladys first.«

»Der Standard gilt für mich nicht«, entgegnete Alanna energisch und lächelte dabei. »Auch Gentlemen dürfen mal den Vortritt haben. Also bitte, Sir.« Sie wiederholte die Geste, mit der sie ihn hineinwinkte.

Lassiter sah sie stirnrunzelnd an und las in ihrer Miene, dass sie keinen Widerspruch duldete. Er war gespannt, was er noch alles mit ihr erleben würde. Deshalb fügte er sich seufzend, obwohl es ihm in den Fingern juckte, sie auf den Arm zu nehmen und über die Schwelle zu tragen.

Das Salonwagen-Abteil war verschwenderischer Luxus. Polster und Vorhänge bestanden aus dunkelrotem Samt. Aufmerksames Northern-Pacific-Personal hatte die beiden golden glänzenden Messing-Wandlampen bereits angezündet. Der mattwarme Lichtschein verbreitete eine Atmosphäre purer Gemütlichkeit.

Die Fenstervorhänge waren noch geöffnet und erlaubten einen letzten Blick auf die Landschaft, die von der untergehenden Sonne purpurrot gefärbt wurde.

Lassiter spähte interessiert hinaus, während er hinter sich Alanna hörte, wie sie die Abteiltür abschloss und den Vorhang zuzog. Er war auf alles gefasst und drehte sich um.

Doch Alanna stand einfach nur da, sah ihn an und lächelte rätselhaft. Nachdem sie den großen Mann von Kopf bis Fuß gemustert hatte, fragte sie:

»Sind Sie nicht Jäger und Sammler, Sir?«

Er nickte und antwortete: »In gewisser Weise bin ich das. Aber im Gegensatz zu den Menschen der Frühzeit sammle ich Gesetzesbrecher und bringe sie hinter Gitter.«

Sie quittierte es mit einem Anheben der Augenbrauen. »Und Frauen? Sammeln Sie die nicht auch?«

Er ignorierte die Frage. Stattdessen erwiderte er: »Ich finde es lästig, sich zu siezen. Vor allem in einer Situation wie dieser.«

Sie stieß die Atemluft durch die Nase aus und lachte auf. »Wissen Sie was, Sir? Ich duze mich mit einem Mann erst dann, wenn er mich zum ersten Mal nackt gesehen hat.«

***

»Du willst also nicht zahlen«, stellte der Anführer der Kuttenträger fest. Seine Stimme klang hohl und dumpf unter der spitzen Kopfhaube. Hinter deren Schlitzen war jetzt das Weiße seiner Augen zu sehen, verursacht durch den Einfallswinkel des Laternenlichts.

»Ich kann nicht zahlen! Nicht sofort!«, heulte Norman C. Coates. »Wie oft soll ich das noch sagen?«

Dabei wusste er, dass nur er selbst es verstand. Wegen des Knebels hörte es sich für seine Peiniger lediglich an wie ein unverständliches Würgen und Gurgeln. Es brachte ihn zur Verzweiflung, dass er sich nicht verständlich machen konnte.

Dass er nicht um Gnade flehen konnte.

Dass er ihnen nicht klarmachen konnte, mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hatte.

Dass sie ihn so oder so umbringen würden.

»Deshalb stirbst du – jetzt«, fuhr der Anführer fort. »Es reicht uns nämlich. Wir haben endgültig genug von dir. Und komm uns nicht damit, dass wir dich noch brauchen, damit du uns unser Geld zurückholst. Da irrst du dich gewaltig.« Er lachte abgehackt.

»Wenn du in der Hölle schmorst«, rief einer der anderen, »holen wir uns, was du uns gestohlen hast.«

Diesmal lachten sie alle. Es klang grimmig und wütend zugleich.

Coates atmete tief ein und aus, um seinen Herzrhythmus zu normalisieren. Doch es gelang ihm nicht. Es war, als würden drei oder vier Hämmer rasend schnell hintereinander von innen gegen seinen Brustkorb schlagen. Er konnte sich einfach nicht beruhigen.

Wieder und wieder versuchte er, sich einzureden, dass nichts mehr eine Rolle spielte. Es half ihm nicht. Sein Innerstes war aufgewühlt, als würde es gleich explodieren.

An einer Antwort waren die Kerle sowieso nicht interessiert. Sie wollten nur ihr Geld. Sie konnten nicht verstehen, dass ein Bankier lavieren musste, dass er die Klippen des Finanzmarktes umschiffen musste – und, dass dabei manchmal Engpässe überwunden werden mussten.

Als Bankier musste man häufig Entscheidungen treffen, die ein Außenstehender nicht begreifen konnte. Durststrecken waren dazu da, überwunden zu werden. Und danach ging es immer wieder bergauf.

Aber nein, das wollten sie einfach nicht kapieren.

Unvermittelt, auf einen Wink ihres Anführers, stellten sie ihr Lachen ein und bauten sich in einer Linie auf – am Rand des Lichtkreises, etwa zehn Yard von ihm entfernt. Von Mann zu Mann hielten sie einen exakten Seitenabstand von jeweils einem Schritt ein.

Dem Bankier stockte der Atem. Hölle und Teufel, sie machten Ernst! O verflucht, wenn er gekonnt hätte, hätte er sie direkt angesprochen, denn er hatte sie längst an ihren Stimmen identifiziert.

»Gewehr – durchladen!«, kommandierte der Anführer – Theodore Parham, einer der wohlhabenden Rancher im Burleigh County. Er war ehemaliger Major der US Cavalry, hatte in den Indianerkriegen gedient.

Die anderen gehorchten. Es waren Arthur Kirby, ein weiterer Rancher, Philip Shand, ein Viehhändler, und Carl Ericson, der Inhaber des Hardware-Stores von Bismarck. Alle hatten ihr überschüssiges Geld bei ihm, Coates, angelegt und glaubten nun, alles verloren zu haben.

Ihre Hände, als weiße Flecken außerhalb der Kutten sichtbar, bewegten sich schnell und energisch. Mit Gewehren kannten sie sich aus.

Das metallische Ratschen der Waffenverschlüsse ging Coates durch Mark und Bein. Er begann zu zittern wie unter Krämpfen. Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht. Er würgte schrille Schreie voller Verzweiflung und Todesangst hinaus, doch die Schwarzkutten beachteten ihn nun erst recht nicht mehr.

Parham gab einen neuen schneidenden Befehl.

»Leeegt – an!«

Sein eigenes und die Gewehre der drei anderen flogen in den Schulteranschlag.

Die schwarzen Spitzhauben verrutschten beim Visieren. Mit jeweils einer Hand zupften die Männer sie zurecht. Trotzdem sah es nicht so aus, als ob sie durch die Augenschlitze wirklich präzise zielen konnten.

Die Mündungen der Gewehrläufe richteten sich auf die Brust des Delinquenten.

Coates fragte sich entsetzt, ob sie sein Herz überhaupt treffen würden. Womöglich schossen sie daneben, sodass er einen grauenhaften Todeskampf durchleiden musste. Seine Angst wuchs, ließ sein Herz schneller und schneller hämmern.

Mit seinen geknebelten Schreien würgte er sich fast die Seele aus dem Hals. Er hätte alles dafür gegeben, seine Todesangst wenigstens ungehindert hinausbrüllen zu können. Er schloss die Augen, als er sah, dass die Gewehrläufe zur Ruhe kamen. Die Männer dahinter schienen jetzt sicher zu sein, ihr Ziel im Visier zu haben.

Parhams Stimme war voller Wut und Entschlossenheit, als er den entscheidenden Befehl schrie.

»Feuer!«

Das Krachen der Schüsse übertönte die Stimme des Ranchers und vereinte sich zu einem einzigen urwelthaften Donnerschlag. So kam es dem Bankier vor.

Er hörte sich selbst nicht mehr. Seine Würgeschreie waren verstummt. Alles in ihm erschlaffte. Er hatte das Gefühl, in sich selbst zu versinken. Die Anspannung seiner Muskeln endete jäh, als wären sie durchtrennt worden.

Und sein Herz? Er horchte in sich hinein, doch er hörte es nicht mehr schlagen. Er sah nichts. Es war vollkommen dunkel um ihn herum.

So fühlte sich also der Tod an.

Man schwebte in einem schwarzen Nichts.

Beinahe so, wie man es sich immer vorgestellt hatte.

Eine Stimme empfing ihn im Jenseits.

»Das wird dir hoffentlich eine Lehre sein. Du hast vierundzwanzig Stunden. Dann kommen wir wieder. Und dann schießen wir nicht mehr vorbei.«

»Aber wir müssen ja nicht schießen«, ergänzte eine andere Stimme. »Weil du uns in vierundzwanzig Stunden unser Geld zurückgibst. In bar. Auf die Hand.«

Coates begriff. Der erste, der gesprochen hatte, war Theodore Parham; der zweite Arthur Kirby. Verdammt, er lebte noch! Auf einmal kam er sich vor, als wäre er für einen Moment der Hölle entronnen und dann wieder hineingestoßen worden – mitten ins Lodern des Fegefeuers.

Er riss die Augen auf. Du lieber Himmel, in seiner Angst hatte er sie so fest zugekniffen, dass er gar nicht auf die Idee gekommen war, sie wieder zu öffnen.

Das Erste, was er sah, war das Flackern der Handlaterne, als die Schwarzgekleideten sie vom Ast des Obstbaums lösten. Dann nahmen sie ihre Waffen und entfernten sich, ohne ihn noch zu beachten.

Coates sah, wie sie einen der Torflügel aufzogen und hinausschlüpften. Der Riegelbalken lag ein Stück entfernt am Boden. Shand war der gelenkigste von ihnen. Bestimmt war er über das Tor geklettert und hatte es für die anderen geöffnet.

Sie machten sich nicht die Mühe, das Tor wieder zu schließen. Draußen entfernte sich Hufschlag. Als er verklang, hörte der Bankier schleifende Schritte, die sich vom Haus her näherten. Er wandte den Kopf. Der Lichtkreis einer Handlaterne schwankte im Rhythmus der Schritte.

Honora hielt die Laterne in der erhobenen linken Hand. Rechts, am langen Arm, trug sie einen Smith & Wesson Schofield. Sie schätzte den Revolver vor allem deshalb, weil er sich schneller nachladen ließ als der althergebrachte Colt Peacemaker.

Und wieder wurde Norman Coates beim Anblick seiner Tochter an Harriet erinnert, seine geschiedene Frau. Mutter und Tochter hatten das gleiche schulterlange brünette Haar, das sie abends und nachts natürlich offen trugen.

Harriet war erst achtzehn gewesen, als sie Honora vor zweiundzwanzig Jahren zur Welt gebracht hatte. Norman, damals gerade zwanzig und karrierebewusster Schalter-Clerk der Wells Fargo Bank in Lincoln, Nebraska, hatte schon wenige Wochen nach der Geburt erkannt, dass sein kleines Töchterchen einmal genauso schön werden würde wie ihre Mutter.

Nicht nur das bewahrheitete sich. In den darauffolgenden Jahren zeigte sich zusehends deutlicher, dass die beiden sich wie Schwestern glichen. Sie hatten nicht nur die gleiche Haarfarbe, sondern auch die gleichen feingeschnittenen Gesichtszüge, die gleichen leicht erhöhten Wangenknochen und die gleichen hellbraunen Augen.

Selbst in den Kleidungsgewohnheiten waren die beiden sich ähnlich. Honora trug diesen seltsamen Hosenanzug, Pyjama genannt, der aus beigefarbener Seide geschneidert war und seine Trägerin wie mit senkrechten Wogen umfloss.

Honoras Füße steckten in dicken roten Filzpantoffeln.

Trotz seiner erbärmlichen Lager spürt Coates Zorn in sich aufsteigen, als er sich vorstellte, dass Harriet, von ihrer chronischen Schlaflosigkeit geplagt, zur Stunde vermutlich in dem gleichen Aufzug durch die nachtdunklen Räume ihrer Villa in Chicago tappte.

Er hatte ihr die Villa gekauft. Das war Bestandteil ihres Scheidungsvertrags. Dafür hätte er sich noch heute in den Hintern treten können. Denn wenn er in der Lage gewesen wäre, die Villa zu verkaufen, hätte er seinen Gläubigern mühelos das verzockte Geld zurückzahlen können.

Aber um an die Villa heranzukommen, hätte er wahrscheinlich erst einen Prozess führen müssen. In vierundzwanzig Stunden war das nicht zu machen. Vierundzwanzig Monate wären eine realistische Schätzung nur für die Dauer der Prozessvorbereitungen gewesen. Außerdem waren die Erfolgsaussichten gering, wie er von seinem Anwalt wusste.

Letzterer hatte ihm geraten, die monatlichen Alimentezahlungen an Harriet einzustellen. Norman dachte jedoch nicht daran, diesem Rat zu folgen. Sein Anwalt war auch nur ein Egoist. Sobald seine, Normans, Überweisungen nicht mehr auf ihrem Konto eingingen, würde sie ihn verklagen. An dem Prozess wiederum würden alle beteiligten Anwälte verdienen.

Allein wegen der Aussichtslosigkeit eines solchen Verfahrens weigerte sich Coates, es überhaupt zu riskieren. Er musste andere Geldquellen erschließen; zum Beispiel, neue Kredite bei befreundeten Banken aufzunehmen, für die er früher gearbeitet hatte und deren Vertrauen er noch genoss.

Möglicherweise würden ihm auch seine politischen Freunde weiterhelfen. Er hatte das alles noch nicht ausgelotet, aber bisher hatte er es selbst in den schwierigsten Situationen stets geschafft, rettendes Geld an Land zu ziehen. Es würde ihm auch diesmal gelingen. Alles, was er dazu brauchte, war ein Aufschub.

Vierundzwanzig Stunden reichten nicht.

So viel stand fest.

Honora trat neben ihn, stellte die Laterne auf den Boden und klemmte sich den Revolver zwischen die Beine. Dann befreite sie ihren Vater von dem Knebel. Er hustete und räusperte sich krächzend.

»Wieso bist du nicht eher gekommen?«, fragte er vorwurfsvoll, als er wieder einigermaßen sprechen konnte.

»Hältst du mich für blöd?«, entgegnete Honora. »Denkst du, ich lege mich mit vier ausgewachsenen Kerlen gleichzeitig an?«

»Blödsinn«, knurrte ihr Vater. »Sonst bist du auch nicht so zimperlich. Du hast mich absichtlich zappeln lassen. Weißt du, was sich hier abgespielt hat?«

»Ich habe es beobachtet.«

Einen Moment lang schnappte Coates nach Luft. Die Unverfrorenheit seiner Tochter hatte ihn schon so manches Mal zur Weißglut gebracht.

»Ja, und?«, fuhr er sie an, als er wieder klar denken konnte. »Das war eine Scheinhinrichtung!«

Honora nickte gleichmütig. »Ich sagte doch, ich hab’s gesehen. Sei froh. Mich hätte es nicht gewundert, wenn sie dich wirklich exekutiert hätten.«

»Und du hast einfach nur zugesehen?« Coates rang abermals nach Atem.

Honora schüttelte den Kopf. »Habe ich nicht. Falls es dir noch nicht klar ist, ich habe dir das Leben gerettet.«

»Wie bitte?« Coates glaubte, sich verhört zu haben.

»Ich habe sie in die Flucht geschlagen«, behauptete Honora. »Als sie sahen, dass ich Licht machte, sind sie abgehauen.«

»Meine Güte«, stöhnte ihr Vater. »Glaubst du selbst, was du da sagst?« Sie besaß die gleiche unglaubliche Selbstherrlichkeit wie ihre Mutter. Aber das wollte er nicht aussprechen. Zu oft hatte er es ihr schon gesagt.

»Natürlich glaube ich es«, sagte Honora auftrumpfend. »Ich habe doch die Reaktion dieser Kapuzenstrolche beobachtet. Auf einmal wurde ihnen klar, dass sie nicht beobachtet werden wollten.«

»All right«, seufzte Coates. »Dann nimm mir jetzt endlich diese verdammten Fesseln ab.«

Honora blickte hinter seinen Rücken und betastete die Seilwindungen mit den Fingern. »O, das wird schwierig«, stellte sie fest. »Der Knoten ist hart wie Stein, und ich habe keine Schere und kein Messer.«

»Wie deine Mutter!«, stöhnte ihr Vater nun doch. »Genau die gleiche Gedankenlosigkeit wie deine Mutter. Du siehst vom Fenster aus, dass ich gefesselt bin und müsstest eigentlich darauf kommen, dass man sie durchschneiden muss. Aber nein …«

»Ich denke eben nur an das Wichtige«, unterbrach ihn Honora und unterdrückte ein Kichern.

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und lief ins Haus. Nach wenigen Augenblicken kehrte sie mit einem Küchenmesser zurück.

»Ich brauche deine Hilfe«, sagte Coates, während sie seine Fesseln durchtrennte. »Du weißt, was wir tun müssen?«

»Aber natürlich«, antwortete Honora von oben herab. »Und ich weiß noch eins: Ohne mich kriegst du das niemals zustande.«

***

»Worauf warten Sie, Sir?«, fragte Alanna Donnelly herausfordernd. Sie war bei weitem nicht so selbstsicher wie sie sich gab. Im Gegenteil, sie spielte dieses Spiel praktisch auf eine Art eigene Weisung. Aber sie war entschlossen, es gut zu spielen.

Sie hatte sich selbst den Befehl dazu gegeben – sozusagen. Denn das Spiel war die einzige und beste Möglichkeit, die ganze Wahrheit herauszufinden.

Sie war ziemlich sicher, dass dieser hinreißende Mann auf sie angesetzt worden war. Hundertprozentige Beweise hatte sie nicht. Aber sie kannte immerhin seinen Namen.

Lassiter.

Sie verfügte über einige gute Kontakte im Justizministerium, von denen kein Außenstehender etwas wusste. Durch diese Verbindungsleute hatte sie erfahren, dass eine geheime Abteilung des Ministeriums einen Agenten beauftragt hatte, sie auf der Fahrt nach Bismarck und während ihres dortigen Aufenthalts zu beschatten oder zu bewachen. Oder beides.

Sie hatte Rechtsanwalt Finch über diesen Sachverhalt nicht befragt, hatte ihm auch kein Telegramm geschickt, um herauszufinden, ob er von dem Einsatzbefehl des Agenten namens Lassiter wusste. Denn immerhin wusste sie nicht, ob Finch und Lassiter sich persönlich kannten und, falls ja, welches Vertrauensverhältnis zwischen ihnen bestand.

Deshalb hatte sie beschlossen, ihre weiblichen Waffen einzusetzen, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Bis jetzt hatte es gut geklappt. Nun, er wäre ja auch kein richtiger Mann gewesen, wenn er auf ihren Augenflirt nicht eingegangen wäre.

Im Übrigen war er sowieso scharf auf sie. Sie bildete sich ein, dass er auch dann versucht hätte, sie zu verführen, wenn sie nicht mit ihm angebändelt hätte. Dass er sie möglicherweise für ein Flittchen hielt, interessierte sie nicht.

Wenn sich die Dinge so verhielten, wie sie annahm, dann wusste er, dass sie Rechtsanwältin war. Somit würde sich die Flittchen-Vermutung sowieso ausschließen. Ihr Berufsstand qualifizierte sie als anständige Frau, die in ihrem speziellen Fall lediglich die frivole Seite ihres Charakters ausreizte.

Er ließ sich Zeit mit einer Antwort. Eine Weile sah er sie nur an und lächelte andeutungsweise. Fast glaubte sie, dass er sich über sie lustig machte.

Dann aber sagte er: »Ich habe Hemmungen, Madam.«

Sie öffnete die Augen weit und sah ihn ungläubig an. »Sie nehmen mich auf den Arm«, erklärte sie überzeugt.

»Auch das würde ich gern tun – im Wortsinn«, erwiderte er. »Aber wie gesagt, es sind diese Hemmungen, die mich daran hindern. Ich kann einer Frau gegenüber einfach nicht handgreiflich werden, und dazu gehört das Auf-den-Arm-nehmen genauso wie das Ausziehen.«

»Gut.« Alanna tat erleichtert. »Wenigstens haben Sie nicht vergessen, was ich von Ihnen erwarte.«

»Wie könnte ich! Sie haben mich damit ganz schön unter Zugzwang gesetzt. Und jetzt …« Er hob wie hilflos die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Ich kann doch nicht einfach auf Sie zugehen und Ihnen die Kleider vom Leib reißen. Sie haben es sich gefühlvoll gewünscht.«

Alanna blickte zu dem großen Mann auf und ertappte sich dabei, dass sie ihn zu bewundern begann. Es gefiel ihr, dass er auf ihr Spiel einging, seine eigenen Variationen einbrachte und zu erkennen gab, dass er sich offenbar jedes ihrer Worte gemerkt hatte.

Sie musste aufpassen. Sie war drauf und dran, sich in diesen Mann zu verlieben. Dabei wollte sie ihn nur verführen. Doch es gab so viele kleine Eigenschaften, die ihr an ihm gefielen. Zum Beispiel hatte er kein Problem damit, auf ihre absonderliche Bedingung des Siezens einzugehen. Manch anderer an seiner Stelle hätte sich den Teufel darum geschert.

Er jedoch reagierte auf ihre Sonderwünsche mit einer Leichtigkeit, die ihr zeigte, wie sehr er sich überlegen fühlte. Ein spannende Frage tat sich auf: Wer von ihnen beiden würde sich als Erster offenbaren und seinen Namen und seinen Auftrag nennen?

Sie setzte ihr Spiel fort, indem sie laut überlegte: »Ich denke, ich muss Ihnen ein wenig Schützenhilfe leisten, Sir. Ihre Hemmungen werden wir gemeinsam überwinden, da bin ich sicher.«

Er nickte. »Ich glaube, bei Ihnen bin ich in den besten Händen.« Er grinste und gab ihr damit zu verstehen, dass er ihren Spott aufnahm und weiterverarbeitete. Eben deshalb fügte er hinzu. »Dabei sollten es eigentlich meine Hände sein, die Ihnen Freude bereiten.«

»Ich denke, wir werden uns gut ergänzen, was das betrifft.« Sie winkte ihm mit dem Zeigefinger. »Machen Sie einfach einen Schritt auf mich zu.«

»Einverstanden. Wenn Sie mich so direkt auffordern, geht es.« Es gelang dem großen Mann, eine todernste Miene aufzusetzen, während er sich in Bewegung setzte.

»Na, wunderbar!«, lobte Alanna ihn und lächelte strahlend, als er stehenblieb. »Sie haben ja sogar zwei Schritte geschafft. Das nenne ich einen echten Fortschritt.«

Er erwiderte ihr Lächeln, und sie überlegte, ob sie ihr Spiel abbrechen sollte. Zunehmend hatte sie das Gefühl, dass sie ihm Unrecht tat. Hatte er es wirklich verdient, dass sie ihn hinters Licht führte? Weshalb spielte sie nicht einfach mit offenen Karten?

Sei nicht voreilig, warnte ihre innere Stimme. Überleg doch mal – hat er sich dir offenbart? Er hat dir noch nicht mal seinen Namen genannt. Weshalb solltest du also den Anfang machen? Das wird sich wie von selbst ergeben, wenn ihr euch nähergekommen seid.

»Ich glaube«, sagte Lassiter vorsichtig, »jetzt bewältige ich auch den Rest.«

Alanna klatschte Beifall. »Besser geht’s nicht!«, rief sie. Und dann unterstützte sie ihn mit einer einfachen Maßnahme-

Ihre Bluse unter der Kostümjacke war nicht besonders weit ausgeschnitten. Doch mit dem nur angedeuteten Dekolletee ermöglichte sie Lassiter immerhin, den Ansatz ihrer Brüste zu betrachten. Das musste eigentlich ausreichen, damit er erkannte, dass sie sich mit ihren Prachtexemplaren sehen lassen konnte.

Straff geformte, überaus pralle Brüste waren es. Das merkte sie selbst, wenn sie sie nach vorn reckte. Je nach dem, was für eine Art von Kleidung sie gerade trug, konnte sie Männer damit verrückt machen.

Und nicht nur das. Der Gradmesser ihrer Wirkung auf ihr männliches Gegenüber war sein Freudenspender, der sich ihr mehr oder weniger schnell entgegenreckte. Besonders während ihrer Studienzeit hatte sie entsprechende Beobachtungen gemacht. Seinerzeit war sie als junge Frau in der Jurisprudenz eine absolute Ausnahmeerscheinung gewesen. Ihre Kommilitonen, wie auch manche Professoren, hatten ihr nachgestellt, als ob sie die einzige Frau auf der Welt gewesen wäre.

Sie erinnerte sich an den allerersten Mann in ihrem Leben. Das war zehn Jahre her; sie war gerade einmal achtzehn gewesen, der Betreffende genau doppelt so alt wie sie. Ein Professor an der University of Chicago, während ihres Erstsemesters.

Sie hatte sich auf ihn eingelassen, als er sie nach einer Vorlesung in sein Büro gebeten hatte. Sie hatte sich von ihm küssen lassen, und plötzlich, ohne dass sie es bemerkte, hatte er ihr sein Glied in die Hand gelegt.