Lassiter Sammelband 1800 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1800 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2281, 2282 und 2283.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

2281: Wild Irish Rose

Rose Flanagan war aufgeregt. Sie konnte nicht mehr stillsitzen, rutschte auf dem Sitzpolster hin und her wie ein zappeliges kleines Mädchen. Zum Glück musste sie sich nicht zusammennehmen, denn sie war allein in dem Zugabteil - ebenso mutterseelenallein wie in diesem gewaltigen fremden Land, von dem sie nicht wusste, mit welchem Schicksalsschlag es auf sie wartete.

Die Fahrt ging nach Norden. Eine mäßige, aber lang anhaltende Steigung ließ den Zug langsamer werden. Durch die Fenster linker Hand konnte Rose Wälder und Berge sehen: die Ozark Mountains, wie sie inzwischen wusste. Die Gipfel ragten hoch in den Himmel, einige schneebedeckt. Über die Hügel, die man in ihrer Heimat Irland als Berge bezeichnete, würden die Leute hier wohl nur müde lächeln. Rose wandte sich nach rechts. Und erschrak zu Tode.

2282: Die Stadt der Sünde

Ein Schuss krachte und das großkalibrige Geschoss riss dem ganz in Weiß gekleideten Mann die Melone vom Kopf. Der Hut beschrieb einen eleganten Bogen, ehe er einige Yards hinter den Männern im Staub landete.

Timothy Rockfield wandte sich entgeistert um und wich sofort ein paar Schritte zurück, als der bärtige Reiter in vollem Galopp mit erhobenem Karabiner auf ihn zukam.
"Ihr Bürger von Sodom! Das Schwert, das ihr fürchtet, das will ich über euch kommen lassen, spricht Gott der Herr!", rief der Mann auf dem riesigen schwarzen Pferd. "Wer sich gegen mich erhebt, der wird auf ewig in der Hölle brennen!"

Rockfield strich sich den Staub von seinem Anzug und nahm Haltung an. "Ich baue hier eine Stadt, Mister Siegel", sagte er. "Und sie werden mich nicht davon abhalten."

Er lächelte.

"Ein verdammt guter Schuss, Sir. Es sei denn, Sie wollten mir den Kopf wegblasen."

2283: Todesgrüße aus Washington

Hinter Lassiter klickte Metall.

Er warf einen Blick in den Barspiegel und sah darin einen Mann, der einen Colt auf ihn richtete. Lassiter warf sich zu Boden.

Ein Schuss krachte. Die Kugel ließ eine Flasche auf dem Tresen zerplatzen. Bis über den Pokertisch flogen die Scherben hinweg. Lassiter rollte mit gekreuzten Armen hinter eine Trennwand aus Rinderhorn. Er trug keine Waffe bei sich.

In schneller Folge krachten zwei weitere Schüsse. Die Kugeln furchten die mit Sand bestreuten Dielen. Der Raum füllte sich mit Pulverrauch. Lassiter wechselte unter den Pokertisch. Ein Stuhl kippte um. Vorn an der Tür gab es ein Handgemenge. Wieder pfiff ein Geschoss durch die Luft. Im Aufspringen schleuderte Lassiter den Stuhl in Richtung Tür. Doch der Mann mit dem Revolver war schon weg.

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: Boada/Norma ISBN 978-3-7325-8344-7

Jack Slade

Lassiter Sammelband 1800 - Western

Inhalt

Jack SladeLassiter - Folge 2281Rose Flanagan war aufgeregt. Sie konnte nicht mehr stillsitzen, rutschte auf dem Sitzpolster hin und her wie ein zappeliges kleines Mädchen. Zum Glück musste sie sich nicht zusammennehmen, denn sie war allein in dem Zugabteil - ebenso mutterseelenallein wie in diesem gewaltigen fremden Land, von dem sie nicht wusste, mit welchem Schicksalsschlag es auf sie wartete. Die Fahrt ging nach Norden. Eine mäßige, aber lang anhaltende Steigung ließ den Zug langsamer werden. Durch die Fenster linker Hand konnte Rose Wälder und Berge sehen: die Ozark Mountains, wie sie inzwischen wusste. Die Gipfel ragten hoch in den Himmel, einige schneebedeckt. Über die Hügel, die man in ihrer Heimat Irland als Berge bezeichnete, würden die Leute hier wohl nur müde lächeln. Rose wandte sich nach rechts. Und erschrak zu Tode.Jetzt lesen
Lassiter - Folge 2282Ein Schuss krachte und das großkalibrige Geschoss riss dem ganz in Weiß gekleideten Mann die Melone vom Kopf. Der Hut beschrieb einen eleganten Bogen, ehe er einige Yards hinter den Männern im Staub landete. Timothy Rockfield wandte sich entgeistert um und wich sofort ein paar Schritte zurück, als der bärtige Reiter in vollem Galopp mit erhobenem Karabiner auf ihn zukam. "Ihr Bürger von Sodom! Das Schwert, das ihr fürchtet, das will ich über euch kommen lassen, spricht Gott der Herr!", rief der Mann auf dem riesigen schwarzen Pferd. "Wer sich gegen mich erhebt, der wird auf ewig in der Hölle brennen!" Rockfield strich sich den Staub von seinem Anzug und nahm Haltung an. "Ich baue hier eine Stadt, Mister Siegel", sagte er. "Und sie werden mich nicht davon abhalten." Er lächelte. "Ein verdammt guter Schuss, Sir. Es sei denn, Sie wollten mir den Kopf wegblasen."Jetzt lesen
Lassiter - Folge 2283Hinter Lassiter klickte Metall. Er warf einen Blick in den Barspiegel und sah darin einen Mann, der einen Colt auf ihn richtete. Lassiter warf sich zu Boden. Ein Schuss krachte. Die Kugel ließ eine Flasche auf dem Tresen zerplatzen. Bis über den Pokertisch flogen die Scherben hinweg. Lassiter rollte mit gekreuzten Armen hinter eine Trennwand aus Rinderhorn. Er trug keine Waffe bei sich. In schneller Folge krachten zwei weitere Schüsse. Die Kugeln furchten die mit Sand bestreuten Dielen. Der Raum füllte sich mit Pulverrauch. Lassiter wechselte unter den Pokertisch. Ein Stuhl kippte um. Vorn an der Tür gab es ein Handgemenge. Wieder pfiff ein Geschoss durch die Luft. Im Aufspringen schleuderte Lassiter den Stuhl in Richtung Tür. Doch der Mann mit dem Revolver war schon weg.Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Wild Irish Rose

Vorschau

Wild Irish Rose

Rose Flanagan war aufgeregt. Sie konnte nicht mehr stillsitzen, rutschte auf dem Sitzpolster hin und her wie ein zappeliges kleines Mädchen. Zum Glück musste sie sich nicht zusammennehmen, denn sie war allein in dem Zugabteil – ebenso mutterseelenallein wie in diesem gewaltigen fremden Land, von dem sie nicht wusste, mit welchem Schicksalsschlag es auf sie wartete.

Die Fahrt ging nach Norden. Eine mäßige, aber lang anhaltende Steigung ließ den Zug langsamer werden. Durch die Fenster linker Hand konnte Rose Wälder und Berge sehen: die Ozark Mountains, wie sie inzwischen wusste. Die Gipfel ragten hoch in den Himmel, einige schneebedeckt. Über die Hügel, die man in ihrer Heimat Irland als Berge bezeichnete, würden die Leute hier wohl nur müde lächeln. Rose wandte sich nach rechts.

Und erschrak zu Tode.

Denn ein Mann blickte herein. Sein grinsendes Gesicht tanzte vor dem Fenster auf und ab, vom Pelzkragen seiner Winterjacke eingerahmt. Rose saß schlagartig wie erstarrt, hielt sich mit beiden Händen an der Polsterkante der Sitzbank fest.

Der Mann da draußen sah wild aus. Wild und verwegen. Aber der Vollbart stand ihm gut, das musste man ihm lassen. Sein Haar, das unter dem Hutrand hervorlugte, war so schwarz wie der Stetson selbst.

Noch in Irland hatte sie erfahren, dass in den Vereinigten Staaten fast alle Hüte Stetson hießen. Solche Sachen hörte man von Verwandten und Freunden, die schon in die USA ausgewandert waren und fleißig Briefe schrieben.

Zuhause konnten sich nur die wohlhabenderen Gentlemen einen Hut leisten. Der normale Paddy, wie Roses männliche Landsleute vor allem von den Briten geringschätzig genannt wurden, musste sich mit einer Schiebermütze begnügen.

Hier jedoch, im Yankee-Land, lief praktisch jeder mit so einem verschwenderisch großen und breitkrempigen Stetson herum; außer den Frauen natürlich. Der Yank da draußen saß auf einem Pferd. Und weil von ihm nur der Kopf und die Schultern zu sehen waren, entstand der Eindruck, dass er tanzte, oder besser: hüpfte.

Sein Grinsen und das Blitzen seiner Augen übertrafen indessen alles. Beides zusammen war einfach unverschämt. Wahrscheinlich machte er sich öfter diesen Spaß, neben einem langsamer werdenden Zug herzureiten und in das Abteil einer Lady zu lugen.

Womöglich leistete er sich diese Unverfrorenheit auch noch in der Hoffnung, Ladys zu beobachten, wie sie sich umzogen. Oder er spekulierte sogar darauf, dass sie sich vollständig entblätterten.

Aber was interessierte ihn ausgerechnet an ihr? Das lange rote Haar? Doch er konnte es nur erahnen, denn sie hatte es zu einem Knoten zurückgebunden. Ihr Gesicht? Nun, vielleicht mochte man sie als durchschnittlich hübsch bezeichnen, aber eine betörende Schönheit war sie ganz gewiss nicht.

Vielleicht war es ihr Körper, den er sich vorstellte. Andererseits – in ihrem einfachen grauen Tweed-Kostüm, der schlichten Leinenbluse und den plumpen irischen Schnürstiefeln war sie so vollkommen verhüllt, dass ihre körperlichen Vorzüge nicht einmal andeutungsweise zur Geltung kamen.

Aber waren Männer nicht in der Lage, eine Frau mit Blicken auszuziehen? Jedenfalls hatte sie gelesen, dass es Männer mit solchen Fähigkeiten geben sollte. Die Betreffenden mussten ein Vorstellungsvermögen haben, das es ihnen ermöglichte, eine vollständig angezogene Frau splitternackt vor sich zu sehen – vor ihrem geistigen Auge.

Was hinderte sie eigentlich daran, ein wenig nachzuhelfen?

Rose kicherte – wohl wissend, dass der Kerl dort draußen sie nicht hören konnte. Sie amüsierte sich über ihre frivolen Gedanken, die sich für eine anständige und noch dazu verheiratete junge Lady ganz und gar nicht geziemten.

***

Die Reiter hatten sich auf einer ausgedehnten Anhöhe im Schutz eines Waldstücks versammelt. Durch das dürre Unterholz waren sie bis an den südöstlichen Waldrand vorgedrungen.

Auf die Weise schlugen sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen schützte der Wald sie einigermaßen vor dem Wind, der von Norden her über die Hügel des Bergvorlands strich. Zum anderen bot ihnen ihre Position einen hervorragenden Überblick, ohne dass sie selbst gesehen wurden.

Der Hang verlief mit überaus geringem Gefälle nach Süden. Wie ein riesiger grüner Fächer dehnte sich das freie, grasbewachsene Gelände nach Südosten und nach Südwesten. Unten, in der Ebene begann dichtes Waldgebiet.

Die Eisenbahnbauer hatten eine Schneise hineingeschlagen, aus der der Schienenstrang in die Mitte des fächerförmigen Graslandes stach, zu der langgestreckten Hügelkuppe heraufführte und sie an deren Ostseite überquerte.

Die Männer trugen Lederjacken mit Pelzfutter oder dicken Pullovern darunter. Die hochgeschlagenen Jackenkragen reichten ihnen im Nacken bis unter die Hutkrempe. Vor den Gesichtern der Reiter und vor den Nüstern der Pferde bildeten sich kleine Atemwolken. Der Wind trug sie rasch davon.

Die Temperaturen lagen knapp unter dem Gefrierpunkt. Der trübgraue Himmel ließ keine Konturen einzelner Wolken erkennen. Es war eine geschlossene, pelzig-dichte Decke, die tief über dem Hügelland hing und nichts Gutes verhieß.

Die Einheimischen unter den Männern wussten, dass es geradezu nach Schnee roch. Die jetzige Jahreszeit, Ende November, hatte das Bergvorland im Newton County, Arkansas, schon häufig weiß überzogen gesehen.

Es waren vierzehn Männer, die den herannahenden Personenzug der Missouri, Kansas & Texas Railroad von der Anhöhe aus beobachteten. Das Gleis führte linker Hand an ihrer Position vorbei, etwa dreihundert Yard entfernt, nach Osten hin und schnurgerade weiter in nördlicher Richtung.

Der einzelne Reiter war aus dem Waldgebiet in der Ebene aufgetaucht. Während der Zug auf der beginnenden Steigung allmählich langsamer wurde, erreichte der Reiter dessen letzten Wagen. Er blieb an der Ostseite der Schienen und holte zügig auf.

Augenblicke später nahm der Zug die Hälfte des Blickfelds ein.

Die Beobachter vermochten von dem Reiter über die Wagendächer hinweg nur noch den schwarzen Hut, die untere Hälfte seines bärtigen Gesichts und die braune Pelzkragenjacke auszumachen.

Er schloss bis zu dem Salonwagen auf, der an zweiter Stelle hinter Lokomotive und Tender fuhr. Dort passte er sich der Geschwindigkeit des Zugs an und blieb auf gleicher Höhe.

Mehr geschah nicht.

Nichts von dem, was die Männer auf der Anhöhe erwarteten, trat ein. Ein Hindernis aus Baumstämmen hatten sie nirgendwo entdecken können. Dabei war der flache, langgezogene Hang der denkbar geeignetste Ort für einen Überfall.

Das galt auch für die zweite mögliche Taktik, aus dem Sattel auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Aber wenn sie sich für diese Möglichkeit entschieden hatten, waren sie reichlich spät dran.

Dennoch zogen die Männer auf der Anhöhe ihre Winchestergewehre aus den Scabbards. Der Zug hatte sich bereits eine halbe Meile vom Waldrand dort unten entfernt. Und noch immer deutete nichts auf den Überfall hin, mit dem die Beobachter rechneten.

Ahnten die Banditen, dass ihnen eine Falle gestellt wurde?

»Was, zum Teufel, soll das?«, fragte County Sheriff Nelson Edelman, ohne den Blick von dem bärtigen Reiter zu wenden. »Was hat der Kerl vor?« Edelmans zwei Deputies hatten beiderseits neben ihm Stellung bezogen.

Der Sheriff war ein breitschultriger, untersetzter Mann mit mittelblondem Haar. Wie es aussah, verspürte er wenig Lust, sich regelmäßig zu rasieren; zuletzt musste er sich die Stoppeln vor drei Tagen aus dem Gesicht geschabt haben.

»Die Bastarde könnten Lunte gerochen haben«, sagte Pinkerton Inspector Oscar Benedetto. »Und jetzt will dieser Hurensohn uns auf den Arm nehmen.«

Benedetto gehörte zu einer zehnköpfigen Truppe von Pinkerton Detectives, deren Einsatz er leitete. Eigentlich war auch er nur ein normaler Detective der Agency in Chicago. Den Dienstgrad Inspector gab es dort offiziell gar nicht. Doch geltungssüchtig, wie er war, hatte er sich selbst zum Inspector ernannt und entsprechende Visitenkarten drucken lassen.

Benedetto war schlank und hochgewachsen. Ein grauer Bowlerhat verbarg seinen Mittelscheitel und das mit Pomade platt auf den Kopf frisierte dunkle Haar, das knapp über den Ohren endete. Ein strichförmig dünnes Bärtchen zierte seine Oberlippe.

Lassiter legte die Winchester quer hinter das Sattelhorn und hob sein mit grauen Lappen umwickeltes Spektiv ans Auge. Er justierte die Schärfe und brauchte nicht lange hinzusehen.

»Es ist Saul Motley«, stellte er fest und ließ das Fernrohr sinken.

»Das habe ich bereits mit bloßem Auge erkannt«, behauptete Benedetto.

Lassiter und Sheriff Edelman wechselten einen Blick und grinsten. Den bärtigen Reiter zu identifizieren war alles andere als eine Glanzleistung.

Motley war der Anführer der Eisenbahnräuber, und er war bekannt wie ein bunter Hund. Zumindest im nördlichen Arkansas. Es hieß, Motley wolle so berühmt werden wie Jesse James, ein Volksheld, ein amerikanischer Robin Hood.

»Nichts muss so sein, wie es aussieht«, erklärte der Mann der Brigade Sieben und verstaute das Spektiv in der Satteltasche. »Vielleicht hat Motley einen Doppelgänger vorgeschickt.«

Auf mehr konnte Lassiter nicht eingehen, am allerwenigsten auf die Möglichkeit, dass es einen Verräter in den eigenen Reihen gab. Mit diesem Verdacht im Hinterkopf behielt der große Mann es für sich, dass die Eisenbahnräuber eine böse Überraschung erleben würden. Obwohl er Sheriff Edelman und seine Deputies für absolut vertrauenswürdig hielt, hatte er auch sie in den Geheimplan nicht eingeweiht.

Lassiter hatte die Satteltasche kaum geschlossen, als die Banditenmeute unten aus dem Wald hervorbrach.

***

Es lag wohl an der Eintönigkeit der Bahnfahrt, so überlegte Rose, dass es sie reizte, etwas Verruchtes zu tun. Was, wenn sie den frechen Kerl herausforderte – und seine Erwartungen erfüllte? Indem sie die Knöpfe ihrer Bluse öffnete und ihn ein bisschen von ihrem Busen sehen ließ, beispielsweise?

Ja, warum eigentlich nicht? Immerhin hatte sie etwas vorzuzeigen. Einmal, bei einem Tanzvergnügen, hatte sie mitbekommen, wie die Farmboys etwas zu laut über sie tuschelten. Sie hatte herausgehört, wie sie ihr »mächtig Holz vor der Hütte« bescheinigten.

Damals mochte sie gerade sechzehn gewesen sein – und so naiv, wie ein irisches Countrygirl es nur sein konnte. Deshalb hatte sie ihre Freundinnen fragen müssen, was der Spruch mit dem Holz und der Hütte bedeutete.

Dann aber war sie auf das derbe Kompliment richtig stolz gewesen.

Die Erinnerung daran ging über in eine nie gekannte Erregung, die von ihr Besitz ergriff. Der dreiste Fremde dort draußen vor dem Zugfenster schien die Verkörperung des wilden Amerikas zu sein, über das sie so viel gelesen hatte.

Mehr noch, ihre Erregung steigerte sich in ein Verlangen nach diesem Mann, der eine nie erlebte Art von Verwegenheit und Abenteuerlust ausstrahlte. Du lieber Himmel, sie war bereit, sich von diesem Unbekannten mit Haut und Haaren verzehren zu lassen.

Wie hatte sie die romantischen Romane aus Amerika verschlungen, in denen solche Szenen zuhauf vorkamen! Da wurden zarte, wehrlose Frauen von groben Raureitern oder Banditen entführt – nur, um dann von edlen und heldenhaften Männern des Westens gerettet zu werden.

Die Liebesabenteuer, die die Romanheldinnen in solchen dramatischen Situationen erlebten, waren geradezu atemberaubend. Und warum sollte sie, Rose Flanagan, die Gelegenheit nicht nutzen, sich etwas derart Überwältigendem hinzugeben?

Ein solcher wahr werdender Traum bot sich einer Frau wohl nur einmal im Leben.

Verschämt, wie es sich für eine tugendhafte irische Lady gehörte, hielt sie den Kopf gesenkt. Gleichzeitig aber ließ sie sich vom Teufel reiten und tastete mit den Fingern beider Hände nach den oberen Knöpfen ihrer Bluse. Auf einmal fühlte sie sich gut dabei, etwas so Frivoles zu tun.

Dieser Mann, der sich so unverhohlen für sie interessierte, strahlte überragende Selbstsicherheit und Verwegenheit aus. Dagegen wirkten die blasierten britischen Gentleman-Reiter in Irland einfach nur lächerlich.

Was für ein harter Bursche musste es sein, dort draußen, dass er ihr mit dieser beinahe spöttischen Überlegenheit begegnete? Ja, sie war bereit, sich ihm zu unterwerfen. Bedingungslos. Allein seine Ausstrahlung bewirkte jedenfalls, dass sie sich hilflos und schwach fühlte.

Schwach – all right, aber stark genug, um zu wissen, wie sie ihre weiblichen Waffen einsetzte. Das galt auch und gerade dann, wenn sie es mit einer solchen Übermacht in Gestalt eines einzelnen Mannes zu tun hatte.

Deshalb hatte sie das Gefühl, sich mit dem Aufknöpfen gar nicht genug beeilen zu können. Himmel, sie war bereit für ihr erstes erotische Abenteuer in der neuen Welt. Hier würde sie keinem gottverdammten britischen Herrenreiter begegnen.

Hier würde sie so einer nicht mit der Reitgerte, von oben herab, ins nächste Gebüsch drängen und sie zwingen, sich auszuziehen. Hier würde ihr kein einziger dieser sogenannten Gentlemen über den Weg laufen, die immer aussahen, als ob sie einen Besenstiel verschluckt hatten.

Mit dem Gleichtakt ihres kerzengeraden Auf und Abs im Sattel erweckten sie den Eindruck, als ob sie sich von dem Tier unter ihnen zu distanzieren versuchten. Im amerikanischen Westen dagegen diente das Reiten der Fortbewegung und der Arbeit mit Rindern, nicht dem selbstgefälligen Posieren als Angehöriger des Landadels.

Hier gehörten Ross und Reiter zusammen, bildeten sogar eine Schicksalsgemeinschaft, wenn sie sich feindlicher Angriffe erwehren mussten oder den Naturgewalten ausgeliefert waren. All das hatte Rose in ihren Büchern gelesen. Auch, dass die Liebe zwischen Mann und Frau bisweilen dem Ausbruch einer Naturgewalt gleichen konnte.

Sie hatte Derartiges noch nicht erlebt, und sie fühlte sich schon lange nicht mehr als die verheiratete Frau, die sie eigentlich war. Mehr als fünf Jahre war es nun her, dass sie im Hafen von Cork am Kai gestanden und gewinkt hatte.

Jim, ihr Jim, hatte einen Platz an der Reling des Dampfers ergattert, obwohl er eigentlich ins Unterdeck gehörte. Aber in ihm hatte schon immer etwas von einem irischen Rebellen geschlummert, und daher hatte er sein erwachendes Freiheitsgefühl sogleich in die Tat umgesetzt, kaum dass das Schiff abgelegt hatte.

Er war auf das Außendeck vorgedrungen, obwohl sein Geld nur für ein Unterdecks-Ticket gereicht hatte

Doch niemand an Bord hatte gewagt, ihn von dem Platz an der Achterdecksreling zu verscheuchen. Rose war stolz auf ihren Jim gewesen – auf sein Durchsetzungsvermögen. Es ging von ihm aus wie eine Botschaft, die auf seiner Stirn geschrieben stand.

Geballte Energie hatte ihm mal einer seiner Freunde bescheinigt. Jeder, der ihm gegenübertrat, spürte es, und deshalb riskierte es auch kaum einer, sich mit ihm anzulegen. Folglich hatte sie ihm endlos lange nachwinken können, als das Schiff in der Bucht von Cork kleiner und kleiner geworden war.

Unvermittelt fanden ihre Gedanken in die Gegenwart zurück. Du lieber Himmel, sie musste ihre Wirkung auf den reitenden Beobachter überprüfen. Womöglich bekam er gar nichts mit; dann konnte sie sich die ganze Mühe mit dem Öffnen des Dekolletees gleich schenken.

Deshalb hob sie den Kopf.

Und atmete auf. Gott sein Dank, er war noch da. Er lachte jetzt. Und er hob die freie Hand, was ihm keine Mühe bereitete, weil man im amerikanischen Westen die Zügel mit nur einer Hand hielt.

Sein Lachen wirkte jungenhaft ungezwungen, auch dann noch, als er Zeigefinger und Mittelfinger emporstreckte und dann krümmte und den Daumen damit umschloss. Die anzügliche Geste schien für ihn die natürlichste Sache der Welt zu sein.

Rose spürte, wie ihr Schamröte ins Gesicht stieg. Sie senkte den Kopf und musste sich überwinden, wieder aufzublicken. Verdutzt kniff sie die Augen zu und öffnete sie wieder.

Der Reiter war verschwunden.

Das freie Fensterquadrat zeigte nichts als Wälder und Hügel, die sich auf dieser Seite des Schienenstrangs fortsetzten. Auch am westlichen Horizont ragten Berge auf. Bei den Ozarks handelte es sich um ausgedehnte Bergformationen, die sich von Arkansas bis in den Südosten von Kansas erstreckten.

Rose horchte auf die Rollgeräusche des Zuges. War er schneller geworden? Konnte der Reiter nicht mehr mithalten? Nein, sie irrte sich. Und im nächsten Moment waren ihre Gedanken wie ausgelöscht.

Die Hölle brach los.

So hörte es sich an.

Rose erschrak zu Tode. Reflexartig hielt sie sich die Ohren zu, verkroch sich in den Fußraum zwischen den Sitzen und kniff dabei die Augen zu wie ein Kind, das glaubte, sich dadurch in der selbstgeschaffenen Dunkelheit verstecken zu können.

Schüsse krachten ganz nahe. Der Zug schien von Krachen und schmetternden Einschlägen vollständig ausgefüllt zu sein. Menschen schrien vor Angst; vor allem schrille Frauenstimmen waren herauszuhören.

Hufgetrappel hüllte den Zug wie Donner ein. Harte Stiefelschritte dröhnten auf den Perrons und in den Pullmanwagen. Wüstes Gebrüll von rauen Männerstimmen überlagerte die Schreie der Passagiere. Die schweren Schritte der Eindringenden erzeugten Vibrationen, die sich bis in Roses Abteil fortpflanzten.

Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, die Abteiltür von innen abzuschließen. Gab es überhaupt ein Schloss oder einen Riegel? Darauf hatte sie nicht einmal geachtet. Es wurde ihr bewusst, als sie aufsprang und auf die Tür zustürzte.

Ein Riegel, ja. Aber der Schließbolzen war dünner als ein kleiner Finger. Trotzdem, besser als nichts, dachte sie und streckte die Hand aus, um den Riegel vorzuschieben.

Jäh zuckte sie zurück, als ihr die Tür entgegenflog.

Sie erkannte den Bärtigen sofort wieder, obwohl er jetzt eine Maske trug. Er hatte sich ein graues Halstuch vor das Gesicht gebunden. Nur seine Augen und die Stirn waren unter dem Stetson noch zu erkennen.

Doch diese Augen waren einfach unverwechselbar. Die Glut in seinen Pupillen schien sie verzehren zu wollen; ja, sein flammender Blick durchdrang sie bis ins Mark.

In der Rechten hielt er einen dieser schweren amerikanischen Revolver, einen Colt vermutlich. Seine Winchester stellte er an die Holzvertäfelung neben der Tür. Roses Wissen über die Waffen dieses Landes stammte ebenfalls aus den Dime Novels.

Die Wirklichkeit indessen sah furchterregender aus als alles, was sie sich beim Lesen hatte vorstellen können. Die Bleikugeln, die in den Trommelkammern des Colts schimmerten, waren derart groß, dass wahrscheinlich eine einzige genügte, um einen ausgewachsenen Bison damit zu erschießen.

Einzig beruhigend war, dass der Mann den Sechsschüsser schräg zum Fußboden gerichtet hielt.

Rose wich weiter zurück, bis ans Fenster. Dort verharrte sie mit schreckgeweiteten Augen und offenem Mund und hielt dem Eindringling die Handflächen entgegen.

Er war in der Mitte des Abteils stehengeblieben. Trotz seiner Maskierung sah Rose, dass er lächelte. Es erfüllte sie mit Stolz, dass sie ihn bereits so gut einschätzen konnte. In der Tat vermochte sie dieses Lächeln an seinen blitzenden Augen abzulesen.

Er hielt ihr die freie Hand hin. Und während innerhalb und außerhalb des Zuges weiter heftig gekämpft wurde, sagte er nur:

»Komm!«

Rose erschrak von neuem. »Was – wohin?«, hörte sie sich stammeln.

»Wir beide verschwinden von hier«, erklärte er. Seine Stimme klang dumpf unter dem Halstuch. »Und du bist meine Lebensversicherung.«

***

Pinkerton Detective Joseph Kane traf seine Entscheidung rechtzeitig, wie er meinte. Er nutzte die Situation, als die übrigen Männer sich zum Angriff formierten. Ohne abzusitzen, zogen sie sich ein Stück in den Wald zurück. Nur scheinbar entstand ein vorübergehendes Chaos, bis die Reiter mit ihren Pferden eine lockere Linie innerhalb des Waldrands gebildet hatten.

Kane hatte seine Position schon zuvor mit Bedacht ausgewählt. Zu seiner Rechten gab es eine tiefe Bodenmulde, die durch das Unterholz fast vollständig verdeckt wurde. Während des Durcheinanders der Pferdeleiber lenkte Kane seinen Grauschimmel nur zu Anfang in die gleiche Richtung wie die anderen.

Dann, aus einer fließenden Bewegung heraus, verschwand er in weniger als einer halben Sekunde von der Bildfläche. Die Mulde hinter dem Dickicht verschluckte ihn buchstäblich. Nur kurz blickte er zurück. Niemand schien etwas bemerkt zu haben. Seine Kollegen waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Kane hatte sich bewusst unauffällig angezogen. Seine pelzgefütterte Jacke war dunkelgrau, der Hut gleichfarbig und die derbe Denimhose blauschwarz. Das auffälligste Merkmal an ihm wäre das flachsblonde Haar gewesen, hätte er es nicht zu einem Knoten am Hinterkopf gebunden und das meiste davon unter einem dicken braunen Wollschal zwischen Jackenkragen und Hutkrempe verborgen.

Alle Gesetzeshüter konzentrierten sich auf den bevorstehenden Einsatz, starrten hinaus auf den Abhang und die ausschwärmenden Banditen. Die überwiegend schwarz gekleideten Angreifer dort unten hatten keine Mühe, den langsamer werdenden Zug einzuholen.

Im Schutz des Unterholzes warteten die anderen auf das Kommando des Sheriffs, der als Ortskundiger die beste Übersicht hatte. Es war ein gezischter Pfiff, mit dem er das Zeichen zum Angriff gab.

Sofort brachen sie aus dem Dickicht hervor. In donnerndem Galopp preschten die Reiter auf das freie Gelände hinaus. Sie teilten sich in zwei Gruppen, noch bevor die Lokomotive des Zugs die Hälfte der Steigung bewältigt hatte.

Joseph Kane frohlockte. Sie vermissten ihn nicht. Sie konzentrierten sich auf ihren Einsatz, hatten allem Anschein nach noch nicht einmal bemerkt, dass einer von ihnen fehlte. All right, dachte Kane und grinste, im Eifer des Gefechts haben sie andere Sorgen.

Sein weiteres Vorgehen hatte er sich gut überlegt. Er würde einen weiten Bogen nach Nordwesten schlagen, um dann im Schutz eines benachbarten Hügelwalds in südliche Richtung zu reiten.

Etwa drei Meilen entfernt würde er den Sammelpunkt der Motley-Truppe erreichen – das war die ganze Geschichte. Zumindest galt das für ihn selbst. Was aus seinem neuen Verbündeten Motley und dessen Komplizen werden würde, stand in den Sternen.

Bislang waren nur die Hufgeräusche und das Schnaufen des Zuges zu hören. Kane rechnete damit, dass jeden Moment die ersten Schüsse krachten.

Indessen ahnte er, dass etwas Unvorhergesehenes passieren würde.

Zugleich aber wusste er, dass er zu spät kommen würde, um Motley und die anderen zu warnen.

Als Pinkerton Detective hatte er gelernt, sich nach der Decke zu strecken. In seinem Beruf gab es viele gute Gelegenheiten; man musste nur wissen, welche davon man am Schopf ergriff. Als Saul Motley ihn im Pokerzimmer eines Saloons angesprochen hatte, war ihm sofort klar gewesen, dass der Mann ihm ein Angebot machte, das er nicht ablehnen konnte.

Sie waren sich handelseinig geworden. Er, Joseph Kane, versorgte Motley und seine Bande mit wichtigen Hinweisen, und dafür beteiligten sie ihn an der Beute des Überfalls, ohne dass er selbst daran teilnehmen musste

Allerdings hegte er eine dumpfe Befürchtung. Möglicherweise würde es der Motley-Bande nicht mehr viel nützen, dass er sie über den Einsatz der Pinkertons informiert hatte. Denn er war inzwischen ziemlich sicher, dass er nur die Hälfte von dem wusste, was Lassiter und die Sternträger planten.

Dieser Lassiter war ihm ganz und gar nicht geheuer. Der Kerl machte den Eindruck, dass er mehr wusste als alle anderen. Bei allem, was er sagte und tat, wirkte er überlegen. All right, vielleicht war das aber auch Taktik. Ein Mann, der Selbstbewusstsein ausstrahlte, konnte andere leicht davon überzeugen, dass er stets das Richtige tat.

Als Kane das offene Gelände westlich der Anhöhe in einer Bodenmulde durchquerte, hatte er die einzige kritische Phase vor sich, denn er befand sich praktisch auf gleicher Höhe mit seinen ehemaligen Gefährten.

Indessen sah er von ihnen nur die Gruppe auf der Westseite der Bahnlinie. Sie hatten den Zug noch nicht erreicht, doch es konnte nur noch eine Sache von Augenblicken sein, bis dort drüben die Hölle losbrach.

Unbehelligt verschwand Kane in dem Hügelwald unmittelbar westlich der Anhöhe, die sie als Beobachtungspunkt benutzt hatten. Er drang weit genug in den Wald vor, um sicher zu sein, dass ihn Bäume und Dickicht vor Blicken schützten.

Er zügelte sein Pferd und drehte es auf der Hinterhand, bis er sehen konnte, was sich abspielte.

Motley und die Banditen hatten den Zug erreicht. Etwa die Hälfte von ihnen war bereits auf die Plattformen gesprungen und in die Pullmanwagen eingedrungen. Der Rest der Banditen, noch in den Sätteln, machte Anstalten, ebenfalls den Zug zu entern. Nur zwei oder drei, das wusste Kane, würden draußen bleiben, um die Aktion zu sichern.

Kane hatte als Pinkerton Detective genügend Eisenbahn-Überfälle miterlebt, um zu wissen, wie die Outlaws ihre Taktik gestalteten.

Aus dem Hügelwald heraus hatte er auch jetzt einen guten Überblick, sodass er deutlich erkennen konnte, was zumindest diesseits des Zugs ablief. Die Entfernung lag irgendwo zwischen eineinhalb und zwei Meilen.

Kane sah, dass Motleys Rechnung wieder einmal aufgehen würde. Es war ein Erfolgsrezept, nach dem er bei seinen Eisenbahn-Überfällen vorging. Benedetto und seine Getreuen würden ihn ebenso wenig daran hindern wie der Sheriff, die Deputies und der famose Lassiter.

Und bei den einfachen Leuten machte es durchweg einen guten Eindruck, wenn sie in den Zeitungen lasen, dass die Motley-Bande nur den wohlhabenderen Zugreisenden ihr Geld und ihre Wertsachen abnahm.

Es war dieses Robin-Hood-Prinzip, mit dem schon Jesse James zu Ruhm gelangt war. Motley war vielleicht größenwahnsinnig, wenn er glaubte, es genauso weit zu bringen. Auf jeden Fall aber verstand er es, zu Reichtum zu gelangen.

Denn er raubte keineswegs nur die Passagiere aus, sondern er ließ vor allem auch Geldkisten und Tresorinhalte aus den Postwagen der Züge mitgehen.

Kane war mittlerweile überzeugt, das Richtige getan zu haben. Verdammt, ja, seine Entscheidung, sich auf Motleys Seite zu schlagen, war eine gute Entscheidung. Erfolgreiche Menschen, sagte Motley, hatten das Recht immer auf ihrer Seite. Yeah, der Mann wusste, wovon er sprach.

Selbst wenn der Überfall schiefging, würde Motley einen Weg finden, mit heiler Haut aus der Sache herauszukommen. Vielleicht, so überlegte Kane, würde es für ihn sogar das Beste sein, wenn er mit dem Anführer der Banditen allein einen neuen Anfang machen konnte.

Es war alles offen. Die Zukunft bot unvorstellbare Möglichkeiten.

Joseph Kane wollte das Pferd herumziehen und seinen Weg fortsetzen.

Im selben Moment änderte sich die Lage schlagartig.

Kane erstarrte.

Ungläubig spähte er hinüber zu dem immer langsamer werdenden Zug. Das Geschehen, das dort in dieser Sekunde einsetzte, übertraf seine düstersten Ahnungen. Zweierlei Dinge geschahen nahezu gleichzeitig.

Der Zug wurde abgebremst und kam zum Stehen.

Gleichzeitig wurden die Rolltüren zweier Stallwagen geöffnet. Der eine befand sich an vorderster Position, gleich hinter dem Tender. Der zweite bildete den Schluss des Zuges.

Pferde, mit ihren Reitern bereits in den Sätteln, sprangen in rascher Folge aus beiden Wagen – sowohl auf der Westseite als auch auf der Ostseite des Zuges. Die Reiter waren schwer bewaffnet, einige mit langläufigen Schrotflinten, die meisten mit Winchesterkarabinern und Sechsschüssern.

Die Banditen, die sich noch außerhalb des Zugs befanden, waren erkennbar geschockt. Durcheinander entstand; die Outlaws sahen sich umzingelt und wussten nicht, was sie tun sollten. Motley hielt sich wahrscheinlich schon in einem der Pullmanwagen auf, denn von ihm kam keinerlei Anweisung.

Wildes Feuer aus Langwaffen setzte ein.

Motleys Männer versuchten, das Feuer zu erwidern, doch der Hagel von Kugeln und Bleischrot fegte sie aus den Sätteln wie ein Sturm von stählerner Härte. Die Todesschreie mancher Getroffener gellten weit über das Land.

Kane hielt nichts mehr auf seinem Beobachtungsposten. Wie von Furien gehetzt, trieb er sein Pferd an und setzte den Bogen fort, der ihn in südliche Richtung führen sollte. Gleich darauf, nachdem er den Hügelwald verlassen hatte, jagte er in rasantem Galopp einen freien, grasbewachsenen Hang hinunter.

Erleichtert stellte er fest, dass die Anhöhe, die er jetzt hinter sich hatte, ihn vor Blicken vom Schauplatz des Feuergefechts schützte. Er trommelte dem Grauschimmel die Stiefelabsätze in die Flanken und trieb das Tier zu höchster Leistung an. Der Graue streckte sich unter ihm. Das Gelände bot den stakkatohaft hämmernden Hufen einen sicheren Untergrund.

Bodenwellen, ausgedehnte Mulden und kleinere Hügel wechselten einander ab. Kane schätzte, dass er etwa zwei Meilen zurückgelegt hatte, als er den ersten markanten Punkt erreichte, den Motley ihm beschrieben hatte.

Es handelte sich um einen längst ausgetrockneten einstigen Ziehbrunnen, von dem nur noch die kreisförmig zusammengefügten Granitbrocken standen. Der Brunnen hatte zu einer Farm gehört, die schon vor fünfzig Jahren aufgegeben worden war.

Die übrigen Reste der Farm, morsche und verwitterte Balken eines ehemaligen Blockhauses, waren von üppigem Grün überwuchert und kaum noch zu erkennen.

Kane saß ab und versorgte den Grauen aus der Wasserflasche. Das Hämmern der Hufe hallte in langsamerem Rhythmus in seinen Ohren nach. Er streichelte dem Pferd die Nüstern, schraubte die lederbespannte Flasche zu und hängte sie zurück an ihren Platz hinter dem Sattel. Der Nachhall der Hufe wollte nicht aus seinem Gehör weichen.

Irritiert blinzelnd drehte er sich um und spähte über das wellige Grasland, in die Richtung, aus der er gekommen war. Er zuckte zusammen, als er den Reiter erblickte. Ein Verfolger?

Kane zwang sich zur Ruhe. Noch war die Entfernung zu groß, um den Mann zu erkennen. Er war noch außer Gewehrschussweite. Allerdings gab er sich keine Mühe, sich zu verbergen.

Kane kniff die Augen zusammen. Handelte es sich um einen aus Motleys Bande, der dem Schusswechsel entkommen war? Oder war es gar Motley selbst, der am vereinbarten Treffpunkt zu ihm stoßen wollte?

Eilends nahm Kane sein Fernglas aus der Satteltasche. Nachdem er den Reiter mit der Optik eingefangen und die Scharfstellung justiert hatte, erkannte er ihn sofort. Eisiger Schreck durchfuhr ihn.

»Lassiter!«, stieß er hervor.

***

Rose Flanagan und der Bandit waren in dem Gang vor dem Abteil nur zwei Schritte weit gekommen. Dann war draußen das reinste Inferno ausgebrochen.

Verglichen mit dem Höllenlärm, der nun einsetzte, war das Vorherige nur ein unbedeutendes Geplänkel gewesen. Nun aber schien eine riesige Streitmacht angerückt zu sein, die alles in Grund und Boden schießen würde.

So hörte es sich an. Scherben von Fensterscheiben klirrten und zischten durch die Luft. Holzsplitter von den Wagenwänden wirbelten zusammen mit dem Fensterglas herein. Kugeln, die Fenster und Außenwände durchschlagen hatten, fuhren mit schmetternden Lauten ins Holz der Innenwände.

Harte Schritte polterten weiter durch den Zug, begleitet von barschen und rauen Stimmen. »Meine Männer«, hatte der Maskierte stolz gesagt. Auch Schreie waren weiterhin zu vernehmen. Innerhalb des Zuges gab es wohl etliche Sicherheitskräfte, die sich den Eindringlingen entgegenwarfen.

Aber bei den Angreifern, die draußen auf den Plan traten, handelte es sich eindeutig um Reiter. Und allem Anschein nach waren sie in einer solchen Überzahl, dass sogar der Maskierte Respekt vor ihnen bekam.

Er war der Anführer, wie er Rose zugezischt hatte. Auch seinen Namen hatte er ihr verraten. Saul Motley.

Hastig hatten sie sich in Roses Abteil zurückgezogen und sich dort zwischen die beiden dick gepolsterten Sitzbänke gekauert. Er hatte sie dazu nicht überreden müssen, denn ihr war klar, dass es den sicheren Tod bedeutete, wenn man sich aufrichtete und sich damit dem hereinsirrenden Bleihagel aussetzte.

Der Lärm von Schüssen und Einschlägen war ohrenbetäubend. Rose zitterte vor Angst. Sie war nicht sicher, ob die Wagenwände unterhalb der Fenster wirklich aus Stahlblech waren und den Kugeln standhielten.

Motley hatte es ihr gesagt, und tatsächlich hatten Aufpraller und das Heulen mehrerer Querschläger ihn bestätigt. Allmählich verlagerte sich das Kampfgeschehen weiter nach vorn. Und langsam, so schien es, ließ die Heftigkeit des Schusswechsels nach.

Motley bemerkte es ebenfalls.

»All right«, sagte er zwischen zwei Schüssen. »Es geht zu Ende.«

»Was heißt das?«, fragte Rose mit bebender Stimme.

»Dass sie meine Leute in Kürze erledigt haben.«

»Dann sollten Sie sich jetzt ergeben, Mister Motley.«

Er lachte und zog sich die Maske herunter. »Ebenso gut kann ich mich gleich selbst aufhängen, Irish Rose. Was glaubst du, was die Bastarde mit mir machen, wenn sie mich in die Finger kriegen?«

Ein Schauer durchlief Rose. Natürlich hatte er an ihrem Akzent erkannt, dass sie aus Irland kam. Und dass er sie irische Rose nannte, erfüllte sie mit Stolz und vibrierendem Behagen zugleich.

»Dann werden Sie – steckbrieflich gesucht?«, hauchte sie. »Wie Jesse James oder Billy the Kid?«

»Eher wie Jesse.« Er grinste. »Sag Saul zu mir, okay? Schließlich sind wir eine – hm – Schicksalsgemeinschaft. Aber wie auch immer, Jesse und Billy würden jetzt genau das Gleiche tun wie ich. Und zwar gehen wir raus, Irish Rose.«

»Aber da draußen wird immer noch geschossen!«, rief Rose verzweifelt.

»Eben drum«, erwiderte er, und sein Grinsen verbreiterte sich noch. »Du bist mein Faustpfand und mein Schutzschild, Rose. Uns beiden wird also nichts geschehen. Hast du ein weißes Tuch?«

»Ein Taschentuch?«

Er nickte. »Das müsste reichen.«

Zögernd und vorsichtig zog Rose ihre Handtasche vom Sitzpolster. Rasch senkte sie die Tasche auf den Fußboden und fischte ein frisch gebügeltes weißes Tuch heraus. Sie hielt es dem Banditen hin. Ihre Hand zitterte dabei.

»Was, wenn sie uns beide erschießen?«, fragte sie und zog die bebende Unterlippe zwischen die Zähne.

»Dann sind wir beide tot«, antwortete er und grinste. »Ich hoffe, du hast einen Mantel. Sonst holst du dir draußen den Tod – bei der Kälte.«

Die Vorstellung davon und ebenso die Angst ließen Roses Zähne klappern. Sie kroch zu der Ecke des Abteils, an der Seite zum Gang hin, wo sich eine Garderobennische befand. So schnell sie konnte, richtete sie sich auf, nahm Mantel und Schal vom Haken und ließ sich sofort wieder sinken.

Der Mantel war dunkelgrau, aus Schafwolle und dick gefüttert. Ihre Eltern hatten ihr Gespartes angegriffen, um ihr das teure Kleidungsstück für die Reise schenken zu können. Den Schal hatte ihre Mutter aus heller, naturfarbener irischer Wolle gestrickt.

Mittlerweile fielen draußen nur noch vereinzelte Schüsse. Im Zug selbst war es still geworden. Der Kampf schien tatsächlich beendet zu sein. Aber wer hatte ihn für sich entschieden?

Im Sitzen legte Rose sich den Schal um, und mit einiger Mühe zog sie den Mantel über. Währenddessen knotete Motley einen Zipfel des Taschentuchs um Korn und vorderes Ende des Winchesterlaufs. Mit einer Kopfbewegung bedeutete er der Irin, vor ihm auf den Gang hinauszukriechen.

Trotz der aussichtslosen Lage flackerte Widerstandswille in ihr auf. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass sie ihrer Herkunft etwas schuldig war. Ihr irisches Temperament, ihre Wildheit, die sie zu zügeln gelernt hatte und die doch im Verborgenen schlummerte.

Nicht von ungefähr hatten ihre Eltern sie nach dem alten Lied »My Wild Irish Rose« benannt. Wahrscheinlich hatten sie erkannt, welcher Eigensinn in ihr steckte, kaum dass sie das Licht der Welt erblickt hatte.

»Was ist, wenn ich mich weigere?«, stieß sie hervor.

Motley tippte mit der freien Hand auf das Messer, das er in einer Lederscheide an der linken Hüfte trug. Das Blitzen in seinen Augen und das Grinsen um seine Mundwinkel schwanden.

»Dann müsste ich dir wehtun«, sagte er mit falscher Freundlichkeit.

Rose schluckte und gehorchte. Sie robbte auf die Tür zu. Den Kopf schützend eingezogen, streckte sie den Arm empor, löste den Riegel und drehte den Knauf. Hastig ließ sie den Arm wieder sinken. Bevor sie ihren Weg fortsetzte, drehte sie sich noch einmal um und fragte:

»Und was wird aus deinen Freunden?«

Mit einer Kopfbewegung wies er sie an, ihren Weg fortzusetzen. Gleichzeitig antwortete er: »Wir sind keine Freunde – nur eine Zweckgemeinschaft. Im Übrigen dürfte sich deine Frage erledigt haben. Oder hörst du noch was? Schüsse – meine ich.«

In der Tat war es still geworden. Es waren lediglich noch die Stimmen von Männern zu vernehmen, die sich knappe Befehle und Hinweise zuriefen.

Trotz ihrer Angst staunte Rose nicht schlecht, als sie den hinteren Perron des Pullman-Wagens erreichten. Saul Motleys Pferd, ein brauner Wallach, stand geduldig wartend direkt neben der Plattform, als hätte sein Reiter es dorthin beordert.

Das Schnauben, mit dem der Wallach seinen Eigentümer begrüßte, klang regelrecht erfreut.

Motley richtete sich auf dem Perron auf. Blitzschnell schlang er den linken Arm um Roses Taille. Sein eisenharter Griff raubte ihr für einen Moment den Atem, und bevor sie auch nur eine Silbe herausbekam, war er mit ihr auch schon am Rand der Plattform.

Sie fühlte sich wie in einem Schraubstock. Zugleich spürte sie, dass er die Härte seiner Umklammerung um keinen Deut lockern würde. Seine Entschlossenheit war stark und unüberwindbar und rührte aus seinem Überlebenswillen.

Er hielt den Karabiner am hochgereckten rechten Arm, stieß ihn über die Balustrade hinaus und wedelte mit dem weißen Tuch hin und her.

Scharfe Rufe bestätigten ihm, dass er bemerkt wurde. Weil der Zug stand, konnte er das Pferd noch ein Stück näher heranrufen und sich gleichzeitig mit Rose in den Sattel sinken lassen – wobei er sie als Schutzschild vor sich hielt.

Er brauchte weniger als eine Viertelsekunde für die Aktion. Noch bevor die Männer sich von ihrer Verblüffung erholen konnten, stieß er die Winchester mitsamt dem weißen Tuch in den Scabbard, zog den Revolver und presste die Laufmündung an Roses Schläfe.

Auf die Weise war der Sechsschüsser deutlich erkennbar.

Die Reiter waren etwa fünfzig Yard entfernt – zu viel für eine Faustfeuerwaffe. Für ein Gewehr oder einen Karabiner jedoch eine ideale Instanz. Dennoch wagte keiner der Männer, eine Langwaffe anzulegen.

Rose unterdrückte einen Schmerzenslaut. Der harte Stahl an der Schläfe tat ihr weh. Sie erahnte Motleys Beweggrund. So, wie er den Revolver hielt, konnten die Männer dort drüben ihn scharf umrissen erkennen.

Hätte er ihr die Waffe vor die Brust oder unter das Kinn gehalten, wäre der blauschwarze Stahl vor ihrer dunklen Silhouette verschwommen.

Rose fühlte sich auf eine merkwürdige Weise hilflos und gleichgültig zugleich. Beides zusammen führte dazu, dass sie sich nicht bewegen konnte. Jegliche Willenskraft in ihr war geschwunden; ihre Muskeln fühlten sich an wie erschlafft.

Und das Schlimme war: Sie hatte sich selbst in diese Lage gebracht. In ihrer verrückten Neugier auf das große fremde Land einerseits und in ihrem allzu lange unterdrückten Verlangen nach einem erotischen Abenteuer hatte sie sich Saul Motley ausgeliefert.

Es war nur allzu verständlich, dass er die Gelegenheit beim Schopf ergriff und sie als Faustpfand verwendete. Genaugenommen konnte sie ihm deswegen nicht einmal einen Vorwurf machen.

Er war ihr Feind und ihr Verbündeter zugleich. Und alles hing davon ab, wie Motleys Gegner reagieren würden.

Was sie vor sich sah, erlebte sie wie in einer anderen, fremdartigen Wirklichkeit. Noch nie hatte sie so viele Tote auf einmal gesehen. Sie lagen verstreut auf dem Boden; einige trugen noch ihre Masken.

Safety Agents aus dem Zug warfen einen weiteren leblosen Banditen herab.

Die Reiter nahmen es kaum zur Kenntnis. Sie hatten sich hinter den Toten formiert. Jetzt hielten sie regungslos inne und starrten Rose und ihren Bezwinger an. Offenbar beratschlagten die Männer. Rose konnte sehen, wie sich ihre Lippen bewegten, doch wegen der Entfernung war nichts zu hören.

Unvermittelt setzten sich zwei von ihnen in Bewegung. Sie übergaben ihre Revolver und ihre Karabiner an ihre Gefährten, hoben die Hände und näherten sich in bedächtigem Schritttempo.

»Das sind Sheriff Edelman und Inspector Benedetto«, flüsterte Motley in Roses Ohr. »Mit dem Sheriff könnte man noch verhandeln. Aber Benedetto ist ein Pinkerton-Mann. Der schießt erst und stellt dann Fragen, die keiner mehr beantworten kann.«

Angesichts all der Toten vermutete Rose, dass Motley Recht hatte. Doch sie riskierte nicht, etwas zu sagen. Und sie wagte nicht, den Kopf zu bewegen, denn schon ein zustimmendes Nicken, so befürchtete sie, konnte Motleys Zeigefinger unkontrolliert zucken lassen.

Etwa zwanzig Yard entfernt brachten Edelman und Benedetto ihre Pferde zum Stehen.

»Sie können die Hände herunternehmen, Gentlemen«, sagte Motley. »Ich vertraue Ihnen. Oder besser gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das Leben dieser hübschen und zugleich völlig unbeteiligten Lady in Gefahr bringen. Ich verlange nämlich nichts weiter als ein Pferd für die Lady und freien Abzug für uns beide.«

»Das ist alles?«, fragte Benedetto misstrauisch.

»Muss ich Selbstverständliches erwähnen?«, entgegnete Motley. »Dass ich keinen Verfolger sehen will, ist ja wohl klar. Sollte ich trotzdem auch nur eine Nasenspitze von euch sehen, müsste Lady Rose schlimme Schmerzen erleiden.« Er lachte rau. »Ich bin ja nicht so dämlich, sie gleich umzubringen. Ich will doch länger was von ihr haben.«

»Madam«, sagte Sheriff Edelman und richtete den Blick auf die Geisel. »Wir werden alles tun, um Ihr Leben zu schützen. Das versichere ich Ihnen als Vertreter des Gesetzes im Newton County.«

»Das sagt ihr nichts«, knurrte Motley. »Sie ist gerade erst aus Irland angekommen. Und wir wollen jetzt beide kein Bla-Bla mehr hören. Also her mit dem Pferd – und dann ab die Post.«

***

Es hatte keinen Sinn. Je länger Joseph Kane darüber nachdachte, desto mehr war er davon überzeugt, dass Flucht sinnlos war. Einem Mann wie Lassiter zu entkommen, war unmöglich. Das zeigte allein schon die Tatsache, dass der verdammte Hurensohn seine, Kanes, Spur überhaupt aufgenommen hatte.

Spurenlesen war schließlich eine Sache, für die man sehr viel Erfahrung brauchte.

Und jetzt saß der Kerl ihm im Nacken, als würde es sich um die selbstverständlichste Sache der Welt handeln – als wäre es ein Kinderspiel gewesen, ihn aufzuspüren.

Kane hatte seine Flucht noch eine knappe Meile weit fortgesetzt, bis er den zweiten markanten Geländepunkt erreichte. Es war ein einstmals mächtiger Hickorybaum, der von einer kahlen, nicht besonders hohen Hügelkuppe aufragte.

Blitzschlag hatte die Krone des Baums fast vollständig zerstört. Bizarr zersplitterte und bereits verwitterte Reste von Ästen ragten grau und skelettartig in die kalte Novemberluft. Der Stamm des Hickory war indessen vollständig erhalten, und die Teile, die überlebt hatten, sorgten im Sommer für spärlich nachwachsende Zweige mit grünenden Blättern.

Geschützt durch den Hickory-Stamm legte Kane eine kurze Pause ein und beobachtete seinen Verfolger, indem er immer wieder einmal hinter dem knorrigen Holz hervorlugte.

Der Abstand hatte sich kaum verändert. Wenn er sich selbst in die Tasche log, so überlegte Kane, dann war der Abstand sogar eher größer geworden. Wenn er den Tatsachen aber nüchtern ins Auge sah, dann musste er zugeben, dass der Schweinehund aufholte. Langsam aber sicher.

Kane setzte seinen Weg fort und durchquerte eine Senke, die sich südlich des verkrüppelten Hickorybaums über etwa eineinhalb Meilen ausdehnte. Vorübergehend war er damit den Blicken seines Verfolgers entzogen.

Dann trat eine Veränderung der Landschaft ein, die ihm anzeigte, dass er den Treffpunkt mit Motley bald erreichen würde. Der vor ihm liegende Hang einer steileren Anhöhe war von Felsbrocken durchsetzt. Hohes Gras, Buschwerk und Baumgruppen wechselten einander mit schroffen Gesteinsformationen unterschiedlicher Größe ab.

Kane trieb den Grauen zügig voran. Das kräftige Tier bewältigte die Steigung mühelos und unermüdlich, wie es schien. Doch Kane wusste nur zu gut, dass er seinem Pferd nicht zu viel zumuten durfte, wenn es nicht vorzeitig schlappmachen sollte. Das Gelände wurde ab sofort eher noch schwieriger.

Doch er brauchte nur noch hundert oder zweihundert Yard zurückzulegen. Dann konnte er seinen Entschluss, die Flucht zu stoppen, in die Tat umsetzen. Er fand einen geeigneten Felsbrocken auf halber Höhe des Hangs.

Ein mächtiger, etwa sieben Fuß hoher Gesteinsklotz war es, wie für ihn gemacht. In der Mitte gab es eine Einbuchtung, die einer Schießscharte ähnelte. Kane ritt um den Felsen herum. Auf einer Grasfläche, zehn Yard weiter, saß er ab und schlang die Zügel des Grauen um einen knorrigen Dornbusch.

Er zog die Winchester aus dem Scabbard und steckte ein Munitionspäckchen in die äußere Jackentasche. Er kehrte zu dem Felsklotz zurück und überzeugte sich, dass der Grauschimmel von der Senke aus nicht zu sehen war.

»All right«, sagte er in zufriedenem Selbstgespräch. »Jetzt kann der Kerl kommen.« Er stellte sich probeweise hinter den Felsklotz und legte die Winchester in die Scharte, deren Boden sich etwa in Brusthöhe befand.

Er brauchte die Beine nur wenig zu spreizen, um sich selbst in die richtige Höhe zu bringen. Dann zog er den Gewehrkolben an die Schulter und stellte fest, dass der eingebuchtete Fels ein perfekter Schießstand war.

Er konnte den gesamten vor ihm liegenden Hang und einen Teil der Senke mit Kugeln bestreichen. Sein Blickfeld war durch nichts eingeschränkt; die wenigen kleineren Felsbrocken zwischen seiner Position und dem Fuß des Hangs behinderten seine Sicht nur wenig.

Wichtig war, dass der Hurensohn Lassiter keinerlei Sichtschutz hatte, wenn er die Senke durchquerte. Und dabei würde es bleiben, bis er in Schussweite kam. Vorausgesetzt, er bewegte sich geradlinig in seine, Kanes, Richtung, würde er erst Deckung finden, wenn er das felsendurchsetzte Gelände erreichte.

Das allerdings würde dem Bastard nicht viel nützen. Denn er, Kane, hatte den besseren Blickwinkel. Er sah den Kerl schräg von oben, und dadurch konnte er ihn selbst dann erwischen, wenn er hinter einem der Felsbrocken dort unten lag.

Kane grinste. Okay, vielleicht konnte er ihm nur in den Hintern oder in die Beine schießen. Aber das würde schon reichen. Er würde seine untere Hälfte so mit Kugeln vollpumpen, dass er nicht mehr auf die Beine kam.

Kane nahm das Munitionspäckchen aus der Tasche und legte es neben dem Gewehrkolben in die Scharte.

Im selben Moment sah er ihn.

Lassiter stand einfach da – drüben, auf der kahlen Hügelkuppe, neben dem Hickorybaum.

Kane duckte sich reflexartig. Verdammt, hatte der Mistkerl ihn gesehen? Wie lange stand er schon dort? Hatte er ihn womöglich schon beobachtet, bevor er hinter dem Granitblock in Deckung gegangen war?

Kane überlegte. Sollte er den Hut abnehmen? Nein, auf keinen Fall. Sich den Schal vor das Gesicht ziehen? Hm, vielleicht. Das Dunkelgrau des Huts war zehnmal unauffälliger als sein blondes Haar. Und wenn er den Schal hochzog, würde dessen Dunkelbraun zwar sein helles Gesicht verbergen, doch die Handbewegung würde dem Kerl wahrscheinlich nicht entgehen.

Kane verscheuchte die Gedanken. An der Lage ließ sich nichts mehr ändern. Er musste damit fertigwerden, egal, wie sich die gottverdammte Situation entwickelte.

Noch während er sinnierte, war Lassiter plötzlich verschwunden.

Kane kniff die Augen zusammen, als ob er dadurch besser sehen konnte. Er zwang sich zur Ruhe. Es gab keinen Grund zur Aufregung. Der Mistkerl musste einfach hinter den Hickory gehuscht sein, auf die andere Seite der Hügelkuppe.

Dort stieg er jetzt auf seinen Gaul – vermutlich. Und wenn es der gütige Himmel wollte, gab er auf und haute ab.

Kanes Zuversicht sackte schon im nächsten Augenblick wieder in den Keller.

***

Die Silhouette von Pferd und Reiter schob sich hinter dem halbtoten Baum hervor und nahm die ursprüngliche Richtung wieder auf. Dabei handelte es sich keineswegs nur um die ungefähre Richtung.

Nein, verdammt, der Schweinehund kam haargenau auf ihn zu. Trotz der Entfernung hatte Kane den sicheren Eindruck, dass Lassiter ihm geradewegs in die Augen sah. Aber das war völlig unmöglich. Lassiter konnte ihn garantiert nicht erkennen. Er konnte ja nicht mal mitbekommen haben, hinter welchem Felsbrocken er, Kane, in Deckung gegangen war.

Die genaue Distanz ließ sich nur schwer schätzen. Die eineinhalb Meilen, die man am Boden zurücklegen musste, wenn man die Senke durchquerte, galt natürlich nicht für die Luftlinie von Hügelkuppe zu Hügelkuppe oder knapp darunter.

Obwohl er es genau wusste, vergewisserte sich Kane, dass das Röhrenmagazin der Winchester vollständig geladen war. Er schätzte sich glücklich, dass es sich um ein Gewehr handelte, nicht um einen Karabiner. Mit dem entsprechend längeren Lauf würde er Lassiter früher erwischen, als dieser vermutlich ahnte.

Dieser Bastard kam aus Washington, kannte sich aber im Westen aus. Er war ein Agent der Regierung, wohl ein Geheimagent. Die entscheidende Frage für Kane war aber, ob sein Verfolger sich im Westen besser auskannte als er.

Jedenfalls prahlte er nicht damit herum. So viel hatte Kane in der kurzen Zeit, in der er jetzt mit Lassiter unterwegs gewesen war, schon mitbekommen. Deshalb vermutete er, dass ihrer beider Kenntnisstand über den amerikanischen Westen etwa gleich war. Davon ausgehend hatten sie beide die gleichen Voraussetzungen.

Aber er, Kane, hatte die besseren Karten.

Je länger er darüber nachdachte, desto weniger glaubte er daran, dass Lassiter ihn schon entdeckt haben konnte. Er hatte es sich nur eingeredet. Und das lag einfach daran, dass er ihn auf sich zukommen sah.