Lassiter Sammelband 1829 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1829 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2368, 2369 und 2370..
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

2368: Die Hure von Wichita
Nicht eine Wolke schwebte am blauen Himmel über Wichita. Auf der Mainstreet wälzte die milde Abendbrise Staubwolken vor sich her und aus den offenen Fenstern des Saloons tönten Musik, Gelächter und das Klatschen und Stampfen der Tanzenden. Kein Tag zum Sterben eigentlich. Jimmy sprang vom Sidewalk, rannte über die Straße und nahm die Stufen zum Store mit einem einzigen Satz. Sein Vater hatte ihn losgeschickt, um Tabak zu kaufen. Eine schwarze Katze saß vor der halb geöffneten Ladentür.

2369: Sie wollte nur Gerechtigkeit
Die gepolsterte Tür fiel hinter seinem Besucher ins Schloss. Schweigend deutete Frederick Stevens auf einen Sessel vor dem Kamin, doch sein Gegenüber hob lächelnd die Hände. "Ich stehe lieber. Ihre Einladung hat mich zwar neugierig gemacht, aber ich glaube nicht, dass ich lange bleibe." Stevens nickte und nahm einen Schluck vom Whiskey. "Das wäre ganz in meinem Sinne." Er fixierte den jungen Mann mit eisigem Blick.

2370: Die Nackte und der Gunman
Die Hitze war durchsetzt von hoher Feuchtigkeit und verlieh den Gesichtern der beiden Männer, die sich auf der Mainstreet von Oakville gegenüberstanden, einen unnatürlichen Glanz. Schweißtropfen perlten ihnen von der Stirn, rannen ihnen in die Augenwinkel und über die Wangen hinab zum Kinn, doch keiner von ihnen blinzelte.

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Seitenzahl: 424

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: © Boada/Norma ISBN 978-3-7517-0901-1 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Jack Slade

Lassiter Sammelband 1829

Inhalt

Jack SladeLassiter 2368 - WesternNicht eine Wolke schwebte am blauen Himmel über Wichita. Auf der Mainstreet wälzte die milde Abendbrise Staubwolken vor sich her und aus den offenen Fenstern des Saloons tönten Musik, Gelächter und das Klatschen und Stampfen der Tanzenden. Kein Tag zum Sterben eigentlich. Jimmy sprang vom Sidewalk, rannte über die Straße und nahm die Stufen zum Store mit einem einzigen Satz. Sein Vater hatte ihn losgeschickt, um Tabak zu kaufen. Eine schwarze Katze saß vor der halb geöffneten Ladentür. Jimmy hockte sich neben das Tier und streichelte es. Jimmy Walker war zehn Jahre alt damals, und nichts, was an jenem Sommerabend geschah, sollte er jemals wieder vergessen...Jetzt lesen
Lassiter 2369 - WesternDie gepolsterte Tür fiel hinter seinem Besucher ins Schloss. Schweigend deutete Frederick Stevens auf einen Sessel vor dem Kamin, doch sein Gegenüber hob lächelnd die Hände. "Ich stehe lieber. Ihre Einladung hat mich zwar neugierig gemacht, aber ich glaube nicht, dass ich lange bleibe." Stevens nickte und nahm einen Schluck vom Whiskey. "Das wäre ganz in meinem Sinne." Er fixierte den jungen Mann mit eisigem Blick. "Also machen wir es kurz: Dreitausend Dollar Cash, wenn Sie Ihre Finger von meiner Tochter lassen." Clinton Hawkeye pfiff leise durch die Zähne. "Donnerwetter! Und was, wenn ich mich weigere? Bringen Sie mich dann um?" Langsam schüttelte Stevens den Kopf. "Aber dann werden Sie mich bald anbetteln, es endlich zu tun."Jetzt lesen
Lassiter 2370 - WesternDie Hitze war durchsetzt von hoher Feuchtigkeit und verlieh den Gesichtern der beiden Männer, die sich auf der Mainstreet von Oakville gegenüberstanden, einen unnatürlichen Glanz. Schweißtropfen perlten ihnen von der Stirn, rannen ihnen in die Augenwinkel und über die Wangen hinab zum Kinn, doch keiner von ihnen blinzelte. Ihre kalten Blicke schätzten einander ab, suchten nach einer Schwäche des Gegners und nach jener winzigen Regung, die das frostige Schweigen zwischen ihnen im Aufbrüllen ihrer Revolver zerreißen würde. "Worauf wartest du?", hallte es über die Straße. "Ist dir der Schneid schon in die Hose gerutscht?" Barry Flints Kiefer mahlten. Seine Rechte war erstarrt und schwebte nur wenige Zentimeter über dem Griff seines Peacemakers. "Quatsch nicht dumm rum, Dillon!", knurrte er finster. "Make my day!" Einen Lidschlag darauf peitschte das Donnern zweier Schüsse durch die Luft.Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Die Hure von Wichita

Vorschau

Die Hure von Wichita

Nicht eine Wolke hing am blauen Himmel über Wichita. Auf der Mainstreet wehte die milde Abendbrise Staubwolken vor sich her und aus den offenen Fenstern des Saloons tönten Musik, Gelächter und das Klatschen und Stampfen der Tanzenden. Kein Tag zum Sterben eigentlich.

Jimmy sprang vom Sidewalk, rannte über die Straße und nahm die Stufen zum Store mit einem einzigen Satz. Sein Vater hatte ihn losgeschickt, um Tabak zu kaufen. Eine schwarze Katze saß vor der halb geöffneten Ladentür. Jimmy hockte sich neben das Tier und streichelte es.

Jimmy Walker war zehn Jahre alt damals, und nichts, was an jenem Sommerabend geschah, sollte er jemals wieder vergessen.

Im Laden drinnen hörte er zwei Männer reden. »Walker ist im Saloon«, sagte die eine, »er tanzt.«

»Und Lester?«, fragte die andere.

»Sitzt an der Theke«, antwortete die erste Stimme. »In der nächsten Tanzpause geht’s los. Wie komme ich aufs Dach?«

Jimmy schlich in den Store. Seinen Familiennamen zu hören – Walker – hatte ihn stutzig gemacht. Hinter einem Regal mit Stoffballen versteckt, spähte er zur Ladentheke. Mr. Kensington – so hieß der Ladeninhaber – erklärte einem Mann den Weg aufs Dach.

Sicher, der Name Walker war nicht gerade selten. Doch weil seine Eltern sich unter die Tanzenden gemischt hatten, nachdem sein Vater ihm das Geld für den Tabak in die Hand gedrückt hatte, glaubte Jimmy, dass von ihm die Rede sein müsse. Und gleich zwei Männer namens Walker zur selben Zeit auf der derselben Tanzfläche? Das erschien ihm unwahrscheinlich.

Den Mann vor der Ladentheke hatte Jimmy Minuten zuvor aus dem Saloon gehen sehen. Er war jung, mittelgroß und hager und hatte langes schwarzes Haar. Er hatte den Saloon ohne Gewehr verlassen – jetzt hielt er eines in den Händen und lud es.

An seiner linken Hand fehlte der kleine Finger. Jimmy sah es genau, als der Mann die Kugeln in die Waffe steckte. »Bringen wir’s hinter uns«, sagte er, klemmte das Gewehr unter den Arm und verschwand durch die Hintertür.

Jimmy stand ganz still, wagte kaum zu atmen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er dachte an die vier Fremden, mit denen sein Vater zu Beginn des Monats auf der Veranda gestritten hatte. Es war um die Ranch gegangen. Dad wollte sie nicht verkaufen.

Jimmys Herz schlug plötzlich schneller.

Die Katze strich um seine Füße und schnurrte. Jimmy nahm sie hoch und ging zur Ladentheke. Mr. Kensington runzelte die Stirn; er schien überrascht. »Was zum Teufel hast du hier verloren?«, zischte er. Er war groß und dürr und hatte riesige Ohren. Eine Hakennase beherrschte sein langes Gesicht.

»Ich soll Tabak für meinen Dad kaufen.« Ohne die Katze loszulassen, öffnete Jimmy die Faust und ließ die beiden Münzen auf die Ladentheke fallen, die sein Vater ihm mitgegeben hatte. Während er Mr. Kensington ins Gesicht schaute und ihm die Tabakmarke seines Vaters nannte, drückte er das Tier an sich, als könnte es ihn vor dem Unglück beschützen, das Jimmy nahen fühlte.

»Lass die Katze los, Junge!« Mr. Kensington legte ihm den Tabak hin. »Die hat’s nicht gern, wenn man sie rumschleppt.« Jimmy setzte die Katze ab, nahm den Tabak und lief aus dem Store. Er hatte es eilig, zurück in den Saloon zu kommen – irgendetwas stimmte nicht.

Vor der Schwingtür blieb er stehen und lauschte: Statt Pianoklänge und Gelächter, tönte jetzt Männergeschrei von drinnen. Und zu tanzen schien auch niemand mehr.

Unter den lauten Stimmen erkannte Jimmy die seines Vaters. Dad stritt sich mit jemandem. Jimmy drehte sich um und blickte zurück zum Store. Hinter dem Ladenschild auf dem Vordach tauchte ein Hut ab.

Das Geschrei aus dem Saloon näherte sich der Schwingtür, beide Flügel wurden aufgestoßen, Jimmy wich zur Seite aus. Ein gutes Dutzend Männer quollen aus dem Saloon, darunter sein Vater. Und ein großer Blonder mit aufgeplatzter Lippe.

Die meisten blieben auf dem Sidewalk stehen, oder lehnten gegen die Hausfassade. Nur sein Vater und ein zweiter Mann marschierten auf die Mainstreet – sein Vater in Richtung Store, der mit dem blutenden Mund in die andere Richtung.

»Steve!« Jimmys Mutter stürzte aus dem Saloon. Sie nahm ihn gar nicht wahr, wollte weiter auf die Mainstreet laufen. Ein sehr junger Bursche und ein drahtiger Kahlkopf mit vernarbtem Gesicht hielten sie fest. »Nicht doch, Steve!«, schrie sie. »Lass dich doch nicht provozieren, Darling!«

»Hier geblieben, Ma’am!« Der sehr junge Bursche zog sie zurück auf den Sidewalk. »Das ist Männersache.« Jimmy erkannte ihn an der Augenklappe: Er war einer der Männer, mit denen Dad zuhause auf der Veranda gestritten hatte. Auch der Kahlkopf mit den Pockennarben im Gesicht war dabei gewesen.

»Wenn Lester King meine Frau eine ›Hure‹ genannt hätte, wäre er nicht mal mehr lebend auf die Mainstreet hinaus gekommen«, sagte ein anderer. »Den hätte ich schon im Saloon mit Blei gespickt.«

Später erfuhr Jimmy, dass der Mann namens Lester King seine Mutter nicht nur als Hure bezeichnet, sondern sich bei ihr auch für »die heiße Nacht« bedankt hatte. In jenen Augenblicken vor dem Saloon jedoch begriff er nur, dass sein Dad den großen Blonden geschlagen hatte, weil der die Mutter beleidigt hatte.

Nach vielleicht zwanzig Schritten blieben beide Männer stehen und drehten sich um. Jeder ließ seine Rechte über dem Kolben seines Revolvers schweben. Jimmy wurde angst und bange – sein Vater war tatsächlich im Begriff, sich mit dem großen Blonden zu duellieren!

»Nicht doch, Steve!«, schrie seine Mutter. »Komm von der Straße! Komm schon, Darling!« Sie strampelte in den Armen des Einäugigen. »King will dich töten!«

»Hey, Baby!«, rief der große Blonde. »Ich wusste ja nicht, dass du verheiratet bist!« Das konnte nur dieser Lester sein, der Mann von dem die Männer im Store gesprochen hatten. »Tausend Dank noch mal für den heißen Fick!«

»Lügner!«, schrie Jimmys Mutter. »Verdammter Lügner!«

Sie zogen nahezu gleichzeitig. Lester King ließ sich zur Seite und in den Staub fallen, während er schoss. Und Jimmys Vater schlug mit dem Gesicht voran im Staub der Mainstreet auf.

Jimmy glaubte zu spüren, wie der Sidewalk unter seinen Sohlen bebte, und alles Geschrei drang auf einmal wie von sehr weit weg an seine Ohren. Er stand wie festgewachsen, starrte zu seinem reglos im Staub liegenden Vater hinüber. Und vergaß zu atmen. Die Zeit stand still.

Die kreischende Mutter wollte hinaus auf die Straße stürzen, doch die Männer hielten sie fest. Jemand rief nach dem Totengräber, jemand nach dem Townmarshal. Auf Jimmy achtete niemand.

Der löste sich endlich aus seiner Starre und stelzte vom Sidewalk auf die Mainstreet. Nur wenige Schritte trennten ihn noch von seinem Vater, als zwei Männer sich über den Toten beugten. Die hoben ihn aus dem Staub, um ihn auf einen heranrollenden Wagen zu werfen.

Ein Blutfleck, schon größer als Jimmys Hand, prangte auf Dads Rücken. Im Straßenstaub, da wo Dad zuletzt gelegen hatte, sah Jimmy kein Blut. Er drehte sich um und spähte zum Vordach des Stores hinüber.

Ein paar Wochen danach wurde Jimmys Mutter sehr krank. So krank, dass sie sich nie wieder richtig erholte. Sechs Monate später verkaufte sie die Ranch und ging mit Jimmy nach Denver. Und nicht ganz zwanzig Jahre später stand Jimmy den Mördern seines Vaters gegenüber.

***

Der Arzt hieß Henderson, war Colonel der US-Kavallerie und empfing Lassiter in einem Sprechzimmer des Militärlazaretts von Kansas City. Henderson war Mittelsmann der Brigade Sieben.

Sein Sprechzimmer war mit alten weißen Möbeln ausgestattet – Schreibtisch, Stühle, Liege, Waschtisch, Schränke mit Glastüren – alles weiß und abgestoßen. An der Wand über dem Schreibtisch hing ein riesiges Ölgemälde – eine Prärielandschaft mit Büffeln und indianischen Jägern. Eine schmutzige Glühbirne flackerte unter der Decke.

Wirklich schön an diesem Sprechzimmer war nur eines: die junge Frau, die vor Henderson am Boden kniete und ihm den Fuß verband. Sie hatte energische Gesichtszüge und einen großen Mund mit vollen Lippen. Das kastanienrote Haar trug sie zu einem Dutt geflochten.

»Verfluchte Gicht.« Schmerzen verzerrten das Gesicht des Colonels. »Eine Kugel im Knie ist eine Wohltat dagegen. Nehmen Sie Platz Lassiter.« Er wies auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch.

Lassiter setzte sich. Es roch nach Schnaps und Jod. Wahrscheinlich hatte die Frau dem Doc irgendeine Salbe auf seine gichtigen Zehengelenke geschmiert. Jetzt schnürte sie ihm eine Art Sandale unter den verbundenen Fuß.

»Am Arkansas draußen tun sich Dinge, die uns nicht gefallen können«, sagte Henderson. »Ein Townmarshal wird aus dem Hinterhalt erschossen, brave Farmer geben scheinbar grundlos Haus und Hof auf, ein halbes Dutzend Männer findet man mit einer Kugel im Kopf, und hin und wieder brennt eine Ranch ab.«

»Wo genau, Sir?« Lassiter betrachtete den schlanken Hals der Schönen. Sie hatte schneeweiße Haut.

»In der Gegend von Wichita.« Der Colonel entkorkte eine halbvolle Whiskyflasche. »Unsere gemeinsamen Freunde in Washington wollen, dass ein erfahrener Mann sich dort mal umschaut. Hinter den Vorfällen scheint System zu stecken, und wir wüssten gern, wer hinter dem System steckt.«

Die Frau stand auf, ging zum Waschtisch und wusch sich die Hände. »Danke, Meryl.« Henderson goss Whisky in zwei Gläser und schob Lassiter eines über den Schreibtisch. »Tut nur noch halb so weh. Das muss an Ihren göttlichen Fingern liegen, Meryl.« Wohlgefällig betrachtete er die Rückenansicht der Frau.

Die Frau antwortete nicht. Überhaupt kam sie Lassiter eigenartig schweigsam und verschlossen vor. Das machte sie noch interessanter. Kaum konnte er seine Blicke von ihrer schlanken Gestalt lösen.

Sie trug eine weiße Schürze über ihrem schwarzen Kleid. Das war nicht direkt eng geschnitten, doch auch nicht weit genug, um die geschwungenen Linien ihres Körpers zu verbergen. Lassiter war ziemlich angetan.

»Alles, was man aus Wichita hört, klingt ganz so, als wollte sich dort jemand Land unter den Nagel reißen.« Der Militärarzt riss sich vom Anblick der schönen Frau los. »Und das nicht erst seit gestern.« Henderson griff nach seinem Glas und prostete Lassiter zu.

Der Mann von der Brigade Sieben nippte nur an seinem Whisky. »Und die Toten? Ein Townmarshal also, habe ich verstanden. Und wer waren die anderen Männer?«

»Ein Vorarbeiter einer kleinen Ranch, ein Hilfs-Townmarshal, ein Pferdezüchter. Steht alles in den Unterlagen. Meryl wird sie Ihnen aushändigen.«

Lassiter zog die Brauen hoch. »Mehr haben Sie mir nicht zu sagen, Sir?«

»Mehr weiß ich nicht.« Der Colonel machte eine Geste des Bedauerns. »Keiner weiß mehr. In den Unterlagen finden Sie zwar ein paar Namen von Viehzüchtern am Arkansas in der Gegend von Wichita, doch sonst nur ausführliche Informationen über die Toten. Schauen Sie halt, was Sie damit anfangen können.«

»Und wie genau lautet mein Auftrag?« Lassiter fühlte sich ein wenig abgefertigt.

»Finden Sie raus, wer für die Morde verantwortlich ist.« Henderson leerte sein Glas. »Am besten fangen sie dort an zu suchen, wo einer in den letzten Jahren verdächtig viel Land dazu gekauft hat.« Er riss eine Schublade auf und stellte sein Glas hinein. »Viel Glück, Lassiter. Trinken Sie schon aus und geben Sie mir Ihr Glas. Meine Patienten warten.«

Lassiter stellte das halbvolle Glas auf den weißen Schreibtisch und verabschiedete sich. An der Tür wartete bereits die Frau namens Meryl. Mit einem kurzen Nicken bedeutete sie dem Mann von der Brigade Sieben, ihr zu folgen.

Hinter ihr her ging Lassiter über eine Zimmerflucht. Bei der Betrachtung ihrer wiegenden Hüften wurde ihm ganz heiß. Was für ein prachtvolles Geschöpf!

Er fragte sich, in welcher Beziehung sie zu Henderson stehen mochte. Seine Tochter vielleicht? Der Militärarzt musste großes Vertrauen zu ihr haben, dass er vor ihren Ohren über Lassiters Auftrag sprach.

In einem Seitengang blieb sie vor einer Tür stehen und schloss auf. »Sind Sie Doc Hendersons Krankenschwester, Meryl?«, fragte er.

»Krankenschwester, Sekretärin, Privatköchin, Gesprächspartnerin.« Zum ersten Mal sah Lassiter sie lächeln. »Was er gerade braucht. Ich bin schon als sehr junges Mädchen in seinen Haushalt gekommen. Da lebte Mrs. Henderson noch.«

An sich vorbei winkte sie ihn in ein Zimmer. Lassiter Blick flog über Tisch, Bett, Sekretär, Kleiderschrank und eine offene Tür, die in ein Bad führte. »Ihr Zimmer, Meryl?«

Sie nickte, schloss den Sekretär auf und holte ein Kuvert heraus. »Hier drin finden Sie alles, was Ihnen von Nutzen sein könnte – Dossiers der wichtigsten Leute in Wichita, eine Liste der Townmarshals der letzten zehn Jahre, eine Karte von der Umgebung Wichitas mit den größten Ranchs, und so weiter.«

Lassiter sah ihr in die Augen, als er ihr das Kuvert abnahm. Ganz kurz berührten sich ihre Hände. Ein feuchter Schleier lag in Meryls Blick, ihre Lippen waren ein wenig geöffnet. Täuschte er sich, oder ging ihr Atem schneller als eben noch?

Er riss das Kuvert auf, zog die Unterlagen heraus. Ein Bündel Banknoten fiel auf den Tisch auf den Boden. »Verlieren Sie bloß Ihre Spesen nicht, Lassiter!« Beinahe zeitgleich gingen sie in die Hocke, um das Geld aufzuheben. Ihre Knie berührten sich und Lassiters Blick fiel auf die prallen Wölbungen unter dem schwarzen Stoff ihres Kleides. »Sie werden sie sonst noch vermissen«, flüsterte sie.

»Im Augenblick vermisse ich nur eines«, flüsterte er, und nahm ihr Gesicht zwischen die Hände. Sie ließ es geschehen. »Einen Kuss von dir.«

Als hätte sie auf genau diese Ansage gewartet, schlang sie die Arme um ihn und saugte sich an seinen Lippen fest.

***

Vielstimmiger Gesang erfüllte die kleine lutherische Kirche von Denver. »Großer Gott, wir loben dich«, tönte es von allen Kirchenbänken. Reverend Walker schlug seine Bibel zu und stieg von der Kanzel. Ausgerechnet an diesem Tag hatte er über Vergebung und Versöhnung gepredigt.

Vom Altar aus sprach er die üblichen Gebete, verlas die Neuigkeiten und die Termine der neuen Woche, die seine Gemeinde betrafen, sprach den Segen und stimmte das Schlusslied an. Während noch der letzte Jammerlaut des Harmoniums verklang, standen die Leute auf und drängten plaudernd zum Ausgang.

Einzelne Schritte lösten sich aus dem Scharren, Murmeln und Gelächter, und wie üblich nach einem Gottesdienst, kamen Männer und Frauen zu Reverend Walker, die um ein persönliches Gespräch baten.

Jimmy Walker traf Verabredungen für die kommende Woche, sprach hier ein Wort des Trostes, gab dort einen Rat. Auf einmal tauchte Bob Perlman vor ihm auf. Er war Jimmys Trainer im Boxclub von Denver und zugleich der Assistent des Townmarshals. »Kannst du mal eben ins Office kommen, Jimmy?«

»Was gibt’s denn?«

»Der Gunman, der morgen an den Galgen geht, verlangt nach einem Geistlichen.« Perlman zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich will er der Mördergrube seines Herzens ein bisschen Luft machen, bevor er zur Hölle fährt.«

»Ray Emerson?« Der Sternträger nickte.

Reverend Walker hatte den Prozess gegen den Emerson nicht verfolgt, wusste nur aus der Zeitung dem Stadtgespräch, dass er oben bei der Kupfermiene einen Mann erschossen und einen zweiten durch eine Kugel schwer verletzt hatte.

»Ich komme nach dem Mittagessen, Bobby«, sagte Reverend Walker, und ahnte nicht, dass Gott oder das Schicksal oder der Zufall soeben eine entscheidende Weiche in seinem Leben gestellt hatte. Nach seinem Besuch im Office würde nichts mehr so sein, wie es bisher gewesen war.

Jimmy Walker zählte die Kollekte, trug die Summe in das Kollektenbuch ein, ging zu seiner Mutter und aß zu Mittag. Danach machte er sich auf den Weg ins Office des Townmarshals.

Die Walkers lebten zu diesem Zeitpunkt seit neunzehn Jahren in Denver. Seit achtzehn Jahren boxte Jimmy im Boxclub der Stadt, seit etwa sieben Jahren betreute er die lutherische Gemeinde der Stadt als Reverend. Er hatte keine Geschwister und war damals weder verlobt noch verheiratet.

»Der Kerl macht sich in die Hosen vor Angst«, sagte Perlman, als Jimmy die Officetür hinter sich schloss. Der Sternträger öffnete die Tür zum Zellentrakt. »Sterben ist nichts für Feiglinge, was Reverend?« Feixend führte er Jimmy Walker zu der Zelle des Todeskandidaten. »Besuch für dich, Emerson.«

Der Mann in der Zelle erhob sich schwerfällig von seiner Pritsche und schlurfte zu ihnen an die Gittertür. Sein Kopf war kahl, sein Bart weiß und sein Gesicht von der Sonne verbrannt und von Pockennarben verwüstet. Vielleicht war er sechzig Jahre alt, vielleicht erst fünfzig. Jimmy erkannte ihn jedenfalls sofort wieder.

»Lass uns allein, Bobby«, sagte er. Der Sternträger zog ab und warf die Zellentrakttür hinter sich zu.

»Danke, dass Sie gekommen sind, Reverend.« Die Stimme des Mannes klang so heiser, als wollte sie jeden Moment brechen. In seinem Blick flackerte die nackte Angst.

Jimmy sah ihm ins verwüstete Gesicht, und plötzlich fühlte er sich um knapp zwanzig Jahre zurückversetzt. Er stand wieder auf dem Sidewalk vor jenem Saloon in Wichita. Er sah seinen Vater auf die Mainstreet marschieren, hörte seine Mutter schreien und sah, wie sie versuchte, sich von den beiden Männern loszumachen, die sie festhielten.

Einer stand jetzt, neunzehn Jahre später, wieder vor ihm, und nur das Gitter der Zellentür trennte Jimmy von ihm.

»Was kann ich für Sie tun, Mr. Emerson?« Er unterdrückte die aufsteigende Bitterkeit.

»Mit mir beten«, sagte der Kahlkopf. »Und mir zuhören.«

Der Mann gefiel Jimmy nicht, er widerte ihn sogar an. Dennoch nickte er, holte sich einen Hocker ans Gitter und setzte sich. Er war schließlich Reverend der lutherischen Kirche. »Fangen Sie an, Mr. Emerson. Ich höre.«

»Den Mann, den ich oben bei der Miene erschossen habe, hat zuerst gezogen. Ich habe in Notwehr auf ihn gefeuert. Und auf seinen Kumpel auch.«

»Der Richter und die Geschworenen haben Ihnen das offenbar nicht geglaubt«, sagte Jimmy. Emerson erkannte ihn nicht, natürlich nicht.

»Ich will mich nicht rechtfertigen, Reverend, ich habe Angst vor der Hölle. Auch wenn ich oben in den Bergen in Notwehr geschossen habe, gehe ich dennoch völlig zu Recht an den Galgen. Ich habe im Laufe meines Lebens neun Menschen getötet, die meisten unten am Arkansas.«

»In der Gegend von Wichita?«

Emerson nickte und brach in Tränen aus. »Es tut mir so leid«, schluchzte er. »Ich habe eine verdammte Angst vor der scheiß Hölle.« Er umklammerte die Gitterstäbe als suche er Halt. »Ob Gott einem wie mir vergeben kann?«

Diesen Mann schien tatsächlich sein Gewissen zu quälen. Jimmy ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. »Erzählen Sie, Emerson. Gott wird ihre Beichte hören, und ich bin sein Zeuge.«

»Vor zwanzig Jahren kam ich mit einem Viehtreck von Texas nach Wichita«, begann der Todeskandidat. »Konnte schon damals ziemlich gut schießen. Ein Mann namens King setzte mich auf seine Gehaltsliste. King wollte im großen Stil eine Viehzucht aufziehen, der war scharf auf jeden Morgen Land. Wer nicht freiwillig verkaufen wollte, wurde unter Druck gesetzt, notfalls aus dem Weg geräumt. Einmal hab ich das Haus eines Farmers angezündet, weil er nicht ums Verrecken verkaufen wollte. Er starb mit Frau und Kind in den Flammen …«

Tränen erstickten seine Stimme, sein Körper bebte unter einem Weinkrampf, die Gittertür zitterte und schepperte. Als er sich ein wenig beruhigt hatte, erzählte er, wie er für Lester King Farmer und Viehzüchter unter Druck gesetzt und einige sogar ermordet hatte.

Irgendwann hörte Jimmy nur noch mit halbem Ohr zu, denn er dachte an seinen Vater. Und war froh, dass einer wie dieser Mann jenseits der Zellentür, nie wieder einen Unschuldigen erschießen würde.

»Wir haben den armen Leuten das Vieh weggetrieben und die Felder verwüstet«, erzählte der Kahlkopf mit tränenerstickter Stimme. »Wir haben sie verprügelt oder so lange provoziert, bis sie ihren Revolver gezogen haben. Meistens lauerte dann schon einer von uns im Hinterhalt. Und so machen King und seine Gunmen es bis zum heutigen Tag. Die kriegen den Hals niemals voll.« Er heulte auf und biss sich in die Faust. »Das wird mir Gott niemals verzeihen. Ich muss zur Hölle fahren.«

»Wer aufrichtig bereut, dem wird Gott auch verzeihen«, sagte Jimmy halbherzig. Gewiss – er glaubte, was er da sagte, doch lieber wäre es ihm gewesen, einer wie Emerson müsste wirklich in der Hölle braten.

Deutlich sah er den Kahlkopf jetzt vor sich, wie er zwanzig Jahre zuvor mit Lester King und zwei anderen Männern auf der Walker-Ranch aufgetaucht war, und wie er neben King auf seinem Pferd gehockt und gefeixt hatte, während sein Boss den Vater bedrohte.

Jimmy dachte an seine Angst um den Vater, und wie der im Staub der Mainstreet von Wichita gelegen hatte. Und er dachte daran, wie krank seine Mutter geworden war, nachdem der Vater tot und die Ranch verkauft war.

Er riss sich zusammen, so gut er konnte. »Wann haben Sie Wichita verlassen, Emerson?«, fragte er mit gleichmütiger Stimme.

»Vor zwei Jahren«, flüsterte der Mann an der Gittertür. »Ein Townmarshal hatte den Mut, sich King in den Weg zu stellen. Wir haben den Mann in eine Falle gelockt. Ich hab abgedrückt. Aus dem Hinterhalt. Danach bin ich abgehauen.« Wieder Geschluchze und Gejammer. »Komm ich in die Hölle, Reverend? Oder wird Gott mir verzeihen?«

»Bitten wir ihn darum.« Jimmy stand auf und trat an die Zellentür, um mit dem Mann zu beten. Er fasste sich kurz. Zum Schluss sprach er Emerson mit einer liturgischen Phrase die Vergebung zu.

Grußlos verließ er das Office. Zwei Häuser weiter bog er in einen Hof ab und flüchtete sich dort in den Pferdestall. Neben einem Schimmel presste er die Stirn gegen die Trennwand und weinte.

Am nächsten Tag stand er mit vielen anderen um den Galgen herum und sah zu, wie der Townmarshal dem Kahlkopf die Schlinge um den Hals legte und Bobby Perlman ihm das Brett unter den Füßen wegzog.

Länger als die meisten anderen Bürger von Denver blieb Jimmy am Galgenpodest stehen. Er betrachtete den Gehenkten, wie er im Wind am Galgen schaukelte, und er konnte sich nicht helfen: Irgendwie stimmte dieser Anblick ihn zufrieden.

***

Meryl drängte sich an ihn. Die Wildheit ihres Kusses überraschte Lassiter. Sie wand sich in seinen Armen und ließ ihre Zunge um seine tanzen, als hätte sie nur auf einen wie ihn gewartet. Doch es war eine Überraschung ganz nach seinem Geschmack.

Er küsste ihren Hals und begann, ihr schwarzes Kleid aufzuknöpfen. Die Spalte zwischen ihren zusammengepressten weißen Brüsten wurde sichtbar.

Er entblößte ihre Schultern, küsste sie, küsste die Ansätze ihres Busens und kämpfte mit den Knöpfen von Meryls Kleid. Endlich quollen ihm ihre Brüste entgegen. Ihr Anblick jagte Lassiter das Blut in die Lenden.

Sie griff nach seinen Händen, presste sie auf ihre prallen weißen Früchte und hielt sie darauf fest. Mit geschlossenen Augen rieb sie ihre süßen Brüste an Lassiters Händen. Dem spannte und brannte bereits sein bestes Teil in der Hose.

Meryl zog seinen Kopf herunter und küsste ihn wieder, als wäre sie eine Verdurstende. Irgendwann löste sich von ihrem gierigen Mund und vergrub sein Gesicht zwischen den heißen Wölbungen. Meryl seufzte und legte den Kopf in den Nacken. Lassiter küsste ihre Kehle und zog sie mit sich auf den Boden.

Er hielt nach dem Bett Ausschau, wollte sie auf die Arme nehmen und hintragen. Doch sie hielt ihn fest und bog ihren Körper an seinem. Lassiter spürte ihren Venushügel über seinen harten Pint reiben – ihre Gier und ihre sehnsüchtigen Bewegungen trieben sein Blut dem Siedepunkt entgegen.

Endlich gelang es ihm, sie zu packen und hochzuheben. Er trug sie zum Bett, trat sich die Stiefel von den Füßen und legte Waffengurt, Jacke und Hut ab. Dann streckte er sich neben Meryl aus und umarmte und küsste sie wieder.

Sie drückte sich an ihn, stieß ihm ihr Becken entgegen – immer schneller, immer verlangender, als würde sie zum Rhythmus einer wilden Musik tanzen, die in ihrem heißen, sehnsüchtigen Herzen tönte.

Lassiters Hände glitten über ihre Schlüsselbeine zu den Schultern hinauf, streifen ihr das Kleid auch über die schlanken Oberarme und die Schulterblätter.

Meryl tastete nach seiner Gürtelschnalle und öffnete sie. Sie schälte ihn aus der Hose, und ehe er sich versah, schlossen sich ihre heißen Finger um sein bestes Teil. Das tat höllisch gut, und Lassiter knurrte vor Behagen und Lust.

Für einen Moment straffte sich ihre schöne Gestalt unter seinen zärtlichen Bissen und Küssen. Schließlich schob Meryl ihn von sich weg, spreizte die Schenkel über Lassiter und ließ sich auf ihn herab. Lassiter lachte vor Wollust. Laut stöhnend begann Meryl, auf ihm zu reiten. Er packte ihre Hüften und gab ihr, wonach sie verlangte.

Der Liebesrausch raubte ihnen beiden schier die Sinne. Meryl stöhnte laut, dann wieder hielt sie den Atem an und schlug ihre Hand vor den Mund. Ihr Becken fuhr auf und ab, dann ließ sie es kreisen.

Hitze flammte aus ihrem Schoß, griff über auf seinen Körper. Unbändige Lust füllte seinen Schädel bis in die letzte Hirnwindung. Er packte ihre Brüste und presste sie zusammen, zog ihre Knospen lang und genoss Meryls seufzendes Gestöhne unter seinen rasenden Stößen. Tiefer und tiefer stieß er in sie hinein, immer härter und kraftvoller, bis sie sich aufbäumte und kam. In einem langgezogenen, heiseren Seufzer machte ihr Begehren sich Luft. Lassiter forcierte sein Tempo noch einmal, bevor er sich in sie ergoss.

***

Nach dem Abendessen schenkte Reverend Jimmy Walker Whisky in zwei Gläser ein. Eines brachte er seiner Mutter. Sie stießen an und tranken.

»Du weißt, wen sie heute Vormittag aufgehängt haben?« Er setzte sich seiner Mutter gegenüber an den runden Esstisch. Obwohl sie erst Anfang fünfzig war, hatte sie schon schneeweißes Haar.

»Keine Ahnung.« Sie zuckte mit den Schultern. »Irgendeinen Strauchdieb.« Sie schob ihm ihr leeres Glas über den Tisch.

»Er hieß Ray Emerson, du kennst ihn.« Jimmy goss ihr Whisky ein; seine Mutter trank viel von dem Zeug, oft genug zu viel.

»Emerson?« Er beobachtete sie, während er ihr das Glas hinschob. Ihr blasses Gesicht wurde noch blasser, ihre eingefallenen Wangen noch hohler. »Der hat für Lester King gearbeitet«, sagte sie heiser, und dann lauter und mit einem bösen Lächeln auf den Lippen: »Er ist tot? Gehenkt? Gott sei Dank.«

»Vorher hat er bei mir gebeichtet.« Jimmy drehte sich eine Zigarette. »Er hat erzählt, wie King und seine Gunmen die Farmer und Rancher in der Gegend von Wichita drangsaliert haben, um sich ihr Land unter den Nagel zu reißen.« Weil Emersons Geständnisse das Schicksal seiner Familie betrafen, fühlte Jimmy sich nicht an das Beichtgeheimnis gebunden und berichtete, was der Kahlkopf ihm erzählt hatte.

»Ja«, flüsterte seine Mutter, »sie sind auch zu uns auf die Ranch gekommen. Wollten, dass wir verkaufen. In so einer Ranch würde leicht mal ein Feuer ausbrechen, hat Emerson uns gewarnt. Und King guckte dich an und sagte: ›Ein Prachtjunge. Passt nur gut auf ihn auf, wäre wirklich schade um ihn‹. Dein Vater hat sie vom Hof gejagt.«

»Und sich ein paar Wochen später mit King duelliert.« Jimmy riss ein Schwefelholz unter der Tischplatte an und hielt die Flamme unter seine Zigarette.

»Sie haben ihn bis aufs Blut gereizt, haben sogar behauptet, ich hätte was mit King. Verfluchte Lügner! Dein Vater hatte schon zwei oder drei Whisky getrunken. King riss mich plötzlich an sich, umarmte mich und bedankte sich für …« Sie verstummte und senkte den Kopf.

»Es war nicht seine Kugel, die Dad getötet hat. Eine andere Patrone hat Dad in den Rücken getroffen, der Schütze lag auf dem Dach von Kensingtons Laden.« In Jimmys Hals schwoll ein Kloß, er griff zur Whiskyflasche. »Ich habe versucht zu vergessen – die Schüsse, Dads Sturz, den Blutfleck auf seinem Rücken, deinen Herzanfall danach. Doch gestern stand mir alles wieder vor Augen.«

»Bitte, Jimmy.« Stocksteif saß seine Mutter auf der Stuhlkante. Ihr Blick war leer. »Bitte reiße keine alten Wunden auf.«

»Der Townmarshal muss doch gesehen haben, dass man Dad in den Rücken geschossen hat! Warum hat er nichts unternommen.« Tief sog Jimmy den Rauch seiner Zigarette ein.

»King war schon zu mächtig.« Jimmys Mutter sprach mit hohler Stimme. »Außerdem gab es nur Gerüchte, keine Beweise.«

»Und die Kugel im Rücken?«

»Sie haben deinen Vater sehr schnell unter die Erde gebracht.«

»Wahrscheinlich hat King den Totengräber bestochen. Und den Townmarshal gleich mit.«

»Lass gut sein, Jimmy, bitte.«

»Ich habe den Mann gesehen, der Dad in den Rücken geschossen hat. Ob ich sein Gesicht wiedererkennen würde, weiß ich nicht, doch an seiner rechten Hand …«

»Bist du nicht ein Christ, Jimmy?«, unterbrach sie ihn. »Bist du nicht sogar ein Reverend der lutherischen Kirche? Wir Christen sollten unseren Feinden vergeben. Und du als Reverend solltest ein Vorbild sein.«

»Kensington kennt den Mann.« Bilder der Erinnerung überschwemmten Jimmy. »Er hat ihm ins Gesicht gesehen, bevor er aufs Dach seines Stores gestiegen ist.«

»Es ist vorbei, Jimmy.« Die Mutter griff sich an die Brust. »Mein Herz! Ich darf mich nicht aufregen, Jimmy, das weißt du doch.«

»Du hast gewusst, dass Dad nicht im Duell gestorben ist.« Seine Mutter erhob sich und langte über den Tisch nach der Whiskyflasche. »Du hast gewusst, dass sie Dad ermordet haben, nicht wahr?« Sie goss sich das Glas halb voll. »Hast du es gewusst oder nicht, Ma?«

»Ich habe es geahnt.« Sie trank.

»Und trotzdem hast du an King verkauft?« Er schlug mit der Faust auf den Tisch, so erregt war Jimmy. Mit leerem Blick starrte seine Mutter in die Rauchschwaden, die über ihm aufstiegen. »Ich habe dich etwas gefragt, Ma!«

»King hat gedroht, dich zu töten«, sagte seine Mutter mit hohler Stimme.

»Ist das wirklich wahr?« Jimmy stockte der Atem.

Seine Mutter leerte ihr Glas auf einen Zug und knallte es auf den Tisch. »So hat er sich natürlich nicht ausgedrückt. ›Denke an deinen Prachtjungen‹, hat er gesagt. ›Es wäre so schade um ihn. Und wem willst du die Ranch vererben, wenn Jimmy nicht mehr ist?‹. Sie starrte in ihr leeres Glas. »Ich werde es mein Leben lang nicht vergessen.«

Für den übernächsten Tag berief Reverend Jimmy Walker eine Sondersitzung des Ältestenrates seiner Gemeinde ein. Er erklärte den Männern und Frauen, dass er in einer dringenden Familienangelegenheit nach Wichita reisen müsse und für längere Zeit nicht bei seiner Gemeinde in Denver sein könne.

Am Tag darauf schrieb er seiner Kirchenleitung einen Brief und trat von seinem Amt als Reverend zurück. Anschließend ging er zum letzten Mal in den Boxclub von Denver. Nach dem Training erklärte er Bobby Perlman, dass er für ein paar Wochen in Wichita zu tun hatte. Am nächsten Tag kaufte er sich ein siebenschüssiges Gewehr von Spencer, jede Menge Munition, einen Waffengurt und das neuste Modell des.44ers von Smith & Wesson.

Eine Woche nach Emersons Tod stieg Jimmy in den Zug nach Kansas City. Seine Mutter brachte ihn zum Bahnhof. Nicht ein einziges Mal fragte sie ihn, was er vorhatte, die ganze Woche über nicht. Beim Abschied weinte sie.

***

Wichita war nur halb so groß gewesen, als Lassiter zuletzt in der Stadt zu tun hatte. Seit die Eisenbahn durch die Kuhstadt führte, wucherten ihre Häuser, Gehöfte und Straßen weit ins Grasland hinein. Während er auf seinem Schimmel über die Mainstreet ritt, zählte der Mann von der Brigade Sieben zwölf Saloons, vier Hotels, zwei Dutzend Steingebäude neben vielen Holzhäusern und drei Stores.

Lassiter band sein Pferd vor einem Saloon namens Crosstrail Room fest; er hatte die weiße Stute in Kansas City gekauft. Sie war ihr Geld wert. Er stieg den Sidewalk hinauf und stieß die Flügel der Schwingtür auseinander.

Es war später Nachmittag. Nur wenige Männer und Frauen hockten an den Tischen. An der Theke aß er ein Steak, trank zwei Becher Kaffee und hörte den Gesprächen der Männer links und rechts von sich zu. Die sprachen über die Viehtrecks, die in den nächsten Wochen ankommen und die Texaner, die mit ihnen die Stadt heimsuchen würden.

Auch von einem gewissen Jeff Butler war die Rede, einem Pferdezüchter, der zuviel trank, seine Spielschulden nicht bezahlen konnte und dennoch seine Ranch nicht verkaufen wollte. Dem Gespräch der Männer entnahm Lassiter, dass er wegen einer Schlägerei hinter Gittern saß.

Sein zweiter Weg führte Lassiter ins Office des Townmarshals. Der Mann von der Brigade Sieben klopfte an die Officetür, und als drinnen keiner reagierte, trat er einfach ein.

Der Sternträger hockte über irgendwelchen Schreibarbeiten. Ein hochgewachsener Assistent stand vor dem offenen Waffenschrank und putzte ein Gewehr, ein junger Bursche mit bulligem Nacken und breiten Schultern.

Neben einer Tür ganz hinten im Office hockte eine Frau in einem Sessel und las in einem Buch. Aus dem Zellentrakt tönte eine schimpfende Stimme.

Der Townmarshal hob den Blick und taxierte Lassiter unfreundlich. »Kann mich nicht erinnern, Sie hereingerufen zu haben«, sagte er. Er war mittelgroß und ziemlich hager. Sein schwarzes, von grauen Strähnen durchzogenes Haar reichte ihm bis auf die Schulter. Lassiter schätzte ihn auf Mitte fünfzig.

»Hörte sich aber ganz danach an.« Der Mann von der Brigade Sieben tippte sich an den Hut. »Lassiter. Bin auf der Durchreise. Kenne Sie gar nicht, Marshal. Hatte eigentlich erwartet, James Truman hinter Ihrem Schreibtisch zu sehen.«

James Truman – den Namen kannte Lassiter aus den Unterlagen, die Meryl ihm gegeben hatte. So hatte der Townmarshal von Wichita geheißen, den man zwei Jahre zuvor aus dem Hinterhalt erschossen hatte.

Die Frau neben der Hintertür sah von ihrem Buch auf und schaute Lassiter neugierig ins Gesicht. Der Sternträger und sein Assistent musterten ihn mit unverhohlenem Misstrauen. »Was wollen Sie von Truman?«

»Er hat Spielschulden bei mir.« Lassiter zuckte mit den Schultern. »Nicht viel, aber dreißig Dollar haben und dreißig Dollar nicht haben, macht schon sechzig Dollar.« Er grinste. »Und momentan bin ich ziemlich blank.«

Die Frau im Sessel neben der Hintertür neigte den Kopf auf die Schulter und musterte Lassiter aus schmalen Augen. Sie hatte braunes Haar und ein ebenmäßiges Gesicht. Eine leichte Melancholie lag im Blick ihrer Mandelaugen. Der Mann von der Brigade Sieben fühlte sich von ihr belauert.

»Vergiss deine Dollars, Lassiter«, sagte der Townmarshal. »Seit zwei Jahren heißt der Townmarshal von Wichita Paul Gibson, und das bin ich. Wenn du Truman einen Besuch abstatten willst, musst du auf den Friedhof gehen. Linkes Gräberfeld, siebte Reihe, zehntes Grab von rechts.«

»Oh!« Lassiter tat überrascht. »Schade. Dann werde ich wohl doch irgendwo als Cowboy anheuern müssen. Wer zahlt am besten in Wichita, Mr. Gibson?« Die Brünette neben der Hintertür versenkte sich wieder in ihr Buch.

»Lester King«, sagte Gibson. »Seine Hauptranch findest du fünfzehn Meilen weiter westlich. Reite einfach den Arkansas hinauf, dann kannst du sie gar nicht verfehlen. Oder noch besser: Gehe übermorgen Abend in den Saloon des Longhorn Hotels. Dorthin kommt Mr. King jeden ersten Freitag im Monat zum Tanzen und Pokern.«

»Vielen Dank, Sir.« Lassiter tippte sich an die Hutkrempe.

»Keine Ursache, Mann.« Der Townmarshal musterte ihn grimmig und nickte. »Viel Glück.« Sprach’s und wandte sich wieder seinem Schreibkram zu.

Lassiter tippte sich wortlos an den Hut und wandte sich der Tür zu, um das Office zu verlassen. Da wurden die Stimmen aus dem Zellentrakt lauter. »Ich will mit dem Staatsrichter reden!«, polterte eine. »Ich lass mich nicht einfach so abfertigen!«

»Du hast hier gar nichts zu melden, Butler«, sagte ein Mann, der jetzt im Rahmen der Zellentrakttür erschien. Er war klein, bullig und blond und ein Stern glänzte auf seiner Brust. »Sei froh, dass der Marshal dich ziehen lässt. Hier ist dein Kram.« Er überreichte Butler seinen Waffengurt und langte sein Gewehr aus dem Waffenschrank. »Verschwinde.«

»Was redest du da, Hancock!?« Der massige Mann hinter dem Sternträger hatte ein hochrotes Gesicht und fuchtelte mit beiden Armen. »Es ist mein gutes Recht zu gehen. Schon heute Vormittag hättet ihr mich ziehen lassen müssen. Schließlich haben meine Leute die Kaution hinterlegt!« Er war sicher fünfzig Jahre alt und trug blaue Nietenhosen und unter der Wildlederjacke das karierte Baumwollhemd eines Cowboys.

»Tausend Dollar«, sagte der Townmarshal, ohne den Blick von seinen Akten zu heben. »Die Quittung habe ich deiner Tochter ausgestellt, und jetzt mach, dass du wegkommst, sonst sperre ich dich wieder ein.«

»Dazu hast du kein Recht, Gibson, du verfluchter Scheißkerl!« Der wütende Mann namens Butler legte den Waffengurt an, den der bullige Assistent ihm reichte. »Wir haben die Kaution bezahlt, und ich gehe als freier Mann!«

Der Townmarshal vergaß seine Akten und sprang von seinem Stuhl hoch. »Du bist nur solange frei, wie es mir gefällt, du kleines Arschloch, du!«

»Glaubst du, ich weiß nicht, auf wessen Lohnliste du stehst, du großes Arschloch, du? Ihr könnt mich noch hundert Mal einsperren – ich verkaufe nicht! Das kannst du King ausrichten!« Butler drohte mit der Faust, der Mann schien keine Angst zu kennen. »Wie hältst du es nur mit diesen Kerlen aus, Debbie!?«, wandte er sich an die Brünette. »Wahrscheinlich steckst du mit ihnen unter einer Decke! Schäm dich, Debbie! Dein Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er …!«

»Mach, dass du rauskommst!«, brüllte der Townmarshal. »Sonst vergess’ ich mich!«

»Wir sehen uns vor dem Richter wieder!« Jeff Butler stülpte sich einen weißen Stetson auf seine grauen Locken. »Ich und du und King, dieser verdammte Satansbraten!« Er stürmte zur Tür und nach draußen.

Lassiter folgte ihm. »Warten Sie, Sir!«, rief er ihm hinterher. Jeff Butler blieb mitten auf der Mainstreet stehen und drehte sich nach Lassiter um. »Ich lad Sie auf einen Drink ein, Butler.«

»Wer sind Sie, Mann?«

»Auf der Durchreise. Suche Arbeit. Wollen Sie mir ein bisschen was über Wichita erzählen?«

»Wichita?«, zischte Butler. »Ein riesengroßer Scheißhaufen! Du kannst keinem vertrauen hier. Entweder haben sie Angst vor Lester King oder sie stehen auf seiner Gehaltsliste.«

»Das interessiert mich, Butler.« Lassiter wies auf einen Saloon schräg gegenüber. »Ich lad’ Sie ein. Wir trinken ein paar Whisky und Sie erzählten mir ein bisschen was über Wichita.« Er nahm Butlers Arm, um ihn zum Sidewalk auf der anderen Straßenseite zu führen.

»Lassen Sie mich in Ruhe, Mann!« Butler machte sich von ihm los. »Keinen einzigen Whisky trinke ich mehr in dieser verdammten Stadt! Wer hier nicht einen klaren Kopf behält, ist verloren!« Er drehte dem Mann von der Brigade Sieben den Rücken zu, vergrub die Hände in den Hosentaschen und lief davon.

***

Zwei Männer beobachteten Butler und den Fremden von ihrem Fenstertisch im Saloon aus. »Wer ist der Kerl?«, fragte der Ältere der beiden. Er trug einen schwarzen Frack, eine Melone und eine Augenklappe. »Was hat der mit Jeff zu reden?« Der Mann war Ende dreißig, hatte ein glattes Gesicht und hieß Rodney Stoner.

»Interessiert mich nicht, Rod.« Der Jüngere leerte sein Glas und setzte seinen verschwitzten Stetson auf. »Aber dass Butler gleich seine Pferde anspannen und nach Hause fahren wird, das interessiert mich.«

Er hieß Laurel Spencer hatte braune Locken, einen schmalen Schnurrbart und war Mitte zwanzig. Spencer trug die typische Kleidung eines Cowboys: Fransenjacke, Baumwollhemd und Lederchaps.

Der Townmarshal hatte Jeff Butlers Pferde und Wagen auf dessen Kosten in der Stallung des Saloons unterstellen lassen. An dem Tag, an dem er ihn – vorgeblich wegen einer Schlägerei – verhaftet hatte, war Butler zum Einkaufen in Wichita gewesen. Danach hatte er sich im Crosstrail Room volllaufen lassen.

Spencer und Stoner beobachteten, wie Butler den Sidewalk hinaufstieg; dann verschwand er aus ihrem Blickfeld. »Er geht zum Pferdestall«, sagte Spencer, »wetten?« Dass Butler in der Stadt übernachten würde, glaubten weder er noch Stoner. Er hatte zu viele Schulden in Wichita. Und zu viele Feinde.

Spencer zahlte, ging zur Tür und winkte Stoner hinter sich her. Sie banden ihre Pferde vom Hitchrack los, schwangen sich in die Sättel und galoppierten aus der Stadt – auf demselben Weg, auf dem auch Jeff Butler Wichita verlassen würde.

Etwa zwei Stunden lang ritten sie am Arkansas entlang nach Westen. In der ersten Dämmerung erreichten sie eine Stelle, an welcher der Weg und der Fluss um einen bewaldeten Hügel herum verliefen. Dort lenkten sie die Pferde weg vom Reitweg auf eine Anhöhe hinauf und banden sie zwischen den Bäumen fest.

Spencer ging oberhalb des Uferwegs zwischen den Büschen in Deckung. Statt seines Gewehrs legte er sein Lasso neben sich.

Stoner lief den Hügel hinunter und überquerte den Fahrweg. Er setzte seine Melone ab und legte sich mit seinem Karabiner und einem indianischen Jagdbogen in der Uferböschung auf die Lauer.

Er würde nur zum Schießeisen greifen, falls Spencers Lasso verfehlte. Doch das hielt Stoner für unwahrscheinlich – niemand unter Kings Leuten konnte so gut mit der Schlinge umgehen wie Laurel Spencer.

Fast eine Stunde warteten sie, bis sie den Hufschlag von Butlers Gespann und das Rattern seines Wagens hörten. Da waren Gras, Wald, Weg und Fluss schon in das schmutzige Grau der einbrechenden Nacht getaucht. Jeff Butlers massige Gestalt auf dem Kutschbock konnten sie dennoch gut erkennen.

Spencer wartete, bis Fuhrwerk und Kutscher fast unterhalb seiner Deckung fuhren. Dann stand er auf und schleuderte sein Lasso. Die wirbelnde Schlinge fiel auf Butler. Spencer riss an ihr, bis sie sich um Butlers Schultern zusammenzog. Butler schrie, als er vom Kutschbock stürzte.

Während Spencer sich gegen das gestraffte Lasso stemmte, packte Stoner Pfeile und Bogen und sprang aus der Deckung. Am Gespann vorbei rannte er zu Butler, der im Gras unterhalb des Hügels zappelte und strampelte. Die Schlinge des Lassos schnürte seinen Oberkörper ein, und weil Spencer über ihm noch immer am Seil riss, gelang es dem massigen Mann nicht, seine Arme zu befreien und nach seinem Revolver zu greifen.

Rodney Stoner legte einen Pfeil in den Jagdbogen und schoss ihn in Butlers Brust.

Augenblicklich erlahmten Butlers Versuche, sich aus der Schlinge zu befreien. Er stöhnte auf und griff nach dem Pfeil. Ungläubig blickte er zu Stoner herauf. »Verdammter Drecksack …«, stöhnte er.

»Ziemlich unvorsichtig, bei Dunkelheit durch diese Gegend zu fahren.« Stoner legte den nächsten Pfeil in die Bogensehne. »Du weißt doch, dass es hier zurzeit von Prärieindianern nur so wimmelt.« Er spannte die Sehne, zielte sorgfältig und jagte Butler den Pfeil ins Herz.

Sie spannten die Pferde ab, räumten die Ladefläche des Wagens leer und verteilten Butlers Einkäufe auf alle vier Tiere. Auch die Sioux hätten nichts zurückgelassen, und es sollte wie ein Raubüberfall aussehen.

***

In Dogde City stieg Jimmy Walker aus dem Zug. Der Reverend fühlte sich noch nicht bereit für Wichita, noch nicht bereit, den Mördern seines Vaters gegenüberzutreten. Er kaufte einen schwarzen Hengst, Sattel und Zaumzeug. Reiten hatte er von seinem Vater gelernt. Schießen auch. Nach zwei Tagen setzte er seine Reise nach Osten im Sattel fort.

In einem kleinen Kaff am Arkansas, dessen Name er nie zuvor gehört hatte, mietete er ein Zimmer im einzigen Saloon des Ortes. Es stank nach kaltem Rauch und Mäusedreck, und auf dem Fensterbrett und dem Tisch lag eine dicke Staubschicht. Dennoch blieb er ein paar Tage dort.

Nach dem Frühstück ritt er gewöhnlich an den Arkansas hinaus. Im Ufergras band er seinen Rappen im Gestrüpp fest. Auf den Stamm einer umgestürzten Weide legte er ein paar Dutzend faustgroße Steine, die er im seichten Uferwasser aus dem Schlamm grub. Auf die schoss er. Aus fünfzig Schritten Entfernung mit dem Revolver, aus zweihundert Schritten Entfernung mit dem Gewehr.

Er musste an seinen Vater denken. Das erste Mal hatte der ihm einen Revolver in die Hand gedrückt, als er sieben Jahre alt war. Und als er zehn wurde, ein Gewehr. Bei ihren gemeinsamen Schießübungen hatten sie auf Holzscheite gefeuert.

Jimmy wunderte sich, wie gut er noch mit den Schießeisen umgehen konnte. In seinen Jahren als Reverend hatte kein einziges Mal zu einer Waffe gegriffen. Er hatte nicht einmal eine getragen.

Und jetzt? Schon am ersten Tag traf er im Schnitt jedes vierte Mal mit dem Revolver und ungefähr jedes zweite Mal mit dem Gewehr. Am Tag, bevor er nach Wichita weiter ritt, am zehnten, jedes zweite Mal mit seinem Smith & Wesson und mit beinahe jedem Schuss aus seiner Spencer-Flinte.

Eine höllisch gute Quote für einen Reverend, dachte er bei sich. Und er hatte recht.

Als er schließlich weiter ritt, besaß er gerade noch neun Schuss Munition – sechs für den Revolver und drei fürs Gewehr. Nach zwei Tagen gelangte er abends zu einer kleinen Ranch. Butler-Ranch stand in hölzernen Buchstaben im Torbogen. Er beschloss, nach einem Nachtquartier zu fragen. Vielleicht hatten die guten Leute ja noch Platz in der Cowboybaracke.

Gut zwei Dutzend Pferde und fünf Kutschen und Wagen standen im Hof vor der Veranda. Doch nirgendwo entdeckte Jimmy auch nur eine Menschenseele. Hielten sich etwa alle im Haupthaus auf? An einem milden Sommerabend wie diesem? Schwer vorstellbar.

Jimmy trieb sein Pferd unter dem Torbogen hindurch und ritt über den Ranchhof zur Veranda. Plötzlich hörte er eine tiefe Männerstimme. Die tönte irgendwo hinter dem Haupthaus, und zwar so laut, als wollte der Mann mit den Pferden vor der Veranda sprechen.

Jimmy band seinen Rappen fest und lauschte. Irgendetwas lag in der lauten Stimme, das ihm vertraut vorkam.

Auf einmal erhoben sich viele Stimmen und sangen ein Lied. Auch dessen getragene Melodie erschien Jimmy merkwürdig vertraut. Und er begriff: Hinter dem Haus fand eine Art Gottesdienst statt. Aus seiner Erfahrung als Reverend kannte Jimmy nur eine Form des Gottesdienstes, die im Freien abgehalten wurde.

Er ging zur Rückseite des Ranchhauses, und tatsächlich – dort fand eine Beerdigung statt. Knapp fünfzig Männer, Frauen und Kinder standen dicht gedrängt unter zwei Eichen. Sie sangen einen Trauerchoral.

Am lautesten sang der Reverend, ein großer, übergewichtiger Mann mit weißem Haar. Er stand neben einer Kiste zwischen dem offenen Grab und einem Erdhaufen.

Ein paar Schritte abseits der Trauergemeinde fiel Jimmy eine junge Frau auf, die nicht mitsang. Sie schien nicht wirklich dazuzugehören, und weil auch er ein Fremder war unter all den Menschen, stellte er sich zu ihr.

Die letzten Sätze des Chorals verklangen, der Reverend stieg auf Kiste und betete einen Psalm. Danach stimmte dann das Vaterunser an. Alle beteten laut mit, auch Jimmy, nur die Frau neben ihm nicht.

Aus dem Augenwinkel beobachtete Jimmy sie. Ihr Gesicht war so schön, dass es Jimmy durch und durch ging, doch ihre Züge wirkten traurig und bitter. Ihre leicht schräg stehenden Augen hatten die Farbe von Bernstein. Ihr langes, brünettes Haar wurde nur lose von einem Band im Nacken zusammengehalten. Sie war von schlanker, sehniger Gestalt. Jimmy schätzte, dass sie höchstens fünfundzwanzig Jahre alt war.

Am Grab sprach der Reverend einen Segen, danach stimmte er noch ein Lied an. Wie vertraut das alles klang! Jimmy fragte sich, ob er nach den Tagen in Wichita jemals wieder als Reverend eine Beerdigung leiten würde – oder einen Sonntagsgottesdienst oder eine Trauung. Doch wer wusste schon, ob er seine Reise nach Wichita überhaupt überleben würde.

»Jimmy Walker«, stellte er sich der brünetten Frau vor, als die Trauergemeinde auseinander lief. »Sie sind auch fremd hier, Ma’am?«

»Wie kommen Sie darauf, Mister?« Sie sprach mit rauer Stimme.

»Nun, weil Sie etwas abseits stehen.« Der Blick in ihre Augen ließ sein Herz höher schlagen. »Ganz so, als würden Sie nicht dazugehören.«

»Ich gehöre auch nicht dazu. Fremd bin ich hier dennoch nicht – der Tote war mein Halbbruder.« Sie wandte sich ab und ging zum offenen Grab. Jimmy fiel auf, dass keiner mit ihr sprach.

Die Familie des Toten hieß Jimmy willkommen. Man gab ihm zu essen und einen Schlafplatz in der Cowboybaracke. Jimmy dachte an die junge Frau, die angeblich »nicht dazugehörte« und dennoch keine Fremde war. Sie übernachtete im Haus. Ihre raue Stimme und ihr schönes Gesicht gingen ihm nicht aus dem Kopf. Schade, dass sie ihm ihren Namen nicht verraten hatte.

Am nächsten Vormittag war er nicht der Einzige, der nach dem Frühstück in Richtung Wichita aufbrach. Drei Kutschen und ein Dutzend Reiter verließen die Butler-Ranch und nahmen den Fahrweg in die Kuhstadt.

Unter den Reitern entdeckte Jimmy die Brünette. Er lenkte seinen Rappen an ihre Seite.

»Guten Morgen, Ma’am.« Er lüftete seinen dunkelgrauen Stetson. »Sie haben unser Gespräch gestern so abrupt beendet, dass ich gar nicht dazu kam, Ihnen mein Beileid auszusprechen. Ich selbst habe keine Geschwister, doch es ist sicher traurig, einen Bruder zu verlieren.«

»Einen Halbbruder«, korrigierte sie ihn kühl. »Wir haben seit Jahren nur noch das Nötigste miteinander gesprochen.«

»Um so trauriger«, sagte Jimmy. »Ich hörte, er sei ermordet worden?«

Sie musterte ihn von der Seite. Ein Schleier aus Wehmut lag in ihrem Blick. Und was für einen schönen Mund sie hatte! »Angeblich haben räuberische Sioux Jeff Butler erschossen.«

»Angeblich?« Jimmy runzelte die Stirn.

»Ja. Angeblich.« Mehr sagte sie nicht.

Offenbar wollte sie das Gespräch möglichst schnell wieder beenden. Jimmy wollte das um keinen Preis. »Sie haben mir Ihren Namen noch nicht verraten, Ma’am.«

Sie antwortete nicht gleich, und Jimmy fürchtete schon, sie würde nun gar nicht mehr mit ihm sprechen. »Deborah Parker«, sagte sie endlich.

»Dann hatten Ihr Bruder und Sie unterschiedliche Väter?«

»Nein. Ich bin eine geborene Butler. Mein Mann hieß Parker.«

»Sie sind verheiratet?« Jimmy versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

»Hören Sie nicht zu, Mister? Ich sagte: ›Mein Mann hieß Parker‹. Er ist tot.«

»Oh! Das tut mir leid, Mrs. Parker.«

»Mir nicht.«

Ihre Schroffheit verschlug Jimmy die Sprache. Eine Zeitlang ritten sie stumm nebeneinander her. Auf dem Arkansas ruderten Fischerboote vorbei. Wildgänse flatterten aus der Uferböschung auf. Der Sommerwind rauschte in den Weiden und zerwühlte das hohe Ufergras.

Irgendwann hielt die Frau ihr Pferd an. Mit einer Kopfbewegung deutete sie ins Gras am Wegrand. »Hier ist es geschehen. Hier hat irgendjemand meinen Halbbruder ermordet.« Ein paar Minuten lang verharrte sie schweigend.

Jimmy beobachtete sie verstohlen. Ihre Kaumuskeln bebten und ihre schönen Züge wurden seltsam hart. War es Hass, was er da sah? Jimmy erschrak. Schließlich trieb sie ihr Pferd an und sie ritten weiter am Arkansas entlang.