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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2374, 2375 und 2376.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
2374: Höllenfahrt für Amy
Das Wasser vor dem Staudamm war so kalt, dass Amy Huxley unwillkürlich den Atem anhielt, als sie den Fuß ins Wasser tauchte. Für einen Moment grub sie zaghaft die Zähne in die Unterlippe, bevor sie ein paar Schritte in das dunkelgrün schimmernde Wasser hineinging, bis es ihr an die Hüfte reichte. Sie tauchte die hohlen Hände in den Fluss und benetzte ihre nackten Brüste, ehe sie sich mit einem unterdrückten Jauchzen in die Fluten stürzte.
2375: Lassiter jagt den Schwarzen Wolf
Captain Bing Marvin horchte auf. In der Diele hinter seiner Zimmertür waren Schritte laut geworden. Marvin griff nach seinem Revolver, der auf dem Tisch lag. Die Schritte verklangen. Jemand war vor der Tür stehen geblieben. Marvins Herz schlug schneller. Wilde Gedanken jagten ihm durch den Kopf. Hatten sie ihn ausfindig gemacht - hier in der unscheinbaren Boomstadt, meilenweit von der nächsten Bahnstation entfernt?
2376: Kein Entkommen für Jonah Woods
Die Nacht war nahezu windstill. Nur vereinzelt zeigten sich Wolkenfetzen am ansonsten sternenklaren Himmel. Irgendwo im Unterholz raschelte es, dann erklomm ein kleiner pelziger Körper den Stamm einer Kiefer und verschwand im dichten Astwerk. Brandon Woods war erschrocken zusammengezuckt und hatte instinktiv nach seinem Messer gegriffen. Die Angst saß ihm im Nacken. Sein Verfolger war nicht weit. Plötzlich klangen gedämpfte Schritte im Wald auf und das Knacken von Holz.
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Seitenzahl: 421
Veröffentlichungsjahr: 2021
Jack Slade
Lassiter Sammelband 1831
Cover
Impressum
Höllenfahrt für Amy
Vorschau
Höllenfahrt für Amy
Das Wasser vor dem Staudamm war so kalt, dass Amy Huxley unwillkürlich den Atem anhielt, als sie den Fuß ins Wasser tauchte. Für einen Moment grub sie zaghaft die Zähne in die Unterlippe, bevor sie ein paar Schritte in das dunkelgrün schimmernde Wasser hineinging, bis es ihr an die Hüfte reichte. Sie tauchte die hohlen Hände in den Fluss und benetzte ihre nackten Brüste, ehe sie sich mit einem unterdrückten Jauchzen in die Fluten stürzte. Mit kräftigen Schwimmzügen tauchte sie hinab, um kurz darauf in der Mitte des aufgestauten Flusses prustend wieder an die Oberfläche zu kommen. Wassertretend strich sie sich das lange Haar aus der Stirn.
»Ich hab dich schon vor einer halben Stunde gesehen, Rowdy«, sagte sie, und ein spöttisches Lächeln umspielte dabei ihre Lippen. »Du kannst jetzt rauskommen, wenn du dich traust.«
Hinter den Büschen am gegenüberliegenden Ufer raschelte es, und Amy hob auffordernd die Arme. Dabei war ihr durchaus bewusst, wie diese Geste ihren vollen Busen besonders gut zur Geltung brachte. »Bist du etwa schon fertig?«, fragte sie. »Dann geh nach Hause und wechsle deine Unterwäsche!«
Sie grinste, als sich eine Gestalt den Weg durch das Unterholz bahnte. Der junge Mann stolperte über den Kies am Ufer auf sie zu und zog sich dabei hastig den Hut vom Kopf, um damit die Ausbuchtung in seinem Schritt zu verbergen. Er hielt sich den schwarzen Stetson vor die Körpermitte und setzte eine strenge Miene auf, die sie nicht sonderlich beeindruckte.
»Du hast hier nichts verloren, Amy! Das weißt du genau!«
»Ach ja?« Sie deutete auf die massiven Holzbohlen, die das hochstehende Wasser daran hinderten, den tiefen Abhang hinunter zu strömen in ein trockenes Flussbett, das ihr naturgegebenes Ziel gewesen wäre. Stattdessen sorgte der Damm dafür, dass das Wasser sich mannshoch oberhalb des üblichen Standes staute und in schmalen Bächen an der Senke westwärts zu den Weiden hinablief, die sich jenseits der schroffen Felsen erstreckten. Die Regenfälle der letzten Tage waren ergiebig gewesen und hatten den Wasserstand fast bis zur Kante des Wehrs hinaufgetrieben. Die Bohlen schienen sich unter dem Druck bereits leicht zu neigen.
»Das Wasser hier gehört auch uns, Rowdy. Dein Vater lässt uns verdursten, weil er unser Land will. Das ist etwas, was du ganz genau weißt.«
Der Angesprochene wischte sich in einer fahrigen Geste über sein gerötetes Gesicht. Dabei wanderten seine Augen verstohlen über Amys nackten Körper. »Verdursten wird dein Alter bestimmt nicht«, gab er in einer lahmen Retourkutsche zurück und versuchte dabei, seinen heftig gehenden Atem unter Kontrolle zu bringen. »Dein Dad ist schließlich Nolans bester Kunde im Stoner Saloon, wie jeder weiß!«
Angesichts dieser bösen Worte funkelte Amy ihn wütend an und bedeckte die bloßen Brüste unzureichend mit ihren schlanken Armen. »Du bist ein Arschloch, Rowdy. Genau wie dein Vater. Verpiss dich besser, oder ich schreie!«
Sie kehrte ihm den Rücken zu und watete mit ausgreifenden Bewegungen in Richtung des gegenüberliegenden Ufers.
»Warte, Amy!«, rief er. »Es tut mir leid. Ich habe es nicht so gemeint!« Er raufte sich die Haare, tanzte von einem Bein aufs andere und sah ihr nach, bis sie das Ufer erreicht hatte, bevor er den Hut zu Boden warf und kurzentschlossen ins Wasser sprang.
Amy griff nach einem Handtuch und schlang es sich um den Körper, als sie das Platschen hinter sich bemerkte. Stirnrunzelnd drehte sie sich um und sah Rowdy dabei zu, wie er sich unbeholfen damit abmühte, seinen Kopf über der Wasseroberfläche zu halten.
»Amy, ich …« Er schluckte Wasser, bevor er heftig paddelnd wieder nach oben kam. »Ich … ich kann …«
»… nicht schwimmen? Grundgütiger!«
Sie seufzte, ließ das Handtuch fallen und sprang kopfüber in den Fluss zurück. Ein paar kräftige Stöße, dann war sie bei ihm, griff Rowdy unter die Achseln und zog ihn mit sich zum Ufer.
Zwei Minuten später lag er japsend neben ihr, während sich Amy die Haare abtrocknete. Immer noch war die junge Frau so nackt, wie Gott sie schuf, doch in diesen Momenten war Rowdys Erregung existenziellen Empfindungen gewichen. Hustend und keuchend wand er sich am Boden.
Sie streifte sich ein dünnes Kleid über und betrachtete ihn dabei mit mäßigem Interesse, als wäre er nur gestolpert und würde daraus ein übertriebenes Drama machen. Rowdy versuchte angestrengt, wieder zu Atem zu kommen.
»Was sollte das, du Idiot?«, fragte sie mürrisch und schüttelte dabei unwillig den Kopf.
»Ich liebe dich«, war die einzige Antwort, die ihm darauf einfiel.
Nicht die schlechteste offenbar, denn ihre vollen Lippen hoben sich zu einem amüsierten Lächeln.
»Aber sicher«, murmelte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Als sie über ihm stand, konnte er unter dem Saum ihres Kleides einen kurzen Blick auf ihr Allerheiligstes erhaschen, bevor sie ihm mit dem Fuß leicht in die Seite trat. »Mach’s gut.«
Sie wandte sich zum Gehen, und er erhob sich hastig. »Warte, Amy!«
»Was denn noch?«
»Ich meine es ernst. Ich will dich, jetzt sofort.«
Sie hob die Augenbrauen, und der Ausdruck in ihrem Gesicht tat ihm weh. Sie nahm ihn nicht ernst, und das kam ihm bekannt vor.
Sie schaute genau so, wie Dad es oft tat – halb spöttisch, halb missbilligend. Obwohl sein Vater es noch nie ausgesprochen hatte, war Rowdy davon überzeugt, dass er seinen Sohn für einen Versager hielt und insgeheim verachtete.
»Vergiss es, Rowdy.«
Er trat auf sie zu, und sie wich unwillkürlich etwas zurück, was ihm ein wenig Oberwasser verlieh. »Hör mir gefälligst zu!«, rief er und griff nach ihrer Schulter, doch sie tauchte geschickt unter seinem ausgestreckten Arm hindurch, sodass er ins Leere taumelte. Er fuhr herum und starrte sie mit flammendem Blick an. »Es ist mir ernst, so glaub mir doch. Ich träume jede Nacht von dir, und ich will, dass du meine Frau wirst!«
Ihr Lachen fuhr so heiß wie ein Schürhaken in seine Seele, doch als sie sich kurz darauf die Hand vor den Mund hielt und ihre Augen sich auf eigentümliche Art weiteten, glaubte er, etwas darin zu erkennen, das mehr ausdrückte als spöttische Heiterkeit.
Amy musterte ihn eine Weile lang schweigend, und dann tat sie etwas, dass Rowdy davon überzeugte, dass dort oben im Himmel ein Gott existierte.
Ein Gott, der in diesem Moment ein Auge auf ihn geworfen hatte.
Sie breitete ihre Arme aus. »Wenn es dich glücklich macht, Rowdy, dann komm einfach her. Na los.«
Und das ließ er sich nicht zweimal sagen.
Dabei hätte er sich am liebsten gezwickt, um sicher zu sein, nicht zu träumen. Amy streifte ihr Kleid ab, bevor sie ihn dazu bewog, sich auf den Rücken zu legen. Danach zog sie ihm erst das nasse Hemd, danach die Schuhe und schließlich die Hose aus. Keiner der feuchten Träume, die ihm die Nächte in den vergangenen Monaten versüßt hatten, ließ sich auch nur im Ansatz mit dem vergleichen, was nun passierte.
Er spürte ihre vom Wasser immer noch kühlen, vollen Brüste an seinen Oberschenkeln, als sie sich über seine Körpermitte beugte, und musste einen Schrei unterdrücken, als sie etwas tat, was seine Fantasie zwar oft beflügelt hatte, sich aber in der Realität doch ganz und gar anders anfühlte.
Sein Blut schien durch die Adern zu rasen wie ein reißender Gebirgsbach in der Schneeschmelze, während seine tastenden Hände ihren Hinterkopf fanden und Amys Haare streichelten. Die Gefühle, die nun durch seinen Körper tosten wie ein Orkan, rissen all die Selbstzweifel mit sich fort. Er hörte sich selbst ihren Namen stammeln in einem endlosen Sermon, der wie ein Echo klang, das von den Bergen widerhallte: »Aaaamy … Aamy … Amy … my … my …«
Es war einfach überwältigend, und er betete, dass dieser Moment niemals enden möge. Doch schon bald, als er fühlte, dass er nicht mehr lange würde an sich halten können, wollte er mehr als das. Er wollte Amy in Besitz nehmen.
Rowdy griff nach ihren Schultern und warf sie auf den Rücken. Die Lust übermannte ihn nun völlig, alle Empfindungen schienen von einem roten Schleier umhüllt zu sein, und voller Wonne ließ er jegliche Hemmung fahren, gab sich ganz der Ekstase hin und spürte nur noch die weichen Rundungen ihres jungen Körpers, der ihm nun so nahe war, wie er es noch kurz zuvor nie zu träumen gewagt hätte.
»Nicht so grob, Rowdy«, beklagte sie sich leise, doch er hörte es kaum. Ungestüm drang er in sie ein und ließ seiner Leidenschaft freien Lauf. Amys Stimme klang in seinen Ohren wie ein Echo seiner eigenen animalischen Begierde und seine Schreie waren für ihn wie das Brüllen eines Löwen, stolz, unbarmherzig und mächtig, bis er sich viel zu schnell heiß und zitternd in ihren Schoß ergoss.
Als Rowdy sich über ihr erhob, war sein Gesicht zu einer hochroten Grimasse verzerrt. Er wischte sich mit einer Hand den Schweiß von der Stirn, während er mit der anderen über die sanfte Rundung von Amys Unterleib streichelte.
Als er ihre Miene registrierte, zerstob sein breites Lächeln wie eine Handvoll Staub im Wind.
»Hat es dir etwa nicht gefallen?«, fragte er unsicher. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht ließ seine hitzige Erregung binnen weniger Augenblicke in sich zusammenfallen.
Sie schloss die Schenkel und winkelte die Beine nach oben an, bevor sie wortlos an ihm vorbei in den Himmel starrte. Die Antwort hätte nicht deutlicher sein können, wenn sie ihm ins Gesicht gespuckt hätte.
Rowdy stülpte beleidigt die Lippen vor, stand auf und griff nach seiner Hose. Er sah sich nach seinen Schuhen um und versuchte, eine gelassene Miene zur Schau zu tragen, während sich ein dumpfes Schamgefühl in ihm ausbreitete.
»Du könntest mir ein paar Dollar da lassen, Rowdy«, sagte sie leise.
Er starrte sie an, und in seinem Gesicht zuckte es. »Meinst du das ernst?«
Amy starrte zurück, ihre Augen funkelten herausfordernd. »Hast du etwa keinen Spaß gehabt? Ein paar Bucks sollten dafür doch wohl drin sein, oder nicht?«
***
»Ja … Ja … Jaaa, o Laaassiter … Jaaaa!«
Er schloss die Augen, hielt ihren runden Hintern mit beiden Händen fest gepackt und gab sich ganz dem über ihn hereinbrechenden Höhepunkt hin, während Rubys Lustschreie in ein leises Wimmern übergingen. Sie bog den Rücken durch wie einen Bogen und schien für einen Moment zu erstarren, bevor sie mit einem einzigen endlos tiefen Ausatmen auf ihm niedersank.
Sie schmiegte sich an seine Brust, und ihr schwerer Busen presste auch ihm die letzte Luft aus den Lungen. Lassiter fuhr ihr fahrig durch die üppige fuchsrote Mähne, und ein letztes Zittern ging durch ihre beiden Körper, bevor sich wohlige Trägheit in ihnen breitmachte.
Lassiter griff nach dem immer noch fast vollen Whiskeyglas auf dem Nachttisch. Er war nicht einmal dazu gekommen, seinen Drink zu nehmen, als Ruby ihm bereits die Klamotten vom Leib gerissen hatte.
»Irgendwann wirst du mich noch umbringen, Baby«, keuchte er.
»Nicht … meine … Schuld …«, gab sie kurzatmig zurück und löste sich zögerlich von ihm, bevor sie sich auf den Rücken legte. »Hast du … nicht selbst … nach einer Extrarunde … verlangt?«
Er hob die Hand. »Schuldig im Sinne der Anklage.«
Er stützte sich auf den Unterarmen ab und nahm einen Schluck aus dem Glas, bevor er Ruby zuzwinkerte. »Allerdings hättest du mich vorwarnen müssen. Ich wusste nicht, dass auf einen Wüstensturm noch ein ausgewachsener Hurrikan folgen würde.«
Sie lachte heiser. »Ich nehme mir eben, was ich bekommen kann, Großer! Wer weiß, wann du zum nächsten Mal in der Gegend bist. Bei den meisten anderen Burschen hier …«, vielsagend wackelte sie mit den Augenbrauen, »… ist ihr Maul das größte, was sie zu bieten haben.«
Lassiter nickte nur und ersparte sich eine Antwort, als es an die Tür des Hotelzimmers klopfte. Sofort sprang er vom Bett auf und griff instinktiv nach dem Remington auf dem Nachttisch.
»Wer ist da?«
»Ben, der Laufbursche, Sir. Ich habe eine Nachricht für Sie.«
Er runzelte die Stirn, bevor er Ruby einen kurzen Blick zuwarf. Die Frau zuckte ratlos mit den Achseln.
»Moment.«
Er schlüpfte in seine Hosen, bevor er zur Tür ging und öffnete.
Ein junger Mann mit mehr Sommersprossen im Gesicht als ein komplettes irisches Mädchenpensionat neigte höflich den Kopf und wedelte mit einem kleinen Briefkuvert herum.
»Es ist von Mr. Cyrus Hackbart, dem Advokaten.«
Lassiter nickte unwillig, nahm den Umschlag entgegen und zog eine Münze aus der Hosentasche, die er Ben in die Hand drückte. Der bedankte sich, machte kehrt und marschierte den Korridor hinunter in Richtung Treppe.
Lassiter riss das Kuvert auf, zog einen kleinen Zettel hervor und überflog die wenigen Zeilen. Kurz darauf erblasste er.
»Alles in Ordnung, Lassiter?«, fragte Ruby hinter ihm.
Es dauerte keine zwei Minuten, bis der Mann der Brigade Sieben sich angezogen hatte.
»Wir sehen uns, Ruby«, brummte er und war kurz darauf verschwunden.
»Eine Farm? Mitten im gottverlassenen Montana?«
Cyrus Hackbart, Rechtsanwalt, Notar und vertraulicher Verbindungsmann der Brigade Sieben in Cheyenne, strich sich über den imposanten weißen Schnurrbart, deren sorgfältig gezwirbelte Enden pfeilspitz auf seine abstehenden Ohren wiesen.
»So ist es, Lassiter. Milton Huxley – Gott habe ihn selig – hat Ihnen allein seinen gesamten Besitz vermacht. Ich sehe Sie überrascht …«
»In der Tat«, bestätigte Lassiter. »Milton … Mein Gott, ich habe seit Ewigkeiten nichts mehr von ihm gehört.«
»Nun, er scheint Sie jedenfalls nicht vergessen zu haben«, erwiderte Hackbart, was Lassiter zu einer schuldbewussten Miene veranlasste. »Nichtsdestotrotz kann ich mich noch ganz gut an Mr. Huxley erinnern. Er war damals einer der ersten Brigade Sieben-Agenten, mit denen ich Kontakt hatte. War es nicht sogar so, dass er Sie für die Einheit rekrutiert und ausgebildet hat?«
Lassiter nickte. »Das ist richtig, Cyrus. Ich verdanke dem alten Fuchs eine ganze Menge. Doch als er sich damals zur Ruhe setzte, haben wir uns aus den Augen verloren.«
Das war nur ein Teil der Wahrheit, doch Lassiter war nicht bereit, mit Hackbart über den wahren Grund zu sprechen, weshalb er Huxley seitdem nicht mehr getroffen hatte. Das war Privatsache und brauchte den Notar nicht zu kümmern.
»Nun ja, Lassiter. Jedenfalls geht es um ein Anwesen, das zumindest auf dem Papier einen nicht unbeträchtlichen Wert zu haben scheint. Dreihundert Acre Acker- sowie sechzig Acre Weideland, an einem kleinen Bach gelegen, dem Sawsatchee Creek. Ein halbes Dutzend Milchkühe, ein Farmhaus, Stall, Scheune und ein eigener Brunnen.«
»Ich frage mich, wie er auf die Idee gekommen ist, ausgerechnet mir sein Land zu vererben«, sinnierte Lassiter. »Er musste doch wissen, dass ich nicht zum Farmer geboren bin. Ich habe damals noch Witze darüber gemacht, dass er auf einmal sesshaft werden wollte, weil wir uns eigentlich in dieser Beziehung immer einig gewesen waren.«
»Die ruhelosen Wölfe, die einsam durch die Prärie ziehen, meinen Sie?« Hackbart zwinkerte ihm zu, und Lassiter grinste schief.
»Etwas in der Art, ja. Es ist mir jedenfalls ein Rätsel, wie er glauben konnte, ich würde mich mit Ackerbau und Viehzucht befassen wollen.« Lassiter verzog die Lippen, als hätte er versehentlich in etwas Verdorbenes gebissen.
»Es ist viel Zeit vergangen, seit Sie sich zum letzten Mal gesehen haben, Lassiter«, gab der Notar zu bedenken. »Und vielleicht dachte er, in all den Jahren könnten Sie sich verändert und andere Ziele im Leben haben als durch den Kontinent zu reisen und sich mit Verbrechern herumzuschlagen. Aber ehrlich gesagt nehme ich an, dass Mr. Huxley noch einen anderen Grund hatte, Sie in seinem Testament als Erbe einzusetzen.«
Als Lassiter aufsah, musterte Hackbart ihn eine Weile, bevor er ein Papier aus dem Aktenordner hervorzog und es Lassiter über den Tisch hinweg zuschob. Der Mann der Brigade Sieben starrte den Notar sekundenlang an, bis der die Hände hob.
»Besser, Sie lesen es selbst.«
Achselzuckend nahm er das Papier entgegen und las Milton Huxleys letzte Nachricht.
Mein lieber alter Freund,
wenn du diesen Brief in Händen hältst, bin ich in die ewigen Jagdgründe eingegangen, wie unsere roten Brüder zu sagen pflegen. Ob aus freien Stücken, weil es Gott so gefiel oder durch die Hand eines Mannes, der schneller war als ich, kann ich nicht sagen. Du wirst es selbst herausfinden, wenn du nach Deckards Spring kommst. Natürlich könntest du das Erbe auch ablehnen, doch ich hege die Hoffnung, dass du das nicht tun wirst.
Als wir Abschied nahmen, geschah dies nicht im Guten, und ich habe in all den Jahren auf einen Tag gehofft, an dem wir uns wiedersehen und versöhnen könnten. Nicht nur ich, mein Freund – auch Philomena wäre froh gewesen, wenn der Zwist, den sie zwischen uns gesät hat, mit der Wurzel herausgerissen worden wäre und wir alle drei wieder hätten Freunde sein können – so wie damals.
Es ist uns nicht vergönnt gewesen, und als Philomena vor drei Jahren starb – du musst dich nicht grämen, es war ein tückischer Virus, doch sie hat nicht lang gelitten – habe ich ihr auf dem Sterbebett versprochen, dich als meinen, nein unseren Erben einzusetzen.
Vielleicht wirst du dich fragen, warum wir nach all den Jahren ausgerechnet dich damit behelligen. Nun, dafür gibt es einen einfachen, aber bedeutenden Grund.
Ihr Name ist Amy, und an diesem Abend, an dem ich das hier schreibe, hat sie ihren achtzehnten Geburtstag gefeiert. Sie liegt oben in ihrer Kammer und schläft friedlich, wie ich hoffe. Friedlich und ahnungslos, was die Umstände ihrer Zeugung betrifft.
Wir haben Amy all die Jahre über in bestem Wissen erzogen, obwohl wir es vielleicht zu oft an Strenge mangeln ließen. Sie ist ein etwas aufmüpfiges, aber wunderschönes junges Mädchen, das nun allmählich zur Frau wird.
Aber, und damit komme ich geschwätziger alter Mann endlich zum Punkt – weder ich noch Philomena wissen, ob ich wirklich Amys Vater bin. Du wirst dich noch gut genug daran erinnern, was damals zwischen uns – mir, Philomena und dir, Lassiter – vorgefallen ist. Deshalb denke ich, dass ich dir weitere Erklärungen ersparen kann, weshalb ich nun nicht nur unseren Besitz, sondern auch das Schicksal von Amy in deine Hände lege.
Ich kenne nicht jedes Detail darüber, was dir in all den Jahren widerfahren ist, aber ich weiß, du bist immer noch bei der Brigade Sieben. Und ich gebe zu, dass ich meine immer noch ganz gut funktionierenden Kontakte ab und an ohne Bedenken nutzte, um dein Schicksal seit unserem Abschied verfolgen zu können. Deshalb glaube ich aus tiefstem Herzen, dass der junge Mann, mit dem ich damals so manche Schlacht geschlagen habe, immer noch derselbe Bursche ist, der sich keiner Herausforderung und keiner Verantwortung entzieht.
Ich vertraue dir alles an, wofür ich gelebt habe. Und ich weiß, das ist eine schwere Bürde. Du wirst das Richtige tun, da bin ich mir sicher.
Gott sei mit Dir!
Dein Freund Milton Huxley
Lassiter ließ den Brief sinken und starrte ins Leere.
Hackbart erhob sich und ging am Schreibtisch vorbei zur Bar, um zwei Gläser großzügig mit Whiskey zu füllen. Als er eines der Gläser vor Lassiter abstellte, schien sein Gast wie vom Donner gerührt.
»Ich schätze, den brauchen Sie jetzt«, brummte der Notar und legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter.
***
»Ihr Schweine habt ihn umgebracht!«, kreischte Amy Huxley. Mit ausgestreckten Händen stürmte sie in das Halbdunkel des Schankraums und wollte sich auf einen vierschrötigen Mann in schwarzem Mantel stürzen, der vorn am Tresen alle Nebenstehenden um mindestens eine Kopflänge überragte und dem Angriff der jungen Frau mit unbewegter Miene begegnete.
Ein schlanker Bursche sprang von einem der Tische auf und trat Amy entgegen, sodass sie direkt in seine ausgebreiteten Arme rannte. Das vom Regen nasse Haar hing ihr in wirren Strähnen im Gesicht.
»Amy, beruhige dich um Gotteswillen«, sagte Connor Stubbins leise und ließ es über sich ergehen, dass sie ihm mit geballten Fäusten gegen die Brust und ins Gesicht schlug. Nach einer Weile erlahmten ihre Bewegungen, und sie sank in seiner Umarmung wimmernd zusammen.
Der Riese im schwarzen Mantel hob die buschigen Augenbrauen und nahm den Hut ab, während die beiden Männer an seiner Seite sich bereits wieder ihren Bierkrügen zuwandten. Dabei entblößte er eine dichte, schulterlange Mähne, die glänzend wie ein Biberfell über der kantigen Stirn zurückwich. »Besser, Sie hören auf Stubbins, Amy. Ich reagiere sehr empfindlich auf Anschuldigungen solcher Art. Ihr Vater hatte einen Unfall, und alle hier wissen, dass er an seinem Sturz nicht ganz unschuldig war.«
Zustimmendes Gemurmel erfüllte den Schankraum, und aus einer dunklen Ecke erklang ein leises, hämisches Lachen, doch die herrische Geste des Mannes im schwarzen Mantel brachte alle Anwesenden sofort zum Schweigen.
»Ganz Deckards Springs trauert mit Ihnen, Miss Huxley. Und da mir Ihre prekäre finanzielle Situation bekannt ist, werde ich selbstverständlich dafür sorgen, dass Ihr Vater ein anständiges Begräbnis erhält. Das ist mir ein persönliches Anliegen.«
»Hört, hört«, brummte der hagere Bartender hinter dem Tresen, und ein paar der Gäste im Saloon klopften anerkennend auf die Tischplatten. Die düsteren Schatten, in denen der Schankraum lag, ließen es nicht zu, die Gefühle in den Gesichtern der Gäste zu erkennen, und durch das laute Prasseln des Regens vor den Fenstern wurde verhindert, den Inhalt der geflüsterten Gespräche der Männer an den Tischen zu verstehen.
Der Riese warf dem Keeper einen kurzen Blick zu. »Nolan? Eine Runde für alle, im Gedenken an Mr. Milton Huxley.«
Amy hob den Kopf und funkelte den Mann über die Schulter ihres Beschützers hinweg an. Glitzernde Tropfen fielen von den Spitzen ihrer Haare auf den schmutzigen Dielenboden. »Wagen Sie es nicht, sich auch noch als Wohltäter aufzuspielen, Neal Hunter«, zischte sie. »Sie und diese ganze Stadt – ihr sollt allesamt zur Hölle fahren!«
»Es reicht, Amy.« Connor Stubbins sah sich um und setzte eine entschuldigende Miene auf, während einige der Anwesenden wütende Blicke austauschten. Er fasste die junge Frau mit festem Griff um die Taille und trug sie mehr aus dem Schankraum, als dass sie selbst sich bewegte.
Hunter breitete die Hände aus. »Beruhigt euch, Leute! Der Schmerz einer trauernden Tochter, wer kann es ihr verübeln? Trinkt euer Bier und lasst das arme Mädchen in Frieden ziehen.«
Eilfertig bewegte sich Nolan am Tresen vorbei und stellte die Biere von seinem Tablett auf den Tischen ab. Nach ein paar Augenblicken war der unterschwellige Ärger im Raum entwichen wie ein kurzer, heißer Wind, und die Männer nahmen ihre Gespräche wieder auf, bei denen sie kurz zuvor unterbrochen worden waren.
»Hysterische Ziege!«, knurrte ein breitschultriger Blondschopf im Staubmantel, dessen runder Bierbauch sich gegen den Handlauf des Tresens drückte. »Eine Frechheit, Sie so vor allen Leuten zu beleidigen, Sir.«
Der gedrungene Kerl, der auf der anderen Seite neben Hunter stand, setzte seinen Bierkrug ab, wischte sich den Schaum von den Lippen und nickte heftig. »Die Schlampe nimmt sich ganz schön was heraus. Tut so, als wäre sie die Jungfrau Maria!« Er stieß ein heiseres Lachen aus.
»Haltet gefälligst die Klappe«, brummte Neal Hunter und lächelte dabei nicht unfreundlich. »Miss Huxley ist in Trauer, und ich will ab sofort kein böses Wort mehr über sie hören. Habt Ihr mich verstanden?«
Der Blonde warf seinem Boss einen zweifelnden Seitenblick zu. »Was meinen Sie damit, Sir? Es … also, es ist doch Amy. Wir sprechen hier über dieselbe Person, nicht wahr? Sie ist die Schlampe von Deckards Spring, wie soll man denn sonst über sie reden?«
Hunter wandte langsam den Kopf und fixierte ihn mit einem Blick, der eine Rose dazu bewogen hätte, sämtliche Blätter zu verlieren.
»Habe ich gerade Spanisch gesprochen, Burt? Oder bist du plötzlich taub geworden? Sag mir einfach, wenn du einen Grund dafür hast, mich nicht zu verstehen.«
»Vielleicht hat Burt ja nur geglaubt, Sie würden einen Scherz machen, Sir«, ließ sich der untersetzte Cowboy auf der anderen Seite vernehmen. Hunter sah wortlos auf ihn herab, und er hob abwehrend beide Hände, als würde er einen Schlag ins Gesicht erwarten.
»Ihr redet Amy ab sofort mit Miss Huxley an und zollt ihr den gebührenden Respekt. Habt ihr das kapiert?«, knurrte Hunter.
Die beiden Männer zögerten nur kurz, bevor sie fast gleichzeitig nickten.
Draußen auf dem Platz wehte ein kühler Wind über den Platz, und Amy zog fröstelnd den Kragen ihrer Jacke hoch. Sie wandte den Blick, als sie die Kutsche des Undertakers bemerkte, die sich mit respektvoller Langsamkeit die Straße hinaufbewegte.
Der Regen zog silbrige Fäden durch den grauen Himmel, und die Hufe des Rappen schmatzten, während das Tier durch den Matsch der Straße marschierte. Der Kutscher zügelte das schwarze Pferd direkt vor dem Eingang des Saloons und nickte ihr unter dem schwarzen Zylinder schweigend zu.
Sie starrte den schmucklosen Sarg aus billigem Kiefernholz an, als würde dort die Lösung aller Probleme warten, die sich nun vor ihr auftürmten. Stattdessen lag darin der Mann, der sie immer beschützt und nun alleingelassen hatte. Schwer klopften die Regentropfen auf den Sargdeckel, und in ihrer Kehle wuchs ein Kloß, der so riesig war, dass sie dachte, ersticken zu müssen.
Connor neigte sich zu ihr herab und strich ihr mitfühlend über die schmale Schulter. »Er will wissen, wohin er den Sarg bringen soll«, flüsterte er, während er dem Undertaker mit erhobener Hand bedeutete, dass er warten solle.
Sie wollte sich umdrehen und wegrennen, einfach aus der Stadt heraus und irgendwo hin, an einen Ort jenseits dieser Hoffnungslosigkeit. Doch wo sollte das sein?
Als sie spürte, wie der Schmerz in ihrer Brust hinauf wanderte, war es bereits zu spät, sich dagegen zu wehren. Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf, und sie spürte, wie ihr die Sinne schwanden.
»Amy.« Er hielt sie fest und verhinderte gerade noch, dass sie stürzte. Kurz darauf fand sie sich auf dem Kutschbock wieder, und Connor saß hinter ihr und stützte sie mit beiden Händen.
»Zur Farm, Mr. Bellows.«
Der Undertaker nickte stumm und sie senkte den Kopf, während der Bellows die Kutsche wendete und das schwarze Pferd seinen Weg aus der Stadt fand, hinunter zur Farm von Milton Huxley.
***
Die Tür des Sheriff’s Office wurde so schwungvoll geöffnet, dass sie scheppernd gegen die Wand prallte. Sheriff Rupert Decker sah überrascht auf und nahm den Hut ab, als er seinen Besucher erkannte.
»Mr. Hunter«, brummte er und bemühte sich um ein verbindliches Lächeln, obwohl ihm eigentlich nicht danach war. »Wünsche einen schönen Tag, Sir.«
»Das muss sich noch zeigen, und ich bin skeptisch«, gab der Rinderbaron übellaunig zurück und sah sich im Büro um, als gäbe es etwas zu entdecken außer dem Sternträger, der ihn hinter dem Schreibtisch sitzend wachsam musterte.
»Warum? Gibt es Ärger?«
Der Rancher überging die Frage und beugte sich zu Decker herab, wobei er die schaufelartigen Hände schwer auf den Schreibtisch stützte. »Hast du den Bericht für Virginia City geschrieben?«
»Natürlich, Sir.« Der Sheriff deutete auf zwei eng beschriebene Blätter, die neben ihm auf dem Tisch lagen, und Hunter nahm sie auf. Während er zu lesen begann, breitete Decker die Hände aus. »Ich habe alles wie besprochen zusammengefasst.«
Hunter runzelte die Stirn. Die Schrift erinnerte an das Gekrakel eines Zehnjährigen, und der Text strotzte nur so von Rechtschreibfehlern, doch darauf kam es letzten Endes nicht an – es war der Inhalt, der zählte. Sowie Deckers Amtsstempel und Unterschrift darunter. Deshalb nickte er zufrieden, als er die Lektüre beendet hatte, und gab Decker die Papiere zurück.
»Sehr gut, Rupert. Ich schlage vor, du machst dich heute noch auf den Weg und gibst das beim Richter ab. Lass dich nicht auf ein langes Gespräch ein, im Zweifel schützt du irgendeinen dringenden Termin vor. In deinem Bericht steht alles, was die Herren in der Hauptstadt über Huxleys Ableben wissen müssen.«
Decker kratzte sich am Kopf. »Heute noch? Ich dachte, das hätte etwas Zeit.«
Die Augen seines Gegenübers verengten sich. »Hat es nicht, Rupert. Ganz im Gegenteil. Die kleine Amy will sich nicht damit abfinden, dass ihr versoffener Vater in die Schlucht gestürzt ist und seinen Tod selbst zu verantworten hat. Ich glaube zwar nicht, dass sie ihre wilden Fantasien bis nach Virginia City trägt, aber wir müssen alle Spekulationen im Keim ersticken. Deshalb wirst du die Angelegenheit sofort erledigen, dann ist da der Deckel drauf und Schluss. Haben wir uns verstanden?«
Decker rieb sich über die Bartstoppeln. »Kapiert, Sir. Natürlich können Sie sich auf mich verlassen.«
Der Rancher starrte Decker an und runzelte die Stirn. »Höre ich da ein ›aber‹, das du dich nicht auszusprechen traust?«
Der Sheriff grinste schief und zuckte die Achseln. »Ich dachte nur darüber nach, was Sie mir angeboten haben, Sir. Sie wissen schon, unsere vertrauliche Vereinbarung.«
»Was ist damit?«
»Nun ja …«, entgegnete Decker gedehnt und wand sich ein wenig. »Der Bericht hier«, er klopfte auf die Papiere, »ist schon ein großer Beweis meines Vertrauens, finden Sie nicht? Ich gehe damit ein gewisses … ich weiß nicht … Risiko ein, denke ich. Und deshalb wäre es vielleicht angebracht, wenn Sie mir auch etwas Schriftliches geben würden, das unsere …«
Wieder beugte sich Hunter über den Tisch herab, und sein Zeigefinger schoss auf das Gesicht des Sheriffs zu wie der Lauf eines Revolvers, bis er nur Zentimeter vor dessen Nase verharrte.
»Soll das etwa heißen, du traust mir nicht, Rupert Decker?«, knurrte Hunter und fixierte den Sternträger eisig. »Willst du mir ins Gesicht sagen, ich würde mein Wort nicht halten? Ist es das, was ich deinen arglistigen Worten und dem unverschämten Tonfall entnehmen soll?«
Decker presste die Lippen zusammen und erblasste, bevor er langsam den Kopf schüttelte. »Auf gar keinen Fall, Mr. Hunter«, brachte er schließlich hervor.
Der Rancher wich langsam vom Tisch zurück und richtete sich zu seiner vollen Größe von über sechs Fuß auf. Der Schatten, den er warf, war so breit und tief wie eine massive Eichentür. Decker hockte in diesem Schatten und beschloss, lieber klein beizugeben als zu riskieren, dass seine Zukunft noch weitaus düsterer ausfiel.
»Am Besten mache ich mich sofort auf den Weg, damit ich bei Gericht noch jemanden antreffe«, brummte er. »Der Regen wird die Poststraße ziemlich aufgeweicht haben, und ich brauche mindestens drei Stunden. Wohl etwas länger, schätze ich.«
Ein kaltes Lächeln verbreiterte Hunters schmale Lippen, und der Rancher hob zustimmend die rechte Hand. »Damit dürftest du recht haben, Rupert. Ich erwarte dann deinen Bericht. Komm heute Abend auf einen Drink zu mir auf die Ranch, okay?«
»Selbstverständlich, Sir.«
Als sich die Tür klappernd hinter dem Rancher schloss, stieß Decker erleichtert die Luft aus. Doch unter der Schreibtischplatte ballte er die Fäuste, und unbewusst knirschte er mit den Zähnen.
»Dieser elende Mistkerl«, flüsterte er. Und verachtete sich innerlich selbst dafür, dass er nicht den Mut aufbrachte, Hunter seine Meinung offen ins Gesicht zu sagen.
Doch das kurze Auflodern von Zorn und Stolz in seinem Herzen verflüchtigte sich so rasch wie immer, weil er – wie jeder in Deckards Spring – ein Mann war, der der Realität ins Auge schaute. Auch wenn sie hässlicher war als eine zahnlose alte Vettel.
Es gab hier nur zwei Möglichkeiten, sein Leben zu leben. Entweder man tat, was Hunter befahl. Oder man erfreute sich an jedem neuen Tag, als wäre es der letzte.
Vermutlich war das der Grund dafür gewesen, dass Milton Huxley in den Wochen vor seinem Ende an jedem Tag derart gesoffen hatte, als gäbe es kein Morgen mehr.
Decker erhob sich, faltete den Bericht zusammen und steckte ihn in den bereitliegenden Umschlag. Er schnallte sich den Revolvergurt um die Hüfte und trat am Tisch vorbei zum Fenster.
Es hatte wieder zu regnen begonnen. Natürlich.
Deckards Spring erlebte den nassesten Sommer, an den er sich erinnern konnte, und er war hier geboren. Die Farmer hatten sich bereits damit abgefunden, dass die Weizen- und Kartoffelernte in diesem Jahr katastrophal ausfallen würde: Zu wenig Sonne und zu viel Regen, dazu kamen die niedrigen Temperaturen; alles vergammelte, bevor die Pflanzen bis zur Erntereife gedeihen konnten.
Für die Rancher hingegen war das unleidliche Wetter weniger tragisch, denn es hatte für saftige Wiesen und weniger Krankheiten beim Vieh gesorgt. Daher würde an Fleisch und Milch kein Mangel herrschen, während man das Brot wohl teuer auf dem Markt in Virginia City einkaufen musste.
Allerdings waren Missernten oder das launische Klima in dieser Gegend ohnehin ein Thema, das immer weniger Menschen interessierte. Denn Deckards Spring war eine seit Jahren stetig schrumpfende Gemeinde. Die meisten jungen Leute kehrten dem zerklüfteten Gebiet östlich der Rocky Mountains den Rücken, sobald sie alt genug waren, um woanders ihr Glück zu suchen. Es gab hier kaum noch etwas, dass sie zum Bleiben ermunterte, spätestens seit Neal Hunter vor zehn Jahren nach Deckards Spring gekommen war.
Denn Hunter hatte von Anfang an kein Hehl daraus gemacht, dass er sich mit dem weitläufigen Areal östlich der Stadt, das er bei seiner Ankunft von der Verwaltung des Montana-Territoriums erworben hatte, zufriedengeben würde. Sofort hatte er die benachbarten Landbesitzer unter Druck gesetzt und ihnen den Grund abkaufen wollen, damit sie fortan als Pächter für ihn arbeiteten. Viele der Leute – darunter auch Deckers Vater – waren auf das Angebot eingegangen, um später festzustellen, dass sie in eine Falle gegangen waren.
Denn Hunter bezahlte zwar einen relativ fairen Preis für das Land, doch als es ihm erst einmal gehörte, durften die ehemaligen Besitzer nicht wie versprochen ihre Felder weiter so bestellen, wie es ihnen beliebte. Stattdessen ließ der Rinderbaron viele Äcker roden und machte Weideflächen daraus, weil die Viehzucht für ihn profitabler war. Andere Farmer zwang er dazu, auf ihren Feldern Früchte anzubauen, die er bestimmte, selbst wenn der Boden dazu nicht geeignet war. Jeder, der dagegen aufbegehrte, musste schnell feststellen, dass er in Hunters Augen nicht mehr als ein rechtloser Tagelöhner war.
Einige nahmen das Geld, das sie für ihren Grund bekommen hatten, und verließen mit ihren Familien die Region. Andere fügten sich in ihr Schicksal und waren nun statt stolzer Landbesitzer Cowboys oder Arbeiter, die mit gebeugtem Haupt einen Hungerlohn akzeptierten und Miete zahlten für die Häuser, die ihnen einmal gehört hatten.
Und dann gab es noch eine dritte Gruppe. Die, die Hunter die Stirn boten und sich standhaft dagegen wehrten, ihm ihr Land zu verkaufen. Davon gab es nicht mehr allzu viele, und es waren die, denen es am Schlechtesten ging. Denn Hunter scheute kein Mittel, um ihren Widerstand zu brechen.
Eines dieser Mittel war ein großer Staudamm, den der Rinderbaron hatte bauen lassen. Das mächtige hölzerne Wehr trennte den Falcon River von seinen Seitenarmen ab, die bis dahin die langgestreckten Täler im Norden der Region über das ganze Jahr hinweg mit Wasser aus den Bergen versorgt hatten.
Der Damm lag auf Hunters Grund und Boden, und im Territorium Montana waren bisher noch keine Gesetze geschaffen worden, die den Farmern Wasserrechte einräumten. Daher konnten die Geschädigten nicht dagegen vorgehen, als Hunter sie vom einzigen abschnitt, was sie außer ihren Äckern zum Überleben brauchten. Dem Wasser.
Der Plan des Ranchers ging auf. Es gab zwar noch ein paar handgreifliche Auseinandersetzungen, und manchmal waren sogar Schüsse gefallen. Decker hatte nicht nur einmal einschreiten müssen, um wenigstens den Verlust von Menschenleben zu verhindern. Doch schließlich bröckelte die stolze Front der Farmer in den Nordtälern, und einer nach dem anderen gab auf. Sie nahmen das Geld und verschwanden auf Nimmerwiedersehen, denn selbst die ergiebigen Regenfälle konnten die Bäche nicht ersetzen, die durch den Staudamm vom Falcon River abgetrennt worden waren.
Alle waren gegangen. Bis auf einen.
Sheriff Decker schnaubte resigniert. Dann wandte er sich um, griff nach dem Umschlag mit seinem Bericht und steckte ihn in die Innentasche seines Mantels.
Als er vor die Tür des Office trat, blies ihm ein scharfer Wind die kühlen Regentropfen ins Gesicht. Er verzog die Lippen und stiefelte über die Straße zum Mietstall hinüber.
»Ein echtes Sauwetter, nicht wahr? Fühlt sich an wie November im August«, begrüßte ihn Andrew Stubbins, Stallbesitzer und Hufschmied von Deckards Spring in Personalunion. Die meisten Einwohner der Stadt hatten inzwischen mehrere Aufgaben, was an der stetig schrumpfenden Einwohnerzahl lag. Harrys Sohn Connor war einer der wenigen jungen Männer unter fünfundzwanzig, die noch hier lebten und nicht auf der Ranch oder den Feldern Neal Hunters ihren Lebensunterhalt verdienten.
»Wohl wahr, Andy«, gab Decker missmutig zurück und stellte den Kragen seines Mantels auf. »Sattelst du mir den Wallach? Ich habe noch etwas zu erledigen.«
»Na sicher.« Stubbins wandte sich um und trottete in das Dunkel des Stalls. Während er das Pferd des Sheriffs aus der Box führte, brummte er: »Die kleine Huxley hat den Mund ja ganz schön voll genommen heute Morgen.«
Decker runzelte die Stirn. »Was meinst du?«
Der Hufschmied schüttelte mürrisch den Kopf. Er verlor kein Wort darüber, dass sein Sohn die junge Frau begleitet hatte, als sie auf der Kutsche des Bestatters die Stadt verlassen hatte. Es war ihm ein wenig peinlich, und er missbilligte Connors Beziehung zu Amy. »Sie ist in den Saloon marschiert und hat Mr. Hunter als Mörder beschimpft! Meine Herren, mutig ist sie, das muss ihr der Neid lassen.«
Er warf Decker einen kurzen Blick zu, während er den Sattel vom Holm nahm. »Willst du zur Farm und sie festnehmen?«
Der Sheriff schüttelte den Kopf, während er auf die andere Seite des Wallachs trat und den Sattel entgegennahm, den Stubbins dem Tier über den Rücken warf. Gemeinsam zogen sie das Sattelzeug fest. »Das Mädchen hat gerade ihren Vater verloren. Da redet man schon mal irgendwelchen Blödsinn daher«, brummte er und war dabei froh, dass der Wallach zwischen ihnen stand und er dem Hufschmied nicht ins Gesicht sehen musste.
»So etwas in der Art hat Hunter auch gesagt«, kam es zurück. »Ein echter Gentleman, möchte ich meinen. Ich weiß nicht, ob ich genau so viel Verständnis gezeigt hätte.«
Stubbins zog dem Wallach das Zaumzeug über und band die Riemen fest, während Decker in den Sattel stieg. Er zwinkerte dem Sheriff zu, als er ihm die Zügel reichte. »Wo geht’s denn sonst hin?«, fragte er. »Nach Virginia City, ein bisschen Spaß haben im Lucky Punch?«
Decker rang sich ein schiefes Lächeln ab. Das Lucky Punch war Virginia Citys schäbigstes Bordell. Es lag am Rand der Stadt und war bekannt dafür, dass die weniger begüterten Bewohner des Hinterlands dort den größten Anteil der Gäste ausmachten.
»So in etwa«, brummte er, wendete den Wallach und trabte auf die Straße hinaus.
***
Connor stützte sich auf dem Griff des Spatens ab und sah Amy zu, während sie das schmucklose Holzkreuz in die frische Erde steckte. Die junge Frau ging in die Knie und hielt den Pfosten mit beiden Händen fest, bevor sie den Kopf hob und der fülligen Frau zunickte, die neben ihr stand.
Mamy Blue hob den Hammer über den Kopf, dann ließ sie ihn auf die Spitze des Holzpflocks niedersausen, der die Längsachse des ärmlichen Grabmals von Milton Huxley bildete.
Mit jedem Schlag, der das Kreuz tiefer in die Erde trieb, zuckten Amys Mundwinkel, als würde das Holz in ihr Herz geschlagen werden. Die dumpfen Geräusche waren wie brutale Hiebe, die die Wahrheit in ihr Bewusstsein hämmerten.
Ihr Vater war tot, tot, tot, tot, tot.
Sie wollte weinen, doch es waren keine Tränen mehr da. Ihre Trauer hatte sie ausdörren lassen wie eine Wüste irgendwo unten im Süden dieses Kontinents. Dem Süden, den ihr Vater ihr immer hatte zeigen wollen, weil er von dort stammte, aus New Mexico. Dort, wo es immer warm war und ständig die Sonne schien.
»Komm, Amy. Es ist kalt. Lass uns ins Haus gehen.«
Sie spürte die Hände von Mamy Blue auf ihren Schultern und erhob sich zögernd. Das Kreuz über dem frischen Grab sah so erbärmlich aus. Nicht mal ein Name stand darauf.
»Ich werde bald ein richtiges Kreuz für ihn machen, Amy«, ließ sich Connor hinter ihr vernehmen, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
Sie lächelte ihm dankbar zu und ließ sich von Mamy Blue zum Haus führen. Der feine Nieselregen legte sich kühl auf ihr Gesicht, und als sie zum grauen Himmel aufschaute, war es so, als würde sie dort das Spiegelbild ihrer Seele erkennen. Ein graues, tristes Nichts.
Sie ließen sich am Küchentisch nieder, und die dunkelhäutige Haushälterin holte die Kaffeekanne von der Herdplatte, um drei Becher einzuschenken. Connor nahm als Einziger einen Schluck von dem starken Gebräu, während sich die Stille von Trauer und Hoffnungslosigkeit bleischwer über sie herabsenkte.
»Du solltest jetzt besser gehen, Connor«, brach Mamy Blue schließlich das Schweigen.
Amy streckte die Hand aus und ergriff seinen Arm. »Nein, bitte nicht.« Sie sah den jungen Mann an und schüttelte den Kopf. »Bitte bleib heute bei mir, Connor. Ich kann jetzt nicht allein sein.«
Mamy Blue grunzte unwillig. »Es gibt ein paar Dinge, die wir besprechen müssen, junge Dame. Deshalb wäre es besser, wenn …«
»Nein!« Amy hatte ihre Stimme erhoben und funkelte die alte Frau zornig an. Als sie spürte, wie laut sie geworden war, verzog sie schuldbewusst das Gesicht. »Entschuldige, Mamy«, sagte sie. »Aber wenn Connor …«
»Wenn du das willst, kann ich natürlich hierbleiben«, sagte er und warf Mamy Blue dabei einen unsicheren Blick zu. »Ich meine, Vater wird mich ohnehin nicht vermissen.«
Die alte Frau seufzte leise und zuckte die hängenden Achseln. »Als wenn dieses Mädchen jemals auf mich hören würde … aber gut. Dann mach dich wenigstens nützlich und geh rüber zum Stall, Connor. Versorg die Tiere und bring mir einen Kessel frisches Wasser aus dem Brunnen ins Haus, wenn du damit fertig bist. Ich werde sehen, was ich zum Abendessen für uns drei noch zusammenbekomme.«
Sie musterte den Jungen aus ihren trüben und dennoch auf eigentümliche Art durchdringenden Augen so lange, bis er endlich verstand und hastig vom Stuhl auffuhr.
»In Ordnung, Ma’am. Ich … natürlich.«
Krachend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss, und Mamy Blue nahm einen Schluck Kaffee, bevor sie auf Amys Becher deutete. »Trink ihn, bevor er kalt wird, Mädchen. Es ist der letzte, den wir noch in der Dose hatten.«
Amy gehorchte widerwillig und starrte die Frau, die sie seit ihrer Kindheit umsorgt hatte, über den Rand des Bechers hinweg an.
»Was willst du mir sagen, das Connor nicht hören soll, Mamy Blue«, fragte sie und versuchte dabei, sich ihre Beunruhigung nicht anmerken zu lassen.
Die alte Frau lehnte sich zurück, und ihre runzlige Miene verzog sich auf eine Weise, die Amy nicht recht zu deuten wusste. »Connor ist ein netter Bengel, mein Kind«, brummte sie. »Ich weiß, ihr zwei habt euch gern, sehr sogar. Aber wir müssen trotzdem vorsichtig sein. Du weißt doch selbst, in Deckards Spring darf man niemandem trauen.«
»Connor liebt mich, und ich liebe ihn. Er würde mich niemals verraten«, gab Amy im Brustton der Überzeugung zurück, bevor sie fragend die Hände ausbreitete. »Aber was gibt es schon, was wir noch preisgeben könnten? Vater ist tot, und die Farm ist schon lange am Ende.«
Mamy Blue hob den knochigen Finger und beugte sich etwas vor. »Dein Vater wusste, was passieren würde, Amy. Und er hat Vorkehrungen getroffen.«
Amy hob überrascht die Augenbrauen. »Was meinst du damit?«
Die alte Frau sah zum Fenster hinaus auf den Vorhof. Ein leises Muhen drang aus dem benachbarten Stall herüber, und sie lächelte.
»Milton hat letzte Woche mit mir darüber geredet. Als hätte er eine Ahnung gehabt.« Sie schnaubte verächtlich. »Natürlich hatte er das! Nachdem Hunter hier war und mit seiner Knarre herumgefuchtelt hat, als wenn er deinen Vater am liebsten sofort umlegen wollte!«
»Neal Hunter war hier? Auf unserer Farm?« Amy starrte Mamy Blue ungläubig an, bevor ihr einfiel, dass sie das Geräusch zahlreicher Hufe vernommen hatte, als sie durch das trockene Flussbett gewandert war auf dem Rückweg zur Farm.
Nach ihrem Treffen mit Hunters Sohn Rowdy.
»Das war er. Und dein Vater hat ihm gesagt, dass er niemals an ihn verkaufen würde. Nur über seine Leiche würde Hunter dieses Land bekommen.« Das dunkelhäutige Gesicht der alten Frau schien sich noch weiter zu verdüstern, und sie senkte den Kopf, sodass Amy nun auf einen grauen Mittelscheitel starrte.
»Was hat Dad dir gesagt?«, fragte sie. »Was für Vorkehrungen hat er getroffen? Jetzt rede schon!«
Mamy Blue sah Amy an, und ihre Augen weiteten sich. Ein Lächeln verbreiterte ihre Lippen, als sie antwortete.
»Er hat mir versprochen, dass wir nicht allein sein würden, wenn ihm etwas zustößt. Es wird ein Mann kommen, der uns zur Seite steht. Sein Name ist Lassiter.«
***
Lassiter hob die Hände, als der Mann am Gatter seinen Gewehrlauf auf ihn richtete.
»Nur die Ruhe, mein Freund«, brummte er.
Sein Gegenüber spuckte zu Boden, ohne ihn aus dem Blick zu nehmen. Sein linkes Augenlid zuckte nervös. »Ich bin nicht dein Freund, Fremder. Und du hast hier nichts verloren. Also verrate mir besser schnell, warum du dich auf unserem Land herumtreibst.«
Lassiter hielt seine Hände oberhalb der Schultern, deutete dabei aber mit dem rechten Daumen nach hinten. »Ich dachte, das hier wäre die Poststraße nach Deckards Spring. War wohl ein Irrtum.«
Der Mann mit dem Gewehr bleckte die Zähne und stieß ein Hecheln aus, bei dem Lassiter sich nicht sicher war, wie er es deuten sollte.
Der Lauf des Karabiners war immer noch auf ihn gerichtet, daher ging er davon aus, dass die Situation angespannt blieb. Der Bursche starrte ihn an, kaute auf den Innenseiten seiner Backen herum und rührte sich nicht von der Stelle, bis Lassiter die Stimme erhob.
»Wie sieht’s aus? Soll ich umkehren und mir einen anderen Weg nach Norden suchen? Oder willst du noch ein wenig darüber nachdenken, ob du mich erschießt?«
Der Bursche blinzelte und schien ernsthaft über die Frage nachzudenken.
»Wo kommst du her?«, rief er schließlich und wackelte dabei bedrohlich mit seiner Flinte.
Lassiter wiederholte seine Geste, indem er mit dem Daumen hinter sich deutete. »Virginia City.«
Sein Gegenüber atmete wieder hektisch ein und aus. Das Hecheln erinnerte an einen jungen Hund, und Lassiter wusste, dass Tiere zubissen, sobald sie sich der Situation nicht gewachsen fühlten.
Möglicherweise war es klüger, der Konfrontation auszuweichen.
»Ich werde mein Pferd wenden und einfach einen anderen Weg finden. Okay?«
Doch als er seine Hände in Richtung der Zügel bewegte, sah er in den Augen des Mannes, was passieren würde. Er duckte sich, während der Mann vor ihm den Abzugsbügel des Gewehrs durchzog. Heißes Blei riss Lassiter den Stetson vom Kopf, und er unterdrückte einen Fluch, bevor er sich aus dem Sattel fallen ließ.
Der Braune stieß ein erschrockenes Wiehern aus und stieg auf die Hinterläufe, während Lassiter auf den Beinen landete und im Schutz des Pferdes den Remington aus dem Holster zog. Geduckt sprang er zur Seite und entging damit der zweiten Kugel, die dicht über ihm vorbei pfiff und jaulend auf einen Felsen traf.
Er kniff die Lippen zusammen, riss seine Waffe hoch und feuerte. Die Kugel fand ihr Ziel. Der Mann mit dem Karabiner wurde in der Schulter getroffen und sackte stöhnend zu Boden.
Lassiter klopfte dem Hengst beruhigend auf den Hals, bevor er mit schnellen Schritten zum Gatter hastete. Sein Gegner lag mit dem Rücken im Staub und atmete hektisch. Blut aus der Schusswunde tränkte das grobe Leinenhemd und färbte es dunkel. Das Gewehr lag direkt neben ihm, und Lassiter trat es mit seinem Stiefel beiseite.
»Das war wirklich dumm«, brummte er und blickte unwillig in die flackernden Augen des Mannes am Boden. Er musterte die Wunde und nickte kurz darauf.
»Aber du wirst es überleben. Nur eine Fleischwunde.«
»Goddam, warum haben Sie auf mich geschossen?«, gab der Kerl zurück und knirschte krampfhaft mit den Zähnen.
»Die Frage könnte ich wohl eher dir stellen«, erwiderte Lassiter grimmig. »Wie ist dein Name?«
Der Mann rang sich ein Grinsen ab, das zu einer schmerzerfüllten Grimasse wurde.
»Carl … Scheiße … Higgins. Und vielleicht haben Sie recht«, keuchte er.
Er stöhnte, als Lassiter ihm unter die Achseln griff und ihn von der Straße weg schleifte, um ihn an einen Findling am Rand des Weges zu lehnen. Wortlos riss er dem Mann das Hemd vom Oberkörper, betrachtete die Wunde genauer und ging zu seinem Pferd. Kurz darauf kehrte er mit einer dunklen Flasche und einer Rolle Verbandszeug zurück.
»Beugen Sie sich etwas vor, Carl Scheiße Higgins«, befahl er, und der Mann gehorchte ächzend. Lassiter träufelte ein wenig aus der Flüssigkeit auf die Mullbinde und drückte das Ganze auf die blutende Wunde.
Der Bursche schrie auf. »Verflucht noch mal! Vielen Dank!«
»Keine Ursache.« Geschickt wickelte Lassiter den Rest der Rolle um die Wunde, bevor er sich aufrichtete.
»Deckards Spring«, sagte Lassiter und sah dem Mann durchdringend in die Augen. »Bin ich hier auf dem richtigen Weg?«
Der Angesprochene schüttelte den Kopf, bevor er nickte. »Nein, … oder ja. Irgendwie schon.«
Lassiter runzelte die Stirn. »Das ist keine Antwort, mit der ich etwas anfangen kann, Hombre.«