Lassiter Sammelband 1840 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1840 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2401, 2402 und 2403.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 387

Veröffentlichungsjahr: 2022

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BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covermotiv: © Boada/Norma

ISBN 978-3-7517-2991-8

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1840

Cover

Impressum

Inhalt

Lassiter 2401

Mein ist die Rache

Karte Washington D.C.

Lassiter 2402

Wer sich in Gefahr begibt

Karte Washington D.C.

Lassiter 2403

Du sollst nicht töten

Karte Washington D.C.

Guide

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Contents

Mein ist die Rache

Die beiden Männer standen sich in der bleichen Sonne Wyomings unbeweglich gegenüber und sprachen kein Wort. Sie waren zur vereinbarten Zeit am Fluss erschienen, und jeder von ihnen trug ein Kuvert in der Jackentasche bei sich.

»Kelly Dugan«, sagte der Ältere und übergab seinen Umschlag. »Sie ist seit einem Tag tot.«

»Lassiter«, sagte der andere und händigte seinen Brief ebenfalls aus. »Die Brigade Sieben setzt ihn auf den Fall an. Er kommt nach Wyoming.«

»Die Brigade Sieben ist Vergangenheit«, knurrte der Alte und mahlte mit den Zähnen. »Tot wie ein gottverdammter Kojote.«

»Jedenfalls die meisten von ihnen«, erwiderte der Jüngere. »Nevod hat gute Arbeit geleistet.«

Der Alte schob sich den Umschlag unter das Revers und nickte. »Ich kümmere mich darum.«

»Die Rache ist mein; ich will vergelten. Zu seiner Zeit soll ihr Fuß gleiten; denn die Zeit ihres Unglücks ist nahe, und was über sie kommen soll, eilt herzu.«

Mose 1, 35

Durch Lassiters Schädel tobte ein Sturm aus finsteren Gedanken, als der Mann der Brigade Sieben im vierten Stock des altehrwürdigen Ebbitt House aus dem Schlaf schreckte. Er war schweißgebadet und starrte in die ängstlichen Augen von Laura Milligan.

»Was hast du?«, fragte das Freudenmädchen mit den aschblonden Haaren. Sie wälzte sich auf die Seite und zupfte das goldene Diadem vom Kopf, das sie noch immer trug. »Du hast mir eine Heidenangst eingejagt.«

Allmählich kehrten Lassiters Erinnerungen an den vergangenen Abend zurück. Er hatte Laura auf dem Maskenball aufgelesen, der im Speisesaal des verschwenderisch reich ausgestatteten Hotels stattgefunden und buchstäblich die halbe Washingtoner Hautevolee angezogen hatte. Unter den Gästen waren selbst Vizepräsident Morton und seine Frau gewesen.

»Nichts«, sagte Lassiter und schwang die Beine über die Bettkante. »Ich hatte nur einen schlechten Traumund zu viel getrunken.«

»Du hattest nur zwei Bourbon«, erwiderte Laura und stieg ebenfalls aus dem Bett. Sie trug ein fast durchsichtiges Nachtgewand, das bei jedem Schritt verführerisch um ihre schlanken Waden spielte. »Einen unten im Saal, den zweiten von meinen Lippen.«

Die wenigen Schritte bis zur Dachgaube der Suite, deren Fenster zur belebten 14th Street wies, reichten aus, um Lassiter die Erinnerung an die St. Augustine Church zurückzubringen. Er sah die glänzende Gatling Gun vor sich, hinter der Kelly Dugan gestanden hatte, und jene zarten Hände, die an der monströsen Waffe wie Fremdkörper gewirkt hatten. Er hatte diese Frau erschossen, und dieser Tod verfolgte ihn inzwischen bis in seine Träume.

»Noch einen Bourbon?«

Der Mann der Brigade Sieben vernahm das Klirren der Gläser, mit denen Laura in seinem Rücken hantierte, und stützte sich mit dem Arm gegen den Fensterrahmen. Auf der 14th Street ratterten die Fuhrwerke und Droschken und schlugen mit ihren stahlbeschlagenen Rädern bisweilen Funken auf dem Kopfsteinpflaster. Um Lassiters Hals schlang sich ein seidenweicher Arm.

»Cheers«, sagte Lassiter und nahm das Glas Bourbon entgegen. Er wartete nicht darauf, dass Laura mit ihm anstieß, und leerte das Glas in einem Zug. »Ich muss bald fort, Laura. Man erwartet mich unten im Foyer.«

»Nicholas Coleman?«, fragte Laura und nippte an ihrem Glas Bourbon. Sie warf einen Blick auf die Straße hinunter und lächelte geheimnisvoll. »Du hast den Namen einige Male erwähnt, als du schliefst. Ich glaube zumindest, dass es Coleman oder Holeman hieß.«

Einen Augenblick lang kam es Lassiter unverzeihlich vor, dass er unbedarft von einem Mittelsmann gesprochen hatte, dann fiel ihm die toten Vorgesetzten der Brigade Sieben ein. Sie waren wie die Tiere in jenem qualmenden Sprengstoffinferno gestorben, das ein Komplott aus heimtückischen Mördern ihnen bereitet hatte. Es war buchstäblich niemand mehr am Leben, der Lassiter hätte rügen können.

»Coleman«, sagte Lassiter und nickte. »Er ist Uhrmacher.«

Die weiche Hand glitt von seinem Hals bis zu seinem Brustkorb hinunter und krallte sich in seine Haut. Lauras aschblonder Haarschopf erschien neben ihm. »Du ziehst mir einen Uhrmacher vor? Nach allem, was wir in der letzten Nacht miteinander getrieben haben?«

Starr sah Lassiter noch immer auf die Straße hinunter. Er hob den Kopf und spähte nach den Umrissen des Präsidentensitzes, der jedoch von den Kolonnaden des Schatzministeriums verdeckt war. »Ich muss ihn treffen, Laura. Er muss etwas Geschäftliches mit mir besprechen.«

Sanft und bestimmt zog Lauras Hand ihn herum, bis Lassiter seiner Bettgenossin wieder gegenüberstand. Sie hatte die obersten Knöpfe ihres Nachthemdes gelöst und es wie zufällig von den Schultern rutschen lassen. »Kein einziges Stündchen kannst du noch entbehren?«

Der große Mann und sie sahen einander eine Weile reglos an, bevor Lassiter sie mit beiden Armen ergriff und zurück zum Bett trug. Er riss Laura das Nachthemd vom Leib, schob ihr eine Hand zwischen die gespreizten Beine und ließ in seinem Begehren erst nach, als das Freudenmädchen vor Lust leise aufschrie.

Keine Minute später waren sie beide nackt.

Mit der Rechten hielt Laura fest seinen Pint umklammert, der ihr schon zu nächtlicher Stunde leidenschaftliche Wonnen beschert hatte, und führte ihn zielstrebig an ihre feuchte Scham. Sie blickte Lassiter tief in die Augen und forderte ihn mit einem Nicken auf, sich zu nehmen, was ihm zustand.

Der volle Busen der Blonden hob und senkte sich im Takt ihrer Atemzüge.

Sie trieben es eng umschlungen miteinander, als könnte allein die Wärme jener fremden Frau die kühlen Gedächtnisfragmente tilgen, die Lassiter wieder und wieder in den Sinn kamen. Er konnte nicht anders, als an die St. Augustine Church zu denken, und weil er es nicht wollte, nahm er Laura so hart, dass sie ihn mit einer Hand sanft bremste.

»Oh, Lassiter!«, stöhnte Laura und warf das Haar von einer Seite auf die andere. Sie öffnete ihre Beine ein Stück weiter. »Du verstehst dich auf Frauen, weißt du das? Ich … ich habe noch nie einen Kerl so tief in mir gespürt wie dich.«

Vor dem Fenster landete eine Krähe und klopfte mit dem Schnabel einige Male gegen das Glas. Sie flatterte wieder davon und stürzte sich über der 14th Street in die Tiefe.

Laura ließ sich von dem Störenfried nicht ablenken.

Sie hatte Lassiter ganz auf sich herabgezogen und seine Lenden mit den Schenkeln umfangen. Als er ihr Gesicht mit beiden Händen fasste und die junge Washingtonerin fest küsste, kam Laura zum Höhepunkt. Sie schloss die Augen und genoss seine gekonnten Hüftstöße, die einen Schauer aus Erregung durch ihren Körper jagten.

Fast zur gleichen Zeit kam auch Lassiter.

Er vertrieb für einige Minuten die St. Augustine Church und alles, was darin vorgefallen war, aus seinem Geist und tat, was die Natur jedem Mann aufgetragen hatte, der mit einer Frau wie Laura das Bett teilte. Sie sanken erschöpft nebeneinander in die Kissen und sprachen ein paar Minuten lang kein einziges Wort.

»Du musst gehen«, flüsterte Laura danach. »Sonst vergesse ich mich und zwinge dich zu einer dritten Runde, weißt du?«

Mit einem Lächeln wandte Lassiter den Kopf zu ihr. »Was spricht dagegen?« Er kramte nach der Taschenuhr in seiner Weste. »Eine knappe Stunde bleibt mir noch.«

Der Uhrmachermeister Nicholas Coleman war ein weißhaariger Mann mit gezwirbeltem Schnurrbart und gebücktem Gang. Er trug den gleichen gepflegten Gehrock, den Lassiter von seiner ersten Begegnung mit dem Mittelsmann kannte, und steuerte geradewegs auf den Mann der Brigade Sieben zu. Ein Bediensteter des Ebbitt House geleitete die Männer in ein Separee neben der Empfangshalle.

»Sie müssen sich diese Uhren ansehen«, sagte Coleman und hob den Lederkoffer auf den marmornen Tisch vor ihnen. Er schaute sich unauffällig nach den Angestellten des Hotels um und dämpfte die Stimme. »Sie sind zu dieser Stunde meine einzige Tarnung.«

Die flinken Hände des Uhrmachers glitten über die stählernen Verschlüsse und entriegelten sie. Unter dem Kofferdeckel kam eine samtene Einlage mit Dutzenden silbernen und goldenen Chronometern zum Vorschein. Einige Uhren trugen Embleme des britischen Königshauses, andere waren mit orientalischem Dekor verziert.

»Was haben Sie für mich?«, fragte Lassiter und nahm eine der Uhren zur Hand. Er betätigte den Stiftknauf am oberen Ende und ließ die silberne Abdeckung aufspringen. »Ich hatte gehofft, dass Sie mir früher ein Telegramm senden.«

»Seien Sie nicht töricht!«, murmelte Coleman und hantierte mit den anderen Zeitmessern. Seine Hände zitterten vor Aufregung. »Die Brigade Sieben ist in Auflösung begriffen. Der Führungsstab ist tot bis auf den letzten Mann.« Er neigte den Kopf zu Lassiter. »Wir müssen größte Vorsicht walten lassen.«

Ein älteres Ehepaar passierte das Separee und wandte sich nach wenigen Schritten dem sprudelnden Springbrunnen in der hinteren Ecke des Foyers zu. Die Gattin hatte sich untergehakt und ließ ihren Mann nun allein, um die steinernen Blumen am Brunnen zu bewundern.

Nachdenklich betrachtete Lassiter das fein ziselierte Ziffernblatt der Uhr in seiner Hand. »Das Ebbitt House steht im Herzen von Washington D.C., Mr. Coleman. Sie hätten einen geeigneteren Ort vorschlagen können.« Er legte die Taschenuhr zurück und nahm eine zweite. »Die Stadt ist nicht mehr sicher für uns.«

»Nirgendwo im Land ist es noch sicher für uns«, meinte Coleman und geriet für ein paar Sekunden aus der Fassung. Er sammelte sich und täuschte mit ein paar Gesten vor, dass er Lassiter zu der Uhr in dessen Händen beriet. »Sie werden sich mit Charles D. Matthews treffen. Es gibt da eine bedeutende Angelegenheit, über die er Sie persönlich in Kenntnis setzen möchte.«

Die große Standuhr in der Nische schlug neun Uhr und spielte den Westminsterschlag ab, wie er auch aus dem Geläut des Big Ben erklang. Das Ehepaar am Springbrunnen machte kehrt und betrachtete neugierig das Angebot des Uhrmachers auf dem Tisch. Als der Mann lächelte und seine Frau sanft zum Rezeptionstresen drängte, beugte sich Lassiter über den Tisch nach vorn. »Wo hält sich Matthews derzeit auf?«

Rasch legte Coleman die Uhr, die Lassiter ihm reichte, auf den mit Samt bespannten Zwischenboden seines Koffers zurück. Er schwieg kurz und musterte den Mann der Brigade Sieben. »Smithsonian Grounds«, sagte Coleman im Anschluss. »Er wartet in den Smithsonian Grounds auf uns.«

Zwischen den dichten Hortensienbüschen entlang des schmalen Weges im nordöstlichen Teil der Smithsonian Grounds glich Charles D. Matthews fast einem Spaziergänger, der sich in der Richtung geirrt hatte. Er strebte fort von den rötlichen Ziegelmauern des Normannenschlosses, das gewöhnlich die Besucher des Smithsonian anzog und mit seinen Turmhauben die umliegenden Baumkronen überragte. Als er die beiden Männer bemerkte, die ihm folgten, verharrte er und zog eine Ausgabe der Harper’s Weekly unter dem Mantel hervor.

Die Wochenzeitung war das vereinbarte Zeichen.

»Matthews«, raunte Coleman Lassiter zu und sah sich nach allen Seiten hin um. Sie waren bisher keiner einzigen Menschenseele in den Gärten begegnet. »Er ist es.« Der Uhrmacher machte eine knappe Geste. »Gehen Sie zu ihm. Ich achte darauf, dass die Luft rein bleibt.«

Durch Charles D. Matthews ging ein Ruck, als Lassiter auf den einstigen Gouverneur von Utah zuschritt. Er wusste von Coleman, dass Matthews blutjung unter Ulysses S. Grant gekämpft und an der Offensive gegen Paducah teilgenommen hatte. Er war gewiss nicht jener gramgebeugte Mann, der im Augenblick in den Smithsonian Grounds stand.

»Mister Lassiter«, sagte Matthews und streckte seine Hand aus. »Die Lage ist ernster als erwartet. Und daran sind Sie nicht ganz unschuldig.«

Lassiter bemerkte die Blässe im Gesicht des Senatsabgeordneten. »Wovon reden Sie, Sir?«

»Vor Ihrer Entlassung aus dem Gefängnis wurden Sie gebeten, eine Frau zu identifizieren«, erwiderte Matthews und lud den Mann der Brigade Sieben mit einer Handbewegung zu einem Spaziergang ein. »Laut Protokoll der US Capitol Police haben Sie sie nicht gekannt.«

»Ich muss nicht jeden kennen, den ich erschieße«, versetzte Lassiter und ahnte immer noch nicht, worauf dieses Gespräch hinauslief. »Diese Frau war eine eiskalte Mörderin und hat mit einer Gatling Gun …«

Ruckartig blieb Matthews stehen und unterbrach den großen Mann mit einer scharfen Geste. »Die Waffe stammte aus den Beständen der Brigade Sieben!«, presste er hervor und beherrschte sich mühsam. »Die Frau, die Sie getötet haben, hieß Kelly Dugan und war eine unserer Agentinnen!«

Lassiter war es, als hätte er einen Schlag ins Gesicht erhalten. Äußerlich ließ er sich seine Betroffenheit kaum anmerken, doch in seinem Innern rumorte es. In Gedanken ließ er die Geschehnisse bei der St. Augustine Church Revue passieren und kam zu einem fatalen Schluss. »Sie meinen«, raunte er, »dass die Leute, die ich zu schützen versuchte, unsere eigentlichen Feinde waren?«

Die Hortensienblüten hingen welk an den Stängeln, besaßen jedoch noch genug von ihrer violetten Farbe, um nicht kraftlos und matt zu wirken. Die Gärtner des Smithsonian hatten die Sträucher bisweilen mit Stangen und Holzpfosten gestützt.

»Ihre Auffassungsgabe spricht für Sie«, bemerkte Matthews zynisch. »Wen nehmen Sie sich als Nächsten vor? Bin ich es oder vielleicht Coleman?«

Widerstand regte sich in Lassiter. »Ich handle gemäß den Informationen, die mir vorliegen«, verteidigte er sich, konnte ein flaues Gefühl in seiner Magengegend aber nicht unterdrücken. »Und diese waren spärlich gestreut. Ich musste eine Entscheidung treffen – und genau das habe ich getan!«

Zwischen Matthews’ buschigen Brauen bildeten sich zwei tiefe Falten. Durchdringend richtete er den Blick auf seinen Gesprächspartner. »Kelly Dugan war den Hintermännern der ›Dunklen Brigade‹ auf den Fersen«, sagte er leise und überwand seinen Ärger. »Einige Namen konnte sie in Erfahrung bringen, doch wir können nicht offen gegen diese Leute vorgehen. Dazu fehlen uns die Beweise. Letztlich war Kellys Angriff eine Verzweiflungstat, die von mir nicht angeordnet wurde …«

Erst jetzt wurde Lassiter das Ausmaß seines Eingreifens bewusst. Er sah Kellys leblosen Körper vor sich, ihre halb geöffneten Lippen und starrte in ihre anklagend aufgerissenen toten Augen. Wie betäubt ging er neben Matthews her. Sie erreichten eine Kreuzung zwischen den Hortensienbüschen, hinter der ein Weg zum östlichen Ausgang der Smithsonian Grounds abzweigte. Ein zweiter Pfad führte zu den größeren Hauptwegen der Gartenanlage zurück.

»Sie handelten nach bestem Wissen«, machte Matthews nach längerem Schweigen ein Zugeständnis. Aus seinen Worten sprach aufrichtige Anteilnahme. »Vermutlich hätte ich an Ihrer Stelle einen ebensolchen Entschluss gefasst.«

Die Ungeheuerlichkeit seiner Tat stieg in Lassiter wie eine giftige Schwade empor, die jeden Gedanken umgab und Überzeugungen ins Gegenteil verkehrte. Er hatte niemanden gerettet, hatte niemanden vor größerem Übel bewahrt. Er hatte der Brigade Sieben einen Bärendienst erwiesen.

Charles D. Matthews verschränkte die Hände auf dem Rücken und blieb stehen. »Wir müssen nach vorn schauen«, sagte er mit fester Stimme. »Deswegen erteile ich Ihnen einen neuen Auftrag.«

»Einen Auftrag?«, wiederholte Lassiter und lächelte ungläubig. »Habe ich in der St. Augustine Church nicht schon genügend Schaden angerichtet?«

»Hören Sie auf!«, wehrte Matthews den Einwand unwirsch ab. »Gerade in dieser Zeit kann ich auf unsere besten Leute nicht verzichten. Sie werden nach Wyoming reisen, zur Lodge der Dugans am Jackson Lake. Wir wissen, dass Kelly Dugan ihre Familie ins Vertrauen gezogen hat und ihr eine Postsendung zukommen ließ. Offenbar für den Fall, dass Kelly etwas zustieße. Über den Inhalt der Dokumente können wir nur spekulieren, doch möglicherweise finden sich darin Anhaltspunkte, die die Agentin uns nicht mehr mitteilen konnte.« Er schnalzte mit der Zunge und schürzte die Lippen. »Leider müssen wir davon ausgehen, dass unser Gegner ebenfalls über die Postsendung informiert ist. Die Dugans könnten in höchster Lebensgefahr schweben.«

»Ich soll die Unterlagen sichern und das Leben der Familie schützen«, fasste Lassiter zusammen und nickte knapp.

»Nicht nur das«, meinte Matthews. »Sie sollten die Gelegenheit nutzen, bei den Dugans um Verzeihung zu bitten. Machen Sie mit der Familie Ihren Frieden.«

Aus der Ferne eilte Coleman auf sie zu, der offenbar ein flanierendes Paar auf den benachbarten Wegen erspäht hatte, und drängte zur Eile. Die Männer verabschiedeten sich von Lassiter und verließen das Gelände in unterschiedlichen Richtungen.

Mit ernster Miene sah Lassiter ihnen nach, bis sie seinem Blickfeld entschwunden waren. Gewissensbisse nagten an ihm, doch er durfte ihnen keinen Raum geben. Er hatte ein klares Ziel vor Augen – und nichts würde ihn aufhalten, es zu erreichen.

Das halbe Dutzend Männer am Potomac River verschwand fast im eisigen Morgennebel, der wie eine Wand vom Fluss herübertrieb und nach den taubenetzten Gräsern am Ufer griff. Die Gestalten schlichen die Wildpfade entlang, die Major General Parker Stevenson ihnen beschrieben hatte, und verhielten sich damit fast so unauffällig wie die Partisanenkämpfer, die Stevenson im Bürgerkrieg bei Tettlesby kennengelernt hatte.

Der Major General war durchaus zufrieden.

Schon seit vier Uhr in der Frühe stand er sich an der nördlichen Uferbank des Potomac die Beine in den Bauch, doch angesichts der angespannten Lage in der Hauptstadt durfte er es auf keinerlei Indiskretion ankommen lassen. Sie waren in der St. Augustine Church kürzlich knapp dem Jüngsten Gericht entronnen.

Der Präsident – verdammt sei er! – schlief vermutlich noch.

Er genoss die Annehmlichkeiten des Weißen Hauses, die ihm nicht zustanden, und würde gegen neun Uhr von Goldrandtellern essen, die jedem anderen Amtsträger außer ihm gebührt hätten. Er würde nicht das Mindeste ahnen von den Männern am Potomac River, die sich letztlich trafen, um ihn aus Washington zu verjagen.

»George Hogg«, stellte sich der Erste vor, der aus dem Nebel auftauchte und Stevenson erkannte. Er nahm Haltung an und salutierte halbherzig. »War mal Unteroffizier in South Dakota.«

»Rühren!«, herrschte Stevenson den schmächtigen Kerl an, dessen hellblonde Haare strähnig auf die Schultern fielen. »Sie heuern nicht bei der Wohlfahrt an. Ich erwarte Respekt, Mut und Tapferkeit von Ihnen.«

Nach und nach trafen weitere Männer ein, die sich in einer losen Reihe neben dem Langhaarigen aufstellten. Sie hatten das gewünschte Alter und die drahtige Statur, die Stevenson seinem Gewährsmann im American genannt hatte. Sie würden eine vorzügliche Expedition abgeben.

»Hogg«, richtete sich Stevenson an den Langhaarigen. »Sie sind zuerst am Potomac gewesen und werden aus diesem Grund mein Adjutant. Sie sind mir allein unterstellt und geben die Befehle an die übrigen Männer weiter.« Er ließ den Blick über die versammelten Söldner schweifen. »Durchzählen! Einer nach dem anderen!«

Sie kamen auf sieben Männer, die allesamt eine schlecht geschmierte Stimme am Morgen zu einen schien. Die Hälfte krächzte erbärmlich, als wäre sie mit der Whiskeyflasche im Arm eingeschlafen.

»Was hast du vorher gemacht?«, schrie Stevenson einen der Männer an. »Ich brauche Trapper, Fallensteller, Scouts und Büffeljäger.«

Der Angesprochene fuhr zusammen und stotterte bei seiner Antwort. »Hab’ am Yellowstone nach Bibern gejagt, Sir. War ein guter Jäger! Bringe alles mit, was gefordert ist, Sir!«

Dass Präsident Harrison auch in der Wildnis von Wyoming gestürzt werden konnte, hatte Stevenson erst tags zuvor per Telegramm erfahren. Man hatte ihm die Anweisung erteilt, dass er auf schnellstem Wege eine Expedition von sechs oder sieben Männern zusammenstellen sollte, die binnen einer Woche in die Teton Range nach Wyoming aufbrechen konnte.

Der Gewährsmann hatte offenkundig Wort gehalten.

Er hatte Stevenson in die Hand versprochen, dass er ihm Männer schicken würde, die mit einer Winchester und Fangschlingen umgehen konnten. Sie würden einen guten Monat unter Stevensons Kommando stehen, bis die Lodge der Dugans gefunden war.

Kelly Dugan …

Dieses falsche Miststück von einem Weibsbild hatte sich nicht nur Archers geheimer Pläne bemächtigt, sondern sogar Pläne geschmiedet, Stevenson und die Übrigen heimtückisch zu ermorden. Allein Gottes Gnade hatten sie es zu verdanken, dass Kelly eine Kugel erwischt hatte, bevor die Gatling Gun die St. Augustine Church in Blut getaucht hatte.

»Hervorragend«, sagte Stevenson und hörte sich nacheinander die Berufe der anderen Männer an. Er fröstelte ob der Kälte am Fluss und rieb sich die Hände. »Ich könnte mir keine besseren Leute für dieses Unterfangen vorstellen.«

Inmitten des Nebels erschien ein Fischerkahn, der mit der Glocke läutete, als er auf die Strommitte hinausfuhr. Die Männer versammelten sich dichter um Stevenson und lauschten aufmerksam.

»Fünfhundert Dollar für jeden von Euch«, sagte der Major General und blickte ernst in die Runde. Er zog einen Bogen Papier aus der Tasche und hielt ihn Hogg unter die Nase. »Kannst du lesen?«

»Nicht besonders gut«, gestand Hogg ein und steckte sich die Haare hinter die Ohren. Er berührte mit der Hand flüchtig das Wachssiegel unter Stevensons Brief. »Bei allen guten Geistern! Ist vom Innenminister! Reginald Ferguson steht da! Ferguson!«

Die anderen Söldner zollten Hogg brummend Beifall und betrachteten den Brief ebenfalls neugierig. Keiner von ihnen schien annähernd so gut lesen zu können wie Hogg.

»Ferguson bürgt für euren Lohn«, trug Stevenson den fragenden Gesichtern um ihn herum Rechnung. »Ich verlange völligen Gehorsam von euch.« Er lächelte schmal. »Und dass ihr gegenüber jedermann die Schnauze haltet.«

Hogg grinste und nickte beflissen. »Bei fünfhundert Kröten hält jeder gern das Maul. Ich bin mit von der Partie, Major General.«

»Gegebenenfalls werdet ihr jemanden umlegen müssen«, gab Stevenson zu bedenken. Er studierte die angespannten Mienen der Männer. »Ich will nicht, dass jemand den Schwanz einkneift, wenn es dazu kommt. Ich brauche Entschlossenheit und Gefolgschaft.«

Aus dem Kreis der Anwesenden erhob niemand die Stimme. Die Söldner schwiegen so stoisch, dass für einige Minuten nur der krähende Ruf eines Wasservogels zu vernehmen war.

»Abgemacht«, sagte Hogg schließlich im Namen aller. »Fünfhundert Dollars in jede unserer Taschen. Ich mach’ gern Geschäfte mit der Regierung.«

»Ihr arbeitet nicht für die Regierung«, widersprach Stevenson mürrisch. »Ihr arbeitet ausschließlich für mich und befolgt meine Anweisungen.« Er faltete den Brief des Innenministers wieder zusammen. Sie mussten nicht wissen, dass das Schreiben nie über Fergusons Schreibtisch gegangen war. »Um fünf Uhr morgen früh stehen an der Binney Road Pferde für euch bereit.«

Die Nebelwand hatte sich fast aufgelöst und gab den Blick auf die trockenen Gräser am Ufer frei. Es hatte seit Wochen keinen Tropfen geregnet.

»Binney Road«, meinte Hogg und schaute die übrigen Männer an. Er stieß auf misstrauische Gesichter, die ihn um seinen Posten beneideten. »Seid zur Stunde vor Ort!«

Wenig später war der Potomac wieder sich selbst überlassen.

Durch den Canyon des Snake River wand sich ein Strom kristallklaren Wassers, der bisweilen schäumte, meist aber zahm und ruhig über das poröse Kalkgestein floss. Mit seinen unzähligen Biegungen und Windungen, die von dichten Pinienhainen gesäumt waren, bot er eine solch malerische Kulisse, dass Lassiter bis zur Fährstation von John Booth nicht ein einziges Mal aus dem Sattel stieg.

»Howdy, mein Freund!«

Der schmächtige Mann vor der Bretterhütte warf das löchrige Fischernetz zur Seite, als er den Fremden erspähte, und erhob sich von seinem Schemel. Er war unwesentlich jünger als Lassiter und streckte genüsslich die Arme in die Höhe.

»Mr. Booth?«, rief Lassiter. »Die Potters sandten mich zu Ihnen. Sie sagen, Sie seien die beste Art, über den Snake River zu gelangen.«

»Potter?«, antwortete Booth und lachte. »Mr. und Mrs. Potter vom Grocery Store in Alpine? Die beiden sind mir feine Leute.« Er hielt einen Schritt lang inne. »Stets schicken sie mir jemanden vorbei! Sie vergessen mich nie!«

Hinter Booth’ Hütte kamen ein kleinerer und ein größerer Fährkahn in Sicht, die säuberlich an einem Steg festgebunden waren. Die Bretter des Stegs leuchteten frisch; Booth musste ihn erst vor wenigen Wochen errichtet haben.

»Lassiter«, stellte sich der Mann der Brigade Sieben vor und schwang sich aus dem Sattel. Er klopfte auf die beiden ledernen Packtaschen, in denen Proviant und Colemans Papiere verstaut waren. »Wie viel soll’s zum anderen Ufer kosten?«

Die durchscheinend weiße Haut in Booth’ Gesicht zuckte einen Moment lang, als der Fährmann den Mund zu einem Lächeln verzog. Er hatte beinahe knabenhaft feine Züge, die nicht zur harten Arbeit in der Wildnis von Wyoming passen wollten. »Fünfundzwanzig Cent für das Pferd und zwanzig Cent für Sie.« Er hielt den Wallach beim Zaumzeug fest. »Wollen Sie weiter hoch in den Norden?«

Aus Colemans Hand hatte Lassiter lediglich eine dürftige Beschreibung der Dugan Lodge erhalten, die irgendein Informant vor Jahren angefertigt hatte, als Kelly Dugan ihren Eid auf die Brigade Sieben geschworen hatte. Der Bericht enthielt eine Schilderung der Anreise, die zur damaligen Zeit offenbar von Alpine aus erfolgt war.

»Fünfzig Meilen«, sagte Lassiter und zählte die Münzen für Booth ab. »Ich bin auf der Suche nach der Lodge von Montgomery Dugan und seiner Familie.«

Booth steckte die Münzen zögernd ein und begab sich zum kleineren der beiden Kähne. Er band das Boot los und zog es mit dem Bug auf den Ufersand. »Hinauf zu den Dugans? Sie haben hoffentlich einen Colt und ein Gewehr dabei?«

Wohlweislich hatte Lassiter den Remington im Holster bisher verborgen gehalten. Er schlug die Jacke beiseite und klopfte mit zwei Fingern auf den Griff der Waffe. »Ich bin gerüstet.«

»Sie werden’s brauchen!«, fuhr Booth ungerührt fort und trug ein größeres Ruder heran. Er begutachtete es und stützte sich darauf ab. »Die Dugans sind gefährliche Leute. Jedenfalls erzählt man sich einige Dinge über sie. Der alte Montgomery soll einmal einen Wagentreck beschossen haben, der über sein Land gefahren ist.« Er lachte erstickt. »Die Familie mag keine Gäste.«

Ohne ein weiteres Wort führte Booth den Wallach auf den Kahn und band den Führstrick lose an einem Sitzbrett fest. Das Pferd schnaubte durch die Nüstern und trat mit einem Huf gegen die Bordwand.

»Sind Sie mit den Dugans bekannt?«, fragte Lassiter und sprang ebenfalls an Bord. Er drängte sich an dem Wallach vorbei und strich dem Tier beruhigend über die Nase. »Sie müssen zwei Töchter haben.«

»Kelly und Rachel«, bestätigte Booth und stieß den Kahn sacht vom Ufer ab. »Die Ältere kam bisweilen vorbei und setzte über, wenn sie nach Alpine wollte. Sie hat sich irgendeine Stelle in Washington gesucht.« Er holte mit dem Ruder aus. »Ist ein hübsches Ding.«

Die gleiche Beklommenheit, die Lassiter beim Gespräch mit Matthews verspürt hatte, kroch wie ein bleierner Panzer seine Kehle hinauf. Er wollte nicht über Kelly reden, die durch seine Kugel gestorben war, und doch zog ihn die Unterhaltung mit Booth darüber an.

»Ich kenne Kelly«, sagte der Mann der Brigade Sieben nach einer Weile. Sie waren mit dem Boot schon in der Flussmitte. »Sie ist lebhaft und mutig.«

»Sie ist ein kluges Geschöpf«, pflichtete ihm Booth bei und sann nach. »Beim letzten Mal sprach sie eine Menge über ihren Vater und ihre jüngere Schwester Rachel. Der Alte wollte sie nie aus Wyoming fortgehen lassen.«

Kelly war fortgegangen, schoss es Lassiter durch den Kopf, sie war bis in alle Ewigkeit fortgegangen. Sie hatte sich über den Hades bringen lassen, den Totenfluss der alten Griechen, wie sich Lassiter in dieser Sekunde über den ungleich idyllischeren Snake River rudern ließ.

»Wie dem auch sei«, brach Booth das gespannte Schweigen der beiden Männer. »Sie sollten sich vor Dugan in acht nehmen. Er ist ein garstiger alter Kauz, dem sein Land über alles geht.« Er nahm das Ruder auf die andere Seite und ließ den Kahn herumkommen. »Ich will Sie nicht in ’nem Birkenholzsarg zurückschaffen.«

Der breite Kielbalken des Fährkahns schmirgelte über den Sand und blieb nach zwei oder drei Fuß darin stecken. Der Fährmann sprang ins Wasser und griff nach dem Seil.

»Dugan hin oder her«, meinte Lassiter und dirigierte den Wallach langsam rückwärts. »Ich muss hinauf zu seiner Lodge und eine Angelegenheit mit ihm besprechen.« Er nahm zwei Dollar aus der Tasche und reichte sie Booth. »Sie müssen darüber schweigen, Mr. Booth.«

Zögerlich nahm Booth die Münzen an und steckte sie in die Hosentasche. Er betrachtete seinen Passagier argwöhnisch. »Sie haben keine Gesetzlosigkeit vor, nicht wahr? Ich hätte Ihnen nichts über die Dugans erzählen dürfen.«

Die Gesetzlosigkeit hatte vier Tage zuvor in der St. Augustine Church stattgefunden, in der Lassiters Kugel einer Frau das Leben genommen hatte, die für die gleiche Sache gekämpft hatte wie er selbst. Die Tat war ein Frevel gewesen, und er würde sie sich nicht vergeben können, ehe er mit Montgomery Dugan gesprochen hatte.

Von dieser peinigenden Reue jedoch erfuhr Booth nichts.

»Nein«, sagte Lassiter. »Ich bin ein … Freund von Kelly. Ich muss Mr. Dugan eine Nachricht überbringen.«

»Eine Nachricht?«, zeigte sich Booth neugierig und winkte lachend ab. »Das arme Kind ist doch nicht tot, oder? Sie ist zu klug, um irgendwo in Washington draufzugehen. Sie wird eines Tages die Lodge erben und wieder etwas Sonne in diese finsteren Täler bringen.«

Schweigend nahm Lassiter den Wallach beim Führstrick.

Von den silbergrauen Flanken des Mount Moran leuchtete Rachel Dugan das blasse Morgenrot entgegen, das oft bis fast zehn Uhr am Vormittag anhielt und sich danach in gleißenden Sonnenschein verwandelte. Die klein gewachsene Rothaarige mit der Holzkette um den Hals verabschiedete sich von ihrem Vater und schleppte einen Korb voller Wäsche vor die Tür der Lodge.

»Bring ein paar Salbeiblätter mit!«, rief Mary Dugan aus der Küche und reckte den Kopf nach ihrer jüngsten Tochter. »Hörst du, Kleines? Ich brauche sie für den Rübentopf.«

Mit beiden Händen griff Rachel nach dem Wäschekorb und schleppte ihn zum Seeufer hinüber, ohne ihrer Mutter eine Erwiderung zu geben. Sie hatte es satt, das Dienstmädchen zu spielen, solange Kelly in Washington weilte und eine wer-weiß-welche Anstellung bei einem wer-weiß-welchen Krösus begleitete. Kelly hatte Vater nicht um Erlaubnis gefragt, wie es üblich war in der Familie, und jetzt musste die Jüngste zuhause ihre Drecksarbeit übernehmen.

Kelly, du dummes Ding …

Erschöpft ließ sich Rachel ins Gras zwischen den beiden Salbeisträuchern fallen, die ihre Eltern anlässlich der Geburt ihrer Kinder gepflanzt hatten. Sie waren inzwischen achtzehn und dreiundzwanzig Jahre alt und gediehen prächtig, was Rachels Vater Montgomery stets der gesunden Luft über dem weitläufigen Jackson Lake zuschrieb.

Rachel hätte Kellys Strauch am liebsten aus der Erde gerissen.

Sie hatte geahnt, dass ihre Schwester sich mit dem Gedanken trug, die Teton Range und den malerischen Jackson Lake zu verlassen, aber dass sie ihre Absichten gegen Vaters Willen durchsetzte, war für die Familie eine Überraschung gewesen. Fünf volle Tage hatte Vater damals getobt.

Ich muss fort, Rachel …

Vor demselben Wäschekorb hatte Kelly gesessen, als sie diesen Satz geäußert hatte, und sie hatte auf den Jackson Lake hinausgestarrt, wie es nur ein Mensch tat, der mit allem um ihn herum unglücklich war. Rachel hatte ihre Schwester verstanden.

Betrübt griff Rachel nach den Hemden im Korb und warf sie ins Wasser. Sie walkte die Kleidungsstücke einige Male und zog das Seifenstück unter dem Korb hervor. Sie hatten es in Alpine gekauft, und es war so teuer gewesen, dass Rachels Vater wie von Sinnen geflucht hatte.

Lass uns nicht allein, Kelly …

Das Betteln und Flehen hatte nichts genutzt, selbst nicht in jener letzten Nacht, die Kelly auf der Lodge verbracht hatte. Sie war entschlossener denn je gewesen, den Jackson Lake und die schneebedeckten Berggipfel gegen die Straßen von Washington D.C. zu tauschen.

Am darauffolgenden Morgen war Kellys Bett leer gewesen.

Sie hatte sich in aller Herrgottsfrühe aus dem Staub gemacht und ihnen lediglich ein Briefchen hinterlassen, in dem sie für ihren Eigensinn um Vergebung bat. Rachels Mutter hatte das Kuvert rasch in Sicherheit gebracht, bevor es ihrem Vater in die Hände fallen konnte.

Seither war Kelly nur für einen einzigen Abend zurückgekehrt.

Es war Vaters Geburtstag gewesen, und Kelly hatte ohne Ankündigung im Hof gestanden. Sie hatte den Hut abgenommen und die Familie angelächelt, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, dass jemand aus Washington nach Wyoming kam.

Kelly und ihr Vater hatten in dieser Nacht über Stunden hinweg geredet.

Danach hatte der Alte eine schwere Browning in Alpine gekauft, die fortan hinter der Haustür gelehnt hatte wie eine Stahl gewordene Drohung. Rachel und ihre Mutter hatten das zweistöckige Gästehaus leergeräumt, das seit Jahren niemand mehr nutzte, und sämtliche Besitztümer von Kelly hineingeschafft.

Über sein Gespräch mit Kelly hatte Rachels Vater nie wieder gesprochen.

Ein hell gefleckter Saibling riss Rachel aus ihren Gedanken.

Der Fisch reckte die Rückenflosse über die Wasseroberfläche, schlug vor den nassen Hemden einen Haken und schwamm zurück in die moosgrüne Tiefe des Sees. Er wurde zu einer unscharfen Silhouette, die bald ganz im Nichts zerstob.

Seufzend walkte Rachel die Hemden erneut und wrang sie nacheinander aus. Sie verspürte nicht die mindeste Lust, die Kleider auch noch kräftig mit Seife zu schrubben, wie es ihr die Mutter aufgetragen hatte, und hing sie nass über den Rand des Wäschekorbs.

Plötzlich sah Rachel den Reiter.

Er war eine bloße Silhouette wie der Saibling im Wasser und ritt einen Hang unterhalb des Mount Moran hinab. Sein Hut leuchtete in der Sonne und würde die Anwesenheit des Fremden auch Rachels Vater verraten.

Jesus Christus, die Browning!

Nach Kellys letztem Besuch hatte sich Rachels Vater zur misstrauischsten Seele des ganzen Tales gewandelt. Er hatte selbst die Holzfäller von der Jackson Hole Timber Company vertrieben, die öfter vorbeigekommen waren, um ihre Wasservorräte zu erneuern. An einem Sonntag hatte er den Männern sogar ein paar Kugeln hinterhergeschossen.

Hastig sammelte Rachel die nassen Hemden ein und klemmte sich den Korb unter den Arm.

Sie eilte zum Haus zurück, in dem sie ihren Vater bereits mit dem Gewehr hantieren hörte. Er schulterte die Browning gerade, als Rachel über die Schwelle trat.

»Vater!«, schalt Rachel den alten Dugan und stellte den Korb ab. »Du bist von Sinnen! Du fürchtest dich buchstäblich vor jeder Laus!« Sie eilte auf Dugan zu und umschloss mit beiden Händen seine Rechte. »Stell das Schießeisen weg!«

»Geh mir aus dem Weg!«, brummte Dugan und zog ein mürrisches Gesicht. Er war älter geworden in den letzten Jahren und hatte Falten unter den Wangen bekommen. »Du vergeudest bloß meine Zeit, Kind.«

Hinter Dugan war Rachels Mutter Mary aus der Küche getreten und hielt sich am Türstock fest. Sie war eine zierliche Frau mit blasser Haut und tief in den Höhlen sitzenden Augen.

Vorwurfsvoll deutete Rachel auf die Browning. »Er wird sich noch an den Galgen bringen!«

»Der Kerl ist auf meinem Land«, ließ Dugans Stimme den Flur erzittern. Er schaute seine Tochter verständnislos an. »Ich werd’ ihm beibringen, dass man sich in Wyoming kein X für ein U vormachen lässt.«

Grob stieß Dugan Rachel beiseite und marschierte aus dem Haus. Er spähte nach dem Fremden, der sich irgendwo am Mount Moran aufhielt und nichts von der bleischwangeren Begrüßung ahnte, die ihn erwartete.

Die beiden Frauen sahen sich an und seufzten fast im gleichen Moment. Mary Dugan zuckte mit den Schultern und kam auf ihre Jüngste zu. »Du weißt, wie er ist, Rachel. Du weißt doch, wie er ist.«

Sie kamen zu siebt und hatten für John Booth kein Wort des Grußes übrig.

Der Fährmann vom Snake River warf an diesem Morgen zum zweiten Mal das Fischernetz im Fluss aus, als er die Rotte Berittener mit ihren schwer bepackten Pferden bemerkte. Sie näherten sich von der östlichen Flussbiegung her, von jener steil aufragenden Felswand, die mit ihrem halb toten Bewuchs und der schroffen Geröllhalde am Fuß stets den grimmigsten Anblick im Tal bot.

Der Rittführer des Trupps war ein Mann mit strengem Gesicht und akkurat gezogenem Scheitel. Er trug einen Gehrock mit silbernen Knöpfen, auf denen ein Wappen oder ein Monogramm eingraviert war. Unter der Saumnaht lugten ein Holster und die glänzende Mündung eines Colts hervor.

»Sir«, trat Booth hinter der Fährhütte hervor und legte das Netz beiseite. Er hatte am Morgen einen halben Korb Forellen gefangen, die bis zum Wochenende reichen würde. Am Samstag kamen die Potters und brachten frisches Brot aus Alpine. »Wird ’ne ganze Stange Arbeit, Sie und die Leute über den Fluss zu bringen.«

Ohne Booth eines Blickes zu würdigen, stieg der Anführer von seinem Pferd und sah auf den Snake River hinaus. Er hatte die Anmutung eines Scouts oder eines Trailführers, der sich nicht gern in die Parade fahren ließ, aber seine Schutzbefohlenen ebenso wenig auf Umwege schickte. »Sie besitzen einen größeren Kahn, wie ich sehen kann. Ich sehe keinen Grund, dass Sie uns nicht vor der Dämmerung zum anderen Ufer schiffen könnten.«

Die übrigen Männer hatten einen losen Halbkreis um die Booth’ Hütte und den Fährmann gebildet und kauten lustlos auf ihren Tabakstreifen herum. Sie waren verschwitzt und staubig bis zur Halskrause, woraus Booth schlussfolgerte, dass sie bereits einige Tage und Nächte auf längere Rast verzichtet hatte.

»John Booth?«, fragte der Mann an der Spitze. »Sind Sie John Booth?«

Stärker und stärker kletterte Beklemmung in Booth’ Hals empor und schnürte ihm die Kehle ab. Er hatte mit Wegelagerern zu tun gehabt, mit Pinkerton-Detektiven und düsteren Agenten der Wells Fargo. Er hatte sie ohne Ausnahme über den Fluss gebracht und den 1851er Navy-Colt unter seinem Hecktritt nie anrühren müssen.

»Major General Parker Stevenson«, stellte sich der Truppführer mit Eisesstimme vor. »Ich bin mit meinen Leuten auf der Suche nach einer Lodge. Genauer gesprochen, die Lodge von Montgomery Dugan.« Er deutete über den Fluss. »Sie muss weiter nördlich am Jackson Lake liegen.«

Außer einem höflichen Lächeln brachte Booth kaum etwas zustande, das als würdige Entgegnung für einen Major General getaugt hätte. »Sir … Ich … Dugans Lodge?« Er lachte verlegen. »Jedermann will plötzlich zur Lodge von Montgomery Dugan.«

Die hellblonden Brauen über Stevensons Nase zogen sich zu einem Keil zusammen. »Jedermann? Wer ist vor uns hier gewesen?«

Erneut kam Booth nicht mehr als ein Lächeln in den Sinn. »Sprach ich von jedermann? Ich wollte … wollte nur sagen, dass hier und da nach der Dugan-Lodge gefragt wird.« Er winkte ab. »Nichts von Bedeutung.«

Auf ein Nicken des Major Generals hin glitten zwei Reiter von ihren Pferden und packten Booth unter den Achseln. Sie schleiften ihn zur Hütte und rammten ihn mit ganzer Kraft in die Bretter. »Halt den Boss nicht zum Narren, Kleiner! Ich kenn’ die Gegend wie meine Westentaschen. Oben am Jackson Lake gibt’s nicht viele Lodges, zu denen man reiten könnte.«

Aus dem Mund des Berittenen, der mit Booth gesprochen hatte, stank es nach Tabak und fauligem Atem. Er war größer als sein Gefährte, der sein Walten darauf beschränkte, die linke Schulter des Fährmannes wie eine Kaktusfeige umfasst zu halten.

»Gehorche den Herren Kettenhunden besser!«, rief Stevenson vom Pferd aus. Er spannte die Kiefermuskulatur an. »Ich will wissen, wer dich nach Dugans Lodge gefragt hat, zum Teufel!«

Jäh fielen Booth die Dollars ein, die ihm sein Passagier einen Tag zuvor dafür gezahlt hatte, dass er den Mund hielt. Er starrte dem Tabakkauer in die glasigen Augen und begriff, dass er sein Wort nicht würde halten können. Er sprach im Geist ein Stoßgebet, damit ihm wenigstens der Himmel den Meineid vergab.

»Red schon!«, zischte der Kerl mit dem stinkenden Atem. Er fletschte die Zähne und spuckte auf die Ufersteine. »Oder sollen wir dir den Magen aus dem Leib prügeln?«

»Er … Er muss längst auf der Dugan Lodge sein!«, stieß Booth hervor und äugte ängstlich zu den anderen Männern im Sattel. Er wusste, dass sie genauso wenig Spaß verstanden wie der Kerl mit dem üblen Atem und sein Kumpan. »Er ließ sich von mir den Weg zur Lodge beschreiben. Er steckte mir ein paar Dollar zu, damit ich den Mund halte.«

»Wie sah der Mann aus?«, verlangte der Major General zu wissen. Er rammte seinem Pferd die Sporen in die Seite und ritt näher. »Du tust gut daran, uns die Wahrheit zu sagen. Über einen ersoffenen Fährmann wird sich jenseits von Alpine kein Mensch wundern.«

Die unverhohlene Drohung trieb Booth den Angstschweiß auf die Stirn. »Er war groß und kräftig mit sandblondem Haar. Er trug einen Remington bei sich, den er unter der Jacke versteckt hielt. Ich sah den Colt nur, weil ich ihn vor Dugan warnte.«

Die Männer neben Booth warfen ihn erneut gegen die Hüttenwand. Die Bretter ächzten und knirschten und brachen an mehreren Stellen aus den Nägeln. »Was noch? Der Boss muss alles wissen! Woher kam er? Was hat er dir erzählt?«

»Er sagte nichts dergleichen!«, beteuerte Booth und wich vor der zornigen Miene des Kerls mit dem schlechten Atem zurück. »Er sprach bloß über Dugan und darüber, dass er ihn finden müsse. Er muss eine Rechnung mit dem Alten offen haben.« Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem gezwungenen Grinsen. »Wenn’s so ist, wird er längst tot sein! Dugan schießt auf jeden, der über sein Land kommt!«

Stevenson hielt seine Leute mit einem knappen Wink dazu an, Booth fürs Erste freizulassen. Er winkte einen weiteren Berittenen zu sich, den er George nannte, und sprach eine Weile mit ihm. Die Männer unterhielten sich so leise, dass Booth lediglich einige Wortfetzen mitbekam. Sie genügten jedoch, um dem Fährbesitzer begreiflich zu machen, dass es um ihn und sein weiteres Schicksal ging.

»Sperrt ihn in die Hütte!«, befahl Stevenson mit klirrend kalter Stimme. »Gebt ihm Fressen für eine Woche und vernagelt die Tür! Er soll uns nicht in die Quere kommen!«

Beschwichtigend rang Booth die Hände und trat auf den Major General zu. »Sir! Ich bereite Ihnen keinen Ärger! Kein Mensch wird von Ihnen und Ihren Leuten erfahren!« Er fiel auf die Knie. »Ich flehe Sie an! Ich muss meine Dollars verdienen!«

»Höre ich von einer verdammten Ratte«, lautete Stevensons prompte Antwort, »die du in dieser Woche über den Fluss schaffst, bist du ein toter Mann, John Booth? Du verstehst meine Worte!«

Noch ehe Booth ergeben nicken konnte, hatten ihn Stevensons Leute erneut ergriffen und zogen ihn hinter seine eigene Hütte. Er sah den Korb mit den Forellen rollen, den einer der Männer umgestoßen hatte, und fühlte Tränen über seine Wangen rinnen.

»Fort mit ihm!«, brüllte Stevenson hinter der Hütte. »Der Rest schiebt die Kähne auf den Fluss hinaus!«

Obwohl das Wohnhaus der Dugan Lodge wie ein Fort aus der grasbestandenen Uferebene der Moran Bay aufragte, verschmolz der Besitz der Familie Dugan auf eigentümliche Weise mit dem Land um ihn herum. Die Bauten der Lodge duckten sich in Senken und Erdmulden und waren von schlanken Pinien umgeben, deren Schatten die ohnehin unscheinbaren Dächer gänzlich verbargen.

Einzig das zweistöckige Gästehaus stach daraus hervor.

Das Gebäude musste in jenen Jahren erbaut worden sein, in denen sich die Lodge noch als Handelsposten begriffen und bisweilen Siedlertrecks aus dem Süden Quartier geboten hatte. Die verwitterte Aufschrift Hotel zeugte von dieser Vergangenheit ebenso wie das heruntergekommene Hitchrack vor dem Haus, an dem Lassiter die Zügel seines Pferdes festknotete.

Von den Dugans war nicht die geringste Spur zu entdecken.

Zwischen dem Gästehaus und der eigentlichen Lodge in der Ferne erstreckte sich eine eingefriedete Weide, auf der eine Handvoll Rinder graste. Der Rinderzaun bestand aus grob behauenen Pinienbrettern und folgte einem gestampften Pfad, der in einem weiten Bogen zur Lodge führte.

Zwei mächtige Pinien wachten über die Wohnstätte der Dugans.

Die beiden Bäume mussten bereits eine stattliche Größe besessen haben, als die Grundmauern des Hauses gelegt worden waren, denn ihre Wurzeln reichten bis unter die übereinander geschichteten Felsblöcke. An einem der Stämme hing eine Sense mit einem Schleifstein daran.

»Keine Bewegung!«

Der zornige Ruf kam so unvermittelt, dass Lassiters Hand zum Griff des Remington sprang. Der Mann der Brigade Sieben hielt den Griff umfasst und wirbelte um die eigene Achse.

Hinter einem Holzfass voller Regenwasser stand Dugan.

Er war ein auffallend klein gewachsener Mann mit runden Schultern, einem breiten Nacken und faltigem Gesicht. Das karierte Hemd über seiner Brust spannte, ebenso die Rindslederhosen, die von einem Gürtel mit einem texanischen Buckle zusammengehalten wurden.

»Keine verdammte Bewegung!«, wiederholte Dugan und trat mit seiner Browning im Arm hinter dem Fass hervor. »Sie reiten wohl gern auf fremdem Land herum.«

»Montgomery Dugan?«, fragte Lassiter und nahm langsam die Hand vom Remington. »Ich möchte zu Ihnen und Ihrer Familie.«

Durch Dugans ganzen Leib ging ein Zucken, das seine Nervosität preisgab. »Ich habe keine Familie, die Sie etwas angeht. Sie sollten von Glück reden, dass keine Kugel zwischen Ihren Rippen steckt.«

»Sie sind Kellys Vater«, erwiderte Lassiter ruhig und besonnen. »Sie sind der Vater von Kelly Dugan, nicht wahr?«

Durch die Pinienkronen rauschte eine Windböe und ließ Nadeln auf das Dach der Lodge rieseln. Die Männer waren mit einem Mal so schweigsam, dass allein dieses Geräusch die Stille um sie herum beherrschte.

»Was wissen Sie über meine Tochter?«, quetschte Dugan durch die zusammengepressten Zähne. »Sie lebt nicht mehr in Wyoming.«

»Sie ist in Washington D.C.«, gab Lassiter zur Antwort, »und stand in Diensten der amerikanischen Regierung.«

Weniger als eine Sekunde lang leuchtete Dugans Antlitz bei diesen Worten auf, doch die Zeitspanne reichte Lassiter, um den treusorgenden Vater unter den strengen Zügen des Lodgebesitzers zu erblicken. Er wusste mit einem Mal, dass Dugan seine Töchter am Jackson Lake behütete, dass er sie vom Übel der Welt fernhalten wollte und dass ihm Kelly mit ihren Brigade-Sieben-Plänen einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte.

»Sind Sie das Ehrengeleit?«, fragte Dugan tonlos und senkte dennoch nicht die Browning. »Sollen Sie mir sagen, dass sie tot ist? Dass meine Tochter nicht mehr nach Wyoming zurückkehrt?«

Nun kam der Moment der Wahrheit.

Etliche Male hatte sich Lassiter die Zusammenkunft mit Dugan ausgemalt, als er auf dem Ritt nach Alpine gewesen war. Er hatte die verhärteten Züge eines verbitterten Vaters vor sich gesehen, dem er würde mitteilen müssen, dass er, Lassiter, der Mörder seiner Tochter war. Er hatte vor seinem geistigen Auge einen weinenden Vater gesehen, einen zornigen, später einen fassungslosen und einen aufgebrachten Vater.

Nichts davon traf auf Dugan zu.

Der Mann mit der Browning blieb steif und unbeweglich neben dem Wasserfass stehen und zeigte nicht die kleinste Regung. Er sah Lassiter mit müden Augen an, als verlangte ihm bereits jenes bloße Verharren alle Kraft ab.

Dugan war ein gebrochener Mann.

»Sir«, sagte Lassiter und sammelte sich für das Folgende. »Ich bedaure zutiefst, Ihnen im Namen des Präsidenten und aller Institutionen des amerikanischen Volkes mitteilen zu müssen, dass Ihre Tochter Kelly Dugan in tapferer Ausübung ihrer Pflicht verstorben ist. Sie diente ihrem Vaterland auf außergewöhnlich mutige Art und Weise.«

Der hohle Klang dieser Floskeln, die er sich zurechtgelegt hatte, zermürbte Lassiter mit jeder Silbe stärker. Er kannte die Bedeutung derartiger Rituale, die man auch vor den Eltern gefallener Soldaten aufführte wie eine stumpfsinnige Schmierenkomödie, doch vor Dugan glichen diese Worte blanken Lügen. Kelly war elend zugrunde gegangen. Sie hatte bei der St. Augustine Church in ihrem Blut gelegen, nachdem Lassiters Kugeln ihr Dasein binnen weniger Augenblicke ausgelöscht hatten.

Sie war eine Heldin ohne Ruhm und Ehre.

»Was sagen Sie da?«, ließ sich Dugan vernehmen. Er sprach noch leiser als zuvor. »Zur Hölle, was sagen Sie da?«

Die düstere Nachricht, deren bittersten Teil Lassiter zudem noch ausgespart hatte, brauchte einige Minuten, ehe sie zu Dugan durchdrang. Sie stand wie ein widerwärtiger Gestank zwischen den Pinienstämmen und lauerte nur darauf, dass sie eingeatmet und aufgesogen wurde. Sie war ein Gift in unsichtbarer Gestalt.

»Montgomery!«

Hinter Lassiter ertönte eine helle Stimme, die vermutlich Dugans Frau Mary gehörte. Sie klang verängstigt und zitterte bei jedem Klang.

»Bleib beim Haus!«, befahl Dugan und sah zur Lodge hinüber. »Dieser Kerl behauptet, dass Kelly tot sei. Kein verdammtes Wort glaube ich ihm.« Er taxierte Lassiter feindselig. »Verstehen Sie? Kein verdammtes Wort davon!«

»Es ist die Wahrheit«, ließ sich Lassiter nicht beirren. Er vernahm ein Schluchzen in seinem Rücken. »Ich sage Ihnen die Wahrheit, Mr. Dugan.«