Lassiter Sammelband 1841 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1841 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2404, 2405 und 2406..
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

2404: Auge um Auge
Sacht glitt die Bugspitze des Ruderboots über die vermoderten Bäume im Wasser, als die Männer den Delaware River hinter sich ließen und in den Nebenkanal bei Maple Grove steuerten. Sie sprachen keinen Ton miteinander und lauschten den mahnenden Worten des Großmeisters. "Seid treu in der Sache der Bruderschaft", sagte der Grauhaarige auf dem Achtersitz. "Es ist von Bedeutung, dass wir unsere Leidenschaften vergessen und uns ganz in den Dienst unserer Brüder stellen." Sie hatten eine Handvoll

2405: Wer ohne Sünde ist
"Sie spricht schon seit Jahren kein Wort mehr. Ich bin ihre Stimme. Können wir bitte nach draußen gehen?" Die Frau zeigte zur offenstehenden Tür, und nach kurzem Zögern folgte Jennifer Ferguson ihr auf die Terrasse. Sie gingen ein paar Schritte, bevor sie nebeneinander vor der Brüstung stehenblieben und auf die Wiese schauten, die sanft zum Ufer des Anacostia River hin abfiel. "Was Sie mir geschrieben haben, klingt milde gesagt unerhört, Miss Bragshaw", sagte die Journalistin leise. "Aber

2406: Wer den Wind sät ...
Im Untergeschoss knarrte eine Tür. Elizabeth Summer fuhr aus dem Schlaf hoch und lauschte in die Dunkelheit. Über ihr sirrte ein Moskito, im Garten draußen sang eine Nachtigall. Täuschte sie sich, oder schlurften Schritte unten im Flur? Das Herz schlug ihr plötzlich hoch im Hals. Tatsächlich - da schlich jemand durchs Haus! Ein Bekannter von Rosemarie vielleicht? Ihr Hausmädchen ließ nachts, wenn es die Hausherrin schlafend glaubte, manchmal einen ihrer Liebhaber herein. Elizabeth hatte ihr das

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EPUB
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Seitenzahl: 404

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Jack Slade
Lassiter Sammelband 1841

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covermotiv: © Prieto/Norma

ISBN 978-3-7517-2992-5

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1841

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2404

Auge um Auge

Karte Washington D.C.

Lassiter 2405

Wer ohne Sünde ist

Karte Washington D.C.

Lassiter 2406

Wer den Wind sät …

Karte Washington D.C.

Guide

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Contents

Auge um Auge

Sacht glitt die Bugspitze des Ruderboots über die vermoderten Bäume im Wasser, als die Männer den Delaware River hinter sich ließen und in den Nebenkanal bei Maple Grove steuerten. Sie sprachen kein Wort miteinander und lauschten den mahnenden Worten des Großmeisters.

»Seid treu in der Sache der Bruderschaft«, sagte der Grauhaarige auf dem Achtersitz. »Es ist von Bedeutung, dass wir unsere Leidenschaften vergessen und uns ganz in den Dienst unserer Brüder stellen.«

Sie hatten eine Handvoll Gewehre, einen Strick und den Mundknebel aus altem Kork dabei. Die Männer sprangen über die Bordwand, banden das Boot an einem Holzsteg fest und verteilten die Ausrüstung.

Sie waren zum Töten gekommen …

» Schade um Schade, Auge um Auge, Zahn um Zahn; wie er hat einen Menschen verletzt, so soll man ihm wieder tun.«

Mose 3,24

Pennsylvania, vierzehn Jahre zuvor

Das Farmhaus am Carrington-Kanal war vom gleichen süßen Blumenduft erfüllt, den Ann Southwick schon bei ihrem letzten Besuch gerochen hatte. Er war mild und kraftvoll zugleich, wie der Geschmack von frischen Erdbeeren oder der jener köstlichen Eiscreme, die Anns Vater einmal mit dem Frachtschiff aus Boston mitgebracht hatte. Es war ein Geruch von lieblichem Frieden.

»Ann?«

Der großgewachsene Mann im Nebenzimmer, der soeben einen Erntedankkorb arrangiert und mit einer Schleife versehen hatte, war Anns ältester Onkel Gerry. Er hatte den längsten Bart, den die Sechsjährige je gesehen hatte, und züchtete die schönsten Rosen, die, so war Ann überzeugt, jemals in der Obhut eines Menschen gediehen waren.

Selbst jetzt roch das Mädchen das Rosenbeet vor dem Haus.

»Ann?«, rief Onkel Gerry erneut und erschien lächelnd in der Tür. Er verschränkte die Arme vor dem Bauch und bewunderte das stattliche Anwesen, das Ann aus Kissen, Decken und einem Servierwagen für ihre Puppen Esma und Sandy errichtet hatte. »Wolltest du mir nicht helfen?«

Aus dem erschrockenen Ausdruck in Anns Gesichtchen wurde ein entrüsteter; immerhin hatte sie vier oder fünf Stunden für das Puppenhaus geschuftet. Jedenfalls schwebte dem Kind mindestens eine solche Zeitspanne vor, und hätte Ann bereits die Uhr lesen können, wäre sie verwundert gewesen, dass Onkel Gerry sie erst vor einer halben Stunde allein gelassen hatte.

»Esma?«, fragte Onkel Gerry mit ernstem Gesicht und hockte sich vor die Puppenburg. Er hob die Zierdecke über dem Servierwägelchen an und starrte darunter. »Ich habe gehört, dass Lady Ann und Sie das Erntedankfest feiern? Ich bin enttäuscht, dass man mich nicht eingeladen hat.«

Nach dieser förmlichen Ansprache musste Ann kichern, und sie wusste nicht, ob es wegen Onkel Gerrys trefflichem Humor oder ihrer inneren Freude darüber war, dass ihre Mutter sie erneut ins Ellerson-Haus gelassen hatte. Sie liebte das Farmhaus mit den Rosen davor, die sich im angrenzenden Kanal spiegelten, wenn man zum Ufer lief und sich dort ins Gras setzte.

»Aber du bist eingeladen!«, rief Ann und sprang auf ihren Onkel zu. Sie herzte ihn und fuhr ihm durch die grauen Lockenhaare, die sie immer ein wenig an die Ozeanwellen in ihrem Robinson-Crusoe-Band erinnerten. »Esma und Sandy würden sich über deinen Besuch äußerst freuen, Onkel Gerry.«

Der Umworbene drückte seine Ehrerbietung durch eine Verbeugung aus und kehrte dann in die Wohnstube zurück. Als er den prall gefüllten Erntedankkorb zur Hand nahm, läutete die Glocke vor der Tür. »Bleib bei den Puppen, Ann! Ich bin gleich zurück!«

Wie ihre Mutter fragte sich auch Ann oft, aus welchem Grund Onkel Gerry nie geheiratet hatte. Er war von Verehrerinnen umgeben, die mit ihren rauschenden Röcken zu seinen Abendgesellschaften kamen und mit ihm angeregt plauderten, als wäre er die schillerndste Persönlichkeit von Philadelphia.

Er ist einsam, Ann … An seinen Augen sieht man das.

Wäre ihrer Mutter nicht im selben Moment Tränen über die Wangen gelaufen, hätte Ann geglaubt, dass sie kurz davor stand, sich vor Lachen zu krümmen. Sie hatte in ihrem Lehnstuhl gesessen und lachend über Onkel Gerry sinniert, der es nie geschafft hatte, ein vernünftiges Leben zu führen.

Aber Rosen züchten, ja, das konnte Onkel Gerry.

Das Mädchen griff nach Esma und Sandy, die im Dinierzimmer hinter dem Servierwagen hockten, und rannte in die Wohnstube hinüber. Sie wollte Onkel Gerry sagen, dass er doch eine ihrer Puppen zur Frau nehmen in Esma Manor , das Ann gebaut hatte, und ewig glücklich mit ihr leben könne.

Onkel Gerry jedoch war nicht allein.

Er stand inmitten einer Gruppe Männer, die Gewehre und Seile in der Hand hatten und finster dreinschauten. Einer von ihnen hatte ein Seil um Onkel Gerrys Hals gelegt und hielt es in dessen Nacken zusammen.

»Geh … geh zurück!«, sagte Onkel Gerry in ungewohnter Schärfe. Er war kreidebleich um Mund und Nase. »Geh zurück in den Salon, Ann! Spiel weiter!«

Das Zittern in der Stimme ihres Onkels machte Ann misstrauisch, obwohl sie zur gleichen Zeit wusste, dass Onkel Gerry keinen Schabernack mit ihr trieb. Er hielt eine Hand zur Faust geballt und blickte kurz zu einem der Männer um ihn herum.

»Uns bleibt keine Zeit«, sagte der ältere Mann, den Onkel Gerry anschaute. »Hängt ihn auf! Hängt ihn draußen an den Kronleuchter!« Er dämpfte die Lautstärke. »Vergesst die Zeichen nicht.«

Stumm und mit groben Handgriffen zerrten die Männer Onkel Gerry aus der Wohnstube, in der lediglich der umgekippte Erntedankkorb zurückblieb. Die Ananasfrucht lag noch im Korb, aber die Äpfel und die Pflaumen waren herausgerollt, ebenso der winzige kleine Kürbis, der Ann so gefallen hatte.

»Bleib im Salon!«, hörte Ann Onkel Gerry von draußen brüllen. Seine Stimme erstarb, und das Scharren und Kratzen von mehreren Händen und Armen war zu hören.

Sie tun ihm etwas an …

Instinktiv umklammerte Ann Esmas kleine Hand und wagte sich einen Schritt nach vorn. Sie trat auf eine Pflaume, die mit einem matschenden Geräusch zerplatzte.

Draußen im Flur konnte sie Onkel Gerry sehen.

Er hing mit violettfarbenem Kopf von dem teuren Kronleuchter, den er sich vor zwei Jahren von Vater aus Philadelphia hatte bringen lassen. Die kristallenen Glasschirme darauf schwankten mit ihm hin und her.

Die Fremden dagegen waren verschwunden.

»Sie sollten gehen!«

Der Widerstand der schönen Schwarzhaarigen vor ihm war solcherart halbherzig, dass Lassiter ihm beim besten Willen keinen Glauben schenken konnte. Er hielt den Nacken der jungen Frau umfasst, die ihrerseits die Hände gegen seine Brust stemmte, und küsste sie mit Leidenschaft.

»Sie sollten gehen …«, hauchte die Angestellte der U.S. Navy Yard Authority. »Es könnte sonst sein, dass ich mich gänzlich vergesse, Mr. Lassiter.«

Die Spannung zwischen dem Mann der Brigade Sieben und jenem berückend hübschen Geschöpf, das man in der Hafenbehörde dazu auserwählt hatte, ihm einen gültigen Passierschein für den Frachtdampfer Kellog auszustellen, war fast mit Händen zu greifen.

Sie hatten sich hinter den Werfthallen des Washington Navy Yard getroffen, jener Stätte des militärischen Schiffsbaus, deren rauchende Schlote und massige Speicherhäuser zu weithin sichtbaren Landmarken der Hauptstadt geworden waren.

»Sie dürfen sich vergessen«, raunte Lassiter und sog den Duft ein, der ihm aus dem Haar seiner schönen Gespielin entgegenschlug. Er umschlang die Taille von Terry oder Tiffany; sie hatte ihm ihren Namen nur im Flüsterton genannt. »Es wird niemand etwas von dieser Stunde erfahren.«

»Nun, Mister, darauf bestehe ich!«, bekräftigte Terry-Tiffany und riss die blassblauen Augen auf. »Dass Sie in der Werft sind, grenzt für mich bereits an ein Wunder. Sie müssen über gute Freunde im Oberkommando verfügen.«

Ob das Oberkommando der U.S. Navy überhaupt von seinem Aufenthalt wusste, war Lassiter ebenso schleierhaft wie die Herkunft des Telegramms, das man ihm im Ebbitt House überbracht hatte. Es musste aus der Hand von Charles D. Matthews stammen, dem einzigen Überlebenden des Attentats in der Kongressbibliothek, das kürzlich den gesamten Führungsstab der Brigade Sieben ausgemerzt hatte.

»Ich freunde mich selten mit jemandem an«, meinte Lassiter und grub eine Hand in die Locken der jungen Navy-Angestellten. Sie trug ein dünnes Kleid aus blauem Baumwollstoff, das die beiden schlanken Schenkel darunter erahnen ließ. »Ausgenommen schönen Frauen wie Ihnen.«

»Wollen Sie mir damit etwa schmeicheln?«, konterte Terry-Tiffany beleidigt. Sie entzog sich seinem Kuss und blickte auf den nächtlichen Anacostia River hinaus. »Keine Frau ist gern nur Blüte in einem großen Blumenstrauß.«

Sie hielt ihren Widerstand eine Weile aufrecht, ehe die Lust zurückkehrte und sie stärker denn je in einen Kuss mit Lassiter verstrickt war. Sie rutschte mit dem Hintern auf das Teerfass, das hinter ihnen stand, und spreizte zögerlich die Beine.

»Mir genügt der Passierschein völlig.« Respektvoll trat Lassiter einen Schritt zurück. »Ich möchte Sie zu keinen Dummheiten verführen, die Sie in einigen Stunden bereuen.«

Über das schmale Gesicht der Navy-Verantwortlichen glitt ein Schatten. »Treiben Sie Scherze mit mir, Mr. Lassiter? Sie verführen mich nach allen Regeln der Kunst und verlassen mich danach?« Sie hob das Kinn. »Falls Sie dazu willens sind, halte ich Sie tatsächlich für einen Schuft.«

Lassiter war in keiner Weise willens. Er knöpfte die Hose auf, ergriff die zarten Beine der jungen Frau und spreizte sie zärtlich. Als Terry oder Tiffany die Augen schloss und sich rücklings an die Hallenwand lehnte, wusste er, dass es zu keinen weiteren Einwänden kommen würde.

Einige Minuten darauf trieben sie es stöhnend.

Sie mühten sich nach Kräften, bei den Matrosen am Kai keinen Verdacht zu erregen, doch als Terry-Tiffany ein tiefes Seufzen entfuhr, gaben die Männer ihre Posten auf. Sie näherten sich langsam und wechselten dabei amüsierte Blicke miteinander.

Ehe sie den Mann der Brigade Sieben und seine Geliebte jedoch zu Gesicht bekamen, hielt Lassiter die schöne Angestellte auf den Armen und trug sie in die leerstehenden Lagerhütten neben der Werfthalle.

»Wie kräftig du bist!«, keuchte Terry-Tiffany und himmelte Lassiter aus glasigen Augen an. Sie war von ihrer Lust derart verzehrt worden, dass sie zu keinem klaren Gedanken imstande war. »Aber pass auf … dass du … Es gibt Wachen!«

Längst hatte Lassiter mit aufmerksamen Blicken die Gebäude in der Nähe abgesucht und war zu dem Schluss gekommen, dass ihnen von den Patrouillen keine Gefahr drohte. Er verschloss die Tür der Lagerhütte hinter sich und hob seine schwarzhaarige Eroberung auf einen Stapel bereits deklarierter Kaffeekisten.

Beim Anblick des nackten Leibes vor ihm vermochte sich Lassiter kaum im Zaum zu halten. »Uns stört in der nächsten Stunde keine Menschenseele. Ich brauche bloß noch den Passierschein.«

»Du bekommst ihn«, wisperte die junge Frau und griff mit der Rechten in ihre Rocktasche. »Es ist eine Sache von Minuten. Ich muss nur deinen Namen eintragen.«

Sie stöhnte unter Lassiters Stößen auf, die unvermittelt und hart kamen, als verlöre der Mann der Brigade Sieben die Geduld. Das Mädchen schloss die Augen, lehnte sich auf den Kaffeekisten zurück und winkelte vor Wonne beide Beine an.

Nach einiger Zeit beugte sich Lassiter über die Schwarzhaarige und griff sie bei den Schultern. Er ging jetzt ohne jede Rücksicht ans Werk, mit jener Grobheit, die jede Frau zu schätzen wusste, hatte sie dem Drängen eines Mannes erst einmal nachgegeben.

»O Lassiter!«, seufzte Terry-Tiffany und öffnete für einen Moment die Augen. Sie biss sich auf die Unterlippe und hielt Lassiters harten Angriffen weiterhin stand. »Noch fester, komm schon! Jawohl, noch fester, du verdammter Kerl, du!«

Die Lagerhütte war erfüllt von heißen Atemstößen, vom Scharren der Haut auf den Holzmöbeln, vom Geruch ihrer verschwitzten Leiber, die sich unaufhörlich einer völligen Ekstase näherten. Sie wechselten nur ein einziges Mal die Stellung, hielten sich dabei fest an den Händen, als könnte eine einzige falsche Bewegung die Magie des Augenblicks zerstören.

Dann kam es Lassiter. Er ergoss sich in den Schoß der jungen Frau, die ihn noch vor einer Stunde scheu von der Seite gemustert und genau dadurch zu erkennen gegeben hatte, wie weit sie zu gegebener Zeit gehen würde. Die Arme von Terry-Tiffany legten sich sanft um ihn, strichen über sein Brusthaar und verharrten auf den angespannten Bauchmuskeln.

»Passierschein«, sagte das Mädchen und lächelte. »Du brauchst jetzt deinen Passierschein, ich weiß.«

Das nebelverhangene Cape Charles war gerade zwei Meilen nördlich der Kellog vorübergezogen, als Nicholas Coleman in gewohnt bescheidener Art neben Lassiter trat und beide Hände auf die Reling legte. Er hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen, die fast gänzlich unter seinem buschigen Oberlippenbart verschwanden.

»Mr. Coleman«, grüßte Lassiter mit einem Kopfnicken, kaum dass der dröhnende Pfeifton abgeschwollen war. »Abgesehen davon, dass ich lieber mit dem Zug gefahren wäre, verwundert es mich doch sehr, Sie an Bord anzutreffen.«

Der alte Uhrmachermeister sah schweigend auf die Chesapeake Bay hinaus. »Der Ozean ist stets ein Mysterium«, sagte er nachdenklich, ohne auf Lassiters Worte einzugehen. »Er besänftigt die Seele und erinnert uns daran, woher wir stammen.«

Das Nebelhorn des Frachtdampfers schallte über die spiegelglatte See. Vom Bug der Kellog schäumten schneeweiße Wellenkronen heran, als der Steuermann das Ruder herumriss und den Frachtdampfer nordwärts auf Kurs brachte. Unter dem Deck waren die dumpfen Stöße der Dampfzylinder zu vernehmen.

»Der Ozean ist dunkel und leer«, erwiderte Lassiter und verschränkte die Hände über der Brüstung. Er fror in der Morgenkälte. »Er birgt viele Geheimnisse. Und was mich angeht, gibt es bereits genug davon.« Seine Gedanken schweiften zu den blutigen Schießereien, die er kürzlich im Herzen von Washington, im altehrwürdigen Ebbitt House, erlebt hatte. Er musste an den windigen Floyd Lester denken, der durch Lassiters Kugeln gestorben war und zuvor von einer ominösen Supreme Society berichtet hatte, deren Mitglieder sich selbst Supremisten nannten.

Es waren dunkle Zeiten für die Brigade Sieben.

Die einst so mächtige Organisation, die das Wohlwollen des Präsidenten genoss und Lassiter seit über einem Jahrzehnt mit Aufträgen betraute, war ohne Führungsstab. Eine ganze Riege von tapferen Männern war vor einigen Wochen in der Kongressbibliothek gestorben, getötet durch die Hintermänner jener Supreme Society , von der Lester in seinen letzten Sekunden gesprochen hatte.

»Gavin Bishop«, murmelte Coleman unvermittelt. Sein verschmitztes Lächeln wich einer ernsten Miene, die plötzlich noch düsterer wirkte als die schwarze See unter dem Rumpf der Kellog . Der Uhrmacher zog ein Kuvert unter seinem Gehrock hervor und reichte es seinem Gegenüber. »Wir gehen inzwischen fest davon aus, dass Bishop eine gewichtige Rolle innerhalb der Supreme Society innehat . Es scheint sogar der Fall zu sein, dass er in Philadelphia sein Ansehen aufpolieren will.« Er lächelte sarkastisch. »Der Mann sieht sich offenbar zu höheren Weihen berufen.«

Unter der verstärkten Lasche des Kuverts kam der übliche Stoß von Informantenberichten zum Vorschein, die Lassiter mit einem Finger durchblätterte, bevor er sie in den Umschlag zurückschob. Er erspähte hinter den Berichten weitere Dokumente, die offenbar seiner Tarnung dienen sollten. »Höhere Weihen? Was meinen Sie damit?«

Die Kellog fuhr jetzt in Sichtweite zu dem schmalen Inselstreifen, der sich südöstlich von Cape Charles erstreckte. Sie war seit dem Ablegemanöver im U.S. Navy Yard keinem anderen Schiff mehr begegnet.

»Bishop will vermutlich seinen Rang in der Supreme Society aufwerten«, nahm Coleman das Gespräch wieder auf. »Er befindet sich derzeit unter der Protektion der Großloge von Pennsylvania. Die Supremisten scheinen enge Verbindungen in den Tempel von Philadelphia zu unterhalten.«

»Freimaurer?«, zeigte sich Lassiter erstaunt. Er hatte auf andere, vor allem militärische Verstrickungen spekuliert. »Bishop gehört zur Bruderschaft?«

»Nach unseren Kenntnissen ist dies der Fall«, meinte Coleman und setzte wieder jene ernste Miene auf, die schon zuvor alle Heiterkeit aus seinem Wesen vertrieben hatte. »Vermutlich ist die Supreme Society sogar eine Untergruppierung. Es könnte sein, dass Bishop Rechenschaft ablegen muss, schließlich ist in Washington einiges nicht nach Plan verlaufen.«

Kaum merklich nickte Lassiter. Falls tatsächlich Freimaurer in das Komplott gegen Präsident Harrison verstrickt waren, war die Brigade Sieben gut beraten, mit höchster Vorsicht vorzugehen. Die Bruderschaft hatte – so munkelte man – in Washington ihre Hände häufiger im Spiel, als es für die amerikanische Demokratie gut war.

»Aus freien Stücken wird man mir kaum den Tempel aufschließen«, sagte Lassiter und starrte zum nebligen Ufersaum der Inseln hinüber. Er hatte genug davon, dass irgendjemand im Verborgenen mit ihnen anstellte, wonach ihm gerade der Sinn stand. »Ich brauche einen Vorwand, um nach Bishop zu suchen.«

»Sie erhalten deutlich mehr als einen bloßen Vorwand«, versprach Coleman und tippte auf das Kuvert in Lassiters Hand. Sein Lächeln kehrte sprunghaft zurück. »Sie finden darin geheime Dokumente aus dem Besitz von Charles D. Matthews, die Ihnen Tür und Tor bei den Gegnern der Freimaurer öffnen dürften.«

Die versprochenen Schriftstücke waren mit einem Baststrick zusammengebunden und mit einer kurzen Notiz ihres Besitzers versehen. Der Mann der Brigade Sieben erkannte die Handschrift von Matthews.

Gottes Segen und viel Glück, Lassiter.

Höflich geduldete sich Coleman, bis Lassiter die streng geheimen Unterlagen kursorisch durchgeschaut hatte. Er presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Mr. Matthews lässt Ihnen ausrichten, dass ihm bewusst ist, in welche gefährliche Lage wir Sie mit diesem Auftrag bringen. Sie sollten diese Dokumente als Gewähr für Ihre Sicherheit betrachten.«

Die Papiere enthielten Mitgliederlisten der Großloge von Pennsylvania, die offenbar über Vertreter in sämtlichen Bereichen des öffentlichen Lebens verfügte. Sie hatte Einfluss auf Schriftführer, Notare, Direktoren, Schatzmeister und Kommissare, die gleichermaßen dem Geheimbund die Treue geschworen hatten.

»Unsere Kontaktmänner in Philadelphia haben alles Nötige vorbereitet«, sprach Coleman weiter. »Sie treffen zunächst mit Mitgliedern der Independence League zusammen, die bereits etliche Jahre gegen die Großloge von Pennsylvania kämpft. Diese Männer und Frauen sind Partisanen, die jegliches Treiben der Freimaurer zutiefst verabscheuen.« Er legte die Stirn in Falten. »Sie schrecken dabei vor nichts zurück.«

»Anarchisten?«, fragte Lassiter. »Sie schicken mich zu Aufrührern und Gesetzlosen?«

»Revolutionäre«, verbesserte Coleman. »Die Mitglieder der Independence League verstehen sich selbst als Revolutionäre. Wie die Pariser Kommunarden.« Er stützte sich auf der Reling ab. »Das alte Europa hat wegen solcher Kerle nun ein anderes Gesicht.«

Zum zweiten Mal in dieser Stunde ertönte das Dampfhorn der Kellog , die in mäßiger Fahrt an einem Leuchtfeuer vorüberglitt. Die Männer trennten sich mit einem knappen Abschiedsgruß.

Das Deck des Dampfers lag wieder wie ausgestorben.

Die Wasserwerke von Fairmount wurden von einer antik anmutenden Säulenhalle bestimmt, die sich gleichsam der Akropolis über die grauen Einfassungsmauern und den breiten Strom des Schuylkill River erhob. Nördlich der Halle führte ein Landvorsprung an den Fairmountdamm heran, über dessen Staukante sich täglich gewaltige Wassermassen ergossen. Den Vorsprung schmückte ein Pavillon, der wie seine Schwestergebäude von schneeweißen Steinsäulen getragen war.

Unter dem Pavillon wartete der Todgeweihte.

Er vertrat jenen wohlhabenden Teil der Bevölkerung von Philadelphia, dem Adam Southwick und seine Familie zu früheren Zeiten ebenfalls angehört hatte. Mit seinem klangvollen Namen – Sir Richard S. Wellcroft – und seinem beträchtlichen Vermögen hatte er bisher ausschließlich Gutes für die Stadt getan, und falls ein Vergehen auf seinen Schultern lastete, kümmerte es Southwick nicht.

Sie waren die Todesengel für Wellcroft.

Außer Southwick hockten vier andere Männer hinter den Rhododendronbüschen, die sie zum Versteck erwählt hatten, und hinter den Männern kauerte Southwicks Schwester Ann. Er konnte im Dämmerlicht ihr zartes Gesicht erkennen, das von kastanienbraunem Haar umflossen war und dennoch keine Spur von Milde zeigte.

»Wellcroft«, sagte Southwick und wandte sich zu seinen Leuten um. »Er will sich mit Winston treffen, und ich habe nicht die Absicht, ihm oder den restlichen Kadavern dabei zuzusehen.«

Kadavern.

Sie hatten sich innerhalb der Organisation für eine Geheimsprache entschieden, die einzig von Angehörigen der League entschlüsselt werden konnte. Wäre es nicht dazu gekommen, hätte Southwick vermutlich dennoch Kadaver zu jedem Freimaurer gesagt.

Diese Bundesgenossen hatten kein anderes Wort verdient.

Auf ihre Weise waren sie bereits tot, wie es nur ein Kadaver sein konnte, der im Sonnenschein vor sich hin rottete. Die Freimaurer mochten an die Vervollkommnung des Menschengeschlechts glauben und befolgten doch nur blind Befehle, die irgendwo Böses stifteten oder dem Bösen die Hand reichten.

Zwischen den Männern erschien Ann und stieß ihn sanft in die Seite. Sie trug ihren Karabiner bei sich, mit dem sie inzwischen so geschickt umging, wie es für einen Angehörigen der Independence League erforderlich war. »Willst du nicht losschlagen, Bruderherz?«

Die Southwicks waren Feinde der Freimaurer, seit Solomon Southwick im Jahr 1827 seine Ernste Warnung vor der Freimaurerei veröffentlicht und ein Jahr später als anti-freimaurerischer Kandidat für das Gouverneursamt von New York angetreten war. Die Familie hatte auf die Gefahren hingewiesen, die von dem Geheimbund ausgingen, und war dafür angefeindet und verlacht worden.

Vor vierzehn Jahren dann war Adams und Anns Onkel Gerry gestorben.

Er hatte nichts verbrochen außer seiner Rosenzüchterei, die kaum der Grund für einen brutalen Tod wie den seinigen gewesen sein konnte. Er war von Freimaurern getötet worden, von Kadavern , wie Adam sie von diesem Abend an genannt hatte.

»Nur noch ein bisschen Geduld«, flüsterte Adam seiner Schwester zu. Er spähte zu Wellcroft, dessen hagere Silhouette unter dem Pavillon einem Scherenschnitt glich. »Er muss mit Winston zusammenkommen, sonst haben wir nichts in der Hand.«

Das Antlitz seiner Schwestern verschwand wieder im Halbdunkel, und Adam musste urplötzlich an die Weihnachtsabende in Southwick Manor denken, an denen sie sich hinter dem prall geschmückten Baum versteckt hatten. Er hatte seine Schwester nie an die Bediensteten verraten, die nach ihnen suchten, und Ann hatte ihm diesen Gefallen erwidert. Sie waren in diesem Alter wie Pech und Schwefel gewesen.

Edward Winston näherte sich von der Säulenhalle her.

Der amtierende Vorsitzende des Philadelphia Watering Committee hatte die Hände in den Taschen seines Gehrocks vergraben und zog ein missgelauntes Gesicht. Er steuerte auf den Pavillon zu und begrüßte Wellcroft mit einem knappen Nicken. Das anschließende Gespräch schien zunächst um Nichtigkeiten zu kreisen, die beiden Männern hier und da ein höfliches Lächeln abnötigten.

Als Wellcroft und Winston ihnen den Rücken kehrten, gab Adam das Zeichen zum Angriff.

Die Independence League hatte die Ermordung von Sir Richard S. Wellcroft, einem Freimaurer aus den erlauchtesten Kreisen der Großloge von Pennsylvania, von langer Hand geplant. Sie hatten die täglichen Wege des Mäzens ausgekundschaftet, hatten sich durch die Lieferantentür seines Hauses geschlichen und waren in seinem Schreibtisch auf Briefe gestoßen, in denen er mit Winston und dem Watering Committee korrespondierte. Sie hatten Belege für Zahlungen gefunden, die zwischen den Freimaurern und dem Komitee getätigt worden waren und bei denen es offensichtlich um einen Brunnen an den Kohlewerften der Reading Railroad gegangen war.

»Jack und Rand!«, zischte Adam und wies mit einer Hand auf den Pavillon. »Schnappt ihn euch vom Norden aus! Der Rest kommt mit mir und Ann!«

Die beiden Bewaffneten, die Adam beim Namen gerufen hatte, nickten und machten sich auf den Weg. Sie waren Cousins zweiten Grades von Ann und ihm, wie die meisten Kämpfer der Independence League auf die eine oder andere Art mit der Southwick-Familie verbunden waren. Was Adam anging, traute er niemandem, durch dessen Adern kein Southwick-Blut floss.

Noch gute fünfzig Yards waren es bis zum Pavillon.

Sie hielten sich nah bei den Sträuchern, von denen die Flanierpromenade gesäumt war, und Adam bewunderte seine Schwester, die konzentriert und ernst neben ihm herlief. Sie hatte sich nie gegen das Blutvergießen ausgesprochen, obwohl er wusste, dass sie rohe Gewalt verabscheute.

Wenig später schlugen Jack und Rand zu.

Sie packten den verdutzten Winston, dem auf Adams Geheiß hin kein Härchen gekrümmt werden durfte, und schleiften ihn mit raschen Schritten in den angrenzenden Rhododendronhain. Als sich der einige Schritte vorauslaufende Wellcroft nach seinem Begleiter umblickte, waren Adam und seine Leute schon zur Stelle.

»Zum Henker!«, stieß Wellcroft hervor und riss abwehrend die Hände in die Höhe. Er taumelte gegen das steinerne Geländer des Landvorsprungs und begann aus voller Kehle zu schreien.

»Halt’s Maul!«, brüllte Adam und rammte dem verhassten Freimaurer den Gewehrkolben gegen die Schulter. Er brachte Wellcroft zu Fall und legte auf ihn an. »Jetzt hast du’s gleich geschafft, Alterchen!«

Buchstäblich in letzter Sekunde erblickte Adam den Derringer in Wellcrofts linker Hand, der wirr auf ihn und seine Männer zeigte. Er betätigte den Gewehrabzug und jagte eine Kugel neben Wellcrofts Schädel in den Stein.

Zur gleichen Zeit krachte der Derringer.

Das gegnerische Geschoss riss einem von Adams Leuten den Hals auf, worauf sich Wellcroft aufrappelte und mit einem Satz in den Schuylkill River hinuntersprang. Er schlug mit einem klatschenden Geräusch ins Wasser und kam unweit des schäumenden Damms wieder zum Vorschein.

»Kümmere dich um Bax!«, schrie Ann Adam ins Ohr, ehe dieser so recht begriffen hatte, was sich soeben ereignet hatte. Er fasste Bax Mellerson beim Kragen, der sich den blutüberströmten Nacken hielt, und sah seine Schwester ebenfalls über die Brüstung springen.

»A-Adam!«, keuchte Bax neben ihm und klammerte sich an ihm fest. »Verdammt … Überall Blut …«

Die Männer standen gemeinsam auf und stützten sich am Handlauf der Brüstung ab. Sie schauten Ann nach, die im Wasser bis zu Wellcroft schwamm und dabei ihr Jagdmesser in der Hand hielt.

Als die junge Frau mit den dunkelbraunen Haaren Wellcroft erreicht hatte, zerrte sie ihn mit dem Arm an sich heran und schnitt ihm im Wasser die Kehle durch. Wenig später trieb der leblose Freimaurer mit der Strömung davon.

»Sie hat’s geschafft«, stöhnte Bax und wischte mit der verwundeten Schulter Blut an Adams Hand. »Das verrückte Huhn hat’s geschafft.«

Vor der reich verzierten Tempelfassade mit ihrem massigen Portal und den romanischen Fensterbögen nahmen sich die sechs Männer beinahe unscheinbar aus. Sie waren mit Landauern und Einspännern eingetroffen, die in angemessenem Abstand abgestellt waren und auf die Rückkehr ihrer Passagiere warteten. Die leisen Gespräche der Versammelten tönten als summendes Raunen über die stille Broad Street.

»Halten Sie!«, befahl Gavin Bishop seinem Kutscher und schob den Fenstervorhang zur Seite. Er behielt die Fremden vor dem Tempel der Freimaurer eine Weile im Auge. »Wenden Sie und bringen Sie mich auf die andere Straßenseite!«

Der Kutscher gehorchte mit einer gelangweilten Armbewegung, die jedoch ausreichte, um die beiden Kutschpferde zu einer vollkommenen Wende zu veranlassen. Die Männer beim Tempel hoben die Köpfe und folgen dem Gespann mit ihren Blicken.

Sie erwarteten Bishop bereits.

Die Abreise des First Lieutenant aus Washington D.C. war unter dem Eindruck der missglückten Operation um Commissioner Gerald Clark erfolgt, der in der Hauptstadt seine Nase in Dinge gesteckt hatte, die ihn partout nichts angingen. Die Supreme Society hatte zwar ihn, nicht aber seine Frau Judy ausschalten können.

Die Angelegenheit hatte an Bishops Plänen jedoch nichts geändert.

»Sir«, ließ sich der Kutscher vernehmen und hielt mit seinen weißen Handschuhen die Wagentür für Bishop auf. »Fünf Dollar für die Expressfahrt, Sir.«

Unwirsch kramte Bishop nach der geforderten Summe und behielt zugleich die Männer vor dem Tempel im Auge. Sie waren ohne Zweifel Freimaurer und gehörten vermutlich zum Vertrautenkreis von Großmeister Arthur Wolford.

»Verbindlichen Dank, Sir!«, murmelte der Kutscher, als er einen zusätzlichen Dollar in seiner Hand ausmachte. »Ich bin Ihnen jederzeit wieder zu Diensten.«

Wie auf ein stilles Kommando hin nahmen die Männer Bishop in ihre Mitte und geleiteten ihn mit raschen Schritten unter den mit Ornamenten verzierten Säulenbögen hindurch. Sie schlossen die schwere Holztür dahinter auf und ließen den Supremisten eintreten.

Das prunkvolle Treppenhaus dahinter schlug Bishop ganz in Bann.

Er schritt auf den Marmorfliesen dahin, deren streng geometrisches Dekor mit den geschwungenen Freitreppen zu seiner Rechten und Linken harmonierte, von denen der First Lieutenant wusste, dass sie aus kostbarem Tennessee-Marmor errichtet worden waren. Bishop hatte den Tempel von Philadelphia nie zuvor besucht, obgleich man ihm oft von dessen Reichtum und Eleganz erzählt hatte.

»Bruder«, sagte einer der Männer hinter ihm und berührte ihn sacht an der Schulter. »Wir müssen in diese Richtung.«

Sie wandten sich hinter den beiden Treppenaufgängen nach links und folgten einem nicht minder reichhaltig ausgestatteten Gang, von dem eine Tür in den Konferenzsaal des Großmeisters abzweigte.

Der Konferenztisch war bis auf den letzten Platz gefüllt.

An der Stirnseite saß Großmeister Arthur Wolford und blickte den Ankömmlingen mit erwartungsvoller Miene entgegen. Er war ein stattlicher Mann in seinen Fünfzigern, der seinen grau melierten Haarschopf streng zum Scheitel gekämmt trug. Als er Bishop unter seinen Mitbrüdern erkannte, deutete er schweigend auf einen leeren Stuhl an der Längsseite.

»Möge die Sache der Bruderschaft ewig sein«, sagte Bishop zur Begrüßung und setzte sich. Unterdessen verließen die Männer, die ihn hereingebracht hatten, ohne großes Aufheben den Saal. »Ich darf Ihnen höflichst und unter größter Wertschätzung die Grüße der Supreme Society übermitteln.«

»Die Brüder möchten der Society danken«, erwiderte Wolford und schwieg einen Augenblick lang. Er verschränkte die Hände ineinander und ließ sie auf der Tischplatte ruhen. »Gleichwohl muss ich unserem Bruder mitteilen, dass sein Schutz in der Großloge von Pennsylvania von kurzer Dauer sein muss. Es scheint sich zu bewahrheiten, was wir stets hinsichtlich der Independence League vermutet haben.«

Auch wenn Bishop an diesem Wochenende in den höchsten Rang unterhalb von Wolford aufgenommen werden sollte, verstand er kein Wort des Großmeisters. Er hatte um den Schutz der Großloge ersucht, und nach allem, was er wusste, hatte die Loge keinerlei Einwände geäußert.

» Independence League ?«, fragte Bishop konsterniert. »Ich bin auf den Schutz der Loge angewiesen. Die Kopfgeldjäger der Regierung verfolgen mich auf Schritt und Tritt.« Er sah sich in der Runde um. »Außerdem steht meine Initiation in den einunddreißigsten Logengrad bevor.«

Der Großmeister verwandte nun den Hochgrad, den Bishop unter den Freimaurern bereits genoss. »Gewiss, Ritter Kadosch, deiner Erhebung in den einunddreißigsten Rang stets nicht das Mindeste im Wege.« Er verstummte kurz. »Aber wie das Templertum im Sturm der Geschichte zerronnen ist, so müssen zunächst auch unsere Feinde zerrinnen.«

»Die Sühne ist nicht unsere Sache«, sekundierte Bishop sogleich und senkte den Blick. Er kämpfte gegen den brodelnden Strom aus Gedanken an, der durch seinen Kopf jagte. »Allerdings muss ich darauf bestehen, dass meine Brüder in Wahrheit zu mir sprechen. Die Independence League besorgt mich auf das Höchste.«

»Die League ist ein Bund von Verblendeten«, lautete die Antwort des Großmeisters. »Sie töteten vor zwei Tagen nahe den Fairmount-Wasserwerken unseren ehrenwerten Bruder Richard S. Wellcroft. Ich und die meisten meiner Brüder fürchten, dass uns dieser Tage ein Angriff auf den Tempel bevorsteht.«

Keiner der Brüder am Konferenztisch schaute Bishop offen ins Gesicht. Sie schauten auf die Schreibutensilien und Schriftstücke, die vor ihnen lagen, und überließen Wolford weiterhin das Wort.

»Die Loge schickt mich fort?«, fragte Bishop und strich sich nachdenklich durch den dichten Vollbart. »Ich muss die Großloge von Pennsylvania nicht daran erinnern, dass sie der Supreme Society Beträchtliches verdankt. Meine Hoffnung galt der Mildtätigkeit meiner Brüder.«

Betretenes Schweigen nahm den ehrwürdigen Konferenzsaal in Besitz und lähmte jede Zunge. Die Stille sank wie ein Grabtuch über den schweren Holztisch.

»Unser Bruder soll bei uns bleiben«, schob Wolford dem schwelenden Unmut einen Riegel vor. Er sah seine Mitbrüder aus Philadelphia, die ohne Ausnahme höhere Grade als Bishop besaßen, der Reihe nach an. »Es ist unsere heilige Pflicht, einen Bruder in Not zu schützen. Er mag sich der Loge ebenso nützlich erweisen, indem er seine Erfahrung im geheimen Kampf nutzt, um uns und den Tempel gegen die Independence League zu rüsten.«

Die Männer am Tisch taten durch leichtes Nicken kund, dass sie den Entschluss des Großmeisters für richtig hielten. Sie richteten die Blicke auf Bishop, dem inzwischen eine Last von den Schultern gefallen war.

»Meinen tief empfundenen Dank«, sagte der First Lieutenant. »Der Großmeister hat weise entschieden.«

Durch das Gewirr von morschen Anlegepfosten, die von der Hafenbehörde errichtet worden waren, konnte Lassiter die Uferlinie von Treaty Island kaum ausmachen. Er kniete auf dem spitz zulaufenden Bug des Ruderbootes, das ihn vom Frachtdepot der Reading Railroad herübergebracht hatte, und starrte in die sternenklare Nacht hinaus. Die glucksenden Ruderschläge hinter ihm verströmten einen eigentümlichen Frieden.

»Gott soll’s den Hafenfritzen heimzahlen!«, schimpfte der Bootsmann an den Rudern und holte mit seinen kräftigen Armen aus. Er war ein bulliger Kerl mit kernigem Gesicht und Beinen wie Baumstämmen. »Irgendwann graben sie die ganze Insel ab. War ein hübsches Fleckchen Erde vor ein paar Jahren! Gab ein Tanzhaus drauf und jede Menge Weiber!«

Sie hatten die Südspitze der Flussinsel im Delaware River fast umrundet und hielten auf den brüchigen Steg zu, den Colemans Gewährsmann Lassiter beschrieben hatte. Der Steg befand sich auf der Ostseite der Insel, fast entgegengesetzt zu den tiefen Gräben, die man am Westufer in die Insel getrieben hatte.

» Willows Grove ?«, fragte Lassiter und behielt das Inselufer sorgfältig im Auge. »Mir hat drüben einer im Frachthaus davon erzählt.«

» Willows Grove! «, bejahte der Ruderer erfreut. »War das ein Schuppen damals! Getanzt haben dort nur die Dirnen! Ich denk’ gern dran zurück!« Er atmete schnaufend aus. »Und jetzt sieh dir das Elend an! Kein Mensch hält’s auf der Insel aus! Keine einzige Menschenseele!«

Keine Menschenseele außer den Kämpfern der Independence League , ging es Lassiter durch den Sinn, und selbst für jene konnte die stockfinstere Insel kein gutes Versteck sein. Das Eiland konnte nur allzu leicht zur Falle für ihre Bewohner werden, vor allem wegen der rar gesäten Stege, an denen Boote oder kleinere Schiffe festmachen konnten.

»Endstation Treaty Island«, murmelte der Ruderer und schlang das Seil um den Pfahl. »Macht zwei Dollar. Zwei Dollar dazu für mein verschwiegenes Mundwerk.« Er grinste. »Konnte mir schon denken, dass Sie nicht auf Fremdenverkehr aus sind.«

Fast schon beiläufig drückte Lassiter dem Bootsmann die geforderten Münzen in die Hand und schwang sich auf den Steg hinaus. Er ließ sich die Mappe mit den Geheimpapieren aus Colemans Kuvert reichen und verharrte damit in der Hand, bis der Ruderkahn zu einem schwärzlichen Fleck auf dem Delaware River geworden war.

Dass er dabei beobachtet wurde, war dem Mann der Brigade Sieben nicht entgangen.

Der Fremde stand zwischen dem Strauchwerk an der Uferkante und hatte sich nur durch den metallischen Glanz seiner Gürtelschnalle verraten. Er war mit einem langen Mantel bekleidet und trug zerschlissene Wollhandschuhe gegen die Nachtkälte.

» Und du sollst nicht schonen «, zitierte Lassiter die vereinbarte Parole. » Leben um Leben, Auge um Auge. «

» Zahn um Zahn «, vervollständigte der Mann im Gebüsch den Vers aus dem fünften Buch Mose. » Hand um Hand, Fuß um Fuß. «

Der bläuliche Mondschein verlieh dem Antlitz des Fremden eine scharfe Kontur, die an ihrer Unterkante mit dem tiefschwarzen Mantelkragen verschmolz. Der Kontaktmann war von schmächtigem Wuchs und machte nur einen einzigen Schritt aus den Sträuchern heraus. »Mr. Lassiter, vermute ich? Sie haben Treaty Island tatsächlich betreten.«

»Es sprach nichts dagegen«, erwiderte Lassiter mit einem schmalen Lächeln. »Sie und Ihre Leute sind die einzige Adresse in Philadelphia, die es mir aufzusuchen lohnenswert erscheint.«

Die verschattete Augenpartie von Lassiters Gegenüber geriet ins Mondlicht. »Sie schmeicheln der Independence League , die lediglich eine kleine Revolte gegen einen übermächtigen Gegner ist.« Er trat einen weiteren Schritt aus dem Strauchdickicht. »Ich bin Adam Southwick.«

Im selben Moment stülpten zwei Hände einen Sack über Lassiters Kopf.

Der muffig stinkende Stoff quetschte dem großen Mann die Nase flach, nahm ihm den Atem und zog sich eng um seine Kehle zusammen. Die Hände zogen an seinem Hals eine Kordel straff und verknoteten sie fest.

Von Adam Southwick war plötzlich einzig noch die Stimme zu hören.

»Bring ihn rüber, los!«, zischte der Kontaktmann der Independence League , von der Colemans Vertrauter in höchsten Tönen geschwärmt hatte. Er fasste Lassiter beim Arm und zerrte ihn mit sich. »Ist das Tanzhaus so weit? Habt ihr alles dabei?«

Die andere Stimme gehörte einer Frau und klang angespannt. Sie hätte zu Ann Southwick passen können, der etliche Jahre jüngeren Schwester von Adam, die nach Colemans Kenntnissen ebenfalls für die League tätig war. »Was glaubst du, Adam? Dass wir dich nach all dem Ärger im Stich lassen?«

Aus Southwicks Worten sprachen Reue und Trotz zugleich. »Freilich nicht im Stich lassen. Aber ich bin’s nicht gewöhnt von euch, dass alles wie am Schnürchen läuft.« Er setzte den letzten Satz hörbar ab. »Ich bin’s nicht gewöhnt, kein bisschen.«

Sie bugsierten Lassiter über einige Treppenstufen und vergaßen dabei vollends, dass ihr Gefangener noch bei Bewusstsein war. Vor allem Southwick ließ seinen Gefühlen freien Lauf. »Erst das missratene Attentat, dann die geplatzte Versammlung. Ich wüsste bloß allzu gern, ob ich die Geschicke bald allein zu führen habe.« Er blieb neben Lassiter stehen. »Ich brauche euch, und zwar jeden von euch.«

»Mir brauchst du’s nicht zu sagen!«, verwahrte sich die Frau hinter Southwick. »Mir nicht, Adam. Ich stehe hinter der Sache. Aber der Rest … Er muss wieder daran glauben.« Sie seufzte tief. »Rand! Hilf uns, verflucht! Soll ich ihn auf den Schultern reinbuckeln?«

Binnen kürzester Zeit stemmten sich weitere Hände gegen Lassiters Rücken und schoben den Gefangenen eine Art Stiege hinauf. Der warme Atem von Southwicks Schwester wurde zu einer abgestandenen Whiskeyfahne, in die sich der Gestank fauler Zähne mischte. »Noch weiter, Adam? Er ist fast auf der Galerie!«

»Weiter hoch!«, kommandierte Southwick aus der Tiefe. »Knüpft ihm das Seil! Er soll am eigenen Leib spüren, was Verrätern und Spionen in Philadelphia blüht.« Er senkte die Stimme und flüsterte mit sich selbst. »Kadaver! Gottverfluchter Kadaver.«

»Ich hab sein Papierzeug«, rief Southwicks Schwester. »Es ist in Ordnung. Ich find’ kein Gift daran und auch kein verdammtes Kadaversymbol.«

»Leg es weg!«, knurrte Southwick dunkel. »Wir haben Dringenderes vor.«

Unter der Galerie, auf die Southwick und seine Leute Lassiter gestellt hatten, breitete sich der mit Laub und Unrat bedeckte Tanzboden des einstigen Willows Grove aus. Die Terroristen hatten dem Mann der Brigade Sieben soeben den stinkenden Jutesack vom Kopf gezogen und hielten ihn fest an den Schultern gepackt. Durch die von einem rostigen Stahlgerüst gestützte Glaskuppel über ihnen fiel bleiches Mondlicht.

Southwick stand in der Mitte des Tanzbodens und blätterte das Brevier durch, das Coleman im Auftrag von Charles D. Matthews für Lassiter zusammengestellt hatte. Das Oberhaupt der Independence League lächelte grimmig vor sich hin.

»Adam«, rief Ann Southwick hinter Lassiter. Sie war eine der beiden Personen, die ihn bei den Schultern hielten. »Es ist alles bereit. Ich muss ihn nur über die Kante stoßen.«

Von den rostigen Streben, die das mit Schmutz und Schlamm verschmierte Glasdach hielten, hing ein Galgenstrick mit einer zwanzig Zoll langen Schlinge herab. Die Männer hatten sie außerhalb von Lassiters Sichtfeld aufgehängt, würden jedoch nicht zögern, sie ihm auch um den Hals zu legen.

»Mr. Lassiter«, rief Southwick vom Tanzboden herauf. Sein Mantel war jetzt vom selben Grau wie das Interieur des verfallenen Lokals. »Sie sind ein Mann ohne Vornamen und großer Geheimnisse. Diese … Dokumente … sind äußerst aufschlussreich.« Er schaute zu seinem Gefangenen hinauf. »Ich würde gern erfahren, wie und aus welchem Grund Sie in ihren Besitz gelangt sind.«

Mit einem einzigen Ruck seiner Arme hätte Lassiter Ann und ihren Gefährten in die Tiefe stoßen können, aber er wusste, dass er damit die Tür zuschlagen würde, die ihn ins Herz der Independence League führen konnte. Er musste Southwick für sich gewinnen – und die Schriftstücke aus dem persönlichen Besitz von Charles D. Matthews schienen der geeignete Schlüssel dafür zu sein.

»Sprechen Sie!«, raunte Ann hinter ihm und quetschte mit der Hand seine Nackenhaut zusammen. »Uns ist ein gesprächiger Spion von größerem Nutzen als ein toter.«

Ruhig heftete Lassiter den Blick auf Southwick, dessen kantiges Gesicht noch immer wie eine Maske über dem Mantelkragen schwebte. »Die Aufzeichnungen stammen aus der Großloge von Washington D.C. und enthalten eine Liste sämtlicher höherer Grade in Philadelphia. Sie ist für einen Mann wie Sie von unschätzbarem Wert.«

»Zweifelsohne«, stimmte Southwick ihm zu und nickte bedächtig. »Allerdings kommen sie aus der Hand eines Mannes, der in keiner Weise unser Vertrauen genießt. Ich hege keinerlei Bedenken, was die Echtheit dieser Schriften betrifft, aber Sie müssen mir die Frage gestatten, aus welchem Grund Sie an unsere Tür klopfen.«

»Manchmal entsprechen die Absichten eines anderen den eigenen«, entgegnete Lassiter reglos. »Ich bin einem Mann namens Gavin Bishop auf der Spur, der sich in den Reihen der Freimaurer verbergen soll.«

»Lügner!«, zischte Ann hinter Lassiter und rammte ihm die Faust in den Rücken. Er stolperte einen Schritt nach vorn und erlangte das Gleichgewicht zurück. »Du bist selbst einer von ihnen! Sie verwahren ihre Schriften so geheim, dass keiner außer ihnen selbst herankommt.«

Das maskenhafte Antlitz Southwicks bekam einen belustigten Ausdruck. »Waren Sie einer von ihnen, Mr. Lassiter? Oder sind Sie es gar noch?« Er verzog den Mund zu einem Grinsen. »Ich darf Ihnen sagen, dass Sie kein Mitleid von uns erwarten dürfen, sollten Sie zu ihnen gehören.«

»Ich erfahre auch kein Mitleid, wenn ich Ihnen die Unwahrheit sage«, parierte Lassiter und lächelte seinerseits frostig. »Ich gehörte den Freimaurern an, bis sie einige meiner engsten Vertrauten und Vorgesetzten töteten. Sie haben möglicherweise vom Attentat auf die Kongressbibliothek in Washington gehört.«

»Sie vermuten die Freimaurer dahinter?«, zeigte sich Southwick interessiert. »Unsere Informanten gingen davon aus, dass es Ränkespiele innerhalb von Regierung und Kriegsministerium waren.«

Der Mann der Brigade Sieben lächelte weiterhin jovial. »Zumindest mag ich es nicht ausschließen. Ich muss Gavin Bishop finden. Er wird Licht in die Sache bringen.«

»Gavin Bishop.« Southwick sprach den Namen leise vor sich hin. »Ich wüsste nicht, dass ich von ihm bereits gehört hätte. Er soll sich in der Großloge von Pennsylvania befinden, sagen Sie?«

»Inzwischen müsste er eingetroffen sein«, erklärte Lassiter, der mit Coleman übereingekommen war, der Independence League in Sachen Bishop reinen Wein einzuschenken. »Ich muss mit ihm in Verbindung treten! Die Männer, für die ich arbeite, halten Sie und die Independence League für den verlässlichsten Weg.« Er deutete mit der Hand zu Southwick hinunter. »Wir bieten Ihnen diese und ein Dutzend anderer Dokumente, die ich in meinem Quartier aufbewahre.«

»Du kannst ihm nicht trauen, Adam!«, schaltete sich Ann in das Gespräch ein. Sie ließ Lassiter los und trat mit bebenden Händen an die rostige Galeriebrüstung. »Er ist keiner von uns. Er war womöglich ein Kadaver .« Sie starrte zu Lassiter. »So nennen wir dich und deinesgleichen.«

Die scharfe Anklage der dunkelhaarigen Frau hallte im einstigen Tanzsaal des Willow Grove wie ein Echo aus längst vergangenen Tagen nach. Sie trieb Southwick die Sorgenfalten auf die Stirn und brachte ihn zum Grübeln.

»Sollen wir ihn hängen?«, fragte der Kerl neben Ann. Er zog mit einem zweiten Strick die Galgenschlinge zu sich heran. »Er wär’ eine gute Botschaft an die Loge im Tempel.«

Flüchtig hatte Lassiter den gewaltigen Freimaurertempel an der Broad Street bereits besichtigt, der mit seinem streng gegliederten Eckturm und den romanischen Fensterbögen wie eine Festung aufragte. Er war eine Weile in der Nähe des Gebäudes stehen geblieben und hatte zwei Kutschen beobachtet, die davor gehalten hatten.

»Ich gehöre nicht länger zu den Freimaurern«, sprach Lassiter in die Stille des verfallenen Tanzsaals hinein. Er ließ Southwick nicht aus den Augen. »Ich habe mich von der Bruderschaft losgesagt.«

Mit einer einzigen Bewegung knickte Southwick den Umschlag zusammen, den seine Leute Lassiter abgenommen hatten. Er schritt unter der Galerie auf und ab und dachte eine Weile über seine Worte nach. »Aus der Bruderschaft tritt man nicht aus wie aus einer Stiftung. Sie müssen in Geheimnisse eingeweiht worden sein, die diesen … Kadavern … Ihren Mitbrüdern … von äußerst großer Bedeutung sind.«

Auch für diesen Einwand hielten die geheimen Handlungsanweisungen, die Coleman zusammengesucht hatte, eine geeignete Replik bereit. »Ich habe geschworen, die Geheimnisse der Bruderschaft zu wahren. Ich bin im Frieden aus den Kreisen der Freimaurer entlassen worden.«

»Und jetzt wollen Sie gegen ihre vormaligen Freunde kämpfen?«, spottete Southwick und lachte. »Sie wollen ans Messer liefern, wem Sie bei Ehre und Gewissen schworen, dass Sie ihnen nichts zuleide tun?«

»Nicht all meinen Brüdern«, betonte Lassiter. »Nur einem Einzelnen.«

Aus der benachbarten Wohnstube des Uhrmachermeisters schlug Charles D. Matthews der Geruch frisch gebrühten Holundertees entgegen, als er an den Auslagen mit den kostbaren Chronometern vorüberging und hinter die Ladentheke trat. Er schritt unter dem niedrigen Türstock hindurch, neben dem ein Vorhang angebunden war, der gewöhnlich Colemans Stube vor neugierigen Blicken bewahrte.

»Hermit«, sagte Matthews und brachte damit das Gespräch wieder in Gang, das draußen bei den Uhren zum Erliegen gekommen war. »Sein Name ist Jack Hermit. Ich kenne ihn aus Philadelphia.« Er nahm Coleman die Teetasse aus der Hand. »Wir können ihm trauen.«

Der Uhrmachermeister lächelte auf jene zurückhaltende Art, die Matthews in den letzten Wochen so an ihm schätzen gelernt hatte. Er trank einen Schluck und blickte Matthews eine Weile schweigend an. »Ich hätte Lassiter gern andere Nachrichten überbracht. Er war zwar einigermaßen guter Dinge, als ich ihn kürzlich auf der Kellog traf, aber der Tod von Kelly Dugan setzt ihm immer noch zu.«

Der Tod von Kelly Dugan stellte für jeden Einzelnen in der Brigade Sieben einen tragischen Umstand dar, obgleich das Gros der Agenten nichts von den tödlichen Schüssen an der St. Augustine Church im Herzen von Washington wusste. Kelly war einer Verschwörung auf der Spur gewesen, und sie war ausgerechnet an den Schüssen jenes Mannes gestorben, der die gleichen Ziele wie sie verfolgt hatte.

Lassiter …

» Kellog ?«, fragte Matthews und nahm in einem der Ledersessel Platz. »Sie haben Lassiter auf der Kellog getroffen? Er hätte bedeutend schneller mit der Eisenbahn in Philadelphia sein können.«

»Die Kellog erschien mir sicherer«, gab Coleman zur Antwort und setzte sich Matthews gegenüber. Er rührte ein Stück Zucker in den Tee. »Die Supreme Society hat derzeit Augen in ganz Washington D.C. Ich habe Spitzel von ihnen an allen Depots gesehen. Ich wollte Lassiter keiner unnötigen Gefahr aussetzen.«

Der samtene Geruch der Holunderblüten beruhigte Matthews’ aufgewühlte Gedanken. Er hatte die vergangenen Wochen seine Kontakte im Senat genutzt, um weitere Hintermänner der Supreme Society ausfindig zu machen. Seine Recherchen hatten zutage gefördert, dass das Ausmaß der Verschwörung weit größer war als angenommen. Und nach dem Attentat in der Kongressbibliothek, das den Führungsstab von einem Augenblick zum nächsten ausradiert hatte, hatte das Schicksal der Organisation allein in seinen Händen gelegen.

»Sie haben recht«, seufzte Matthews und drehte die Tasse in der Hand. »Ich sollte von unseren Männern nichts Unbarmherziges verlangen. Sie kämpften nach Kräften dafür, dass die Kongressbibliothek kein Schlussakkord für die Arbeit der Brigade Sieben wird.« Er trank einen Schluck. »Was haben Sie Lassiter aufgetragen?«

»Im Grund nur das Besprochene«, berichtete Coleman in ruhigem Ton. »Er wird sich in eine Widerstandsbewegung mit dem Namen Independence League einschleusen, die gegen die Großloge von Pennsylvania kämpft. Ich bin ausgesprochen guter Hoffnung, dass er auf diesem Weg an Gavin Bishop herankommt.«

»Wäre da nicht Ann Southwick«, brummte Matthews und stöhnte entnervt auf. »Die Ermittlungen von Jack Hermit in Bezug auf diese Frau kommen zur Unzeit. Ich wünschte, er hätte etwas anderes herausgefunden als das, was ich Ihnen gleich sage.«

»Hermit ist im Justizministerium?«, erkundigte sich Coleman und stützte sich grübelnd auf der Sessellehne ab. »Ich bin ihm nur ein einziges Mal begegnet.«

Die Standuhr schlug sieben und kam mit einem summenden Ton zur Ruhe. Sie gemahnte Matthews daran, dass er vor Einbruch der Dunkelheit zurück in seinem Quartier sein wollte. »Er ist Sekretär für einen Senatsabgeordneten und hat uns umgehend Bericht erstattet. Der Abgeordnete hat geäußert, dass Ann Southwick vor ein paar Jahren für ihn gearbeitet hat.«

Die wachen Augen Colemans sprangen zwischen Matthews Gesicht und der Tasse in dessen Hand hin und her. »Die Southwicks stehen hinter der Independence League . Sollte es geheime Erkenntnisse zu Ann Southwick geben, müssen wir Lassiter darüber unterrichten.«

»Aus diesem Grund sitzen wir zusammen«, bemerkte Matthews und stellte den warmen Holundertee auf den Tisch zwischen den beiden Männern. Er sah dem kräuselnden Dampf dabei zu, wie er in die Höhe stieg. »Unsere Kontakte im Justizministerium sind überzeugt, dass Ann Southwick der Supreme Society angehört.«

»Eine Supremistin?« Coleman flüsterte vor Erstaunen. »Sie ist eine Supremistin?«

»Sämtliche Erkenntnisse deuten in diese Richtung«, meinte Matthews mit einem Nicken. »Der Senatsabgeordnete, für den Hermit tätig ist, ist ebenfalls ein Supremist. Er war voll des Lobes über Ann Southwick. Wir gehen davon aus, dass es zwischen beiden eine Art romantische Liaison gegeben hat.«

»Nicht zu glauben«, stieß Coleman aus und trank aus seinem Teekrug. Er zog die Brauen zu einem Keil zusammen. »Die Mitgliedschaft von Ann Southwick in einem anti-freimaurerischen Bund wie der Independence League ist damit allerdings höchst widersinnig. Die Freimaurer und die Supreme Society sind wie Krähen, die einander kein Auge auskratzen.«

Der gleiche Gedanke war auch Matthews gekommen, als er mit Hermit gesprochen hatte. Er konnte und wollte vor Coleman, dessen guter Leumund außer Frage stand, keine Komödie aufführen. »Mr. Coleman, wir wissen nicht, was dahintersteckt. Sie könnte das Ziel haben, die Feinde der Freimaurer und der Society gleichermaßen im Auge zu behalten. In Pennsylvania steht die Mehrzahl der Supremisten dem Freimaurertum nahe.«

Das bedächtige Ticken der Standuhr eroberte Colemans Wohnstube einige Minuten lang für sich. Der Uhrmachermeister lehnte sich in seinem Sessel zurück und nahm einen tiefen Atemzug. »Ich erwarte Lassiters nächstes Telegramm in den kommenden Tagen. Er muss von dem Verdacht gegen Ann Southwick erfahren.« Coleman hob den Kopf. »Halten Sie es für wahrscheinlich, dass diese Frau ihren eigenen Bruder hintergeht?«

»Unsere Arbeit fußt zu oft auf Wahrscheinlichkeiten«, drückte sich Matthews salomonisch aus. »Ich möchte nicht darüber spekulieren, wozu die Supreme Society in der Lage ist. Sie ist eine mächtige Organisation.« Er schürzte die Lippen. »Mächtiger, als die Brigade Sieben es war.«