Lassiter Sammelband 1852 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1852 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2437, 2438 und 2439.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

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Seitenzahl: 398

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Jack Slade
Lassiter Sammelband 1852

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2019 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text und Data Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Norma/Boada

ISBN: 978-3-7517-4721-9

www.bastei.de

www.sinclair.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1852

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2437

Tote tanzen nicht

Lassiter 2438

Lassiter und die Nichte des Ranchers

Lassiter 2439

Die Nymphe und der Krieger

Guide

Start Reading

Contents

Tote tanzen nicht

Der peitschende Regen über den Chugatoh Mountains hatte die Männer bis auf die Haut durchnässt. Sie lagen mit ihren schweren Wintermänteln, die ihnen das Secret-Service-Büro in Puget Sound beschafft hatte, im Schlamm und starrten zur Hütte von John Babcock hinunter.

Der ärgste Feind der amerikanischen Nation war gerade erwacht. Er hatte sich das schmierige Ölzeug übergeworfen, das auf der Veranda gehangen hatte, und schritt die Otterfallen rings um das Haus ab. Bis auf ein winziges Biest, das wie am Spieß quiekte, hatte Babcock keine Beute gemacht.

Die Männer des Secret Service ergriffen ihre Gewehre und wischten sich das Wasser aus den Bärten. Sie hatten lange auf diesen Tag gewartet …

Nichts an diesem verdammten Morgen im Herzen Alaskas hätte John Babcock glauben machen können, dass vierzig Fuß von ihm entfernt ein halbes Dutzend Leute des Secret Service im Dreck lauerte und ihm ans Leder wollte. Er döste lang ausgestreckt auf der Pritsche seiner Hütte und lauschte dem prasselnden Regen auf dem Grassodendach. Neben dem Bett lagen seine Stiefel über Kreuz, wie sie ihm abends zuvor von den Füßen gefallen waren.

Für zivilisiertes Gebaren hatte Babcock keinen Grund.

Die gottgewollte Nation Amerika hatte ihn in die tiefste Wildnis getrieben, die sie in ihren Grenzen bereithielt, und sie hatte aus ihrem gefeierten Messias einen Abtrünnigen gemacht. Sie erinnerte sich kaum noch der Heldentaten, die Babcock in ihren Diensten vollbracht hatte, und täte sie es, wäre sie keineswegs stolz darauf.

Mutter Amerika hatte ihren treuesten Diener verbannt.

Müde und benommen schwang Babcock die Beine aus dem Bett, rieb sich die bärtigen Wangen und trottete zum Waschzuber hinüber. Er betrachtete sich in der Spiegelscherbe, die er mit rostigen Nägeln an der Wand angebracht hatte, und fragte sich, ob das verhärmte Augenpaar darin ihm gehörte. Er warf sich einen Schwall Wasser ins Gesicht und trocknete sich ab.

Streng genommen hatte ihn die Brigade Sieben im Stich gelassen.

Über Jahre hinweg war er für Washington im Dienst gewesen und hatte sogar in Kairo, Bombay, London oder St. Petersburg für die nationale Sicherheit gekämpft. Er hatte Diplomaten eliminiert, konspirative Schiffsladungen beaufsichtigt oder mit ägyptischen Stammesfürsten verhandelt. Er hatte diesem gottverdammten Land alles gegeben, was in seinen Kräften gestanden hatte.

Der Dank war eine verregnete Scholle Land mitten in Alaska.

Sie hatten Babcock die Hütte nach dessen letztem Einsatz aufgeschwatzt, der ihn in den Präsidentenpalast von Mexiko geführt hatte. Er sollte – so hatte es in einem Telegramm geheißen – wenigstens für fünf Jahre verschwinden.

Inzwischen waren neun Sommer verstrichen.

Sie hatten ihm keinen Kurier und keinen Brief gesandt, und der Mittelsmann in Sitka beschwichtigte Babcock jedes Frühjahr aufs Neue, dass man ihm eine handfeste Prämie für den Auftrag in Mexiko zahlen würde. Es ging um zehntausend Dollar, die vom Schatzministerium genehmigt werden müssten.

Ohne rechte Lust stocherte Babcock in der Beerensuppe vom Vortag herum.

Er stieß die klapprige Tür zur Veranda auf, nahm das Ölzeug vom Haken und warf es sich über die Schultern. Der Regen drosch auf das löchrige Vordach, das Babcock jeden verdammten Herbst flickte und das erst im Winter dicht wurde, sobald der Frost von den Chugatoh Mountains herabkam. Von Dezember bis März lebte Babcock ausschließlich von seinen Vorräten.

Die Otterfallen taten wenigstens gute Dienste.

Er hatte die Fallen in Sitka erstanden, von einem Inuit-Händler, der einen Bärenpelz getragen und ihn als Einziger in der Stadt wie einen Freund behandelt hatte. Die ganze Bootsfahrt hinauf zu den Chugatoh Mountains hatte Babcock an das Eingeborenengesicht gedacht.

»Dumme Ratte!«, stieß Babcock hervor und zog die zappelnde Falle unter den Brombeerbüschen hervor. Der Käfig enthielt einen fetten Otter, der mit gebleckten Zähnen kreischte. »Wird dir gleich vergehen! Wird dir gleich vergehen, Kleiner!«

Eilig zückte Babcock sein Jagdmesser, ließ mit einer Hand den Verschluss an der Falle aufspringen, griff mit der anderen nach dem Tier und schnitt seinem Fang den Hals auf. Das Kreischen verstummte so abrupt, wie das Leben aus dem winzigen Körper des Otters wich.

Im selben Augenblick traf Babcock ein harter Schlag in den Nacken.

Er ließ den Otter fallen und stürzte nach vorn in den Schlamm, bevor er sich von sechs Bewaffneten umringt sah. Die Männer richteten ihre Gewehre auf den einstigen Agenten und zogen düstere Mienen.

»Alles nimmt ein Ende, Johnny!«, knurrte der Älteste der Männer. Er hatte einen grauen Kinnbart und tief in den Höhlen sitzende Augen. »Manch einer hat dir die Blamage in Ciudad de México nicht verziehen.«

Der Gewehrschütze links von Babcock trat den toten Otter mit einem Stiefeltritt beiseite und holte mit dem Kolben seiner Waffe aus. Er rammte ihn dem früheren Brigade-Sieben-Mann in die Magengrube und trat einen Schritt zurück.

»Was … was wollt ihr?«, presste Babcock hervor und stöhnte vor Schmerz. Aus dem Schlamm heraus starrte ihn der tote Otter an. »Ich … ich hab’ kein Geld. Ich hab’ nichts, was ich euch geben könnte.«

»Wir brauchen nichts von einer Kanaille wie dir!«, zischte der Graubärtige. »Du sollst so elendig draufgehen, wie es unsere Männer in Mexiko getan haben!«

Drei oder vier Stiefelspitzen bohrten sich Babcock in die Rippen und nahmen ihm den Atem. Er hustete und spuckte den Schlamm aus, der ihm inzwischen in den Mund gekommen war. Der Regen hing wie ein Schleier zwischen ihm und seinen Peinigern. »Nichts … war geplant in Mexiko! Es war ein Unglück! Es sollte niemand sterben!«

Erneut traten die Männer um ihn herum zu und stießen ihm ihre Gewehrkolben in den Rücken. Der Graubärtige gebot mit einer Geste Einhalt und packte Babcock am Kragen. »Hör zu, Freundchen! Wir sind nicht gekommen, um uns deine Drecksausreden anzuhören! Wir sind gekommen, um unsere Freunde zu rächen!« Er lächelte. »Dem Otter ist’s besser ergangen als dir.«

Einer der Männer hob das tote Tier an und schleuderte es Babcock ins Gesicht. Das durchnässte Fell stank nach Erde und Blut.

»Hört auf!«, brüllte Babcock und hob abwehrend die Arme. »Ich habe etwas für euch … ein Angebot!« Er richtete sich halb auf. »Es ist ein lukratives Angebot für den ganzen Secret Service.«

Unten am Hafen ragten die Schiffsmasten der Molly Winter und der Imperial Star auf, von denen Lassiter wusste, dass sie an diesem Sonntag hinunter nach San Francisco fahren würden. Er hatte telegraphisch um die Abfahrtszeiten sämtlicher Küstenschiffe gebeten, als er noch im Northern-Pacific -Zug gesessen hatte. Bis er in Tacoma gewesen war, hatte Washington bereits geantwortet.

»Grog?«, fragte das Zimmermädchen und lächelte ihn an. Es hielt eine dampfende Kanne in der Hand. »Die Mischung des Steele Hotel ist in der ganzen Stadt bekannt.«

Der Mann der Brigade Sieben lächelte und zupfte sich den Kragenbinder zurecht. Er trug das gestärkte Hemd, das er tags zuvor in Tacoma erworben hatte, darüber schwarze Hosenträger und eine Weste aus dunklem Samt. »Das Steele Hotel dürfte sich nicht irren, Miss. Es ist die beste Adresse in der Stadt.«

Das Mädchen senkte beschämt das Haupt und goss Lassiter einen Krug heißen Grogs ein. Es legte eine Stoffserviette um das Glas und trug den Drink zum Bett hinüber. »Sie sind zu freundlich, Mister Lassiter. Ich wünschte von Herzen, dass Sie nicht nur zwei Tage bleiben würden.«

Für eine Sekunde blieb Lassiters Blick am Dekolleté des Mädchens hängen, dessen knöchellanges Dienstkleid ansonsten züchtig geschnürt war. Unter dem Saum des Kleides lugten rote Schühchen hervor, die für ein feuriges Naturell ihrer Besitzerin sprachen. »Wie ist Ihr Name, Miss?«

»Minnie«, erwiderte die junge Frau und stellte einen Teller Gebäck neben die dampfende Tasse. Sie trat ans Fenster und spähte zum Hafen hinunter. »Welchen Dampfer nehmen Sie? Wohin reisen Sie, Sir?«

Noch wusste Lassiter lediglich, dass man in Washington einen Fahrschein der Pacific Coast Steamship Company für ihn gebucht hatte. Er würde erst von seinem Mittelsmann Jerry Mercer erfahren, ob und aus welchem Grund er an Bord eines Dampfschiffs gehen würde. »Es ist zu früh, um etwas Endgültiges zu sagen, Miss Minnie.«

»Nennen Sie mich nur Minnie!«, bat das Mädchen und wirbelte zu Lassiter herum. Die Bedienstete hatte mit einem Mal rotglänzende Wangen. »Ich will’s Ihnen gerade heraus sagen. Sie haben mich angesehen vorhin … nun, wie ein Mann, der …«

Ohne jede Hast stand Lassiter auf und trat auf Minnie zu. Er fuhr ihr mit einer Hand durch das pechschwarze Haar und legte den Arm um ihre Taille. »Wie ein Mann, der …? Sprechen Sie weiter, Minnie.«

Das junge Dienstmädchen erzitterte am ganzen Leib, als Lassiters Hand zu den Pobacken hinunterglitt. Es schloss die Augen und küsste den großen Mann flüchtig. »Wie ein Mann, der sich auf Frauen versteht. Sie spielen nur mit mir, aber ich mag Ihr Spiel, Mister.«

Minnies tastende Finger zwängten sich hinter Lassiters Gürtel und pirschten sich bis zu der Beule in seiner Hose vor. Sie griffen nach seinem Pint und massierten ihn langsam.

»Man lässt in Tacoma nichts anbrennen, wie?«, fragte Lassiter und revanchierte sich an Minnie Bluse. Er öffnete einen Knopf nach dem anderen und ließ das Kleidungsstück von den Schultern der hübschen Schwarzhaarigen gleiten. »Ich bin durchaus bereit, mich örtlichen Gepflogenheiten zu beugen.«

Mit einem leisen Seufzen zerrte Minnie das Gürtelende aus der Schnalle und riss Lassiters Hose ganz auf. Sie packte seinen steifen Riemen und hielt ihn einige Sekunden lang nur fest. »Zumindest lassen wir keine Männer ziehen, die uns gefallen. Ich würde dich gern noch ein paar Monate behalten.«

Schweigend schnürte Lassiter die Korsage des Zimmermädchens auf und dirigierte Minnie mit sanfter Gewalt zum Bett. Er drückte die junge Frau in die Laken hinunter und bedeckte ihren prallen Busen mit Küssen.

»Gehst du bei jeder so ran?«, keuchte Minnie und vergrub die Hand in Lassiters sandblondem Haar. Sie presste seinen Kopf zwischen ihre Brüste und riss ihn wieder in die Höhe. »Spiel bloß nicht mit mir! Wer ein Feuer entzündet, muss es bändigen können.«

Den Beweis dafür blieb Lassiter nicht schuldig.

Er nahm Minnie mit harten Stößen, die sich auf den klapprigen Stahlrahmen des Bettes übertrugen und die übrigen Gästen des Steele Hotel dadurch zu unfreiwilligen Zeugen des Geschehens machten. Als es die ersten Faustschläge gegen die Wand hagelten, bremste Minnie Lassiters Eifer kichernd.

»Du hast noch nicht genug!«, stieß Lassiter erschöpft hervor. Er wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Oder irre ich mich?«

Geschmeidig umschlang Minnie seinen schwitzenden Körper und zog ihn auf ihren nackten Leib herunter. Sie erbebte unter der Berührung. »Du irrst dich keineswegs, Süßer. Aber du musst dich zügeln. Ich will meine Anstellung behalten.«

Aus ihrem zärtlichen Blickwechsel ergaben sich zartere Liebkosungen als zuvor; fast schien es, als würde das Feuer erlöschen, mit dem sie sich geliebt hatten. Nach und nach erkundete Lassiters Hand Minnies Geheimnisse, umfasste ihre zerbrechlichen Schulterblätter, glitt zwischen ihre schlanken Schenkel, verschwand im Kraushaar ihrer Scham.

Das Dienstmädchen stöhnte und wand sich dennoch vor Ekstase.

Entschlossen hielt Minnie Lassiters Finger fest, als sie auf ihrem pochenden Venushügel lagen, und kam mit einem gedehnten Seufzer zum Höhepunkt. Sie blinzelte Lassiter an, der steif und erregt neben ihren lag, und spreizte die Beine für ihn.

Eine halbe Stunde darauf ertönte ein Schiffshorn im Hafen.

Minnie setzte sich auf, lief splitterfasernackt zum Fenster und sah hinaus. »Die Imperial Star fährt hinunter nach Portland. Sie ist eines der schönsten Schiffe auf der Linie.«

»Über die Schönheit von Schiffen zu sprechen«, erwiderte Lassiter und betrachtete Minnie eine Zeitlang, »käme mir gerade wie Frevel vor. Ich würde lieber über deine Schönheit sprechen.«

»Über meine Schönheit?«, fragte Minnie und wandte sich zu ihm um. Sie bedeckte ihre Blöße nicht. »Was gäbe es darüber zu sagen? Es gibt viele Frauen, die ausgesprochen schön sind.«

»Und doch ist keine wie du«, lautete Lassiters Antwort. Er log nicht bei diesen Worten. »Ich wünschte selbst, dass ich noch ein paar Tage bleiben könnte.«

Sie vernahmen erneut das Schiffshorn, das inzwischen ferner und hohler klang. Der Mann der Brigade Sieben stand auf und zog sich an.

»Wohin willst du?«, wollte Minnie mit bangem Gesicht wissen. »Du sagtest an der Rezeption etwas von einem Herrn … Mercy?«

»Mercer«, erwiderte Lassiter. »Jerry Mercer.«

Durch den Glaseinsatz in der Abteiltür konnte Claire Thompson zumindest einen ihrer beiden Bewacher sehen, die sich gerade Drinks aus dem Salonwagen hatten bringen lassen. Der jüngere der beiden Männer trank einen Scotch, der andere redete über einen Bourbon, bei dem man das Eis vergessen hatte. Sie lachten miteinander und warfen hin und wieder einen gelangweilten Blick zu ihrer Gefangenen.

Unterdessen hatte sich Claire fast befreit.

Sie hatte zwei Finger unter dem verknoteten Hanfstrick hindurchgeschoben, mit dem die Secret-Service-Lumpen sie gefesselt hatten, und hatte den Knoten so weit gelockert, dass sie ein Handgelenk herausbekam. Es war höchste Zeit dafür. Vor dem Fenster zogen bereits die ersten Häuser von Tacoma vorüber.

Man schob eine Claire Thompson nicht nach Alaska ab.

Sie mochte den Präsidenten, den Senat und den Kongress getäuscht haben, indem sie den Auftrag verraten hatte, den sie im Namen des amerikanischen Volkes erhalten hatte. Sie mochte die Männer verbittert haben, die einer Tochter aus gutem Haus und glühenden Patriotin wie ihr geglaubt hatten. Sie mochte Special Agent Richard McBrayer in die Irre geführt und später in den Tod getrieben haben, nachdem die Sache aufgeflogen war.

Doch Claire würde nicht für diese Taten büßen.

Sie würde sich aus dem Staub machen, ehe jemand mitbekam, was sie im Schilde führte, und sollte es das Leben zweier Secret-Service-Hinterwäldler wie Montgomery und Paul kosten, so war das ein geringer Preis für Claires Freiheit. Sie würde sich nicht länger dem selbstgerechten Spott dieser Hornochsen aussetzen, deren größtes Verdienst die Bewachung eines Diners im Garten des Weißen Hauses war.

»Was treibst du da bloß, Claire?«

Die massige Gestalt von Montgomery Jackson, Special Agent aus Washington D.C., füllte die Abteiltür fast gänzlich aus. Er stützte sich mit dem Arm gegen den Stahlrahmen der Schiebetür und grinste.

»Mir ist langweilig«, erwiderte Claire trotzig und grinste ebenfalls. »Ich strecke mich bloß ein wenig.«

Sie hatten Claire mit der ganzen Herablassung eines Apparates behandelt, der Spione im Umfeld des Präsidenten per se als Gefahr für die nationale Sicherheit betrachtete. Der Secret Service mochte erfreut über die intimen Kenntnisse des spanischen Königshauses gewesen sein, die Claire aus Europa mitgebracht hatte, doch er hatte ihr auch zutiefst misstraut. Der Präsident war vor Claires Methoden sogar gewarnt worden.

Als ob diese bigotten Miesepeter davon etwas verstanden!

»Mach uns keinen Ärger!«, warnte Montgomery Claire mit scharfer Stimme und trat wieder zu Paul in den Gang hinaus. Die Mienen der Männer verdüsterten sich.

»Fahr zur Hölle!«, knurrte Claire zu sich selbst und zerrte das Handgelenk unter der Fessel hervor. Sie würde sich den Militärcolt schnappen, der in Montgomerys Holster steckte, und diese Dreckskerle über den Haufen schießen.

Vor zwei Tagen hatten sie Claire in Washington verhaftet.

Sie war gerade auf dem Weg zum Kolonialwarenladen von Adam Metcalf gewesen, als Montgomery und Paul aus einer Kutsche gestiegen und sie in eine Seitengasse gedrängt hatten. Die Secret-Service-Leute hatten ihre schmutzigen Hände unter ihr Kleid geschoben und süffisant verkündet, dass sie nach Alaska gehen würde.

Claire wusste inzwischen, dass John Babcock ihr die Suppe eingebrockt hatte.

Sie war dem Brigade-Sieben-Mann in Madrid begegnet, als sie gemeinsam einen amerikanischen Diplomaten gejagt hatten, der sich von der spanischen Krone hatte kaufen lassen. Sie hatten eine Weile gemeinsame Sache gemacht, aber dann hatte Claire die Gunst der Stunde genutzt und den Gesuchten zur Strecke gebracht.

Seither war Babcock nicht gut auf Claire zu sprechen gewesen.

Er hatte dem Secret Service ihre Geheimverstecke in Amerika und in Übersee verraten, hatte dafür gesorgt, dass sie nirgendwo länger ihre Ruhe hatte, und war ihretwegen sogar beim Präsidenten vorstellig geworden. Aus der geschätzten Spionin Claire Thompson war bald die gewiefte Schlange im Dienste ausländischer Mächte geworden.

Nun wollte der Secret Service ausgerechnet sie gegen Babcock austauschen.

Der Kerl sollte in die höchsten Kreise der Washingtoner Diplomatie zurückkehren, während sie in den morschen Wäldern Alaskas verrotten sollte. Sie sollte die Zeche für das Unvermögen der Brigade Sieben und des Secret Service zahlen.

»Montgomery!«, rief Claire und drückte den Rücken durch. Sie wusste, dass die Agenten an ihren Brüsten Gefallen gefunden hatten. »Scher dich rein und hilf mir auf! Ich kann nicht mehr sitzen!«

Der Secret-Service-Mann wechselte einen belustigten Blick mit seinem Begleiter und schob die Abteiltür auf. Er musterte Claire kühl und verschränkte die Arme auf dem Rücken. »Sprichst du in diesem Ton mit mir? Ich könnte leicht dafür sorgen, dass es dir noch miserabler geht.« Er feixte. »Die Fahrt hinauf nach Alaska wird kein Spaziergang.«

Claire vernahm das glucksende Lachen von Paul hinter Montgomery und verspürte noch größere Wut als zuvor in sich. Sie äugte verstohlen nach den blitzenden Coltgriffen, die unter Montgomerys Mantel hervorschauten. Sie musste die Waffe bloß erwischen, bevor Paul draußen auf dem Gang reagieren konnte.

»Glotzt mir ruhig noch länger auf den Busen!«, zischte Claire und drehte den Kopf zur Seite. »Ihr werdet nie kriegen, wonach ihr verlangt. Ich bin vielleicht in eurer Hand, aber –«

»Aber was?«, entgegnete Montgomery und neigte sich zu ihr herunter. »Denkst du, wir müssen auf ein dummes Weibsbild wie dich verzichten? Ich gebe dir mein Wort, dass –«

Keine Sekunde darauf hielt Claire Montgomerys Colt in der Hand und spannte den Abzug. Sie setzte ihn dem Secret-Service-Mann auf die Brust und drückte kaltblütig ab.

Die Kugel durchschlug Montgomerys Brustkorb und surrte mit einer Blutfontäne aus seinem Rücken. Sie bohrte sich ins Holz der Gepäckablage und blieb darin stecken. Der getroffene Montgomery starrte Claire verdutzt an und brach vor ihr zusammen. Die Spionin versetzte ihm einen Tritt und richtete den Revolver auf Paul.

Der andere Secret-Service-Mann hob die Hände und bettelte stumm um Gnade.

»Aus dem Weg!«, schnauzte Claire ihren Gegner an und stieg über Montgomery hinweg. Sie drückte ihm die dampfende Revolvermündung unter das Kinn und packte ihn beim Arm. »Gib mir die Fahrscheine! Und zwar alle!«

Zitternd griff Paul in die Tasche seiner Weste und holte zwei Billetts der Pacific Coast Steamship Company daraus hervor. Er fächerte sie fahrig auf und hielt sie Claire entgegen.

»Braver Junge!«, lobte Claire und nahm ihm die Fahrscheine ab. »Jetzt dreh dich um!«

Der Billardsaal von Jerry Mercer befand sich in der Calvin Road, unweit der Methodistenkirche von Tacoma, in Sichtweite des Spirituosenladens von John J. Anderson, der Lassiter auf die rechte Spur brachte. Er schickte den Mann der Brigade Sieben zu Mercers Portier und gab ihm den Rat, sich als erfahrener Pool-Spieler auszugeben.

»Referenzen?«, schnarrte der Portier und zog einen Zettelblock unter seinem Tresen hervor. Er war ein schmächtiger Bursche von höchstens fünfundzwanzig Jahren. »Gewonnene Spiele und Gegner?«

»Siebzig Spiele«, log Lassiter und rasselte einige Namen herunter, die ihm Anderson gegeben hatte. »Ich gewann gegen Moody, Ryan und Brunton.«

»Brunton?«, wiederholte der Portier und hob anerkennend eine Braue. »Sie können passieren, Sir. Der Billard Parlor von Mr. Mercer steht nur versierten Spielern offen.«

Drinnen herrschte stickige Luft wie in den meisten Spielsälen.

Die Billardtische waren über beide Längsseiten des Saales verteilt und mit je drei oder vier rauchenden Männern belegt. Das dumpfe Klacken der Kugeln, die sie mit ihren Queues in den Taschen versenkten, waren die einzigen Geräusche im Raum. Keiner der Spieler hob auch nur den Kopf, als Lassiter sich nach Mercer umsah.

Der Mittelsmann saß an einem Schreibpult hinter einer gläsernen Trennwand.

Er schrieb im Schein einer Petroleumfunzel Wettquoten auf und ließ bei Lassiters Anblick gelangweilt die Feder sinken. Seine rechte Hand bedeckte wie beiläufig die Zahlen auf dem Papierbogen. »Wie darf ich Ihnen helfen, Sir? Die letzte Wettrunde für den heutigen Tag ist geschlossen.«

»Ich komme für die Brigade Sieben nach Tacoma«, gab Lassiter zur Antwort. »Ich erhielt ein Telegramm mit Ihrem Namen.«

Jäh froren Mercers knabenhafte Züge ein. »Heiliger Gott, Sie sind bereits in Tacoma? Ich hatte Sie frühestens in zwei Tagen erwartet.« Er faltete die Papiere vor sich zusammen und verstaute sie in der Schublade des Pults. »Ich habe einen Auftrag für Sie, Lassiter.«

Kaum eine Viertelstunde darauf saßen die beiden Männer in Mercers aufgeräumtem Büro.

»Sie mögen sich über die Spelunke ein Stockwerk tiefer wundern«, sagte Mercer und lehnte sich genüsslich in seinem Sessel zurück. »Die Billardspieler von Tacoma sind anspruchslose Gesellen. Es muss ein paar Turniere in der Woche geben, anständige Wettquoten, ein paar Zigarren und Mädchen nebenan.« Er lächelte. »Sie kennen derlei Geschäfte?«

»Sie überraschen mich nicht«, räumte Lassiter ein. »Aber ich musste Ihrem Portier einige Märchen erzählen, ehe man mich einließ.«

»Sie hätten von Washington besser instruiert werden sollen«, seufzte Mercer und griff unter seinen Schreibtisch. Er warf ein braunes Kuvert auf den Tisch, das mit einem weinroten Wachssiegel verschlossen war. »Der Auftrag betrifft eine Spionin namens Claire Thompson.«

Ohne eine Regung betrachtete Lassiter das Kuvert vor Mercer. Er kannte Claire Thompson von einigen Gerüchten, die aus Washington zu ihm gedrungen waren. Sie hatte sich mit einem Brigade-Sieben-Agenten namens John Babcock angelegt.

»Sie kennen Claire?«, erkundigte sich Mercer. »Miss Thompson war in den letzten beiden Jahren die bevorzugte Privatagentin des Präsidentenbüros. Sie war in Europa und hat an den Königshöfen spioniert.«

»Wie unser Mann John Babcock«, stimmte Lassiter zu. »Es heißt, dass es zum Streit zwischen ihm und Miss Thompson gekommen sein soll. Er ist ins Exil nach Alaska gegangen.«

»Nicht ganz freiwillig«, bemerkte Mercer und legte eine Hand auf das Kuvert. »Sie werden die Fehde der beiden in den Berichten nachlesen können, aber ich sage Ihnen zunächst, dass unser Babcock den Kürzeren gezogen hat. Er seine Pflichten außerordentlich gut erfüllt und ist deshalb zum Feind des Secret Service geworden.«

»Secret Service?« Lassiter runzelte die Stirn. »Claire arbeitet für den Secret Service?«

Das Wachssiegel zersplitterte mit einem leisen Knacken unter Lassiters Fingern. Er fegte die Siegelstücke beiseite und klappte die Lasche des Kuverts auf.

»Falls Sie vor Miss Thompson einmal behaupten sollten, dass sie für den Secret Service arbeitet, gnade Ihnen Gott.« Mercer beugte sich nach vorn. »Sie dürfte den Colt früher geleert haben, als Sie sich entschuldigen können.«

»Ich habe nicht die Absicht, mich bei Miss Thompson zu entschuldigen.« Nacheinander zog Lassiter die einzelnen Informantenberichte aus dem Umschlag. »Sie hält sich derzeit in Tacoma auf?«

»Man könnte es so nennen«, meinte Mercer mit einem knappen Nicken. »Sie sollte in zwei Tagen oben in Sitka gegen unseren Mann John Babcock ausgetauscht werden. Der Secret Service hatte zwei Männer zur Bewachung abgestellt. Sie lagen beide tot in einem Northern-Pacific -Zug.«

Das Kuvert enthielt eine Zeitungsmeldung über die Toten, die man nahe dem Depot der Northern Pacific Railroad gefunden hatte. Sie waren aus nächster Nähe erschossen worden.

»Miss Thompson will sich offenbar mit einem Ticket der Pacific Coast Steamship Co. absetzen.« Der Mittelsmann ließ eine bedeutungsvolle Pause. »Ich möchte Ihnen nahelegen, dass Sie im Hafen nach ihr suchen. Miss Thompson muss sich vier Tage verstecken, ehe das Schiff in See sticht.«

Die letzten Dokumente im Kuvert waren Fahrpläne und Routenskizzen der Pacific Coast Steamship Co. , deren Emblem eine blaue Flagge mit einem roten Templerkreuz in der Mitte war. Die Pläne reichten von den Linien hinunter nach San Francisco bis zu den spärlichen Verbindungen hinauf nach Alaska.

»Sie sollten sich diskret verhalten«, riet Mercer und machte ein betretenes Gesicht. »Sie wären nach Babcock nicht der erste Brigade-Sieben-Mann, der Miss Thompson auf den Leim geht. Sie müssen diese Frau glauben machen, dass Sie insgeheim für den Secret Service arbeiten.«

»Für den Secret Service?«, erwiderte Lassiter und legte abermals die Stirn in Falten. »Sie hat zwei Secret-Service-Männer umgebracht.«

»Ich sagte nicht, dass Sie sich als Secret-Service-Agent ausgeben sollen«, ließ Mercer sich nicht aus der Ruhe bringen. »Sie sollen Miss Thompson lediglich glauben machen , dass Sie für den Secret Service arbeiten. Sie könnten ihr sogar weismachen, dass Sie im Auftrag der Brigade Sieben kämen, müssten aber bald Zweifel daran streuen.«

Grübelnd faltete Lassiter das Kuvert zusammen und steckte es ein. Er stand auf und sann über den irrwitzig klingenden Vorschlag des Mittelsmannes nach.

»Letztlich sollen Sie Claire Thompson gefangen nehmen«, sagte Mercer. »Vorher müssen Sie jedoch ihre Ziele in Erfahrung bringen.«

Tief ins Gesicht hatte sich Claire Thompson die Kapuze jener stinkenden Kutte gezogen, die sie auf einem Lumpenhaufen hinter der Taverne an den Fischerbootstegen gefunden hatte. Die Spionin wusste nur allzu gut, dass sie im Verborgenen bleiben musste, solange sich wegen der beiden Toten im Northern-Pacific -Zug die Gemüter in der Stadt erhitzten. Sie hatte sogar die Tickets fortgeworfen, die sie einem der Männer abgenommen hatte.

Nordwärts nach Alaska wollte Claire dennoch.

Sie wollte sich das dumme Gesicht von John Babcock nicht entgehen lassen, der im grimmig kalten Sitka ausharrte und darauf hoffte, dass der Secret Service ihn gegen Claire austauschte. Sie wollte dem Bastard in die Augen schauen, der dafür gesorgt hatte, dass man sie in Washington festgenommen und nach Tacoma verschleppt hatte. Noch sehnlicher wollte sie Babcock einen Dolch zwischen die Rippen rammen.

»Miss!«, grüßte Claire ein Seemann mit schwarzem Bart. Er tippte sich mit zwei Fingern an die Mütze und wandte sich nach der jungen Frau um, die ihm fast in die Arme gestürzt war. »Kann ich Ihnen helfen? Haben Sie sich verlaufen?«

»Nein«, gab Claire rasch Antwort und hielt das Haupt gesenkt. »Ich suche nach dem Heuerbüro der Pacific Coast Steamship Co . Es heißt, dass man ständig nach Tänzerinnen fragt?«

Der Seemann entblößte die Zähne zu einem hellen Lachen. »Miss, ich darf Ihnen sagen, dass es nichts Erfreulicheres für uns Matrosen gibt, als eine hübsche Tänzerin an Bord zu wissen. Die Queen of the Pacific heuert noch an.«

» Queen of the Pacific «, wiederholte Claire für sich und wandte sich zum Gehen. »Wie komme ich nun zum Heuerbüro?«

Mit wenigen Worten beschrieb ihr der Matrose den Weg und machte sich mit einem Pfeifen auf den Lippen davon. Als er zwischen den schwankenden Fischerbooten verschwunden war, brach Claire schnurstracks in die Richtung auf, die er ihr genannt hatte.

Am übernächsten Kai lagen vertäut die City of Topeka , aus deren erleuchteten Fenstern leise Pianoklänge drangen, und die Valencia , deren Laderaum soeben mit dem Gepäck ihrer Gäste gefüllt wurde. Die Tagelöhner aus dem Hafen schrien einander Kommandos zu und schoben ratternd Handkarren über die Holzbohlen des Decks.

Das Heuerbüro der Pacific Coast Steamship Company war in einer unscheinbaren Baracke hinter dem Liegeplatz der Valencia untergebracht. Es war mit einem rostigen Blechschild gekennzeichnet, unter das jemand eine Schiffsliste mit den dazugehörigen Routen geklemmt hatte. Die Leitung hatte ein blassgesichtiger Hänfling namens Thomas Brackett.

»Sie wollen Tänzerin sein?«, murrte Brackett und begutachtete Claire von Kopf bis Fuß. »In diesem zerfetzten Mantel? Ich sollte Sie eher zu den Gänsen in den Laderaum stecken.«

»Hören Sie, Mister«, erwiderte Claire und streifte die Kutte von den Schultern. Sie trug noch immer das schlichte weiße Reisekleid, das ihr die Secret-Service-Leute verschafft hatten. »Ich arbeite für den halben Lohn und tanze die ganze verdammte Nacht Cancan. Ich muss aus Tacoma heraus. Sie kennen den Mann nicht, der hinter mir her ist.«

Bracket schüttelte den Kopf und seufzte. »Solche Frauenzimmer wie Sie kommen mir jede Woche unter. Sie sollten sich Ihre Liebhaber sorgfältiger aussuchen.« Er blätterte in seinem Vergabebuch. »Ich könnte Ihnen eine Stelle auf der Queen of the Pacific anbieten. Sie fährt in zwei Tagen hinauf nach Alaska.«

»Alaska wäre recht«, gab Claire rasch zurück und beugte sich über Bracketts Tisch. Sie fühlte seinen Blick in ihrem Dekolleté. »Wie viel zahlen Sie mir? Welche Kajüte bekomme ich?«

Der Angestellte der Pacific Coast Steamship Co. sah von seinen Papieren auf. »Sie fahren nicht oft zur See, wie? Die Amüsiermädchen erhalten einen Schlafsaal auf dem Unterdeck. Sie bekommen fünf Dollar die Woche.«

»Fünf Dollar?«, zeigte sich Claire verärgert. »Ich soll für einen Dollar am Abend die Röcke lüften? Sie stellen keine unerfahrene Dame ein.«

Unwillig schlug Brackett das Heuerbuch zu und stand von seinem Tisch auf. Er schob sich an Claire vorbei und spähte durch das Fenster zur Valencia hinüber. »Wollen Sie den Job? Oder verschwenden Sie meine Zeit? Ich muss eine Mannschaft für jede unsere Fahrten finden.« Er schwieg einen Moment. »Sechs Dollar sind mein letztes Angebot.«

»Sechs Dollar scheinen mir annehmbar«, lenkte Claire ein und dachte sehnsüchtig an die Tage in Madrid zurück. Fünfhundert Dollar hatte sie jede Woche erhalten. »Aber ich will in Sitka von Bord gehen.«

Fragend drehte sich Brackett zu ihr um, als zweifelte er an seinen Ohren. »Sie wollen das Schiff verlassen? Sie wollen nur eine Fahrt mitmachen?« Er riss die Augen auf. »Sonst noch Wünsche, die Ihnen die Pacific Coast Steamship Co. erfüllen könnte?«

Schon bevor sie ihre Forderung geäußert hatte, war Claire bewusst gewesen, dass sie damit Ärger heraufbeschwören würde. Sie kannte schlichte Geister wie Brackett, die stets nur in den Grenzen ihres Daseins dachten und sich leicht manipulieren ließen. Sie musste nur herausbekommen, wie weit sie gehen konnte.

»Miss«, schlug Brackett einen großväterlichen Ton an. »Ich fürchte, Sie machen sich falsche Vorstellungen von der Queen of the Pacific . Dieses Schiff verfügt über zwei Masten, drei Decks und nimmt dreihundert Passagiere auf. Es ist vollkommen unmöglich, dass Sie lediglich für zwei Wochen anheuern.«

Vor dem Heuerbüro versammelte sich eine Gruppe Tagelöhner, die auf eine Anstellung im Hafen hoffte. Die Männer starrten einige Male durch die Fenster und wandten sich enttäuscht ab, als sie sahen, dass Brackett und Claire noch immer miteinander verhandelten.

»Ich verzichte auf einen Dollar«, bot Claire an. »Einen Dollar für die Freiheit, in Sitka die Queen zu verlassen. Ich brauche nicht mehr von Ihnen als ein Schreiben, das mich von Bord gehen lässt.«

Genervt raufte sich Brackett die Haare und ging zu seinem Schreibtisch zurück. Er stützte sich auf seine Ellbogen und hing schweigend seinen Gedanken nach. »Sie sind ein harter Brocken, Miss. Ich heuere Sie höchstens aus dem Grund an, dass Leute wie Sie gewöhnlich ihr Wort halten.«

Fast hätte Claire über die törichte Annahme ihres Gegenübers lachen müssen, so absurd kam ihr diese Vermutung vor. Sie hatte ihr Wort unzählige Male gebrochen, sowie es ihrem Vorhaben genutzt oder ihren Gegnern geschadet hatte. Sie konnte nicht glauben, dass Brackett so leichtgläubig war und dennoch einen solchen Posten für die Pacific Coast Steamship Co. bekleidete. »Sie sind zu freundlich, Mr. Brackett.«

»Von zu weichem Herzen!«, verbesserte Brackett und füllte einen Heuerschein auf. »Welchen Namen darf ich schreiben, Miss?«

Claire hatte sich längst für einen Tarnnamen entschieden. »Mary Savage, Baltimore. Ich bin erst vor wenigen Tagen angereist.«

Vor der Leichenhalle in der Jefferson Street hielt sich keine Menschenseele auf.

Das Totenhaus war im Keller eines dreigeschossigen Mietshauses untergebracht, dessen Fassade von einem halbrunden Treppenhauserker mit spitz zulaufender Turmhaube bestimmt wurde. Neben den hölzernen Einlasstüren hing ein Glockenseil, das über eine rostige Umlenkrolle ins Gebäudeinnere lief.

»Sind Sie ein Verwandter?«, fuhr der Totengräber Lassiter durch den Türschieber an. Er hatte das erste Läuten kaum abgewartet. »Sie dürfen einen Leichnam nur in Augenschein nehmen, sofern Sie ein Verwandter oder ein Bevollmächtigter sind.«

»Ich bin ein Halbbruder von Mr. Montgomery«, versicherte Lassiter und hielt ein gefälschtes Schreiben in die Luft. Er hatte es einige Stunden zuvor von Mercer ausstellen lassen. »Ich möchte den Toten sehen.«

Statt einer Erwiderung schob der Totengräber den Türriegel beiseite und ließ Lassiter eintreten. Er wies im Treppenhaus nach oben und schritt gleichzeitig auf die Kellertreppe zu. »Ist ein unhaltbarer Zustand, dass die Kinder dieser Familien über unseren Toten herumspringen. Es bräuchte ein paar Dollars, uns ein anderes Totenhaus zu errichten.« Er seufzte. »Aber wer gibt etwas für Verstorbene aus?«

Der Alte mit dem krummen Rücken betrat einen langen Gang, der von zwei Gaslampen in Gestalt vorsintflutlicher Drachen erhellt wurde. Er blieb vor der letzten Tür zu seiner Rechten stehen und wandte sich zu Lassiter um. »Sir, tut mir leid um Ihren Halbbruder. Er ist grässlich gestorben. Ich habe ihn hergerichtet, so gut es ging.«

Ernst und feierlich betätigte der Totengräber den Türknauf und ließ Lassiter den Vortritt. Er blieb auf der Schwelle des kärglich eingerichteten Raums stehen und faltete die Hände vor dem Körper.

Auf der stählernen Trage vor Lassiter lag Anthony Montgomery.

Das Antlitz des Secret-Service-Mannes war bereits balsamiert worden und glänzte im Schein der Talglampe, die über seiner durchlöcherten Brust an der Decke hing. Seine Wangen waren eingefallen und vermutlich mit Holzwolle ausgestopft worden. Die tiefe Schusswunde in seiner Brust war ausgewaschen worden.

»Standen Sie sich nahe?«, fragte der Totengräber und mied Lassiters Blick. »Es gibt einige Habseligkeiten, die wir im Northern-Pacific -Zug gefunden haben. Er hatte eine Waffe und ein Messer bei sich, daneben ein Tagebuch und eine Fahrtentafel der Pacific Coast Steamship Company .«

Unwillentlich hatte Lassiter das Dossier vor Augen, das man Mercer telegraphisch zu Paul und Montgomery durchgegeben hatte. Die beiden Secret-Service-Agenten waren verheiratet gewesen und hinterließen zwei junge Frauen. Eine von ihnen erwartete ihr erstes Kind. »Wir kannten uns kaum. Er verließ unser Elternhaus, kaum dass er seinen zwanzigsten Geburtstag gefeiert hatte.«

»Traurig«, seufzte der Totengräber und starrte auf die Holzschwelle zu seinen Füßen. »Es gibt zu viele Menschen, die allein durchs Leben ziehen. Er ist durch diesen Schuss gestorben. Von einer Sekunde zur nächsten, binnen eines Zwinkerns …«

»Er wollte diesen Beruf«, meinte Lassiter und ging um Montgomery herum. Die Kugel musste längs durch das Herz des Agenten gegangen sein. »Wo ist sein Kamerad? Mr. Paul?«

»Sir, ich bedaure!«, wehrte der Totengräber mit einem Händefuchteln ab. »Wie ich schon sagte, darf ich Sie höchstens zu Ihrem Angehörigen lassen. Er starb auf ähnliche Weise, so viel steht fest. Er hatte drei Karten für einen Pacific-Coast -Dampfer bei sich.«

»Drei Karten?«, fragte Lassiter. »Können Sie mir sagen, für welchen Dampfer?«

»Für die Lincoln «, gab der Totengräber nach längerem Zaudern preis. »Ich dürfte Ihnen nichts davon sagen. Die Fahrscheine hat Sheriff Emerson bei den Docks gefunden.«

Die Revolverkugel, durch die Montgomery gestorben war, hatte den Agenten des Secret Service in einem spitzen Winkel getroffen. Sie hatte den unteren Brustkorb durchschlagen und war – gemäß der Skizze an der Wand hinter Montgomery – auf Höhe seines linken Schulterblattes wieder ausgetreten.

»Das Tagebuch darf ich Ihnen zeigen«, warf der Totengräber in seiner Verlegenheit ein. »Ich meine … Sie sind mit ihm verwandt. Es ist unsere Pflicht, Ihnen als einem Angehörigen Linderung in Ihrer Trauer zu verschaffen. Sie müssen sich darüber wundern, dass –«

»Wo ist sein Tagebuch?«, schnitt Lassiter dem Totengräber das Wort ab. »Ich möchte es lesen und später seiner Gattin zukommen lassen. Es sind seine Gedanken und Worte.«

»Sie haben vollkommen recht«, pflichtete ihm der Totengräber beflissen bei und hielt die Tür auf. »Kommen Sie, kommen Sie! Es ist alles im Nebenzimmer!«

Die Männer begaben sich in eine Kammer auf der anderen Seite des Ganges, in der auf einem Tisch die letzten Besitztümer von Anthony Montgomery ausgebreitet lagen. Sie umfassten den Militärrevolver, den Bedienstete des Secret Service gewöhnlich bei sich trugen, einige Gepäckstücke mit Kleidung, einen Dolch und das in Leder geschlagene Tagebuch des Agenten.

»Gewiss wollen Sie ungestört sein?«, sagte der Totengräber von der Tür aus. »Sie finden mich nebenan im Kabinett. Ich muss einige Bestattungen vorbereiten.«

Kaum war die Tür hinter dem Totengräber ins Schloss gefallen, griff Lassiter nach Montgomerys Tagebuch und schlug es auf. Er blätterte die letzten Einträge durch, die von der Northern-Pacific -Fahrt herüber von Independence handelten. Sie waren gespickt mit Anekdoten über Claire Thompson.

Die Spionin musste eine furchtbare Gefangene gewesen sein.

Offenbar war es bereits in Independence zu einem Fluchtversuch gekommen, den Montgomery jedoch mit einem harten Sprung in Claires Rücken vereitelt hatte. Keiner der beiden Agenten vertrat eine sonderlich hohe Meinung von der Spionin.

Das Kätzchen soll ruhig die Krallen zeigen …

Wenigstens zwei Tagebucheinträge belegten, dass die Secret-Service-Männer Claire beim Umziehen zugeschaut hatten. Sie hatten ihr den Paravent weggezogen, den sie im Hotel in Kansas City benutzt hatte, und daraufhin war Claire in Rage geraten und hatte Montgomery mit einem Sprung von den Beinen gerissen.

Mary Savage ist eine Teufelin …

Den gleichen Decknamen hatte Lassiter auch im Kuvert der Brigade Sieben gefunden. Augenscheinlich hatten Montgomery und Paul den Plan verfolgt, ihre Gefangene unter diesem Namen auf der Lincoln einzuschiffen.

Das Kätzchen versprach, eine spannende Partie zu werden.

Die Speichenräder seines Einspänners versanken fast bis zur Nabe im Schlamm, als John Babcock die Zügel kürzer nahm und auf die Mainstreet von Sitka einbog. Er hatte sich das Gespann weiter oben im Norden geliehen, von einem Russen namens Cashavaroff, der eine kleine Reusenfischerei oben am Salisbury Sound betrieb. Sie hatten über den verdammten Regen geflucht, der in die siebte Woche ging.

»Babcock!«, rief eine tiefe Stimme vor der Sankt-Michael-Kathedrale, die mit ihrer Holzschindelkuppe und dem schlanken Glockenturm das letzte Überbleibsel der russischen Herrschaft in Alaska war. »John Babcock! Dass du dich hier blicken lässt!«

Der Ruf kam von Edward Shaud, dem Inhaber der Shaud Telegraph Company , die sich im letzten Frühjahr einen Namen in Sitka gemacht hatte, als sie den Ausgang der Präsidentenwahlen noch vor dem Sitka Herald verkündet hatte. Shaud war der erste Amerikaner gewesen, der Telegraphenleitungen von Sitka hinunter zur Red Fish Bay gezogen hatte.

»Eddie!«, rief Babcock zurück und quälte das Pferd durch den Schlamm hinüber zur Kathedrale. Er sprang vom Sitz und umarmte den Telegraphenmeister kameradschaftlich. »Wäre sowieso zu dir gekommen! Es soll Neuigkeiten aus Tacoma geben.«

Neben den Männern rollte ein Fuhrwerk der Lindenburg Pharmacy vorbei, die klappernde Kästen voller Arzneien hinunter zu den Fährbooten brachte. Der Kutscher nickte Shaud zu und wischte das Wasser vom Mantelkragen. »Gib uns bloß bald bessere Nachrichten, Edward! Kann keine Brühe in meinen Stiefeln mehr sehen!«

Das Fuhrwerk versank noch tiefer als Babcocks Einspänner im aufgeweichten Boden und hinterließ zwei tiefe Rinnen in der Hauptstraße. Shaud sah missmutig zum Himmel hinauf und hieb seinem Freund auf den Rücken. »Lass uns rüber ins Büro gehen! Der gute Petrus wird heute kein Einsehen mehr haben! Ich hab’s allen gesagt, ich hab’s allen gesagt!«

Dichte Regenschwaden schlugen gegen die Zierfront des zweistöckigen Gebäudes, in dem die Shaud Telegraph Company ihre Niederlassung hatte. Der hölzerne Fußsteig vor dem Schaufenster mit dem alten Telegraphenapparat darin glänzte vor Nässe. Die beiden Freunde schüttelten unter dem Vordach die Mäntel ab und traten vor Erschöpfung keuchend in den Flur.

»Marsha!«, rief Shaud und nahm seinem Gast den Mantel ab. »Bring uns zwei Kaffee! Aber von der guten Sorte! Von den kolumbianischen Bohnen, hörst du?«

Aus der offenen Tür am Ende des Flurs war die Haushälterin zu vernehmen, die Shauds Wunsch bejahte und mit einem Topf zu klappern begann. Die Männer zogen sich derweil in den Telegraphensalon zurück, der sich unmittelbar hinter dem Schaufenster mit dem alten Apparat befand. Der Salon war mit einer russischen Chaiselongue ausgestattet, die mit ihren goldenen Löwentatzen an den Standbeinen europäische Eleganz vermittelte.

»Setz dich, John!«, meinte Shaud und wies auf das kostbare Möbelstück. »Es ist eine Ewigkeit her, dass du und ich uns gesehen haben. Ich fürchtete schon, dich hätten die Bären Alaskas verspeist.«

Durch die Tür trat die Haushälterin mit den Kaffeekrügen und servierte die Getränke stumm. Sie war eine ältliche Frau mit grau meliertem Haar, die Shaud ohne jede Scham anhimmelte.

»Sie können gehen, Marsha!«, missachtete Shaud die Blicke seiner Bediensteten. »Ich muss mit Mr. Babcock vertrauliche Angelegenheiten besprechen. – Nun, John? Sprich! Spann mich nicht auf die Folter! Was hast du in Sitka zu suchen!«

Höflich geduldete sich Babcock, bis die Haushälterin das Tablett an sich genommen und den Salon verlassen hatte. Er roch an dem kolumbianischen Kaffee, dessen würziges Aroma ihm in die Nase stieg, und tat einen tiefen Atemzug. »Hör zu, Eddie, es steht schlimm um mich. Ich hatte Besuch vom Secret Service. Sie haben in der Tat meine Hütte aufgespürt.«

Shaud zog die Brauen zusammen und rührte in seiner Tasse. »Der Secret Service hat dich gefunden? Mitten in Alaska? Oben bei den Chugatoh Mountains?«

»Sie kamen sogar mit eigenen Booten«, antwortete Babcock und trank einen Schluck. Er schloss die Augen und genoss die warme Wohltat, die der erste Kaffee seit fast einem Jahr für ihn bedeutete. »Sie kamen mit einem halben Dutzend Leute und wollten mich totschlagen. Ich wusste, dass ich sie noch nicht abgeschüttelt hatte.«

Im Gegensatz zu den meisten Einwohnern von Alaska hatte Shaud von Beginn an über Babcocks Schicksal Bescheid gewusst. Er und seine Telegraphengesellschaft war der Draht ins zivilisierte Amerika gewesen; nur ihm, Shaud, verdankte Babcock, dass er in der Wildnis nicht ohne Kenntnis der Vorgänge in Washington geblieben war.

»Du hättest vorsichtiger sein müssen«, meinte Shaud und blickte Babcock teilnahmsvoll an. »Du hättest dich nicht unter deinem Namen niederlassen und den verfluchten Fischern am Salisbury Sound nichts von dir erzählen dürfen.«

In den Monaten nach seiner Verbannung war Babcock froh über jede menschliche Regung gewesen, die ihm in Alaska begegnet war. Er hatte erwogen, sich unter falscher Identität in der Hütte niederzulassen, dann jedoch aus Trotz gegen den Secret Service, den Präsidenten und Amerika überhaupt anders gehandelt.

Er hatte sich nicht wie eine Ratte verstecken wollen.

»Du weißt, aus welchem Grund ich meinen Namen behalten habe.« Aus Babcocks Worten sprach die Bitterkeit des Exils. »Er ist das Einzige, was sie mir gelassen haben. Ich bin kein Feigling, Eddie. Ich verkrieche mich nicht vor diesen Kerlen.«

»Zweifelsohne kein Feigling!«, bekräftigte Shaud und stieß mit seinem Krug klingend gegen Babcocks. »Wie kann ich dir helfen?«

»Was hörst du aus Tacoma?«, fragte Babcock umgehend. »Ich musste den Secret-Service-Leuten etwas anbieten. Sie wollen jemanden schicken, der gegen mich ausgetauscht wird.«

Sinnend setzte Shaud den Kaffeekrug an die Lippen und trank. »Ich hatte schon befürchtet, dass die Sache mit dir zusammenhängt. Es sind zwei Secret-Service-Leute in Tacoma gestorben.«

»Gestorben?«, fragte Babcock und schaute auf. »Erzähl mir davon.«

»Sie starben in einem Northern-Pacific -Zug«, berichtete Shaud zögerlich. »Offenbar hatten sie eine Gefangene und Fahrkarten für einen Dampfer nach Sitka dabei. Die Gefangene ist flüchtig und wird gesucht.«

Fieberhaft setzte Babcock die Bruchstücke wieder zu einem Ganzen zusammen. »Claire Thompson. Ihr Name ist Claire Thompson. Sie sollte gegen mich ausgetauscht werden. Sie war eine angesehene Spionin in Europa.«

»Gütiger Gott!«, verwahrte sich Shaud entsetzt. »Was hast du jetzt vor? Sie ist flüchtig und könnte alles Mögliche tun.«

Durch Babcocks Schädel rasten die Gedanken. »Ich weiß es nicht. Du musst mir eine Barkasse besorgen. Ein kleines Dampfboot oder dergleichen. Ich muss hinunter nach Tacoma.«

Die Fahrtentafel der Pacific Coast Steamship Company hing an einem Pflock am Hafeneingang und wies die Abfahrt der Queen of the Pacific für den kommenden Tag um sechs Uhr morgens aus. Als Zwischenhäfen bis nach Sitka, Alaska, waren Juneau, Douglas Island und Fort Wrangel angegeben. Das Schiff stand unter dem Kommando von Kapitän Nicholas Ormsby.

»Sind Sie blind?«, maulte der ältere Steward neben Lassiter und tippte mit seinem Stock auf die Tafel. »Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass sie um sechs Uhr morgens ausläuft und ich Ihnen nicht sagen kann, ob Ihre Bekannte an Bord ist.« Er trottete ein Stück weiter. »Sie sollten wirklich die Ohren spitzen, wenn man mit Ihnen redet, Jungchen!«

Der Steward trug erst eine Hälfte seiner Uniform und war Lassiter vor den Pacific-Coast -Schaltern begegnet. Er hatte vor den Frauen in der Schlange damit geprahlt, dass er demnächst der Chefsteward auf der Queen of the Pacific würde.

»Sir, wir hatten einen Deal«, erinnerte Lassiter den Alten jetzt. »Sie haben zehn Dollar dafür in der Tasche, dass Sie nach der Passagierin schauen. Ich muss diese Frau finden.«

Der Steward mit dem grauen Haarkranz unter der Dienstmütze drehte sich amüsiert nach Lassiter um. Er wies mit dem Gehstock auf den Mann der Brigade Sieben und lachte lauthals. »Offenbar sind Sie noch nie ’nem Großmaul begegnet. Ich wollte nur vor den Weibsbildern Eindruck schinden.«

»Was ist mit meinem Geld?«, beharrte Lassiter. Er hatte den halben Morgen nach Claire Thompson gesucht. »Ich gebe mich nicht gern mit Betrügern ab.«

Hinter dem Steward liefen zwei Hafenarbeiter mit zusammengerollten Tauen über den Schultern vorüber. Sie nahmen kaum Notiz von dem gutgekleideten Fremden, der mit dem älteren Angestellten der Pacific Coast Steamship sprach.

»Nennen Sie mich einen Betrüger?«, knurrte der Steward angriffslustig. »Sie sehen mir nicht nach ’nem Kerl aus, dem zehn Dollar weniger in der Tasche was ausmachen. Ich könnte herumbrüllen, falls Sie mir zu nahe kommen. Einen Greis am Hafen zu beklauen, das ist ’ne Todsünde in Tacoma.«

Unverdrossen ging Lassiter auf den älteren Steward zu. Er fasste ihn scharf ins Auge und senkte drohend die Stimme. »Ich bestehle niemanden. Sie gaben mir ihr Wort, und ich gab Ihnen zehn Dollar.«

»Nur noch einen Schritt!«, zischte der Steward tonlos. »Ich bin schon mit anderen Kojoten als Ihnen fertiggeworden. Wären wir an Bord, hätte ich Sie längst über die Reling befördert.«

Reglos standen sich Lassiter und der Alte gegenüber.

An jedem anderen Tag hätte der Mann der Brigade Sieben nachgegeben und die Sache auf sich beruhen lassen, doch allmählich zerrann ihm die Zeit zwischen den Fingern. Er hatte fast zwanzig Stunden damit verbracht, auch nur eine einzige Spur von Claire Thompson zu finden, und war leer ausgegangen.

Mit jedem Dampfschiff, das Tacoma verließ, konnte die Spionin auf und davon sein.

»Hau ab!«, presste der Steward hervor. »Du erfährst nichts von mir!«

Plötzlich glänzte ein Messer in der Hand des Alten.

Die blitzende Klinge sprang vor Lassiter auf und nieder und zerteilte mit einem summenden Geräusch die Luft. Sie war höchstens eine halbe Armlänge entfernt.

»Hörst du schlecht?«, flüsterte der Steward und sah sich rasch um. »Du bist nicht der erste Halunke, der krumme Geschäfte am Hafen macht. Ich weiß nicht, weshalb du es auf die Kleine abgesehen hast, aber ich sag’ dir nichts.« Er grinste. »Keine verdammte Silbe hörst du aus meinem Mund!«

Das Horn der Valencia erscholl, die einen Kai weiter von Passagieren umlagert wurde. Das Scharmützel zwischen dem Steward und Lassiter indes bekam keiner der Reisenden mit.

»Du wirst gleich alles bereuen«, warnte Lassiter den Steward und spannte die Muskeln an. »Ich will dir kein Leid antun. Steck das Messer weg! Jetzt!«

»Du bist ein verfluchter Aufschneider!«, parierte der Steward und grinste verzweifelt. »Ein schlimmerer Prahlhans als ich! Verzieh dich! Auf der Stelle! Sonst muss ich dich –«

Ehe der Steward den Satz zu Ende brachte, schwang sich Lassiter zu ihm und packte ihn am Handgelenk. Er drehte dem Alten von der Pacific Coast den Arm auf den Rücken, entwand ihm das Messer und schleifte ihn zu einem Meldehäuschen hinüber. Als er ihn gegen die Bretterwand schmetterte, begann der Steward zu stöhnen.

»Sei still!«, donnerte Lassiter und warf das Messer von sich. »Ich muss wissen, ob eine Frau mit dem Namen Claire Thompson oder Mary Savage an Bord ist. Ich breche dir die verdammten Knochen, wenn du noch einen Trick versuchst!«

Dem Steward war sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen. »Schon gut, zur Hölle! Musst nicht gleich den Hünen rauskehren!« Er verschnaufte einen Moment lang. »Ich kenn’ keine Claire Simpson.«

»Claire Thompson!«, setzte Lassiter nach und schlug den Steward abermals gegen die Bretter. »Überleg dir, was du mir sagst! Mir geht die Geduld aus!«

Wieder schallte das Dampfhorn der Valencia durch den Hafen, in dem inzwischen fünf größere Dampfschiffe der Pacific Coast Steamship Company lagen. Am frühen Morgen waren die Majesty und die Tropical Sun hinzugekommen, deren Masten sich beim Vertäuen fast berührt hatten. Die Dampfschiffgesellschaft hatte mit lauten Rufen angeheuert, und unter den Gesuchen waren auch solche für Tänzerinnen und Kabinenfrauen gewesen.

»Claire Thompson gibt’s keine!«, gab der Steward kleinlaut preis. »Aber ’ne Mary Savage hat gestern auf der Queen of the Pacific angeheuert! Der Kerl im Heuerbüro hat’s mir erzählt! Muss unmögliche Forderungen gestellt haben, das Weib.«

»Wo liegt die Queen of the Pacific ?«, bedrängte Lassiter den Alten weiter. »Wann läuft sie aus und wie viele Passagiere sind an Bord?«