Lassiter Sammelband 1854 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1854 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2443, 2444 und 2445.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

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Seitenzahl: 419

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Jack Slade
Lassiter Sammelband 1854

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2019 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Norma/Boada

ISBN: 978-3-7517-4723-3

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1854

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2443

Jagd auf das Feuerross

Lassiter 2444

Telegramm von einem Toten

Lassiter 2445

Der blonde Schoschone

Guide

Start Reading

Contents

Jagd auf das Feuerross

Die Sonne stand hoch in den nördlichen Ausläufern der Sangre-de-Cristo-Mountains und verbreitete angenehme Wärme. Aus dem Westen zogen vereinzelt kühle Luftströme heran und fingen sich in den Wipfeln der Kiefern- und Fichtenwälder.

Lassiter verharrte auf einer Anhöhe und glaubte im ersten Moment, die Fährte des berüchtigten Raubmörders Hugh Priest verloren zu haben. Doch der Eindruck täuschte. Und fast schien es dem Brigade-Agenten, als wollte Priest gar nicht verhindern, gestellt zu werden. Immer wieder fanden sich Spuren, die nicht einmal ein Narr zurückgelassen hätte. Genau das aber war es, was Lassiter zu größter Vorsicht mahnte.

In den Bergen konnte man für alle Zeit verschwinden. Sollte er in einen sorgfältig gelegten Hinterhalt geraten, würde er in den Wäldern ein namenloses Grab finden.

Umso schwieriger schienen Lassiters Vorgaben, die er von der Brigade Sieben erhalten hatte, erfüllbar zu sein. Ausdrücklich hatte man in Washington darauf hingewiesen, Hugh Priest ohne Anwendung übertriebener Gewalt in Gewahrsam zu nehmen. Außerdem war der Einsatz von Waffen, der mit schweren oder gar tödlichen Verletzungen einherging, strikt untersagt.

Ein auf den ersten Blick absurder Verdacht stieg in Lassiter auf. Und er schien sich zu bestätigen, als der große Mann den Fetzen eines Kleidungsstückes fand. Er baumelte etwa anderthalb Yards über dem Erdboden und hing an der Zweigspitze einer Tanne.

Lassiter betrachtete den Stoffrest, der säuberlich abgetrennt und akkurat aufgehängt wirkte. Er war wie ein Wegweiser und durch seine blaue Färbung nicht zu übersehen. Es gab keinen Zweifel daran, dass er vorsätzlich zurückgelassen worden war.

Doch wozu? Welchen Sinn ergab dieses Verhalten?

Diese beiden Fragen waren es, die Lassiter am meisten beschäftigten. Sein Argwohn steigerte sich von Minute zu Minute. Die Befürchtung, dass der hinterhältige Killer ihm eine Falle stellte, wurde zur Gewissheit. Verbunden mit den Auflagen der Brigade Sieben, war es nahezu unmöglich, mit heiler Haut aus der Sache herauszukommen. Ein Revolver konnte nicht mit wohlmeinenden Worten zum Schweigen gebracht werden.

Weiter ging es bergauf. Jedes Geräusch, das in der Wildnis aufklang, konnte ein Gefahrensignal darstellen. Lassiter hatte seine Langjacke hinter den Griff seines Remington gestreift, um ohne Verzögerung ziehen zu können. Einen Verstoß gegen seine auferlegten Gebote stellte es seiner Meinung nach nicht dar, denn eine abgefeuerte Kugel musste nicht zwangsläufig eine lebensgefährliche Verwundung nach sich ziehen oder zum Tod führen. Für den Fall, dass Priest sich ein Stück Blei einfing, hatte Lassiter folglich einen gewissen Erklärungsspielraum.

Die Zeit verrann, ohne dass sich eine entscheidende Entwicklung anbahnte. Schon fürchtete der Mann der Brigade Sieben, seine Suche in der tiefdunklen Nacht fortsetzen zu müssen, da ereignete sich eine Wende.

Auf einer etwa hundert Yards entfernten Hügelkuppe glaubte Lassiter zwischen dichten Büschen eine Bewegung ausgemacht zu haben. Gleichzeitig war er sicher, das Echo verhalten schlagender Pferdehufe gehört zu haben.

Augenblicklich sprang er aus seinem Sattel, riss den Remington aus seinem Holster und spurtete geduckt voraus. Zweige schlugen ihm ins Gesicht, und Unebenheiten im Boden erschwerten sein Vorankommen, doch wenn er den Berggrat auf schnellstem Wege erreichte, würde sich Priest nicht mehr verstecken können. Der Blick von der Anhöhe hinab ins Tal war umfassend. Und selbst, wenn es dem Flüchtigen gelang, zwischen Büschen und Bäumen Unterschlupf zu finden, würde er sich irgendwann ins Freie begeben müssen. Und darauf wollte Lassiter warten.

Was sich ihm schließlich auf der Kuppe präsentierte, war dazu angetan, ihn in atemloses Staunen zu versetzen. Keinen Steinwurf weit weg schlenderte ein Kerl gemütlich einen ausgetretenen Waldpfad entlang, sein Pferd an der langen Leine hinter sich her führend. Kaum vernahm er die Schrittgeräusche in seinem Rücken, drehte er sich herum und setzte ein breites Grinsen auf.

Hugh Priest!, schoss es Lassiter durch den Kopf. Er hatte nicht nur eine genaue Beschreibung des Banditen, sondern in seinen Unterlagen auch einen Steckbrief mit Bild vorgefunden.

Im Nu riss Lassiter seinen Remington in die Höhe und rief: »Ende der Fahnenstange, Priest! Tot oder lebendig – du kommst mit mir!« Es war lediglich eine Drohung, die Eindruck schinden sollte. Lassiter war weit davon entfernt, die Auflagen der Brigade Sieben zu ignorieren.

Priest allerdings zeigte sich nicht im Mindesten beeindruckt. »Das glaube ich kaum«, sagte er laut, machte jedoch auch keine Anstalten, sich zur Wehr zu setzen. Ganz im Gegenteil sogar hob er seinen rechten Arm, ließ die Zügel seines Pferdes los und führte auch die linke Hand in die Höhe. »Sie wollen doch einen wehrlosen Mann nicht niederschießen, nicht wahr?« Sein Grinsen verstärkte sich, und er zeigte zwei Reihen makelloser Zähne.

Lassiter traute dem Braten nicht. Weshalb hatte sich der Kerl die Mühe gemacht, eine für jedermann sichtbare Fährte zu legen, wenn er keine hinterhältigen Absichten hatte? So sehr sich Lassiter auch bemühte, den Grund für Priests Verhalten zu ergründen, kam er dem ausgebufften Ganoven nicht auf die Schliche. Und daher hielt er sich an die Devise, dem Kerl so lange Misstrauen entgegenzubringen, bis er endgültig hinter Gittern verschwunden war.

»Versuchen Sie bloß keine Tricks, Priest«, raunte Lassiter grimmig. »In der Trommel meines Revolvers sind sechs Freunde, die nur darauf warten, Ihnen nachzujagen.«

»Eine vollmundige Prophezeiung«, antwortete Hugh Priest und gähnte herzhaft. »Davon sollten Sie sich verabschieden, wenn Sie nicht an meiner Stelle im Jail landen wollen.« Gemächlich wanderte er den Hügel hinauf. Sein Pferd folgte ihm.

Der Fall wurde für Lassiter mehr und mehr undurchsichtig. Gab es Details, die ihm unbekannt, Priest aber geläufig waren? Woher bezog der Raubmörder seine Sicherheit? Des Weiteren stand im Raum, welchen Sinn die Verfolgungsjagd erfüllt hatte, wenn Priest seiner Verhaftung ohnehin nicht hatte aus dem Weg gehen wollen.

Lassiter entwaffnete seinen Gefangenen und befahl ihm, sich auf sein Pferd zu setzen. »Sie reiten voraus«, wies er ihn an. »Ich bin gleich hinter Ihnen. Damit will ich sagen, dass es höchst waghalsig wäre, eine Flucht zu riskieren.«

Schweigend hörte sich Priest an, was Lassiter zu sagen hatte, während ein wissendes Lächeln um seine Mundwinkel huschte. Brav trottete er voran und verhielt sich geradezu mustergültig.

Zwei Stunden bis Denver, überschlug Lassiter im Kopf. Dann war er den eigenwilligen Halunken für alle Zeit los.

Eine Frau, die rotes Haar trug, hatte mit bestimmten Vorurteilen zu kämpfen. Für Rosalie Hastings aber stellte dies kein Problem dar, denn sie war nicht nur selbstbewusst, sondern verstand es ebenso, sich mit Worten zur Wehr zu setzen. An diesem Tag jedoch würde sie ihre Fertigkeiten auf andere Weise unter Beweis stellen. Nicht, weil sie es wollte, sondern weil sie es musste.

In der Kasse der jungen Frau herrschte Ebbe. Dennoch war es für sie dringend erforderlich, eine Zugfahrkarte nach Forest Lake zu kaufen. Die Verpflichtungen, die ihr aufgebürdet worden waren, duldeten keinen Verzug.

Stumm saß sie in einem Restaurant in der Kleinstadt Eaton und trank einen Kaffee. In einem unbeobachteten Moment holte sie einen kleinen Stoffbeutel hervor, streute winzige Glasscherben, die sie für diesen Zweck vorbereitet hatte, in ihre Tasse und stieß plötzlich einen Entsetzensschrei aus. »O mein Gott! Das darf doch wohl nicht wahr sein!«

Auf der Stelle wieselte ein Kellner heran und erkundigte sich nach dem Problem. Als er davon hörte, versteifte er sich wie von selbst. »Das ist völlig unmöglich, Ma’am«, sagte er.

»Wollen Sie mich als Lügnerin darstellen?«, entfuhr es Rosalie entrüstet. »Ich hätte sterben können!« Demonstrativ spuckte sie ein paar Glassplitter aus, die sie überaus vorsichtig in ihrem Mund aufgenommen hatte.

Als der Kellner seine sture Position beibehielt, sprang die Rothaarige auf und wetterte: »Das können Sie vielleicht mit den deutschen Einwanderern abziehen, bei mir kommen Sie damit nicht durch! Ich will auf der Stelle den Geschäftsführer sprechen!«

Der Bedienstete zog ab. Am Nebentisch wurde eine Stimme laut. »Ich kann verstehen, wie Ihnen zumute ist«, sagte ein Mann im mittleren Alter, der passend zu seinem Anzug einen grauen Bowler trug und an einer Zigarre sog. »Für sein Geld möchte man eine einwandfreie Bewirtung.«

Der Fisch hängt am Haken, dachte Rosalie Hastings, verschaffte sich einen knappen Eindruck von ihrem Tischnachbarn und stimmte ihre Strategie darauf ab. »Verzeihen Sie, wenn mein Unmut Sie belästigt hat«, teilte sie kleinlaut mit. »Ich war außer mir und habe jede Sitte vergessen.«

Der Melonenträger zeigte sich verständnisvoll. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Ma’am. Es ist Ihr gutes Recht, mangelnde Qualität zu monieren.«

Meine Güte, ging es Rosalie durch den Kopf, was für eine geschwollene Ansprache. Stattdessen aber sagte sie: »Mir scheint, Sie sind ein echter Gentleman. Leider bin ich nicht verheiratet. Mein Name ist Hastings. Miss Hastings.«

Ein begehrliches Aufflackern war in den Augen des Mannes erkennbar. »Es tut mir leid«, sagte er ohne Überzeugungskraft. »Wäre es Ihnen recht, wenn ich Sie zu einem Getränk Ihrer Wahl einlade?«

Rosalie wollte nicht auf Anhieb zustimmen, um keinen Verdacht zu erzeugen. Daher entgegnete sie: »Ich hoffe nicht, dass Sie die Situation für sich ausnützen wollen, Sir.«

Der Mann tat entgeistert. »Der Himmel bewahre mich!«, versetzte er, konnte jedoch sein begehrliches Interesse an dem Rotschopf nicht verheimlichen. »Ich bin kein Mann von dieser Sorte!« Pikiert zupfte er an seiner Fliege, setzte aber ein Lächeln auf, um sein vermeintliches Opfer nicht zu vergällen.

Du widerliches Stück Dreck!, zog es durch Rosalies Gedanken, doch sie gab sich demütig. »Verzeihen Sie! Ich bin so ein dummes Mädchen! Ihr Angebot nehme ich natürlich gerne an.« In ihrem knöchellangen Kleid glitt sie hinüber zum Tisch des Bowler-Manns und setzte sich. Ohne dass es dafür einen Grund gab, richtete sie ihr Dekolleté und knetete auffällig ihre Brüste.

»Sie sind eine unwahrscheinlich attraktive Frau«, bekannte der Mann mit der Melone. »Nennen Sie mich Winston. Alle meine Freunde tun das. Mein vollständiger Name wäre einfach zu lang und geradezu unaussprechlich.« Er gab ein trockenes Lachen von sich.

»Das hört sich schön an«, meinte Rosalie verträumt und fand den Zeitpunkt für geeignet, auch ihren Vornamen preiszugeben. »Bisher habe ich selten Menschen wie Sie getroffen, Winston …« Die rothaarige Frau legte einen Hauch von Wehmut in ihre Stimme, der seine Wirkung nicht verfehlte.

»Ich würde Sie gern näher kennenlernen, Rosalie. Unserer Welt fehlt es an Menschen mit Charakter. Den aber habe ich bei Ihnen gefunden …«

Es war der ungünstigste Zeitpunkt, an dem der Geschäftsführer erscheinen konnte. »Sie haben eine Beanstandung?«, erkundigte sich der Livrierte.

Ehe Rosalie antworten konnte, hatte Winston die Gesprächsführung übernommen. »Es ist eine unglaubliche Unverschämtheit, diese Dame der Lüge zu bezichtigen! Ich war dabei und kann bezeugen, dass Ihr Haus in eklatanter Weise gegen gängige Gepflogenheiten verstoßen hat! Derartiges ist mir bisher noch nicht untergekommen!«

Das Auftreten des Geschäftsführers änderte sich. Wohl im Glauben, einen öffentlichen Aufruhr verhindern zu müssen, gab er klein bei. »Selbstverständlich muss die Dame ihren Kaffee nicht bezahlen und wird umgehend kostenlosen Ersatz erhalten!«, beeilte er sich zu versichern.

»Und?«, schnappte Winston. »Denken Sie im Ernst, die Angelegenheit wäre damit erledigt? Meine Begleiterin hätte gesundheitlichen Schaden davontragen können! Wie gedenken Sie dies zu vergelten?«

An diesem Punkt schien eine Grenze erreicht worden zu sein, die auch der Inhaber des Hauses nicht zu übertreten gedachte. »Außer einer Entschuldigung und einem kostenlosen Ersatzgetränk kann ich leider nichts anbieten.«

Rosalie Hastings winkte ab. Die Diskussion war nicht dazu geeignet, ihre ursprüngliche Strategie umzusetzen. »Lassen wir es dabei bewenden. Ich komme über den Schock weg.«

Der Geschäftsführer winkte einen Kellner heran und flüsterte ihm etwas zu. Winston hingegen witterte seine Chance und setzte zum Angriff an. »Sie haben sich sehr klug verhalten. Ich würde Sie liebend gern in eine Gaststätte einladen, in der mit derlei Vorkommnissen nicht zu rechnen ist.«

Dummschwätzer!, stach es in Rosalies Verstand. Wieso hast du deine traurige Gestalt dann ausgerechnet in dieses Restaurant bewegt?

»Darüber würde ich mich freuen«, sagte sie mit schmachtendem Blick. »Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, jemals einen Mann wie Sie zu treffen.«

Winston wähnte sich als Sieger. Bestimmt, so dachte Rosalie, glaubte er sich nur noch einen winzigen Schritt davon entfernt, sie über die Matratze seines Bettes zu scheuchen. Und diese Gewissheit wollte sie ihm auch nicht nehmen. »Sie verstehen es, das Herz einer Frau zu erobern. Bei Ihnen fühle ich mich geborgen.« Wenn er darauf nicht ansprang, war ohnehin Hopfen und Malz verloren.

»Zahlen!«, rief Winston in den Gastraum hinein. »Zum Teufel noch mal – zahlen!« Dem heraneilenden Kellner drückte er eine großzügige Banknote in die Hand und erhob sich. Rosalie reichte ihm ihre Rechte und ließ sich nach draußen führen. Ihre linke Hand war dabei nicht ganz so untätig, wie Winston hätte annehmen können. Unbemerkt schob sie sich unter sein Jackett und zog seine Brieftasche daraus hervor. Und schlagartig erlosch ihr Interesse an dem Mann.

»Sie haben eine peinliche Situation zum Guten gewendet«, ließ sie ihn wissen. »Dafür bin ich Ihnen unendlich dankbar.« Rasch hauchte sie Winston einen Kuss auf die Wange und stakste davon.

»Aber …«, entfleuchte es dem versetzten Liebhaber. »Wir haben uns doch so gut verstanden.«

Rosalie huschte wortlos von dannen und tauchte in einer Seitenstraße unter. Neugierig öffnete sie die Brieftasche des Bestohlenen und kam nicht umhin, breit zu schmunzeln. Schnell aber unterdrückte sie ihre Freude und suchte die Railway Station auf, um eine Fahrkarte zu lösen. Keinesfalls durfte sie zu spät in Forest Lake auftauchen. Zu viel hing von ihrem pünktlichen Erscheinen ab.

Der Marshal in Denver war ein altes Raubein und wenig erfreut, Priest wiederzusehen. Nachdem er ihn eingelocht hatte, knurrte er Lassiter an: »Manche scheinen mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Es ist noch gar nicht so lange her, da hatte Priest bereits den Strick um den Hals. Aber irgendein hohes Tier hat ihn begnadigt und im letzten Moment seine Hinrichtung verhindert.« Der Grauhaarige schüttelte seinen Kopf. »Lange festhalten kann ich diese Missgeburt sowieso nicht. Er soll nach Kansas City überführt werden. Fragen Sie mich nicht, warum, aber auch da stehen Leute im Hintergrund, mit denen ich mich keinesfalls anlegen möchte.«

»Es wird schon seine Richtigkeit haben«, erwiderte Lassiter. »Für mich ist die Angelegenheit auf jeden Fall erledigt.« Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, da kamen ihm Zweifel, ob er nicht zu voreilig gehandelt hatte. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass die Sache noch nicht ausgestanden war. Und obwohl er sich in der Vergangenheit stets auf seine Intuition hatte verlassen können, schenkte er ihr dieses Mal keine Beachtung. Mit einem Fingertippen an seinen Stetson verließ er das Marshal’s Office und stürzte sich in den Trubel der Stadt.

Viele Tage der Enthaltsamkeit führten ihn schnurstracks ins nächste Bordell. Auch ohne Ortskenntnisse waren die Rotlicht-Etablissements kaum zu verfehlen. Lassiter leinte seinen Grauschimmel beim »Heaven or Hell« an und stapfte entschlossen in das Gebäude.

Das Erste, was er hörte, war Musik. Dumpfe Trommelschläge wurden von einem Basscello untermalt. Das Zusammenspiel der Instrumente erzeugte eine angeheizte Atmosphäre, deren i-Tüpfelchen die leicht bekleideten Damen darstellten, die ihre Dienste solventen Herren zur Verfügung stellten. Unter den Anzugträgern fühlte sich Lassiter fast wie ein Fremdkörper und wurde ebenso skeptisch betrachtet.

Eine Blondine, die in einen Hauch von Nichts gehüllt war, tänzelte auf den großen Mann zu, trat dicht an ihn heran und strich mit ihrem Zeigefinger von seiner Nase hinab zu den Lippen. »Na, Süßer, du wirst dich doch nicht etwa verlaufen haben?«

Lassiter schmunzelte. »Ich brauche ein wenig Entspannung und dachte, dies sei der richtige Ort dafür«, sagte er.

»Es ist der richtige Ort«, bestätigte die blonde Frau, schaute hinab auf ihre nackten Brüste, die deutlich durch den filigranen Stoff sichtbar waren, und hob sofort ihren Kopf wieder an. »Unsere Dienste sind aber nicht ganz billig.« Sie nannte einen Basispreis, der Lassiter hart schlucken ließ. »Bestimmte Extras gibt es nur gegen Zuschlag.«

»Was wären denn bestimmte Extras ?«, erkundigte sich Lassiter.

Die Lady musterte ihn in einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Mitleid. »Das musst du die Girls schon selbst fragen. Jedes von ihnen hat da andere Gewichtungen.«

Um nicht ganz so unbedarft dazustehen, holte Lassiter ein paar Dollarnoten hervor und fächerte sie in seiner Hand dezent auseinander. »Wird das reichen?«, fragte er.

Die Blondine schürzte ihre Lippen und nickte anerkennend. »Der Cowboy von nebenan bist du offensichtlich nicht. Ich tippe auf Treckführer oder Vormann.«

»Freiberufler«, antwortete Lassiter knapp. »Ich nehme, was ich bekommen kann.«

»Und du scheinst ordentlich zuzulangen.« Die Halbnackte lächelte aufmunternd. »Ich heiße übrigens Eloise. Komm mit mir, und ich stelle dir die Girls vor.«

Lassiter nannte auch seinen Namen, war aber nicht sicher, ob Eloise ihn überhaupt zur Kenntnis nahm. Artig schlenderte er hinter der Blondine her und bemerkte, dass ihm nun die anderen Kunden freundlich zunickten und sogar grüßten. Die erste Hürde im »Heaven or Hell« bestand allem Anschein nach darin, an Eloise vorbeizukommen.

»Worauf stehst du?«, wollte sie wissen und deutete auf mehrere in Reihe angeordnete Sofas, auf denen ausgewiesene Schönheiten jeglicher Couleur saßen. »Schwarz, rot, braun oder blond? Amerikanisch, indianisch, chinesisch, europäisch? Du kannst dich gern zu den Damen setzen, aber vergiss bitte nicht, dass die trockene Luft durstig macht.« Eloise stemmte ihre Hände in die Hüften. »Bei einer musst du es nicht belassen. Ein paar Mädels sind durchaus bereit, dir zu zweit oder zu dritt Vergnügen zu bereiten.«

»Was ist mit der?«, fragte Lassiter und zeigte mit seinem Kinn auf eine Schwarzhaarige mit dunklem Teint.

Eloise zuckte die Schultern. »Frag sie! Wir zwingen keine unserer Gesellschafterinnen, einem Mann zu Diensten zu sein, den sie nicht mögen.«

Lassiters Auserwählte war jedoch alles andere als abgeneigt. Grazil erhob sie sich von ihrem Sofa, kam hüftschwingend auf den großen Mann zu und legte ihm ihre Arme um den Hals. »Du strahlst die Kraft eines Tieres aus«, gurrte sie hingerissen und mit mexikanischem Akzent. »Ich weiß, du kannst eine echte Frau glücklich machen.« Ihre Stimme klang rauchig und war von Inbrunst geprägt. Beides Attribute, denen sich Lassiter nur schwer hätte verweigern können. Er ließ sich in einen Nebenraum mitziehen und sah fasziniert zu, wie sich das verlockende Girl entblätterte. Die Dirne hatte eine Art an sich, die die Beule in seiner Hose unweigerlich anwachsen ließ.

»Nimm mich, du Stier«, hauchte sie. »Conchita will dich tief in ihrer feuchten Grotte spüren.«

Lassiters Pint bäumte sich unnachgiebig auf und wurde nur noch durch die Knöpfe seiner Hose gehalten. Doch auch da schuf er Abhilfe. Und als die Mexikanerin das Prachtexemplar in all seiner Größe sah, stürzte sie sich darauf wie ein ausgehungertes Raubtier.

Ihre Hände, Lippen und Zunge waren überall, wo es Lassiter Freude bereitete. Stöhnend legte er seinen Kopf in den Nacken und genoss Conchitas bedingungslosen Einsatz. Ihre Zunge kreiste um die Spitze seiner Rute, während ihre linke Hand den Schaft massierte und die rechte zwischen seinen Beinen in äußerst angenehmer Weise tätig wurde. Irgendwann aber stellte sie ihre lustvollen Bemühungen ein, legte sich rücklings auf das breite Bett und hauchte: »Steck ihn mir rein, Compadre! Stoß mich ins Himmelreich!«

»Oder in die Hölle«, meinte Lassiter amüsiert und konnte sich die kleine Spitze auf den Namen des Bordells nicht verkneifen. Schnell aber war er wieder bei der Sache. Als er in Conchita eindrang und sanft durch ihren Garten Eden pflügte, überkam ihn die Ekstase. Nicht lange, und ihre Muskeln zogen sich zusammen. Lassiter spürte den erregenden Druck, erhöhte das Tempo seiner Stöße und packte die junge Mexikanerin bei ihren Fußfesseln. Hoch reckte er ihre Beine empor, stieß in sie hinein und glitt wieder aus ihr heraus.

Es war himmlisch, ihre Leidenschaft zu spüren. Die Lust in Lassiter kochte hoch. Und Conchitas Lustschreie taten ein Übriges, seine Männlichkeit frühzeitig zur Eruption zu bringen. Gern hätte er dieses zauberhafte Wesen noch in anderen Stellungen beglückt, doch ihm war klar, dass er sich nicht so lange würde zurückhalten können. Tagelange Entbehrungen hatten sich in ihm aufgestaut und drängten danach, sich Luft zu verschaffen.

»Du bist  … ein ganzer Mann!«, stieß die Schwarzhaarige abgehackt hervor. »Gib mir  … deine ganze Kraft! Überschwemm mich  … mit deiner Begierde!«

Genau das würde Lassiter in den nächsten Momenten tun, denn er wollte keinen Aufschub mehr und sich Befriedigung verschaffen. Zwei-, dreimal noch stieß er zu, dann ergoss er sich machtvoll und entlockte Conchita laute Rufe der Verzückung. Ungestüm bäumte sie sich auf und massierte ihre üppigen Brüste. Dann schaute sie Lassiter dankbar an.

»Bist du auch gekommen?«, fragte er.

Conchita schüttelte ihren Kopf. »Ich brauche keinen Orgasmus, um auf meine Kosten zu kommen«, sagte sie mit unterschwellig laszivem Ton. »Du hast mir mehr gegeben, als du vielleicht denkst. Du kannst eine Frau auf viele Arten glücklich machen …«

Lassiter ließ es dabei bewenden, wusste aber genau, was die Mexikanerin meinte. Er richtete seine Kleidung und zählte zwanzig Dollar ab.

Nachdem die sexuelle Gier verflogen war, nahm er sich vor, die Brigade Sieben über seinen Einsatz zu informieren. Eloise, die ihn vor dem Ausgang abfing, wimmelte er mit einigen freundlichen Worten ab und suchte das nächstgelegene Telegrafenamt auf. Lassiter würde in Denver warten, bis die Antwort samt Mitteilung über seine kommende Kontaktperson eintraf.

Länger als einen Tag würde er erfahrungsgemäß nicht warten müssen. Und zur Überbrückung gab es sicher noch die eine oder andere Möglichkeit der Zerstreuung.

Der Clerk im Telegraph Office schaute Lassiter verwundert an. »Sie wollen eine Mitteilung nach Washington verschicken?«, fragte er. »Ihr Name lautet nicht zufällig Lassiter ?«

»Weder zufällig noch aus Versehen«, erwiderte der große Mann und lehnte sich neugierig über die Theke.

»Es ist ein Telegramm für Sie eingetroffen«, teilte ihm der Angestellte mit. »Wir wussten leider nicht, wo wir Sie antreffen können.«

Lassiter ließ sich den Zettel reichen und las die wenigen Zeilen aufmerksam durch. Im Anschluss zerknüllte er das Papier und schnippte es hinter den Tresen. »Unverhofft kommt oft«, meinte er nur, während sich seine Miene verfinsterte.

»Gute Neuigkeiten?«, erkundigte sich der Clerk schalkhaft.

Unwirsch sah Lassiter den jungen Mann an. »Das kommt darauf an, was Sie unter gut verstehen. Falls es darauf hinausläuft, dass die Erde sich auch morgen noch drehen wird – dann ja!« Er machte auf dem Absatz kehrt und schlurfte aus dem Telegrafenamt. Den Kurzbericht an die Brigade Sieben konnte er sich sparen. Offenbar war man im Herzen der Demokratie bereits bestens informiert. Und man hatte keine unnötige Zeit verstreichen lassen, um Lassiter mit einer Aufgabe zu betrauen, die er als höchst unbefriedigend einstufte und die keinesfalls seinem Status als Regierungsagent entsprach.

Entsprechend gereizt suchte er erneut das Marshal’s Office auf. Der Sternträger schien in Eile zu sein, sortierte im Vorbeigehen noch einige Unterlagen und schob sie zusammengefaltet unter seine Jacke. »Der Moment ist ungünstig«, brummte er und ging zum Waffenschrank. Mit flinken Fingern holte er eine Winchester hervor und schob einige Patronen ins Magazin. »Kommen Sie in einer Stunde wieder, dann bin ich für Sie da.«

»Es geht um Priest«, sagte Lassiter. »Man hat mich beauftragt, seine Überführung nach Kansas City sicherzustellen.«

Der Marshal horchte auf. »Kindermädchen für einen Schwerstkriminellen?« Er gab ein trockenes Lachen von sich. »Ihre Vorgesetzten haben Sie ja richtig ins Herz geschlossen.«

»Ich lache mit«, gab ihm Lassiter mürrisch zu verstehen, »sobald ich den Witz dahinter erkannt habe.« Schweren Schrittes umrundete er den Schreibtisch des Marshals. »Wie geht es jetzt weiter? Steht der Zug schon bereit?«

»In knapp dreißig Minuten geht es los«, bestätigte der Marshal. »Gewissermaßen fällt mir ein Stein vom Herzen, dass jemand zur Bewachung von Priest abkommandiert wurde. Es ist zwar ein Streckenagent der Union Pacific an Bord, aber Sie wissen ja, wie das ist. Diese Jungs können Probleme leiden wie Geschwüre am Hintern. Und ich glaube nicht, dass sie Priest aufhalten könnten, sollte er einen Fluchtversuch unternehmen.«

»Ich habe andere Kaliber kennengelernt«, entgegnete Lassiter und fingerte einen Zigarillo aus der Innentasche seiner Langjacke hervor. »Deswegen bin ich auch nicht sonderlich begeistert, als Aufpasser quer durch die Staaten zu reisen.«

»Wir haben alle unser Kreuz zu tragen«, versetzte der Marshal und verschwand im Nebentrakt. Das Scheppern eines Schlüsselbundes wurde laut. Dann wurde mit metallischem Klirren eine Zellentür geöffnet. Wenig später kam der Mann mit seinem Gefangenen zurück.

»Welch nette Überraschung«, säuselte Hugh Priest spöttisch, als er auf Lassiter traf. »Fast schon habe ich mir gewünscht, von Ihnen begleitet zu werden.«

»Ich werde Sie keine Sekunde aus den Augen lassen«, gab der Brigade-Agent zurück. »Im Übrigen frage ich mich, warum Sie so verdammt wichtig sind, dass man Sie auf Kosten der Steuerzahler durchs Land kutschiert.«

Ein eigentümliches Lächeln zog Priests Mundwinkel auseinander. »Vielleicht weiß ich Dinge«, sagte er geheimnisvoll, »die Ihnen nicht mal im Traum einfallen würden …«

»Genug gequasselt!«, schnauzte der Marshal, überprüfte die Handschellen an Priests Handgelenken und stieß den Mann vor. »Ich sehe noch den Abdruck der Schlinge an deinem Hals. Und wenn es nach mir ginge, würdest du längst verfaulen.«

Zu dritt machten sich die Männer auf den Weg zur Bahnstation. Wie Lassiter erfuhr, hatte der Zug einen unplanmäßigen Aufenthalt von zwei Stunden, was den Unmut einiger Fahrgäste heraufbeschworen hatte. Eine kleine Gruppe von ihnen umringte den Führerstand der Lokomotive und lieferte sich ein heißes Wortgefecht mit dem Lokführer. Erst ein bärtiger Kerl, der aus einem der hinteren Wagen hervorkam und wohl schon eine Weile zugehört hatte, konnte den Pulk auflösen.

»Der Agent der Union Pacific?«, wandte sich Lassiter an den Marshal.

»Nathan Fargo, wenn ich mich nicht irre«, sagte der Gesetzeshüter. »Er ist für die Sicherheit der Fahrgäste verantwortlich. Ich habe noch ein paar Dokumente, die ich ihm übergeben soll.« Mit mehreren hastigen Schritten lief er auf den Mann zu und überreichte ihm die Papiere, die er in seinem Office eingesteckt hatte. Es wurden noch einige Worte gewechselt, die Fargo veranlassten, zu Lassiter hinüberzuschauen. Der Streckenbeamte der Eisenbahngesellschaft ließ ein knappes Nicken erkennen und fertigte den Marshal ab.

»Ihr Einsatz«, meinte der, kaum dass er wieder bei Lassiter angelangt war. Formlos übergab er den Gefangenen an den Brigade-Agenten und ging seines Weges.

Lassiter schmunzelte. Bisher hatte ihn noch niemand nach seiner Legitimation gefragt, die ihn befähigte, den Transport durchzuführen. Allem Anschein nach bestand kein großes Interesse, sich mit der Angelegenheit auseinanderzusetzen. Jeder wollte seine Ruhe haben und tat lediglich das Nötigste, um seiner Pflicht nachzukommen. Andererseits mochte die Brigade Lassiter bereits den Weg geebnet haben. Wer wusste schon genau, über welche Möglichkeiten sie verfügte.

»Wir haben für Sie ein Abteil im vorderen Bereich des Zuges reserviert, Mister Priest«, erklärte Nathan Fargo und schwenkte seinen Blick von dem Gefangenen auf Lassiter. »Ich möchte jeden Kontakt mit den anderen Fahrgästen vermeiden. Und Sie dürften sicherlich daran interessiert sein, dass es keine außergewöhnlichen Vorfälle während der Fahrt gibt.«

»Genau wie Sie«, erwiderte Lassiter und wollte Priest an den Handschellen mit sich ziehen, doch Fargo hielt ihn auf.

»Nehmen Sie dem Mann die Handschellen ab«, forderte der Sicherheitsbeauftragte. »Wir wollen doch nicht für mehr Aufmerksamkeit sorgen als unbedingt nötig.«

Als ob es darauf jetzt noch ankäme, dachte Lassiter und sah hinauf zu den neugierigen Gesichtern, die in den Abteilfenstern erschienen waren. Doch er kam dem Wunsch des Union-Pacific-Agenten nach und nahm stillschweigend Hugh Priests triumphierendes Grinsen zur Kenntnis. Für einen Raubmörder, der gerade erst seinen Kopf aus der Schlinge gezogen hatte, benahm er sich auffällig gelassen. Lassiter würde aber noch herausfinden, was es mit seiner Abgeklärtheit auf sich hatte.

Forest Lake war ein Ort, auf den die Bezeichnung Nest wie auf kein anderes Städtchen zuzutreffen schien. Im Umkreis der Bahnstation standen ein paar einsame Häuser kreuz und quer in der Landschaft. Sie wirkten, als hätten ihre Eigentümer wild drauflos gebaut und sich weder um den Straßenverlauf noch um ein geordnetes Stadtbild geschert. Dass ausgerechnet hier der Kreuzungspunkt der Union Pacific und der Atchison, Topeka & Santa Fé war, schien einer planlosen Streckenführung entsprungen zu sein.

Gemächlich stieg Rosalie Hastings aus dem Zug, wedelte mit ihrer Rechten den Dampf beiseite, der von der Lokomotive herüberwehte, und näherte sich dem Bahnhofsgebäude. Es war nicht mehr als ein in Eile zusammengezimmerter Bretterbau, der den Eindruck erweckte, beim leisesten Windstoß einzustürzen. Eine Handvoll Leute stand davor und schien, genau wie Rosalie, auf das Eintreffen der Union Pacific zu warten. Bis dahin aber würden noch einige Stunden vergehen.

Die junge Frau mit dem schulterlangen roten Haar konnte nicht verheimlichen, dass sie nervös war. Was man ihr aufgetragen hatte, ließ sich in wenigen Worten zusammenfassen, doch die Durchführung ihres Vorhabens konnte auf unerwartete Widerstände treffen. Sie würde geschickt vorgehen müssen, um für alle Fälle gerüstet zu sein.

Nachdenklich betrat sie die Railway Station und gelangte in einen Raum mit einem Tresen, drei Tischen und mehreren Stühlen, dazu eine Standuhr, deren Ziffernblatt hinter einer schmutzverkrusteten Glasabdeckung lag. Das Mobiliar war lieblos zusammengestellt und lud nicht gerade zum Verweilen ein. Unübersehbar war der Staub auf den Tischen und dem Bretterboden. Schaudernd blickte Rosalie in eine Ecke, in der ein Hund sein Geschäft verrichtet hatte.

»Was darf’s sein, Ma’am?«, krächzte mit einem Mal eine Stimme. Sie gehörte einem Altertümchen, das gebückt hinter der Theke stand und sich zitternd daran festhielt. Der Mann blinzelte verkrampft in den Schankraum und hatte offensichtlich den Großteil seiner Sehkraft bereits eingebüßt. »Ich habe Kaffee und einen ordentlichen Rachenputzer.«

Innerlich schüttelte sich Rosalie Hastings. Wenn der Kaffee dem Ambiente entsprach, konnte er eigentlich nur ungenießbar sein. »Ich nehme einen Whiskey«, sagte die Rothaarige und glaubte, mit ihrer Wahl nichts verkehrt machen zu können. Außerdem würde der Alkohol ihr ein wenig die Beklemmung nehmen, die der Gedanke an ihre bevorstehende Aufgabe verursacht hatte.

Der greise Barkeeper schenkte mit fahrigen Bewegungen ein, sodass das Glas schließlich in einer Whiskeypfütze stand. Mit spitzen Fingern griff Rosalie danach und führte es zum Mund. Nachdem sie zweimal daran genippt hatte, setzte sie sich an einen Tisch und wischte mit einem Taschentuch über den klebrigen Staub. Was sie hervorrief, war ein unansehnlicher Schmierfilm, der sie entnervt mit den Augen rollen ließ. »Putzt hier eigentlich niemand?«, rief sie dem alten Mann in aufsteigendem Ärger zu.

»Ist doch alles sauber«, erhielt sie zur Antwort und sah die flatternden Lider ihres Gegenübers. Wahrscheinlich bemerkte er wirklich nichts von dem Dreck um ihn herum.

Träge krochen die Minuten dahin. Immer wieder warf Rosalie einen Blick auf die Standuhr, doch die Zeiger bewegten sich mit einer Langsamkeit, als wollten sie die junge Frau verhöhnen. Die erste halbe Stunde des Wartens erschien ihr wie eine Ewigkeit, was nicht gerade dazu beitrug, dass sich ihre Ruhelosigkeit legte.

Dann aber trat eine Veränderung ein. Rosalie Hastings bemerkte es, als sie den letzten Schluck aus ihrem Glas genommen hatte und plötzlich ein Kribbeln in ihrem Nacken verspürte. Gleich darauf hörte sie das Stampfen von Pferdehufen.

Alarmiert ruckte ihr Kopf zur Seite. Mit glasigem Blick erkannte sie vier Reiter, die über die staubige Durchgangsstraße preschten, unmittelbar vor dem Bahnhofsgebäude hielten und aus ihren Sätteln stiegen. Einer stieß die Tür auf, sodass sie scheppernd gegen die Wand knallte. Dann stiefelte er seelenruhig zum Tresen, während seine Kumpane ihm folgten und sich in dem Raum aufstellten.

Als wollte er eine Drohung vermitteln, zog ein Kerl mit scharf geschnittenen Gesichtszügen seinen Revolver und drehte gedankenverloren die Trommel. Ein Zweiter hockte sich auf einen Fenstervorsprung und reinigte seine Fingernägel. Die beiden anderen lehnten an der Theke, ließen ihre Blicke flüchtig über Rosalie gleiten und wandten sich gleich wieder ab. »Gibt’s hier auch was zu schlucken?«, rief der Größere der beiden und schlug mit der flachen Hand auf den Tresen.

Der alte Barkeeper hatte sich schon längst nach nebenan verzogen. Rosalie hatte noch gesehen, dass er sich eine Schirmmütze übergestreift hatte und vermutlich Fahrkarten verkaufte. Mit seiner eingeschränkten Sehkraft mochte ihm das gerade noch gelingen. Doch um sein Gehör war es allem Anschein nach auch nicht besser bestellt. Der Kerl an der Theke musste noch zweimal lautstark rufen, ehe der Greis heranhumpelte.

»Was ist los?«, keifte er ärgerlich. »Was, zum Teufel, wollen Sie?«

»Na, was wohl, alter Mann?«, raunte der Fremde. »Schieb mal ’ne Pulle von deinem Gesöff rüber.«

Sein Begleiter legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Wir sollten es nicht übertreiben, Pike«, brummte er. »Die Sache kann noch gefährlich werden.«

»Der Zug kommt erst in ein paar Stunden«, entgegnete Pike. »Soll ich bis dahin Wasser saufen, Lee?«

Der Angesprochene drehte sich seinen Kumpanen zu. »Wollt ihr euch auch die Rübe zusaufen? Was meinst du, Chester?«

Der Mann unterbrach das Stochern unter seinen Fingernägeln und zuckte die Achseln. »Ich bin Kennys Meinung.« Er stieß seinen Nachbarn, der immer noch mit seinem Revolver spielte, an und lachte.

Kenny sah auf, spannte den Hahn seiner Waffe und richtete die Mündung auf den alten Clerk. »Wenn ich den Tattergreis in zwei Stunden aus der Entfernung noch treffe, ist alles klar. Ich denke, ein paar Drinks können nicht schaden.« Er wiegte seinen Kopf und raunte Pike zu: »Bist du auch sicher, dass der Bastard sich im Zug befindet?«

Ehe er antwortete, riss Pike dem Barkeeper die Flasche aus der Hand, entkorkte sie und nahm einen kräftigen Schluck Whiskey. »Clarence sagt, er ist da. Also ist er auch da.«

»Clarence, Clarence!«, äffte Kenny den Namen nach. »Bloß, weil er den Senator kennt, heißt das nicht, dass er alles weiß.«

Auf Pikes Miene erschien ein spöttisch-überheblicher Ausdruck. »Was meinst du wohl, wer die Strecke vorgeschlagen hat …?«

Atemlos hatte Rosalie Hastings den Worten der Männer gelauscht und wäre am liebsten im Boden versunken. Ihr Gesicht musste Bände sprechen und konnte von dem Quartett unmöglich unbemerkt bleiben.

»Alles in Ordnung, Miss?«, fragte Lee und deutete grinsend auf das leere Whiskeyglas, das vor Rosalie auf dem Tisch stand. »Das Zeug geht ordentlich in die Birne.«

Die Rothaarige spürte, wie sich das Blut in ihrem Kopf staute. Hastig sprang sie auf und lief aus dem Gebäude. Draußen noch hörte sie das Gelächter der Männer, während sich ihre Gedanken überschlugen.

Die Situation hatte bereits jetzt eine Wende genommen, die nicht vorhersehbar gewesen war. Clarence Cunningham!, wehte es durch ihren Verstand, und es klang wie ein Fluch. Du gottverdammter, mieser Dreckskerl!

»Fargo!«, schrie Hugh Priest gegen das Rattern der Waggonräder an, lehnte sich mit dem Rücken gegen das Abteilfenster und streckte seine Beine auf der Sitzbank aus. »Ich habe einen Mordshunger! Rücken Sie mal mit der Speisekarte ran!«

»Sie essen, wenn wir alle essen«, sagte Lassiter, der dem Banditen auf der anderen Gangseite gegenübersaß. »Spielen Sie sich nicht auf, als würde Ihnen der Zug gehören!« Rasch warf er einen Blick zum Ende des Wagens. Nathan Fargo war bereits eine Weile verschwunden, hatte aber sicher noch andere Dinge zu erledigen, als für Priest den Schuhabtreter zu spielen. Es war verwunderlich, dass die Union Pacific überhaupt einen Mann abgestellt hatte, der sich um das Wohlbefinden eines Gefangenen kümmern musste. Offensichtlich war die Anweisung von höchster Stelle erfolgt, was wiederum Lassiters Neugier weitere Nahrung gab. Was erhoffte sich die Justiz von Priest?

Es schien, als hätte der Raubmörder die Gedanken des Brigade-Agenten erraten. »Erstaunt?«, fragte er hinterhältig. »Wundern Sie sich gerade, wer mich vor dem Strick bewahrt und in einen Zug nach Kansas City gesetzt hat?«

»Das tue ich«, bekannte Lassiter. »Wie lautet die Antwort?«

Priest genoss seine Überlegenheit sichtlich. Er rekelte sich behaglich, holte Tabak aus seiner Hemdtasche hervor und drehte sich eine Zigarette. Erst nachdem er sie angezündet und tief inhaliert hatte, ließ er sich zu einer Erwiderung herab. »Da sind ein paar Männer«, begann er, »von denen ich mehr weiß, als ihnen lieb ist …«

»Was für Männer?«, hakte Lassiter nach.

»Solche«, fuhr Priest fort, »die über der Gesellschaft stehen. Solche, die sie nach ihrem Willen formen. Tycoons, Politiker, Bankiers … Sie wissen schon.«

Lassiter stutzte. »Man braucht Sie, um diese Kerle ans Messer zu liefern? Diese Personen dürften hinreichend bekannt sein.«

»Sie sind bekannt«, bestätigte Priest. »Weniger bekannt ist das, was sie tun.«

»Woher wissen Sie davon?«

Hugh Priest lächelte verwegen. »Man bekommt so einiges mit, sobald man sich in gewissen Kreisen bewegt. Diese Kerle sind von einer Skrupellosigkeit, die ihresgleichen sucht. Ich bin selbst kein Kind von Traurigkeit, aber die Verachtung, mit der bestimmte Leute gegen Menschen vorgehen, um einen Profit zu erwirtschaften, ist beispiellos. Es ist eine Teufelei, angeregt von Satan selbst.«

Wenn ein Teufel vom Teufel spricht, überlegte Lassiter und wurde sich der Widersinnigkeit des Gedankens bewusst. Priest hatte Banken ausgeraubt, Armeedepots überfallen und wahllos Männer, Frauen und sogar Kinder erschossen. Man konnte nur Abscheu für ihn empfinden. Offenbar aber empfand er großen Respekt vor jenen, die noch abgefeimter waren als er selbst. Es entstand der Eindruck, als würde er sich gern mit ihnen auf eine Stufe stellen. Er schien jedoch einzusehen, dass er sie niemals erreichen konnte. Vielleicht lag darin der Grund, dass er sich nun gegen seine ehemaligen Auftraggeber wandte.

Lassiter wollte es genauer wissen. »Sie müssen ein Vermögen angehäuft haben. Warum haben Sie sich auf einen Deal mit der Regierung eingelassen und sind nicht auf der schiefen Bahn geblieben?« Für den Mann der Brigade sieben war es ein offenes Geheimnis, dass man Priest einiges angeboten haben musste, um ihn die Seiten wechseln zu lassen.

»Sie wollen eine Menge wissen, Mister Lassiter. Ich will es mal so sagen: Es hat Differenzen gegeben. Unüberwindliche. Das sollte Ihnen vorerst reichen.«

»Und die Jagd in den Sangre-de-Cristo-Mountains? Sie wussten doch, dass man Sie nicht entkommen lassen würde.«

Mitleidig schüttelte Hugh Priest seinen Kopf und sog an seiner Zigarette. »Das war keine Flucht, nur ein kleiner Spaß, den ich mir erlaubt habe. Hätte ich mich Ihnen sonst freiwillig gestellt?«

»Verflucht riskant«, ließ Lassiter sich vernehmen. »Sie hätten draufgehen können.«

Priest winkte ab. »Ich bin zu wichtig, als dass man mir hinterrücks eine Kugel verpassen würde.« Er schnippte seinen Zigarettenstummel fort und schoss unvermittelt in die Höhe. »Fargo!«, donnerte er. »Wie oft muss ich Sie noch rufen, ehe Sie Ihren Arsch zu mir bewegen?«

Nahezu eine volle Minute starrte Hugh Priest unentwegt auf die Waggontür, bis sie schließlich geöffnet wurde. »Es gab ein Problem an der hinteren Wagenkupplung«, meinte Fargo wie als Entschuldigung. »Was kann ich für Sie tun?«

Eingehend musterte Lassiter den Sicherheitsagenten des Zuges. Obwohl er sich Mühe gab, seine wahren Gefühle zu verbergen, konnte man an seinen Augen ablesen, dass es in ihm brodelte.

»Ich will was zu fressen haben!«, schnauzte Priest und kostete es bis zu Fargos Schmerzgrenze aus, ihm Befehle zu erteilen. »Aber ja was Anständiges! Steak und Speckkartoffeln! Zum krönenden Abschluss einen Brandy.«

»Kann ich Ihnen auch etwas bringen lassen, Mister Lassiter?«, fragte Fargo.

Der Brigade-Agent verneinte. »Vielleicht später«, meinte er und überlegte, wie lange sich der Union-Pacific-Mann die Frechheiten des Banditen noch gefallen lassen würde.

»Innerhalb der kommenden Stunde erreichen wir Smoky Springs«, sagte Nathan Fargo im Gehen. »Wir werden etwa zwanzig Minuten Aufenthalt haben und Wasser und Kohle auffüllen. Zeit genug, sich ein wenig die Füße zu vertreten und nach den Tieren zu sehen.«

Lassiters Grauschimmel befand sich im Frachtwagen am Ende des Zuges. Er würde das Pferd kurz ins Freie führen und ihm frisches Wasser geben. Die stickige Luft und die Finsternis wollte Lassiter seinem Hengst nicht für den Rest der Strecke zumuten.

»Die sollen bloß nicht glauben«, sagte Hugh Priest mit einem Mal, »dass die mich in Kansas City wie einen Sträfling behandeln können. Immerhin kann ich dafür sorgen, einen Waffenhändlerring auffliegen zu lassen, der denen schon seit einiger Zeit Kummer bereitet.«

Sprach da plötzlich Besorgnis aus Priests Worten? Lassiter hatte eine eigene Vermutung. »Sie sitzen zwischen zwei Stühlen, habe ich Recht?«, sagte er. »Einerseits sind Sie sich nicht mehr so sicher, dass man Ihnen Privilegien zugesteht, andererseits müssen Sie damit rechnen, dass Ihre früheren Auftraggeber eine Aussage vor Gericht verhindern wollen. Und der Weg bis Kansas City ist lang. Da kann so einiges passieren.«

Auf Priests Zügen zeichnete sich verhaltener Zorn ab. »Sie sind dafür zuständig, dass mir nichts zustößt!«, blaffte er. »Also machen Sie Ihren Job und gehen mir nicht auf die Nerven!«

Volltreffer!, schoss es Lassiter durch den Kopf. Der Mann hatte Angst vor der eigenen Courage. Dennoch, sponn der Brigade-Agent den Gedanken weiter, hatte einer wie er immer noch einen Trumpf im Ärmel.

Das Zimmer mit den erlesenen Möbeln, den Wandgemälden und schweren Brokatvorhängen war in dämmriges Licht getaucht. Rauchschwaden von Zigarren und Pfeifen hingen wie gefrorenes Gespinst in der Luft. Zwei Männer in edlen Anzügen saßen sich schweigend gegenüber. Zwischen ihnen, auf einem Diwan, hockten zwei unverhüllte Frauen, die ihre nackten Körper aneinander rieben und sich leidenschaftlich küssten. Ihre Hände lagen jeweils auf den Brüsten der anderen, glitten jedoch wie auf ein geheimes Kommando hinab zu den Hüften, um sich zaghaft zum Zentrum der Lust vorzuarbeiten.

»Es ist genug!«, rief einer der Männer und stieß hastig den Rauch seines Pfeifentabaks aus. »Schert euch nach draußen! Wir haben zu reden!« Brennend war sein Blick auf die Nymphen gerichtet, die Arm in Arm den Raum verließen.

»Warum so grob?«, erkundigte sich Edward Kean und klopfte die Asche seiner Zigarre ab. »Ich fand die Girls recht unterhaltsam.«

Clarence Cunningham legte seine Pfeife beiseite und überkreuzte seine Beine. »Ich kann dir ein Dutzend von ihnen besorgen, wenn das dein Anspruch ist. Aber so gefällig sie auch waren, gibt es Dinge, die nicht für ihre Ohren bestimmt sind.«

»Priest?«, fragte Kean.

»Priest!«, bestätigte Cunningham. »Das ist keine Angelegenheit, die wir auf die leichte Schulter nehmen dürfen.«

»Die Richter in Kansas City sind leider nicht bestechlich. Ein Mittelsmann von mir hat sie auf die Probe gestellt und schmort nun hinter Gittern. Allerdings habe ich dafür gesorgt, dass er den nächsten Tag nicht mehr erleben wird.«

»So wie Priest«, fügte Cunningham hinzu, schwächte jedoch ab: »Falls meine Leute den Auftrag wie geplant erledigen.«

»Hast du Bedenken?« Kean setzte eine überraschte Miene auf. »Pike und seine Halsabschneider sollten in der Lage sein, das Problem zu lösen.«

Cunninghams Rechte wischte durch die Luft, als wollte er sie in Scheiben schneiden. »Du kennst diesen Galgenvogel nicht, Edward! Was meinst du wohl, weshalb es zum Zerwürfnis zwischen uns gekommen ist? Die Geschichte mit Stan ist dir doch wohl bekannt – oder irre ich mich?«

»Nein …« Edward Kean wirkte betroffen. »Natürlich nicht.« Verlegen zog er an seiner Zigarre und schaute den Rauchwölkchen nach. »Du wirst aber doch nicht abstreiten können, dass …«

»Darum geht es doch gar nicht!«, versetzte Cunningham barsch. »Priest hat eine Grenze überschritten! Die Konsequenzen, wenn er es nicht getan hätte, spielen überhaupt keine Rolle!«

Für eine Weile schwieg Edward Kean. Er kannte den Mann ihm gegenüber wie seine Westentasche und wusste, dass sein Verstand über seine aufgepeitschten Emotionen siegen würde. Daher meinte er lediglich: »Es ist alles in bester Ordnung. Meine Informanten sind mit den Plänen der Richter in Kansas bestens vertraut. Deshalb kann ich dir auch mitteilen, dass Priest einen herben Rückschlag erleiden wird. Die Prozessführung gegen uns wird damit infrage gestellt. Und für alle Fälle haben wir ja noch Pike und seine Spießgesellen. Sie wissen, wo der Hase langläuft.« Heiter lachte er auf. »Priest ist Geschichte. Wir können uns wieder völlig unbefangen unseren Geschäften widmen.«

Clarence Cunningham blieb skeptisch. »Ich traue dem Braten nicht. Man wird Priest bewachen. Außerdem weiß er genau, dass nur die Justiz ihm Schutz vor uns gewähren kann. Es ist völlig offen, wofür er sich entscheidet …«

»Hol die Weiber wieder rein«, machte Kean einen Vorschlag. »Das wird dich und mich auf andere Gedanken bringen.«

Cunningham schien unschlüssig, kam der Anregung aber schließlich nach. Noch im selben Moment öffnete sich die schwere Eichenholztür, und die nackten Frauen traten hüftschwingend ein. Sie lösten sich aus ihrer innigen Umklammerung und steuerten die Sitzplätze der Männer an. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, langten sie nach den aufgerichteten Ruten ihrer Herren.

»So lasse ich mir das gefallen«, lobte Kean und legte seine Hand auf den Hinterkopf seiner Mätresse. »Mach schön weiter, dann soll es dir an nichts mangeln.«

Die Atmosphäre war aufgeladen von prickelnder Leidenschaft. Stöhnen und Sauggeräusche erfüllten das Zimmer. Nahezu gleichzeitig eroberten die Girls den Schoß ihrer Freier und gaben sich lustvoll deren Stößen hin.

»Hat’s Ihnen geschmeckt?«, wollte Lassiter wissen, ohne wirklich an einer Auskunft interessiert zu sein. Er wollte lediglich dem Schmatzen und Schnalzen des Gangsters einen Riegel vorschieben.

»Das Steak war durch. Ich mag’s aber lieber blutig.« Hugh Priest grinste frech. »Bis zum nächsten Stopp kriegen wir das aber sicher hin.«

»Erst mal halten wir in Smoky Springs«, gab Lassiter zur Antwort und schaute aus dem Fenster. Der Bahnhof lag gleich voraus. »Beim geringsten Anzeichen eines Fluchtversuchs lernen Sie mich kennen!«

Ungläubig riss Hugh Priest seine Augen auf und stellte seinen Teller beiseite. »Warum sollte ich mich aus dem Staub machen? Mir ist es noch nie so gut wie jetzt ergangen. Ich habe meinen persönlichen Lakai, der mir fast jeden Wunsch von den Augen abliest. Bestimmt würden Sie gern mit mir tauschen.«

»Halten Sie einfach den Mund, Priest«, entfuhr es Lassiter. »Je weniger Sie sagen, desto größer ist die Chance, dass Ihnen keiner die Visage einschlägt.« Mit diesen Worten stand er auf und bedeutete dem Gefangenen, sich ebenfalls zu erheben.

»Ich bleibe lieber sitzen«, versetzte Hugh Priest und drehte seinen Kopf zur Seite.

»Das war kein Angebot, sondern ein Befehl!«, schnappte Lassiter. »Ich werde Sie keinesfalls zurücklassen, während ich nach meinem Pferd sehe!«

Zähneknirschend rutschte Hugh Priest von seiner Sitzbank. »Das bringt Ihnen keine Pluspunkte ein. Wenn ich in Kansas City erzähle, dass Sie mich gegängelt haben, werden Sie es sein, der Rechenschaft ablegen muss.«

»Damit kann ich leben.« Lassiter packte den Ganoven beim Oberarm und zerrte ihn in den Durchgang des Waggons. »Wer hoch hinaus will, hat einen tiefen Fall. Das sollten Sie nicht vergessen.«

Von der Lokomotive tönten Signallaute heran. Ein Ruck ging durch die Wagen, als die Zugmaschine zum Bremsen ansetzte. Pfeifend und zischend wehten Dampfwolken an den Fenstern vorüber. Stahlräder schabten über die Gleise, drehten sich entgegen der Fahrtrichtung und brachten den Zug zum Halten.

Aus dem Augenwinkel sah Lassiter einen Kurierreiter herankommen, sein Pony drosseln und behände aus dem Sattel springen. Der junge Bursche hielt ein Kuvert in seinen Händen und reichte es einer Person, die außerhalb von Lassiters Blickfeld stand. Erst als er genauer hinsah, erkannte er Nathan Fargo.

»Was ist denn jetzt?«, beschwerte sich Hugh Priest. »Gehen wir nach draußen, oder lassen wir es bleiben?«

Lassiter versetzte ihm einen unsanften Stoß in den Rücken. »Solange ich für Sie verantwortlich bin«, zischte er, »werden Sie genau das tun, was ich von Ihnen verlange!« Ihm fiel auf, dass ein Lächeln über Fargos Züge huschte, nachdem er den Inhalt des Umschlages studiert hatte.

»Treiben Sie es nicht auf die Spitze, Mister Lassiter!«, schnarrte Priest. »Sie unterschätzen meinen Einfluss. Ich genieße Protektion!«

Der Mann der Brigade Sieben fühlte, dass er sich der Herausforderung stellen musste. »Lecken Sie mich am Arsch, Priest! Mit Fargo können Sie Ihre Show abziehen, bei mir beißen Sie auf Granit!«

Unwillig tappte Priest ein paar Schritte vor. »Sie haben keine Ahnung«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »mit wem Sie sich anlegen!«

Lassiter schenkte dem Halunken nur noch die Beachtung, die nötig war, um ihn in Schach zu halten. Er versorgte seinen Grauschimmel, führte ihn einige Male im Kreis und schließlich zurück in den Frachtwaggon. Als er wieder das einsame Abteil erreichte, das Hugh Priest zugewiesen worden war, hatte sich Nathan Fargo darin breitbeinig aufgebaut. In Siegerpose hielt er ein Stück Papier in die Höhe, das er dem Kuvert des Kurierreiters entnommen haben musste.

»Ihre Felle schwimmen davon«, sagte der Sicherheitsbeauftragte voller Genugtuung und ließ Hugh Priest keine Sekunde aus den Augen. »Ihre Zukunftspläne lösen sich auf wie Butter in der Sonne.«

»Sparen Sie sich Ihre großspurigen Reden!«, erwiderte Priest gehässig. »Sie sind mein persönlicher Diener! Dafür hat die Union Pacific Sorge getragen! Also verhalten Sie sich auch so, denn sonst sorge ich dafür, dass Sie demnächst Ihr Fressen aus der Bordsteinrinne fischen!« Groll funkelte im Blick des Raubmörders. Er schien tatsächlich der Meinung zu sein, eine erhabene Position innezuhaben.

Nathan Fargo belehrte ihn eines Besseren. »Diese Nachricht stammt aus Kansas City! Unterzeichnet ist sie von Richter Seagrove.« Tiefe Befriedigung schwang in den Worten mit. »Alle mit Ihnen, Mister Priest, getroffenen Vereinbarungen, werden zurückgenommen! Ihre bevorzugte Behandlung ist hinfällig, ebenso die mit dem Regierungsvertreter Colin Waste getroffenen Vereinbarungen über Hafterlassung und angemessene Entschädigung. Erleichterungen im Strafvollzug werden Ihnen weiterhin zugesprochen, doch ein Haftantritt ist unvermeidlich.«

Lassiter konnte Fargos Befreiung aus der Knechtschaft förmlich spüren. Der Mann der Union Pacific schien nur auf eine solche Gelegenheit gewartet zu haben. Umso intensiver kotete er seinen Triumph aus.

»Es sieht so aus«, fuhr Fargo fort, »als wären die Zeiten von Steaks mit Speckkartoffeln ein für alle Mal vorbei …«

»Das ist ein Trick!«, platzte es aus Priest heraus. »Man braucht mich! Ohne mich habt ihr nichts in der Hand!«

»So, wie es aussieht«, erklärte Fargo genüsslich, »hast du keine andere Wahl, als die neuen Bedingungen zu akzeptieren – oder vor die Hunde zu gehen …«

Wie eine Marionette, deren Fäden man gekappt hatte, sank Hugh Priest in sich zusammen. »Die Hölle soll diese Bastarde verschlingen!«, murmelte er. »Sie haben mich benutzt, um ihren Erfolg zu sichern. Jetzt ist ihnen alles egal, weil sie wissen, dass ich ihnen ins Netz gegangen bin …«

Lassiter sah die Situation ein wenig pragmatischer, denn Priest war keinesfalls so aufgewühlt, wie er den Anwesenden weismachen wollte. Für den Fall der Fälle hatte er Vorsorge getragen. Davon war Lassiter überzeugt und fragte Nathan Fargo: »Wie heißt unsere nächste Station?«

»Forest Lake«, sagte der Beauftragte der Union Pacific.

Die Entscheidung stand bevor. Wie sie jedoch ausfallen würde, das konnte nicht einmal der Mann der Brigade Sieben ahnen.

Im Nachhinein kam Rosalie Hastings ihre überstürzte Flucht aus der Bahnhofsgaststätte dumm und einfältig vor. Was war nur mit ihr los gewesen? Beherzt und unerschrocken beging sie riskante Diebstähle, aber die Aussagen von ein paar dahergelaufenen Revolverschwingern bereiteten ihr Atemnot. Sie musste dringend ihre Ausgeglichenheit zurückgewinnen, ehe ihr Plan hoffnungslos scheiterte.

Sie straffte sich, richtete den Faltenwurf ihres langen Kleides und ging zurück in den Schankraum. Sie gab sich vollkommen unbeteiligt, setzte sich wieder an ihren Tisch und schenkte den vier Kerlen keine weitere Beachtung. Zumindest äußerlich gab sie sich diesen Anschein. Ihr Innerstes war nach wie vor aufgewühlt, und die Rothaarige versuchte, es durch tiefes gleichmäßiges Atmen zu beschwichtigen.

Tatsächlich stellte sich ein Erfolg ein. Sie besann sich auf ihre bevorstehende Aufgabe und überlegte, wie sie sie trotz der Einmischung des finsteren Quartetts bewältigen konnte, warf immer mal wieder einen Blick auf die Standuhr und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Zeit plötzlich deutlich schneller zu verstreichen schien.