Lassiter Sammelband 1855 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1855 E-Book

Jack Slade

0,0
4,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2446, 2447 und 2448.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 395

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jack Slade
Lassiter Sammelband 1855

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2019 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Norma/Boada

ISBN: 978-3-7517-4724-0

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1855

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2446

Die Red-Line-Connection

Lassiter 2447

Heiße Liebe – kalter Tod

Lassiter 2448

Mit den Stiefeln voran

Guide

Start Reading

Contents

Die Red-Line-Connection

Die Concord-Kutsche der Bain Freight Company rutschte mit quietschenden Rädern durch das Geröll und geriet in bedenkliche Schräglage. Das Gespann war das trockene Flussbett hinaufgefahren, von dem Kutscher Larry Barncastle wusste, dass es der kürzeste Weg in die zerklüfteten Vorgebirge der Mescalero Mountains war.

»Schneller, schneller!«, schrie Barncastle und hieb mit der Peitsche auf die beiden Fuchsrappen vor der Kutsche ein. »Ihr Biester, lauft! Lauft, wenn euch das Leben lieb ist!«

Die Verfolger waren der Postkutsche dicht auf den Fersen. Sie schossen aus großkalibrigen Gewehren, die Barncastle oft nur um Haaresbreite verfehlten.

»Lauft!«, keuchte Barncastle und starrte dem Tod bereits ins Auge. »Lauft!«

Weniger als eine Viertelstunde vor dem brutalen Tod von Larry Barncastle, dessen halb zerfetzter Leichnam erst ein gutes Jahr darauf von einem Siedlertreck gefunden werden sollte, zündete sich Jack Dolan am Mesilla-Pass seine Pfeife an. Er hatte sie mit dem guten Tabak gestopft, den seine Auftraggeber ihm bisweilen zum Dank für seine Diskretion mitgaben. Der Tabak roch nach Veilchen, sobald man ihn tief in die Lunge sog.

»Wo steckt der Lumpenkerl?«, knurrte Dolan zu den beiden Mexikanern, die unbeweglich in ihren Sätteln saßen. Sie hatten die Blicke in das bewaldete Tal gerichtet, in dem das Sonnenlicht auf den Baumwipfeln glänzte. »Ich hatte gehofft, dass er es vor dem Mittag hinaufschafft.«

Der ältere Mexikaner hieß Maruano und hatte die ledrige Haut eines Trappers. Er wandte den Kopf halb zu Dolan und sprach mit belegter Stimme. »Paulo und die anderen müssen ihn bereits getroffen haben, Mr. Dolan. Er ist auf dem Weg zu uns.«

Der schwerfällige Akzent seines besten Mannes, der selten genug sprach, regte Dolan zu einem Schmunzeln an. Er hätte sich eine halbe Stunde über den Mexikaner lustig machen können, solch gute Löhne zahlte er den Männern. Sie würden ihn für keine Kränkung belangen, weil jedes Widerwort sie zurück in die Baumwollfelder von Texas schicken würde.

»Wann hast du Paulo losgeschickt?«, fragte Dolan und nahm einen tiefen Zug Veilchentabak. Er lehnte sich im Sattel zurück und blies den Rauch als kerzengerade Säule in die Luft. »Die Bain Freight Company schert sich gerade einen Dreck um ihre Kutscher. Der Alte ist weg vom Direktorensessel.«

Maruano nickte nachdenklich und wischte sich eine Locke seines pechschwarzen Haares aus der Stirn. Er war ein genügsamer Mexikaner, der von irgendeiner barbusigen Señorita in seinem Heimatdorf träumte, das so weit entfernt war, dass sich Dolan nicht einmal den Namen gemerkt hatte.

»Der Alte ist endlich fort«, setzte Dolan nach und schwenkte die qualmende Pfeife hin und her. »Und der junge Bain, der kann keinen Falben von ’nem Rappen unterscheiden und versteht vom Frachtgeschäft gleich gar nichts.« Er grinste breite. »Es könnte kaum bessere Zeiten für uns geben.«

Dass die Mexikaner seine Einschätzung nicht teilten, wusste Dolan, und trotzdem war es ihm gleichgültig. Er hatte diese Bande zusammengeschmiedet, als diese mexikanischen Höllenhunde gerade in der Patsche gesessen hatten, und mit diesem Pfund konnte er wuchern, so oft er nur wollte. Sie fraßen ihm aus der Hand, an jedem verdammten Tag aufs Neue.

»Dort unten!«, sagte Maruano plötzlich und streckte den Arm aus. Er wies auf eine blasse Rauchfahne, die sich das trockene Bett des Conjero River hinaufschob. »Er hat das Bett genommen, wie wir’s gesagt haben. Er fährt den Fluss hoch, Boss. Er fährt ihn hoch.«

Inzwischen hatten Dolan und der zweite Mexikaner längst nach ihren Whitney-Kennedy-Gewehren gegriffen und die Ladehebel zum Kolben gezogen. Sie ritten an Maruano vorbei und spähten selbst ins Tal hinunter.

»Ganz nach Plan!«, frohlockte Dolan und schlug die Pfeife am Arm auf. Er sah der glimmenden Asche nach, die im Wind davonsegelte. »Schießt ihn vom Bock und passt auf, dass die Kutsche nicht zu viel abkriegt! Los, los! Reiten wir!«

Die drei Berittenen stoben in fliegendem Galopp den Berghang hinunter und hielten mit gesenkten Köpfen auf die heranrasende Kutsche im Tal zu. Als sie sich dem Concord-Gespann auf fünfzig Yards genähert hatten, nahmen sie die Zügel an und eröffneten das Feuer auf den Kutscher.

Die ersten Salven richteten keinerlei Schaden.

Der Bain-Freight- Mann nutzte jede Biegung des einstigen Flusslaufes auf, der die Kutsche immer wieder vor den Blicken Dolans und seiner mexikanischen Schützen verbarg. Er fuhr nach dem Manöverkatalog, den sie von der Frachtgesellschaft kannten, und trotzdem tat er es so trickreich, dass Dolan nach dem fünften Fehlschuss der Zorn packte.

»Holt ihn herunter, verdammt!«, brüllte Dolan und riss das Pferd mit einem groben Zügelruck zur Seite. Er stopfte mit einer Hand eine .45-60er-Patrone in den Ladeschacht seiner Whitney-Kennedy und schlug den Hebel zurück. »Wenn ihr ihn nicht kriegt, streich’ ich jedem von euch zwei Dollar vom Lohn!«

Die beiden Mexikaner waren längst auf und davon.

Sie hatten die Kutsche von beiden Seiten aus in die Zange genommen und feuerten ihre Gewehre fast zur gleichen Zeit ab. Eine Kugel durchschlug die rechte Wade des Kutschers und entlockten ihm einen gellenden Fluch.

Nun war Dolan selbst an der Reihe.

Er trieb das Pferd in einen quälenden Galopp entlang des Flussbettes, das inzwischen nahezu ausschließlich mit Geröll und größeren Felsbrocken gefüllt war. Der Kutscher der Concord sah einige Male zu ihm herüber, ehe er sich wieder das verletzte Bein hielt.

Die beiden Füchse vor der Postkutsche donnerten den steinernen Conjero River hinauf.

Fast noch aus der Hüfte legte Dolan auf den Wagenlenker an und legte den Finger an den Abzug. Er starrte eine Sekunde lang in die Mescalero Mountains hinauf, deren schroffen Felswände allmählich näherkamen. Er musste den Kutscher erwischen, ehe das Gelände zu beschwerlich für eine Verfolgung wurde. Sollte die Kutsche verunglücken, war sie für den Schmuggel hinüber nach San Antonio nutzlos.

»Hey, Dreckskerl!«, schrie Dolan und drückte im selben Augenblick ab. Aus dem Hals des Kutschers stob eine Blutfontäne, bevor der Mann mit einem gellenden Schrei vom Bock stürzte und vom Hinterrad seiner eigenen Kutsche überrollt wurde.

Die Füchse ließen sich davon nicht beirren.

Der Kutscher blieb verkrümmt im Flussbett zurück und wimmerte vor Schmerzen. Er flehte die Mexikaner um Hilfe an, die nach einem kurzen Ritt bei ihm waren und ihre Gewehre gesenkt hielten.

Dolan wusste aus Erfahrung, dass sie dem Sterbenden keine Gnade schenken würden.

Sie ließen ihn wie ein Schwein ausbluten und würden ihm erst den erlösenden Schuss verpassen, sobald sie den Befehl dazu erhielten. Sie ließen ihn leiden, damit diejenigen, die den Toten fanden, die Handschrift der Red-Line-Connection erkannten.

Dolan stieg langsam aus dem Sattel.

Der Ritt hinunter nach Mesilla hatte solcherart an Lassiters Kräften gezehrt, dass der Mann der Brigade Sieben an der Bar des McCall-Saloons um den stärksten Brandy bat, den der Barkeeper zu bieten hatte. Er schob ganze zwei Dollar über den Tresen, um die Ernsthaftigkeit seiner Anfrage zu unterstreichen.

»Maryland Peach?«, hakte der Barkeeper nach und schob dem breitschultrigen Mann mit den sandblonden Haaren ein Glas hin. Er wirbelte mit der anderen Hand eine Cognacflasche durch die Luft und lächelte. »Geb’ ich jedem, der so ein Gesicht zieht wie Sie!«

Die Frühjahrsstürme in den San Andres Mountains hatten den schmalen Pfad, den Lassiter südwestlich von Gallinas genommen hatte, in einen reißenden Strom aus Schlamm und entwurzelten Bäumen verwandelt. Er hatte vier Nächte ohne Proviant unter einem Felsvorsprung ausgeharrt, bevor er auf ein Kavallerieregiment getroffen war, das unterwegs nach Fort Selden gewesen war.

»Geben Sie mir besser gleich zwei!«, murmelte Lassiter und wischte sich durch das bärtige Gesicht. Er wartete noch immer auf ein Telegramm aus Washington. »Wie zuverlässig ist euer Post Office?«

Der Barkeeper goss ein zweites Glas ein und winkte nach einem der Mädchen auf der anderen Seite des Saloons. »Äußerst zuverlässig, Sir, sofern es nicht stürmt und wütet in den Bergen. – Suchen Sie nach Zerstreuung?«

Die rothaarige Schönheit, die der Barkeeper herangerufen hatte, ließ sich auf dem Hocker neben Lassiter nieder und strahlte ihn an. Sie trug kaum Schminke im Gesicht und verzog die vollen Lippen zu einem verführerischen Schmollmund.

»Nach fünf Tagen in der Wildnis nicht der schlechteste Vorschlag«, erwiderte Lassiter und prostete der Rothaarigen mit dem Brandyglas zu. »Wie heißt du, Kleine?«

Das Mädchen stellte sich als Charlotte vor und legte Lassiter die Hand sanft auf den Unterarm. »Du scheinst dich mit einem Brandy nicht zufriedenzugeben. Ich könnte dir einen guten Preis machen.«

Ohne zu zögern nahm Lassiter einige Dollars aus der Tasche und drückte sie dem Saloongirl in die Hand. Er nickte dem Barkeeper zu, der die Szene mit wohlwollendem Nicken beobachtet hatte. »Du könntest mich von ein paar düsteren Gedanken abbringen. Die Nächte in den Bergen sind düster und kalt.«

Mitfühlend legte Charlotte die Stirn in Falten und rutschte auf dem Hocker näher zu ihm. »Woher kommst du? Aus den San Andres Mountains? Kein Mensch treibt sich um diese Jahreszeit dort oben herum.«

Das Hauptquartier in Washington hatte Lassiter auf die Fährte eines flüchtigen Kopfgeldjägers angesetzt, der sieben Senatoren auf dem Gewissen hatte. Der Mann hatte sich nach New Mexico abgesetzt, doch es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Lassiter ihn aufgespürt und einem Marshal in Gallinas übergeben hatte.

»Kein Mensch außer mir«, sagte Lassiter und folgte den zarten Fingern des Saloonmädchens mit dem Blick. »Ich war geschäftlich in den Bergen.«

»Wer auch immer dir um diese Jahreszeit einen solchen Auftrag gibt«, flüsterte das Mädchen und lehnte sich nach vorn. Sie zog die Schultern nach hinten und gestattete Lassiter einen langen Blick in ihr üppiges Dekolleté. »Er dürfte dich weniger mögen als ich.«

»Tatsächlich?«, fragte Lassiter und neigte den Kopf für einen Kuss.

Die kleinste Kammer von McCalls Saloon war dennoch groß genug, dass Lassiter Charlotte mit gerafftem Kleid gegen die Wand zu drücken vermochte. Er hatte beide Hände unter ihren prallen Hinterbacken, während er die Atemstöße der schönen Rothaarigen im Nacken spürte.

»O Lassiter!«, stöhnte Charlotte und krallte die Nägel in den nackten Rücken ihres Liebhabers. »Wie gut du darin bist! Wie gut du dich darauf verstehst!«

Schon auf der Treppe hatten sie mit ihrem leidenschaftlichen Spiel begonnen, in dessen Verlauf sie einem betrunkenen Rancher begegnet waren, der ihnen torkelnd Platz gemacht hatte. Er hatte Charlotte etwas zugerufen, das weder Lassiter noch das Saloongirl verstanden hatten.

Nun hatten sie Charlottes Kammer für sich.

Die kärgliche Einrichtung des Mädchens bestand aus einem Schminktisch mit einem Schrankkoffer daneben, dessen Ecken abgenutzt und nach häufigen Umzügen ausgesehen hatten. Nach ihrer ersten Runde auf der quietschenden Pritsche hatte Charlotte erzählt, dass sie vor zwei Monaten noch im Hafen von San Francisco gewesen war.

»Was hast du erwartet?«, keuchte Lassiter und stieß mit aller Kraft zu. Er hielt die Schenkel des hübschen Rotschopfs gespreizt. »Dass ich ein Mädchen wie dich enttäusche?«

»Nein!« Charlotte schrie spitz auf. »Aber du kennst du Männer von Mesilla nicht! All die Dummköpfe von den Minen! Und Kutscher und Handelsreisende! Sie alle …« Sie schrie abermals vor Lust auf. »Sie alle verstehen nichts von Frauen.«

Vom Wandbord waren einige Bücher zu Boden gefallen, die jetzt aufgeschlagen neben Lassiters Stiefeln lagen. Es waren Homers Odyssee und einen Auswandererführer für Texas, wohin Charlotte kommende Woche aufbrechen wollte.

»Von Frauen verstehe ich genauso wenig«, murmelte Lassiter und drehte Charlotte mit einer geschickten Bewegung um. Sie drängte ihm ihre Kehrseite entgegen. »Aber ich verstehe mich auf das, was nötig ist. Du verstehst hoffentlich, was ich meine.«

»Ganz und gar«, flüsterte Charlotte und wandte sich kokett zu ihm um. Sie griff nach seinem steifen Riemen und dirigierte ihn an die Stelle, wo er hingehörte. »Ich hatte keinen besseren Freier in dieser Woche. Mit dir habe ich genug beisammen für die Fahrt nach Texas.«

Sie trieben es eine Viertelstunde mit aller Kraft, bevor Charlotte um eine Verschnaufpause bat. Sie drehte sich zu Lassiter um und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.

Aus dem Saloon unter ihnen waren die Rufe der Kartenspieler zu vernehmen.

»Ich kenne jemanden vom Post Office«, sagte Charlotte und trank einen Schluck Brandy. Sie richtete sich das verworrene Haar und sah dabei so hinreißend aus, dass Lassiter sie gleich wieder in den Arm nahm. »Du wartest auf ein Telegramm, oder nicht? Der Barkeeper hat’s mir verraten, ehe wir hinauf ins Zimmer gegangen sind.«

»Ein dringendes Telegramm«, bejahte Lassiter mit einem knappen Kopfnicken. »Allerdings nicht so dringend, dass wir die Nacht nicht genießen könnten.«

Die Herde Longhorn-Rinder aus Pecos hatte Richard S. Mason auf die östlich gelegene Weide treiben lassen, die er zuletzt mit einem Zaun aus gutem Zedernholz umfriedet hatte. Die gemächlich schaukelnden Häupter der Tiere, deren armlange Hörner sich gegen das helle Präriegras abhoben, boten einen beruhigenden Anblick.

»Zwei Cent pro Kopf Vieh«, sagte Mason und sah zu dem Rancher, der soeben seinen Geldbeutel gezückt hatte. »Das Vieh bekommt genug Wasser, dass Sie hinüber nach Fort Cummings kommen. Die Ranch ist die letzte Wasserstelle auf der Strecke.«

»Wem erzählen Sie das?«, krähte der alte Rancher und klimperte mit den Geldmünzen im Beutel. »Der alte Slocum wär’ stolz drauf, was Sie aus seiner Ranch machen! Er hatte ein Herz für uns Viehleute, hatte ein wahrhaft gutes Herz für uns!«

Schweigend steckte Mason die acht Dollar ein, die ihm der Rancher für seine gut vierhundert Rinder gab, und rechnete im Stillen nach, das ihn das Geld über die nächste Woche bringen würde. Er hatte auf vier oder fünf Herden gehofft, die aus dem Süden heraufkamen, doch nur zwei von ihnen hatten bei ihm gerastet.

Eine Viertelstunde später waren die Männer auf der Ranch zurück.

Der Herdenbesitzer ging gleich zu Bett, was Mason die Gelegenheit gab, sich seinem anderen Gast zuzuwenden, der am Nachmittag aus Mesilla gekommen war. Er saß vor den Pferdeställen und kaute auf einem trockenen Halm herum, der bei jedem Biss von einem Mundwinkel in den anderen wechselte.

»Mr. Mason!«, grüßte ihn der Fremde und zog ein Stück Papier aus der Westentasche. Er reichte es dem Rancher und spie den Halm in den Dreck. »Sie wollten das Telegramm sehen. Es traf gestern in Mesilla ein.«

Der Streifen Papier, in den die Morsezeichen des Post Office eingestanzt waren, war auf der Rückseite mit einer Abschrift versehen. Die Nachricht enthielt die Codeworte Great und Siege , die Mason mit dem Hauptquartier der Brigade Sieben vereinbart hatte und die für eine neue Operation im Gebiet von Mesilla sprachen.

»Mr. Lassiter?«, fragte Mason und reichte seinem Gast das Telegramm zurück. »Sie kommen wegen des Auftrags?«

»In der Tat«, gab der Fremde mit dem kantigen Gesicht zurück. Er sah sich nach der Ranch um und lächelte. »Sie haben sich ein anständiges Geschäft aufgebaut. Sogar in Santa Fe hat man von Ihnen gehört.«

Stumm bedeutete Mason dem Brigade-Sieben-Agenten, dass er im Haus weitersprechen wollte. Er geleitete Lassiter über den Hof der Ranch, auf dem sie das verblichene Hitchrack passierten, das Masons Vorgänger Slocum aufgestellt hatte. »In dieser Gegend geschieht nicht viel. Die Mason’s Ranch hat früher einem Mann namens Perry Slocum gehört. Er starb vor fünf Jahren.«

Als sie das Hitchrack hinter sich gelassen hatten, blieb Lassiter stehen und reckte sich. »Das Geschäft mit den Reisenden wird Ihnen viel Mühe bereiten. Ich will Sie nicht von Wichtigerem abhalten.«

»Was könnte es Wichtigeres als die Aufträge der Brigade Sieben geben?«, entgegnete Mason und musterte den hochgewachsenen Mann neben sich. Er richtete den Blick auf den .38er Remington in dessen Holster. »Sie scheinen mir gut vorbereitet für diesen Teil des Westens zu sein.«

Der Mittelsmann schloss die Handelsstube auf, die sich im nördlichen Anbau des Ranchhauses befand, und wies auf den Ecktisch mit einem Kuvert darauf. Der Umschlag war mit einem Wachssiegel verschlossen. Es war Mason vor zwei Tagen von einem Kurierreiter überbracht worden.

»Worum geht es?«, brach Lassiter das Schweigen und deutete zu dem Kuvert. »Aus dem Telegramm war nichts zu erfahren.«

»Man hatte in Washington guten Grund dazu«, meinte Mason und nahm das Kuvert vom Tisch. Er brach das Siegel entzwei und öffnete es. »Ich bin angewiesen worden, Sie zu höchster Diskretion aufzufordern. Die Verdächtigen in dieser Mission haben Verbindungen bis in die höchsten Kreise von Texas und dem New-Mexico-Territorium.«

»Ich erledige meine Aufträge stets diskret«, entgegnete Lassiter und legte die Stirn in Falten. »Es muss einen triftigen Grund dafür geben, dass Sie mich daran erinnern sollen.«

Mason griff in das Kuvert und zog die obersten Blätter daraus hervor. Sie waren mit Beschreibungen derjenigen Männer gefüllt, die Lassiter für die Brigade Sieben finden sollte. »Der Grund sind diese Verdächtigen, Mr. Lassiter. Sie gehören höchstwahrscheinlich einer Allianz an, die in Texas unter dem Namen Red-Line-Connection bekannt geworden ist.«

Mit konzentrierter Miene betrachtete Lassiter die oberste Seite und schlug sie um. »Eine Allianz von Tabakfarmern?«

»Tabakfarmer und eine Handvoll Händler«, pflichtete Mason ihm bei. Er schwieg einige Sekunden lang, bis Lassiter beim letzten Absatz angelangt war. »Sie scheinen einen üblen Kerl mit dem Namen Jack Dolan beauftragt haben, die Postkutschen auf der Strecke zwischen Mesilla und San Antonio zu überfallen.«

»Kein erfolgreicher Tabakfarmer muss Kutschen überfallen«, meinte Lassiter und legte die Papiere beiseite. »Nicht bei den Preisen, zu denen Tabak derzeit im Osten aufgekauft wird.«

Der Mittelsmann sah nach den anderen Papierblättern im Kuvert. Sie stammten aus den verschiedensten Abteilungen im Hauptquartier. »Noch wissen wir nicht, welche Absichten Dolan und seine Hintermänner verfolgen. Es ist Ihr Auftrag, daran etwas zu ändern.« Er seufzte. »Aber Sie müssen vorsichtig sein. Wir nennen sie die Red-Line-Connection, weil sie eine Blutspur durch Texas zieht.«

Ohne auf Masons Bemerkung einzugehen, ließ sich Lassiter die restlichen Dokumente aus dem Hauptquartier geben. Er ging sie mit der gleichen Sorgfalt durch wie zuvor die Steckbriefe. »Die Tabakbörsen spielen verrückt wegen der Überfälle. Es muss etwas mit dem Geschäft zu tun haben.«

»Den gleichen Verdacht hat auch Washington«, meinte Mason und nahm einen tiefen Atemzug. »Um die Monate herum, in denen die Überfälle stattfanden, wurden an der Ostküste plötzlich große Mengen der Tabaksaat Nicotiana Fruticosa angeboten, einer höchst seltenen Sorte, die kaum auf den Plantagen gedeiht.«

»Die Preise aller Tabaksorten sind dadurch gestiegen«, warf Lassiter ein und blätterte durch die Dokumente aus dem Kuvert. »Es wäre möglich, dass der Anstieg zu jemandes Gunsten ist.«

»Sie müssen Licht ins Dunkel bringen«, bekräftigte Lassiter. »Ich habe dafür gesorgt, dass Sie als Wachmann auf einer Kutsche der C. Bain & Co. mitfahren können. Die Gesellschaft hatte bislang die meisten Überfälle.«

Geduldig schob der Mann der Brigade Sieben die Schriftstücke in den braunen Umschlag zurück. Er schlug die Lasche um und stand auf. »Ich bin Ihnen äußerst dankbar, Mr. Mason. – Wie finde ich zur C. Bain & Co. ? Geben Sie mir ein Empfehlungsschreiben?«

»Nicht nötig«, winkte Mason ab und trat auf Lassiter zu. Er blickte den Agenten mit dem wettergegerbten Gesicht ruhig an. »Christopher Bain ist ein alter Freund von mir. Er wird Sie an Bord gehen lassen und Ihnen keinerlei Fragen stellen.«

Bei jeder Handvoll Blätter, die J.J. Fisher mit den Händen bis unter das Kinn führte, schlug dem Farmbesitzer ein herber und wohlvertrauter Duft entgegen. Es roch für ihn nach den grasbestandenen Hochebenen der Guadalupe Mountains, auf denen er ihm zuerst begegnet war, und nach dem trockenen Holz der Apachenpfeifen, die mit den würzigen Blättern gestopft gewesen waren.

Er roch nach dem Sommer vor zwanzig Jahren.

Mit einem leisen Seufzer richtete sich Fisher auf und stapfte weiter durch den gefurchten Acker, in dem sein Tabak gedieh und ihm die Dollars für den Winter verdiente. Die Stängel überragten nun fast den Hühnerzaun, den er an der alten Pumpe errichtet hatte, und würden ihm bald übers Knie reichen. Die Ernte im letzten Jahr war so gut ausgefallen, dass sie sich einen Ochsenpflug mit vier Scharen hatten beschaffen können.

»Jay-Jay! Jay-Jay!«

Die Rufe seiner beiden Töchter Mary und Amanda schallten wie gewohnt über die Felder, und Fisher richtete sich ganz auf, um den beiden kleinen Mädchen zu winken. Er störte sich nicht daran, dass sie ihn nicht Vater oder Papa riefen, denn das Jay-Jay seines Namens erinnerte ihn an seine Jugend.

»Jay-Jay! Jay-Jay!«

Die Kinder umrundeten sorgsam das hintere Drittel des Feldes, ehe sie sich für eine Furche entschieden und mit wehendem Haar auf Fisher zuliefen. Sie umhalsten ihren Vater übermütig und zwangen ihn mit lauten Rufen, sich zu ihnen herunterzubeugen.

»Was ist los, Mädchen?«, fragte Fisher und sah in die erwartungsvollen Augen seiner Töchter. Er hatte keine von beiden lieber als die andere. »Was schreit ihr hier draußen herum, als wäre euer guter alter Vater schwerhörig? Ich kann euch gut hören, wisst ihr?«

Das Geschrei der beiden Mädchen schwoll erneut an und verstummt erst auf Fishers strengen Blick hin. Er sah zu Mary, die zwei Jahre älter als ihre Schwester war.

»Eine Kutsche, Jay-Jay!«, platzte Mary heraus und griente vor Freude. Sie stieß ihre Schwester in die Seite, die beleidigt die Arme verschränkte.

»Eine Kutsche?«, fragte Fisher und wusste schon, dass die Mädchen den Einspänner seiner Frau meinten, die vom Markt in San Elizario heimgekehrt war. »Mit einem Pferd oder mit zweien davor?«

»Vier Pferde!«, meldete sich die jüngere Amanda zu Wort. Sie hatte blondgelocktes Haar, mit dem ihre Hände ständig spielten. »Vier große Pferde!«

Jäh runzelte Fisher die Stirn und sah zur Farm hinüber.

Das flache Gebäude mit dem Grassodendach verstellte ihm den Blick zum Hof, in dem um diese Stunde höchstens der Einachser mit dem dürren Rappen davor stehen durfte. Es waren fast zehn Meilen bis hinüber nach San Elizario, und niemand machte sich diese Mühe, der noch vor der Dämmerung zurück sein wollte.

»Bleibt bei mir, Kinder!«, sagte Fisher und steuerte raschen Schrittes auf das Haus zu. Er bewahrte eine alte Winchester im Stall und einen Colt in der Schublade des Sekretärs auf. Er hoffte, dass er beides an diesem Abend nicht benötigen würde.

»Jay.«

Der Mann vor seinem Haus war von dürrem Wuchs und hatte einen dichten Bart. Er lächelte die Kinder kühl an und legte dabei den Kopf schief.

Sein Name war Jack Dolan.

»Was ist passiert?«, fragte Fisher unvermittelt und beugte sich zu Mary und Amanda hinunter. »Geht ins Haus, Kinder! Ich sag’s euch kein zweites Mal! Geht jetzt!« Er schaute zu Dolan. »Was hast du auf der Farm zu suchen?«

Der bärtige Dolan sah den Kindern nach, die Hand in Hand im Farmhaus verschwanden. Seine Miene verdüsterte sich schlagartig. »Was ich hier zu suchen habe? Ich will den Lohn für meine Männer! Du hast ihnen schon wieder nichts gezahlt.«

Der Tabakfarmer hob stolz das Kinn und trat auf Dolan zu. Er konnte die verdreckten Kleider seines Gesprächspartners riechen. »Ich zahle nichts für schlechte Arbeit. Ihr habt den letzten Kutscher nicht erwischt. Er hat in der Company über euch geplaudert.«

»Keiner hat über uns geplaudert!«, versetzte Dolan in zischendem Ton. »Er hat sein gottverdammtes Maul nicht aufgekriegt, als er endlich zurück in der Stadt war. Es hätte nichts geändert, ob wir ihn erschossen hätten oder nicht.«

Auf Fishers Stirn traten zwei dünne Adern hervor, die gleichmäßig pulsierten. »Unser Deal war ein anderer, Dolan. Ihr erledigt die Drecksarbeit. Wir machen den Rest.« Er dämpfte die Stimme zu einem Flüstern. »Eine Frachtkutsche mit dem Kutscher darauf ist nutzlos für uns. Du sollst diesen Teil für uns erledigen.«

»Ohne einen Dollar in der Tasche?«, zürnte Dolan und stieß Fisher vor die Brust. »Du hast dir diese Barbarei ausgedacht, mein Alterchen! Du hast mir aufgetragen, einen nach dem anderen brutal zu beseitigen, damit sie’s mit der Angst kriegen.« Er feixte laut auf. »Bloß die Zeche will danach keiner zahlen!«

Die vier Pferde vor Dolans Kutsche blähten ungeduldig die Nüstern. Sie mussten eine gute Stunde durchgefahren sein, falls ihr Besitzer von San Tomas herübergekommen war. »Die Zeche zahlen wir, sobald wir etwas davon hatten. Bringst du uns keinen Toten, gibt’s kein Geld.« Fisher stieß nun Dolan vor die Brust. »Sieh zu, wie du deine Leute bezahlst! Es ist nicht meine Angelegenheit!«

Durch Dolans schmales Gesicht ging ein zorniges Beben. »Aber es sind deine Töchter, Fisher! Wie heißen sie noch? Mary, Amanda und die Größte … Wie ist ihr Name?«

Der Farmer packte Dolan beim Kragen und zog ihn zu sich heran. Er drückte die Faust so fest zusammen, dass sich seine Fingerknöchel in den Kehlkopf des Banditen bohrten. »Rühr eine von ihnen an! Ich sorge dafür, dass sie deinen kümmerlichen Schädel auf die Kirchturmspitze von San Elizario stecken.« Er ließ Dolan los und schlug sich die Hände an der Hose ab, als hätte er etwas Schmutziges berührt. »Hast du mich verstanden?«

Noch immer ließ sich Dolan nicht einschüchtern. »Wie gefährlich kannst du mir schon werden, Alter? Ich hab’ zwanzig Leute unter meinem Kommando. Sie würden deine Frau und deine Kröten auf der Stelle kaltmachen.« Er hob drohend den Arm, als Fisher wieder auf ihn losging. »Steck die verdammte Wut weg und sag mir lieber, wo wir als Nächstes zuschlagen? Welche Papiere brauchst du?«

Die Frachtpapiere der C. Bain & Co. oder der New Mexico Freight Company waren in diesen Tagen Gold wert. Die texanischen Farmer zahlten beträchtliche Auslösegebühren, sobald sie ihren Tabak ohne geeignete Papiere an die Börsen der Ostküste brachten.

»Ich brauche die Zehn-Uhr-Kutsche am Donnerstag«, sagte Fisher und zog einen Zettel mit einigen Kritzeleien darauf aus der Tasche. »Ab Menardsville haben sie Papiere an Bord. Turner und Babcock brauchen sie auch.«

Auf Dolans widerlichem Gesicht zeigte sich ein Grinsen, das Fisher einmal mehr bewies, mit welchen Teufeln er sich eingelassen hatte. »Wie du willst, Mr. Farmer! Komm mir bloß nicht damit, dass wir zu hässlich mit den Kutschern umgehen! Zweihundert Dollar für mich und meine Leute.«

»Einverstanden«, brummte Fisher und sah sich zum Haus um. »Verschwinde jetzt! Sorgt diesmal für eine Leiche! Die Gesellschaften müssen in Furcht vor euch bleiben.«

»Jawohl, Boss!«, rief Dolan sarkastisch. »Auf bald, mein Freund.«

Vor dem Agenturbüro der C. Bain & Co. hielten sich ein gutes Dutzend Kutscher auf, das zuvor seine Concord-Gespanne in der benachbarten East Street abgestellt hatte. Sie sprachen leise miteinander und verstummten, als Lassiter die Straße überquerte. Die Blicke der Postkutschenfahrer folgten dem Mann der Brigade Sieben misstrauisch.

»Wohin willst du?« Einer der Älteren trat Lassiter in den Weg. »Willst du mit Bain fahren? Hast du Fracht aufzugeben?«

»Nichts dergleichen«, sagte Lassiter und wies mit dem Kinn auf das Gebäude der C. Bain & Co . »Ich möchte zu Christopher Bain.«

»Mr. Bain schreibt unsere Lohnscheine«, knurrte der Kutscher und schaute sich grinsend zu seinen Kameraden um. »Stimmt doch, Jungs, oder? Er kann uns gar nicht so viel zahlen, wie die Fahrten inzwischen gefährlich sind! Zwei von uns hat’s letzte Woche erwischt!«

»Massakriert wie von Rothäuten!«, stimmte ein anderer Kutscher mit ein. »Ist ein hundsgemeines Volk, das uns dort draußen auflauert! Aber wir von Bain … Wir halten zusammen, stimmt’s?«

Reihum bekundeten die Fuhrleute ihre Zustimmung, als aus der Bürotür ein spindeldürrer Mann in einem eleganten Zweireiher schritt. Er nickte den Kutschern zu und wandte sich an Lassiter. »Sie wollen zu mir, Sir?«

»Mr. Bain?«, meinte Lassiter. »Ich komme von Mr. Mason, der die alte Slocum Ranch oben gekauft hat.«

Aus Bains Miene wich der Ernst. »Mr. Mason hat mir bereits Nachricht über Sie geben lassen. Er muss Sie ins Herz geschlossen haben.« Er wies auf die Tür hinter sich. »Kommen Sie, kommen Sie! Drinnen lässt es sich leichter reden.«

Widerstrebend traten die Kutscher zur Seite und machten eine Gasse zur Agentur frei. Sie beargwöhnten Lassiter dennoch und ließen ihn nicht aus den Augen.

Drinnen herrschte das gedämpfte Licht zweier Petroleumleuchten.

»Sie dürfen den Männern das Benehmen nicht verübeln«, sagte Bain und ging vor den geschlossenen Fenstervorhängen auf und ab. Er nahm eine Bourbonflasche aus dem Regal, griff nach zwei Gläsern und schenkte Lassiter und sich selbst Drinks ein. »Nach den Morden auf unseren Strecken ist ihnen ängstlich zumuten. Sie erblicken in jedem Fremden einen Spitzel, der unsere Routen ausspioniert.«

»Mr. Mason hat mir davon erzählt«, antwortete Lassiter und fand, dass Bain der Beschreibung in den Dokumenten des Hauptquartiers bis in die letzte Einzelheit entsprach. Er war von hohem Wuchs und hatte ein knochiges Gesicht, das trotz seiner Jugend faltig und müde wirkte. »Er würde es begrüßen, wenn Sie mich auf eine der fraglichen Kutschen bringen könnten.«

Der Bourbon war von minderer Qualität und entsprach offensichtlich nicht dem gehobenen Standard, den die C. Bain & Co. nach außen zu vertreten hoffte. Der junge Bain verzog nach jedem Schluck das Gesicht. »Das Zeug gehörte noch meinem Vater. Er starb vor zwei Monaten in Illinois und hat mir das Geschäft überlassen.«

»Es ist schlechter Bourbon«, gab Lassiter seinem Gegenüber recht und schwenkte das Glas in der Hand. »Aber ihr Vater war ein guter Mann, wenn ich Mr. Masons Einschätzung glauben darf. Er tat eine Menge für Mesilla.«

Die größere der beiden Petroleumleuchten flackerte und verlosch nach einiger Zeit. Bain nahm den rußgeschwärzten Glasschirm ab und entzündete den Docht wieder. »Er hat die Bain Freight Company gegründet und die erste Linie hinüber nach San Antonio betrieben. Er kannte die Gefahren dieses Geschäfts.«

»Ziehen Sie deshalb die Vorhänge zu?«, fragte Lassiter und deutete zu den Fenstern. »Fürchten Sie solche Gefahren?«

»Ich fürchte jedermann«, erwiderte Bain in aufrichtigem Ton. »Ich fürchte Männer, die mich töten wollen. Ich fürchte Männer, die es auf meine Kutscher abgesehen haben. Ich fürchte Männer, die unsere Gesellschaft ausspionieren.«

Der Mann der Brigade Sieben nickte und nahm ebenfalls Platz. Er trank den Bourbon aus, obgleich ihn dessen widerlicher Geschmack abstieß. »Auf welche Kutsche können Sie mich bringen?«

»Auf jede Linie«, versprach Bain ohne jedes Zögern. »Sie bekommen freie Hand, sofern Sie mir Ihr Wort geben, dass Sie alles daran setzen, die Banditen zu jagen. Diese Metzelei auf unseren Routen muss ein Ende finden.«

Zwischen den beiden Männern kehrte Stille ein, die Bains letzten Worten großes Gewicht verlieh. Der Fuhrunternehmer zog eine abgenutzte Landkarte aus einer Schublade seines Schreibtischs. Er breitete sie vor sich aus und setzte den Finger auf El Paso. »Die meisten Überfälle geschahen in dieser Gegend. Sie ermorden unsere Kutscher und setzen die Fahrt mit falschen Frachtpapieren fort. Die Aufkäufer in San Antonio glauben ihnen meist.«

Der schwarze Punkt, der in der Karte das Grenzstädtchen El Paso abbildete, war von einem Kranz aus aufgeriebenem Papier umgeben. Die Orte der Überfälle waren mit Bleistiftkreuzen gekennzeichnet.

»Die meisten Tabakfarmen liegen weit östlich von El Paso«, stellte Lassiter fest und maß die Entfernung mit der Handspanne. »Mr. Mason glaubt daran, dass es mit dem Tabak zu tun hat.«

Bain richtete sich am Tisch auf. »Er könnte recht damit haben. Die meisten Kutschen hatten Frachtpapiere für Tabak dabei. Ich muss die Männer warnen, die Tabakladungen fahren.«

Die Frachtlisten aus dem Kuvert standen Lassiter noch gut vor Augen. Er hatte die Spalten mit den Tabakkisten gesehen, die für San Antonio bestimmt waren und von den falschen Kutschern der Red-Line-Connection abgeliefert worden war. »Sie sollten den Männern nicht zu viel sagen. Es könnten den einen oder anderen geben, der mit den Banditen zusammenarbeitet.«

Entrüstet schlug Bain mit der Faust auf die Karte. »Niemand von unseren Leuten arbeitet mit diesen Kerlen zusammen. Ich lege für jeden Einzelnen die Hand ins Feuer. Es muss einen anderen Weg geben, wie die Banditen unsere Linien auskundschaften.«

Die zweite Petroleumlaterne erlosch zischend und füllte sich mit schwarzem Qualm. Als Bain aufstehen wollte, um ein Zündholz anzureißen, stockte er mitten in der Bewegung. »Bei Gott, Sie sagen ja bloß die Wahrheit. Es könnte auch einer von meinen Kutschern sein, der seine Freunde verrät.« Er schwieg eine Sekunde lang. »Glauben Sie, dass wir zu unvorsichtig sind?«

Die wenigen Berichte aus dem Hauptquartier, die Lassiter im Kuvert gefunden hatte, ließen den Schluss zu, dass die Kutscher der C. Bain & Co. völlig ahnungslos in ihr Verderben gefahren waren. Den Postkutschen war an abgelegenen Orten aufgelauert worden, an denen eine Flucht aussichtslos war.

»Ich weiß es nicht«, sagte Lassiter und erhob sich. »Aber ich werde es herausfinden.«

Die surrenden Moskitoschwärme vom Graham Bayou waren wie ein Schatten über das Herrenhaus hergefallen und hatten selbst die von schmiedeeisernen Gittern begrenzte Dachterrasse unter Beschlag genommen. Sie ließen sich in den Zitronenbäumchen nieder, die Ann aus St. Louis hatte beschaffen lassen, und zwischen den Balken des Pflanzhäuschens, das ihr Gärtner Bobby in einer Terrassenecke errichtet hatte.

Ann hustete und starrte in die Nachtlaterne.

Sie war vor zwei Tagen siebenundzwanzig Jahre alt geworden und hatte sich zu diesem Anlass geschworen, dass man diese Jahreszahl nicht auf ihren Grabstein meißeln würde. Sie würde dieses verdammte Jahr überleben, und wenn sie es allein wegen der Kräuter tat, die ihr Mann Andrew aus Europa hatte verschiffen lassen.

Sie würde nicht an diesem Lungenfieber krepieren.

Nicht an diesem Tag und nicht in diesem Jahr.

Rings um die milchigen Scheiben der Nachtlaterne flirrten Moskitos und flohen vor dem Fächerhieb, den Ann ihretwegen ausführte. Als das Summen in der Luft nachließ, erhob sich die Hausherrin und schleppte sich zur Treppenbrüstung hinüber.

»Ma’am!«

Das Hausmädchen nahm mehrere Stufen auf einmal und stolperte die Treppe mehr hinauf, als dass es sie erstieg. Es kam Ann im letzten Augenblick zur Hilfe und fing sie mit ausgebreiteten Armen auf.

»Bethany, du Gute!«, rief Ann in ihrer Überraschung aus und sank dann ganz zu Boden. Sie legte sich quer über die oberste Treppenstufe und kämpfte gegen die Tränen an. »Es ist ein fürchterlicher Tag … Mit all den Moskitos und den Medikamenten.«

Das blasse Gesicht des Hausmädchens nahm einen mitfühlenden Ausdruck an. »Sie haben einen schlimmen Tag, Ma’am. Es war schon am Morgen zu sehen. Sie hätte nicht …« Bethany schob stützend den Arm unter Anns Schulter. »Sie hätten nicht auf die Terrasse hinaufsteigen dürfen.«

Ohne einen klaren Gedanken starrte Ann in den Nachthimmel hinauf, der mit seinen schimmernden Sternen dem Himmel über San Elizario glich. Sie musste an ihren Vater denken, der um diese Zeit vermutlich in der Wohnstube saß und sich eine Apachenpfeife stopfte. Er würde den guten Tabak dafür nehmen, den er in einem Emailletopf über dem Kamin aufbewahrte.

Die Apachenpfeife …

»Bethany!«, flüsterte Ann und strengte sich bei jedem Laut über Gebühr an. »Ist wieder etwas vom Apachentabak da? Sag mir, dass der Krug nicht leer ist … Ich könnte ihn vertragen.«

Die Lieferungen mit dem indianischen Tabak waren so selten geworden, dass sich Ann kaum des letzten Datums entsinnen konnte. Vor zwei Jahren, als das Lungenfieber schon einmal grässlich zugeschlagen hatte, war jede Woche eine Dose mit dem Tabak gekommen. Sie hatte ihrem Vater in Texas stets dankend telegraphiert.

»Nichts, Ma’am!«, flüsterte Bethany und richtete Ann mit aller Kraft auf. »Es werden auf den Märkten schlimme Preise für Nicotiana Fruticosa verlangt. Es ist möglich, dass Ihr Vater nichts davon nach St. Louis bekommt. Es ist beinahe kostbarer als Gold.«

Niederschmetternder hätten Bethanys Worte kaum ausfallen können.

Die Hausangestellte wusste nichts davon, wie heilsam der »Apachentabak« war. Früher hatte Ann nur ein oder zwei Blättchen davon rauchen oder kauen müssen, und alle Beklemmungen in der Brust waren für Stunden wie ausgelöscht gewesen.

Die Kräuter ihres Mannes waren höchstens halb so wirkungsvoll.

Meist an zwei Tagen in der Woche litt Ann deshalb so jämmerlich, dass sie es nur auf der Dachterrasse des Hauses aushielt. Sie verriet niemandem etwas davon, aus welchen Gründen sie zur Terrasse hinaufstieg, und sobald das Hauspersonal eine Ahnung beschlich, zerstreute Ann den Verdacht, indem sie gutgelaunt zum Dinner erschien.

Bis vor zwei Wochen hatte das Versteckspiel niemand bemerkt.

Den größten Teil des Jahres verbrachte Andrew, der als diplomatischer Sonderbeauftragter durch Europa reiste, ohnehin jenseits des Atlantiks, und sowie er heimkehrte, gab Ann für ihn die unbeschwerte Ehegattin. Sie hatte es sogar geschafft, das Lungenfieber tagelang zu unterdrücken, sodass sie kein einziger Hustenanfall in Andrews Gegenwart heimgesucht hatte.

Doch Bethany war ihrer Dienstherrin auf die Schliche gekommen.

Sie hatte einige Nächte in einer Kammer neben Anns Schlafsalon verbracht und akribisch Buch über den keuchenden Husten geführt, den sie von dort gehört hatte. Zum Schluss hatte sie resümiert, dass Ann höchstens zwei Stunden in der Nacht schlief.

Seitdem war das Dienstmädchen mit Argusaugen hinter Ann her.

Es brachte ihr das Frühstück in den Salon, zog ihr die Spritzen auf, bereitete die Betten, sobald Ann auf der Terrasse war, und steckte ihr sogar hin und wieder einen Zigarillo ab, obgleich der Doktor Ann derlei Genussmittel streng verboten hatte.

Vom Apachentabak wusste Bethany dennoch kaum etwas.

»Hilf … mir auf!«, forderte Ann und hielt sich an der Dienstmagd fest. »Ich will … Wir müssen nachsehen! Es muss noch etwas im Versteck sein!«

Schon seit Anns Geburt war Fisher-Tobacco einer der edelsten Tabake, die aus Texas an die Ostküste verkauft wurden. Er brachte es in regelmäßigen Abständen zu Höchstpreisen, die wiederum mit dankenden Schreiben und ab und an einem Orden honoriert wurden, wie Anns Vater J.J. seiner ältesten Tochter oft erklärt hatte. Er führte ausschließlich Ann durch den schmalen Raum hinter der Küche, in der er seine Ehrungen und gerahmte Briefchen aufbewahrte.

»Sie sind zu schwach, Ma’am!«, sprach Bethany beschwörend auf Ann ein. Sie ging voraus und streckte stützend die Arme aus. »Ich sag’s Ihnen doch! Die Dose ist leer!«

Das Behältnis für den Apachentabak war ein mit feinen Rosen bemalter Porzellankrug, den Ann hinter den Büchern im Rauchsalon aufbewahrte. Sie hatte den Krug ihrem Mann einmal gezeigt, um sich nicht mit einem schlechten Gewissen plagen zu müssen, doch Andrew hatte bloß abgewinkt. Er hatte die trockenen Blätter als »Indianergesträuch« beschimpft und war danach zum Degenpolieren gegangen.

»Zwei Blätter reichen mir, Beth!«, quetschte Ann zwischen den Zähnen hervor. Sie bekam nach dem strapaziösen Abstieg kaum noch Luft. »Sieh nach … Bitte! … Sieh nach!«

Nach kurzem Abwägen eilte Bethany davon und schlich sich in den stockfinsteren Rauchsalon. Sie zündete das Öllicht neben dem Bücherregal an und kehrte mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen zurück. In der Hand hielt sie den Porzellankrug mit den Röschen darauf.

»Zwei Blätter?«, fragte Ann sehnsüchtig. »Sag’ mir, dass es zwei Blätter sind!«

Bethany nickte und nahm den Deckel ab.

Die schweren Heckräder der Zehn-Uhr-Kutsche von C. Bain & Co. zogen tiefe Furchen in den Schlamm des Mesilla Valley, das nach den Regengüssen der vergangenen Tage vollkommen durchweicht war. Die nächtlichen Stürme hatten zwanzig Telegraphenmasten aus dem Boden gerissen und bis hinunter in den Rio Grande gespült.

»Verdammtes Wetter!«, knurrte der Bewaffnete neben Lassiter, der sich dem Mann der Brigade Sieben als Miguel Ojito vorgestellt hatte. Er war die einzige Wacheskorte gewesen, der Christopher Bain genügend getraut hatte. »Würd’ mich besser fühlen, wenn die Stürme schon herum wären. Gibt sonst bloß Sonne im Mesilla Valley.« Er zeigte zum Rio Grande hinüber. »Schau sich einer die Mesquitesträucher an!«

Tatsächlich hatten die seltenen Regenfälle im Mesilla Valley nicht nur Telegraphenleitungen gekappt, sondern an manchen Stellen ganze Heerscharen von Mesquitebüschen ausgerissen. Das ansonsten trockene Strauchwerk hatte sich entlang des Flusses zu gewaltigen Dämmen gestaut, die sich in toten Bäumen und an Bootsstegen gestaut hatten.

»Miguel, quatsch unserem Freund nicht die Ohren voll!«, war der Kutscher vom Bock zu vernehmen. Er war ein ausgezehrter Texaner mit abstehenden Ohren, der sich wechselweise Bernardo und Barneby nannte. »Er ist zu unserem Schutz dabei! Wär’ mir ’ne Freude, diese Bastarde endlich in Ketten zu sehen!«

Die meisten Fahrer der C. Bain & Co. hatten abgelehnt, einen Fremden auf ihren Postkutschen mitzunehmen, vor allem deshalb, weil sie nur ihren eigenen Leuten trauten. Einige hatten Bain sogar ins Gesicht gesagt, dass sie für die Gesellschaft höchstens noch eine oder zwei Fahrten machen und danach in San Antonio bleiben würden.

Bei all diesen Gesprächen war Lassiter still geblieben.

Er hatte die verzweifelten Männer beobachtet, die Bains Erscheinen genutzt hatten, um ihrem Vorgesetzten die Meinung zu sagen. Er hatte die zuckenden Augenwinkel gesehen, die ihren Ausführungen vorangegangen waren, und die zitternden Hände, die viele der Männer hinter dem Rücken verborgen hatten. Er hatte die Hilflosigkeit der Kutscher gespürt, die sich mordlustigen Banditen ausgesetzt fühlten, obwohl sie ebenso wie Bain wussten, dass sich die Gesellschaft diesem Diktat nicht beugen durfte.

»Sagen Sie mir eines, Mr. Lassiter!«, rief Barneby über das Kutschdach hinweg. Er lümmelte seitlich auf dem Bock und hielt die Zügel mit einer Hand. »Wem sind Sie auf die Zehen getreten, dass Sie diese Dreckspflicht übernehmen müssen? Derzeit würde ich mich von den Bain -Kutschen so fern wie möglich halten, könnte ich’s nur!«

»Keinem, Mr. Barneby!«, meinte Lassiter und blickte zum Ufer des Rio Grande hinüber. Sie waren an zwei Fischerbooten vorübergekommen, deren Besitzer zu ihnen herübergestarrt hatten. »Ich habe Mr. Bain angeboten, ihm zu helfen, und er hat meine Offerte angenommen. Ich bin ein Freund von Mr. Mason.«

»Richard S. Mason?«, ging die Stimme des Kutschers fast im Geratter der Räder unter. »Ist kein Geheimnis, dass im New-Mexico-Territorium jeder auf den anderen angewiesen ist! Er will Bain sicher helfen, damit die Postkutschenlinie im Süden nicht zusammenbricht.« Er lachte und ließ die Peitsche knallen. »Wir sind die Lebensader am Rio Grande.«

Die nächste Stunde verstrich ohne erwähnenswerte Vorkommnisse.

Die beiden Bain -Leute fassten allmählich Vertrauen zu Lassiter, der sich treu an die Tarngeschichte hielt, die er mit Mason und Bain abgesprochen hatte. Er gab sich als Marshal aus, der die Red-Line-Connection mit aller Gewalt ausheben wollte.

»Red-Line-Connection?«, zeigte sich Miguel amüsiert. »Hätte nicht gedacht, dass diese Schweineköpfe schon ’nen Spitznamen haben! Aber ist ja wahr, dass irgendeiner dahinterstecken muss, der … verflucht!«

Der Eskortenfahrer warf sich auf das Kutschendach und richtete das Gewehr auf zwei Reiter, die hinter der Mündung eines Bewässerungskanals aufgetaucht waren. Die Männer waren bewaffnet und ritten zum Ufer des Rio Grande hinunter.

»Ruhig, Miguel!«, sagte Lassiter und ging ebenfalls in Deckung. Er hatte die Männer schon eine Weile gesehen, ihnen jedoch kaum Bedeutung beigemessen. »Ein voreiliger Schuss bringt uns nur in Schwierigkeiten.«

Vorn hatte Barneby die Pferde antraben und in einen schmaleren Seitenweg am Flussufer einbiegen lassen. Er sah sich mit banger Miene zu Miguel um und krampfte eine Hand um die Brüstung des Kutschbocks.

»Keiner bleibt bei C. Bain & Co. ruhig!«, zischte Miguel und peilte den vorderen Reiter mit dem Gewehr an. Er schwitzte im ganzen Gesicht. »Wie können Sie so arglos sein! Die Mistkerle könnten die Vorhut der Red-Line-Hunde sein!«

»Sie sind Rancher«, erklärte Lassiter mit Nachdruck. »Sie kontrollieren ihren Kanal nach dem Sturm. Sie haben vorhin einen Holztrog aus dem Wasser gezogen.«

Stur sah Miguel weiterhin über den Gewehrlauf und rührte sich nicht. Er biss sich auf die Unterlippe, bis jegliches Blut aus ihr gewichen war. »Sie können es nicht wissen, Mann! Die Red-Line-Bande ist mit allen Wassern gewaschen. Sie will uns täuschen!«

Zwischen den beiden Reitern erschien eine weitere Gestalt, die von kleinem Wuchs und lebhaftem Gebaren war. Es war ein Knabe von sechs oder sieben Jahren, der zum Ufer des Rio Grande hinunterlief und einen Holzreif in die Luft warf. Er stolperte bis ins tiefere Wasser und fing den Reif mit beiden Händen.

Entsetzt schrak Miguel von seinem Gewehr auf und nahm es an sich. Er starrte zu Lassiter und begann sich zu entschuldigen.

»Lassen Sie’s gut damit sein!«, beruhigte ihn der Mann der Brigade Sieben. Er schaute zu den beiden Ranchern, die am Ufer absattelten und sich in der Nähe des Jungen niedersetzten. »Die Red-Line-Verbrechen dürfen Sie nicht selbst zum Mörder machen.«

»Ein wahres Wort«, erwiderte Miguel schuldbewusst und rammte vor Zorn die Faust in das Kutschendach. »Sie haben unsere toten Freunde nicht gesehen, Lassiter. Sie haben nicht gesehen, wie man sie zugerichtet hat.« Er gewann die Fassung zurück. »Sie wären nicht anders als ich.«

Die Concord rollte an den sitzenden Ranchern und dem Kind vorüber und erklomm die nächste Steigung. Von Barneby auf dem Kutschbock war nur ein mürrisches Seufzen zu hören. »Schon wieder die Falschen! Irgendwann fahre ich jemanden nieder, der nichts auf dem Kerbholz hat!« Er reckte den Kopf über das Dach. »Passen Sie bloß auf uns auf, Mr. Lassiter!«

Die beklommene Miene von Miguel genügte Lassiter, um zu begreifen, dass der Mexikaner dieselben Gedanken hegte. Sie hatten ihn nicht als Verbündeten mitgenommen, sondern als Faustpfand gegen ihren eigenen Wahnsinn.

»Ich kenne den Tod«, wandte sich Lassiter mit leiser Stimme an Miguel. »Er trifft ganz oft die falschen Menschen. Aber Sie dürfen ihm nicht auch noch in die Hände spielen.« Er klopfte dem Mexikaner auf die Schulter. »Nicht einmal in Zeiten höchster Gefahr.«

Am strahlenden Weiß des Glockengiebels von San Lazaro hatte sich Jack Dolan schon gestört, als er noch mit seiner Mutter und den übrigen Gläubigen hinauf zu der kleinen Kapelle gezogen war. Er hatte stets den Padre verspottet, der in dem winzigen Kirchlein Dienst getan hatte, und als Dolan älter gewesen war, hatte er mit dem Colt viermal auf die kupferne Glocke im Giebel geschossen.

Einen Schuss für jeden seiner toten Brüder.

Der Banditenboss starrte zu der Kapelle hinauf, die sich auf den Refugio Hills erhob und deren geschwungene Giebelwand weithin sichtbar war. Er hatte unzählige Male vor der massiven Zedernholztür gestanden, die der Padre nach einem Überfall mexikanischer Wegelagerer hatte anfertigen lassen, und um eine Beichtstunde gebeten.

Der Padre hatte ihn genauso oft belächelt.

Er hatte dem Texaner zwar die Beichte abgenommen und ihm als Buße einige Ave-Marias aufgetragen, doch im Grunde hatte er Dolan verachtet und zu den verlorenen Seelen gerechnet, vor deren sündhaftem Treiben er die Gemeinde jeden Sonntag warnte. Der Gottesmann hatte sogar die Begräbnisse von Dolans Brüdern verweigert, die bei einer Schießerei drüben in San Elizario umgekommen waren.

»Keiner mehr im Sattel, Boss!«, meldete Maruano hinter ihm und schob sich den Strohhut aus der verschwitzten Stirn. »Muss es bei San Lazaro sein, Mr. Dolan? Sind gläubige Männer unter uns!«

Zornig fuhr Dolan zu dem Mexikaner herum und packte ihn beim Arm. »Mir ist gleich, ob euch Kreuze um den Hals baumeln oder ob ihr den Teufel ins Haus lasst! Ich brauche einen anständigen Überfall und eine Leiche.« Er ließ Maruano los. »Der alte Fisher soll bekommen, was er gefordert hat.«

Der Ritt hinauf zur Tabakfarm von J.J. Fisher hatte keinem seiner Männer behagt, obgleich Dolan allein die Verhandlungen mit dem Farmer führte. Er hatte ein paar Dollars herausgeschlagen, die er seinem Trupp ohne Umschweife ausgezahlt hatte. Seither hörte er statt Dank nur noch Klagen.

»Zwei von euch gehen hoch in den Glockenturm«, befahl Dolan und wies zur Kupferglocke der Kapelle. »Ihr stellt euch hinter die Glocke und feuert, sobald die Bain -Kutsche in Sicht kommt.«

Der Mexikaner atmete schwer durch und stieg mühsam aus dem Sattel. Er nahm den Hut ab und wischte sich mit der flachen Hand durch das lockige Haar. »Werde wohl Corazon und Tierra schicken. Sind anständige Männer hinter den Gewehren.«

Hätte Maruano an der Stelle von Corazon und Tierra dressierte Affen geschickt, wäre es Dolan ebenso recht gewesen. Er empfand nur Abscheu für diese kümmerlichen Schwachköpfe, die ihm wie Schafe zur Schlachtbank nachliefen. Er würde sie zu gegebener Zeit loswerden müssen, und er wusste bereits, wer an seiner Stelle ins Gefängnis wandern würde.

»Einverstanden«, brummte Dolan und spähte den Hang zum Rio Grande hinunter. Sie hatten die Kutsche bereits in Las Cruces gesehen. »Binde den Gaul an! Wir schauen uns im Kirchlein um!«

Sie brachen den Riegel vor der Kirchentür auf und stießen die Bänke beiseite, die sich vor dem mit trockenen Blumen geschmückten Silberaltar befanden. Als sich Dolan am Kreuz ein Zündholz anriss und die Pfeife ansteckte, wandte sich Maruano ab und schlug ein Kreuz über der Brust.

»Die Frömmelei nutzt dir auch nichts mehr«, brummte Dolan und nahm den Abendmahlskelch vom Altar. Er betrachtete ihn von allen Seiten, schürzte anerkennend die Lippen und stellte ihn zurück. »Hättest du meine Brüder gekannt, wüsstest du, dass oben im Himmel höchstens der Teufel regiert.«