Lassiter Sammelband 1856 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1856 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2449, 2450 und 2451.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

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Seitenzahl: 413

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Jack Slade
Lassiter Sammelband 1856

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2019 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Norma/Boada

ISBN: 978-3-7517-4725-7

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1856

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2449

Full House für Lassiter

Lassiter 2450

Höllenritt mit Julienne

Lassiter 2451

Lassiter und die Sittenwächter

Guide

Start Reading

Contents

Full House für Lassiter

Es war an einem Nachmittag im Juni, als Porky, der Bartender, seine Aushilfe Linda Carr in den Lagerraum schickte, um eine Kiste Gläser zu holen. Auf dem Weg dorthin passierte das Mädchen den Korridor in der oberen Etage, auf dem einige Gästezimmer lagen. Durch die letzte Tür drang eine Stimme an Lindas Ohren, die ihr eine Gänsehaut bescherte. Sie erkannte das rauhalsige Organ von Marky Shark, dem Berufskiller aus Sharon Springs. »Fünf Männer gegen einen?«, grunzte er. »Soll das ein Witz sein, Randall?«

»Der Mann ist gefährlich«, hörte Linda Randall sagen. »Mein Auftraggeber will kein Risiko eingehen.«

Linda blieb stehen und hielt den Atem an.

»Okay, des Menschen Wille ist sein Himmelreich«, knurrte Marky Shark. »Hauptsache, die Kasse stimmt. Dieser Lassiter ist schon so gut wie tot …«

Linda war, als hätte sie einen Schlag mit einer Zaunlatte bekommen.

Sie zitterte am ganzen Leib.

Soeben war sie Zeugin eines Mordkomplotts geworden. Lee Randall, der Besitzer des Bel Air Hotels, hatte fünf Galgenvögel angeheuert, um Lassiter, den beliebten Bargast aus Carney’s Wigwam Inn, ins Jenseits zu verfrachten.

Linda verstand die Welt nicht mehr. Was hatte Lassiter getan? Warum wollte man ihn töten? Wieso wurden gleich fünf Kopfjäger auf ihn angesetzt? Und was hatte ihr Chef mit der Sache zu tun? Wer zum Kuckuck war der geheimnisvolle Auftraggeber?

Fragen über Fragen. Linda schwirrte der Kopf. Die Gedanken wirbelten wie Sandböen durch ihren Schädel.

Sie kämpfte ihre Erregung nieder. Unter Aufbietung all ihrer Willenskraft dachte sie scharf nach. Dem Anschein nach hatte Lassiter einem einflussreichen Mann aus Colter City in die Suppe gespuckt.

Vielleicht hatte er mit der falschen Frau im Bett gelegen.

Vielleicht hatte er seinem Gegner ein Geschäft vermasselt.

Linda wusste es nicht. Sie wusste nur eines: Jetzt wollte sich sein Widersacher an ihm rächen. Er befahl Lassiters Tod.

Ich muss ihn warnen, dachte Linda, deren Herz wieder ein paar Takte schneller schlug.

Gestern Abend hatte Lassiter einige Zeit bei ihr an der Bar gestanden. Beide hatten sie nett miteinander geplaudert. Lassiter war der charmanteste Gentleman, dem Linda jemals in Kansas begegnet war. Im Nu war sie entflammt. Hals über Kopf hatte sie sich in ihn verliebt. Insgeheim träumte sie davon, sich mit ihm zu treffen und sich ihm hinzugeben. Sie war noch Jungfrau, und ihr erstes Mal sollte etwas ganz Besonderes sein. Sie wollte ihre Unschuld nicht an einen dieser raubeinigen Kerle verschwenden, die tagtäglich in den Saloons herumlungerten und sich mit Whiskey volllaufen ließen.

Ein untrügliches Gefühl sagte ihr, dass Lassiter genau der richtige Mann für ihr erstes Liebesabenteuer war. Sie sehnte sich nach der Berührung seiner Hände, nach dem Kuss seiner Lippen, nach der Wärme seines Körpers.

Leider hatte sie sich nicht getraut, ihrem heimlichen Schwarm ihre Zuneigung spüren zu lassen. Es gab keine Gelegenheit dazu. Zu viele Männer hatten am Schanktisch gestanden.

Sie war auf Distanz geblieben, und so hatte ihr Favorit bestimmt noch gar nicht bemerkt, dass sie ein Auge auf ihn geworfen hatte.

Aber jetzt, endlich, hatte sie einen Anlass, um ihn in Carney’s Wigwam aufzusuchen. Jemand trachtete nach seinem Leben.

Wenn das kein Grund war …

Vor Aufregung machte Lindas Herz einen Sprung.

Sie ging von der Tür weg und eilte den Gang auf der Galerie entlang. Die Gläser in der Kiste, die sie trug, klirrten leise. Wie ein Wiesel lief sie die Treppe hinunter, vorbei an der Rezeption, wo Robson mit dem Handelsreisenden aus Chicago sprach, bis hin zum Restaurant, in dessen Nebenraum sich die exquisite Trinkbar des Bel Air befand.

Mit einem Fuß schubste sie die Pendeltür auf, durchquerte das leere Lokal und huschte in den Barraum. Hier stellte sie die Kiste auf das Ende der Theke. Big Porky, der Barkeeper, war gerade damit beschäftigt, den ovalen goldgerahmten Barspiegel mit einem Lederlappen zu polieren.

Jetzt drehte er sich um, musterte Linda von oben bis unten und legte den Kopf schief: »Zieh dir das enge Kleid ein«, sagte er. »Du weißt schon, das mit dem tiefen Ausschnitt, das deine Kurven so gut zur Geltung bringt. Nach der Besprechung kommt Randall mit seinen Geschäftsfreunden herunter. Zum gemütlichen Beisammensein, wie er es nannte. Du wirst die Gentlemen bedienen. Nur du allein. So will es der Chef. Eine geschlossene Gesellschaft, verstehst du?«

Linda fuhr der Schreck in die Glieder. »Wie? Ich allein mit den Typen, mit denen er gerade oben sitzt?«

»Yeah«, nickte Porky und hob die Brauen. »Und stell dich nicht so an, wenn die Gents ein bisschen über die Stränge schlagen. Das brave Püppchen kannst du morgen wieder spielen.«

»Das ist nicht fair!«, trumpfte Linda auf. »Ich bin als Bedienung für das Restaurant und die Bar eingestellt. Nicht als Amüsiergirl. Wenn Mr. Randall Bedarf an Sidewalkdohlen hat, soll er sich ein paar Huren aus dem French Joyhouse bestellen.«

»Sei nicht so vorlaut«, sagte Porky gutmütig. Er war ein fülliger Mann mit Halbglatze und einem Schnurrbart, der an den Enden hoch gezwirbelt war. »Mach, was dir gesagt wird und fertig.«

Linda kaute auf ihrer Lippe. »Ich traue den Kerlen nicht, die bei ihm oben sind. Die reinsten Halsabschneider. Einer wie der andere. Und Marky Shark ist der Schlimmste von ihnen.«

»Mag sein«, räumte Porky ein, »aber Randall ist der Mann, der uns bezahlt. Wir müssen nach seiner Pfeife tanzen. Ob es uns passt oder nicht. – Also los! Wirf dich in Schale, Baby Doll!«

Linda war zum Heulen zumute. »Ich hab kein gutes Gefühl«, murmelte sie. »Wenn die Kerle betrunken sind, sind sie zu allem fähig.«

Porky bedachte sie mit einem langen Blick. Dann hob er die Schranke und kam um die Bar herum. Er stellte sich neben Linda und legte väterlich einen Arm um ihre Schulter. »Mach dir nichts draus, Kleines«, sagte er und krauste die Nase. »Das Leben ist kein Wunschkonzert. Wir alle müssen von Zeit zu Zeit eine bittere Pille schlucken. Morgen scheint wieder die Sonne.«

»Ich wünschte, ich wäre tot«, hauchte Linda.

»Hör auf damit!« Porky hob ihr Kinn und schaute ihr in die Augen. »Dein ganzes Leben liegt noch vor dir, du Küken. Beiß die Zähne zusammen und denk nicht dran.«

Sie schmiegte sich an seine breite Brust und schluchzte. Für einen Moment überlegte sie, ob sie Big Porky von dem Mordkomplott berichten sollte, doch dann verwarf sie ihren Gedanken wieder. Es reichte, wenn sie zu Lassiter ging und ihn warnte.

Porky strich sanft über ihr Blondhaar. Sie spürte, wie sein Herz unter der Lederweste wummerte. Porky war immer gut zu ihr gewesen. Nie hatte er ein schlechtes Wort über sie verloren. Vermutlich litt er ebenso unter Randalls Entscheidung wie sie. Doch er konnte es nicht ändern. Seine Anteilnahme erwärmte ihr Herz.

Es war nicht das erste Mal, dass der Hotelbesitzer eine geschlossene Gesellschaft gab. Von Dionne, ihrer Vorgängerin am Schanktresen, wusste Linda, was auf so einer Party gespielt wurde. Dionne hatte ihr Dinge berichtet, die Linda die Haare zu Berge stehen ließen. Einmal hatte Dionne gleich drei von Randalls sogenannten Geschäftsfreunden bedienen müssen, und das im Stil einer Hure, nicht einer Serviererin.

Vor Lindas innerem Auge erschien ein beängstigendes Bild. Damals hatten sie Dionne nackt ausgezogen, sie rücklings über den grünen Billardfilz gelegt und sich nacheinander mit ihr vereinigt. Auch Lee Randall war mit von der Partie gewesen. Den Bauch voll Whiskey, hatte er Dionne einige Blutergüsse und Abschürfungen beigebracht.

Doch das Mädchen hatte ein dickes Fell. Ohne zu klagen, hatte sie all die Demütigungen und Misshandlungen über sich ergehen lassen. Nach der Quälerei hatte sie ein heißes Bad genommen, ein großes Glas Whiskey getrunken und die ganze Sache vergessen.

Aber Linda war aus einem anderen Holz geschnitzt. Sie war nicht so hartgesotten wie ihre Vorgängerin, die in einem Elendsviertel von New York aufgewachsen war.

Und außerdem war sie noch Jungfrau!

Porky sagte: »Mach dich nicht verrückt, Kleines. Vielleicht wird es gar nicht schlimm, wie du denkst. Geh jetzt hoch, mach dich hübsch und ruhe dich noch ein wenig aus.«

Sie sah ihn an. Porky lächelte ihr aufmunternd zu. Doch es war ein falsches Lächeln. Er wusste genau, was auf sie zukam.

Linda schlug die Augen nieder und ging.

»Take it easy«, rief Porky ihr nach. »Nimm es leicht, Baby Doll!«

Linda trat auf die Straße. Bis zu Carney’s Wigwam war es nur ein Steinwurf weit. Das Gasthaus, in dem Lassiter logierte, lag an der Ecke Trevor Road und Chappell Street.

Auf der Straße herrschte gähnende Leere. Die Trottoirs lagen verwaist. Die Sonne brannte unbarmherzig vom hellblauen Kansas-Himmel herab. Nirgendwo war eine Wolke zu sehen. Die Menschen waren vor der sengenden Hitze in den Schatten ihrer Häuser geflohen.

Vor dem Eingang des Wigwam hüpften einige Spatzen im Sand herum. Als Linda auf sie zutrat, erhoben sie sich lärmend in die Lüfte.

Sie öffnete die Tür – und wäre um ein Haar mit einem Mann zusammengestoßen, der gerade hinaus wollte.

Es war James Tendy, der Schneider, ein blasser, kleiner Geselle im taubenblauen Gehrock, mit auf Hochglanz polierten Schnürstiefeln und einer dicken Hornbrille auf der Nase.

»Pardon, Miss«, sagte er höflich. Er trat beiseite.

»Ich suche Mr. Lassiter«, sagte sie. »Ist er im Haus, Mr. Tendy?«

»Nicht dass ich wüsste«, antwortete der Schneider. »So viel ich weiß, ist er heute Vormittag fortgeritten.«

»Wissen Sie, wann er wieder kommt?«

»Da bin ich überfragt«, antwortete Tendy und hob seine knochigen Schultern. »Aber ich muss heute noch einmal ins Wigwam, die Maße von Mrs. Woodland nehmen, ich könnte ihm eine Nachricht übermitteln.«

Linda lächelte. »O ja, das wäre sehr freundlich von Ihnen, Sir.«

»Was soll ich ihm ausrichten?«

Sekunden verstrichen. Sie überlegte. Natürlich konnte sie Tendy nicht die schreckliche Wahrheit auf die Nase binden. Randall, der hochangesehene Besitzer des Bel Air Hotels als Drahtzieher bei einem Auftragsmord? Vermutlich würde Tendy ihr kein Wort glauben und sie für eine hysterische Ziege halten. »Richten Sie ihm aus, ich hätte eine Nachricht für ihn, die äußerst wichtig ist«, sagte sie schließlich.

Tendy nestelte an seiner Brille. Seine kurzsichtigen Augen funkelten neugierig hinter dem Glas. »Wenn ihre Botschaft so wichtig ist, könnte ich sie ihm gleich mitteilen, sobald ich ihn sehe.«

Sie schüttelte den Kopf. »Lieber nicht. Ich möchte Diskretion wahren. Er kann ja zu mir ins Bel Air kommen, wenn er wieder da ist.«

Tendy wirkte enttäuscht. »Ganz wie Sie wünschen, Linda«, sagte er mit einem Schulterzucken.

Linda Carr machte kehrt und eilte den Weg zurück, den sie eben gekommen war.

»Einen Augenblick, Mr. Lassiter.«

Der Mann von der Brigade Sieben blieb stehen, wandte sich um und erblickte James Tendy, der einen blassgrünen Stoffballen und ein zusammengerolltes Maßband in den Händen hielt.

»Ich soll Ihnen etwas von Miss Linda ausrichten«, sagte der Schneider. »Das Barmädchen aus dem Bel Air.«

»Ja, und?« Lassiter hob fragend die Brauen.

»Linda hat eine wichtige Nachricht für Sie«, erklärte Tendy.

»Um was geht es?«

Tendy packte seinen Ballen fester. »Das hat sie nicht gesagt – nur, dass es etwas sehr Wichtiges sein soll. Sie erwartet sie im Bel Air.«

Lassiter kam gerade von einem Treffen mit seinem Kontaktmann Roy Crawley. Gemeinsam hatten sie den Bericht über die abgeschlossene Mission Thunderhall für die Zentrale in Washington verfasst. Lassiter steckte ein harter Ritt in den Knochen. Crawleys Ranch befand sich fünfzehn Meilen von Colter City entfernt. Der Overlandtrail war in denkbar schlechtem Zustand, eine hinterhältige Buckelpiste. Ständig musste man Obacht geben, dass sich das Reittier nicht in den Schlaglöchern und Erdspalten die Beine brach. Lassiter sehnte sich nach einem Drink und seinem frisch bezogenen Bett. Morgen, bei Tagesanbruch, wollte er die Stadt verlassen. Sein nächstes Ziel war die Stadt Manhattan am Tuttle Creek. Dort trieb eine Bande Rinderdiebe ihr Unwesen, die bei einem Coup einen Agenten der Brigade Sieben erschossen hatte.

»Wann haben Sie Linda getroffen?«, forschte Lassiter.

»Am Nachmittag, kurz nach drei.«

Das war jetzt sechs Stunden her. »Okay, ich gehe nachher zu ihr«, sagte er.

Tendy tippte an seinen Hutrand und entfernte sich.

Lassiter schloss sein Zimmer auf, hängte den Stetson an den Haken und ließ sich auf das Bett fallen. Die Federn quietschten laut. Die Hände im Nacken verschränkt, dachte er an das hübsche Barmädchen, das ihn gestern so freundlich bedient hatte. Was mochte die Kleine von ihm wollen?

Anbändeln?

Lassiter musste grinsen. Zugegeben, das Girl sah nicht übel aus, ein hübsches Ding, mit fraulichen Rundungen und leuchtendem Blondhaar. Allerdings war sie nicht älter als Achtzehn. Er rief sich den gestrigen Abend ins Gedächtnis zurück. Ihm fiel ein, dass die Kleine ihn mehrmals einer verstohlenen Musterung unterzogen hatte. Im Spiegel, der hinter der Bar hing, hatte er ihre neugierigen Blicke bemerkt.

Und jetzt wollte sie ihm etwas mitteilen.

Hatte sie Feuer gefangen?

Lassiter war neugierig geworden. Ein Treff mit einer hübschen Evastochter war immer ein Highlight für ihn. Jedenfalls musste er der Sache auf den Grund gehen.

Er stemmte sich auf und machte sich zum Ausgehen fertig.

Als er auf die Straße trat, waren vor den Häusern der Trevor Street bereits die Laternen angezündet.

Die Lampen an der falschen Fassade des Bel Air Hotels brannten am hellsten.

Er schob die Tür auf, durchquerte das Foyer und trat durch die Seitentür in das Restaurant. An den Tischen im Gastraum saßen nur vereinzelt Gäste. Eine alte Dame mit gefärbtem Rotschopf saugte an einer langen Spitze, in der eine dunkle, mexikanische Cigarita steckte. Tabakrauch schwebte in mehreren Schichten unter der Decke. Big Porky, der dicke Barkeeper, mixte gerade einen Cocktail.

Lassiter fragte ihn nach Linda.

»Nicht da«, antwortete der Mann hinter dem Tresen.

»Man sagte mir, sie hätte eine Nachricht für mich. Eine wichtige Nachricht.«

»Davon weiß ich nichts.« Porky schüttete das Gemixte in ein Trinkglas und gab einen Zweig Minze hinzu. »Lassen Sie das Mädchen in Ruhe, Mister«, sagte er gepresst. »Für heute hat die Kleine genug von uns Mannsbildern.«

Lassiter stutzte. »Wo ist sie?«

Porky starrte ihn an, ohne ein Wort. Sein Kinn zitterte, so aufgewühlt war er.

Lassiter wartete auf Antwort. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn.

»Wo bleibt mein Cocktail?«, rief die Frau mit der Cigarita.

Porky räusperte sich. »Schon unterwegs, Ma’am«, krächzte er. Er langte nach dem Glas und brachte es an den Tisch.

Lassiter verließ Kopf schüttelnd das Lokal. Am Empfangspult gewahrte er den Portier, der geschäftig in dem dicken Anmeldebuch blätterte.

»Wo finde ich das Barmädchen, das gestern Abend bedient hat?«, erkundigte er sich.

Robson, der Mann an der Rezeption, runzelte die Stirn. Nachdem Lassiter eine Münze neben das Anmeldebuch gelegt hatte, nannte der Portier die Anschrift des Mädchens. Sie teilte sich mit einer Mitbewohnerin eine Dachkammer im Soaper House in der Chappell Street.

Lassiter machte sich unverzüglich auf den Weg.

Die Eingangstür des Soaper House war nur angelehnt. In der Diele roch es nach verschüttetem Kaffee und altem Rauch. Im Haus war es still wie einer Gruft. Kritzeleien bedeckten die laienhaft gestrichenen Wände. Strichmännchen mit Gewehren und Revolvern erschossen einander. Eine Figur hing am Galgen, umringt von Zuschauern, die mit erhobenen Armen jubelten.

Lassiter stieg die Treppe zum Speicher hinauf. Oben gab es keine Fenster. Im Dunkeln klopfte er an die erstbeste Tür. Als sich niemand meldete, rief er den Namen des Mädchens.

Irgendwo erklang eine schwache Stimme.

»Miss Linda?«

»Ich bin hier.« Die Worte gingen in ein Stöhnen über.

Lassiter öffnete die Tür. Im Halbdunkel sah er unter einer Decke eine Gestalt auf der Pritsche liegen. »Miss Linda?«

Sie stöhnte gequält.

Besorgt trat er etwas näher. Das Mädchen bot einen schrecklichen Anblick. Mühsam hob sie den Kopf vom Kissen. Ihr Blondhaar hing ihr strähnenweise und verklebt auf die Schultern. Sie hatte ein blutunterlaufenes Auge, das zweite Auge war zugeschwollen. Die Lippen waren blutverkrustet. Am Hals prangten blaue Flecke, die sich bis unter das Baumwollhemd zogen, das ihren zierlichen Körper verhüllte. Das Barmädchen sah aus, als wäre es in eine wüste Saloon-Schlägerei geraten.

»Was ist passiert?«, fragte Lassiter.

Sie schluchzte schwer. In ihrem offenen Auge schillerte eine Träne, die über ihre geschwollene Wange lief. Mit sichtlicher Mühe hob sie eine Hand.

»Setzen Sie sich«, sagte sie. »Ich habe mit Ihnen zu reden.«

Lassiter war angefressen. »Wer hat Ihnen das angetan?«, knurrte er.

Sie ging über seine Frage hinweg. »Mr. Lassiter, Sie sind in Gefahr«, stieß sie hervor. »Es gibt Männer in Colter City, die Sie tot sehen wollen.«

»Ach so?« Er machte die Augen schmal. »Woher wissen Sie das?«

»Ich hab zufällig ein Gespräch mit angehört, heute Nachmittag, im Bel Air.« Sie atmete tief durch. »Lee Randall hat fünf Männer um sich geschart, die Sie umbringen sollen.«

»Randall, der Hotelbesitzer?«

»Ja.« Linda richtete sich weiter auf, verzog das Gesicht und stöhnte schwer.

Lassiter drückte sie sanft auf das Kissen. »Beruhigen Sie sich, Miss«, sagte er ruhig. »Eines nach dem anderen. Zuallererst möchte ich wissen, wer Ihnen diese Abreibung verpasst hat.«

»Das ist nicht wichtig«, flüsterte sie.

»Für mich schon.« Er ergriff ihre Hand und drückte sie behutsam. »Hat man Sie … vergewaltigt?«

Sie tat, als hätte sie nichts gehört. »Verlassen Sie Colter City«, sagte sie. »Die Halunken sind zu fünft, Killer von reinstem Schrot und Korn. Sie werden Sie töten, ehe Sie wissen, wie Ihnen geschieht.«

»Full House, sozusagen«, bemerkte er sarkastisch.

»Sie nehmen mich nicht ernst«, sagte sie mit gerunzelter Stirn.

»Oh doch, das tue ich.« Er warf einen Blick in die Runde. Die Kammer war klein und schmal und bot gerade Platz für zwei Pritschen, eine Truhe und einen Einbeintisch, auf dem einige Papiere und ein Katalog von einem Versandhaus in St. Louis lagen. Er wandte sich wieder dem Mädchen zu. »Gibt es noch mehr, was Sie mir sagen könnten, über diesen fünf Kerle?«

»Vier von ihnen habe ich noch nie gesehen«, versetzte sie. »Ich kenne nur Marky Shark, den Menschenjäger aus Sharon Springs. Wer Randall den Befehl erteilt hat, weiß ich nicht. Er hat den Auftraggeber nicht genannt. Wie es aussieht, muss es ein sehr wohlhabender Mann sein. Marky Sharks Bleispritze ist nicht für ein Butterbrot zu haben. Und die anderen vier Ganoven arbeiten sicher auch nicht für ein Trinkgeld.«

»Sind es dieselben Kerle, die Sie so zugerichtet haben?«, hakte Lassiter nach.

Linda schlug die Augen nieder und nickte.

Lassiter unterdrückte einen Fluch. Er wies auf die zweite Pritsche. »Kümmert sich jemand um Sie? Ihre Mitbewohnerin?«

»Ja, Annie ist ganz lieb zu mir. Annie Babcock, eine richtig gute Freundin. Sie gibt mir zu essen und ist für mich da, wenn ich etwas brauche.«

»Wo ist sie?«

»Arbeiten, drüben im French Joyhouse.« Linda schob ein widerspenstiges Haar aus ihrem Gesicht. »Sie ist … nun ja, ein Amüsiergirl, wenn man so sagen darf. Morgen, bei Sonnenaufgang, ist ihre Schicht zu Ende.«

Lassiter war dem Mädchen sehr dankbar. Sie hatte ihn vor einer tödlichen Gefahr gewarnt. Fünf Revolvermänner lechzten nach seinem Leben, um die Kopfprämie zu kassieren, die irgendein rachsüchtiger Patron ausgesetzt hatte. Starker Tobak. Ab sofort musste er noch vorsichtiger sein. Hinter jedem Zaun konnte ein Heckenschütze lauern. Er nahm sich vor, seinen Verbindungsmann zu informieren. Vielleicht hatten Crawleys Spitzel inzwischen erfahren, wer hinter dem Komplott steckte.

»Verlassen Sie Colter City«, drängte Linda. »Je eher Sie verschwinden, desto eher sind Sie in Sicherheit.«

Er schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht. Meine fünf neuen Freunde werden mir folgen, als hätte ich Zucker in den Taschen. Sie wollen das Kopfgeld.«

»Auch wieder wahr.« Sie kaute nachdenklich auf ihrer Lippe. »Wissen Sie was? Gehen Sie doch zum Sheriff. Duck Hawking ist ein patenter Bursche. Ich vertraue ihm. Er wird Ihnen helfen.«

Lassiter sah das anders. Gegen ein Full House von Kopfgeldjägern war selbst der tapferste Sternträger machtlos. Im Übrigen gab es nicht den geringsten Beweis für ein Mordkomplott, nur das zufällig mit angehörte Gespräch im Bel Air Hotel. Doch wenn jemand der Verschwörer spitzbekam, dass Linda etwas aufgeschnappt hatte, war ihr Leben keinen Penny mehr wert.

Er fasste sie fest ins Auge. »Diese Annie, von der Sie sprachen, weiß sie Bescheid?«

Linda schwieg.

Lassiter dachte sich sein Teil. »Sie haben also mit ihr über Randalls Mordpläne gesprochen.«

»Annie ist meine Freundin«, erklärte Linda. »Wir gehen durch dick und dünn. Sie würde nie auf die Idee kommen, mich zu verraten.«

»Sicher?«

Linda nickte hastig.

»Nun, manchmal ist der Wunsch der Vater des Gedankens«, sinnierte Lassiter. »Wenn Ihre Freundin aus der Schule plaudert und Randall davon erfährt, wird er Ihnen die Hölle heißmachen.«

Linda hob abwehrend eine Hand. »Für Annie lege ich meine Hand ins Feuer. Eher beißt sie sich die Zunge ab, ehe sie mich bloßstellt.«

»Tatsächlich?« Lassiter blieb skeptisch.

Linda lächelte dünn.

Im nächsten Augenblick fiel im Haus eine Tür ins Schloss. Das Geräusch kam aus dem Erdgeschoss.

Lassiter drehte den Kopf vom Bett weg und lauschte angespannt.

Auf der Treppe erklangen Schritte. Langsam schwollen sie an. Sporen klimperten. Jemand betrat vorsichtig den Speicher. Eine lose Diele knarrte unter dem Gewicht eines Menschen.

Linda schluckte schwer, und Lassiter sah, dass ihre Lippen ängstlich bebten.

Leise drehte er den Schlüssel im Schloss.

Auf Verdacht öffnete er die Schlaufe an seinem Holster, die den sechsschüssigen Remington sicherte. Leise nahm er die todbringende Waffe in die Hand.

Den Daumen auf dem Schlaghahn wartete er.

Die Zeit schien still zu stehen.

Eine Stunde vorher kam es im French Joyhouse zu einer Begegnung, die böse Folgen hatte.

Annie Babcock lehnte an der Hallenbar und nippte an einem schalen Bier, als der berüchtigte Revolvermann Marky Shark das Bordell betrat.

Bei seinem Anblick erschauderte Annie. Sofort musste sie an ihre Freundin Linda Carr denken, die am Nachmittag Opfer einer brutalen Vergewaltigung geworden war. Marky Shark war bei der Misshandlung der jungfräulichen Linda maßgeblich beteiligt gewesen. Das war nur wenige Stunden her. Was wollte Shark jetzt im Joyhouse? War sein sexuelles Verlangen immer noch nicht gestillt?

Annie kniff missmutig die Lippen zusammen. Am liebsten hätte sie dem raubeinigen Mistkerl die Augen ausgekratzt. Doch sie bezwang die wütende Anwandlung und gab sich teilnahmslos.

Shark kam steifbeinig auf sie zu. Der tief hängende Revolver an seiner rechten Hüfte und das Futteral mit dem schweren Messer an seiner linken pendelten bei jedem Schritt, den er tat.

»Dumme Kuh, was glotzt du so blöd?«, fuhr er sie an. »Noch nie ’n richtigen Kerl gesehen?« Er langte nach ihrem Busen.

Mit einer schnellen Körperfinte wich sie seinem Griff aus. Ihr lag eine spitze Bemerkung auf der Zunge. Aber sie war klug genug, die Worte nicht laut auszusprechen.

Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Lädst du mich zu einem Drink ein, Shark?«, fragte sie honigsüß.

»Rutsch mir den Buckel runter«, raunte er. »Ich will zu Auntie Gregson. Sie ist doch frei, oder?« Michelle Gregson, von den Freiern liebevoll Auntie genannt, war die dienstälteste Hure in Colter City. Niemand kannte ihr wirkliches Alter. Man sagte ihr nach, auf der Liste ihrer Freier stünden Gouverneure, Senatoren, Rinderbarone und steinreiche Bankiers. Dank ihren großen Brüsten, die sie beim Beischlaf perfekt einzusetzen pflegte, war sie bei den Männern mit Vorliebe für das Weibliche sehr gefragt.

»Ja, Auntie ist frei«, sagte Annie, die froh war, dass Shark nichts von ihr wollte.

»Mir gefällt nicht, wie du mich ansiehst«, sagte Shark und packte sie am Handgelenk. »Was ist in dich gefahren, Bitch? Ich merke das genau. Wieso starrst du so?«

Sein Griff war hart, und sie verzog schmerzerfüllt das Gesicht. »Es ist wegen Linda«, sagte sie gepresst. »Es war nicht in Ordnung, dass ihr wie ein Rudel hungriger Wölfe über sie hergefallen seid.«

Shark schlug ihr ins Gesicht. »Sag das noch mal!«, blaffte er.

Annie schmeckte Blut in ihrem Mund. Dass Shark so brutal reagierte, hatte sie nicht erwartet. Sie wünschte, sie hätte den Mund gehalten.

Jetzt war es zu spät.

Shark sah rot und packte noch härter zu. Annie stöhnte vor Schmerz laut auf.

»Du findest, es war nicht in Ordnung, was wir mit der kleinen Barhure gemacht haben?« Seine Stimme klang wie ein Reibeisen. Annie fürchtete den nächsten Schlag. Sie zitterte an Hand und Fuß.

»Rede!«, schnauzte er sie an.

Annie wusste nicht, was sie sagen sollte. »Ist mir doch egal, was ihr treibt«, stöhnte sie schließlich.

Shark gab ihr eine Ohrfeige, dass es laut klatschte. Annie standen die Tränen in den Augen. Sie war nahe daran, laut loszuheulen.

»Lass mich los!«, keuchte sie. »Ich werde mich bei Auntie beschweren. Sie duldet es nicht, dass hier Mädchen geschlagen werden.«

»Verpetzen willst du mich?« Shark packte sie am Hals, dass ihr die Luft knapp wurde. »Glaubst du, du verträgst das Echo?«

Die Verzweiflung verlieh Annie Mut. Im Gegensatz zu vielen anderen Mädchen war sie kein Hasenfuß, den man so nebenbei erledigte.

»Loslassen!« Sie trat Shark gegen das Schienenbein.

Er lachte heiser, ließ aber von ihr ab.

Annie trat von einem Bein aufs andere. Eine Welle kalter Wut überkam sie und ließ ihr Herz wummern wie ein Trommelwirbel. »Ich werde mich bei Sheriff Hawking über dich beschweren«, drohte sie. »Er wird dich ins Jail stecken, wegen Nötigung und schwerer Körperverletzung.«

Er klemmte lässig einen Daumen in seinen Gurt. »Das wird er nicht«, konterte er. »Hawking und ich sind ziemlich gute Freunde. Wir kennen uns aus alten Tagen im Indianer-Territorium. Da haben wir Seite an Seite gegen die Cheyenne gekämpft. Hawking wird mir kein Haar krümmen.«

Sein zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein reizte sie. »Wenn Hawking dich nicht Maß nimmt, dann wird es Lassiter tun«, stieß sie hervor.

Auf einmal wurden Sharks Augen schmal. »Lassiter? Wie zum Geier kommst du auf Lassiter? Was habe ich denn mit dem zu tun?«

Annie biss sich auf die Lippe. Verdammt, da hatte sie sich einen Tick zu weit vorgewagt. Jetzt hatte Shark sie am Haken. Er würde nicht eher Ruhe geben, bis er sie ausgequetscht hatte wie eine Zitrone.

»He, ich rede mit dir!«, fuhr er sie an. »Was weißt du von diesem Kerl? Raus mit der Sprache!«

»Nichts«, keuchte sie. »Was soll ich denn wissen?«

Eine schnelle Bewegung und der Mann hielt sein Messer in der Hand. Annie erstarrte zur Salzsäule, als sie die Spitze der Klinge an ihrer Wange spürte.

Shark grinste teuflisch. »Wie würde es dir gefallen, wenn ich dir ein nettes kleines Mal auf deine Wangen zaubere?«

Annies Mut verlor sich irgendwo im Niemandsland. Sie war so stolz auf ihr hübsches Antlitz mit dem makellosen Teint, den hohen Wangenknochen, den ausdrucksvollen Augen, der perfekt geformten Nase und den sanft geschwungenen Lippen. Fast täglich bekam sie Komplimente, wie schön sie doch war. Eine Narbe im Gesicht war das Letzte, was sie wollte.

»Nein!«, rief sie aus. »Bitte, nicht!«

Der Revolverschwinger war in seinem Element. »Hab dich nicht so jungfernhaft«, sagte er kalt. »Also los! Was weißt du über Lassiter? Wieso berufst du dich auf ihn?«

»Ich weiß gar nichts«, schnaufte sie. »Aber Linda, meine Zimmergefährtin, könnte dir so einiges über ihn erzählen.«

»Ach so?« Shark nahm das Messer von ihrem Gesicht weg. »Das ist ja interessant. Da werde ich der kleinen Schlampe wohl noch einmal meine Aufwartung machen müssen.«

Annie hätte sich am liebsten selbst in den Hintern getreten. Mit einem Schlag wurde ihr bewusst, dass sie ihre Freundin in höchste Bedrängnis gebracht hatte. Mit Marky Shark war nicht gut Kirschen essen. Jetzt würde der Unhold die arme Linda noch einmal heimsuchen.

Annie verfluchte ihre lose Zunge. Aber gesagt war gesagt.

Ich bin eine dumme Gans, schalt sie sich. Eben wollte sie Shark darum bitten, mit Linda nachsichtig zu sein, da erschien Auntie Gregson im Foyer.

Die Chefhure des French Joyhouse trug einen hellrosa Umhang, der ihre üppigen Körperformen nur stellenweise verbarg. Ihr Haar war zur Hochfrisur geformt und von einem schillernden Blauton.

Als sie den Kopfgeldjäger erblickte, spitzelte sie mit der Zunge an ihrer Oberlippe. »Hello, Marky«, sagte sie und drückte das Rückgrat durch. »Schön, dass du mal wieder vorbei schaust.«

Shark zögerte. Er blickte von einer Frau zur anderen. Annie hoffte inständig, dass der aufreizende Anblick von Auntie ihn in den Bann zog und er Linda vergaß, doch jäh verflüchtigten sich ihre Wünsche.

Marky Shark gab Auntie nur einen flüchtigen Begrüßungskuss. Dann kniff er ihr in die Wange und verließ steifbeinig das Haus.

Annie fluchte lästerlich.

Draußen war es mittlerweile stockdunkel, und auch auf dem Speicher im Soaper House sah man kaum die Hand vor Augen. Die ungeputzten Scheiben der Dachluken ließen nur wenig Licht der Laternen passieren.

Doch Marky Shark besaß die Augen einer Katze. Auch ohne Funzel hatte er die Tür, die er suchte, im Nu gefunden. Er wartete, bis sich seine Augen vollends an die Dunkelheit gewöhnt hatten.

Dann fasste er zielsicher nach dem Türknauf.

Abgeschlossen.

Zum Henker, wie er verriegelte Türen hasste! Sie erinnerten ihn an die sechs Monate in Fort Leavenworth, die er in einer Zelle mit dem irren Lustmörder von Chicago hatte absitzen müssen. Der Kerl wurde in eine Klapsmühle verlegt, nachdem er versucht hatte, mit einem gefeilten Löffel einem Wärter die Kehle durchzuschneiden.

Shark rüttelte kräftig an der Klinke. »Mach auf, Linda!«, rief er. »Ich weiß, dass du da drin bist.«

Jenseits der Tür blieb es still.

Shark stieß mit dem Fuß gegen das Holz. »He, Sugar, hörst du schlecht? Mach auf! Sonst kannst du was erleben.«

Drinnen tat sich immer noch nichts. Dass Linda auf seine Rufe nicht reagierte, ärgerte ihn. Was bildete sich dieses kleine Miststück ein? Glaubte sie im Ernst, er, Marky Shark, würde unverrichteter Dinge wieder abziehen, bloß weil sie keine Lust hatte, ihn zu empfangen?

»Ich zähle bis drei, Sugar«, sagte er. »Wenn du die Tür bis dahin nicht offen ist, passiert ein Unglück.«

Nicht ein Laut drang heraus.

Sharky blähte seinen Brustkorb und ballte die Hände zu Fäusten. »Eins!«

Keine Reaktion.

»Zwei!«

Nichts rührte sich.

»Und die letzte Zahl heißt …« Das letzte Wort blieb Shark im Halse stecken.

Die Tür flog auf, schlug gegen seinen Kopf und schmetterte ihn zu Boden, als sei er eine Strohpuppe. Shark rammte mit dem Kopf gegen einen Pfeiler und sah sich von einem blitzenden Sternenhimmel umgeben. Halb benebelt wollte er nach seinem Revolver greifen, doch ein kapitaler Tritt gegen seine Brust nagelte ihn förmlich auf den Dielen fest.

Er japste nach Luft, während er nach dem Angreifer spähte.

Der Kerl ragte vor ihm auf wie ein Turm.

»Lassiter«, murmelte Shark.

Ein Atemzug später fiel er zurück auf den Rücken. Er fühlte sich wie ein ausgewrungener Lappen. Sein Versuch, sich aufzurappeln, schlug fehl, und nicht nur das: Er spürte, wie ihm das Bewusstsein schwand und er in eine bodenlose Leere fiel …

Lee Randall starrte die Männer am Tisch der Reihe nach an. »Ich begreife nicht, was mit euch los ist«, sagte er. »Ihr seid zu fünft, und dennoch ist es euch immer noch nicht gelungen, diesen Lassiter abzuservieren.«

»Es war kein Ultimatum vorgeschrieben«, erklärte Marky Shark.

»Sobald sich eine günstige Gelegenheit ergibt, nehmen wir ihn aufs Korn«, sagte John Land.

Randall schaute von einem zum anderen. Marky Shark – mit frisch gebrochener Nase – saß da und starrte grimmig auf das Glas, das er in den Händen hielt. Nach seiner Schlappe im Soaper House war er ziemlich still geworden. Auch Bing Clapford, ein Menschenjäger aus Nevada, sagte kein Wort zu viel. Die beiden Calgary-Brüder, Ralph und Freddy, rollten sich seelenruhig Zigaretten, während John Land, der fünfte im Bunde, sich mit dem Messer die Fingernägel säuberte.

»So, so, eine günstige Gelegenheit wollt ihr.« Randall bemühte sich, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu geben. »Die Herren Manhunter wollen es also gemütlich angehen lassen, ganz ohne Eile und Risiko. Irgendwann wird sich schon eine todsichere Möglichkeit ergeben. Sehe ich das richtig?«

»So ungefähr«, grunzte John Land.

»Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut«, sagte Ralph Calgary, der bisweilen gern einmal ein Geschichtsbuch in die Hand nahm.

Randall rang um Fassung. Er war nahe dran, die Beherrschung zu verlieren. Da hatte er fünf Männer angeheuert, damit sie einen einzigen Kerl unschädlich machten, und alle fünf legten die Hände in den Schoß und taten, als hätten sie alle Zeit der Welt. Womöglich hatten die Hurensöhne Angst vor Lassiter, nach Marky Sharks Abreibung im Soaper House.

Die Männer befanden sich auf dem Innenhof des Bel Air Hotels. Ringsum erhoben sich mannshohe Mauern aus Feld- und Adobegestein. Über ihnen wölbte sich der nahezu wolkenlose Junihimmel. Ein Greifvogel segelte majestätisch hoch über ihren Köpfen hinweg. Ganz in der Nähe krähte ein Hahn. Weiter weg ertönte das Glockengeläut der Methodistenkirche. Randall hatte für alle Beteiligten Whiskey spendiert. Er hatte das Treffen anberaumt, weil er wissen wollte, wie es lief.

»Die Sache ist nicht so einfach«, sagte Ralph Calgary. »Ich habe mich erkundigt. Der Sheriff, der hier das Sagen hat, soll ein verdammt ausgeschlafener Bursche sein. Duck Hawking ist sein Name. Und der Richter im County ist auch nicht zu unterschätzen. In diesem Jahr haben Hawking und er schon ein halbes Dutzend Männer an den Galgen gebracht. Die Gents fackeln nicht lange.«

Aha, daher wehte der Wind. Randall begriff. Die Männer hatten also Angst vor dem Gesetz. Sie befürchteten, dass es ihnen an den Kragen ging, wenn sie patzten. Sie waren nach Colter City gekommen, um für einen Mord eine fette Prämie einzuheimsen, nicht, um sich aufhängen zu lassen.

»Was ist mit dieser Jungfer?«, fragte John Land, der seine Nägel endlich gesäubert hatte. »Wie hieß sie gleich? Linda? Lola? Marky sagte, Lassiter hätte das Girl unter seine Fittiche genommen.«

»Das stimmt«, bestätigte Shark. »Hab den Kerl bei ihr in der Bude erwischt. Weiß der Henker, was er von dem Weibsstück wollte.«

»Die kleine Schlampe ist sein wunder Punkt«, sagte Ralph Calgary und schob sich eine Selbstgerollte zwischen die Lippen.

Randall schaute ihn an. In seinem hellgrün karierten Flanellhemd, der braunen Weste aus Rohleder, dem blutroten Halstuch und dem breitkrempigen Plainsmanhut sah der Jüngere der Calgary-Brüder wie ein waschechter Cowboy auf der Range aus. Kein Mensch würde vermuten, dass es sich bei ihm um einen der effizientesten Auftragsmörder westlich des Mississippi handelte.

»Mein Bruder hat Recht«, meinte Freddy, der in einem sündhaft teuren Gehrock steckte. »Linda ist der Schlüssel. Wenn wir sie haben, kriegen wir auch ihn.«

Endlich ein brauchbarer Denkansatz. Randall nahm das als Anlass für eine neue Lage. Er griff nach der Flasche und schenkte allen noch einmal das Glas voll.

Als er bei Ralph Calgary stand, sagte der: »Wir müssen uns Linda greifen und sie irgendwohin bringen. Dann sorgen wir dafür, dass er es erfährt, und schwupps , schnappt die Falle zu.«

»Ein guter Plan«, fand Randall. Er sah in die Runde. »Was meint ihr dazu, Boys?«

Allgemeines Kopfnicken.

Marky Shark sagte: »Ich hörte, dass der Typ die Absicht hat, Colter City zu verlassen. Hab’s von Porky, dem Barkeeper. Angeblich zieht es Lassiter zum Tuttle Creek. Hat schon einigen Proviant gebunkert für seine Tour. – Wie dem auch sei, wenn wir uns Linda greifen wollen, müssen wir uns sputen.«

»Was will der Kerl am Tuttle Creek?«, meldete sich John Land. »Am Tuttle Creek möchte ich nicht mal tot auf einem Misthaufen liegen.«

»Wie auch immer«, sagte Randall, »der Vorschlag, den Kerl mit Linda zu ködern, ist nicht von schlechten Eltern. Am besten, ihr erledigt die Sache noch heute.«

Die Calgary-Brüder nickten. »Okay, wir übernehmen Linda«, sagte Freddy, der Ältere. »Bei der Gelegenheit können wir gleich noch mal etwas Luft an ihren Hintern lassen. Was meinst du, Ralph?«

Ralph blies einen Rauchring und lachte niederträchtig.

Randall stellte zufrieden fest, dass der Fall Lassiter endlich ins Rollen kam. Das würde seinem Auftraggeber gut gefallen. Was mit der kleinen Linda wurde, war Randall gleichgültig. Sie war nur ein winziges Rädchen in dem Getriebe. Sollten die weibertollen Calgarys noch ein wenig Spaß mit ihr haben, bevor sie von der Bildfläche verschwand.

»Wo wollen wir das Girl verstecken?«, fragte Bing Clapford aus Nevada. Es war das erste Mal, dass er sich am Gespräch beteiligte.

»Wie wär’s mit dem Schuppen hinter der Kirche?«, sagte Randall.

»Oder im Weinkeller des Bel Air«, meinte John Land.

Randall hob abwehrend die Hände. »Nicht in meinem Haus. Das lasse ich nicht zu. Es gibt weitaus bessere Verstecke in der Stadt.«

»Zum Beispiel das Sägewerk am Fluss«, schlug Ralph Calgary vor.

»Zu viele Leute drum herum«, sagte sein Bruder und schnippte sich einen Fussel vom Kragen. »Ich schlage vor, wir bringen die Maid aus der Stadt heraus, irgendwo in eine verlassene Ruine.«

»Am Ende der Chappell Road gibt es eine halb verfallene Scheune«, schlug Randall vor. »Ihr geht in der Nähe in Stellung und wartet, bis er sich zeigt.«

»Er ist nicht auf den Kopf gefallen«, warf John Land ein. »Er wird Lunte riechen und sich von dem Haus fernhalten.«

»Dann bekommt er Linda nicht«, erklärte Bing Clapford.

Randall nickte. »Wenn ihm etwas an Linda liegt, wird er keine Gefahr scheuen, um sie zu befreien. Wir brauchen nur noch jemandem, der ihn in die Falle lockt. Jemand, dem wir voll und ganz vertrauen können. Kennt einer von euch so eine Person?«

»Ja, ich«, meldete sich Marky Shark.

»Wer ist es?«, wollte Randall wissen.

»Eine Nutte aus dem French Joyhouse«, antwortete Shark. »Sie heißt Annie und frisst mir aus der Hand.«

»Das hört sich gut an«, sagte Randall und setzte sich auf seinen Platz. Er nahm sich vor, sich gleich nach dem Meeting zu dem Auftraggeber des Mordkomplotts zu begeben. Magwin würde sich freuen, wenn er hörte, dass sein Erzfeind Lassiter bald ins kalte Land der Schatten gezogen war.

Die Frau mit den brandroten Locken schwang ihre langen Beine über Magwin hinweg und ging über seinem Schoß in die Hocke.

Magwin seufzte inbrünstig. Diese Eve Marbles verstand etwas von der Liebe. Das war unbestritten. Sie sollte eine Schule eröffnen, in denen sie jungen Ehefrauen beibrachte, wie man mit seinem Gemahl im Bett umging. Bestimmt würde diese Bildungseinrichtung großen Zulauf haben. Natürlich musste über das Ganze der Mantel des Schweigens gedeckt werden. Die selbst ernannten Hüter der Moral würden nichts unversucht lassen, um diese Bildungsstätte zu vernichten.

Die Vorstellung an die Eröffnung einer Liebesschule amüsierte Magwin.

Gut gelaunt langte er nach Eves Brüsten, die dicht über ihm wippten. Er wog sie in den Händen. Perfekt!

Nach einer Weile hob er den Kopf und saugte eine der spitzen Nippel in den Mund.

Eve, immer noch über ihm in der Hocke, schloss die Augen und stöhnte leise.

»Sieh mich an«, befahl er.

Eve warf ihr Haar zurück und blickte ihm in die Augen. Mit beiden Händen presste er den einen Busen und leckte an der Warze.

»Nimm mich«, flüsterte Eve.

»Sag, dass du ohne mich nicht mehr leben kannst«, forderte er.

Sie tat ihm den Gefallen. »Ich kann ohne dich nicht mehr leben«, flüsterte sie gefühlvoll.

Obwohl er ihr die Worte in den Mund gelegt hatte, durchfloss ihn ein wohliges Rieseln. »Ich will es noch mal hören, Eve.«

Die Frau ließ sich nicht zweimal bitten. Während sie den Satz wiederholte, verschlang sie ihn mit so gierigen Blicken, dass ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief.

»Steck ihn dir rein«, sagte er und brachte seinen Dorn in die Senkrechte. »Setz dich auf ihn, aber ganz langsam, hörst du?«

»Yeah.« Eve zog den Bauch ein, griff zwischen ihre Schenkel und dehnte spitzfingrig die Fältchen unter ihrem Venushügel.

Magwin sah ihr genussvoll dabei zu. Er hob den Hintern, als sich Eve ruckweise auf ihm niederließ. »Tod und Teufel«, keuchte er.

Eve stützte sich mit beiden Händen auf seine behaarte Brust, während sie voller Hingabe ihr Becken auf und nieder bewegte. Sie tat es ganz langsam, ohne einen Blick von ihm zu lassen.

»Ohne dich ist mein Leben sinnlos«, sagte sie leise.

Magwin genoss jede Silbe, die ihr über die Lippen kam. Er legte die Hände um ihre schmale Taille und genoss die herrlichen Empfindungen, die ihm die erfahrene Liebesdienerin bescherte.

Sie befanden sich im Konferenzzimmer der Magwin & Algrim Bank in Colter City. Es war spät, die Uhr ging auf Mitternacht. Jeremy Magwin, der gerade rücklings auf dem langen Mahagonitisch lag, war ein Mann von knapp vierzig Jahren, von schlanker Gestalt, mit einem sorgsam beschnippelten Oberlippenbart und den Ansätzen von grauen Schläfen. Er hatte die Bank kurz nach dem Bürgerkrieg eröffnet, zusammen mit seinem Partner Jack Algrim. Nach anfänglichen Problemen gedieh das Geldinstitut und bescherte den Besitzern jedes Jahr stattliche Gewinne. Bald gründeten sie eine zweite, viel größere Filiale in Topeka. Dort kümmerte sich Jack Algrim um die Geschäfte. Der Grund, warum Magwin in Colter City blieb, hieß Eve Marbles.

»Ich werde immer nur dich lieben«, sagte sie gerade.

Magwin merkte, dass Eve das Tempo erhöhte. Ihre Wangen, ihr Hals und ihr Brustansatz waren von roten Flecken bedeckt.

»Langsamer«, sagte er.

Sie tat, wie ihr geheißen und drosselte das angeschlagene Tempo.

»Ja, so ist es gut.« Er atmete tief durch.

Eve bewegte sich auf ihm, als wären sie miteinander verwachsen. Magwin hatte die rotköpfige Frau bei einer Theateraufführung in der Independence Hall kennen gelernt. An den Inhalt des Stückes konnte er sich kaum noch entsinnen. Eve Marbles spielte die weibliche Hauptrolle. Im letzten Akt wurde sie von ihrem eifersüchtigen Ehemann erschossen. Magwin hatte ihr Spiel so sehr gefallen, dass er sie nach der Aufführung in der Garderobe aufsuchte, um sich persönlich bei ihr zu bedanken. Eve war sichtlich entzückt über sein Interesse. Ein Wort gab das andere. Schnell kamen sie sich näher. Schließlich kam es zu einer heimlichen Verabredung. Damit Rebecca, Magwins Frau, nichts von dem Seitensprung merkte, trafen sich die Verliebten fortan im Konferenzzimmer der Bankfiliale: jeden Mittwoch, nach der Schließung der Filiale. Es war für Magwin der Höhepunkt der Woche.

»Ich kann ohne dich nicht mehr leben«, stöhnte Eve.

Magwin umfasste ihr Gesäß und drückte die rundlichen Backen. Wenig später verspürte er die ersten Anzeichen des nahenden Höhepunkts.

»Halt an«, sagte er.

Sofort hielt seine Gespielin inne.

»Steig runter und stell dich hin, mit dem Gesicht zum Tresor«, sagte er.

»Lustmolch.« Eve hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen und kletterte vom Tisch. Während sie zum Panzerschrank ging, rutschte Magwin vom Tisch und warf einen Blick zum zugehängten Fenster.

Vor dem Haus erklangen Schritte.

Auch Eve hatte die scharrenden Geräusche gehört. Fragend blickte sie ihn an.

Magwin hob den Kopf und lauschte. Auf einen Schlag waren die Schritte verstummt.

Im nächsten Augenblick klopfte es leise an die Fensterscheibe.

»Wer kann das sein?«, flüsterte die Frau.

»Zieh dir was über«, sagte Magwin. Er ahnte, wer da draußen stand: sein Komplice Lee Randall. Womöglich hatte der Besitzer des Bel Air wichtige Informationen für ihn. Magwin hatte Randall verboten, in seine Villa zu kommen. Rebecca und die Nachbarn sollten keinen Verdacht schöpfen. All ihre bisherigen Treffen hatten nachts in der Bank stattgefunden.

Eve raffte ihre Unterwäsche zusammen und zog sich an. Magwin bedachte sie mit einem sehnsüchtigen Blick. Auch angezogen sah Eve Marbles zum Anbeißen aus. Sie war eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte. Er bedauerte, das Liebesspiel mittendrin unterbrechen zu müssen.

»Soll ich nach Hause gehen?«, flüsterte sie.

»Untersteh dich. Du wartest nebenan.« Er griff nach seiner Hose.

Es wurde wieder geklopft, wie vorhin, dreimal kurz hintereinander.

Der vereinbarte Klopfrhythmus. Es bestand kein Zweifel, der Mann vor dem Haus war Randall.

Magwin wartete, bis Eve aus dem Zimmer gegangen war. Nachdem er seine Jacke zugeknöpft hatte, trat er durch eine Seitentür in den Flur, wo sich eine gepanzerte Tür nach draußen befand.

Er schloss auf, öffnete und stand Lee Randall gegenüber. »Ich hoffe, Sie haben einen guten Grund, mich um diese Zeit zu stören«, knurrte er.

Randall spähte gehetzt nach links und rechts, dann schlüpfte er ins Haus.

Magwin kniff die Augen zusammen. »Hat Sie jemand beobachtet?«

»Nein, keiner. Hab genau aufgepasst.«

»Gut.« Magwin drückte die Tür zu. »Ist ER endlich tot?«, fragte er.

»Nein, noch nicht.« Randall blinzelte nervös. »Aber die Jungs haben endlich einen Plan. Sie werden IHN in eine Falle locken und in Stücke schießen.«

Magwin rollte mit den Augen. Das Theater, das die Manhunter um ihren Job machten, missbehagte ihm. Die Kerle sollten nicht reden, sondern handeln. »Wann soll es passieren?«, fragte er bärbeißig.

»Schon morgen.«

Magwin nickte. »Erzählen Sie mir mehr darüber.«

Randall berichtete ihm von der geplanten Entführung. Magwin hörte sich das Ganze an und schüttelte den Kopf. Er fand keinen großen Gefallen an dem Vorhaben. Lassiter war kein Greenhorn, sondern ein beinharter Revolvermann. Er würde den Kidnapper-Plan durchschauen und seine Gegner ins Leere laufen lassen.

»Bei Gott, ich hätte diesen Revolverschwingern mehr zugetraut«, sagte er, als Randall zu Ende geredet hatte. »Sie sind zu fünft. Wozu diese alberne Entführung?«

»Die Jungs wollen kein allzu großes Risiko eingehen. Randall seufzte. »Marky Shark hat bereits Bekanntschaft mit Lassiter gemacht.«

Das war Magwin neu. »Und? Wie ist das Date ausgegangen?«

»Nicht so, wie Shark es sich vorgestellt hat. Er hat ein gebrochenes Nasenbein und ist ziemlich still geworden. Sein Selbstbewusstsein ist angeknackst. Ich nehme an, er steht noch unter Schock.«

Eine kurze Pause trat ein. Dass Marky Shark den Schwanz einzog, war kein gutes Omen. Magwin hatte den Kopfgeldjäger aus Sharon Springs für eine große Nummer gehalten. Wahrscheinlich hatte er den Kerl überschätzt.

»Was ist mit den anderen?«, knurrte er. »Haben die auch die Hosen voll?«

Nebenan klirrte Glas. Randall wandte den Kopf zur Seite, dann sah er Magwin an und grinste kurz. »Nein«, sagte er dann. »Ich denke nicht, dass die anderen Angst vor Lassiter haben. John Land, Clapford und die Calgary Brothers sind gut in Form. Sie brennen darauf, die Prämie einzustreichen, die Sie ausgesetzt haben.«

»Das will ich hoffen«, grunzte Magwin.

Randall trat von einem Bein aufs andere. »Da wäre noch eine Kleinigkeit«, druckste Randall.

»Die wäre?« Magwin sah ihn an.

»Die Jungs wollen die zweite Hälfte ihres Honorars in Gold ausgezahlt haben«, sagte Randall.

»Das war nicht Teil unseres Abkommens.« Magwin rang seinen aufwallenden Ärger nieder. »Zuerst sollen sie ihren Job erledigen, so wie es sich gehört, dann fließen auch die Moneten. Und zwar so wie vereinbart, in grünen Scheinchen, nicht in Gold. Richten Sie das den Herren aus, Randall.«

Der Hotelbesitzer zog eine Grimasse.

Vermutlich hat er den fünf Jägern schon irgendwelche Versprechungen gemacht, dachte Magwin. Aber das ist sein Bier. »Abgerechnet wird zum Schluss«, verkündete er. »Gibt es noch etwas, Randall?«

»Nein, im Moment nicht. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Mr. Magwin.«

Als Randall gegangen war, verriegelte Magwin sorgfältig die Tür hinter ihm. Dann überprüfte er im Konferenzzimmer den Sitz der Vorhänge.

Nirgendwo ein Schlitz. Perfekt.

Er lenkte seine Gedanken in eine andere Richtung. »Eve!«, rief er. »Eve, mein Schatz! Wo bleibst du? Ich denke, du kannst ohne mich nicht leben.«

»Machen Sie sich fertig, Miss«, sagte Lassiter. »In zehn Minuten reiten wir los.«

»Losreiten?« Linda starrte ihn ungläubig an. »Losreiten? Wohin?«

»Zu Roy Crawley auf die BUG-Ranch.«

Es war zehn nach sieben am Morgen. Lassiter stand im Türrahmen und blickte auf das Mädchen im Bett. Er hatte sie über Nacht mit in Carney’s Wigwam genommen. Nach dem Zusammenstoß mit Marky Shark befürchtete er, dass der Manhunter sich an ihr rächen würde.

»Ich kenne Roy Crawley nicht.« Linda rieb ihr zugeschwollenes Auge. »Hab ihn nur zwei, drei Mal auf der Straße gesehen. Ich bin eine Fremde für ihn. Warum sollte er mich in sein Haus aufnehmen?«

»Weil er ein rechtschaffener Mann ist und er es nicht zulassen wird, dass ein unschuldiges Mädchen von Quälgeistern wie Marky Shark gepeinigt wird. Auf keinen Fall können Sie die nächste Zeit in Colter City bleiben. Sie sind hier nicht mehr sicher, Linda.«

Sie überlegte kurz. »Okay, wenn Sie’s sagen.« Vorsichtig setzte sie die Füße auf den Boden. »Heute Mittag beginnt meine Schicht im Bel Air. Wenn ich schwänze, wird Randall mich feuern.«

»Verschwenden Sie keinen Gedanken mehr an ihn«, sagte Lassiter. »Das Bel Air wird ohne Sie auskommen müssen.«

Als Linda fertig angezogen war, traten sie ins Freie. Die Sonne stand tief am Horizont. Die Häuser warfen lange Schatten auf die Straße. Lassiter blickte sich nach allen Seiten um.

Nichts Verdächtiges. Die Stepwalks waren noch nicht bevölkert. Am Zügelholm standen zwei Pferde und ein Maultier, auf dem das Gepäck verschnürt war. Lassiter half seinem Schützling in den Sattel. Linda verzog gequält das Gesicht. Sie hatte mit den Folgen ihrer Misshandlung zu kämpfen. Tapfer ertrug sie die Anstrengung.

Lassiter reichte ihr die Zügel.

Auf dem Trottoir wurden Schritte laut. Eine junge Frau in einem weiten Umhang eilte auf sie zu.

»Annie!«, rief Linda überrascht. »Meine Mitbewohnerin«, fügte sie, an Lassiter gewandt, hinzu.

»Wir haben keine Zeit«, mahnte er.

»Nur einen Moment.« Linda wandte sich an die Neuangekommene. »Annie! Gut, dass du da bist. Da kann ich mich gleich von dir verabschieden.«

Annie trat an das Pferd. »Ich habe dich überall gesucht. Was ist passiert? Du bist fortgegangen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.«

»Ich muss fliehen, Marky Shark ist hinter mir her.«

Annie griff nach ihrer Hand. »Aber warum? Was in aller Welt geht hier vor?«

Linda spähte die Straße entlang, dann wies sie auf Lassiter. »Mr. Lassiter hat mir seinen Schutz angeboten. Ich werde eine Weile auf dem Land wohnen. Wenn alles vorbei ist, komme ich zurück.«

»Linda, du machst einen Fehler«, erwiderte Annie. »Reite nicht fort. Egal, was passiert ist, lass uns zusammen zu Duck Hawking gehen. Er ist der Sheriff und wird dich beschützen, wenn dir jemand etwas tun will.«

Linda beugte sich über das Sattelhorn. »Sieh mich an, Annie. Sehe ich aus wie jemand, der vom Sheriff beschützt worden ist?«

Annie sagte nichts.

Lassiter brachte sein Pferd neben Lindas Stute. »Wir sollten jetzt aufbrechen, Miss. Ich möchte die Ranch vor dem Dunkelwerden erreichen.«

»Mach’s gut, Annie«, sagte Linda.

»Halt!« Annie stellte sich in den Weg. Mit feindseligem Gesicht wies sie auf Lassiter. »Du kennst diesen Mann doch gar nicht. Und jetzt reitest du mit ihm irgendwohin. Ganz schon gewagt, findest du nicht auch?«